L 8 KR 117/11 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 175/11 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 117/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. April 2011 aufgehoben. Die Antrags- und Beschwerdegegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin und Beschwerdeführerin bis zur rechtskräftigen Feststellung ihrer Mitgliedschaft vorläufig als pflichtversichertes Mitglied in die gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmen und ihr die gesetzlich vorgesehenen Leistungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antrags- und Beschwerdegegnerin hat der Antragstellerin und Beschwerdeführerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

In dem Verfahren geht es um die Frage der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Antragstellerin, geboren 1948, ist kroatische Staatsangehörige und hält sich seit dem 22. September 1969 im Bundesgebiet auf. Seit dem 13. September 1977 besitzt sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fort gilt (§ 101 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz). Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt aus einer monatlichen Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit der Deutschen Rentenversicherung Hessen in Höhe von 802,26 EUR sowie aus einer Betriebsrente (Zusatzversorgungskasse) in Höhe von 200,18 EUR. Wegen einer schwerwiegenden Erkrankung wurde die Antragstellerin am 17. Oktober 2010 stationär im FP.-Krankenhaus aufgenommen und in der Folge mehrmals operiert. In diesem Zusammenhang erfolgte die Bestellung des Prozessbevollmächtigten als Betreuer der Antragstellerin. Im Verlauf der stationären Behandlung hatte sich herausgestellt, dass die Antragstellerin nicht krankenversichert ist. Am 5. Januar 2011 erfolgte daraufhin bei der Antragsgegnerin eine Anzeige zur Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Mit Bescheid vom 6. Januar 2011 lehnte die Antragsgegnerin die Aufnahme der Antragstellerin in die gesetzliche Krankenversicherung ab. Dies begründet sie maßgeblich damit, dass die Antragstellerin nach den ihr, der Antragsgegnerin, "vorliegenden Unterlagen" zur Sicherstellung ihres Lebensunterhaltes verpflichtet sei. Deshalb bestehe keine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb ebenso ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 2. März 2011) wie der am 22. März 2011 vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung aufzunehmen (Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. April 2011). In den Gründen heißt es dazu, dass zu Gunsten der Antragstellerin zwar ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sei. Es könne als unstreitig angesehen werden, dass vorliegend Krankenbehandlungskosten durch den Krankenhausaufenthalt entstanden seien, die die finanziellen Möglichkeiten der Antragstellerin übersteigen dürften. Dringlich erscheine auch der Umstand, dass die Antragstellerin rehabilitativer Maßnahmen bedürfe, um weiter zu genesen. Der Beginn einer solchen Maßnahme scheitere derzeit an der Frage, wer die Kosten hierfür zu tragen habe. Die Antragstellerin habe jedoch keinen Anordnungsanspruch nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Sie sei im Besitz eines mehr als 12 Monate befristeten Aufenthaltstitels, für dessen Erteilung die Sicherung des Lebensunterhaltes Voraussetzung gewesen sei. Auch unter der Geltung des Ausländergesetzes sei Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Sicherung des Lebensunterhaltes gewesen. Auf die Rechtslage und den Zeitpunkt der Erteilung des Aufenthaltstitels komme es dem Wortlaut des § 5 Abs. 11 SGB V entsprechend an. Der Gesetzgeber habe mit § 5 Abs. 11 SGB V eine Regelung geschaffen, die eine einfache Unterscheidung ermögliche und der Überlegung Rechnung trage, dass nur Ausländer, denen ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erteilt werde, einer Regelung zum Erwerb von Krankenversicherungsschutz bedürften. Nach den unwidersprochenen Darlegungen der Antragsgegnerin erfülle die Antragstellerin die notwendigen Vorversicherungszeiten zur Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner nicht. Damit bestehe auch keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Gegen diesen dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 4. April 2011 zugestellten Beschluss richtet sich die am 11. April 2011 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, die sie auf der Grundlage des erstinstanzlichen Vorbringens in der Begründung noch ergänzt und vertieft. Wenn die Ausländerbehörde selbst als für die Beurteilung des Aufenthaltsstatus` zuständige Behörde erkläre, die Sicherung des Lebensunterhaltes sei bei der Antragstellerin keine Voraussetzung für den Aufenthaltstitel gewesen (Glaubhaftmachung: Schreiben Stadt A-Stadt - Die Oberbürgermeisterin - vom 18. Februar 2011), so könne sich das Sozialgericht hierüber nicht einfach hinwegsetzen. Die Antragstellerin habe den stärksten denkbaren im Gesetz vorgesehenen Aufenthaltstitel. Vorliegend sei bislang auch völlig unklar, weshalb die Antragstellerin ihren gesetzlichen Krankenversicherungsschutz, der früher einmal bestanden haben müsse, zwischenzeitlich verloren habe. Die Antragstellerin selbst könne hierüber wegen ihrer Erkrankung keine Auskunft geben. Die Rechtsauffassung des Sozialgerichts als richtig unterstellt, würden alle jene Personen aus der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V herausfallen, bei denen zwar einmal ein Krankenversicherungsschutz bestanden habe, dieser aber später - warum auch immer - weggefallen sei. Auch diesen Personen müsse der "Wiederzugang" zur gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung ermöglicht werden.

Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. April 2011 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, die Antragstellerin rückwirkend in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung aufzunehmen und sämtliche Heil- und Behandlungskosten einschließlich derjenigen für Rehabilitationsmaßnahmen zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Die Beigeladene hat sich an dem Verfahren nicht beteiligt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der von dem Senat beigezogenen Gerichtsakte des erstinstanzlichen Klageverfahrens - S 18 KR 139/11 - und der Verwaltungsverfahrensakte der Antragsgegnerin Bezug genommen. Diese waren Inhalt und Gegenstand der Beratung.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Die Beschwerde der Antragstellerin ist auch begründet, soweit ihre Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung abgelehnt worden ist. Zu diesem Streitgegenstand und prozessualen Anspruch war der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main aufzuheben. Die Beschwerde ist – im derzeitigen Stand des Verfahrens – unbegründet, soweit es um die Aufnahme in die gesetzliche Pflegeversicherung geht.

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers (Anordnungsanspruch) vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Anordnungsgrund; Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).

Im Beschwerdeverfahren musste die Krankenkasse als Antrags- und Beschwerdegegnerin im Wege einer Regelungsanordnung zur Feststellung einer Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet werden, weil neben einem Anordnungsgrund entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts auch ein Anordnungsanspruch von der Antragstellerin glaubhaft gemacht worden ist (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Die Voraussetzungen für die Aufnahme der Antragstellerin in die gesetzliche Krankenversicherung liegen auf der Grundlage einer summarischen Prüfung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 und nach § 5 Abs. 11 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor. Nach jener Vorschrift sind versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und a) zuletzt krankenversichert waren oder b) bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den in Absatz 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten. Absatz 5 des § 13 SGB V erfasst die hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen. § 6 SGB V nennt die Tatbestände, die vom Versicherungszwang ausgenommen werden. Beides ist vorliegend nicht einschlägig.

Über die Vorschrift des § 5 Abs. 11 SGB V werden aber Ausländer, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (Kroatien wird erst mit Abschluss des Ratifizierungsprozesses am 1. Juli 2013 der 28. Mitgliedsstaat der EU werden; vgl. in: http://wikipedia.org.), Angehörige eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz sind, von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erfasst, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes besteht. Nach dieser Vorschrift setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Diese Voraussetzungen waren hier zu bejahen. Das Sozialgericht und die Antrags- und Beschwerdegegnerin haben vorliegend verkannt, dass der Antragstellerin eine Verpflichtung zur Sicherung ihres Lebensunterhalts i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht auferlegt worden ist. Dies ergibt sich aus dem erstinstanzlich bereits von dem Betreuer und Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vorgelegten Schreiben der für das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin sachlich und örtlich zuständigen Ordnungsbehörde "Stadt A-Stadt – Die Oberbürgermeisterin" – vom 18. Februar 2011. Darin heißt es u.a.: "Nach ausländerrechtlicher Systematik müssen die Voraussetzungen zur Erteilung bei Entscheidung über den Aufenthaltstitel vorliegen. Zu den materiellen Voraussetzungen gehört unter anderem die Sicherung des Lebensunterhaltes ohne den Bezug öffentlicher Mittel. Dies war am 13.09.1977 der Fall, da Frau A. als Kantinenhilfe bei der X-Gaswerke AG beschäftigt war und entlohnt wurde." Die Antragstellerin war danach seit dem 13. September 1977 im Besitz einer sogenannten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fort gilt (§ 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Anders als die Aufenthaltserlaubnis ist die Niederlassungserlaubnis unbefristet und inhaltlich grundsätzlich unbeschränkt. Sie unterliegt keiner Zweckbindung, berechtigt zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und verschafft den Berechtigten ferner den besonderen Ausweisungsschutz; sie ist daher auf den dauerhaften Verbleib eines Ausländers im Bundesgebiet angelegt (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2008 1 C 34/07 - , in juris.de). Nach dieser Normierung kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragstellerin keine Verpflichtung zur Sicherstellung des Lebensunterhalts im Sinne der Normierung des § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V auferlegt war, worauf aber die Antrags- und Beschwerdegegnerin sowie das Sozialgericht maßgeblich abstellen. Vorliegend ist jedoch nicht erkennbar, worauf diese Feststellung gestützt worden ist bzw. gestützt werden konnte. Die Stellungnahme der sachlich zuständigen Ordnungsbehörde vom 18. Februar 2011 zeigt für den Senat jedenfalls eine andere Beurteilung auf, die bei der Beurteilung des Anspruchs materiell-rechtlich bisher nicht zugrunde gelegt worden ist.

Darüber hinaus darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Antragstellerin im Verlaufe ihrer mehrjährigen Erwerbstätigkeit wohl kaum ohne Krankenversicherung gewesen sein kann, worauf der Betreuer und Prozessbevollmächtigte zu Recht hinweist. Die Antragstellerin bezieht eine Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit und konnte nur deshalb keine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner begründen, weil die entsprechende Vorversicherungszeit nicht erfüllt war. Das Sozialgericht hat dies zutreffend erwähnt. In diesem Zusammenhang wird aber in dem Hauptsacheverfahren geklärt werden können, weshalb die Antragstellerin, obwohl sie eine Versichertenrente bezieht, nicht mehr krankenversichert war. Insoweit könnte sich die Klärung der Frage einer Versicherungsberechtigung der Antragstellerin nach der Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 1., 4., 6. SGB V aufdrängen, was in dem vorliegenden Eilverfahren offen bleiben muss, um eine weitere Verzögerung zu vermeiden. Der krankenversicherungsrechtliche Status der Antragstellerin kann dann ermittelt und festgestellt werden.

Unbegründet ist die Beschwerde zu dem Antrag, die Antragstellerin rückwirkend auch in die Pflegeversicherung aufzunehmen. Dazu ist in dem vorliegenden Verfahren kein Raum, weil die Antrags- und Beschwerdegegnerin für die Pflegeversicherung nicht passiv legitimiert ist. In dem Hauptsacheverfahren könnte dies durch einen Antrag und eine Beiladung der Antrags- und Beschwerdegegnerin als "Pflegekasse" nachgeholt werden.

Der Senat bejaht mit dem Sozialgericht ebenfalls einen Anordnungsgrund und macht sich die diesbezügliche Begründung des angefochtenen Beschlusses, um Wiederholungen zu vermeiden, zu Eigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden, weil das Beschwerdegericht die Entscheidung getroffen hat (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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