L 11 AS 853/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AS 558/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 853/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4a SGB II liegt nicht vor, wenn sich der Leistungsberechtigte innerhalb des zeit- und ortsnahen Bereich aufhält. Die tägliche postalische Erreichbarkeit wird dabei nicht vorausgesetzt. Eine Verfügbarkeit, wie sie § 119 Abs 5 SGB III für den Anspruch auf Arbeitslosengeld voraussetzt, ist im Hinblick auf den Bezug von Arbeitslosengeld II keine Anspruchsvoraussetzung.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 05.11.2009 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und die Erstattung zu Unrecht bezogener Leistungen wegen eines nicht mitgeteilten Auszugs.

Der Kläger bezieht vom Beklagten Alg II. Der aus dem Kläger und seiner Ehefrau sowie den beiden Kindern bestehenden Bedarfsgemeinschaft bewilligte der Beklagte u.a. auf die Fortzahlungsanträge vom 29.02.2008 und 10.09.2008 Leistungen für die Zeit von April bis einschließlich September 2008 (Bescheid vom 14.03.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 18.05.2008) und von Oktober 2008 bis März 2009 (Bescheid vom 18.09.2008; für März 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 05.02.2009). In den Anträgen wurde dabei stets für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft als Wohnungsanschrift die A-Straße, A-Stadt, angegeben. Mit Bescheid vom 01.12.2008 erfolgte die Gewährung eines Darlehens an die Ehefrau des Klägers zur Tilgung von Stromrückständen.

Der Kläger musste aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts A-Stadt vom 29.09.2008 die gemeinsame Wohnung verlassen (befristet bis 17.03.2009), da diese seiner Ehefrau und den Kindern zur alleinigen Benutzung zugewiesen wurde. Zudem wurde angeordnet, der Kläger habe es zu unterlassen, die Wohnung ohne vorherige Zustimmung seiner Ehefrau nochmals zu betreten.

Die Ehefrau des Klägers teilte spätestens am 04.03.2009 dem Beklagten im Rahmen einer persönlichen Vorsprache mit, der Kläger sei seit dem 15.10.2008 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Im Rahmen einer Anhörung gab der Kläger hierzu an, er sei nicht ausgezogen, sondern habe sich vielmehr bei verschiedenen Freunden aufgehalten. Sein gesamtes Hab und Gut befinde sich noch in der gemeinsamen Wohnung. Unter der bisherigen Anschrift sei er weiterhin gemeldet. Er sei davon ausgegangen, er werde in die Wohnung wieder zurückkehren und habe deshalb eine Adressänderung nicht für notwendig erachtet.

Mit Bescheid vom 18.03.2009 hob der Beklagte die Leistungsbewilligungen vom 14.03.2008, 18.05.2008, 18.09.2008, 01.12.2008 und 05.02.2009 allein bezüglich der Regelleistung für die Zeit vom 15.10.2008 bis 28.02.2009 gegenüber dem Kläger auf und forderte die Erstattung von Alg II (Regelleistung) iHv 1.164 EUR sowie der Beiträge zur Krankenversicherung iHv 554,85 EUR und zur Pflegeversicherung iHv 79,43 EUR, insgesamt 1.898,28 EUR. Der Kläger sei aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und habe die neue Anschrift sowie die Trennung nicht mitgeteilt. Damit sei er seiner Mitteilungsverpflichtung hinsichtlich der Änderungen in seinen Verhältnissen, die für die Leistungsgewährung erheblich seien, zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Er habe sich definitiv nicht in der Wohnung bei seiner Frau aufgehalten. Ob dort noch seine Sachen gewesen seien, sei unerheblich.

Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser ergänzend vortrug, er sei selbstverständlich über seine Ehefrau weiter erreichbar gewesen, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2009 zurück. Mit seinem Auszug sei der Kläger kein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mehr gewesen. Entscheidend sei dabei allein die endgültige Trennung, die seine Ehefrau sogar gerichtlich erwirkt habe. Unabhängig von seinen subjektiven Vorstellungen und Hoffnungen hätte er die Veränderungen mitteilen müssen, worauf in den ausgehändigten Merkblättern auch hingewiesen worden sei. Die irrtümlicherweise erwähnte Aufhebung der Entscheidungen vom 14.03.2008 und vom 18.05.2008 sowie des Änderungsbescheides vom 05.02.2009 sei unschädlich und gehe ins Leere. Anteilige Kosten der Unterkunft seien vom Kläger nicht zurückgefordert worden, da die Kosten insofern unabhängig von seinem Auszug seien.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Er habe sich im fraglichen Zeitraum bei Freunden in der Stadt A-Stadt aufgehalten. Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 05.11.2009 den Bescheid vom 18.03.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2009 aufgehoben. Zwar habe für den Kläger eine Mitteilungspflicht im Hinblick auf die Änderung der Verhältnisse bestanden, jedoch sei weder der Eintritt wesentlicher nachteiliger Änderungen nachgewiesen, noch sei eine Verletzung der Mitwirkungspflicht kausal für eine Zahlung an den Kläger geworden. Das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft sei keine Leistungsvoraussetzung. Der Kläger hätte als Alleinstehender sogar Anspruch auf eine noch höhere Regelleistung gehabt. Im Termin habe er glaubhaft ausgeführt, sich weiterhin im örtlichen Bereich der Stadt A-Stadt aufgehalten zu haben.

Der Beklagte hat dagegen Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Der Kläger habe gegen seine Mitwirkungspflichten und die Bestimmungen der Erreichbarkeitsanordnung verstoßen. Der Ausschluss nach § 7 Abs 4a SGB II greife auch dann, wenn sich der Leistungsberechtigte innerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalten, jedoch seine Erreichbarkeit nicht sichergestellt sei. Voraussetzung sei insofern ein mindestens einmal werktägliches Durchsehen der an der Wohnanschrift eingehenden Briefpost. Insofern sei zu berücksichtigen, dass die Ehefrau auch eine Schutzanordnung erwirkt habe und es dem Kläger verboten gewesen sei, sich dieser überhaupt zu nähern. Der Gesetzgeber habe durch das Regelbedarfsermittlungsgesetz klargestellt, nur erwerbsfähige Leistungsberechtigte würden bei unerlaubter Abwesenheit ihren Leistungsanspruch verlieren und deren Verfügbarkeit für Eingliederungsleistungen sei Anspruchsvoraussetzung des § 7 Abs 4a SGB II. Eine noch zu erlassende Erreichbarkeitsanordnung setzte den Begriff der "Verfügbarkeit" als gesetzliche Anspruchsvoraussetzung voraus und definiere diesen lediglich. Für einen weiteren Bezug von Leistungen durch den Kläger fehle es nach dem Auszug an einer Antragstellung nach § 37 SGB II und einer Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit. Offensichtlich habe er seinen Lebensunterhalt anderweitig bestreiten können.

Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er habe nicht gegen seine Mitwirkungspflicht verstoßen und sei postalisch unter seiner ursprünglichen Adresse erreichbar gewesen. Seine Ehefrau habe ihn sofort über eingehende Post informiert und diese weitergeleitet. Die Post habe er dann am selben, spätestens am nächsten Tag bekommen. Sie hätten auch die ganze Zeit über Kontakt gehabt. In der streitgegenständlichen Zeit sei er bei der Schwester seiner Frau in A-Stadt, A-Straße, untergekommen. Tagsüber habe er sich bei Freunden oder seinen Eltern in A-Stadt aufgehalten. Verfügbarkeit gemäß § 119 Abs 5 Nr 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) sei keine Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Alg II. Auch eine Klarstellung durch den Gesetzgeber könne Rückwirkung entfalten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), aber nicht begründet. Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 05.11.2009 zu Recht den Bescheid des Beklagten vom 18.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2009 aufgehoben.

Der allein streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 18.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Leistungsbewilligung gegenüber dem Kläger lagen nicht vor.

Nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 48 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X iVm § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III, § 40 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954).

Bei dem Bewilligungsbescheid vom 18.09.2008 handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt. Es liegt aber im Hinblick auf die bewilligte Regelleistung keine leistungsmindernde, erhebliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse des Klägers in der Zeit vom 15.10.2008 bis 28.02.2009 vor. Er hatte in diesem Zeitraum einen Anspruch auf Bewilligung der Regelleistung.

Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr 1), die erwerbsfähig (Nr 2) und hilfebedürftig (Nr 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr 4). Diese allgemeinen Leistungsvoraussetzungen sind nach dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung beim Kläger nicht entfallen. Es gibt insbesondere keine Anhaltspunkte für einen Wegfall der Bedürftigkeit (hinsichtlich der Regelleistung). Nach § 9 Abs 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln, hierin einbezogen das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Zwar ist nicht ersichtlich, dass der Kläger weitere Kosten für Unterkunft und Heizung aufbringen musste, da er bei Freunden untergekommen war, jedoch gilt dies nicht für die Regelleistung. Der Kläger war insofern unstreitig bis zu seinem Auszug hilfebedürftig. Warum dies danach nicht mehr der Fall gewesen sein soll, ist nicht nachgewiesen. Die pauschale Behauptung des Beklagten, der Kläger habe seinen Lebensunterhalt anderweitig sichergestellt, greift nicht, da die Leistungsaufhebung erst rückwirkend erfolgte, dem Kläger die gewährten Leistungen mithin zur Verfügung standen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Freunde oder Eltern des Klägers ihm neben der Unterkunft auch noch Essen und Kleidung sowie die übrigen von der Regelleistung umfassten Bedarfe erbracht haben. Der Beklagte hat für seine Behauptung weder Zeugen benannt, noch andere Nachweise hierzu vorgelegt. Es gibt daher für den Senat insofern - mangels Anhaltspunkte - keinen Anlass weitere Ermittlungen "ins Blaue hinein" anzustellen.

Ein Leistungsanspruch des Klägers ist auch nicht durch seinen Aufenthalt außerhalb der gemeinsamen Wohnung, die er als Anschrift in den Leistungsanträgen gegenüber dem Beklagten angegeben hatte, entfallen. Nach § 7 Abs 4a 1.HS SGB II idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (FortentwG) vom 20.07.2006 (BGBl I 1706) erhält derjenige keine Leistungen nach dem SGB II, der sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23.10.1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16.11.2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält. Die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend (§ 7 Abs 4a 2.HS SGB II).

Eine Definition des zeit- und ortsnahen Bereiches ergibt sich damit aus § 2 Satz 1 Nr 3 Satz 2 EAO (vgl Beschluss des Senats vom 20.12.2010 - L 11 AS 798/10 B ER - zitiert nach juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.03.2008 - L 7 B 315/07 AS - zitiert nach sozialgerichtsbarkeit.de; SG Hildesheim, Urteil vom 18.02.2009 - S 43 AS 1230/07 - zitiert nach juris; Hänlein in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand: 01/2009, § 7 Rn 84b). Die Heranziehung weiterer Vorschriften der EAO, insbesondere der Erfordernisse in § 1 EAO (so offensichtlich Thie/Schoch in: LPK-SGB II, 4. Aufl, § 7 Rn 111) oder der übrigen Regelungen des § 2 EAO (so offenbar ohne Begründung SG Frankfurt, Urteil vom 22.07.2010 - S 24 AS 1080/08 - zitiert nach juris) zur Definition des zeit- und ortsnahen Bereich ist nicht möglich (vgl Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl, § 7 Rn 78 aE mwN). Demnach gehören zum Nahbereich alle Orte in der Umgebung des Beklagten, von denen aus der Leistungsberechtigte erforderlichenfalls in der Lage wäre, den Beklagten täglich ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen.

Der Kläger hielt sich im streitgegenständlichen Zeitraum zur Überzeugung des Senats in A-Stadt, mithin im zeit- und ortsnahen Bereich auf. So hat er angegeben, innerhalb der Stadt bei seiner Schwägerin übernachtet und sich tagsüber ebenfalls im Stadtgebiet bei seinen Freunden bzw Eltern aufgehalten zu haben. Anhaltspunkte für einen Aufenthalt des Klägers außerhalb des Nahbereichs gibt es nicht. Der Beklagte hat hierzu nichts vorgetragen. Nach dem Akteninhalt und dem Vortrag der Beteiligten gibt es dafür auch keine Indizien. So liegen beispielsweise Schreiben des Beklagten, die unbeantwortet geblieben sind oder Meldeaufforderungen, denen der Kläger nicht nachgekommen wäre, nicht vor.

Soweit der Beklagte vorbringt, der Kläger sei postalisch nicht erreichbar iSd EAO gewesen, greift dieser Einwand nicht durch. Eine Verfügbarkeit iSd § 119 Abs 5 SGB III ist keine Anspruchsvoraussetzung für den Leistungsbezug nach dem SGB II. Vor der Einführung des § 7 Abs 4a SGB II fehlte eine entsprechende Regelung zu den Folgen eines Aufenthaltes außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches, wobei dies aber Gegenstand einer Eingliederungsvereinbarung sein konnte. Ein Verstoß konnte dann eine Sanktion nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1b SGB II (in der bis 31.03.2011 geltenden Fassung; jetzt § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II) auslösen. Diese Sanktion wollte der Gesetzgeber (vgl BT-Drs 16/1696 S 26) verschärfen, um ortsabwesende Leistungsberechtigte zu einer Rückkehr und zur aktiven Mitwirkung an der Eingliederung in den Arbeitsmarkt, insbesondere in Fällen eines Auslandsaufenthaltes bei aufrechterhaltenem gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, zu bewegen (vgl auch Hänlein aaO Rn 84a). Mit der Einführung des § 7 Abs 4a SGB II durch das FortentwG hat der Gesetzgeber folglich nur einen Leistungsausschluss im Falle eines Aufenthaltes außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners regeln, nicht aber die weiteren Verfügbarkeitsvoraussetzungen des § 119 Abs 5 SGB III in das SGB II einführen wollen (vgl BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn 16 - zitiert nach juris = SozR 4-4200 § 16 Nr 1; Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: 01/2012, § 7 Rn 263; in diesem Sinne auch SG Hildesheim aaO; Spellbrink aaO). Der Leistungsbezug des Klägers scheitert somit nicht an dessen fehlender Verfügbarkeit (iSd § 119 Abs 5 SGB III), denn die EAO setzt den Begriff der "Verfügbarkeit" als gesetzliche Anspruchsvoraussetzung voraus und definiert diesen lediglich (Beschluss des Senats vom 23.09.2010 - L 11 AS 586/10 B ER - zitiert nach juris). Die Anordnung der entsprechenden Geltung der Vorschriften der EAO in § 7 Abs 4a 2.HS SGB II betrifft insofern im Kern nur die Regelungen über das Genehmigungsverfahren für einen Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs in § 3 EAO, so dass eine täglich Erreichbarkeit des Leistungsberechtigten unter seiner Postanschrift für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht erforderlich ist (Valgolio aaO Rn 262 f; anders ohne Begründung: BayLSG, Urteil vom 28.10.2010 - L 8 AS 215/10 - zitiert nach juris).

Auch die Neuregelung des § 7 Abs 4a SGB II (nF) durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl I 453) führt zu keiner anderen Betrachtungsweise. Danach erhalten nunmehr erwerbsfähige Leistungsberechtigte keine Leistungen, wenn sie sich ohne Zustimmung des zuständigen Trägers nach diesem Buch außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deshalb nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen (Satz 1). Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn für den Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs ein wichtiger Grund vorliegt und die Eingliederung in Arbeit nicht beeinträchtigt wird (Satz 2). Die Sätze 3 bis 5 legen insbesondere dar, was ein wichtiger Grund ist und wie lange eine Ortsabwesenheit dauern kann. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs 17/3404 S 92) wird mit der Änderung klargestellt, dass nur erwerbsfähige Leistungsberechtigte bei unerlaubter Ortsabwesenheit ihren Leistungsanspruch verlieren und die fehlende Verfügbarkeit für Eingliederungsleistungen weitere Voraussetzung ist. Daraus kann nicht geschlossen werden, die Erreichbarkeit des Leistungsberechtigten werde alleine anspruchsbegründend vorausgesetzt, denn eine diesbezüglich fehlende "Verfügbarkeit" führt nur dann zu einem Leistungsausschluss, wenn diese kausal auf einer unerlaubte Ortsabwesenheit beruht, § 7 Abs 4a Satz 1 SGB II nF. Dass nunmehr das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in § 13 Abs 3 SGB II ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates nähere Bestimmungen zum zeit- und ortsnahen Bereich (§ 7 Abs 4a SGB II) sowie dazu zu treffen, wie lange und unter welchen Voraussetzungen sich erwerbsfähige Leistungsberechtigte außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten dürfen, ohne Ansprüche auf Leistungen nach diesem Buch zu verlieren, ändert ebenfalls nichts. Damit soll ein "Systembruch" beseitigt werden, da die bisherigen Anordnungen von der Bundesagentur für Arbeit durch deren Verwaltungsrat als Selbstverwaltungsorgan erlassen wurden (§ 373 Abs 5 SGB III), der für die Ausführung des SGB II gerade keinerlei Zuständigkeiten hat (vgl Thie/Schoch aaO Rn 110). Zudem wird das Bundesministerium gerade nicht ermächtigt, weitere Ausschlusstatbestände für eine Leistungsgewährung zu schaffen, die über die Ortsabwesenheit hinausgehen. Um einen solchen Fall der Ortsabwesenheit geht es vorliegend aber gerade nicht. Im Übrigen hätte der Gesetzgeber für den Fall, dass er tatsächlich auch einen Leistungsausschluss bei einer fehlenden Verfügbarkeit unabhängig von der unerlaubten Ortsabwesenheit wollte, dies entsprechend ausdrücklich regeln können, da im Hinblick auf die oben zitierten Rechtsprechungsnachweise und Kommentarstellen die Problematik offensichtlich war und ist.

Darüber hinaus ist eine fehlende tägliche postalische Erreichbarkeit des Klägers von der Beklagten, die nach ihren Dienstanweisungen (nach obigen Ausführungen zu Unrecht) von einer diesbezüglichen Notwendigkeit ausgeht, nicht belegt worden. Es gab keine Schreiben, die den Kläger nicht erreicht hätten. Er hat glaubhaft vorgetragen, er sei umgehend von seiner Frau über einen etwaigen Posteingang informiert worden und die Post sei ihm auch ausgehändigt worden. Dass er tatsächlich trotz des Annäherungsverbotes noch Kontakt zu seiner Frau gehabt hat, ist nicht widerlegt und auch nicht ausgeschlossen.

Der Leistungsanspruch des Klägers ist schließlich nicht im Hinblick auf das Erfordernis eines Antrages nach § 37 Abs 1SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I S 2954) weggefallen. Der Beklagte hatte u.a. dem Kläger aufgrund des Fortzahlungsantrages vom 10.09.2008 mit Bescheid vom 18.09.2008 idF des Änderungsbescheides vom 05.02.2009 Alg II für die Zeit vom 01.10.2008 bis 31.03.2009 bewilligt. Dieser Fortzahlungsantrag ist nicht entfallen. Es handelt sich bei den Leistungen nach dem SGB II um Individualansprüche und nicht um einen Anspruch der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 1 - mwN; Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 9/06 R - SozR 4-4300 § 428 Nr 3; Urteil vom 05.09.2007 - B 11b AS 15/06 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 5; Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: 01/2012, § 7 Rn 48). Der Kläger hat insofern einen eigenen Antrag auf Leistungsfortzahlung gestellt, der unabhängig von dem der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ist. Die Auflösung der Bedarfsgemeinschaft ist mithin für den individuellen Leistungsanspruch dem Grunde nach unerheblich.

Mangels Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in Bezug auf die Bewilligung der Regelleistung an den Kläger für die Zeit vom 01.10.2008 bis 31.03.2009 war der Beklagte insofern nicht berechtigt, die Leistungsbewilligung hinsichtlich der Regelleistung aufzuheben.

Mangels rechtmäßiger Aufhebung der Leistungsbewilligung ist auch die Rückforderung der Regelleistung iHv 1.264 EUR nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 50 Abs 1 SGB X rechtswidrig und aufzuheben. Gleiches gilt für die Erstattung der Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung iHv 554,85 EUR bzw 79,43 EUR nach § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II iVm § 335 SGB III. Letztere hätten wohl auch schon deshalb nicht zurückgefordert werden können, da die Leistungsbewilligung nur im Hinblick auf die Regelleistung aufgehoben, damit alleine die Höhe der Leistungen korrigiert worden ist. Da nicht ersichtlich ist, dass sich insofern die Beitraghöhe für die Kranken- und Pflegeversicherung geändert haben könnte, besteht kein (auch kein anteiliger) Ersatzanspruch (vgl auch Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl, § 40 Rn 92).

Soweit der Beklagte mit seinem Bescheid vom 18.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2009 auch die Bescheide vom 14.03.2008 und 18.05.2008, die die Leistungsbewilligung für die Zeit bis September 2008 betrafen, aufgehoben hat, hat er selbst klargestellt, dass die Aufhebung "ins Leere" gehe. Dennoch kann diese Erklärung im Widerspruchsbescheid nicht als Aufhebung des Bescheides vom 18.03.2009 verstanden werden. Dies hätte im Verfügungssatz des Widerspruchsbescheides dargestellt werden müssen. Insofern war der angefochtene Bescheid auch insofern aufzuheben, da in diesem Bewilligungszeitraum der Kläger noch bei seiner Frau und den Kindern gewohnt hat, und unstreitig keine Änderung der Verhältnisse, die zu einer Aufhebung der Leistungsbewilligung hätte Anlass geben können, vorgelegen hat. Gleiches gilt für die Aufhebung des Bescheides vom 01.12.2008. Mit diesem wurden ausdrücklich alleine Leistungen an die Frau des Klägers bewilligt. Eine Aufhebung dieses Bescheides gegenüber dem Kläger ist bereits deshalb nicht möglich. Schließlich scheitert eine Aufhebung des Änderungsbescheides vom 05.02.2009 schon daran, dass dieser die Leistungshöhe nur für März 2009 abgeändert hat, dieser Zeitraum aber von der Aufhebung nicht erfasst sein sollte.

Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 05.11.2009 war demnach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved