Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 AS 277/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 213/12
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Unter dem 28.12.2010 stellte der Kläger bei der ARGE für die Grundsicherung Arbeitsuchender in der StädteRegion Aachen, deren Rechtsnachfolger der Beklagte ist (nachfolgend Beklagter) einen Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen. Mit Bescheid vom 28.12.2010 bewilligte der Beklagte ihm für die Zeit vom 01.02.2011 bis 31.07.2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 359 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 418,50 EUR monatlich.
Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 07.01.2011 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, der Berechnung der bewilligten Leistungen lägen Vorschriften des SGB II zugrunde, die mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 für verfassungswidrig erklärt worden seien. Es ergäben sich im Zusammenhang mit der Ermittlung der Regelbedarfe und der Leistungen im "Bildungspaket" verfassungsrechtliche Bedenken. Die Höhe der bewilligten Leistungen sei zu niedrig, insbesondere ergebe sich aus einer Studie der Universität zu C., dass alleine für eine ausgewogene Ernährung ein monatlicher Betrag von bis zu ca. 245,40 EUR festgestellt worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach dem Urteil des BVerfG gebe es einen Gesetzentwurf des Deutschen Bundestages hinsichtlich der betroffenen Vorschriften. Da der Bundesrat aber noch nicht zugestimmt habe, fehle es derzeit an einer Rechtsgrundlage zur Anhebung bewilligter Leistungen.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit der am 18.03.2011 erhobenen Klage. Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts sei verfassungswidrig und zu gering bemessen. Im Weiteren verwies der Kläger auf eine angefügte rechtsgutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. jur. N. TU-Berlin.
Während des Klageverfahrens erließ der Beklagte unter dem 26.03.2011 einen Änderungsbescheid, mit dem rückwirkend ab dem 01.01.2011 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf monatlich 364 EUR festgesetzt wurden. Die sich ergebenden Differenzbeträge wurden dem Kläger ausgezahlt.
Auch nach Erlass dieses Bescheides hält der Kläger an seinen Ausführungen fest. Er ist der Ansicht, der Beklagte habe ihm höheres Arbeitslosengeld II zu bewilligen. Hierzu beruft sich der Kläger unter Anderem auf die in der mündlichen Verhandlung überreichte wissenschaftliche Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. GmbH zum Thema "Lebensmittelkosten im Rahmen einer vollwertigen Ernährung" von April 2008 sowie eine mit der Klage eingereichte rechtsgutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. jur. N. der TU-Berlin zu der Frage, ob der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.10.2010 den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (Az. 1 BvL 1/09) entspricht.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 28.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2011 in der Fassung des Bescheides vom 26.03.2011 zu verurteilen, ihm Grundsicherungsleistungen in Höhe des Existenzminimums zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, es bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe der bewilligten Leistungen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Der Bescheid vom 28.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2011 in der Fassung des Bescheides vom 26.03.2011 – der nach § 96 SGG in das Verfahren einzubeziehen ist - war nicht rechtswidrig. Dem Kläger steht ein Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht zu.
Der Kläger ist Berechtigter im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Seit dem 01.01.2011 werden als Regelbedarf nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II monatlich 364 EUR an Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind, anerkannt. Dieser Regelbedarf wurde dem Kläger mit Bescheid vom 26.03.2011 rückwirkend ab dem 01.01.2011 bewilligt.
Zum Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts gehören gemäß § 20 Abs. 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt. Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen. Die Höhe der Regelbedarfe wird nach dem Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG) bestimmt (vgl. BGBl. I, S. 453 ff.).
Die Kammer ist der Auffassung, dass die Regelung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – auch nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, www.juris.de) – keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) kommt nicht in Betracht.
Nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG besteht für jeden Einzelnen ein Recht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Aus diesem Grundrecht resultiert ein unmittelbarer Leistungsanspruch, der sich jedoch nur auf diejenigen Mittel erstreckt, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (BVerfG, a.a.O., Rn. 135). Dem Gesetzgeber obliegt es, den sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebende Leistungsanspruch durch Parlamentsgesetz zu wahren. Soweit es um die Höhe des Leistungsanspruches geht, ergeben sich aus dem Grundgesetz keine Angaben. Diese muss durch den Gesetzgeber unter Zugrundelegung der gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ermittelt und konkretisiert werden. Aus dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsgebot folg für den Gesetzgeber die Pflicht, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen, die sich etwa in einer technisierten Informationsgesellschaft anders als früher darstellt. Die hierbei erforderlichen Wertungen kommen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliegt es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert, bleibt grundsätzlich ihm überlassen. Ihm kommt zudem Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und ist zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG, a.a.O., Rn. 138). Zur Konkretisierung des Anspruchs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen (BVerfG, a.a.O., Rn. 139). Eine bestimmte Methode schreibt das Grundgesetz dem Gesetzgeber nicht vor; um eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Nachvollziehbarkeit des Umfangs der gesetzlichen Hilfeleistungen sowie deren gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten, müssen die Festsetzungen der Leistungen aber auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigen sein (BVerfG, a.a.O., Rn. 142). Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums entspricht eine zurückhaltende verfassungsrechtliche Kontrolle der einfachgesetzlichen Regelungen. Die materielle Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind (BVerfG, a.a.O., Rn. 140).
Ausgehend von diesen durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen ergeben sich für die Kammer keine Bedenken, dass die Ermittlung der Regelbedarfe nach dem RBEG bzw. die maßgebliche Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II den Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG entspricht.
Das Gericht ist – im Gegensatz zu der vom Kläger eingereichten Stellungnahme des Herrn Prof. Dr. Münder - davon überzeugt, dass sich die Ermittlung der Regelbedarfe auf ein verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügendes Verfahren stützen lässt. Das vom Gesetzgeber gewählte Statistikmodel (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 50 ff.) – Bemessung des Regelbedarfs mit Hilfe von Sonderauswertungen der Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2008 nach § 28 SGB XII (vgl. § 1 RBEG) – beruht auf einer geeigneten empirischen Datengrundlage. Die Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) bildet das Verbrauchsverhalten der Bevölkerung realitätsgetreu ab. Soweit der Kläger der EVS in Bezug auf Lebensmittelkosten unter Berufung auf die wissenschaftliche Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. GmbH (DGE) zum Thema "Lebensmittelkosten im Rahmen einer vollwertigen Ernährung" von April 2008 entgegentritt, kann dem schon entgegengehalten werden, dass sich diese Stellungnahe nicht auf eine aktuelle Datengrundlage stützt. Für die in der Stellungnahme vorgenommenen Berechnungen wurden von der DGE Daten über die dem Ernährungskreis zugrunde liegenden Lebensmittelmengen zur Verfügung gestellt und mit den Daten der EVS 2003 verknüpft, um die entsprechenden Ausgaben zu bestimmen. Grundlage der hier angegriffenen Bemessung der Regelbedarfe war demgegenüber die fünf Jahre ältere EVS 2008.
Auch im Übrigen ergeben sich für die Kammer keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt insbesondere auch für die Abgrenzung der Referenzhaushalte nach § 3 RBEG und die Abgrenzung unterer Einkommensschichten nach § 4 RBEG. Der Gesetzgeber hat für den Ausschluss der Berücksichtigung von Haushalten, die allein von den existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II und SGB XII leben, bei gleichzeitiger Einbeziehung der Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII ab dem ersten Euro Erwerbsweinkommen als Referenzhaushalt (vgl.BT-Drs. 17/3404, S. 87 ff.), eine überzeugende Begründung gegeben. So hat er ausgeführt, dadurch verhindern zu wollen, dass das Verbrauchsverhalten von Beziehern existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII zur Grundlage der Bedarfsermittlung gemacht wird. Dadurch verblieben nur solche Personen und Haushalte in der Referenzgruppe, die von Einkünften oberhalb des Existenzminimums leben. Gegen einen kompletten Ausschluss von Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII ab dem ersten Euro Erwerbsweinkommen spricht weiter, dass der Verzicht auf die Berücksichtigung dieser Haushalte zu einer erheblichen Anhebung des ermittelten Existenzminimums führen und die Anwendung dieser Methode den Kreis der Leistungsberechtigten bei jeder zukünftigen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe Schritt für Schritt erheblich erweitern würde (SG Aachen, Urteil vom 20.07.2011, Az. S 5 AS 177/11, www.juris.de).
Auch soweit der Gesetzgeber in § 4 RBEG die unteren 15 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Einpersonenhaushalte im Sinne des § 2 Nr. 1 RBEG zugrunde legt, obwohl er bislang die untersten 20 % berücksichtigte, bei der Referenzgruppe Familienhaushalte im Sinne des § 2 Nr. 2 RBEG dagegen weiterhin die unteren 20 % der Haushalte berücksichtigt, ist dies nicht zu beanstanden. Dieses Vorgehen beruht auf sachgerechten Erwägungen. Es ergibt sich nämlich bei den Einpersonenhaushalten im Vergleich zur vorherigen Situation die Abweichung, dass der Anteil der vorab ausgeschlossenen Haushalte erheblich über den bei der Sonderauswertung der EVS 2003 ausgeschlossenen Haushalten liegt. Der durchschnittliche Konsum der jeweiligen Referenzgruppe ist weiterhin um ca. 70,- EUR monatlich gestiegen. Bei einem Anteil der Referenzhaushalte von 20 % an allen nach dem Nettoeinkommen geschichteten Einpersonenhaushalten würde sich darüber hinaus die Abgrenzung nach oben hin zu höheren Einkommen verschieben (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.06.2011, Az. L 12 AS 1077/11, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Hinzu kommt, dass bei den Einpersonenhaushalten erheblich mehr Haushalte ausgeschlossen wurden als bei den Familienhaushalten. Insgesamt ist die vorgenommene Differenzierung daher vertretbar (LSG Baden-Württemberg, a.a.O; SG Aachen, a.a.O.).
Eine falsche oder unvollständige Ermittlung der erforderlichen Tatsachen oder das Fehlen einer hinreichend transparenten bzw. nachvollziehbaren Berechnungsmethode vermag die Kammer nicht zu erkennen. Dass die in den einzelnen Abteilungen der EVS erfassten Ausgaben als regelleistungsrelevanter Verbrauch nur zu einem bestimmten Prozentsatz in die Bemessung des Regelbedarfs eingeflossen sind, steht dem nicht entgegen. Das hat im Grundsatz auch das Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden bewertet (BVerfG, a.a.O. Rn. 170 ff.). Erforderlich ist, dass es für den vorgenommenen Abschlag einen sachlichen Grund gibt und die entsprechenden Kürzungen von Ausgabepositionen auf einer empirischen Grundlage beruhen. Der Gesetzgeber hat der Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs in Form der durch das Statistische Bundesamt durchgeführten Sonderauswertungen der EVS 2008 und zusätzlicher Ermittlungen hinsichtlich besonderer Verbrauchsausgaben (Speisen und Getränke in Gaststätten, Haushaltsstrom, Verkehr und Nachrichtenübermittlung, alkoholische Getränke und Tabakwaren, Nutzung von Mobilfunktelefonen) statistisch valide Daten zugrundegelegt. Soweit es um Ausgaben geht, die der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dienen, nicht aber das physische Überleben sicherstellen sollen, steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Auch wenn die Entscheidung über den Abschlag der einzelnen Verbrauchsausgabe unter politischen Gesichtspunkten unterschiedlich bewertet werden kann, ist sie verfassungsrechtlich jedenfalls nicht angreifbar - sofern sie auf sachgerechten Erwägungen und empirischer Grundlage beruht (SG Aachen, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.).
Mit der Anbindung der Fortschreibung der Regelbedarfe an die Entwicklung der Preise und Nettolöhne (vgl. § 7 RBEG, § 28a SGB XII) und der Regelung eines gesetzlichen Anspruchs auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs aufgrund atypischer Bedarfslagen, die nicht dem durch die EVS abgebildeten Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen entsprechen (vgl. § 21 Abs. 6 SGB II) hält sich der Gesetzgeber ebenfalls im Rahmen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG a.a.O., Rn. 183 ff.; 204 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beschwerdewert gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG wird nicht erreicht. Da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, wird die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Unter dem 28.12.2010 stellte der Kläger bei der ARGE für die Grundsicherung Arbeitsuchender in der StädteRegion Aachen, deren Rechtsnachfolger der Beklagte ist (nachfolgend Beklagter) einen Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen. Mit Bescheid vom 28.12.2010 bewilligte der Beklagte ihm für die Zeit vom 01.02.2011 bis 31.07.2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 359 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 418,50 EUR monatlich.
Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 07.01.2011 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, der Berechnung der bewilligten Leistungen lägen Vorschriften des SGB II zugrunde, die mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 für verfassungswidrig erklärt worden seien. Es ergäben sich im Zusammenhang mit der Ermittlung der Regelbedarfe und der Leistungen im "Bildungspaket" verfassungsrechtliche Bedenken. Die Höhe der bewilligten Leistungen sei zu niedrig, insbesondere ergebe sich aus einer Studie der Universität zu C., dass alleine für eine ausgewogene Ernährung ein monatlicher Betrag von bis zu ca. 245,40 EUR festgestellt worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach dem Urteil des BVerfG gebe es einen Gesetzentwurf des Deutschen Bundestages hinsichtlich der betroffenen Vorschriften. Da der Bundesrat aber noch nicht zugestimmt habe, fehle es derzeit an einer Rechtsgrundlage zur Anhebung bewilligter Leistungen.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit der am 18.03.2011 erhobenen Klage. Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts sei verfassungswidrig und zu gering bemessen. Im Weiteren verwies der Kläger auf eine angefügte rechtsgutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. jur. N. TU-Berlin.
Während des Klageverfahrens erließ der Beklagte unter dem 26.03.2011 einen Änderungsbescheid, mit dem rückwirkend ab dem 01.01.2011 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf monatlich 364 EUR festgesetzt wurden. Die sich ergebenden Differenzbeträge wurden dem Kläger ausgezahlt.
Auch nach Erlass dieses Bescheides hält der Kläger an seinen Ausführungen fest. Er ist der Ansicht, der Beklagte habe ihm höheres Arbeitslosengeld II zu bewilligen. Hierzu beruft sich der Kläger unter Anderem auf die in der mündlichen Verhandlung überreichte wissenschaftliche Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. GmbH zum Thema "Lebensmittelkosten im Rahmen einer vollwertigen Ernährung" von April 2008 sowie eine mit der Klage eingereichte rechtsgutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. jur. N. der TU-Berlin zu der Frage, ob der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.10.2010 den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (Az. 1 BvL 1/09) entspricht.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 28.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2011 in der Fassung des Bescheides vom 26.03.2011 zu verurteilen, ihm Grundsicherungsleistungen in Höhe des Existenzminimums zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, es bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe der bewilligten Leistungen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Der Bescheid vom 28.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2011 in der Fassung des Bescheides vom 26.03.2011 – der nach § 96 SGG in das Verfahren einzubeziehen ist - war nicht rechtswidrig. Dem Kläger steht ein Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht zu.
Der Kläger ist Berechtigter im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Seit dem 01.01.2011 werden als Regelbedarf nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II monatlich 364 EUR an Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind, anerkannt. Dieser Regelbedarf wurde dem Kläger mit Bescheid vom 26.03.2011 rückwirkend ab dem 01.01.2011 bewilligt.
Zum Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts gehören gemäß § 20 Abs. 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt. Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen. Die Höhe der Regelbedarfe wird nach dem Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG) bestimmt (vgl. BGBl. I, S. 453 ff.).
Die Kammer ist der Auffassung, dass die Regelung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – auch nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, www.juris.de) – keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) kommt nicht in Betracht.
Nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG besteht für jeden Einzelnen ein Recht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Aus diesem Grundrecht resultiert ein unmittelbarer Leistungsanspruch, der sich jedoch nur auf diejenigen Mittel erstreckt, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (BVerfG, a.a.O., Rn. 135). Dem Gesetzgeber obliegt es, den sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebende Leistungsanspruch durch Parlamentsgesetz zu wahren. Soweit es um die Höhe des Leistungsanspruches geht, ergeben sich aus dem Grundgesetz keine Angaben. Diese muss durch den Gesetzgeber unter Zugrundelegung der gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ermittelt und konkretisiert werden. Aus dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsgebot folg für den Gesetzgeber die Pflicht, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen, die sich etwa in einer technisierten Informationsgesellschaft anders als früher darstellt. Die hierbei erforderlichen Wertungen kommen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliegt es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert, bleibt grundsätzlich ihm überlassen. Ihm kommt zudem Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und ist zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG, a.a.O., Rn. 138). Zur Konkretisierung des Anspruchs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen (BVerfG, a.a.O., Rn. 139). Eine bestimmte Methode schreibt das Grundgesetz dem Gesetzgeber nicht vor; um eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Nachvollziehbarkeit des Umfangs der gesetzlichen Hilfeleistungen sowie deren gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten, müssen die Festsetzungen der Leistungen aber auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigen sein (BVerfG, a.a.O., Rn. 142). Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums entspricht eine zurückhaltende verfassungsrechtliche Kontrolle der einfachgesetzlichen Regelungen. Die materielle Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind (BVerfG, a.a.O., Rn. 140).
Ausgehend von diesen durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen ergeben sich für die Kammer keine Bedenken, dass die Ermittlung der Regelbedarfe nach dem RBEG bzw. die maßgebliche Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II den Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG entspricht.
Das Gericht ist – im Gegensatz zu der vom Kläger eingereichten Stellungnahme des Herrn Prof. Dr. Münder - davon überzeugt, dass sich die Ermittlung der Regelbedarfe auf ein verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügendes Verfahren stützen lässt. Das vom Gesetzgeber gewählte Statistikmodel (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 50 ff.) – Bemessung des Regelbedarfs mit Hilfe von Sonderauswertungen der Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2008 nach § 28 SGB XII (vgl. § 1 RBEG) – beruht auf einer geeigneten empirischen Datengrundlage. Die Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) bildet das Verbrauchsverhalten der Bevölkerung realitätsgetreu ab. Soweit der Kläger der EVS in Bezug auf Lebensmittelkosten unter Berufung auf die wissenschaftliche Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. GmbH (DGE) zum Thema "Lebensmittelkosten im Rahmen einer vollwertigen Ernährung" von April 2008 entgegentritt, kann dem schon entgegengehalten werden, dass sich diese Stellungnahe nicht auf eine aktuelle Datengrundlage stützt. Für die in der Stellungnahme vorgenommenen Berechnungen wurden von der DGE Daten über die dem Ernährungskreis zugrunde liegenden Lebensmittelmengen zur Verfügung gestellt und mit den Daten der EVS 2003 verknüpft, um die entsprechenden Ausgaben zu bestimmen. Grundlage der hier angegriffenen Bemessung der Regelbedarfe war demgegenüber die fünf Jahre ältere EVS 2008.
Auch im Übrigen ergeben sich für die Kammer keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt insbesondere auch für die Abgrenzung der Referenzhaushalte nach § 3 RBEG und die Abgrenzung unterer Einkommensschichten nach § 4 RBEG. Der Gesetzgeber hat für den Ausschluss der Berücksichtigung von Haushalten, die allein von den existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II und SGB XII leben, bei gleichzeitiger Einbeziehung der Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII ab dem ersten Euro Erwerbsweinkommen als Referenzhaushalt (vgl.BT-Drs. 17/3404, S. 87 ff.), eine überzeugende Begründung gegeben. So hat er ausgeführt, dadurch verhindern zu wollen, dass das Verbrauchsverhalten von Beziehern existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII zur Grundlage der Bedarfsermittlung gemacht wird. Dadurch verblieben nur solche Personen und Haushalte in der Referenzgruppe, die von Einkünften oberhalb des Existenzminimums leben. Gegen einen kompletten Ausschluss von Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII ab dem ersten Euro Erwerbsweinkommen spricht weiter, dass der Verzicht auf die Berücksichtigung dieser Haushalte zu einer erheblichen Anhebung des ermittelten Existenzminimums führen und die Anwendung dieser Methode den Kreis der Leistungsberechtigten bei jeder zukünftigen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe Schritt für Schritt erheblich erweitern würde (SG Aachen, Urteil vom 20.07.2011, Az. S 5 AS 177/11, www.juris.de).
Auch soweit der Gesetzgeber in § 4 RBEG die unteren 15 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Einpersonenhaushalte im Sinne des § 2 Nr. 1 RBEG zugrunde legt, obwohl er bislang die untersten 20 % berücksichtigte, bei der Referenzgruppe Familienhaushalte im Sinne des § 2 Nr. 2 RBEG dagegen weiterhin die unteren 20 % der Haushalte berücksichtigt, ist dies nicht zu beanstanden. Dieses Vorgehen beruht auf sachgerechten Erwägungen. Es ergibt sich nämlich bei den Einpersonenhaushalten im Vergleich zur vorherigen Situation die Abweichung, dass der Anteil der vorab ausgeschlossenen Haushalte erheblich über den bei der Sonderauswertung der EVS 2003 ausgeschlossenen Haushalten liegt. Der durchschnittliche Konsum der jeweiligen Referenzgruppe ist weiterhin um ca. 70,- EUR monatlich gestiegen. Bei einem Anteil der Referenzhaushalte von 20 % an allen nach dem Nettoeinkommen geschichteten Einpersonenhaushalten würde sich darüber hinaus die Abgrenzung nach oben hin zu höheren Einkommen verschieben (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.06.2011, Az. L 12 AS 1077/11, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Hinzu kommt, dass bei den Einpersonenhaushalten erheblich mehr Haushalte ausgeschlossen wurden als bei den Familienhaushalten. Insgesamt ist die vorgenommene Differenzierung daher vertretbar (LSG Baden-Württemberg, a.a.O; SG Aachen, a.a.O.).
Eine falsche oder unvollständige Ermittlung der erforderlichen Tatsachen oder das Fehlen einer hinreichend transparenten bzw. nachvollziehbaren Berechnungsmethode vermag die Kammer nicht zu erkennen. Dass die in den einzelnen Abteilungen der EVS erfassten Ausgaben als regelleistungsrelevanter Verbrauch nur zu einem bestimmten Prozentsatz in die Bemessung des Regelbedarfs eingeflossen sind, steht dem nicht entgegen. Das hat im Grundsatz auch das Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden bewertet (BVerfG, a.a.O. Rn. 170 ff.). Erforderlich ist, dass es für den vorgenommenen Abschlag einen sachlichen Grund gibt und die entsprechenden Kürzungen von Ausgabepositionen auf einer empirischen Grundlage beruhen. Der Gesetzgeber hat der Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs in Form der durch das Statistische Bundesamt durchgeführten Sonderauswertungen der EVS 2008 und zusätzlicher Ermittlungen hinsichtlich besonderer Verbrauchsausgaben (Speisen und Getränke in Gaststätten, Haushaltsstrom, Verkehr und Nachrichtenübermittlung, alkoholische Getränke und Tabakwaren, Nutzung von Mobilfunktelefonen) statistisch valide Daten zugrundegelegt. Soweit es um Ausgaben geht, die der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dienen, nicht aber das physische Überleben sicherstellen sollen, steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Auch wenn die Entscheidung über den Abschlag der einzelnen Verbrauchsausgabe unter politischen Gesichtspunkten unterschiedlich bewertet werden kann, ist sie verfassungsrechtlich jedenfalls nicht angreifbar - sofern sie auf sachgerechten Erwägungen und empirischer Grundlage beruht (SG Aachen, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.).
Mit der Anbindung der Fortschreibung der Regelbedarfe an die Entwicklung der Preise und Nettolöhne (vgl. § 7 RBEG, § 28a SGB XII) und der Regelung eines gesetzlichen Anspruchs auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs aufgrund atypischer Bedarfslagen, die nicht dem durch die EVS abgebildeten Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen entsprechen (vgl. § 21 Abs. 6 SGB II) hält sich der Gesetzgeber ebenfalls im Rahmen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG a.a.O., Rn. 183 ff.; 204 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beschwerdewert gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG wird nicht erreicht. Da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, wird die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
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