L 3 AS 12/10

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 4 AS 1904/07
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 12/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Bestimmtheit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheides gegenüber mehreren Personen
Nach Rücknahme der Berufung in Bezug auf die Klägerin zu 1) wird die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 3. November 2009 zurückgewiesen, soweit sie den Kläger zu 2) betrifft. Der Beklagte hat dem Kläger zu 2) auch seine notwendigen außerge- richtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheides.

Das Verfahren ist bis zur Berufungsverhandlung von Frau A B als Klägerin und Berufsbeklagter zu 1. und von Herrn M B als Kläger und Berufungsbeklagtem zu 2. geführt worden. In der Berufungsverhandlung hat der Beklagte die Berufung auf den Kläger zu 2. beschränkt. Zum besseren Verständnis werden im Folgenden Frau B weiterhin als Klägerin zu 1. und Herr B als Kläger zu 2. bezeichnet.

Mit Bescheiden vom 8. November 2004 und 3. März 2005 sowie 1. Juni 2005 hat die Arbeitsgemeinschaft F als Rechtsvorgängerin des Beklagten (im Folgenden einheitlich: der Beklagte) den damals verheirateten und zusammenlebenden Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. November 2005 gewährt. Die Kläger hatten dabei, befragt zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen, lediglich geringfügiges Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1) und geringfügige Vermögenswerte angegeben. Als Altersvorsorgevermögen wurde zudem eine Kapitallebensversicherung bei der Aa mit einem Rückkaufwert von 9.000,00 EUR angegeben. Nachdem die Klägerin zu 1) telefonisch mitgeteilt hatte, dass sich der Kläger zu 2) ab 19. Oktober 2005 in Haft befunden habe und sie sich ab dem 1. November 2005 aus dem Leistungsbezug abgemeldet hatte, hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II mit Wirkung ab 1. November 2005 mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 auf.

Am 13. September 2006 teilte das Hauptzollamt I dem Beklagten mit, dass im Zusammenhang mit dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II gegen die Kläger Betrugsverdacht bestehe. So sei die Klägerin zu 1) der Prostitution nachgegangen, habe hieraus Einkünfte erzielt und diese bei der Beantragung der Leistungen nicht mitgeteilt. Ferner seien bei den Klägern weitere im Antrag nicht mitgeteilte Vermögenswerte festgestellt worden. Dabei handelt es sich um einen Bausparvertrag bei der W und eine Kapitallebensversicherung bei der Ab , ein hochwertiges Kfz der Marke Mercedes Benz CLK 55 AMG, zwei echte Cartier-Armbanduhren und weitere Schmuckgegenstände.

Mit Bescheid vom 27. November 2006, gerichtet an beide Kläger, nahm der Beklagte die Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Oktober 2005 vollständig zurück. Zur Begründung führte er aus, mit den nachgewiesenen Einkommens-/Vermögensverhältnissen seien die Kläger nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II, so dass ein Anspruch auf die Leistungen nicht bestanden habe. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil in den Anträgen zumindest grob fahrlässig falsche und unvollständige Angaben gemacht worden seien. Der Beklagte forderte die Kläger zur Erstattung einer Gesamtforderung von 10.715,72 EUR auf. Dabei differenzierte er diese Gesamtforderung nach den Leistungsanteilen Regelleistung, Kosten für die Unterkunft und Heizung, Rentenversicherungsbeiträge sowie Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge. Er differenzierte allerdings nicht zwischen den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft. Von welchem der beiden Kläger der Beklagte welchen Betrag zur Erstattung forderte und in welcher Höhe die Leistungsbewilligung für die einzelnen Kläger zurückgenommen wurde, lässt sich dem Bescheid nicht entnehmen. Die zurückgenommenen Bewilligungsbescheide wurden im Verfügungssatz des Rücknahmebescheides nicht genannt.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der nicht näher begründete Widerspruch der Kläger vom 15. Dezember 2006.

Mit Bescheid vom 26. September 2007 reduzierte der Beklagte die Rückforderung um die rechtsgrundlos zurückgeforderten Rentenversicherungsbeiträge. Die Rückforderungssumme ermäßigte sich dadurch auf 9.155,72 EUR.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2007 wies der Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück. Zur Begründung vertiefte er seine bisherige Begründung. Die von den Klägern angegebenen Vermögenswerte bei Antragstellung hätten unter dem jeweiligen Vermögensfreibetrag gelegen. Im September 2006 sei allerdings bekanntgeworden, dass die Klägerin zu 1) in den Jahren 2003 und 2004 nicht unerhebliche Einkünfte erzielt habe. Dadurch hätten sich Vermögenswerte angesammelt, die den Vermögensfreibetrag erheblich überstiegen. Eine Hilfebedürftigkeit hätte ab 1. Januar 2005 nicht mehr vorgelegen. Es sei festzustellen, dass die Kläger zumindest grob fahrlässig gegenüber dem Beklagten falsche Angaben zu ihrem Vermögen gemacht hätten. Die Entscheidung, die Bewilligung von Arbeitslosengeld II rückwirkend ab 1. Januar 2005 zurückzunehmen, sei daher nicht zu beanstanden. Fälschlicherweise seien allerdings auch die Rentenversicherungsbeiträge zurückgefordert worden. Daher reduziere sich die Erstattungssumme auf 9.155,72 EUR.

Dagegen richtete sich die am 25. Oktober 2007 bei dem Sozialgericht Schleswig erhobene Klage.

Zur Begründung ihrer Klage haben die Kläger vorgetragen, sowohl der Ausgangsbescheid als auch der Widerspruchsbescheid seien grob rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger hätten zu Recht im streitgegenständlichen Leistungszeitraum entsprechende Leistungen des Beklagten erhalten, da sie bedürftig gewesen seien. Entgegenstehendes Einkommen sei ihnen im Leistungszeitraum nicht zugeflossen. Soweit die Klägerin zu 1) angegeben habe, als "Putzhilfe" für einen Verdienst von 350,00 EUR monatlich zu arbeiten, seien diese Angaben wahr und entsprächen, jedenfalls was die genannten Beträge angehe, den Tatsachen. Tatsächlich sei die Klägerin zu 1) als Prostituierte tätig gewesen, sie habe allerdings als Haushaltshilfe bzw. Putzhilfe nun nicht mehr als 350,00 EUR monatlich verdient. Die vom Hauptzollamt aufgeführten und beschlagnahmten Vermögenswerte hätten nicht im Eigentum der Kläger, sondern im Eigentum des Sohnes des Klägers zu 2), des Zeugen Ma B , gestanden.

Die Kläger haben beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 27. November 2006, modifiziert durch den Bescheid vom 26. September 2007, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2007 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen. Er ist der Ansicht, dass sein Verwaltungshandeln in §§ 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III) in Verbindung mit § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) eine ausreichende gesetzliche Stütze finde. Die Vermögensfreibeträge für die Kläger hätten zum Stichtag am 1. Ja¬nuar 2005 9.550,00 EUR bzw. 10.350,00 EUR betragen. Demgegenüber hätten die im Rahmen der Ermittlungen des Hauptzollamts bei den Klägern festgestellten Vermögenswerte diesen Betrag deutlich überstiegen.

Das Sozialgericht hat am 3. November 2009 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Die Klägerin zu 1) erschien zu dieser Verhandlung nicht. Der erschienene Kläger zu 2) hat insoweit mitgeteilt, dass die Kläger rechtskräftig geschieden seien und er zu seiner Ex-Frau seit längerem keinen Kontakt habe. In dem Termin am 3. November 2009 hat das Sozialgericht zwei Polizeibeamtinnen der Bezirkskriminalinspektion F sowie den mit den Ermittlungen gegen die Kläger befassten Beamten des Hauptzollamtes I zeugenschaftlich vernommen. Ferner ist der Sohn des Klägers zu 2), Herr Ma B , als präsenter Zeuge vernommen worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 3. November 2009 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 3. November 2009 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 27. November 2006, modifiziert durch den Bescheid vom 26. September 2007, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2007 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Als Ergebnis der Beweisaufnahme habe sich die Kammer die Überzeugung gebildet, dass der Vorwurf des Beklagten, wonach die Kläger im erheblichen Umfang mindestens grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hätten, die zum Wegfall des Anspruchs führten, zutreffe. Die Angaben des Zeugen Ma B , wonach er und nicht der Kläger zu 2) Eigentümer der im Rahmen der Ermittlungen festgestellten Wertgegenstände sei, sei hingegen nicht glaubhaft. Vielmehr sei von Besitz und Eigentum des Klägers zu 2.) auszugehen. Dazu passe auch dessen rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, der der Besitz von Cannabisprodukten mit einem Marktwert von ca. 40.000 - 50.000 EUR zugrunde gelegen habe. Die angegriffenen Bescheide seien jedoch aus formalen Gründen rechtswidrig. Sie könnten nur so verstanden werden, dass sie beide Kläger als Gesamtschuldner für die volle Summe in Anspruch nähmen. Dafür fehle es an einer Rechtsgrundlage. Das SGB II sehe ebenso wie schon zuvor das Bundessozialhilfegesetz in dem Verständnis der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte Individualansprüche der einzelnen Hilfebedürftigen vor. Ein Gesamtanspruch der Bedarfsgemeinschaft bestehe nicht. § 38 SGB II diene insoweit nur der Verfahrenserleichterung und stehe dem Verständnis von Individualansprüchen gerade nicht entgegen. Der Individualisierungsgrundsatz beanspruche auch Geltung im Rahmen von Entscheidungen über Aufhebung und Erstattung von Leistungen, denn diese seien das Spiegelbild des Bewilligungsbescheides. Gestützt auf Rechtsprechung u.a. des OVG Lüneburg und des LSG Berlin Brandenburg sei ein aufhebungs- und Erstattungsbescheid als rechtswidrig anzusehen, wenn in dessen Tenor ein Gesamtbetrag von der Bedarfsgemeinschaft zurückgefordert werde, ohne dass eindeutig aus dem Bescheid hervorgehe, welcher Betrag von welchem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zurückgefordert werde. So verhalte es sich auch im streitigen Fall, denn es fehle an jeglicher Individualisierung der anteiligen Erstattungsforderung. Diese ließe sich auch nicht errechnen, schon weil dies über die Entscheidung des Beklagten hinausginge und sich insoweit nicht als deren allenfalls zulässige Reduktion, sondern als deren Korrektur und Ergänzung darstellte. Mit der Änderung des Bescheidinhalts auf das rechtlich Zulässige wäre nicht nur die Bestimmung der jeweiligen Einzelforderung, sondern auch der Verzicht auf die gesamtschuldnerische Inanspruchnahme verbunden.

Gegen das ihm am 8. Januar 2010 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten vom 8. Februar 2010.

Zur Begründung seiner Berufung trägt er vor, entgegen den Ausführungen des Sozialgerichtes sei der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid hinreichend bestimmt. Im Geltungsbereich des SGB II habe sich die Rechtsauffassung durchgesetzt, dass ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gegenüber allen betroffenen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft bekanntzugeben ist. Werde ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nur gegenüber dem Vertreter einer Bedarfsgemeinschaft bekanntgegeben, so sei der Bescheid bezüglich des überschießenden, d. h. die anderen Mitglieder betreffenden Teils rechtswidrig und deshalb in diesem Umfang aufzuheben. Anhand dieses Maßstabs sei der angefochtene Bescheid hinreichend bestimmt. Es werde der Zeitraum genannt, für den Leistungen aufgehoben werden, und die zur Rückzahlung geforderte Summe werde konkret benannt. Insoweit sei nicht ersichtlich, inwiefern die Bestimmtheit Zweifeln unterliegen solle. Zudem sei der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid an beide Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft adressiert und richte an beide eine konkrete Rückzahlungsaufforderung. Bezeichnend sei, dass die mangelnde Bestimmtheit durch den Rechtsanwalt der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nicht geltend gemacht worden sei. Der Beklagte beruft sich auf eine aktuelle Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 2011 im Verfahren L 6 AS 24/09. Durch diese Entscheidung fühlt er sich in seiner Auffassung bestätigt. Ende November 2011 berichtet der Beklagte noch über weitere strafrechtliche Ermittlungen gegen den Kläger zu 2. und den Zeugen Ma B , in deren Verlauf erhebliche weitere Vermögenswerte (versteckt in den jeweiligen Wohnungen) gefunden wurden. Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2011 hat der Beklagte die Erstattungsforderung nach Leistungsarten und Klägern aufgeschlüsselt. In der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2011 hat der Beklagte die Berufung auf den Kläger zu 2. beschränkt.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 3. November 2009 zu ändern und die Klage soweit sie den Kläger zu 2) betrifft abzuweisen.

Der Kläger zu 2. beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend wird wegen des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der die Kläger betreffenden Verwaltungsakten sowie der aus den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Flensburg gefertigten Kopien Bezug genommen. Die genannten Akten lagen dem Senat zur Entscheidungsfindung vor und waren Gegenstand der Urteilsberatung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist ab Zustellung des erstinstanzlichen Urteils eingelegt worden, und der Beschwerdewert übersteigt den Grenzwert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von 750,00 EUR deutlich.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht Schleswig die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufgehoben, wobei hierüber im Berufungsverfahren nach der Berufungsbeschränkung auf den Kläger zu 2. nur noch insoweit zu entscheiden ist. Die angefochtenen Bescheide waren wegen eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des § 33 SGB X rechtswidrig und verletzen den Kläger zu 2. in seinen Rechten.

Auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichtes nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug. Ergänzend ist in Hinblick auf das Berufungsvorbringen auszuführen, dass die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils der Rechtsprechung des erkennenden Senates entsprechen. In seinem Urteil vom 29. Oktober 2010 im Verfahren L 3 AS 100/09 hat der Senat ausgeführt, dass ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, um dem Bestimmtheitserfordernis zu genügen, gegenüber demjenigen, der zur Erstattung verpflichtet werden soll, ergehen müsse. Sowohl die auf § 48 SGB X gestützte Aufhebung und die auf § 45 SGB X gestützte Rücknahme des Bewilligungsbescheides wie auch die Rückforderung erbrachter Grundsicherungsleistungen nach § 50 Abs. 1 SGB X könnten nur gegen den jeweiligen Leistungsempfänger und damit nur gegenüber jedem einzelnen Hilfebedürftigen einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II erklärt werden. Das Rückabwicklungsverhältnis von Leistungen, die Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft zu Unrecht gewährt worden seien, sei das Spiegelbild des Leistungsverhältnisses. Damit entspreche das Rückabwicklungsverhältnis dem individuellen Leistungsverhältnis im Rahmen des SGB II, wonach nicht die Bedarfsgemeinschaft als solche, sondern die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Anspruchsinhaber seien. Es bestehe keine gesamtschuldnerische Haftung der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, auch gelte die Vermutungsregelung des § 38 SGB II nur im Leistungsrecht, nicht jedoch bei der Aufhebung von Bewilligungsbescheiden, insbesondere sei der Vertreter der Bedarfsgemeinschaft nicht verpflichtet, die an die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft unrechtmäßig gewährten Leistungen zu erstatten. Der Leistungsträger müsse daher im Rückabwicklungsverhältnis konkret prüfen, für welche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in welcher Höhe Leistungen zu Unrecht bewilligt worden seien und wer entsprechende Leistungen zu Unrecht erhalten habe. Nur gegenüber diesem Mitglied könne der Bewilligungsbescheid aufgehoben und nur ihm gegenüber ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid erlassen werden. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Sie entspricht der überwiegenden Rechtsprechung der Landessozialgerichte (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2007, L 7 SO 2899/06; LSG Nord¬rhein-Westfalen, Beschluss vom 13. September 2007, L 20 B 152/07 AS ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Dezember 2006, L 20 SO 20/06; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Mai 2009, L 28 AS 1354/08; LSG Hamburg, Urteil vom 15. September 2011, L 8 AS 3/09) Vereinzelt wird in der Rechtsprechung auch eine "geltungserhaltende Reduktion" eines nicht individualisierten Rücknahme- und Erstattungsbescheides zugelassen. Sofern von einem Vertreter einer Bedarfsgemeinschaft die Erstattung aller an die gesamten Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu Unrecht gezahlten Leistungen gefordert wird, soll dies hinsichtlich des überschießenden Teils zwar materiell rechtswidrig sein, aber dem Bestimmt¬heitsgebot des § 33 SGB X genügen (vgl. so Schleswig-Holstei¬nisches LSG, 6. Senat, Urteil vom 13. August 2008, L 6 AS 16/07; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 5. Mai 2011, L 15 AS 64/09).

Diesen Maßstäben werden die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen nicht gerecht, denn ihnen lässt sich nicht entnehmen, in welcher Höhe jeweils für die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 2) zu Unrecht erfolgte Leistungsbewilligungen aufgehoben werden und in welcher Höhe von der Klägerin zu 1) und dem Kläger zu 2) Leistungen zurückgefordert werden. Vielmehr nehmen die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen, die an beide Kläger gerichtet waren und den Erstattungsbetrag insgesamt benennen und diesen von beiden Klägern gemeinsam zur Erstattung zurückfordern, die Kläger in gesamtschuldnerische Haftung. Eine solche wird hingegen durch das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB II nicht begründet. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen genügten dem Bestimmtheitserfordernis des § 33 SGB X somit nicht, waren rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten. Dieses Ergebnis vermögen weder die drei Tage vor der mündlichen Berufungsverhandlung eingereichte Aufschlüsselung der Erstattungsforderung noch die erst im Laufe der Berufungsverhandlung erfolgte Beschränkung der Berufung auf den Kläger zu 2.) zu ändern. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die eingereichte Aufschlüsselung nicht Teil eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 31 SGB X ist. Es liegt somit kein abändernder Verwaltungsakt vor, der geeignet wäre, den rechtswidrigen Rücknahme- und Erstattungsbescheid rückwirkend zu ändern. Ferner gilt, dass die fehlende hinreichende Bestimmtheit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides nicht gemäß § 41 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens geheilt werden kann, denn es handelt sich nicht lediglich um einen bloßen Verfahrens- oder Formfehler, sondern um einen Fall der materiellen Rechtswidrigkeit (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, 15. Senat, Urteil vom 10. August 2011, L 15 AS 1036/09, Rn. 20, zitiert nach juris). Zwar wäre dem Beklagten eine Korrektur seines rechtswidrigen Rücknahme- und Erstattungsbescheides auch nach dessen Erlass noch möglich gewesen, allerding nur innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs.4.S.2 SGB X, gerechnet ab Kenntnis der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsentscheidungen. Auch die Beschränkung der Berufung auf den Kläger zu.2) und die damit einhergehende Akzeptanz der Aufhebung des angefochtenen Bescheides soweit die Klägerin zu 1.) betroffen ist, vermag den Charakter des angefochtenen Bescheides nicht rückwirkend zu ändern. Eine Teilrücknahme der Berufung 5 Jahre nach Bescheiderlass ist nicht geeignet, einen nicht individualisierten Rückforderungsbescheid, der sich einer gesamtschuldnerischen Haftung zweier Personen rühmt, in einen nur an eine Person gerichteten Verwaltungsakt ohne gesamtschuldnerische Inanspruchnahme zu transformieren. Die angefochtenen Bescheide waren daher auch insoweit aufzuheben, als sie auch den Kläger zu 2.) betreffen.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Berufung des Beklagten auch bei Zugrundelegung der o.g. abweichenden "verwaltungsfreundlicheren" Rechtsansicht, die eine "geltungserhaltende Reduktion" bejaht, keinen Erfolg haben könnte. Auch nach dieser Rechtsansicht wird eine teilweise Rechtmäßigkeit eines nicht individualisierten Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides nur dann angenommen, wenn von einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die gesamte Überzahlung und damit zu viel zurückgefordert wird. Hinsichtlich des Teiles, den der Adressat dieses Verwaltungsaktes materiellrechtlich tatsächlich zu erstatten hat, soll dieser dann rechtmäßig sein. Eine solche Konstellation liegt hier aber nicht vor, denn der Beklagte hat sich sowohl im Ausgangsbescheid als auch im Widerspruchsbescheid an beide Kläger gewandt. Diese befinden sich beide sowohl im Adressfeld als auch in der Anrede. Eine Reduktion der Rückforderung auf den Anteil des Bescheidadres-saten im Sinne der zitierten Rechtsprechung ist daher hier gar nicht möglich. Darauf hat den Beklagten schon das Sozialgericht in den Gründen des angefochtenen Urteils hingewiesen.

Ergänzend ist ebenfalls darauf hinzuweisen, dass das vom Beklagten genannte Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 2011 dessen Rechtsauffassung nicht stützt. Dieses Urteil betrifft nicht die Rückforderung von zu Unrecht erbrachten Leistungen innerhalb einer Mehrpersonenbedarfsgemeinschaft, so dass sich die Individualisierungsproblematik dort gar nicht stellte. Das von dem Beklagten angegebenen Urteil verdeutlicht aber, dass neben der hier völlig fehlenden Individualisierung noch weitere Umstände gegen die Bestimmtheit der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen sprechen. Das LSG Nordrhein-Westfalen hat die Bestimmtheit des dort angefochtenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides gerade deshalb bejaht, weil aus ihm klar hervorging, welche Bewilligungsbescheide für welchen Zeitraum aufgehoben werden. Daran mangelt es aber gerade in dem Bescheid vom 27. November 2006, der die zugrundeliegenden Bewilligungsbescheide nicht benennt, sondern pauschal die Bewilligung für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Oktober 2005 bezeichnet. Eine solche Pauschalaufhebung lediglich unter Benennung des Aufhebungszeitraums und der Gesamtrückforderung wird in der landessozialgerichtlichen Rechtsprechung auch von den Befürwortern einer geltungserhaltenden Reduktion für mit dem Bestimmtheitserfordernis des § 33 SGB X nicht vereinbar und damit insgesamt rechtswidrig gehalten (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, 15. Senat, Urteil vom 10. August 2011, L 15 AS 1036/09, Rn. 20, zitiert nach juris). Ob sich der erkennende Senat insoweit der zitierten Rechtsprechung der Landessozialgerichte Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen-Bremen anschließt, kann hier offen bleiben, weil der hier angefochtene Verwaltungsakt schon aus den oben genannten Gründen zu unbestimmt und damit rechtswidrig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Sachentscheidung.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheides gegenüber mehreren Personen sind von grundsätzlicher Bedeutung. Aussagekräftige höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt bisher.
Rechtskraft
Aus
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