S 81 KR 1280/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
81
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 1280/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage des Klägers zu 1.) wird als unzulässig abgewiesen.

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festgesetzten Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR zu unterlassen im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken damit zu werben, dass Versicherte der Beklagten bei Dritten Rabatte oder Sonderkonditionen für Produkte und Dienstleistungen erhalten, soweit es sich nicht um Produkte und Dienstleistungen handelt, die einen Gesundheitsbezug aufweisen.

Die Kosten des Verfahren trägt die Beklagte zu 6/7, der Kläger zu 1.) zu 1/7, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren von der Beklagten das Unterlassen von Mitgliederwerbung ohne Gesundheitsbezug.

Der Kläger zu 1) hat als Verband der Ersatzkassen in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins die satzungsmäßige Aufgabe, die Mitgliedskassen zu beraten und zu betreuen, ihre gemeinsamen Interessen zu vertreten sowie gerichtlich und außergerichtlich ihre sowie eigene wettbewerbsrechtlicher Ansprüche zu verfolgen. Er hat seinen Sitz in Berlin. Bei den Klägern zu 2) bis 7) handelt es sich um die sechs Mitgliedskassen des Verbandes. Die Klägerin zu 2) hat ihren Sitz in Berlin, die übrigen Kläger zu 3) bis 7) in Bremen, Hannover und Hamburg. Bei der Beklagten handelt es sich um eine allgemeine Ortskrankenkasse.

Die Beklagte wirbt auf ihrem Internet-Portal mit der Kooperation mit Dritten, sogenannten Vorteilspartnern. Es heißt dort:

"Es gibt Dinge, die gehören zusammen.

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Die Nutzer der Internetseite können dann eine Vorteilspartner-Kategorie (Gesundheit und Wellness, Fitnessstudios, Shopping, Freizeit und Spaß, Sport und Bewegung, weitere Partner) auswählen. Zudem können sie die Postleitzahl und den gewünschten Umkreis oder die gewünschte Region angeben. Im nächsten Schritt kann der jeweilige Vorteilspartner und der gewährte Vorteil angesehen werden. Die Versicherten der Beklagten werden bei diesen Kooperationspartnern Rabatte eingeräumt oder sonstige Vorteile gewährt, so zum Beispiel bis zu 10 Prozent Rabatt auch bei Einkaufs- und Möbelhäusern, Modeläden, Handwerkern, einer Sommerrodelbahn, einer Bergbahn, bei Friseuren, Autowerkstätten etc ...

Die Kläger sind der Ansicht, die Mitgliederwerbung ohne Gesundheitsbezug sei wettbewerbswidrig. Sie stützen sich dabei auf die Rechtsauffassung der Aufsichtsbehörden. Während die Aufsichtsbehörden der Sozialversicherungsträger sich im Mai 2009 nicht auf die Zulässigkeit der Rabattwerbung verständigen konnten, hat die Beigeladene zu 2) als Aufsichtsbehörde der Kläger mit Rundschreiben vom 31. Juli 2009 die Krankenkassen aufgefordert, jegliche Rabattwerbung einzustellen, auch solche mit Gesundheitsbezug. Dem entgegen beschlossen die Aufsichtsbehörden der Länder, deren Aufsicht die Beklagte unterliegt, im November 2009 Rabattwerbung mit Gesundheitsbezug nicht zu beanstanden und es den Krankenkassen (lediglich) nicht zu gestatten, mit privatwirtschaftlichen Unternehmen Kooperationsverträge zu schließen, in mit denen Versicherten "kassenfremde Rabatte" gewährt werden. Auf dieses Vorgehen einigten sich schließlich die Aufsichtsbehörden aller Sozialversicherungsträger im Mai 2011 zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, ohne jedoch eine rechtliche Begründung der Wettbewerbswidrigkeit zu veröffentlichen.

Der Kläger zu 1) mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 9. Mai 2011 ab und forderte sie zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 30. Mai 2011 ab und verwies darauf, dass der Internetauftritt seit April 2011 modifiziert worden sei.

Mit der am 9. Juni 2011 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt der Kläger zu 1) das Unterlassungsbegehren weiter. Er rügt, dass die Änderung der Internetseite der Beklagten lediglich die Startseite der Vorteilsangebote betreffe, da dort in der Überschrift auf Angebote mit Gesundheitsbezug verwiesen werde. Jedoch sei eine Vielzahl von Angeboten ohne Gesundheitsbezug weiterhin vorhanden. Er ist der Ansicht, dass die Beklagte gegen die Pflichten der Sozialversicherungsträger zur Zusammenarbeit verstoße und die Mitgliederwerbung ohne Gesundheitsbezug wettbewerbswidrig sei. Die von der Beklagten getätigte Mitgliederwerbung verstoße insbesondere gegen die Pflicht nach § 30 Abs. 1 SGB IV, als Versicherungsträger nur Geschäfte zur Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgabe auszuführen und hierfür Mittel zu verwenden.

Nach einem Hinweis des Gerichts zu Zweifeln die Zulässigkeit der Klage des Klägers zu 1) sind die Kläger zu 2) bis 7) dem Rechtsstreit im Termin zur mündlichen Verhandlung beigetreten. Die Beklagte hat sich mit der Durchführung der Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken damit zu werben, dass Versicherte der Beklagten bei Dritten Rabatte oder Sonderkonditionen für Produkte und Dienstleistungen erhalten, soweit es sich nicht um Produkte oder Dienstleistungen handelt, die einen Gesundheitsbezug aufweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass ihre Hinweise auf Vorteilsangebote für ihre Mitglieder nicht gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen verstießen. Die Angebote seien weder unrichtig, noch irreführend oder diskriminierend. Darüber hinaus sei im verschärften Wettbewerb der Krankenkassen untereinander - insbesondere seit der Insolvenzfähigkeit der Krankenkassen - eine intensive Mitgliederwerbung erforderlich. Grenzen der Mitgliederwerbung seien lediglich durch die "Gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenkassen" in der Fassung vom 9. November 2006 gesetzt. Dagegen werde nicht verstoßen. Vielmehr seien allgemeine Werbemaßnahmen zulässig, die auf die Gewinnen und Halten die Mitglieder gerichtet sind. Die Mitgliederwerbung sei Aufgabe der Krankenkassen, die Internetangebot entsprächen der sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung und seien dem sozialen Auftrag angemessen. Für die Werbung ohne Gesundheitsbezug würden keine gesonderten Kosten anfallen. Die Einschränkung auf Vorteilsangebote mit Gesundheitsbezug sei im Übrigen willkürlich und zu unbestimmt, um Wirkung entfalten zu können.

Das Gericht hat den GKV-Spitzenverband beigeladen, dieser hat von einer Stellungnahme abgesehen. Das Bundesversicherungsamt als Beigeladene zu 2) vertrat die Auffassung, dass das Werbeverhalten der Beklagten wettbewerbswidrig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen, die der Kammer bei der Entscheidung vorlagen und Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage des Klägers zu 1) ist unzulässig. Der Kläger zu 1) ist als Interessenverband der Kläger zu 2) bis 7) nicht klagebefugt.

Der Kläger zu 1) ist als Verband zum einen nicht in eigenen Rechten verletzt, da er mit der Beklagten selbst nicht in einem Wettbewerb steht. Zudem sind keine Vertrags(gestaltungs)interessen des Klägers zu 1) nach § 212 Abs. 5 SGB V berührt, so dass die Möglichkeit einer eigenen Rechtsverletzung durch das gerügte Wettbewerbsverhalten der Beklagten ausscheidet.

Zum anderen ist die Klage im eigenen Namen für die Interessen der Mitgliedsverbände nicht zulässig. Eine Verbandsklage zur Wahrung fremder Interessen ist im Sozialgerichtsprozess, sofern sie nicht gesetzlich ausdrücklich zugelassen ist, nicht zulässig, vgl. Mayer-Ladewig, SGG, 10. Aufl., § 54 Rdnr. 13 mwN. Eine gesetzliche Zulassung der Verbandsklage fehlt im vorliegenden Fall, vgl. z.B. – hier nicht einschlägig – §§ 33 Abs. 2 GWB, 69 Abs. 2 S. 1 SGB V, § 13 BBG.

Der Kläger kann auch nicht als gesetzlicher oder gewillkürter Prozessstandschafter die Klage in eigenem Namen führen. Denn Voraussetzung wäre ein eigenes Rechtsschutzinteresse des Klägers zu 1); vgl. Mayer-Ladewig, SGG, 10. Aufl., § 54 Rdnr. 11a mwN. Daran fehlt es. Nach Überzeugung der Kammer genügt die Vertretung der Mitgliedskassen in Erfüllung der satzungsmäßigen Aufgaben nicht, um ein eigenes Rechtsschutzinteresse des Verbandes zu begründen, vgl. zu einem anders gelagerten Fall BSG, Urteil vom 5. August 1992, 14a/6 RKa 17/90.

2.

Die Klage der Kläger zu 2) bis 7) hatte Erfolg.

a.

Die Klage der Klägerin zu 2) ist zulässig. Für die Klage ist das Sozialgericht gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG zuständig. Für Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Ersatzkasse und einer Allgemeinen Ortskrankenkasse über die Zulässigkeit von Maßnahmen auf dem Gebiet der Mitgliederwerbung ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben, Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 10. Juli 1989, GmS-OGB 1/88. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 57 Abs. 1 SGG, da die Klägerin zu 2) ihren Sitz in Berlin hat.

Die Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig. Die Vertretungsbefugnis des Klägers zu 1) ergibt sich aus § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGG und seiner Satzung.

Die Möglichkeit eines aufsichtsbehördlichen Verfahrens nach §§ 87 Abs. 1, 89 SGB V steht dem Rechtsschutzbedürfnis der Klage nicht entgegen. Denn zum einen stellt diese keine effektivere, befriedigerende Lösungsmöglichkeit dar, vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 18. September 2008, L 1 B 149/08 ER KR, und können die Kläger auf die Aufsichtsbehörde nicht direkt einwirken. Zum anderen ist die Aufsichtsbehörde der Beklagten nach deren Bekunden bislang nicht tätig geworden.

Hinsichtlich der Kläger zu 3) bis 7) hat die Kammer in Verkennung der örtlichen Zuständigkeit entschieden. Hier hätte das Gericht die eigene Zuständigkeit der in notwendiger Streitgenossenschaft auftretenden Kläger zu 2) bis 7) zuvor nach § 58 Abs. 2 SGG bestimmen lassen müssen, vgl. BSG, Beschluss vom 19. Dezember 2007, B 12 SF 10/07 S. Dies wurde versäumt. Insoweit hätte das Urteil in den Verfahren der Kläger zu 3) bis 7) (noch) nicht ergehen dürfen.

b.

Die Klage ist auch begründet.

Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassen der Mitgliederwerbung ohne Gesundheitsbezug. Denn die Gewährung von Rabatten oder Sonderkonditionen bei Dritten ohne Gesundheitsbezug ist im Verhältnis der gesetzlichen Krankenkassen untereinander wettbewerbswidrig.

aa.

Der Anspruch der Kläger folgt aus einem öffentlich-rechtlichen Unterlassensanspruch, der sich ergibt aus der Pflicht der gesetzlichen Krankenkassen zur sachbezogenen Aufklärung, Beratung und Information der Versicherten nach §§ 13 bis 15 Abs. 1 SGB I und dem Gebot der Zusammenarbeit der Versicherungsträger nach § 15 Abs. 3 SGB I und der Krankenkassen und ihrer Verbände im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 4 Abs. 3 SGB V, § 86 SGB X.

Wie bei jeder Handlungspflicht korrespondiert damit eine Pflicht zur Unterlassung von Tätigkeiten, die dem vorgegebenen Handlungsziel zuwiderlaufen. Wird deshalb bei der Werbung die Pflicht zur sachbezogenen Information und zur Rücksichtnahme auf die Belange der anderen Krankenversicherungsträger nicht beachtet, kann sich daraus im Umkehrschluss ein Anspruch des beeinträchtigten Trägers auf Unterlassung der unzulässigen Werbemaßnahmen ergeben, BSG, Urteil vom 31. März 1998, B 1 KR 9/95 B m.w.N. - Rdnr. 12 zitiert nach juris.

Der Unterlassensanspruch folgt nicht auch aus § 3 Abs. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Denn das UWG findet im Verhältnis der Krankenkassen keine unmittelbare Anwendung, da sich die gesetzlichen Krankenkassen nicht in einer als "privat" zu qualifizierenden Stellung als Wettbewerber befinden, vgl. BSG, Urteil vom 24. September 2008, B 12 KR 10/07, BSG, Urteil vom 31. März 1998, B 1 KR 9/95 R; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26. September 2007, L 5 B 522/0 KR ER.

bb.

Die Beklagte verstößt mit der fortdauernden Werbung mit Rabatten und Sonderkonditionen ohne Gesundheitsbezug nach Überzeugung der Kammer gegen die Pflicht auf Beachtung der Grenzen des Wettbewerbs der gesetzlichen Krankenkassen und handelt damit wettbewerbswidrig.

Die Mitgliederwerbung stellt eine Wettbewerbshandlung dar, da sie auf das Halten von vorhandenen und das Gewinnen von zukünftigen Mitgliedern gerichtet ist und den Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen um Mitglieder betrifft, vgl. hierzu auch die "Gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenkassen" unter http://www.bundesversicherungsamt.de /nn 1046658/ DE/ Krankenversicherung/Wettbewerbsgrundsaetze.html.

Nach der Entscheidung des BSG vom 31. März 1998, a.a.O., sind die Grenzen des Wettbewerbs der Krankenkassen anhand des gesetzlichen Auftrages und der dazu erlassenen Vorschriften der Sozialgesetzbücher zu bestimmen. Entgegen der Ansicht der Beklagten finden diese Grundsätze trotz der veränderten Marktbedingungen im Kassenwettbewerb weiter Anwendung, denn jeweils folgen die Veränderungen in den wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten der gesetzlichen Krankenkassen aus den Änderungen in den gesetzlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen. Bei Auswertung der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist daher nun auch die Insolvenzfähigkeit der Kassen zu beachten.

Die Wettbewerbswidrigkeit ergibt sich nicht aus einem Verstoß gegen die "Gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenkassen" oder aus einer entsprechenden Anwendung der Wertmaßstäbe des §§ 1, 3 UWG, vgl. zur Beachtung der Wertmaßstäbe des UWG: LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 25. November 2005, L 5 ER 99/05. Denn das Verhalten der Beklagten stellt keine unlautere geschäftliche Handlung dar, da mit den Werbeangeboten weder die Entscheidungsfreiheit der (potentiellen) Mitglieder beeinflusst wird, noch unrichtige oder irreführende oder die Kläger diskriminierende Äußerungen getätigt werden und nicht in unzulässiger Weise auf einen Kassenwechsel hingewirkt wird.

Die Wettbewerbswidrigkeit ergibt sich nach Überzeugung der Kammer vielmehr daraus, dass sich die Beklagte mit der beanstandeten Werbung eines Mittels bedient, welches außerhalb der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgabe liegt. Denn nach § 30 Abs. 1 SGB IV dürfen die Versicherungsträger nur Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben führen und ihre Mittel nur für diese Aufgaben sowie die Verwaltungskosten verwenden. Dabei bezieht sich der Begriff der Geschäfte nicht nur auf Rechtsgeschäfte, sondern auf Aktivitäten aller Art, vgl. Hauk/Noftz, SGB IV, § 30 Rdnr. 5.

Nach § 1 SGB V hat die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mit verantwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden.
Damit korrespondierend haben die Krankenkassen den Versicherten dabei durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen und auf gesunde Lebensverhältnisse hinzuwirken.

Damit ergibt sich als Aufgabe der Beklagten die Hilfe bei der gesundheitsbewussten Lebensführung der Versicherten, die Vorsorge und die aktive Mithilfe an Kranken- und Rehabilitationsbehandlung, die Pflicht, Krankheiten und Behinderung zu vermeiden und deren Folgen zu überwinden. Nur für diese Zwecke darf die Beklagte Mittel verwenden. Dies ist der Maßstab für die Zulässigkeit von Werbemaßnahmen. Diesem Maßstab folgt z.B. auch § 65a SGB V, wonach Krankenkassen in ihren Satzungen Boni für gesundheitsbewusstes Verhalten bestimmen können.

Zulässige Werbemaßnahmen müssen daher wegen der Aufgaben- und Mittelbeschränkung in § 30 SGB IV, § 1 SGB V einen unmittelbaren Vorteil für das körperliche und seelische Wohlbefinden der Versicherten bieten. Die Mitgliederwerbung mit Rabatten und Sonderkonditionen ohne Gesundheitsbezug steht außerhalb dieses Aufgabengebietes. Die Gewährung von geldwerten Vorteilen für Möbelhäuser, Freizeitaktivitäten, Bekleidungsgeschäfte, Handwerker, Autowerkstätten etc. bietet zwar einen interessanten Vorteil für die Mitglieder der Beklagten, weist jedoch keinen Gesundheitsbezug auf. Die Gewährung eines allein mittelbaren Vorteils für das Wohlbefinden der Versicherten z.B. nach einen Einkaufserlebnis, einer Freizeitaktivität oder einem Frisörbesuch erfüllt nicht die Aufgaben einer gesetzlichen Krankenkasse.

Die Beklagte verwendet zudem entgegen § 30 Abs. 1 SGB IV ihre Mittel für eine nicht aufgabengerechte Betätigung. Auch wenn die Kosten dieser Werbung ohne Gesundheitsbezug nicht gesondert erfasst sind und neben den Kosen für Mitgliederwerbung mit Gesundheitsbezug anfallen, sind diese Werbemaßnahmen nicht kostenfrei. Denn für die Kontaktaufnahme, den Abschluss der Kooperationsvereinbarungen, das Einstellen und Verwalten der Angebote in der Internetpräsenz der Beklagten fallen Kosten an.

Mit den Werbemaßnahmen bedient sich die Beklagte eines Mittels, den konkurrierende gesetzliche Kassen nicht nutzen können, die die von § 30 Abs. 1 SGB IV gesetzten Grenzen beachten. Die Beklagte verschafft sich damit einen im Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen nicht zulässigen Vorteil gegenüber anderen Krankenkassen.

Die Beschränkung zulässiger Mitgliederwerbung auf Maßnahmen mit Gesundheitsbezug ist nicht durch die Fortentwicklung des Wettbewerbsrechts der gesetzlichen Krankenkassen überholt. Solange § 30 SGB IV eine Aufgaben- und Mittelbeschränkung vorsieht, ist die Beklagte an die dadurch vorgegebenen Grenzen der Mitgliederwerbung gebunden und muss für ihre Werbemaßnahmen andere, zulässige Wege finden, sich gegenüber den Konkurrenten abzuheben und ihre Mitglieder zu halten. Möglichkeiten der Gestaltung bieten sich auf dem Gebiet der Aufklärung (§ 13 SGB I), auf dem Gebiet der Verträge (§§73a-c SGBV), den Modellvorhaben (§§63-65 SGBV), der Bonusregelung (§ 65s SGBV), den strukturierten Behandlungsprogrammen (§137f SGBV), der integrierten Versorgung (§§140a-h SGBV) etc.

Das Merkmal "Gesundheitsbezug" ist geeignet, zulässige und unzulässige Werbemaßnahmen voneinander abzugrenzen. Zwar ist es als unbestimmter Rechtsbegriff auslegungsfähig, jedoch nach Überzeugung der Kammer hinreichend bestimmt. Auslegungsmaßstab ist § 1 SGB V, so dass der Gesundheitsbezug in besonderem Maße für die Abgrenzung geeignet ist (anders als das Merkmal "kassenfremder Rabatt" im Beschluss der Aufsichtsbehörden der Länder vom 5. November 2009)

cc.

Es besteht ein Unterlassungsanspruch, da die gerügte Mitgliederwerbung ohne Gesundheitsbezug zum einen wettbewerbswidrig ist und zum anderen geeignet ist, die Interessen der Mitbewerber maßgeblich zu beeinträchtigen. Nach Überzeugung der Kammer kann in entsprechender Anwendung der Maßstäbe des § 3 Abs. 1 UWG ein Wettbewerbsverstoß mit der Unterlassungsklage nur dann verfolgt werden, wenn er den Wettbewerb tatsächlich beeinträchtigt und von nicht nur unerheblichem Gewicht ist (z.B. das Verteilen von Werbeartikeln, sogenannten give aways bzw. Streuartikeln).

Die Mitgliederwerbung ohne Gesundheitsbezug ist geeignet, den Wettbewerb um Mitglieder mit freiem Kassenwahlrecht zu beeinträchtigen, da die Beklagte – anders als Krankenkassen, welche die Beschränkung des § 30 Abs. 1 SGB IV beachten – den Mitgliedern damit einen zusätzlichen Vorteil bietet. Dieser Vorteil der Rabatte und Sonderkonditionen ist nicht nur unerheblich, da die gewährten Vorteile geldwerter Art sind und einen erheblichen Umfang aufweisen. Dieser Umfang muss nicht im Einzelnen bestimmt werden. Da prozentuale Rabatte oder Vergünstigungen ohne Anzahlbeschränkung gewährt werden, besteht zumindest die Möglichkeit, dass sich die Vorteile auf einen Betrag summieren, der erheblich über einem Monatsbeitrag liegt und damit die Wechselentscheidung eines Versicherten maßgeblich beeinflusst wird.

dd.

Bei der Bemessung des Ordnungsgeldrahmens hat sich die Kammer davon leiten lassen, dass die Werbung im Internetportal der Beklagten zentral gesteuert werden kann und daher bei fortdauerndem oder wiederholtem Verstoß gegen die Unterlassenspflicht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 EUR angemessen ist.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 197a SGG, 155 Abs. 1 und 2 VwGO. Die tenorierte Kostenquote entspricht dem Verhältnis des jeweiligen Unterliegens. Gemäß § 162 Abs. 3 VwGO sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Davon hat die Kammer abgesehen und bestimmt, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen haben. Der Streitwert wurde gemäß § 63 Abs. 2 GKG durch gesonderten Beschluss festgesetzt.

4.

Die Kammer hat die Berufung zugelassen, da den Beteiligten gegen das Urteil die Berufung nicht zusteht. Der Berufungsstreitwert gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG ist nicht erreicht. Ferner betrifft die Klage keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr, § 144 Abs. 1 S. 2 SGG. Grund für die Zulassung der Berufung ist die nach Überzeugung der Kammer grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage zur Zulässigkeit der Mitgliederwerbung ohne Gesundheitsbezug der gesetzlichen Krankenkassen, § 144 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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