Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 6 U 134/10
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 12/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 6. Dezember 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 3. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 werden aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 2. Juni 2010 ein Arbeitsunfall mit einer Kontusion des linken oberen Sprunggelenks als Schaden ist.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ereignis vom 2. Juni 2010 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Am Unfalltag verließ der Kläger morgens das Haus, um in sein Büro zu fahren. Nach dem Durchgangsarztbericht vom 2. Juni 2010 kam auf dem Weg zu seinem PKW sein eigener Hund angerannt, stieß in vollem Lauf an das rechte Knie des Klägers und brachte ihn zu Fall. Dieser hatte anschließend Schmerzen im rechten Knie außen und im linken Fuß, woraufhin er den D-Arzt Dr. P. aufsuchte. Dieser diagnostizierte freie Gelenkkörper im Kniegelenk rechts und stellte weiter die Diagnose Kontusion im oberen Sprunggelenk links. Im Weiteren teilte die Krankenkasse des Klägers der Beklagten mit, dass voraussichtlich bis zum 30. Juni 2010 Arbeitsunfähigkeit bestehe.
Gegenüber der Krankenkasse schilderte der Kläger den Unfallhergang wie folgt: "Auf dem Weg zum Auto sah ich von weitem meine Frau mit unserem Schäferhund aus dem Wald kommen. Zum Abschied zur Arbeit pfiff und rief ich den Hund zu mir. Der kam dann auch in vollem Lauf angerannt. Da der unbefestigte Weg vom Regen nass war, bremste der Hund offensichtlich nicht und wollte an mir vorbei rennen, leider lief er mir seitlich gegen das rechte Knie". Der Unfall habe sich auf dem öffentlichen Weg vor seinem Hausgrundstück ereignet. Im Rahmen einer Arthroskopie wurde später festgestellt, dass ein Knorpelabriss im rechten Knie bestand.
Mit Bescheid vom 3. August 2010 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 2. Juni 2010 ab und führte zur Begründung aus, es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem nachgewiesenen Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit. Das Rufen und das Verabschieden von dem Hund stelle eine eigenwirtschaftliche Handlung dar, auch wenn es sich nur um eine kurzfristige Unterbrechung handele. Sie sei deshalb nicht mehr dem versicherten Weg zuzurechnen. Der Kläger habe in diesem Moment nicht beabsichtigt, den Weg fortzusetzen, sondern sich von seinem Hund zu verabschieden. Wesentliche Ursache des Sturzes sei damit das Rufen des Hundes gewesen.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, er müsse sein Auto ca. 50 Meter von seinem Haus entfernt parken. Falls er von der Arbeit komme oder zur Arbeit gehe und seine Frau zufällig vom Spaziergang aus dem Wald komme, sei es immer so, dass sein Schäferhund, wenn er ihn sehe, angesprintet komme, ohne dass er ihn rufe. Mal halte er vor ihm, meist aber sause er übermütig an ihm vorbei und laufe dann zu seiner Frau zurück. Dies sei seine Begrüßung, da er ihn wegen der guten Kleidung nicht anspringen dürfe. Zu jener Zeit habe der Hund oft in der Saale gebadet, so dass er froh gewesen sei, ihn zu sehen und zu rufen. So habe er ihn im Blick gehabt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, das Rufen des eigenen Hundes mit dem nachfolgend vorgesehenen Verabschieden sei von rein eigenwirtschaftlichen Überlegungen geprägt. Das aktive Zurücklegen des versicherten Weges zum Ort der Tätigkeit habe hier nicht mehr im Vordergrund gestanden. Mit dem Rufen des Hundes sollte sicher auch indirekt ein Verschmutzen der Kleidung vermieden werden; jedoch sei auch dieses Vorhaben nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Letztlich resultiere der Zusammenstoß mit dem eigenen Tier aus einer vorangegangenen eigenwirtschaftlichen Handlung. Für dieses dem persönlichen Bereich zuzurechnende Verhalten sei ein Versicherungsschutz nicht gegeben.
Hiergegen hat der Kläger am 14. Oktober 2010 Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, maßgebend sei auf seine Handlungstendenz abzustellen. Auf Umwegen und bei Unterbrechung des versicherten Weges bestehe zwar grundsätzlich kein Versicherungsschutz. Dies gelte aber nicht für kurze und ganz geringfügige Unterbrechungen, die den Zusammenhang des Weges mit der Betriebstätigkeit selbst dann nicht beseitigten, wenn sie eigenwirtschaftlicher Natur seien (Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], SozR Nrn. 5 und 28 zu § 543 RVO). Er habe den Weg zur Arbeit bei der vermeintlichen Unterbrechung nicht verlassen. Das Rufen und Verabschieden des Hundes sei eine ganz geringfügige Unterbrechung und lasse daher den Versicherungsschutz nicht entfallen.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass es sich in dem vorliegenden Fall nicht um eine Verrichtung im privaten Bereich gehe, sondern um eine Gefahr handele, die sich aus dem privaten Bereich ergeben habe.
Mit Urteil vom 6. Dezember 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und dem Kläger "Mutwillenskosten" i. H. v. 250,00 EUR auferlegt. Es stehe für jeden Einsichtigen außer Frage, dass das Umlaufen durch den Hund in keinerlei betrieblichem Zusammenhang stehe. Das Zulaufen und Anspringen des Hundes habe mit der Tätigkeit des Klägers als Versicherungsvertreter nichts zu tun und dieser Geschehensablauf habe auch nicht in einer wie auch immer gearteten Weise einem betrieblichen Zweck gedient.
Gegen das ihm am 15. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 16. Januar 2012 Berufung eingelegt und seinen bisherigen Vortrag wiederholt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 6. Dezember 2011 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 3. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis am 2. Juni 2010 ein Arbeitsunfall mit einer Kontusion des linken oberen Sprunggelenkes als Schaden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts zumindest im Ergebnis für zutreffend. Sie verweist auf die Entscheidung des BSG vom 27. Juni 1969 (2 RU 289/67).
In der mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2013 haben die Beteiligten folgenden Teilvergleich geschlossen:
Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass das Unfallereignis vom 2. Juni 2010 als Schaden eine Kontusion des linken oberen Sprunggelenkes wesentlich herbeigeführt hat.
Für den Fall, dass das Ereignis mit der Folge des genannten Erstschadens rechtskräftig als Arbeitsunfall festgestellt wird, verpflichtet sich die Beklagte zu prüfen, ob das Ereignis zu weiteren Erstschäden und gesundheitlichen Folgen im Sinne des SGB VII geführt hat.
Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass für diesen Fall der Bescheid vom
3. August 2010 nicht als bestandskräftig entgegensteht.
Dem Gericht haben bei der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung die Gerichtsakte sowie die Akte der Beklagten vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat Erfolg.
Die Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 3. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 beschwert den Kläger im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil die Beklagte darin zu Unrecht die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt hat.
Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit
(Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2).
1) Der Kläger war als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Zu den versicherten Tätigkeiten eines Versicherten zählt nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3, 6 SGB VII versicherten Tätigkeit "zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit". Diese Formulierung kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang der unfallbringenden versicherten Fortbewegung als Vor- oder Nachbereitungshandlung mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit. Er besteht, wenn die Fortbewegung von dem Zweck bestimmt ist, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung zu erreichen. Die darauf gerichtete Handlungstendenz muss durch die objektiven Umstände bestätigt werden (BSG, 30.10.2007, B 2 U 29/06 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 25 Rn. 9 m.w.N.).
Der Senat ist überzeugt, dass der Kläger auf dem Weg zur Arbeit war, wie es zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist. Der Kläger hat diesen Weg auch nicht mit dem Rufen und dem (beabsichtigten) Verabschieden des Hundes beendet; vielmehr liegt nur eine unerhebliche, weil nur geringfügige Unterbrechung des Weges vor. Dies ist nach der Rspr. des BSG der Fall, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner Gesamtheit anzusehen ist. Sie darf nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung des ursprünglich aufgenommenen Ziels führen, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung "im Vorbeigehen" oder "ganz nebenher" erledigt wird. Dies hat das BSG beispielsweise bejaht bei dem Kauf einer Zeitung an einem Kiosk während eines versicherten Weges (28.2.1964, 2 RU 185/61, BSGE 20, 219, 221 = SozR Nr. 49 zu § 543 RVO a.F.; siehe weiterführend Becker, SGb 2012, 696). Die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes in solchen Fällen findet ihre Rechtfertigung darin, dass die in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Verrichtung - das Zurücklegen des Weges - der wesentliche Grund dafür ist, dass der Versicherte in dieser Situation ist, in der er dann ganz nebenher oder im Vorbeigehen die private Verrichtung ausübt. Gleiches gilt auch während der versicherten Beschäftigung selbst (so für das Abzwicken eines privat benötigten Federdrahtes am eigenen Arbeitsplatz im Laufe der Berufstätigkeit BSG, 18.12.1974, 2 RU 37/73, USK 74212).
Hier hat weiter das aktive Zurücklegen des versicherten Weges zum Ort der Tätigkeit im Vordergrund gestanden. Es ist vorliegend nicht einmal sicher, ob der Kläger überhaupt stehen geblieben ist und es damit überhaupt tatsächlich zu einer minimalen Unterbrechung gekommen ist oder ob der Kläger nicht gleichmäßig weitergegangen ist, bis er von dem Hund zu Fall gebracht wurde. Zumindest wäre es nur eine Unterbrechung von wenigen Sekunden gewesen. Ein Richtungswechsel, ein Verlassen des versicherten Weges oder gar eine (beabsichtigte) längere Pause und Beschäftigung mit dem Hund ist fernliegend.
2) a) Diese versicherte Verrichtung - der Weg zur Arbeit - hat ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis verursacht.
Hier wirkten der Hund des Klägers und anschließend der Erdboden auf den Körper des Klägers ein. Der Kläger hat sich bei dem Vorfall verletzt; zumindest die Kontusion (Prellung) im oberen Sprunggelenk links stellt nach der Überzeugung des Senats einen Erstschaden dar. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten.
Dieser Unfall ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung auf das Zurücklegen des versicherten Weges zurückzuführen. Diese Zurechnungslehre hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele ("conditio sine qua non"). Dies ist hier der Fall; der Arbeitsweg kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele. Wäre der Kläger zuhause geblieben, hätte sich der Unfall nicht ereignet.
Das Rufen des Hundes ist allerdings auch ursächlich für den Unfall geworden. Denn auch dieses kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg - der Sturz und die Verletzungen - zumindest in der konkreten Form entfallen würde. Der Ursachenzusammenhang muss nach der Theorie der wesentlichen Bedingung positiv festgestellt werden; hier genügt aber eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit (BSG, 30.1.2007, B 2 U 15/05 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2; Becker, SGb 2012, 696). Diese Wahrscheinlichkeit muss hier bejaht werden. Sowohl das Rufen des Hundes als auch der Unfall selbst steht jeweils mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest. Nicht weiterführend sind hier die Spekulationen des Klägers über den hypothetischen weiteren Verlauf, wenn er den Hund nicht gerufen hätte. Dieser theoretisch denkbare Hergang lässt sich in keiner Weise feststellen. Unerheblich ist, ob der Hund ebenfalls auf den Kläger zugerannt wäre, wenn dieser ihn nicht gerufen hätte. Damit legt der Kläger einen anderen, hypothetischen Verlauf zugrunde, über den lediglich spekuliert werden kann. Fest steht zumindest, dass nach den glaubhaften Schilderungen des Klägers der Hund häufig in dieser Form auf ihn zugerannt ist, ohne dass etwas passiert ist. Warum dann in dem vom Kläger hypothetisch angeführten Verlaufe der Hund ihn ebenfalls verletzt haben könnte, ist nicht nachvollziehbar.
Damit ist sowohl das Rufen des Hundes als auch das Zurücklegen des Weges zur Arbeit jeweils naturwissenschaftlich (im Sinne der "conditio sine qua non") kausal.
b) Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies allerdings in keiner Weise die auf der zweiten Stufe der Zurechnung zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage (so ausdrücklich BSG, 9.5.2006, B 2 U 1/05 R, BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17), ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfallversicherungsrechtlich rechtserheblich, "wesentlich", war. Denn die unfallversicherungsrechtliche Wesentlichkeit der Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung für die Einwirkung (etc.) muss eigenständig rechtlich nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung beurteilt werden (BSG, 24.7.2012, B 2 U 9/11 R, Juris). Dies setzt rechtlich voraus, dass der Schutzbereich und der Schutzzweck der jeweiligen durch die versicherte Verrichtung begründeten Versicherung durch juristische Auslegung des Versicherungstatbestandes nach den anerkannten Auslegungsmethoden festgestellt werden. Insbesondere ist zu klären, ob und wie weit der Versicherungstatbestand gegen Gefahren aus von ihm versicherten Tätigkeiten schützen soll (vgl. hierzu BSG, 15.5.2012, B 2 U 16/11 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 21 Rn. 21 ff - Lebendnierenspende).
Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist die Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung ausüben wollte (BSG, 12.4.2005, B 2 U 11/04 R, Juris). Bezogen auf den hier zu untersuchenden Weg muss die Bewegung in Richtung der Arbeitsstätte im Vordergrund gestanden haben. Dies war hier, wie oben dargelegt, der Fall.
Auch der Umstand, dass Unfallursache unter anderem der eigene Hund des Klägers war und er nach ihm gerufen hat, führt zu keiner anderen Beurteilung und schließt den sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Versicherungsschutz nicht aus.
Insbesondere folgt aus dem im Laufe des Verfahrens verwandten Begriff der "selbstgeschaffenen Gefahr" nichts anderes. Der Begriff der "selbstgeschaffenen Gefahr" ist nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BSG eng auszulegen und nur mit größter Zurückhaltung anzuwenden (BSG, 12.4.2005, B 2 U 11/04 R, Juris; ausführlich Becker, SGb 2012, 696; so auch schon das von der Beklagten angeführte Urteil des BSG, 27.6.1969, 2 RU 289/67, Juris). Einen Rechtssatz des Inhalts, dass der Versicherungsschutz entfällt, wenn der Versicherte sich bewusst einer höheren Gefahr aussetzt und dadurch zu Schaden kommt, gibt es nicht. Auch leichtsinniges unbedachtes Verhalten beseitigt den bestehenden sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls nicht. Dies ist vielmehr nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn ein Beschäftigter sich derart sorglos und unvernünftig verhält, dass für den Eintritt des Arbeitsunfalls nicht mehr die versicherte Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist (BSG, 12.4.2005, a.a.O.). Ein derart sorgloses und unvernünftiges Verhalten ist hier nicht feststellbar.
Die Eigentums- und Besitzverhältnisse an dem nicht aggressiven und an sich ungefährlichen Hund sind nicht wesentlich; es kann keinen grundlegenden Unterschied machen, ob der Hund dem Kläger, seiner Ehefrau oder einem Nachbarn gehört.
Weiter ist hier festzuhalten, dass das Rufen des eigenen Hundes isoliert betrachtet mit keiner besonderen Gefahr verbunden war, sondern letztlich sogar als sozialadäquates Verhalten bewertet werden muss. Hinzu kommt, dass auch nach Ansicht der Beklagten mit dem Rufen des Hundes indirekt ein Verschmutzen der guten Kleidung vermieden werden sollte, die der Kläger als Mitarbeiter einer Versicherung trug. Der Hund lief nach den glaubhaften Angaben des Klägers (mit und ohne Rufen) stets in dieser Art auf ihn zu, ohne dass damit irgendeine Gefahr verbunden zu sein schien. Es handelte sich um ein oft durchgeführtes Ritual. Damit muss die Erhöhung der Gefahr durch das Rufen als verschwindend gering bewertet werden.
Noch weniger kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger einer zusätzlichen Gefahr erliegen sei, welcher er sich freiwillig ausgesetzt habe, wie es das BSG in dem von der Beklagten angeführten Fall bejaht hat (BSG, 27.6.1969, 2 RU 289/67, Juris). Der Senat kann offen lassen, inwieweit diese Rechtsfigur mit der der selbstgeschaffenen Gefahr vereinbar ist (bejahend offenbar BSG, a.a.O.). Zumindest stellt allein der Besitz eines Hundes oder das Rufen dieses Hundes (dazu oben) noch keine solche zusätzliche Gefahr da; so hat das BSG in der angeführten Entscheidung auch nicht argumentiert. Vielmehr stellt es dort ab auf das besondere Gefahrpotential des Hundes, der bewusst mitgeführt wurde und offenbar bei naheliegenden Reaktionen (Laufen auf die befahrene Straße) von der Halterin nicht mehr kontrolliert werden konnte. Hier ist die konkrete Reaktion des Hundes nicht vorhersehbar gewesen.
Der Hund bzw. das Rufen des Hundes stellen daher auch keine sogenannte eingebrachte Gefahr dar; der Unfall hat sich nicht nur zufällig bei (und nicht "infolge") einer versicherten Tätigkeit ereignet (vgl. grundlegend Becker, SGb 2012, 697 unter Hinweis auf BSG 26.1.1978, 2 RU 39/77 - Messer in Aktentasche).
Zu Gunsten des Versicherungsschutzes spricht, dass das aktive Zurücklegen des versicherten Weges zum Ort der Tätigkeit weiter im Vordergrund gestanden hat. Wie bereits dargelegt, ist vorliegend nicht einmal gewiss, ob der Kläger überhaupt stehen geblieben ist. Eine wesentliche Unterbrechung oder ein Richtungswechsel ist wie oben dargelegt nicht ersichtlich. Weiter ist die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, den Arbeitsweg in den Versicherungsschutz einzubeziehen. Damit ist der Kläger grundsätzlich gegen alle Gefahren versichert, die mit einem solchen Arbeitsweg verbunden sind, auch wenn sie von eigenen, potentiell gefährlichen Objekten ausgehen. So ist der Versicherungsschutz unstreitig, wenn der Versicherte im eigenen PKW aufgrund von eigenen Fahrfehlern mit hoher Geschwindigkeit verunglückt. § 7 Abs. 2 SGB VII stellt ausdrücklich klar, dass selbst verbotswidriges Verhalten - das massiv gefahrerhöhend sein kann - den Versicherungsschutz nicht ausschließt. Daher hat das BSG den Versicherungsschutz sogar noch bejaht, wenn sich der Unfall aufgrund eines riskanten Überholmanövers ereignet hat und der Versicherte deshalb sogar wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung nach
§ 315c StGB verurteilt worden war (4.6.2002, B 2 U 11/01 R, SozR 3-2700 § 8 Nr. 10; zum Entfallen des Schutzes im Falle eines Wettrennens LSG Berlin, 19.1.2004, L 16 U 51/03, Juris).
Zudem hat sich auch eine typische Wegegefahr verwirklicht. Diese hat der Kläger (ohne Kenntnis der rechtlichen Relevanz) bereits in seinem Schreiben an die Krankenkasse betont, als er zur Erklärung, warum der Hund nicht gebremst habe, auf den schlechten Zustand des Weges (unbefestigt und nass) hinwies. Hätte die Ehefrau des Klägers als Fahrerin seines PKW aufgrund solcher Wegeverhältnisse den Kläger angefahren, wäre eine Argumentation mit einer eingebrachten Gefahr und dem Eigentumsverhältnis wohl fernliegend, auch wenn das Überlassen eines KFZ an einen Dritten stets eine gewisse Gefahr mit sich bringt. Der Unfallversicherungsschutz würde nicht einmal entfallen, wenn der Kläger in diesem Beispielsfall seiner Frau zugewunken hätte und sie beim Zurückwinken aufgrund der schlechten Wegverhältnisse den maßgeblichen Fahrfehler begangen hätte.
Rechtlich ist bei der Abwägung schließlich zu beachten, dass auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache für den Erfolg rechtlich wesentlich sein kann, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache als solche, insbesondere Art und Ausmaß der Einwirkung, der Geschehensablauf, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, sowie die gesamte Krankengeschichte (BSG, 30.1.2007, B 2 U 15/05 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2; instruktiv Becker, SGb 2012, 696).
Bei der Abwägung dieser beiden Ursachen (Rufen des eigenen Hundes einerseits und Arbeitsweg andererseits) kann ausgeschlossen werden, dass die erstgenannte unversicherte eine so überragende Bedeutung hatte, die das Zurücklegen des Arbeitsweges als unwesentlich erscheinen lässt. Im Gegenteil lässt sich sogar eine überwiegende Bedeutung des versicherten Arbeitswegs feststellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da es sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Basis der geklärten und oben angeführten Rspr. des BSG handelt, der sich der Senat anschließt.
Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 2. Juni 2010 ein Arbeitsunfall mit einer Kontusion des linken oberen Sprunggelenks als Schaden ist.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ereignis vom 2. Juni 2010 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Am Unfalltag verließ der Kläger morgens das Haus, um in sein Büro zu fahren. Nach dem Durchgangsarztbericht vom 2. Juni 2010 kam auf dem Weg zu seinem PKW sein eigener Hund angerannt, stieß in vollem Lauf an das rechte Knie des Klägers und brachte ihn zu Fall. Dieser hatte anschließend Schmerzen im rechten Knie außen und im linken Fuß, woraufhin er den D-Arzt Dr. P. aufsuchte. Dieser diagnostizierte freie Gelenkkörper im Kniegelenk rechts und stellte weiter die Diagnose Kontusion im oberen Sprunggelenk links. Im Weiteren teilte die Krankenkasse des Klägers der Beklagten mit, dass voraussichtlich bis zum 30. Juni 2010 Arbeitsunfähigkeit bestehe.
Gegenüber der Krankenkasse schilderte der Kläger den Unfallhergang wie folgt: "Auf dem Weg zum Auto sah ich von weitem meine Frau mit unserem Schäferhund aus dem Wald kommen. Zum Abschied zur Arbeit pfiff und rief ich den Hund zu mir. Der kam dann auch in vollem Lauf angerannt. Da der unbefestigte Weg vom Regen nass war, bremste der Hund offensichtlich nicht und wollte an mir vorbei rennen, leider lief er mir seitlich gegen das rechte Knie". Der Unfall habe sich auf dem öffentlichen Weg vor seinem Hausgrundstück ereignet. Im Rahmen einer Arthroskopie wurde später festgestellt, dass ein Knorpelabriss im rechten Knie bestand.
Mit Bescheid vom 3. August 2010 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 2. Juni 2010 ab und führte zur Begründung aus, es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem nachgewiesenen Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit. Das Rufen und das Verabschieden von dem Hund stelle eine eigenwirtschaftliche Handlung dar, auch wenn es sich nur um eine kurzfristige Unterbrechung handele. Sie sei deshalb nicht mehr dem versicherten Weg zuzurechnen. Der Kläger habe in diesem Moment nicht beabsichtigt, den Weg fortzusetzen, sondern sich von seinem Hund zu verabschieden. Wesentliche Ursache des Sturzes sei damit das Rufen des Hundes gewesen.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, er müsse sein Auto ca. 50 Meter von seinem Haus entfernt parken. Falls er von der Arbeit komme oder zur Arbeit gehe und seine Frau zufällig vom Spaziergang aus dem Wald komme, sei es immer so, dass sein Schäferhund, wenn er ihn sehe, angesprintet komme, ohne dass er ihn rufe. Mal halte er vor ihm, meist aber sause er übermütig an ihm vorbei und laufe dann zu seiner Frau zurück. Dies sei seine Begrüßung, da er ihn wegen der guten Kleidung nicht anspringen dürfe. Zu jener Zeit habe der Hund oft in der Saale gebadet, so dass er froh gewesen sei, ihn zu sehen und zu rufen. So habe er ihn im Blick gehabt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, das Rufen des eigenen Hundes mit dem nachfolgend vorgesehenen Verabschieden sei von rein eigenwirtschaftlichen Überlegungen geprägt. Das aktive Zurücklegen des versicherten Weges zum Ort der Tätigkeit habe hier nicht mehr im Vordergrund gestanden. Mit dem Rufen des Hundes sollte sicher auch indirekt ein Verschmutzen der Kleidung vermieden werden; jedoch sei auch dieses Vorhaben nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Letztlich resultiere der Zusammenstoß mit dem eigenen Tier aus einer vorangegangenen eigenwirtschaftlichen Handlung. Für dieses dem persönlichen Bereich zuzurechnende Verhalten sei ein Versicherungsschutz nicht gegeben.
Hiergegen hat der Kläger am 14. Oktober 2010 Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, maßgebend sei auf seine Handlungstendenz abzustellen. Auf Umwegen und bei Unterbrechung des versicherten Weges bestehe zwar grundsätzlich kein Versicherungsschutz. Dies gelte aber nicht für kurze und ganz geringfügige Unterbrechungen, die den Zusammenhang des Weges mit der Betriebstätigkeit selbst dann nicht beseitigten, wenn sie eigenwirtschaftlicher Natur seien (Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], SozR Nrn. 5 und 28 zu § 543 RVO). Er habe den Weg zur Arbeit bei der vermeintlichen Unterbrechung nicht verlassen. Das Rufen und Verabschieden des Hundes sei eine ganz geringfügige Unterbrechung und lasse daher den Versicherungsschutz nicht entfallen.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass es sich in dem vorliegenden Fall nicht um eine Verrichtung im privaten Bereich gehe, sondern um eine Gefahr handele, die sich aus dem privaten Bereich ergeben habe.
Mit Urteil vom 6. Dezember 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und dem Kläger "Mutwillenskosten" i. H. v. 250,00 EUR auferlegt. Es stehe für jeden Einsichtigen außer Frage, dass das Umlaufen durch den Hund in keinerlei betrieblichem Zusammenhang stehe. Das Zulaufen und Anspringen des Hundes habe mit der Tätigkeit des Klägers als Versicherungsvertreter nichts zu tun und dieser Geschehensablauf habe auch nicht in einer wie auch immer gearteten Weise einem betrieblichen Zweck gedient.
Gegen das ihm am 15. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 16. Januar 2012 Berufung eingelegt und seinen bisherigen Vortrag wiederholt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 6. Dezember 2011 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 3. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis am 2. Juni 2010 ein Arbeitsunfall mit einer Kontusion des linken oberen Sprunggelenkes als Schaden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts zumindest im Ergebnis für zutreffend. Sie verweist auf die Entscheidung des BSG vom 27. Juni 1969 (2 RU 289/67).
In der mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2013 haben die Beteiligten folgenden Teilvergleich geschlossen:
Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass das Unfallereignis vom 2. Juni 2010 als Schaden eine Kontusion des linken oberen Sprunggelenkes wesentlich herbeigeführt hat.
Für den Fall, dass das Ereignis mit der Folge des genannten Erstschadens rechtskräftig als Arbeitsunfall festgestellt wird, verpflichtet sich die Beklagte zu prüfen, ob das Ereignis zu weiteren Erstschäden und gesundheitlichen Folgen im Sinne des SGB VII geführt hat.
Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass für diesen Fall der Bescheid vom
3. August 2010 nicht als bestandskräftig entgegensteht.
Dem Gericht haben bei der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung die Gerichtsakte sowie die Akte der Beklagten vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat Erfolg.
Die Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 3. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 beschwert den Kläger im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil die Beklagte darin zu Unrecht die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt hat.
Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit
(Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2).
1) Der Kläger war als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Zu den versicherten Tätigkeiten eines Versicherten zählt nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3, 6 SGB VII versicherten Tätigkeit "zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit". Diese Formulierung kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang der unfallbringenden versicherten Fortbewegung als Vor- oder Nachbereitungshandlung mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit. Er besteht, wenn die Fortbewegung von dem Zweck bestimmt ist, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung zu erreichen. Die darauf gerichtete Handlungstendenz muss durch die objektiven Umstände bestätigt werden (BSG, 30.10.2007, B 2 U 29/06 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 25 Rn. 9 m.w.N.).
Der Senat ist überzeugt, dass der Kläger auf dem Weg zur Arbeit war, wie es zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist. Der Kläger hat diesen Weg auch nicht mit dem Rufen und dem (beabsichtigten) Verabschieden des Hundes beendet; vielmehr liegt nur eine unerhebliche, weil nur geringfügige Unterbrechung des Weges vor. Dies ist nach der Rspr. des BSG der Fall, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner Gesamtheit anzusehen ist. Sie darf nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung des ursprünglich aufgenommenen Ziels führen, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung "im Vorbeigehen" oder "ganz nebenher" erledigt wird. Dies hat das BSG beispielsweise bejaht bei dem Kauf einer Zeitung an einem Kiosk während eines versicherten Weges (28.2.1964, 2 RU 185/61, BSGE 20, 219, 221 = SozR Nr. 49 zu § 543 RVO a.F.; siehe weiterführend Becker, SGb 2012, 696). Die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes in solchen Fällen findet ihre Rechtfertigung darin, dass die in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Verrichtung - das Zurücklegen des Weges - der wesentliche Grund dafür ist, dass der Versicherte in dieser Situation ist, in der er dann ganz nebenher oder im Vorbeigehen die private Verrichtung ausübt. Gleiches gilt auch während der versicherten Beschäftigung selbst (so für das Abzwicken eines privat benötigten Federdrahtes am eigenen Arbeitsplatz im Laufe der Berufstätigkeit BSG, 18.12.1974, 2 RU 37/73, USK 74212).
Hier hat weiter das aktive Zurücklegen des versicherten Weges zum Ort der Tätigkeit im Vordergrund gestanden. Es ist vorliegend nicht einmal sicher, ob der Kläger überhaupt stehen geblieben ist und es damit überhaupt tatsächlich zu einer minimalen Unterbrechung gekommen ist oder ob der Kläger nicht gleichmäßig weitergegangen ist, bis er von dem Hund zu Fall gebracht wurde. Zumindest wäre es nur eine Unterbrechung von wenigen Sekunden gewesen. Ein Richtungswechsel, ein Verlassen des versicherten Weges oder gar eine (beabsichtigte) längere Pause und Beschäftigung mit dem Hund ist fernliegend.
2) a) Diese versicherte Verrichtung - der Weg zur Arbeit - hat ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis verursacht.
Hier wirkten der Hund des Klägers und anschließend der Erdboden auf den Körper des Klägers ein. Der Kläger hat sich bei dem Vorfall verletzt; zumindest die Kontusion (Prellung) im oberen Sprunggelenk links stellt nach der Überzeugung des Senats einen Erstschaden dar. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten.
Dieser Unfall ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung auf das Zurücklegen des versicherten Weges zurückzuführen. Diese Zurechnungslehre hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele ("conditio sine qua non"). Dies ist hier der Fall; der Arbeitsweg kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele. Wäre der Kläger zuhause geblieben, hätte sich der Unfall nicht ereignet.
Das Rufen des Hundes ist allerdings auch ursächlich für den Unfall geworden. Denn auch dieses kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg - der Sturz und die Verletzungen - zumindest in der konkreten Form entfallen würde. Der Ursachenzusammenhang muss nach der Theorie der wesentlichen Bedingung positiv festgestellt werden; hier genügt aber eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit (BSG, 30.1.2007, B 2 U 15/05 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2; Becker, SGb 2012, 696). Diese Wahrscheinlichkeit muss hier bejaht werden. Sowohl das Rufen des Hundes als auch der Unfall selbst steht jeweils mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest. Nicht weiterführend sind hier die Spekulationen des Klägers über den hypothetischen weiteren Verlauf, wenn er den Hund nicht gerufen hätte. Dieser theoretisch denkbare Hergang lässt sich in keiner Weise feststellen. Unerheblich ist, ob der Hund ebenfalls auf den Kläger zugerannt wäre, wenn dieser ihn nicht gerufen hätte. Damit legt der Kläger einen anderen, hypothetischen Verlauf zugrunde, über den lediglich spekuliert werden kann. Fest steht zumindest, dass nach den glaubhaften Schilderungen des Klägers der Hund häufig in dieser Form auf ihn zugerannt ist, ohne dass etwas passiert ist. Warum dann in dem vom Kläger hypothetisch angeführten Verlaufe der Hund ihn ebenfalls verletzt haben könnte, ist nicht nachvollziehbar.
Damit ist sowohl das Rufen des Hundes als auch das Zurücklegen des Weges zur Arbeit jeweils naturwissenschaftlich (im Sinne der "conditio sine qua non") kausal.
b) Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies allerdings in keiner Weise die auf der zweiten Stufe der Zurechnung zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage (so ausdrücklich BSG, 9.5.2006, B 2 U 1/05 R, BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17), ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfallversicherungsrechtlich rechtserheblich, "wesentlich", war. Denn die unfallversicherungsrechtliche Wesentlichkeit der Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung für die Einwirkung (etc.) muss eigenständig rechtlich nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung beurteilt werden (BSG, 24.7.2012, B 2 U 9/11 R, Juris). Dies setzt rechtlich voraus, dass der Schutzbereich und der Schutzzweck der jeweiligen durch die versicherte Verrichtung begründeten Versicherung durch juristische Auslegung des Versicherungstatbestandes nach den anerkannten Auslegungsmethoden festgestellt werden. Insbesondere ist zu klären, ob und wie weit der Versicherungstatbestand gegen Gefahren aus von ihm versicherten Tätigkeiten schützen soll (vgl. hierzu BSG, 15.5.2012, B 2 U 16/11 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 21 Rn. 21 ff - Lebendnierenspende).
Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist die Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung ausüben wollte (BSG, 12.4.2005, B 2 U 11/04 R, Juris). Bezogen auf den hier zu untersuchenden Weg muss die Bewegung in Richtung der Arbeitsstätte im Vordergrund gestanden haben. Dies war hier, wie oben dargelegt, der Fall.
Auch der Umstand, dass Unfallursache unter anderem der eigene Hund des Klägers war und er nach ihm gerufen hat, führt zu keiner anderen Beurteilung und schließt den sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Versicherungsschutz nicht aus.
Insbesondere folgt aus dem im Laufe des Verfahrens verwandten Begriff der "selbstgeschaffenen Gefahr" nichts anderes. Der Begriff der "selbstgeschaffenen Gefahr" ist nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BSG eng auszulegen und nur mit größter Zurückhaltung anzuwenden (BSG, 12.4.2005, B 2 U 11/04 R, Juris; ausführlich Becker, SGb 2012, 696; so auch schon das von der Beklagten angeführte Urteil des BSG, 27.6.1969, 2 RU 289/67, Juris). Einen Rechtssatz des Inhalts, dass der Versicherungsschutz entfällt, wenn der Versicherte sich bewusst einer höheren Gefahr aussetzt und dadurch zu Schaden kommt, gibt es nicht. Auch leichtsinniges unbedachtes Verhalten beseitigt den bestehenden sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls nicht. Dies ist vielmehr nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn ein Beschäftigter sich derart sorglos und unvernünftig verhält, dass für den Eintritt des Arbeitsunfalls nicht mehr die versicherte Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist (BSG, 12.4.2005, a.a.O.). Ein derart sorgloses und unvernünftiges Verhalten ist hier nicht feststellbar.
Die Eigentums- und Besitzverhältnisse an dem nicht aggressiven und an sich ungefährlichen Hund sind nicht wesentlich; es kann keinen grundlegenden Unterschied machen, ob der Hund dem Kläger, seiner Ehefrau oder einem Nachbarn gehört.
Weiter ist hier festzuhalten, dass das Rufen des eigenen Hundes isoliert betrachtet mit keiner besonderen Gefahr verbunden war, sondern letztlich sogar als sozialadäquates Verhalten bewertet werden muss. Hinzu kommt, dass auch nach Ansicht der Beklagten mit dem Rufen des Hundes indirekt ein Verschmutzen der guten Kleidung vermieden werden sollte, die der Kläger als Mitarbeiter einer Versicherung trug. Der Hund lief nach den glaubhaften Angaben des Klägers (mit und ohne Rufen) stets in dieser Art auf ihn zu, ohne dass damit irgendeine Gefahr verbunden zu sein schien. Es handelte sich um ein oft durchgeführtes Ritual. Damit muss die Erhöhung der Gefahr durch das Rufen als verschwindend gering bewertet werden.
Noch weniger kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger einer zusätzlichen Gefahr erliegen sei, welcher er sich freiwillig ausgesetzt habe, wie es das BSG in dem von der Beklagten angeführten Fall bejaht hat (BSG, 27.6.1969, 2 RU 289/67, Juris). Der Senat kann offen lassen, inwieweit diese Rechtsfigur mit der der selbstgeschaffenen Gefahr vereinbar ist (bejahend offenbar BSG, a.a.O.). Zumindest stellt allein der Besitz eines Hundes oder das Rufen dieses Hundes (dazu oben) noch keine solche zusätzliche Gefahr da; so hat das BSG in der angeführten Entscheidung auch nicht argumentiert. Vielmehr stellt es dort ab auf das besondere Gefahrpotential des Hundes, der bewusst mitgeführt wurde und offenbar bei naheliegenden Reaktionen (Laufen auf die befahrene Straße) von der Halterin nicht mehr kontrolliert werden konnte. Hier ist die konkrete Reaktion des Hundes nicht vorhersehbar gewesen.
Der Hund bzw. das Rufen des Hundes stellen daher auch keine sogenannte eingebrachte Gefahr dar; der Unfall hat sich nicht nur zufällig bei (und nicht "infolge") einer versicherten Tätigkeit ereignet (vgl. grundlegend Becker, SGb 2012, 697 unter Hinweis auf BSG 26.1.1978, 2 RU 39/77 - Messer in Aktentasche).
Zu Gunsten des Versicherungsschutzes spricht, dass das aktive Zurücklegen des versicherten Weges zum Ort der Tätigkeit weiter im Vordergrund gestanden hat. Wie bereits dargelegt, ist vorliegend nicht einmal gewiss, ob der Kläger überhaupt stehen geblieben ist. Eine wesentliche Unterbrechung oder ein Richtungswechsel ist wie oben dargelegt nicht ersichtlich. Weiter ist die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, den Arbeitsweg in den Versicherungsschutz einzubeziehen. Damit ist der Kläger grundsätzlich gegen alle Gefahren versichert, die mit einem solchen Arbeitsweg verbunden sind, auch wenn sie von eigenen, potentiell gefährlichen Objekten ausgehen. So ist der Versicherungsschutz unstreitig, wenn der Versicherte im eigenen PKW aufgrund von eigenen Fahrfehlern mit hoher Geschwindigkeit verunglückt. § 7 Abs. 2 SGB VII stellt ausdrücklich klar, dass selbst verbotswidriges Verhalten - das massiv gefahrerhöhend sein kann - den Versicherungsschutz nicht ausschließt. Daher hat das BSG den Versicherungsschutz sogar noch bejaht, wenn sich der Unfall aufgrund eines riskanten Überholmanövers ereignet hat und der Versicherte deshalb sogar wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung nach
§ 315c StGB verurteilt worden war (4.6.2002, B 2 U 11/01 R, SozR 3-2700 § 8 Nr. 10; zum Entfallen des Schutzes im Falle eines Wettrennens LSG Berlin, 19.1.2004, L 16 U 51/03, Juris).
Zudem hat sich auch eine typische Wegegefahr verwirklicht. Diese hat der Kläger (ohne Kenntnis der rechtlichen Relevanz) bereits in seinem Schreiben an die Krankenkasse betont, als er zur Erklärung, warum der Hund nicht gebremst habe, auf den schlechten Zustand des Weges (unbefestigt und nass) hinwies. Hätte die Ehefrau des Klägers als Fahrerin seines PKW aufgrund solcher Wegeverhältnisse den Kläger angefahren, wäre eine Argumentation mit einer eingebrachten Gefahr und dem Eigentumsverhältnis wohl fernliegend, auch wenn das Überlassen eines KFZ an einen Dritten stets eine gewisse Gefahr mit sich bringt. Der Unfallversicherungsschutz würde nicht einmal entfallen, wenn der Kläger in diesem Beispielsfall seiner Frau zugewunken hätte und sie beim Zurückwinken aufgrund der schlechten Wegverhältnisse den maßgeblichen Fahrfehler begangen hätte.
Rechtlich ist bei der Abwägung schließlich zu beachten, dass auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache für den Erfolg rechtlich wesentlich sein kann, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache als solche, insbesondere Art und Ausmaß der Einwirkung, der Geschehensablauf, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, sowie die gesamte Krankengeschichte (BSG, 30.1.2007, B 2 U 15/05 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2; instruktiv Becker, SGb 2012, 696).
Bei der Abwägung dieser beiden Ursachen (Rufen des eigenen Hundes einerseits und Arbeitsweg andererseits) kann ausgeschlossen werden, dass die erstgenannte unversicherte eine so überragende Bedeutung hatte, die das Zurücklegen des Arbeitsweges als unwesentlich erscheinen lässt. Im Gegenteil lässt sich sogar eine überwiegende Bedeutung des versicherten Arbeitswegs feststellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da es sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Basis der geklärten und oben angeführten Rspr. des BSG handelt, der sich der Senat anschließt.
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