Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
S 6 KR 624/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 5/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Anspruch auf häusliche Behandlungspflege (§ 37 SGB V) für Blutzuckermessungen und Insulinin¬jektionen kann sich auch auf die wegen einer Rechenschwäche des Versicherten und wegen autistisch bedingter Verhaltensstörungen notwendige Kontrolle der insoweit vom Ver-sicherten selbst durchgeführten Verrichtungen beziehen.
2. Der Mutter des Versicherten kann die Erledigung dieser Verrichtungen zu Nachtzeiten wegen der Beanspruchung durch insgesamt drei pflegebedürftige Kinder unzumutbar sein.
2. Der Mutter des Versicherten kann die Erledigung dieser Verrichtungen zu Nachtzeiten wegen der Beanspruchung durch insgesamt drei pflegebedürftige Kinder unzumutbar sein.
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 20.12.2013 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 1.4.2014 bis zum 30.9.2014 häusliche Krankenpflege für die Kontrolle der Messungen des Blutzuckerspiegels und Berechnung der notwendigen Insulindosis sowie der Insulininjektionen während der Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller ¾ der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe:
I.
Umstritten ist, ob die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, dem Antragsteller häusliche Behandlungspflege zu gewähren.
Der 2000 geborene Antragsteller, bei der Antragsgegnerin in der Familienversicherung krankenversichert, leidet an einem Diabetes mellitus Typ 1, einer Entwicklungsstörung aus dem autistischen Formenkreis im Sinne eines Asperger-Syndroms schwerer Prägung, einer Anpassungsstörung nach belastenden Lebensereignissen und einer Dyskalkulie (Rechenschwäche). Er bezieht Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I. Am 7.6.2013 verordnete ihm der Arzt für Allgemeinmedizin Adler häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 7.6. bis 7.12.2013 in Form von Behandlungspflege ("Berechnung der Insulindosis Unterstützung nach Bedarf"). In einem ärztlichen Attest vom 7.6.2013 führte der Arzt Adler aus: Die Insulintherapie setze eine genaue Berechnung der Dosis durch den Erkrankten voraus. Aufgrund seiner Dyskalkulie, die aktuell durch ein Rechenschwächeinstitut behandelt werde, sei dem Antragsteller diese Berechnung nicht möglich; hier könnten frühestens in einem Jahr Erfolge sichtbar werden. Die Mutter des Antragstellers bemühe sich ständig um eine optimale Versorgung, sei jedoch alleinerziehend und habe noch zwei weitere minderjährige behinderte Kinder zu betreuen. Auch die beiden im gleichen Haushalt lebenden Brüder des Antragstellers (M , geboren 2001; B , geboren 2004) leiden an einer autistischen Störung und erhalten von der zuständigen Pflegekasse Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung.
Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag des Antragstellers auf Gewährung häuslicher Krankenpflege mit Bescheid vom 25.7.2013 und Widerspruchsbescheid vom 23.10.2013 ab. Zur Begründung führte sie aus: Behandlungspflege stehe dem Versicherten nicht zu, wenn eine im Haushalt lebende Person den Kranken im erforderlichen Umfang pflegen und versorgen könne (Hinweis auf Bundessozialgericht – BSG – 17.3.2005 – B 3 KR 8/04 R, B 3 KR 9/04 R). Beim Antragsteller könnten die verordneten Leistungen zur Behandlungspflege von nahestehenden Personen in seinem Lebensumfeld erbracht werden, da es sich bei der Blutzuckermessung um eine Routinetätigkeit handele, die innerhalb weniger Minuten erledigt werden könne. Der Mutter des Antragstellers sei es zuzumuten, die Blutzuckermessungen eigenverantwortlich durchzuführen.
Am 6.11.2013 hat der Antragsteller Klage beim Sozialgericht (SG) Mainz erhoben (S 6 KR 594/13) und am 13.11.2013 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat er vorgetragen, seiner Mutter sei es insbesondere in Nachtzeiten nicht zumutbar, die notwendigen Kontrollen der Blutzuckermessungen und Insulininjektionen sicherzustellen, da sie völlig überfordert und am Ende ihrer Kräfte angelangt sei.
Durch Beschluss vom 20.12.2013 hat das SG Mainz den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Für den Zeitraum vom 7.6.2013 bis zur Antragstellung auf vorläufigen Rechtsschutz fehle es an dem erforderlichen Anordnungsanspruch, da es um einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum gehe. Für die Zeit ab dem 8.12.2013 sei ein Anordnungsanspruch nicht gegeben, weil keine ärztliche Verordnung für Behandlungspflege vorliege. Im Übrigen habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass es seiner Mutter nicht zumutbar sei, die Behandlungspflege zu übernehmen. Die Frage, ob die ärztlich verordneten Maßnahmen "Berechnung der Insulindosis, Unterstützung nach Bedarf" überhaupt im Rahmen der häuslichen Krankenpflege verordnungsfähig seien, müsse deshalb nicht geklärt werden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 14.1.2014 eingelegte Beschwerde des Antragstellers. Dieser hat den seiner Mutter erteilten Bescheid über Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 12.11.2013 vorgelegt. In einem vom Antragsteller dem Senat vorgelegten Attest vom 28.1.2014 hat der Facharzt für Allgemeinmedizin Adler ausgeführt: Die Mutter des Antragstellers sei im Zeitraum von Februar bis November 2013 bei ihm wiederholt wegen psychovegetativer Erschöpfungssituationen in ambulanter Behandlung gewesen. Ihr größtes Problem stelle die aktuelle Erkrankungslage des Antrag-stellers dar, der sich nicht selbständig versorgen könne. Es sei seiner Mutter nicht zumutbar, die Pflege allein zu übernehmen, sodass die Unterstützung seitens einer Pflegekraft erforderlich erscheine. Ferner hat der Antragsteller eine Verordnung über häusliche Krankenpflege des Arztes Dr. M vom 17.2.2014 vorgelegt. Darin heißt es, erforderlich sei "häusliche und insbesondere schulische Ver-sorgung". Als erforderliche Maßnahmen der Behandlungspflege sind angegeben: "Berechnung konkreter Insulindosis, Unterstützung bei Insulingabe und Insulinberechnung, insbesondere auch in der Schule". Der Senat hat die den Antragsteller und seine beiden Brüder betreffenden Akten der Pflegekasse beigezogen.
In dem Klageverfahren S 7 P 40/13, in dem der Antragsteller einen Antrag auf Zubilligung der Pflegestufe II nach dem Recht der sozialen Pflegeversicherung verfolgt, hat das SG Mainz ein Gutachten der Pflegefachkraft M. S vom Februar 2014 eingeholt, die ua ausgeführt hat: Der Diabetes des Antragstellers werde nach der intensivierten konventionellen Therapie behandelt. Diese Therapie bestehe aus der Kombination eines Langzeit- und eines Kurzzeitinsulins. Während das Langzeitinsulin zu festen Zeiten mit festen Einheiten verabreicht werde, werde das Kurzzeitinsulin direkt nach Bedarf eingesetzt. Der Antragsteller könne zwar seinen Blutzucker messen und mit Hilfe seines Taschenrechners den Insulinbedarf feststellen. Wegen seiner Dyskalkulie sei aber eine Kontrolle durch seine Mutter erforderlich. Der Antragsteller wehre sich, vor allem nachts, stark gegen eine notwendige Nahrungsaufnahme; seiner Mutter sei es nur mit viel Geduld und Zureden möglich, ihn zum Essen zu bewegen. Der pflegeversicherungsrechtlich relevante Hilfebedarf des Antragstellers im Bereich der Grundpflege betrage im Bereich der Ernährung kalendertäglich im Durchschnitt 47 Minuten (einschließlich diabetesbezogenem Bedarf 82 Minuten). Die Pflegekasse hatte zuvor ein Gutachten der Pflegefachkraft im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) K vom Januar 2013 eingeholt.
Die Antragsgegnerin hat sich mit Schreiben vom 21.2.2014 bereit erklärt, die Kosten der häuslichen Krankenpflege während des zukünftigen Schulbesuchs des Antragstellers im Rahmen der Vertragssätze zu übernehmen. Der Antragsteller hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und vorgetragen: Hinsichtlich der Behandlungspflege zu Hause gehe es vor allem um die nächtlichen Blutzuckerkontrollen und Insulininjektionen, zu deren Zweck seine Mutter einem die insoweit erforderliche Behandlungspflege durchführenden Pflegedienst einen Wohnungsschlüssel geben könne. Insgesamt seien bei ihm 10 bis 11 Blutzuckermessungen täglich (hiervon zwei bis drei nachts) notwendig. Die Häufigkeit sei unterschiedlich; wenn ein Unterzucker vorliege, müsse dieser überwacht werden. Der Antragsteller hat eine Aufstellung seiner Mutter über die regelmäßigen Zeitpunkte von Blutzuckermessungen und Insulininjektionen vorgelegt. Darin heißt es ua, diese Tätigkeiten fielen ua üblicherweise um 23 Uhr, um 2 Uhr und um 6 Uhr an.
Die Antragsgegnerin trägt vor: Häusliche Krankenpflege zur Kontrolle der Blutzuckermessungen und Insulininjektionen im häuslichen Umfeld habe sie dem Antragsteller nicht zu gewähren, da es dessen Mutter zumutbar sei, diese selbst sicherzustellen. Wenn der erhöhte Bedarf des Antragstellers wegen des Diabetes mellitus entsprechend dem Gutachten der Pflegesachverständigen S pflege-versicherungsrechtlich zu berücksichtigen sei, könne dieser nicht nochmals über die häusliche Krankenpflege "vergütet" werden.
II.
Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist insoweit begründet, als der Senat eine einstweilige Anordnung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang erlässt; der angefochtene Beschluss des SG ist insoweit abzuändern. Im Übrigen hat die Beschwerde des Antragstellers keinen Erfolg. Über Behandlungspflege während des zukünftigen Schulbesuchs des Antragstellers hat der Senat nicht zu entscheiden, nachdem die Antragsgegnerin insoweit ein Teilanerkenntnis abgegeben und der Antragsteller das Verfahren für erledigt erklärt hat.
Die Antragsgegnerin ist im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs 2 SGG) zu verpflichten, dem Antragsteller häusliche Behandlungshilfe für die nächtlichen Blutzuckermessungen und Insulininjektionen in der Zukunft – der Senat setzt als Beginn den 1.4.2014 fest – zu gewähren. Der Senat bejaht bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes einen darauf gerichteten Anspruch des Antragstellers. Versicherte erhalten nach § 37 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege ua in ihrem Haushalt, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Nach § 37 Abs 3 SGB V besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken nicht in dem erforderlichen Umfang pflegen und versorgen kann. Kann die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen oder besteht Grund, davon abzusehen, sind dem Versicherten gemäß § 37 Abs 4 SGB V die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten.
Zur Behandlungssicherungspflege im Sinne des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V gehören alle Pflegemaßnahmen, die nur durch bestimmte Krankheiten verursacht und erforderlich werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Heilberufe oder auch von Laien erbracht werden (Flint in Hauck/Noftz, SGB V, K § 37 Rn 103). Als Maßnahme der Behandlungspflege kommt auch die Hilfe bei der Blutzuckerkontrolle und Insulininjektion in Betracht (vgl Flint aaO Rn 107); dies gilt auch für notwendige Kontrollmaßnahmen, insbe-sondere bei Kindern. Dem Umstand, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen der Nr 11 des Verzeichnisses verordnungsfähiger Maßnahmen gemäß der Anlage zur Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 SGB V nicht erfüllt sind, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Nach den Vorbemerkungen dieser Anlage enthält das Verzeichnis Empfehlungen für den Regelfall, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann, wobei Abweichungen ua aufgrund der individuellen Fähigkeiten des Versicherten notwendig sein können. Die fehlenden eigenen Fähigkeiten des Antragstellers zur Messung des Blutzuckerspiegels einschließlich der Berechnung der notwendigen Insulindosis sowie zur Durchführung der Insulininjektionen ohne Kontrolle durch eine andere Person erfordern es bei ihm, abweichend vom Regelfall, ihm Behandlungspflege für die insoweit in der Nachtzeit notwendigen Verrichtungen zur Verfügung zu stellen. Der Antragsteller ist wegen seines Autismus und seiner Dyskalkulie nicht in der Lage, ohne Unterstützung und Kontrolle durch einen anderen die Messungen des Blutzuckerspiegels einschließlich der Feststellung der Insulindosis sowie die Insulininjektionen durchzuführen. Zwar kann er nach dem Gutachten (Seite 12) der Pflegesachverständigen S den Blutzuckerspiegel messen und mit Hilfe seines Taschenrechners anhand des angezeigten Werts die notwendige Insulindosis ausrechnen. Wegen seiner Dyskalkulie (Rechenschwäche) ist jedoch eine Kontrolle durch eine andere Person notwendig, wie aus dem Gutachten der Pflegefachkraft S hervorgeht. Wegen seiner Verhaltensstörungen ist auch eine Beaufsichtigung bei den Insulininjektionen erforderlich (vgl Seite 5, 8 des Gutachtens der Pflegefachkraft im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung – MDK – K vom 22.1.2013).
Der Senat geht bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes davon aus, dass der Mutter des Antragstellers die erforderlichen Hilfeleistungen in der Nachtzeit nicht zumutbar sind. Nach dem Attest des Arztes Adler vom Januar 2014 treten bei ihr wiederholt psychovegetative Erschöpfungssituationen auf. Es ist glaubhaft, dass sie durch die täglich erforderliche Pflege ihrer drei autistischen Kinder, deren Pflegebedarf sich insbesondere aus den beigezogenen Pflege-versicherungsakten ergibt, körperlich und seelisch so belastet ist, dass ihr die nächtlichen Tätigkeiten abgenommen werden müssen, damit wenigstens, soweit möglich, ihre Nachtruhe gewährleistet ist. Um die Sicherstellung dieser Verrichtungen durch einen Pflegedienst – in Betracht kommt hierbei nach den Angaben des Antragstellers insbesondere der Pflegedienst mit Geschäftsstelle gegenüber der Wohnung der Familie – zu gewährleisten, kann die Mutter des Antragstellers der Person, welche die Behandlungspflege übernimmt, einen Wohnungsschlüssel zur Verfügung stellen. Die Gewährung der häuslichen Krankenpflege durch die Antragsgegnerin verstößt wegen der Erforderlichkeit der Leistungen nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB V.
Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin geltend, wenn der erhöhte Bedarf des Antragstellers wegen des Diabetes mellitus pflegeversicherungsrechtlich zu berücksichtigen sei, könne er nicht nochmals über die häusliche Krankenpflege "vergütet" werden. Die Hilfe bei der Kontrolle der Blutzuckermessungen und der Feststellung des Insulinbedarfs sowie bei den Insulininjektionen fällt nicht in die Zuständigkeit der sozialen Pflegeversicherung. Zwar sind nach § 15 Abs 3 Satz 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) pflegeversicherungsrechtlich bei der Feststellung des Zeitaufwandes des Versicherten im Bereich der Grundpflege verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zu berücksichtigen. Die vorliegend in Rede stehenden Maßnahmen sind jedoch keine verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen. Solche sind nach § 15 Abs 3 Satz 3 SGB XI Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung nach § 14 Abs 4 SGB XI ist oder mit einer solchen Verrichtung notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht. An diesen Voraussetzungen fehlt es bei der Blutzuckermessung einschließlich der Feststellung der notwendigen Insulindosis sowie bei den Insulininjektionen (BSG 28.5.2003 B 3 P 6/02 R, juris Rn 18; Landessozialgericht – LSG – Schleswig-Holstein 1.3.2013 – L 10 P 4/11, juris Rn 33). Unabhängig davon wäre die Krankenkasse im Falle einer verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahme auch dann zur Gewährung von Behandlungspflege verpflichtet, wenn der Hilfebedarf pflegeversicherungsrechtlich berücksichtigungsfähig wäre (§ 37 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V; vgl dazu auch § 36 Abs 2 Halbsatz 2 SGB XI; Flint aaO Rn 117).
Der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendige Anordnungsgrund ist ebenfalls gegeben. Nach den glaubhaften Angaben des Antragstellers verfügt weder dieser noch dessen Mutter über ausreichende finanzielle Mittel, um die Kosten nächtlicher Hilfeleistungen durch einen Pflegedienst selbst zu bestreiten. Die Mutter des Antragstellers erhält für die Familie Leistungen nach dem SGB II.
Nach § 37 Abs 4 SGB V hat die Antragsgegnerin die häusliche Krankenpflege dem Antragsteller als Sachleistung zur Verfügung zu stellen (vgl Flint in Hauck/Noftz aaO, K § 37 Rn 143). Der Senat stellt klar, dass die Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller häusliche Krankenpflege während der Nachtzeiten zur Verfügung zu stellen, die Zeit zwischen 10.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens (einschließlich um 6.00 Uhr morgens notwendiger Tätigkeiten) umfasst. Nicht zur häuslichen Krankenpflege im Sinne des § 37 SGB V zählt im Falle der nächtlich gebotenen Nahrungsaufnahme die Aufforderung an den Antragsteller, Nahrung zu sich zu nehmen (zu dieser Notwendigkeit vgl das Gutachten der Pflegefachkraft S ). Diese Verrichtung lässt sich nicht unter das Tatbestandsmerkmal "Behandlungs"-Pflege iSd § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V subsumieren und ist vielmehr im Rahmen der Hilfe im Bereich der Ernährung (vgl § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI) pflegeversicherungsrechtlich berücksichtigungsfähig. Wenn sich für den Antragsteller die Notwendigkeit einer nächtlichen Nahrungsaufnahme ergibt, ist der von der Antragsgegnerin zu beauftragende Pflegedienst gehalten, die Mutter des Antragstellers jeweils hierauf aufmerksam zu machen, damit sie die Aufforderung des Antragstellers zur Nahrungsaufnahme sicherstellen kann.
Der Senat verpflichtet die Antragsgegnerin zur Gewährung der häuslichen Behandlungspflege ab dem 1.4.2014. Eine Verpflichtung zur Gewährung häuslicher Krankenpflege für die Vergangenheit scheidet schon deshalb aus, weil tatsächlich keine Behandlungspflege geleistet wurde. Der Senat geht davon aus, dass der Antragsgegnerin nach der Zustellung des vorliegenden Beschlusses genügend Zeit verbleiben wird, um die Behandlungspflege ab dem 1.4.2014 sicherzustellen. Die nach § 73 Abs 2 Satz 1 Nr 8 SGB V erforderliche ärztliche Verordnung der Behandlungspflege, welche (auch) die Zeit ab dem 1.4.2014 betrifft, hat der Antragsteller während des Beschwerdeverfahrens vorgelegt (Verordnung des Arztes Dr M vom 17.2.2014). Der Senat begrenzt die einstweilige Anordnung auf die Zeit bis zum 30.9.2014. Dabei trägt er insbesondere dem Umstand Rechnung, dass eine Besserung der Dyskalkulie des Antragstellers möglich erscheint (vgl Attest des Arztes A vom 7.6.2013).
Hinsichtlich häuslicher Krankenpflege außerhalb der Nachtzeiten hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg. Denn insoweit ist bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes ein Anspruch des Antrag-stellers nach § 37 Abs 3 SGB V ausgeschlossen, weil es dessen Mutter zumutbar ist, die insoweit anfallenden Verrichtungen selbst zu erledigen. Dafür ist entscheidend, dass die einzelne Blutzuckermessung und Insulininjektion in Anbetracht der Routine, über welche die Mutter des Antragstellers insoweit verfügt, nur wenig Zeit erfordert. Bei nach Angaben des Antragstellers insgesamt ca 8 täglichen Blutzuckermessungen (außerhalb der Nachtzeit) ist die Grenze der Zumutbarkeit für die Mutter des Antragstellers nicht überschritten.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim BSG angefochten werden (§ 177 SGG).
2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller ¾ der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe:
I.
Umstritten ist, ob die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, dem Antragsteller häusliche Behandlungspflege zu gewähren.
Der 2000 geborene Antragsteller, bei der Antragsgegnerin in der Familienversicherung krankenversichert, leidet an einem Diabetes mellitus Typ 1, einer Entwicklungsstörung aus dem autistischen Formenkreis im Sinne eines Asperger-Syndroms schwerer Prägung, einer Anpassungsstörung nach belastenden Lebensereignissen und einer Dyskalkulie (Rechenschwäche). Er bezieht Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I. Am 7.6.2013 verordnete ihm der Arzt für Allgemeinmedizin Adler häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 7.6. bis 7.12.2013 in Form von Behandlungspflege ("Berechnung der Insulindosis Unterstützung nach Bedarf"). In einem ärztlichen Attest vom 7.6.2013 führte der Arzt Adler aus: Die Insulintherapie setze eine genaue Berechnung der Dosis durch den Erkrankten voraus. Aufgrund seiner Dyskalkulie, die aktuell durch ein Rechenschwächeinstitut behandelt werde, sei dem Antragsteller diese Berechnung nicht möglich; hier könnten frühestens in einem Jahr Erfolge sichtbar werden. Die Mutter des Antragstellers bemühe sich ständig um eine optimale Versorgung, sei jedoch alleinerziehend und habe noch zwei weitere minderjährige behinderte Kinder zu betreuen. Auch die beiden im gleichen Haushalt lebenden Brüder des Antragstellers (M , geboren 2001; B , geboren 2004) leiden an einer autistischen Störung und erhalten von der zuständigen Pflegekasse Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung.
Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag des Antragstellers auf Gewährung häuslicher Krankenpflege mit Bescheid vom 25.7.2013 und Widerspruchsbescheid vom 23.10.2013 ab. Zur Begründung führte sie aus: Behandlungspflege stehe dem Versicherten nicht zu, wenn eine im Haushalt lebende Person den Kranken im erforderlichen Umfang pflegen und versorgen könne (Hinweis auf Bundessozialgericht – BSG – 17.3.2005 – B 3 KR 8/04 R, B 3 KR 9/04 R). Beim Antragsteller könnten die verordneten Leistungen zur Behandlungspflege von nahestehenden Personen in seinem Lebensumfeld erbracht werden, da es sich bei der Blutzuckermessung um eine Routinetätigkeit handele, die innerhalb weniger Minuten erledigt werden könne. Der Mutter des Antragstellers sei es zuzumuten, die Blutzuckermessungen eigenverantwortlich durchzuführen.
Am 6.11.2013 hat der Antragsteller Klage beim Sozialgericht (SG) Mainz erhoben (S 6 KR 594/13) und am 13.11.2013 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat er vorgetragen, seiner Mutter sei es insbesondere in Nachtzeiten nicht zumutbar, die notwendigen Kontrollen der Blutzuckermessungen und Insulininjektionen sicherzustellen, da sie völlig überfordert und am Ende ihrer Kräfte angelangt sei.
Durch Beschluss vom 20.12.2013 hat das SG Mainz den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Für den Zeitraum vom 7.6.2013 bis zur Antragstellung auf vorläufigen Rechtsschutz fehle es an dem erforderlichen Anordnungsanspruch, da es um einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum gehe. Für die Zeit ab dem 8.12.2013 sei ein Anordnungsanspruch nicht gegeben, weil keine ärztliche Verordnung für Behandlungspflege vorliege. Im Übrigen habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass es seiner Mutter nicht zumutbar sei, die Behandlungspflege zu übernehmen. Die Frage, ob die ärztlich verordneten Maßnahmen "Berechnung der Insulindosis, Unterstützung nach Bedarf" überhaupt im Rahmen der häuslichen Krankenpflege verordnungsfähig seien, müsse deshalb nicht geklärt werden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 14.1.2014 eingelegte Beschwerde des Antragstellers. Dieser hat den seiner Mutter erteilten Bescheid über Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 12.11.2013 vorgelegt. In einem vom Antragsteller dem Senat vorgelegten Attest vom 28.1.2014 hat der Facharzt für Allgemeinmedizin Adler ausgeführt: Die Mutter des Antragstellers sei im Zeitraum von Februar bis November 2013 bei ihm wiederholt wegen psychovegetativer Erschöpfungssituationen in ambulanter Behandlung gewesen. Ihr größtes Problem stelle die aktuelle Erkrankungslage des Antrag-stellers dar, der sich nicht selbständig versorgen könne. Es sei seiner Mutter nicht zumutbar, die Pflege allein zu übernehmen, sodass die Unterstützung seitens einer Pflegekraft erforderlich erscheine. Ferner hat der Antragsteller eine Verordnung über häusliche Krankenpflege des Arztes Dr. M vom 17.2.2014 vorgelegt. Darin heißt es, erforderlich sei "häusliche und insbesondere schulische Ver-sorgung". Als erforderliche Maßnahmen der Behandlungspflege sind angegeben: "Berechnung konkreter Insulindosis, Unterstützung bei Insulingabe und Insulinberechnung, insbesondere auch in der Schule". Der Senat hat die den Antragsteller und seine beiden Brüder betreffenden Akten der Pflegekasse beigezogen.
In dem Klageverfahren S 7 P 40/13, in dem der Antragsteller einen Antrag auf Zubilligung der Pflegestufe II nach dem Recht der sozialen Pflegeversicherung verfolgt, hat das SG Mainz ein Gutachten der Pflegefachkraft M. S vom Februar 2014 eingeholt, die ua ausgeführt hat: Der Diabetes des Antragstellers werde nach der intensivierten konventionellen Therapie behandelt. Diese Therapie bestehe aus der Kombination eines Langzeit- und eines Kurzzeitinsulins. Während das Langzeitinsulin zu festen Zeiten mit festen Einheiten verabreicht werde, werde das Kurzzeitinsulin direkt nach Bedarf eingesetzt. Der Antragsteller könne zwar seinen Blutzucker messen und mit Hilfe seines Taschenrechners den Insulinbedarf feststellen. Wegen seiner Dyskalkulie sei aber eine Kontrolle durch seine Mutter erforderlich. Der Antragsteller wehre sich, vor allem nachts, stark gegen eine notwendige Nahrungsaufnahme; seiner Mutter sei es nur mit viel Geduld und Zureden möglich, ihn zum Essen zu bewegen. Der pflegeversicherungsrechtlich relevante Hilfebedarf des Antragstellers im Bereich der Grundpflege betrage im Bereich der Ernährung kalendertäglich im Durchschnitt 47 Minuten (einschließlich diabetesbezogenem Bedarf 82 Minuten). Die Pflegekasse hatte zuvor ein Gutachten der Pflegefachkraft im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) K vom Januar 2013 eingeholt.
Die Antragsgegnerin hat sich mit Schreiben vom 21.2.2014 bereit erklärt, die Kosten der häuslichen Krankenpflege während des zukünftigen Schulbesuchs des Antragstellers im Rahmen der Vertragssätze zu übernehmen. Der Antragsteller hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und vorgetragen: Hinsichtlich der Behandlungspflege zu Hause gehe es vor allem um die nächtlichen Blutzuckerkontrollen und Insulininjektionen, zu deren Zweck seine Mutter einem die insoweit erforderliche Behandlungspflege durchführenden Pflegedienst einen Wohnungsschlüssel geben könne. Insgesamt seien bei ihm 10 bis 11 Blutzuckermessungen täglich (hiervon zwei bis drei nachts) notwendig. Die Häufigkeit sei unterschiedlich; wenn ein Unterzucker vorliege, müsse dieser überwacht werden. Der Antragsteller hat eine Aufstellung seiner Mutter über die regelmäßigen Zeitpunkte von Blutzuckermessungen und Insulininjektionen vorgelegt. Darin heißt es ua, diese Tätigkeiten fielen ua üblicherweise um 23 Uhr, um 2 Uhr und um 6 Uhr an.
Die Antragsgegnerin trägt vor: Häusliche Krankenpflege zur Kontrolle der Blutzuckermessungen und Insulininjektionen im häuslichen Umfeld habe sie dem Antragsteller nicht zu gewähren, da es dessen Mutter zumutbar sei, diese selbst sicherzustellen. Wenn der erhöhte Bedarf des Antragstellers wegen des Diabetes mellitus entsprechend dem Gutachten der Pflegesachverständigen S pflege-versicherungsrechtlich zu berücksichtigen sei, könne dieser nicht nochmals über die häusliche Krankenpflege "vergütet" werden.
II.
Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist insoweit begründet, als der Senat eine einstweilige Anordnung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang erlässt; der angefochtene Beschluss des SG ist insoweit abzuändern. Im Übrigen hat die Beschwerde des Antragstellers keinen Erfolg. Über Behandlungspflege während des zukünftigen Schulbesuchs des Antragstellers hat der Senat nicht zu entscheiden, nachdem die Antragsgegnerin insoweit ein Teilanerkenntnis abgegeben und der Antragsteller das Verfahren für erledigt erklärt hat.
Die Antragsgegnerin ist im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs 2 SGG) zu verpflichten, dem Antragsteller häusliche Behandlungshilfe für die nächtlichen Blutzuckermessungen und Insulininjektionen in der Zukunft – der Senat setzt als Beginn den 1.4.2014 fest – zu gewähren. Der Senat bejaht bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes einen darauf gerichteten Anspruch des Antragstellers. Versicherte erhalten nach § 37 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege ua in ihrem Haushalt, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Nach § 37 Abs 3 SGB V besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken nicht in dem erforderlichen Umfang pflegen und versorgen kann. Kann die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen oder besteht Grund, davon abzusehen, sind dem Versicherten gemäß § 37 Abs 4 SGB V die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten.
Zur Behandlungssicherungspflege im Sinne des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V gehören alle Pflegemaßnahmen, die nur durch bestimmte Krankheiten verursacht und erforderlich werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Heilberufe oder auch von Laien erbracht werden (Flint in Hauck/Noftz, SGB V, K § 37 Rn 103). Als Maßnahme der Behandlungspflege kommt auch die Hilfe bei der Blutzuckerkontrolle und Insulininjektion in Betracht (vgl Flint aaO Rn 107); dies gilt auch für notwendige Kontrollmaßnahmen, insbe-sondere bei Kindern. Dem Umstand, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen der Nr 11 des Verzeichnisses verordnungsfähiger Maßnahmen gemäß der Anlage zur Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 SGB V nicht erfüllt sind, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Nach den Vorbemerkungen dieser Anlage enthält das Verzeichnis Empfehlungen für den Regelfall, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann, wobei Abweichungen ua aufgrund der individuellen Fähigkeiten des Versicherten notwendig sein können. Die fehlenden eigenen Fähigkeiten des Antragstellers zur Messung des Blutzuckerspiegels einschließlich der Berechnung der notwendigen Insulindosis sowie zur Durchführung der Insulininjektionen ohne Kontrolle durch eine andere Person erfordern es bei ihm, abweichend vom Regelfall, ihm Behandlungspflege für die insoweit in der Nachtzeit notwendigen Verrichtungen zur Verfügung zu stellen. Der Antragsteller ist wegen seines Autismus und seiner Dyskalkulie nicht in der Lage, ohne Unterstützung und Kontrolle durch einen anderen die Messungen des Blutzuckerspiegels einschließlich der Feststellung der Insulindosis sowie die Insulininjektionen durchzuführen. Zwar kann er nach dem Gutachten (Seite 12) der Pflegesachverständigen S den Blutzuckerspiegel messen und mit Hilfe seines Taschenrechners anhand des angezeigten Werts die notwendige Insulindosis ausrechnen. Wegen seiner Dyskalkulie (Rechenschwäche) ist jedoch eine Kontrolle durch eine andere Person notwendig, wie aus dem Gutachten der Pflegefachkraft S hervorgeht. Wegen seiner Verhaltensstörungen ist auch eine Beaufsichtigung bei den Insulininjektionen erforderlich (vgl Seite 5, 8 des Gutachtens der Pflegefachkraft im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung – MDK – K vom 22.1.2013).
Der Senat geht bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes davon aus, dass der Mutter des Antragstellers die erforderlichen Hilfeleistungen in der Nachtzeit nicht zumutbar sind. Nach dem Attest des Arztes Adler vom Januar 2014 treten bei ihr wiederholt psychovegetative Erschöpfungssituationen auf. Es ist glaubhaft, dass sie durch die täglich erforderliche Pflege ihrer drei autistischen Kinder, deren Pflegebedarf sich insbesondere aus den beigezogenen Pflege-versicherungsakten ergibt, körperlich und seelisch so belastet ist, dass ihr die nächtlichen Tätigkeiten abgenommen werden müssen, damit wenigstens, soweit möglich, ihre Nachtruhe gewährleistet ist. Um die Sicherstellung dieser Verrichtungen durch einen Pflegedienst – in Betracht kommt hierbei nach den Angaben des Antragstellers insbesondere der Pflegedienst mit Geschäftsstelle gegenüber der Wohnung der Familie – zu gewährleisten, kann die Mutter des Antragstellers der Person, welche die Behandlungspflege übernimmt, einen Wohnungsschlüssel zur Verfügung stellen. Die Gewährung der häuslichen Krankenpflege durch die Antragsgegnerin verstößt wegen der Erforderlichkeit der Leistungen nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB V.
Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin geltend, wenn der erhöhte Bedarf des Antragstellers wegen des Diabetes mellitus pflegeversicherungsrechtlich zu berücksichtigen sei, könne er nicht nochmals über die häusliche Krankenpflege "vergütet" werden. Die Hilfe bei der Kontrolle der Blutzuckermessungen und der Feststellung des Insulinbedarfs sowie bei den Insulininjektionen fällt nicht in die Zuständigkeit der sozialen Pflegeversicherung. Zwar sind nach § 15 Abs 3 Satz 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) pflegeversicherungsrechtlich bei der Feststellung des Zeitaufwandes des Versicherten im Bereich der Grundpflege verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zu berücksichtigen. Die vorliegend in Rede stehenden Maßnahmen sind jedoch keine verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen. Solche sind nach § 15 Abs 3 Satz 3 SGB XI Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung nach § 14 Abs 4 SGB XI ist oder mit einer solchen Verrichtung notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht. An diesen Voraussetzungen fehlt es bei der Blutzuckermessung einschließlich der Feststellung der notwendigen Insulindosis sowie bei den Insulininjektionen (BSG 28.5.2003 B 3 P 6/02 R, juris Rn 18; Landessozialgericht – LSG – Schleswig-Holstein 1.3.2013 – L 10 P 4/11, juris Rn 33). Unabhängig davon wäre die Krankenkasse im Falle einer verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahme auch dann zur Gewährung von Behandlungspflege verpflichtet, wenn der Hilfebedarf pflegeversicherungsrechtlich berücksichtigungsfähig wäre (§ 37 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V; vgl dazu auch § 36 Abs 2 Halbsatz 2 SGB XI; Flint aaO Rn 117).
Der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendige Anordnungsgrund ist ebenfalls gegeben. Nach den glaubhaften Angaben des Antragstellers verfügt weder dieser noch dessen Mutter über ausreichende finanzielle Mittel, um die Kosten nächtlicher Hilfeleistungen durch einen Pflegedienst selbst zu bestreiten. Die Mutter des Antragstellers erhält für die Familie Leistungen nach dem SGB II.
Nach § 37 Abs 4 SGB V hat die Antragsgegnerin die häusliche Krankenpflege dem Antragsteller als Sachleistung zur Verfügung zu stellen (vgl Flint in Hauck/Noftz aaO, K § 37 Rn 143). Der Senat stellt klar, dass die Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller häusliche Krankenpflege während der Nachtzeiten zur Verfügung zu stellen, die Zeit zwischen 10.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens (einschließlich um 6.00 Uhr morgens notwendiger Tätigkeiten) umfasst. Nicht zur häuslichen Krankenpflege im Sinne des § 37 SGB V zählt im Falle der nächtlich gebotenen Nahrungsaufnahme die Aufforderung an den Antragsteller, Nahrung zu sich zu nehmen (zu dieser Notwendigkeit vgl das Gutachten der Pflegefachkraft S ). Diese Verrichtung lässt sich nicht unter das Tatbestandsmerkmal "Behandlungs"-Pflege iSd § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V subsumieren und ist vielmehr im Rahmen der Hilfe im Bereich der Ernährung (vgl § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI) pflegeversicherungsrechtlich berücksichtigungsfähig. Wenn sich für den Antragsteller die Notwendigkeit einer nächtlichen Nahrungsaufnahme ergibt, ist der von der Antragsgegnerin zu beauftragende Pflegedienst gehalten, die Mutter des Antragstellers jeweils hierauf aufmerksam zu machen, damit sie die Aufforderung des Antragstellers zur Nahrungsaufnahme sicherstellen kann.
Der Senat verpflichtet die Antragsgegnerin zur Gewährung der häuslichen Behandlungspflege ab dem 1.4.2014. Eine Verpflichtung zur Gewährung häuslicher Krankenpflege für die Vergangenheit scheidet schon deshalb aus, weil tatsächlich keine Behandlungspflege geleistet wurde. Der Senat geht davon aus, dass der Antragsgegnerin nach der Zustellung des vorliegenden Beschlusses genügend Zeit verbleiben wird, um die Behandlungspflege ab dem 1.4.2014 sicherzustellen. Die nach § 73 Abs 2 Satz 1 Nr 8 SGB V erforderliche ärztliche Verordnung der Behandlungspflege, welche (auch) die Zeit ab dem 1.4.2014 betrifft, hat der Antragsteller während des Beschwerdeverfahrens vorgelegt (Verordnung des Arztes Dr M vom 17.2.2014). Der Senat begrenzt die einstweilige Anordnung auf die Zeit bis zum 30.9.2014. Dabei trägt er insbesondere dem Umstand Rechnung, dass eine Besserung der Dyskalkulie des Antragstellers möglich erscheint (vgl Attest des Arztes A vom 7.6.2013).
Hinsichtlich häuslicher Krankenpflege außerhalb der Nachtzeiten hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg. Denn insoweit ist bei summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes ein Anspruch des Antrag-stellers nach § 37 Abs 3 SGB V ausgeschlossen, weil es dessen Mutter zumutbar ist, die insoweit anfallenden Verrichtungen selbst zu erledigen. Dafür ist entscheidend, dass die einzelne Blutzuckermessung und Insulininjektion in Anbetracht der Routine, über welche die Mutter des Antragstellers insoweit verfügt, nur wenig Zeit erfordert. Bei nach Angaben des Antragstellers insgesamt ca 8 täglichen Blutzuckermessungen (außerhalb der Nachtzeit) ist die Grenze der Zumutbarkeit für die Mutter des Antragstellers nicht überschritten.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim BSG angefochten werden (§ 177 SGG).
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