Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AS 2525/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 33/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Aufforderung des Antrags- und Beschwerdegegners (im Folgenden: Antragsgegner), vorzeitig einen Altersrentenantrag zu stellen.
Die am ... 1952 geborene Antragstellerin bezieht mit ihrem Ehemann G. G. als Bedarfsgemeinschaft vom Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit vorläufigem Bescheid vom 13. Juli 2015 bewilligte er für die Bedarfsgemeinschaft monatliche Leistungen von insgesamt 727,86 EUR und für die Antragstellerin 363,93 EUR für den Zeitraum vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016. Mit Änderungsbescheid vom 28. Oktober 2015 erhöhte der Antragsgegner für Januar 2016 den Betrag auf 737,54 EUR. Für die Zeit vom 15. Juni bis 30. September 2015 schlossen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung. Hiernach sollte die Antragstellerin ab Anfang Oktober 2015 beim zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf Altersrente stellen. Im Schreiben vom 27. Juli 2015 rügte die Antragstellerin diese Verpflichtung und machte geltend: Sie sei vom Antragsgegner nicht darüber aufgeklärt worden, welche Folgen eine vorgezogene Altersrente für sie habe. Der Antragsgegner müsse Ermessenserwägungen anstellen und beachten, dass beim 14. Senat des BSG zu § 12a SGB II zwei Verfahren anhängig seien (B 14 AS 1/15 R und B 14 AS 3/15).
Am 5. Oktober 2015 teilte die Antragstellerin mit, dass sie seit dem 1. August 2015 geringfügig beschäftigt sei und für 12 Stunden im Monat 102,00 EUR Lohn erhalte. Mit Schreiben vom 16. September 2015 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, eine aktuelle Rentenauskunft vorzulegen. Am 26. Oktober 2015 ging beim Antragsgegner eine Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung vom 7. August 2015 ein. Hiernach würde eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 7. August 2015 662,46 EUR und die Regelaltersrente am 1. Juli 2018 670,52 EUR betragen. Bei einem frühestmöglichen Rentenbeginn am 1. Januar 2016 mindere sich die Rente um 9,0 %. Bezüglich der Zeiten vom 1. Januar bis 31. Dezember 2011 bestehe hinsichtlich des Rentenkontos noch Klärungsbedarf. In einer weiteren Rentenauskunft vom 24. September 2015 erklärte die Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland: Zum 1. Juli 2018 betrage die Regelaltersrente der Antragstellerin 673,86 EUR. Der Krankenkassenbeitrag betrage dabei 49,19 EUR (= 14,6 %) und der Beitrag für die Pflegeversicherung 5,84 EUR (= 2,35 %). Frühester Rentenbeginn wäre der 1. Januar 2016, was zu einer Rentenminderung von 9 % führen würde. Die Versicherungszeit des Jahres 2011 sei immer noch ungeklärt.
Mit Anhörungsschreiben vom 28. Oktober 2015, dessen Zugang die Antragstellerin bestreitet, gab der Antragsgegner der Antragstellerin Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Aufforderung nach § 12a SGB II. Mit Bescheid vom 16. November 2015 forderte er die Antragstellerin auf, umgehend einen entsprechenden Rentenantrag zu stellen, und führte zur Begründung aus: Die Antragstellerin falle nicht unter die Sonderregelung des § 65 Abs. 4 SGB II, da sie nicht vor dem 1. Januar 2008 das 58. Lebensjahr vollendet habe. Die Ausnahmen nach der Unbilligkeitsverordnung seien nicht gegeben. Die Antragstellerin habe ihre letzte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Dezember 1995 gehabt. Eine Teilnahme an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme des zweiten Arbeitsmarktes sei im Jahr 2011 aus gesundheitlichen Gründen gescheitert. Nach der Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland hätte die Antragstellerin bei Erreichen der Regelaltersrente am 1. Juli 2018 eine monatliche Rente von 673,86 EUR zu erwarten. Hiervon seien der Beitrag für die Krankenversicherung in Höhe von 49,19 EUR sowie der der Pflegeversicherung von 15,84 EUR abzuziehen, was 608,83 EUR ergebe. Dieser Rentenanspruch liege deutlich über dem monatlichen Leistungsanspruch von 364,68 EUR. Bei vorzeitiger Inanspruchnahme des Rentenanspruchs ab 1. Januar 2016 käme es zu einer Minderung von 9 %. Der geminderte Rentenanspruch würde die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin beenden.
Dagegen legte die Antragstellerin am 11. Dezember 2015 Widerspruch ein, nahm am 15. Dezember 2015 vorläufigen Rechtsschutz beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) in Anspruch und hat zur Begründung ausgeführt: Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs sei anzuordnen. Es bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides. Der Bescheid sei bereits wegen der fehlenden Anhörung rechtswidrig. Auch habe der Antragsgegner sein Ermessen nicht hinreichend ausgeübt. Hierbei müssten alle Umstände des Einzelfalls beachtet werden. Die Rentenbeitragszeiten des Jahres 2011 seien noch ungeklärt. Hieraus könnten sich Änderungen der vorgezogenen Rente ergeben. Tatsachen, warum die Integration auf dem Arbeitsmarkt gescheitert sei, habe der Antragsgegner nicht mitgeteilt. Aus dem Bescheid ergäben sich keine Hinweise auf den beruflichen Werdegang, die Beschäftigungszeiten sowie die bisher absolvierten Eingliederungsmaßnahmen. Auch seit wann die Antragstellerin im Leistungsbezug stehe, werde nicht näher beschrieben. Die Antragstellerin gehe seit dem 1. August 2015 einer geringfügigen Beschäftigung nach. Dies werde für die Rentenberechnung sowie die Mindestversicherungszeiten berücksichtigt. Die Aufforderung, einen Rentenantrag zu stellen, sei auch verfassungswidrig. Die Rechtsfragen hätten grundsätzliche Bedeutung. Derzeit seien beim Bundessozialgericht zur Frage des § 12a SGB II zwei Verfahren rechtshängig.
Der Antragsgegner hat demgegenüber ausgeführt: Die verlangte vorzeitige Rentenantragsstellung sei rechtmäßig. Die Antragstellerin sei mit Schreiben vom 28. Oktober 2015 angehört worden. Sie habe ihr 58. Lebensjahr erst im Jahr 2010 vollendet, so dass die sog. 58er-Regelung keine Anwendung finde. Die Sonderfälle der Unbilligkeitsverordnung lägen nicht vor. Insbesondere habe die Antragstellerin keinen Anspruch auf eine baldige abschlagsfreie Altersrente. Die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente sei auch nicht mit außergewöhnlichen Nachteilen verbunden. Das weitere Anhörungsschreiben vom 17. Dezember 2015 sei beigefügt und solle vom Gericht an die Antragstellerin zugestellt werden.
Mit Beschluss vom 28. Dezember 2015 hat das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestünden nicht. Ein Fall der Unbilligkeitsverordnung sei nicht gegeben. Ein möglicher Anhörungsfehler sei unbeachtlich, da die erforderliche Anhörung nachgeholt werden könne. Ein atypischer Fall im Sinne der Unbilligkeitsverordnung sei auch nicht erkennbar.
Gegen den ihr am 8. Januar 2016 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 13. Januar 2015 Beschwerde eingelegt. Zu deren Begründung hat sie vorgetragen: Zum erstmals zugestellten Anhörungsschreiben vom 17. Dezember 2015 habe sie am 1. Januar 2016 Stellung genommen. Der Anhörungsmangel wirke noch bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch fort. Von daher könne sich die Antragstellerin immer noch auf die fehlende Anhörung berufen. Im Übrigen hat die Antragstellerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Die Antragstellerin beantragt schriftlich sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 28. Dezember 2015 aufzuheben, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16. November 2015 anzuordnen und dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, für sie beim zuständigen Rentenversicherungsträger die vorzeitige Altersrente zu beantragen.
Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Ausführungen im angegriffenen Beschluss.
Nach einem gerichtlichen Hinweis vom 3. Februar 2016 über einen möglicherweise noch fortwirkenden Anhörungsmangel aufgrund des noch schwebenden Widerspruchsverfahrens hat der Antragsgegner einen an die Antragstellerin gerichteten Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2016 vorgelegt. Darin führt er u.a. aus: Nach der Unbilligkeitsverordnung führe die Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nur dann zur Unbilligkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente, wenn die Beschäftigung den überwiegenden Teil der Arbeitskraft in Anspruch nehme. Dies sei bei monatlich zwölf Arbeitsstunden gerade nicht der Fall. Ermessensgesichtspunkte, die einen atypischen Fall mit einer besonderen Härte im Einzelfall begründen könnten, seien weder erkennbar noch von der Antragstellerin vorgetragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen waren Gegenstand der Beratung des Senats.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG ist zulässig iSv § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 iVm § 144 Abs. 1 SGG greift nicht, weil der angegriffene Bescheid des Antragsgegners keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft. Zudem handelt es sich nicht um einen Erstattungsstreit iSv § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht den Antrag der Antragstellerin abgelehnt. Sie hat keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16. November 2015 eingelegten Widerspruchs. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Vorliegend hat der Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners mit der Aufforderung zur vorzeitigen Beantragung der Altersrente gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG iVm § 39 Abs. 1 Nr. 3 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Die Voraussetzungen für deren Anordnung liegen nicht vor, denn es bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids.
Im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug grundsätzlich dem Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung eingeräumt hat. Bei der Abwägung sind neben den Folgen der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids vom 16. November 2015 mehr, sodass das private Interesse der Antragstellerin an der Außervollzugsetzung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht überwiegt.
Der von der Antragstellerin gerügte Anhörungsmangel ist durch das nachgeholte Anhörungsschreiben vom 17. Dezember 2015 sowie den Erlass des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2016 geheilt worden. Gemäß § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte des Betroffenen eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu dem für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Möglichkeit hat der Antragsgegner der Antragstellerin nach deren Vorbringen nicht eingeräumt; jedenfalls konnte er den Zugang des Anhörungsschreibens vom 28. Oktober 2015 nicht beweisen. Zwar kann der Bescheid durch Nachholen der gescheiterten Anhörung geheilt werden – hier durch das Anhörungsschreiben vom 17. Dezember 2015 und die Durchführung des Widerspruchsverfahrens. Indes wird der Bescheid vom 16. November 2015 dadurch nicht rückwirkend rechtmäßig. Der formelle Fehler wirkt sich lediglich im sich ggf. anschließenden Klageverfahren nicht mehr aus (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 1979, Az. 3 RK 35/77, SozR 1200 § 34 Nr. 7). Der Bescheid ist dann so anzusehen, als sei er von Anfang an mangelfrei gewesen (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Solange jedoch über den Widerspruch noch nicht entschieden worden ist, kann sich der Betroffene auf die fehlende Anhörung berufen. Mit Zugang des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2016 ist daher der berechtigte formelle Einwand eines Anhörungsfehlers von Seiten der Antragstellerin weggefallen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5. Juni 2015, L 4 AS 237/15 B ER, juris).
Der Bescheid vom 16. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2016 ist nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Gemäß § 12a Satz 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Nach Satz 2 der Vorschrift sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet, vor Vollendung des 63. Lebensjahrs eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II können die Leistungsträger, wenn die Leistungsberechtigten trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellen, den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Damit beinhaltet § 12a Satz 1 SGB II eine Konkretisierung von § 3 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Danach werden SGB II-Leistungen nur erbracht, soweit die Bedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann. Nach § 2 Abs. 1 SGB II müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II ausschöpfen. Nach § 2 Abs. 2 SGB II haben sie in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Dazu gehört auch die Inanspruchnahme von im Laufe des Erwerbslebens erarbeiteten Rentenversicherungsanwartschaften. Nach Vollendung des 63. Lebensjahres muss die Rente ausnahmsweise nur dann nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden, wenn dies eine "Unbilligkeit" im Sinne der Unbilligkeitsverordnung darstellt. Hiernach ist die Verpflichtung zur Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahrs der Grundsatz und die Freistellung von dieser Pflicht wegen Unbilligkeit die Ausnahme. Die Antragstellerin hat bereits am 1. Januar 2016 ihr 63. Lebensjahr vollendet und ist grundsätzlich zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente verpflichtet.
Der Antragsgegner hat im angegriffenen Aufforderungsbescheid das ihm eingeräumte Ermessen erkannt und zutreffend ausgeübt, insbesondere hat er umfangreiche und zutreffende Erwägungen angestellt. Er hat insbesondere den Bedarf der Antragstellerin sowie die voraussichtliche Höhe der Altersrente bei regulärer und bei vorzeitiger Inanspruchnahme ermittelt und ausgehend von diesen Werten – unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls – entschieden, dass die Aufforderung im Fall der Antragstellerin nicht unbillig ist.
Die Ausnahmetatbestände der Unbilligkeitsverordnung (§§ 1 bis 5) greifen nicht ein. Insbesondere ist die Prognoseentscheidung des Antragsgegners hinsichtlich der Vermittlungsmöglichkeiten der Antragstellerin in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht zu beanstanden. Hierfür genügt es, auf die letztmalige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Jahr 1995 und die im Jahr 2011 gescheiterte Wiedereingliederungsmaßnahme hinzuweisen. Eine über die in der Unbilligkeitsverordnung genannten Sachverhalte hinausgehende Unbilligkeit hat der Antragsgegner zu Recht verneint. Selbst bei vorzeitiger und um 9 % geminderter Rente liegt das voraussichtliche Renteneinkommen der Antragstellerin deutlich oberhalb des jetzigen SGB II-Leistungsanspruchs. Die geringfügige Beschäftigung von monatlich 12 Stunden rechtfertigt es auch nicht, von einer unbilligen Härte der Antragstellerin auszugehen. Auch das für 2011 ungeklärte Rentenkonto rechtfertigt keine andere Bewertung. Schließlich könnten sich weitere mögliche Rentenanwartschaftspunkte für diese Zeit nur rentenerhöhend auswirken.
Schließlich ist mit der Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung auch keine Verletzung verfassungsrechtlich geschützter Rechte verbunden. Nach der dem zugrunde liegenden gesetzlichen Systematik ist die Einschränkung des Dispositionsrechts der Antragstellerin, den Zeitpunkt ihrer Rentenantragstellung frei zu wählen, verfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigt und stellt mithin keinen unzulässigen Eingriff in ihre allgemeine Handlungsfreiheit dar. Insoweit ist der gesetzlich normierte Grundsatz der Nachrangigkeit von Sozialleistungen und die Obliegenheit zur Selbsthilfe nach den §§ 3 Abs. 1, 5, 7 Abs. 1 Nr. 3, 9 SGB II die konkrete Rechtfertigung des Eingriffs. Dies entspricht auch der aktuellen Rechtsprechung des BSG in dem Urteil vom 19. August 2015, B 14 AS 1/15 R, juris.
Auch wenn das Anwartschaftsrecht auf eine Altersrente eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Vermögenswerte Rechtsposition ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Juli 1985, 1 BvR 5/80, juris), hat die Antragstellerin als Bezieherin von Sozialleistungen die Verpflichtung, vorrangig ihr Vermögen zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts einzusetzen. Insoweit sind ihre Rentenanwartschaften Vermögenswerte, die sie durch den (vorzeitigen) Rentenantrag aktivieren kann. Das Eigentumsrecht ist jedoch nicht verletzt, wenn grundsicherungsrechtlich eine Verwertung von Vermögensgegenständen gefordert wird (vgl. zur Verwertung eines Lebensversicherungsguthabens: BSG, Urteil vom 11. Dezember 2013, Az.: B 4 AS 29/12 R, juris). Insoweit gebietet es das der Grundsicherung immanente Prinzip der Subsidiarität, zunächst Eigenmittel in Anspruch zu nehmen. Diese Verpflichtung gehört zu den verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Grundsätzen bei der Inanspruchnahme von steuerfinanzierten Transferleistungen, die vom BVerfG im Hinblick auf den weiten Spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen gebilligt worden sind (BVerfG, Beschluss vom 8. November 2011, 1 BvR 2007/11, juris). Dem entsprechend stellt auch die bei einem vorzeitigen Altersrentenbeginn wegfallende Möglichkeit, Altersrentenanwartschaften noch zu erhöhen, keinen Verstoß gegen Art. 14 GG dar. Es handelt sich um eine zulässige Schrankenbestimmung, die dem Gemeinwohl dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009, B 14 AS 64/08 R, juris).
Da nach den vorstehenden Ausführungen der angegriffene Aufforderungsbescheid aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist, besteht auch kein Grund, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, anstelle der Antragstellerin den geforderten Antrag zu Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente bei der DRV zu stellen, soweit diese auch nach der Zugang des Beschlusses des Senats der Aufforderung nicht nachkommt.
Die Beschwerde der Antragstellerin war daher insgesamt zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Aufforderung des Antrags- und Beschwerdegegners (im Folgenden: Antragsgegner), vorzeitig einen Altersrentenantrag zu stellen.
Die am ... 1952 geborene Antragstellerin bezieht mit ihrem Ehemann G. G. als Bedarfsgemeinschaft vom Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit vorläufigem Bescheid vom 13. Juli 2015 bewilligte er für die Bedarfsgemeinschaft monatliche Leistungen von insgesamt 727,86 EUR und für die Antragstellerin 363,93 EUR für den Zeitraum vom 1. August 2015 bis 31. Januar 2016. Mit Änderungsbescheid vom 28. Oktober 2015 erhöhte der Antragsgegner für Januar 2016 den Betrag auf 737,54 EUR. Für die Zeit vom 15. Juni bis 30. September 2015 schlossen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung. Hiernach sollte die Antragstellerin ab Anfang Oktober 2015 beim zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf Altersrente stellen. Im Schreiben vom 27. Juli 2015 rügte die Antragstellerin diese Verpflichtung und machte geltend: Sie sei vom Antragsgegner nicht darüber aufgeklärt worden, welche Folgen eine vorgezogene Altersrente für sie habe. Der Antragsgegner müsse Ermessenserwägungen anstellen und beachten, dass beim 14. Senat des BSG zu § 12a SGB II zwei Verfahren anhängig seien (B 14 AS 1/15 R und B 14 AS 3/15).
Am 5. Oktober 2015 teilte die Antragstellerin mit, dass sie seit dem 1. August 2015 geringfügig beschäftigt sei und für 12 Stunden im Monat 102,00 EUR Lohn erhalte. Mit Schreiben vom 16. September 2015 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, eine aktuelle Rentenauskunft vorzulegen. Am 26. Oktober 2015 ging beim Antragsgegner eine Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung vom 7. August 2015 ein. Hiernach würde eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 7. August 2015 662,46 EUR und die Regelaltersrente am 1. Juli 2018 670,52 EUR betragen. Bei einem frühestmöglichen Rentenbeginn am 1. Januar 2016 mindere sich die Rente um 9,0 %. Bezüglich der Zeiten vom 1. Januar bis 31. Dezember 2011 bestehe hinsichtlich des Rentenkontos noch Klärungsbedarf. In einer weiteren Rentenauskunft vom 24. September 2015 erklärte die Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland: Zum 1. Juli 2018 betrage die Regelaltersrente der Antragstellerin 673,86 EUR. Der Krankenkassenbeitrag betrage dabei 49,19 EUR (= 14,6 %) und der Beitrag für die Pflegeversicherung 5,84 EUR (= 2,35 %). Frühester Rentenbeginn wäre der 1. Januar 2016, was zu einer Rentenminderung von 9 % führen würde. Die Versicherungszeit des Jahres 2011 sei immer noch ungeklärt.
Mit Anhörungsschreiben vom 28. Oktober 2015, dessen Zugang die Antragstellerin bestreitet, gab der Antragsgegner der Antragstellerin Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Aufforderung nach § 12a SGB II. Mit Bescheid vom 16. November 2015 forderte er die Antragstellerin auf, umgehend einen entsprechenden Rentenantrag zu stellen, und führte zur Begründung aus: Die Antragstellerin falle nicht unter die Sonderregelung des § 65 Abs. 4 SGB II, da sie nicht vor dem 1. Januar 2008 das 58. Lebensjahr vollendet habe. Die Ausnahmen nach der Unbilligkeitsverordnung seien nicht gegeben. Die Antragstellerin habe ihre letzte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Dezember 1995 gehabt. Eine Teilnahme an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme des zweiten Arbeitsmarktes sei im Jahr 2011 aus gesundheitlichen Gründen gescheitert. Nach der Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland hätte die Antragstellerin bei Erreichen der Regelaltersrente am 1. Juli 2018 eine monatliche Rente von 673,86 EUR zu erwarten. Hiervon seien der Beitrag für die Krankenversicherung in Höhe von 49,19 EUR sowie der der Pflegeversicherung von 15,84 EUR abzuziehen, was 608,83 EUR ergebe. Dieser Rentenanspruch liege deutlich über dem monatlichen Leistungsanspruch von 364,68 EUR. Bei vorzeitiger Inanspruchnahme des Rentenanspruchs ab 1. Januar 2016 käme es zu einer Minderung von 9 %. Der geminderte Rentenanspruch würde die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin beenden.
Dagegen legte die Antragstellerin am 11. Dezember 2015 Widerspruch ein, nahm am 15. Dezember 2015 vorläufigen Rechtsschutz beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) in Anspruch und hat zur Begründung ausgeführt: Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs sei anzuordnen. Es bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides. Der Bescheid sei bereits wegen der fehlenden Anhörung rechtswidrig. Auch habe der Antragsgegner sein Ermessen nicht hinreichend ausgeübt. Hierbei müssten alle Umstände des Einzelfalls beachtet werden. Die Rentenbeitragszeiten des Jahres 2011 seien noch ungeklärt. Hieraus könnten sich Änderungen der vorgezogenen Rente ergeben. Tatsachen, warum die Integration auf dem Arbeitsmarkt gescheitert sei, habe der Antragsgegner nicht mitgeteilt. Aus dem Bescheid ergäben sich keine Hinweise auf den beruflichen Werdegang, die Beschäftigungszeiten sowie die bisher absolvierten Eingliederungsmaßnahmen. Auch seit wann die Antragstellerin im Leistungsbezug stehe, werde nicht näher beschrieben. Die Antragstellerin gehe seit dem 1. August 2015 einer geringfügigen Beschäftigung nach. Dies werde für die Rentenberechnung sowie die Mindestversicherungszeiten berücksichtigt. Die Aufforderung, einen Rentenantrag zu stellen, sei auch verfassungswidrig. Die Rechtsfragen hätten grundsätzliche Bedeutung. Derzeit seien beim Bundessozialgericht zur Frage des § 12a SGB II zwei Verfahren rechtshängig.
Der Antragsgegner hat demgegenüber ausgeführt: Die verlangte vorzeitige Rentenantragsstellung sei rechtmäßig. Die Antragstellerin sei mit Schreiben vom 28. Oktober 2015 angehört worden. Sie habe ihr 58. Lebensjahr erst im Jahr 2010 vollendet, so dass die sog. 58er-Regelung keine Anwendung finde. Die Sonderfälle der Unbilligkeitsverordnung lägen nicht vor. Insbesondere habe die Antragstellerin keinen Anspruch auf eine baldige abschlagsfreie Altersrente. Die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente sei auch nicht mit außergewöhnlichen Nachteilen verbunden. Das weitere Anhörungsschreiben vom 17. Dezember 2015 sei beigefügt und solle vom Gericht an die Antragstellerin zugestellt werden.
Mit Beschluss vom 28. Dezember 2015 hat das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestünden nicht. Ein Fall der Unbilligkeitsverordnung sei nicht gegeben. Ein möglicher Anhörungsfehler sei unbeachtlich, da die erforderliche Anhörung nachgeholt werden könne. Ein atypischer Fall im Sinne der Unbilligkeitsverordnung sei auch nicht erkennbar.
Gegen den ihr am 8. Januar 2016 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 13. Januar 2015 Beschwerde eingelegt. Zu deren Begründung hat sie vorgetragen: Zum erstmals zugestellten Anhörungsschreiben vom 17. Dezember 2015 habe sie am 1. Januar 2016 Stellung genommen. Der Anhörungsmangel wirke noch bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch fort. Von daher könne sich die Antragstellerin immer noch auf die fehlende Anhörung berufen. Im Übrigen hat die Antragstellerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Die Antragstellerin beantragt schriftlich sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 28. Dezember 2015 aufzuheben, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16. November 2015 anzuordnen und dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, für sie beim zuständigen Rentenversicherungsträger die vorzeitige Altersrente zu beantragen.
Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Ausführungen im angegriffenen Beschluss.
Nach einem gerichtlichen Hinweis vom 3. Februar 2016 über einen möglicherweise noch fortwirkenden Anhörungsmangel aufgrund des noch schwebenden Widerspruchsverfahrens hat der Antragsgegner einen an die Antragstellerin gerichteten Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2016 vorgelegt. Darin führt er u.a. aus: Nach der Unbilligkeitsverordnung führe die Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nur dann zur Unbilligkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente, wenn die Beschäftigung den überwiegenden Teil der Arbeitskraft in Anspruch nehme. Dies sei bei monatlich zwölf Arbeitsstunden gerade nicht der Fall. Ermessensgesichtspunkte, die einen atypischen Fall mit einer besonderen Härte im Einzelfall begründen könnten, seien weder erkennbar noch von der Antragstellerin vorgetragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen waren Gegenstand der Beratung des Senats.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG ist zulässig iSv § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 iVm § 144 Abs. 1 SGG greift nicht, weil der angegriffene Bescheid des Antragsgegners keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft. Zudem handelt es sich nicht um einen Erstattungsstreit iSv § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht den Antrag der Antragstellerin abgelehnt. Sie hat keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16. November 2015 eingelegten Widerspruchs. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Vorliegend hat der Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners mit der Aufforderung zur vorzeitigen Beantragung der Altersrente gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG iVm § 39 Abs. 1 Nr. 3 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Die Voraussetzungen für deren Anordnung liegen nicht vor, denn es bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids.
Im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug grundsätzlich dem Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung eingeräumt hat. Bei der Abwägung sind neben den Folgen der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids vom 16. November 2015 mehr, sodass das private Interesse der Antragstellerin an der Außervollzugsetzung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht überwiegt.
Der von der Antragstellerin gerügte Anhörungsmangel ist durch das nachgeholte Anhörungsschreiben vom 17. Dezember 2015 sowie den Erlass des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2016 geheilt worden. Gemäß § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte des Betroffenen eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu dem für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Möglichkeit hat der Antragsgegner der Antragstellerin nach deren Vorbringen nicht eingeräumt; jedenfalls konnte er den Zugang des Anhörungsschreibens vom 28. Oktober 2015 nicht beweisen. Zwar kann der Bescheid durch Nachholen der gescheiterten Anhörung geheilt werden – hier durch das Anhörungsschreiben vom 17. Dezember 2015 und die Durchführung des Widerspruchsverfahrens. Indes wird der Bescheid vom 16. November 2015 dadurch nicht rückwirkend rechtmäßig. Der formelle Fehler wirkt sich lediglich im sich ggf. anschließenden Klageverfahren nicht mehr aus (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 1979, Az. 3 RK 35/77, SozR 1200 § 34 Nr. 7). Der Bescheid ist dann so anzusehen, als sei er von Anfang an mangelfrei gewesen (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Solange jedoch über den Widerspruch noch nicht entschieden worden ist, kann sich der Betroffene auf die fehlende Anhörung berufen. Mit Zugang des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2016 ist daher der berechtigte formelle Einwand eines Anhörungsfehlers von Seiten der Antragstellerin weggefallen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5. Juni 2015, L 4 AS 237/15 B ER, juris).
Der Bescheid vom 16. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2016 ist nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Gemäß § 12a Satz 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Nach Satz 2 der Vorschrift sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet, vor Vollendung des 63. Lebensjahrs eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II können die Leistungsträger, wenn die Leistungsberechtigten trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellen, den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Damit beinhaltet § 12a Satz 1 SGB II eine Konkretisierung von § 3 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Danach werden SGB II-Leistungen nur erbracht, soweit die Bedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann. Nach § 2 Abs. 1 SGB II müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II ausschöpfen. Nach § 2 Abs. 2 SGB II haben sie in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Dazu gehört auch die Inanspruchnahme von im Laufe des Erwerbslebens erarbeiteten Rentenversicherungsanwartschaften. Nach Vollendung des 63. Lebensjahres muss die Rente ausnahmsweise nur dann nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden, wenn dies eine "Unbilligkeit" im Sinne der Unbilligkeitsverordnung darstellt. Hiernach ist die Verpflichtung zur Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahrs der Grundsatz und die Freistellung von dieser Pflicht wegen Unbilligkeit die Ausnahme. Die Antragstellerin hat bereits am 1. Januar 2016 ihr 63. Lebensjahr vollendet und ist grundsätzlich zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente verpflichtet.
Der Antragsgegner hat im angegriffenen Aufforderungsbescheid das ihm eingeräumte Ermessen erkannt und zutreffend ausgeübt, insbesondere hat er umfangreiche und zutreffende Erwägungen angestellt. Er hat insbesondere den Bedarf der Antragstellerin sowie die voraussichtliche Höhe der Altersrente bei regulärer und bei vorzeitiger Inanspruchnahme ermittelt und ausgehend von diesen Werten – unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls – entschieden, dass die Aufforderung im Fall der Antragstellerin nicht unbillig ist.
Die Ausnahmetatbestände der Unbilligkeitsverordnung (§§ 1 bis 5) greifen nicht ein. Insbesondere ist die Prognoseentscheidung des Antragsgegners hinsichtlich der Vermittlungsmöglichkeiten der Antragstellerin in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht zu beanstanden. Hierfür genügt es, auf die letztmalige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Jahr 1995 und die im Jahr 2011 gescheiterte Wiedereingliederungsmaßnahme hinzuweisen. Eine über die in der Unbilligkeitsverordnung genannten Sachverhalte hinausgehende Unbilligkeit hat der Antragsgegner zu Recht verneint. Selbst bei vorzeitiger und um 9 % geminderter Rente liegt das voraussichtliche Renteneinkommen der Antragstellerin deutlich oberhalb des jetzigen SGB II-Leistungsanspruchs. Die geringfügige Beschäftigung von monatlich 12 Stunden rechtfertigt es auch nicht, von einer unbilligen Härte der Antragstellerin auszugehen. Auch das für 2011 ungeklärte Rentenkonto rechtfertigt keine andere Bewertung. Schließlich könnten sich weitere mögliche Rentenanwartschaftspunkte für diese Zeit nur rentenerhöhend auswirken.
Schließlich ist mit der Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung auch keine Verletzung verfassungsrechtlich geschützter Rechte verbunden. Nach der dem zugrunde liegenden gesetzlichen Systematik ist die Einschränkung des Dispositionsrechts der Antragstellerin, den Zeitpunkt ihrer Rentenantragstellung frei zu wählen, verfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigt und stellt mithin keinen unzulässigen Eingriff in ihre allgemeine Handlungsfreiheit dar. Insoweit ist der gesetzlich normierte Grundsatz der Nachrangigkeit von Sozialleistungen und die Obliegenheit zur Selbsthilfe nach den §§ 3 Abs. 1, 5, 7 Abs. 1 Nr. 3, 9 SGB II die konkrete Rechtfertigung des Eingriffs. Dies entspricht auch der aktuellen Rechtsprechung des BSG in dem Urteil vom 19. August 2015, B 14 AS 1/15 R, juris.
Auch wenn das Anwartschaftsrecht auf eine Altersrente eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Vermögenswerte Rechtsposition ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Juli 1985, 1 BvR 5/80, juris), hat die Antragstellerin als Bezieherin von Sozialleistungen die Verpflichtung, vorrangig ihr Vermögen zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts einzusetzen. Insoweit sind ihre Rentenanwartschaften Vermögenswerte, die sie durch den (vorzeitigen) Rentenantrag aktivieren kann. Das Eigentumsrecht ist jedoch nicht verletzt, wenn grundsicherungsrechtlich eine Verwertung von Vermögensgegenständen gefordert wird (vgl. zur Verwertung eines Lebensversicherungsguthabens: BSG, Urteil vom 11. Dezember 2013, Az.: B 4 AS 29/12 R, juris). Insoweit gebietet es das der Grundsicherung immanente Prinzip der Subsidiarität, zunächst Eigenmittel in Anspruch zu nehmen. Diese Verpflichtung gehört zu den verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Grundsätzen bei der Inanspruchnahme von steuerfinanzierten Transferleistungen, die vom BVerfG im Hinblick auf den weiten Spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen gebilligt worden sind (BVerfG, Beschluss vom 8. November 2011, 1 BvR 2007/11, juris). Dem entsprechend stellt auch die bei einem vorzeitigen Altersrentenbeginn wegfallende Möglichkeit, Altersrentenanwartschaften noch zu erhöhen, keinen Verstoß gegen Art. 14 GG dar. Es handelt sich um eine zulässige Schrankenbestimmung, die dem Gemeinwohl dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009, B 14 AS 64/08 R, juris).
Da nach den vorstehenden Ausführungen der angegriffene Aufforderungsbescheid aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist, besteht auch kein Grund, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, anstelle der Antragstellerin den geforderten Antrag zu Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente bei der DRV zu stellen, soweit diese auch nach der Zugang des Beschlusses des Senats der Aufforderung nicht nachkommt.
Die Beschwerde der Antragstellerin war daher insgesamt zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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