L 6 AS 415/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AS 179/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 415/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 11/16 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Die Beklagte hat den Anspruch anerkannt;
die Kläger haben das Anerkenntnis angenommen !
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.04.2013 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit von August 2010 bis Oktober 2010. Insbesondere ist umstritten, in welcher Höhe das für die in der Bedarfsgemeinschaft lebende Tochter K (vormals Klägerin zu 3)) gezahlte Kindergeld als Einkommen der Klägerin zu 1) angerechnet werden kann.

Die Kläger bewohnten im streitbefangenen Zeitraum gemeinsam mit der am 00.00.1995 geborenen Tochter der Klägerin zu 1) K. eine Vierzimmerwohnung mit einer Größe von 87,6 m². Die Klägerin zu 1) erhielt Unterhaltszahlungen in Höhe von 266,00 EUR monatlich und Kindergeld für die im Haushalt lebende Tochter in Höhe von 184,00 EUR. Die Tochter selbst erhielt Unterhalt von ihrem Vater i.H.v. 334,00 EUR monatlich und Wohngeld i.H.v. 113,00 EUR monatlich. Darüber hinaus erzielten beide Kläger in den Monaten September 2010 und Oktober 2010 Erwerbseinkommen. Der Klägerin flossen im September 2010 399,10 EUR netto und im Oktober 2010 275,69 EUR netto zu. Der Kläger zu 2) hatte im September 2010 Einkünfte in Höhe von 60 EUR netto und im Oktober 2010 in Höhe von 224,00 EUR netto.

Mit dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 09.04.2010 gewährte der Beklagte Leistungen auf den Weiterbewilligungsantrag aus Februar 2010. Dieser und die darauf folgenden sechs Änderungsbescheide wurden entweder nicht mit einem Widerspruch angefochtenen oder die Widersprüche blieben erfolglos und sind nach ablehnenden Widerspruchsbescheiden bestandskräftig geworden.

Am 18.08.2010 teilte die Klägerin zu 1) mit, dass sie am 12.08.2010 eine geringfügige Beschäftigung im Umfang von 65 Stunden monatlich und einem Stundenlohn von 6,14 EUR aufgenommen habe. Aufgrund dieser Mitteilung regelte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 03.09.2010 den Zeitraum vom 01.08.2010 bis zum 31.10.2010 neu. Dabei legte er für die Leistungsberechnung im August 2010 das nachgewiesene zugeflossene Einkommen in Höhe von 60,00 EUR und für die Zeit ab 01.09.2010 ein prognostiziertes Einkommen in Höhe von 200,00 EUR monatlich zu Grunde. Darüber hinaus berücksichtigte er weiterhin den Unterhalt und das Kindergeld für K. sowie ein prognostiziertes Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1) in Höhe von 400,00 EUR abzgl. 160,00 EUR Freibetrag. Der Bescheid beinhaltet außerdem eine Minderung der Leistung des Klägers zu 2) für den Monat August 2010 i.H.v. 57,40 EUR (Sanktion). Die Bewilligung erfolgte hinsichtlich der noch nicht feststellbaren Einkommenshöhe der Kläger vorläufig, im August 2010 für die Klägerin in Höhe von 403,21 EUR, für den Kläger in Höhe von 327,24 EUR und des Weiteren für K. in Höhe von 3,47 EUR. Darüber hinaus bewilligte der Beklagten noch 100,00 EUR für deren Schulbedarf.

Nachdem die Klägerin zu 1) ihre Lohnabrechnung für September 2010 vorgelegt hatte, erließ der Beklagte am 15.09.2010 einen Änderungsbescheid, mit dem er die Leistungen für September 2010 endgültig festsetzte.

Am 28.09.2010 erließ der Beklagte einen weiteren Änderungsbescheid, nachdem der Kläger zu 2) seine Lohnabrechnung für September 2010 vorgelegt hatte. Auch hierbei handelte es sich um eine endgültige Festsetzung für den Monat September 2010 in Höhe von 256,48 EUR für die Klägerin und 208,16 EUR für den Kläger.

Mit Schreiben vom 01.10.2010 (Eingang beim Beklagten am 04.10.2010) legte die Bedarfsgemeinschaft gegen die Bescheide vom 03.09.2010 und 15.09.2010 Widerspruch ein. Die Kläger trugen vor, der Widerspruch richte sich gegen die Verrechnung des Einkommens des Kindes Jasmin auf die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft und zum anderen gegen die Festsetzung des Sanktionsbetrages i.H.v. 57,40 EUR gegen den Kläger zu 2).

Während des laufenden Widerspruchsverfahrens ergingen zwei weitere Bescheide, um den Leistungsmonat Oktober 2010 endgültig zu regeln. Mit Bescheid vom 13.10.2010 (Vorlage der Einkommensbescheinigungen der Klägerin zu 1)) und Bescheid vom 22.10.2010 (Vorlage der Einkommensbescheinigung des Klägers zu 2)) setzte der Beklagte die Leistungen für Oktober 2010 abschließend auf 281,48 EUR für die Klägerin und 182,69 EUR für den Kläger fest.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2010 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 03.09.2010 in der Fassung der jeweiligen Änderungsbescheide zurück. Soweit sich der Widerspruch gegen die sanktionsbedingte Minderung der Leistungen für den Kläger zu 2) i.H.v. 57,00 EUR richte, sei er unzulässig, da über die Sanktion bereits in einem anderem Widerspruchsverfahren entschieden worden sei. Im Übrigen sei der Widerspruch zwar zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin zu 1) bilde mit ihrer Tochter K. und dem Kläger zu 2) eine Bedarfsgemeinschaft. Da die Tochter der Klägerin zu 1) das Kindergeld nur i.H.v. 43,07 EUR für ihren Lebensunterhalt benötige, könne das überschießende Kindergeld bei der Klägerin zu 1) als Einkommen angerechnet werden.

Am 17.01.2011 haben die Kläger dagegen Klage beim Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhoben. Dabei hat der Bevollmächtigte klargestellt, dass sich die Klage nicht gegen die Festsetzung der Sanktion gegenüber dem Kläger zu 2) richte. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22.04.2013 hat die Tochter K. die auch ursprünglich in ihrem Namen erhobene Klage zurückgenommen.

Die Kläger haben beanstandet, dass das Kindergeld i.H.v. 135,69 EUR als Einkommen der Klägerin zu 1) angerechnet werde. Eine Kindergeldverrechnung dürfe nicht über einen Betrag von 92,00 EUR hinaus erfolgen. Unterhaltsrechtlich seien beide Elternteile zu gleichen Teilen kindergeldberechtigt. Aus Vereinfachungsgründen erhalte der Elternteil, bei dem das Kind lebe, das volle Kindergeld. Der auf den barunterhaltspflichtigen Elternteil entfallende hälftige Kindergeldanteil werde vom Tabellenunterhalt in Abzug gebracht. In der Konsequenz führe das dazu, dass das Kindergeld für K. i.H.v. 92,00 EUR als Unterhalt einzustufen sei. Nur der andere Teil, der auf die Kindesmutter entfalle, könne nach § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II verrechnet werden. Darüber hinaus werde der Bescheid vom 03.09.2010 nicht angegriffen.

Das SG hat dem Klagebegehren mit Urteil vom 22.04.2013 lediglich für den Monat August 2010 i.H.v. 1,92 EUR für die Klägerin zu 1) und 1,55 EUR für den Kläger zu 2) entsprochen. Es hat damit einen Berechnungsfehler korrigiert, den die Beklagte im Bescheid vom 03.09.2010 gemacht habe, als sie der Tochter K. einen Anspruch i.H.v. 3,47 EUR zugeordnet habe, der richtigerweise auf die beiden Kläger zu verteilen gewesen sei. Im Übrigen hat es die Klage unter Bezugnahme auf einen Beschluss dieses Senats vom 16.05.2012 - L 6 AS 10/12 B -, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen.

Am 31.05.2013 haben die Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts vom 22.04.2013 eingelegt und zur Begründung vorgetragen, dass die Frage der Kindergeldverrechnung grundsätzliche Bedeutung habe. Bereits das Bayerische Landessozialgericht habe mit Urteil vom 15.11.2007 - L 7 AS 320/06 - die grundsätzliche Bedeutung dieser Rechtsfrage anerkannt. Die daraufhin eingelegte Revision beim BSG sei allerdings nicht entschieden worden. Eine höchstrichterliche Klärung der Frage, wie der beim Unterhaltsanspruch angerechnete Anteil des Kindergeldes zu behandeln sei, stehe weiterhin aus. Die bisher ergangene Rechtsprechung des BSG betreffe jeweils nur den auf den betreuenden Elternteil entfallenden Anteil des Kindergeldes. Nach den Leitlinien der Düsseldorfer Tabelle sei das Kindergeld kein Einkommen der Eltern. Vielmehr werde es entsprechend § 1612 b BGB zur Deckung des Barbedarfs verwandt, bei minderjährigen Kindern, die von einem Elternteil betreut würden, zur Hälfte, ansonsten in voller Höhe. Die Kinder gleichleistungsfähiger Eltern würden durch die Verteilung des Unterhalts auf die Mutter ungleich behandelt.

Mit Beschluss vom 24.02.2014 hat der Senat die Berufung zugelassen.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.04.2013 zu ändern und den Beklagten unter Änderung der Bescheide vom 03.09.2010, 15.09.2010, 28.09.2010, 13.10.2010 und 22.10.2010, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2010 zu verurteilen, den Klägern für die Monate August bis Oktober 2010 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die gesetzliche Regelung für eindeutig und die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Senat zugelassene Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur in geringem Umfang zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Die Klage ist zulässig als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 03.09.2010 in der Fassung der Bescheide vom 15.09.2010, 28.09.2010, 13.10.201, 22.10.2010, diese wiederum in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2010. Diese Bescheide regeln die Leistungshöhe im Zeitraum vom 01.08.2010 bis zum 31.10.2010. Für den Monat August 2010 wurden die Leistungen lediglich vorläufig festgesetzt, für die Monate September und Oktober 2010 dagegen endgültig.

Das auf höhere Leistungen gerichtete Begehren haben die Kläger ausweislich des Klageantrags erster Instanz auf die Zahlung einer höheren Regelleistung (zzgl Mehrbedarf) beschränkt. Dies folgt aus dem Klammerzusatz " (hier Regelleistungen)", womit sie - so auch das SG - die Kosten der Unterkunft von der gerichtlichen Überprüfung ausgenommen haben. Dieses Rechtsschutzbegehren ist auch mit Blick auf die für den Monat August nur vorläufig bewilligten Leistungen zulässig.

Bei der Entscheidung über die vorläufige Bewilligung von Leistungen nach § 328 Abs. 1 SGB III handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, zulässige Klageart ist daher grundsätzlich die auf Bescheidung gerichtete Verpflichtungsklage. Ist dem klägerischen Vorbringen zu entnehmen, dass hinsichtlich der Höhe der zu bewilligenden Leistungen eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen sei oder es sich gegen die vorläufige Entscheidung selbst richtet, ist auch im Rahmen einer vorläufigen Bewilligung die Beantragung der Leistung und nicht nur - dies gegebenenfalls jedoch hilfsweise - die Verpflichtung zum Erlass eines neuen Bescheides unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zulässig (Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R = BSGE 108, 86-97). Der Senat legt das Vorbringen der Kläger dahingehend aus, dass aufgrund des existenzsichernden Charakters der Leistung auch im Rahmen einer vorläufigen Bewilligung ein durch Ermessensreduzierung auf Null herzuleitender Rechtsanspruch bestehe, die Regelleistung (jetzt: Regelbedarf) in der aus ihrer Sicht zutreffenden Höhe zu erhalten.

Die Berufung ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Leistungsanspruch, der über die mit den angefochtenen Bescheiden und dem erstinstanzlichen Urteil zuerkannten Leistungen hinaus geht.

Der Bedarf der Kläger wurde vom Beklagten zutreffend bestimmt. Er besteht - ohne Kosten der Unterkunft und Heizung - für den Kläger zu 2) aus der sich aus § 20 Abs. 2 S. 2 SGB II ergebenden Regelleistung in i.H.v. 287,00 EUR. Der Bedarf der Klägerin im Bereich Regelleistung und Mehrbedarf beträgt 402,00 EUR und ergibt sich aus der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II und dem Mehrbedarf für Alleinerziehende mit einem minderjährigen Kind (12 % der maßgebenden Regelleistung) aus § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II. Weitere Mehrbedarfe sind auch jenseits der der Tochter als Sonderbedarf gewährten Schulbedarfs (100,00 EUR) nicht ersichtlich.

Hinsichtlich der Berechnung des dem Bedarf gegenüberzustellenden Einkommens wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, die sich der Senat zu Eigen macht.

Der Auffassung der Kläger, das den Bedarf der Tochter K. übersteigende Kindergeld sei nicht in dem vom Beklagten angenommenen Umfang als Einkommen bei der Klägerin zu 1) zu berücksichtigen ist, folgt der Senat nicht.

Nach den kindergeldrechtlichen Grundsätzen sind die Eltern kindergeldberechtigt (§ 62 EStG). Grundsicherungsrechtlich ist es Einkommen der Eltern des Kindes (§ 11 Abs.1 S. 1 SGB II), soweit das Kindergeld nicht zur Sicherung des Lebensunterhalt des jeweiligen Kindes benötigt wird (§ 11 Abs. 1 S. 3 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung (aF)). Auf den Wortlaut dieser gesetzlichen Regelung gestützt hat der Beklagte das für den Lebensunterhalt der Tochter K. nicht benötigte Kindergeld als Einkommen der Klägerin berücksichtigt.

Der Umstand, dass hier eine unterhaltsberechtige Tochter im Haushalt der hilfebedürftigen Mutter lebt, führt zu keiner anderen Beurteilung. Eine Auslegung des § 11 Abs. 1 S. 2, 3 SGB II (aF) in dem Sinne, dass in diesen Fällen der hälftige Kindergeldanteil, der unterhaltsrechtlich als bedarfsdeckend angesehen wird, stets dem Kind zugeordnet wird und dann auch höchstens die andere Hälfte bei der Mutter als Einkommen berücksichtigt werden kann, ist nicht möglich.

Die Lage der Kläger und der weiteren im Haushalt lebenden Tochter der Klägerin zu 1) ist dadurch gekennzeichnet, dass die Tochter der Klägerin neben dem Wohngeld i.H.v. 133 EUR Unterhalt von ihrem Vater i.H.v. 334 EUR bezog. Dies entspricht dem Tabellenwert der Düsseldorfer Tabelle für 12 bis 17jährige Kinder und einem Nettoeinkommen des Barunterhaltspflichtigen bis 1500 EUR abzüglich des hälftigen Kindergeldes (siehe Anhang zur Düsseldorfer Tabelle - Zahlbeträge). Der Abzug des hälftigen Kindergeldanteils erfolgt auf der Grundlage von § 1612 b Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung, der bestimmt, dass das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden ist und zwar zur Hälfte, wenn ein Elternteil seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt, in allen anderen Fällen in voller Höhe. Durch diese 2008 vorgenommene Neukonzipierung der Berücksichtigung von Kindergeld im Unterhaltsrecht wird das Kindergeld nunmehr bei der Bestimmung des Bedarfs des Kindes berücksichtigt, während zuvor das Kindergeld auf den Barunterhaltsanspruch des Kindes angerechnet wurde. War vor 2008 noch eine Auslegung des § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II dahingehend denkbar, dass der hälftige Kindergeldanteil, der durch die Kindergeldkasse zur Auszahlung gekommen ist, als Unterhaltszahlung des Vaters, die lediglich einen abweichenden Auszahlungsweg genommen hat, anzusehen ist, so bestimmt die unterhaltsrechtliche Regelung nun, dass sich der Kindesunterhalt auf den vom Vater tatsächlich ausgezahlten Betrag beschränkt, während der Rest des unterhaltsrechtlichen Bedarfs durch den hälftigen Kindergeldanteil gedeckt wird. Die rechtliche Einordnung der hier streitigen 92 EUR ist daher nach der Änderung von § 1612b Abs. 1 BGB eindeutig dahingehend zu verstehen, dass es sich um Kindergeld handelt, das nach den entsprechenden Regelungen des SGB II zu berücksichtigen ist.

Anders als die Gesetzesbegründung zur Änderung von § 1612 b BGB dies nahelegt (vgl. BT-Drucksache 16/1830, S 29), erfolgte damit keine befriedigende Harmonisierung des Unterhaltsrechts mit dem Sozialrecht. Zwar sieht auch das SGB II eine Bedarfsdeckung beim Kind durch das Kindergeld vor, wenn es in § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II anordnet, dass das Kindergeld als Einkommen des Kindes zu berücksichtigen ist, soweit es zur Bedarfsdeckung erforderlich ist. Jedoch nimmt das SGB II genau in den Fällen, in denen ein Teil des Kindergeldes gerade nicht für die Bedarfsdeckung des Kindes erforderlich ist, eine andere Wertung vor. Dann zwingt es im Ergebnis den mit dem Kind zusammen lebenden Elternteil als Elterngeldbezieher dazu, das nach der Grundkonzeption für die Bedürfnisse des Kindes zu verwendende Kindergeld für seinen eigenen Lebensunterhalt zu verbrauchen. Hier weicht die unterhaltsrechtliche Regelung mit seiner Annahme, dass das Kindergeld i.H.v. 92 EUR den Bedürfnissen des Kindes zugutekommt, von der Regelung im SGB II deutlich erkennbar ab.

Wie die Düsseldorfer Tabelle durch ihre Einteilung in Einkommensstufen des Unterhaltsverpflichteten deutlich zum Ausdruck bringt, orientiert sich das Unterhaltsrecht nicht an einem für alle Kinder gleichermaßen pauschalierten Bedarf, so wie dies im SGB II der Fall ist. Anknüpfungspunkt des Bedarfs im Unterhaltsrecht ist vielmehr die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten. Dadurch soll das unterhaltsberechtigte Kind an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht nur des ihn betreuenden Elternteils, sondern auch des Unterhaltsverpflichteten anderen Elternteils teilhaben. Diese unterhaltsrechtliche Grundentscheidung hat der Gesetzgeber gerade nicht in das SGB II überführt, sondern es in der Logik eines durch den Grundsatz der Nachrangigkeit (§ 5 SGB II) bei der Erbringung existenzsichernder Leistungen geprägten Systems insofern abgewandelt, dass bei Kindern, deren mit ihnen zusammen lebender Elternteil hilfebedürftig ist, dieser durch die Zuordnung des Kindergeldes einen Teil des in der Düsseldorfer Tabelle vorgesehenen Unterhaltsanspruchs des Kindes für sich verbrauchen muss. Von einer Harmonisierung des Unterhaltsrechts mit den Regelungen des SGB II kann an dieser Stelle nicht die Rede sein.

Diese für die betroffenen unterhaltsberechtigten Kinder möglicherwiese unbefriedigend erscheinende Entscheidung des Gesetzgebers kann jedoch nicht dazu führen, dass vom eindeutigen gesetzlichen Wortlaut des § 11 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB II abgewichen wird. Die Vorschrift ist auch unter den beschriebenen Umständen nicht verfassungswidrig.

Ein Verstoß gegen den hier allein in Betracht kommenden Gleichheitsgrundsatz im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG sieht das Gericht nicht. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (vgl. BVerfGE 67, 231 (236) m.w.N.). Ein Grundrechtsverstoß in diesem Sinne scheitert bereits an einer bezogen auf die Kläger fehlenden Ungleichbehandlung; denn unabhängig von der grundsicherungsrechtlichen Behandlung des Kindergeldes stehen ihnen nach der gesetzlichen Systematik stets lediglich die finanziellen Mittel in Höhe der nach dem SGB II zu ermittelnden Bedarfe zur Verfügung. Die von den Klägern geforderte Behandlung des Kindergeldes als Einkommen des Kindes hätte (positive) wirtschaftliche Auswirkungen aber lediglich für die hier nicht als Klägerin auftretende und nicht nach dem SGB II anspruchsberechtigte Tochter der Klägerin.

Aber auch aus deren Blickwinkel kann eine durch § 11 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB II herbeigeführte Ungleichbehandlung mit anderen Normadressaten nicht festgestellt werden. Denn sämtliche Normadressaten, d.h. Kinder, für die Kindergeld gezahlt wird, können unabhängig davon, ob sie unterhaltsberechtigt sind oder nicht, nach der Vorschrift über den über ihren grundsicherungsrechtlichen Bedarf hinausgehenden Teil des Kindergeldes nicht verfügen. Ob sich für die Tochter der Klägerin zu 1) durch die Anwendung von § 1612 b Abs. 1 BGB eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung mit solchen unterhaltsberechtigten Kindern ergibt, deren mit Ihnen zusammen lebender Elternteil nicht hilfebedürftig ist, hatte der Senat nicht zu prüfen; Anwendung und verfassungsrechtliche Prüfung dieser Vorschrift obliegt den Familiengerichten.

Auch die vom Beklagten vorgenommene Minderung der Leistungen des Klägers zu 2) in Höhe von 57,40 EUR im Monat Oktober 2010 war rechtmäßig, da sie auf einem bestandskräftigen Sanktionsbescheid beruht.

Die Kostenentscheidung folgt § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, da der Senat in der Frage der Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen des betreuenden Elternteils im Falle unterhaltsberechtigter Kinder über den hälftigen Kindergeldanteil hinaus eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG sieht.
Rechtskraft
Aus
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