L 15 SO 53/16 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 95 SO 146/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 53/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist auf Grund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. z.B. B 4 AS 44/15 R) zur Frage der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII als Ermessensleistung vom Vorliegen eines Anordnungsanspruchs auszugehen.

2. Insoweit abweichend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist jedoch nicht in jedem Fall von einer Ermessensreduzierung auf Null nach einem mindestens sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland auszugehen. Der Sozialhilfeträger hat die Umstände des Einzelfalls aufzuklären und eine Ermessensentscheidung zu treffen.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2016 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 404,00 Euro monatlich vom 13. April 2016 bis zum 12. Juli 2016, längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu zahlen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ¾ der außergerichtlichen Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung seit dem 1. März 2016 bewilligt und Rechtsanwalt I S, F Allee B, beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt von dem Antragsgegner Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII) ab dem 28. Januar 2016.

Die 1976 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige. Sie war vom 18. Oktober 2005 bis zum 20. Dezember 2005 in Berlin-Schöneberg "bei K, vom 3. Mai 2007 bis 21. Januar 2008 in Berlin-Pankow, vom 21. Januar 2008 bis zum 15. Juli 2009 in Berlin-Mitte, vom 15. Juli 2009 bis zum 19. April 2011 in Berlin Pankow "bei G M", vom 23. September 2013 bis zum 12. Mai 2014 in Berlin-Pankow "bei K K" und vom 12. Mai 2014 bis zum 14. Juli 2015 in Berlin Mitte gemeldet. In der Zeit von 2007 bis 2011 war sie nach eigenen Angaben selbständig für verschiedene Hotels als Reinigungskraft tätig. Dazu hat sie im Beschwerdeverfahren die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007, 2008 und 2009 vorgelegt, die für das Jahr 2007 Einkünfte in Höhe von 525 Euro, für 2008 in Höhe von 3.968 Euro und für das Jahr 2009 in Höhe von 3.484 Euro ausweisen. Es wurde jeweils eine Einkommensteuerschuld in Höhe von 0,00 Euro festgesetzt. Das Gewerbe wurde am 11. September 2014 wegen "wirtschaftlicher Schwierigkeiten" abgemeldet. In der Zeit vom 3. Mai 2011 bis 9. November 2011, vom 1. Dezember 2011 bis 7. Juni 2012, vom 25. Juli 2012 bis 27. August 2012, vom 13. September 2012 bis 17. Oktober 2012 und vom 25. April 2013 bis zum 19. Juli 2013 hatte die Antragstellerin jeweils ein Beschäftigungsverhältnis inne. In der Zeit vom 26. November 2014 bis zum 14. Juli 2015 war sie in Polen inhaftiert. Zurzeit, seit dem 14. Juli 2015, ist die Antragstellerin in Berlin-Lichtenberg "bei B" gemeldet. Dort lebt sie nach eigenen Angaben mietfrei bei einer Freundin, bis sie eigenen Wohnraum gefunden hat. Seit dem 10. Dezember 2015 ist die Antragstellerin geschieden, nach eigenen Angaben erhält sie keinen Unterhalt oder eine finanzielle Unterstützung von ihrem geschiedenen Ehemann.

Einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II hat der Beigeladene mit Bescheid vom 28. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2015 mit der Begründung abgelehnt, § 7 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch/ Zweites Buch (SGB II) schließe eine Anspruch aus, weil die Antragstellerin ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche habe. Die Klage hiergegen ist beim Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 186 AS 18308/15 anhängig. Mit Beschluss vom 9. Oktober 2015 (Az. S 186 AS 18308/15 ER) hat das Sozialgericht Berlin den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren, die Beigeladene zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren mit der Begründung abgelehnt, ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben, da die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Ihr Aufenthaltsrecht ergebe sich allein auf Grund der Arbeitssuche. Die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg am 28. Dezember 2015 (Az. L 31 AS 2794/15 B ER) zurückgewiesen. Eine Beiladung des hiesigen Antragsgegners zu dem dortigen Verfahren erfolgte nicht.

Am 5. Januar 2016 hat die Antragstellerin bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Bewilligung von Grundsicherungsleistungen gestellt. Dieser Antrag ist, da der Antragsgegner auf Grund von Verständigungsproblemen irrtümlich davon ausging, die Antragstellerin mache Grundsicherungsleistungen wegen einer Erwerbsminderung geltend, bisher nicht beschieden worden.

Mit ihrem am 28. Januar 2016 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die Antragstellerin die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt von 404,00 Euro monatlich ab Antragseingang bei Gericht begehrt.

Mit Beschluss vom 23. Februar 2016 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Für nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossene erwerbsfähige Hilfebedürftige scheide ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII grundsätzlich aus. Den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Dezember 2015 (Az. B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 43/15 R) sowie vom 16. Dezember 2015 (B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R) sei nicht zu folgen. Die Begründung entspricht derjenigen in dem veröffentlichten Beschluss der gleichen, der 95. Kammer des Sozialgerichts Berlin vom 22. Februar 2016, Az. S 95 SO 3345/15, zu finden unter www.sozialgerichtsbarkeit.de sowie in juris, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

Gegen den am 23. Februar 2016 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 1. März 2016 Beschwerde bei dem LSG Berlin-Brandenburg eingelegt. Auch nach den Ausführungen im erstinstanzlichen Beschluss verbleibe es bei der Tatsache, dass das BSG in den vom Sozialgericht genannten Entscheidungen festgestellt habe, dass im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII in Gestalt der Hilfe zum Lebensunterhalt in Betracht komme. Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen wolle, bleibe in Anbetracht der Entscheidungen des BSG zu konstatieren, dass ein Obsiegen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren überwiegend wahrscheinlich sei.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2016 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 404,00 Euro monatlich ab dem 28. Januar 2016 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, mindestens jedoch für sechs Monate, zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend und die vom Sozialgericht in Bezug genommenen Entscheidungen des BSG nicht für überzeugend.

Die Antragstellerin habe auch ihre Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht. Ihr Vortrag beschränke sich darauf, dass sie keine Erwerbstätigkeit habe und mittellos sei. Es sei zum Beispiel zu klären, ob sie von ihrem Ehemann finanzielle Unterstützungsleistungen erhalte. Es sei nicht bekannt, wovon die Antragstellerin nach Beendigung des Bezuges von SGB II-Leistungen am 30. November 2011 ihren Lebensunterhalt bestritten habe.

Es sei zweifelhaft, ob sie über ein Daueraufenthaltsrecht in Deutschland verfüge. Sie dürfte auch nicht über ein Freizügigkeitsrecht wegen ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmerin verfügen, da sie in keiner Weise vorgetragen oder nachgewiesen habe, auf Arbeitssuche zu sein.

Der Beigeladene hat trotz Aufforderung hierzu und Erinnerung vom 22. März 2016 nicht Stellung genommen.

Auf Aufforderung des Senats hat die Antragstellerin das Scheidungsurteil übersandt und mitgeteilt, dass sie von ihrem geschiedenen Ehemann keinerlei Unterstützungsleistungen erhalte. Kontoauszüge könnten nicht beigebracht werden, weil seit dem 30. Dezember 2015 keine Kontobewegungen zu verzeichnen gewesen seien.

Mit eidesstattlichen Versicherungen jeweils vom 7. April 2016 haben die Antragstellerin und die genannte Freundin, Frau M B, versichert, dass die Antragstellerin mietfrei bei Frau B wohne und von ihr auch Essen und Trinken erhalte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Die Akten S 186 AS 18308/15 ER (= L 31 AS 2794/15 B ER) und die Akten S 186 AS 18308/15 des Sozialgerichts Berlin einschließlich der Verwaltungsakten des Beigeladenen die Antragstellerin betreffend haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist zum Teil begründet. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt gegen den Antragsgegner für drei Monate seit der Entscheidung des Senats.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind Einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür ist regelmäßig, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materieller Leistungsanspruch, als auch ein Anordnungsgrund, d.h. eine Eilbedürftigkeit, gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht ist. Dabei stehen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden auf Grund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System dergestalt, dass, je größer die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind, je geringere Anforderungen an den Anordnungsgrund zu stellen sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 86b Rdnr. 27 m.w.N.).

Der Senat geht davon aus, dass ein Anordnungsgrund besteht, da die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass ihr finanzielle Mittel zur Sicherung ihres Existenzminimums nicht zur Verfügung stehen. Hierzu hat sie ihren Kontoauszug vorgelegt, auf dem seit Ende Dezember keine Bewegungen mehr zu verzeichnen sind. Es ist auch glaubhaft, dass sie von ihrem geschiedenen Ehemann keinen Unterhalt bzw. Unterstützungsleistungen erhält. Im Übrigen würde ein entsprechender Anspruch auf Unterhalt den Leistungen nicht entgegenstehen, der Antragsgegner müsste ggf. Unterhaltsansprüche auf sich überleiten. Durch die eidesstattlichen Versicherungen vom 7. April 2016 ist auch glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin bei ihrer Freundin kostenfrei wohnt und von dieser auch Lebensmittel erhält. Dafür, dass ihr Geldmittel in ausreichender Höhe zur Verfügung stehen, gibt es keine Anhaltspunkte.

Auch ein Anordnungsanspruch ist gegeben. Es bestehen große Erfolgsaussichten für ein Obsiegen in der Hauptsache. Sofern die Antragstellerin nicht bereits ein dauerndes Aufenthaltsrecht gemäß § 4 a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU 2004) erworben hat (dazu siehe unten), dürften ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII als Ermessensleistung zu gewähren sein. Entsprechend der Rechtsprechung des BSG (vgl. z.B. das Urteil vom 3. Dezember 2015, Az.: B 4 AS 44/15 R, dokumentiert in juris und in ZFSH/SGB 2016, 126) hat die Antragstellerin einen sich aus dem garantierten Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz [GG] i.V.m. mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ) ergebenden Anspruch glaubhaft gemacht (vgl. auch den Terminbericht zu den Urteilen des 14. Senats des BSG vom 16. Dezember 2015, zu finden unter www. Bundessozialgericht.de "Termine"). Um Wiederholungen zu vermeiden wird auf die Gründe des Urteils des BSG vom 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15 R, a.a.O., verwiesen.

Die Einwendungen des Sozialgerichts und des Antragsgegners gegen die Urteile des Bundessozialgerichtes sind zumindest im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht geeignet, einen Anordnungsanspruch zu verneinen und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Der für die Sozialhilfe zuständige 8. Senat des BSG hat bereits entschieden, dass auch einem Ausländer, der dem Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 erste oder zweite Alternative SGB XII unterfällt, vom Träger Sozialhilfe in Ausübung von Ermessen gewährt werden kann, soweit es im Einzelfall gerechtfertigt ist (vgl. Urteil des BSG vom 18. November 2014, Az. B 8 SO 9/13 R, juris Rdnr. 28 = SozR 4- 3500 § 25 Nr. 5). Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist insoweit jedenfalls hinsichtlich eines Ermessensanspruchs von einer hohen Erfolgsaussicht in der Hauptsache auszugehen. Mit den Einwendungen des Sozialgerichts gegenüber der Rechtsprechung der mit den Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II befassten Senate des Bundessozialgerichts wird sich der Senat ggf. im Hauptsacheverfahren auseinandersetzen.

Voraussetzung für die Gewährung von Ermessensleistungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ist nach der Rechtsprechung des BSG jedoch, dass ein Aufenthaltsrecht im streitigen Zeitraum nicht gegeben ist. Sofern ein Aufenthaltsrecht aus einem anderen Grund als der Arbeitssuche vorläge, wäre der Beigeladene leistungspflichtig. Ob dieses vorliegt, ist im vorliegenden Fall allerdings fraglich, der Senat sieht ein Daueraufenthaltsrecht letztlich jedoch nicht als glaubhaft gemacht an. Das Sozialgericht Berlin und das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hatten in ihren o.g. Beschlüssen vom 9. Oktober 2015 bzw. vom 28. Dezember 2015 angenommen, dass ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin nicht besteht. Im vorliegenden Verfahren sind, soweit ersichtlich erstmals, jedoch die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 bis 2009 von der Antragstellerin vorgelegt worden. Dies ist zumindest ein Indiz dafür, dass sie in diesem Zeitraum in Deutschland selbständig tätig war und, sollte dies der Fall sein, sich dann auch gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU 2004 erlaubt in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hätte. Zusammen mit den Beschäftigungszeiten vom 3. Mai 2011 bis 19. Juli 2013, in denen sich die Antragstellerin wohl gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU 2004 erlaubt in Deutschland aufgehalten hat, und möglichen weiterbestehenden erlaubten Aufenthalten in Zeiten der Arbeitslosigkeit gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU 2004 könnte sich ein Aufenthaltsrecht gemäß § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU 2004, ergeben. Nach dieser Vorschrift haben Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 [FreizügG/EU 2004] das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht). Zur Ermittlung, ob ein solches Daueraufenthaltsrecht durch einen zusammenhängenden erlaubten mindestens fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland erworben wurde, z.B. im Zeitraum vom 3. Mai 2007 bis zum 2. Mai 2012 oder in einem später gelegenen Fünfjahreszeitraum, bedürfte es jedoch aufwändiger Ermittlungen. So müsste z.B. genauer ermittelt werden, ob in den Jahren 2007 bis 2009, für die die Einkommensteuerbescheide nunmehr vorliegen, durchgehend eine selbständige Tätigkeit vorlag oder, ggf. in Zwischenzeiten, ein den erlaubten Aufenthalt aufrecht erhaltender Tatbestand gemäß § 2 Abs. 3 FreizügG/EU 2004. Insbesondere die Zeiten der Arbeitslosigkeit sind nicht geklärt, es ist möglich, dass die Klägerin nach der letzten Beschäftigung im Juli 2013 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch/Drittes Buch (SGB III) hatte. Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines erlaubten Aufenthaltes gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU 2004 ist eine von der zuständigen Agentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit. Hierzu müssten Ermittlungen bei der Arbeitsagentur vorgenommen werden, weiter möglicherweise beim Finanzamt. Da die Antragstellerin in der Zeit vom 20. April 2011 bis 22. September 2013 nicht in Berlin gemeldet war, wäre auch zu klären, ob sie sich hier tatsächlich, trotz eines möglicherweise vorliegenden Meldeverstoßes, in Deutschland aufgehalten und hier gearbeitet hat, da für den gleichen Zeitraum ein Beschäftigungsverhältnis bestand. Dabei ist nicht wahrscheinlich, dass sie in Polen wohnhaft war und nur zur Arbeit nach Berlin gefahren ist, da ihr Heimatort, Pi T, 574 km von Berlin entfernt liegt (Quelle: google maps). Mit dem Auto benötigt man 5 Stunden 36 Minuten, mit dem Zug 7 Stunden 35 Minuten, um Berlin zu erreichen. Auffällig ist auch, dass die Antragstellerin während ihrer Haft in Polen in der Zeit von Oktober 2014 bis Juli 2015 weiterhin in Berlin gemeldet war, was dafür sprechen könnte, dass sie auch in dieser Wohnung bei einer anderen Person wohnte, da sie die Wohnung ohne Einkünfte nicht hätte halten können. Möglicherweise lag jedoch auch nur eine unterbliebene Abmeldung vor.

Die erforderlichen Ermittlungen sind im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zu leisten, dem Senat reichen die bisherigen Erkenntnisse jedoch nicht aus, um ein Aufenthaltsrecht gemäß § 4 a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU 2004 als glaubhaft gemacht anzusehen und nicht den Antragsgegner, sondern den Beigeladenen zu verpflichten, wobei einer Verpflichtung des Antragsgegners die Rechtskraft der Beschlüsse vom 9. Oktober 2015 bzw. vom 28. Dezember 2015 nicht entgegenstehen dürfte, da ggfs. der Antrag bei dem Antragsgegner nach dem Meistbegünstigungsprinzip (auch) als (neuer) Antrag bei dem Beigeladenen gelten dürfte (vgl. zu der Frage der Wirkung der Antragstellung auch für den jeweils anderen Träger: Link in Eicher, Kommentar zum SGB II, 3. Auflage, § 37 Rdnr. 29 m.w.N.).

Wenn jedoch davon auszugehen ist, dass kein Aufenthaltsrecht und auch kein ansonsten erlaubter Aufenthalt nach dem FreizügG/EU 2004 vorliegt, da die Klägerin zumindest seit ihrer Entlassung aus der Haft in Polen am 14. Juli 2015 sich länger als sechs Monate in Deutschland aufgehalten hat, ohne eine Beschäftigung zu finden oder eine selbständige Tätigkeit auszuüben, würde sie sich zumindest seit Mitte Januar 2016 nicht mehr erlaubt in Deutschland aufhalten und damit die Voraussetzungen für Ermessensleistungen nach der Rechtsprechung des BSG erfüllen.

Der Senat hat eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nur für drei Monate ausgesprochen. Grund dafür ist einmal, dass der Antragsgegner zu prüfen haben wird, ob nicht doch ein Daueraufenthaltsrecht der Antragstellerin besteht, so dass dann der Beigeladene leistungsverpflichtet wäre, da der Ausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht greifen würde, da die Antragstellerin dann ein Aufenthaltsrecht nicht nur aufgrund der Arbeitssuche hätte. Sofern sich ergibt, dass ein solches Daueraufenthaltsrecht besteht und auch nicht gemäß § 4 a Abs. 7 FreizügG/EU 2004 wegen einer Abwesenheit von mehr als zwei aufeinanderfolgenden Jahren wieder verlustig gegangen wäre, müsste der Antragsgegner ggf. einen Erstattungsanspruch gegen den Beigeladenen geltend machen.

Die Verpflichtung für lediglich drei Monate war zum anderen deshalb vorzunehmen, damit der Antragsgegner Gelegenheit hat, sein Ermessen unter Berücksichtigung der ggf. noch zu ermittelnden Umstände des Einzelfalles auszuüben. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, der Rechtsgrundlage für die Verpflichtung des Antragsgegners ist, kann, wenn ein Anspruch auf Leistungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht gegeben ist, Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Danach ist, nach Feststellung der Umstände des Einzelfalles, vom Sozialhilfeträger Ermessen auszuüben, was bisher nicht erfolgt ist.

Unabhängig davon, ob der Rechtsprechung des BSG zu folgen ist, wonach eine Ermessensreduzierung auf Null im Regelfall bereits anzunehmen ist, wenn sich der Hilfebedürftige länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufgehalten hat, ergibt sich bereits aus dem Urteil des BSG vom 3. Dezember 2015, Az.: B 4 AS 44/15 R, dass es auch Fälle geben kann, in denen trotz des Zeitablaufs eine Reduzierung des dem Beklagten nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII eingeräumten Ermessens nicht anzunehmen ist.

Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird, oder wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthaltes eingeleitet hat (vgl. bereits BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15 R, juris Rdnr. 57 am Ende). Berücksichtigung könnte auch finden, ob der Betroffene in der Vergangenheit bereits seinen Aufenthalt im Inland für längere Zeit unterbrochen und in seinem Heimatland oder einem anderen Mitgliedstaat gelebt hat. Der Antragsgegner hat vorliegend Umstände benannt, die dafür sprechen könnten, dass hier das dem Antragsgegner eingeräumte Ermessen nicht auf eine Verpflichtung zur Gewährung von Hilfen zum Lebensunterhalt reduziert ist. Die Antragstellerin verfügt derzeit z.B. nicht über eine eigene Wohnung. Auch während ihrer Aufenthalte in Deutschland in den vergangenen Jahren war sie mehrmals "bei" einer anderen Person gemeldet. Die Umstände, die im Rahmen des vom Antragsgegner auszuübenden Ermessens zu berücksichtigen sind, wird dieser zu ermitteln haben. Hierfür dürfte ein Zeitraum von drei Monaten ausreichend sein. Aus diesem Grund konnte dem Antrag auf Verpflichtung für mindestens sechs Monate nicht gefolgt werden und war die Beschwerde insoweit zurückzuweisen.

Der Beginn der Leistungen war auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats festzulegen. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin sofort zurückzuerstattende finanzielle Verpflichtungen eingegangen ist, die eine Gewährung von Leistungen bereits ab Antragseingang bei dem Sozialgericht erforderlich machen würden, um eine Notlage abzuwenden, sind nicht ersichtlich.

Kosten der Unterkunft und Heizung hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht. Der Antragsgegner war daher lediglich zur Zahlung des monatlichen Regelbedarfs in Höhe von 404,00 Euro zu verpflichten. Gründe für eine Reduzierung dieses Betrages liegen nicht vor. Das Existenzminimum der Antragstellerin ist zu sichern (vgl. zur Frage der Reduzierung der Regelsätze im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Keller, aaO., § 86b Rdnr. 35d m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG analog.

Der Antragstellerin war Prozesskostenhilfe für des Beschwerdeverfahren unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu gewähren, da die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bot bzw. sogar teilweise erfolgreich war (§ 73 a SGG i.V.m. 114 ZPO).

Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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