Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 267/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Keine Aufhebung der Leistungsbewilligung bei Auslandsaufenthalt zur Pflege einer nahen Angehörigen.
1. Der Bescheid des Beklagten vom 29. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2016 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die gesamten außergerichtlichen Kosten der Klägerin und die außergerichtlichen Kosten des vormaligen Klägers zu 2. im Vorverfahren zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Rückforderung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende für den Zeitraum 6. August bis 30. September 2014 in Höhe von noch 1.447,54 EUR.
Die 1962 geborene Klägerin und ihr 2006 geborener Sohn, der frühere Kläger zu 2., beziehen seit Längerem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom beklagten Jobcenter. Für den Zeitraum August 2014 bis Januar 2015 wurden Leistungen von monatlich 707,04 EUR mit Bescheid vom 16. Juni 2014 bewilligt.
Am 25. August 2014 wurde per E-Mail beim Beklagten von der Klägerin die Genehmigung einer Ortsabwesenheit beantragt. Diese wurde zunächst vom 28. August bis zum 12. September, später bis zum 15. September 2014 genehmigt. Im September 2014 teilte die Klägerin außerdem mit, sie sei wegen Rückenschmerzen krankgeschrieben und könne nicht aus Paraguay zurückfliegen. Dazu legte sie später ein Attest des Dr. S. (dortiger Arzt) vom 22. September 2014 vor, wonach die Klägerin unter akuten Rückenschmerzen leide, bis 31. Oktober 2014 nicht belastbar sei und auch nicht fliegen könne.
Wie sich später ergab, waren die Klägerin und ihr Sohn am 6. August 2014 nach Paraguay eingereist und am 4. Mai 2015 wieder nach Deutschland zurückgekehrt.
Unter dem 12. Mai 2015 hörte der Beklagte zu einer Rückforderung von Leistungen an. Die Klägerin teilte mit, sie sei nach Paraguay geflogen, weil sie einen Anruf ihres Schwagers erhalten habe, dass es ihrer Schwester schlecht gehe und diese ihre Hilfe benötige.
Der Beklagte hob mit Bescheid vom 29. Mai 2015 die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 6. August bis zum 30. September 2014 auf und forderte von der Klägerin 1.447,54 EUR und vom Sohn der Klägerin 146,91 EUR zurück. Beide seien am 6. August 2014 ausgereist, ohne dies vorher mit dem Jobcenter abzusprechen. Erst am 25. August 2014 sei per Mail die Genehmigung einer Ortsabwesenheit beantragt worden. Die Entscheidung sei mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei. Außerdem sei zumindest grob fahrlässig die Mitteilungspflicht verletzt worden und die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, dass der zuerkannte Anspruch ganz oder teilweise weggefallen sei.
Im Widerspruch wurde geltend gemacht, eine Zustimmung zur Ortsabwesenheit sei nur für erwerbsfähige Hilfebedürftige erforderlich. Die Klägerin sei zudem in einer Notsituation nach Paraguay gereist wegen der akuten Suizidalität ihrer Schwester und der Überforderung des Schwagers. Eine Vermittlung der Klägerin habe ohnedies nicht angestanden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2016 änderte der Beklagte den Bescheid vom 29. Mai 2015 dahin, dass die Erstattung der 146,91 EUR durch den Sohn der Klägerin entfiel, und wies im Übrigen des Widerspruch zurück. Erst am 11. Mai 2015 sei bekannt geworden, dass die Klägerin mit ihrem Sohn bereits sei am 6. August 2014 nach Paraguay geflogen sei. Die vorherige Zustimmung habe sie entgegen gesetzlicher Verpflichtung und Belehrung nicht eingeholt. Die Ortsabwesenheit sei auch nicht ab 8. September 2014 wegen Arbeitsunfähigkeit unbeachtlich geworden. Denn maßgebend sei der Verstoß gegen die Pflicht zur Erreichbarkeit. Erst wenn diese wiederhergestellt sei, entfalle der Leistungsausschluss. Ihre Mitteilungspflichten habe die Klägerin grob fahrlässig verletzt und hätte auch wissen müssen, dass ihr ab 6. August 2014 kein Anspruch mehr auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustehe. Damit seien die Leistungen an die Klägerin für den Zeitraum 6. August bis 30. September 2014 ebenso wie die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in diesem Zeitraum zu erstatten.
Dagegen ist für die Klägerin und ihren Sohn durch ihre Prozessbevollmächtigten am 11. Februar 2016 Klage zum Sozialgericht Reutlingen erhoben worden. Dieses hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 1. März 2016 an das Sozialgericht Augsburg verwiesen, wo er am 9. März 2016 erfasst worden ist. Zur Klagebegründung ist vorgetragen worden, dass der Leistungsausschluss wegen Ortsabwesenheit nur erwerbsfähige Leistungsberechtigte betreffe. Dann seien die Kosten der Unterkunft und Heizung aber abweichend vom Kopfteilprinzip auf die verbliebenen Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft umzulegen. Deswegen seien die unterkunftskosten voll übernehmen. Zudem sei der Sohn der Klägerin über diese familienversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass die Beiträge nicht zurückzuzahlen seien. Wegen einer Wirbelkörperverletzung sei die Klägerin ab 8. September 2014 arbeitsunfähig gewesen, so dass der Leistungsausschluss wegen Ortsabwesenheit nicht greife. Ab Oktober 2014 bestehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch mit dem aufgerechnet werde, soweit nach dem Vorgesagten überhaupt noch eine Rückforderung bestehen bleibe. Die Klägerin sei schließlich wegen einer akuten Notlage nach Paraguay ausgereist.
Beklagtenseits ist erwidert worden, der Leistungsausschluss solle eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen vorhindern und den Grundsatz des Forderns unterstützen. Die Klägerin habe unter Vortäuschung falscher Tatsachen weiter Leistungen erhalten wollen. Dieses Fehlverhalten werde in der Klagebegründung völlig außer Acht gelassen. Eine Umlegung der Unterkunftskosten komme nicht infrage, weil die Wohnung nicht genutzt worden sei. Trotz der Arbeitsunfähigkeit greife der Leistungsausschluss, da zunächst eine nicht genehmigte Ortsabwesenheit vorgelegen habe. Der Versicherungsschutz in der Krankenversicherung entfalle außerdem nicht wegen der Rückforderung von Beiträgen.
Mit Bescheid vom 22. Februar 2016 hat der Beklagte die Leistungsbewilligung ab 1. Oktober 2014 aufgehoben.
Eine vergleichsweise Regelung zwischen den Beteiligten ist in der mündlichen Verhandlung nicht zustande gekommen.
Hinsichtlich des Sohnes der Klägerin ist die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen worden.
Für die Klägerin wird beantragt:
Der Bescheid des Beklagten vom 29. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2016 wird aufgehoben.
Für den Beklagten wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Gegenstand des Verfahrens ist allein noch die mit Bescheid vom 29. Mai 2015 und Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2016 vorgenommene Aufhebung der Leistungsbewilligung für den Zeitraum 6. August bis 30. September 2014 und die deswegen von der Klägerin geforderte Erstattung von 1.447,54 EUR. Der zuletzt gestellte Klageantrag beschränkt sich auch auf die Aufhebung dieser Entscheidung. Die mit Bescheid vom 22. Februar 2016 verfügte Leistungsaufhebung ab Oktober 2014 ist im vorliegenden Verfahren weder klägerseits angefochten worden noch ist dieser Bescheid nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in das Verfahren einzubeziehen, weil er einen anderen Zeitraum betrifft und daher den streitigen Bescheid vom 29. Mai 2015 nicht abändert oder ersetzt.
Mit diesem Inhalt ist die Klage zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 29. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2016 ist aufzuheben, weil er in Bezug auf die Klägerin rechtswidrig ist und sie in ihren Rechten verletzt.
Der Aufhebung und Erstattung von Leistungen durch die Klägerin steht nicht § 107 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) entgegen. Dies käme infrage, wenn der Beklagte für die zurückgeforderten Leistungen einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger (gehabt) hätte (vgl. SG Augsburg, Urteil vom 17. November 2015, S 8 AS 983/15). Einzig denkbar wäre hier ein Anspruch gegenüber dem zuständigen Sozialhilfeträger im Hinblick auf einen Anspruch der Klägerin auf Sozialhilfe für Deutsche im Ausland nach § 24 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Allerdings hat die Klägerin im streitigen Zeitraum keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland begründet. Angesichts der geschilderten Umstände geht das Gericht nicht davon aus, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des beklagten Jobcenters aufgeben wollte. Es ist weder nach den klägerischen Angaben noch aufgrund sonstiger Umstände zu irgendeinem Zeitpunkt der Abwesenheit der Wille der Klägerin erkennbar, dass sie sich zukunftsoffen in Paraguay aufhalten bzw. nicht mehr in den Landkreis Rottweil zurückkehren wollte.
Die Voraussetzungen für die verfügte Aufhebung der Leistungsbewilligung liegen jedoch nicht vor. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Leistungsbewilligung gegenüber der Klägerin für den Zeitraum 6. August bis 30. September 2014 kommt allein § 40 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) i.V.m. § 48 SGB X infrage, weil die ursprüngliche Leistungsbewilligung für den besagten Zeitraum durch den Bescheid vom 16. Juni 2014 rechtmäßig war.
Eine für diese Aufhebung notwendige wesentliche Änderung der Verhältnisse ist schon nicht eingetreten. Der vom Beklagten herangezogene Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II wegen ungenehmigter Ortsabwesenheit kommt nicht zum Tragen. Hinsichtlich des Zeitraums 28. August bis 15. September 2014 liegt ohnedies eine genehmigte Ortsabwesenheit vor. Diese Genehmigung ist auch nicht zurückgenommen oder aufgehoben worden. Zudem ist 8. September 2014 eine krankheitsbedingte Verhinderung der Klägerin an der Rückkehr nach Deutschland anzunehmen. Nach dem ärztlichen Attest des Dr. S. vom 22. September 2014 war die Klägerin flugunfähig und damit an der Rückkehr in das Gebiet des Beklagten gehindert. Insoweit schließt sich das Gericht der Auffassung des SG Berlin im Urteil vom 21. August 2013, S 205 AS 5324/11, an, dass bei einer objektiven Unmöglichkeit der Rückkehr und Mitwirkung an der beruflichen Eingliederung, § 7 Abs. 4a SGB II teleologisch zu reduzieren ist. Daran ändert auch nichts, dass die Ortsabwesenheit der Klägerin erst ab 28. August 2014 genehmigt worden ist, weil diese Genehmigung zwar fehlerhaft sein mag, aber bestandskräftig ist. Angesichts des glaubwürdigen Vortrags der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und des ärztlichen Attestes hat das Gericht auch keinen Anlass, an der krankheitsbedingten Unmöglichkeit der Rückkehr für die Klägerin zu zweifeln.
Darüber hinaus ist außerdem ab dem Beginn der Ortsabwesenheit, ab 6. August 2015, ein wichtiger Grund für den Aufenthalt in Paraguay gegeben. Die Sorge und Pflege der Schwester der Klägerin sind ein nachvollziehbarer Grund für die umgehende Reise nach Paraguay und den Aufenthalt dort. Die Klägerin hat nachvollziehbar geschildert, weshalb ihre Anwesenheit dort erforderlich war trotz dessen, dass ihre Schwester mit ihrem Mann zusammen lebt, und weshalb eine frühere Rückkehr nicht möglich war. Die Sorge um eine so nahe Angehörige, zumal die einzige enge Verwandte neben dem Sohn, ist verständlich und rechtfertigt auch ein derartiges Verhalten. Eine Beeinträchtigung der Eingliederung in Arbeit ist weder vom Beklagten dargetan noch sonst ersichtlich.
Eine wesentliche Änderung ist auch nicht darin zu sehen, dass sich die Klägerin fast neun Monate, bis 4. Mai 2015, im Ausland aufhielt. Angesichts der geschilderten Umstände geht das Gericht nicht davon aus, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des beklagten Jobcenters aufgeben wollte, wie bereits oben dargelegt.
Auch eine wesentliche Änderung infolge Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 SGB II wegen der langdauernden Erkrankung der Klägerin ist nicht gegeben. Es war nicht absehbar, dass die Erkrankung länger als sechs Monate andauern würde. Das ergibt sich aus dem bereits erwähnten Attest des Dr. S ... Letztlich haben wohl vor allem finanzielle Gründe zu dem angegebenen verzögerten Heilungsverlauf geführt, die anfangs so nicht absehbar waren.
Die vom Beklagten vorgenommene Aufhebung mit Wirkung ab 6. August 2014 scheitert auch daran, dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht erfüllt sind. Die Nummern 1 und 3 dieser Regelung sind offenkundig nicht gegeben. Aber auch die Nummern 2 und 4 können nicht herangezogen werden. Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin weder vorsätzlich noch grob fahrlässig ihre Ortsabwesenheit in Paraguay nicht bzw. verspätet dem Beklagten mitgeteilt. Nach dem Akteninhalt ist davon auszugehen, dass dem Beklagten dieser Umstand bereits im September 2014 und nicht erst am 11. Mai 2015 bekannt war. Für den August und September 2014 hat die Klägerin aber in den Augen des Gerichts überzeugend dargelegt, dass sie wegen der Betreuung ihrer Schwester, des Schwagers, des Haushalts und ihres Sohnes, wegen der örtlichen Gegebenheiten und aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war oder nicht daran gedacht hatte, sich (früher) beim Beklagten zu melden und ihre Abwesenheit mitzuteilen. Die Mail der Klägerin am 25. August 2014 zeigt zwar, dass sie wusste, dass eine Ortsabwesenheit vom Jobcenter zu genehmigen ist. Allerdings beurteilt es das Gericht als allenfalls fahrlässig, dass dieser Umstand nicht bzw. nicht eher angezeigt worden ist. Aufgrund der gesamten Umstände ist der Kläger kein vom Gesetz gefordertes schwereres Fehlverhalten zum Vorwurf zu machen. Das gilt ebenso für die Kenntnis bzw. schuldhafte Unkenntnis vom Wegfall des Anspruchs auf die bewilligten Leistungen.
Nachdem der Bescheid des Beklagten bereits aus diesen Gründen aufzuheben ist, kann auch dahin stehen, ob die Leistungsaufhebung bestimmt genug verfügt worden ist. Denn im Ausgangsbescheid vom 29. Mai 2015 ist ausgeführt, dass die Aufhebung für die Zukunft erfolgt, obschon im Verfügungssatz diese ab 6. August 2014 vorgenommen worden ist.
Demzufolge ist der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG und § 63 SGB X. Angesichts des vollen Erfolges der Klage der Klägerin ist insofern eine vollumfängliche Kostenerstattung durch den Beklagten für Vor- und Klageverfahren angemessen. Hinsichtlich des Sohnes der Klägerin, des früheren Klägers zu 2., ist trotz Rücknahme der Klage eine volle Kostenerstattung für das Vorverfahren angemessen, weil insofern der Widerspruch im Ganzen erfolgreich war.
2. Der Beklagte hat die gesamten außergerichtlichen Kosten der Klägerin und die außergerichtlichen Kosten des vormaligen Klägers zu 2. im Vorverfahren zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Rückforderung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende für den Zeitraum 6. August bis 30. September 2014 in Höhe von noch 1.447,54 EUR.
Die 1962 geborene Klägerin und ihr 2006 geborener Sohn, der frühere Kläger zu 2., beziehen seit Längerem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom beklagten Jobcenter. Für den Zeitraum August 2014 bis Januar 2015 wurden Leistungen von monatlich 707,04 EUR mit Bescheid vom 16. Juni 2014 bewilligt.
Am 25. August 2014 wurde per E-Mail beim Beklagten von der Klägerin die Genehmigung einer Ortsabwesenheit beantragt. Diese wurde zunächst vom 28. August bis zum 12. September, später bis zum 15. September 2014 genehmigt. Im September 2014 teilte die Klägerin außerdem mit, sie sei wegen Rückenschmerzen krankgeschrieben und könne nicht aus Paraguay zurückfliegen. Dazu legte sie später ein Attest des Dr. S. (dortiger Arzt) vom 22. September 2014 vor, wonach die Klägerin unter akuten Rückenschmerzen leide, bis 31. Oktober 2014 nicht belastbar sei und auch nicht fliegen könne.
Wie sich später ergab, waren die Klägerin und ihr Sohn am 6. August 2014 nach Paraguay eingereist und am 4. Mai 2015 wieder nach Deutschland zurückgekehrt.
Unter dem 12. Mai 2015 hörte der Beklagte zu einer Rückforderung von Leistungen an. Die Klägerin teilte mit, sie sei nach Paraguay geflogen, weil sie einen Anruf ihres Schwagers erhalten habe, dass es ihrer Schwester schlecht gehe und diese ihre Hilfe benötige.
Der Beklagte hob mit Bescheid vom 29. Mai 2015 die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 6. August bis zum 30. September 2014 auf und forderte von der Klägerin 1.447,54 EUR und vom Sohn der Klägerin 146,91 EUR zurück. Beide seien am 6. August 2014 ausgereist, ohne dies vorher mit dem Jobcenter abzusprechen. Erst am 25. August 2014 sei per Mail die Genehmigung einer Ortsabwesenheit beantragt worden. Die Entscheidung sei mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei. Außerdem sei zumindest grob fahrlässig die Mitteilungspflicht verletzt worden und die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, dass der zuerkannte Anspruch ganz oder teilweise weggefallen sei.
Im Widerspruch wurde geltend gemacht, eine Zustimmung zur Ortsabwesenheit sei nur für erwerbsfähige Hilfebedürftige erforderlich. Die Klägerin sei zudem in einer Notsituation nach Paraguay gereist wegen der akuten Suizidalität ihrer Schwester und der Überforderung des Schwagers. Eine Vermittlung der Klägerin habe ohnedies nicht angestanden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2016 änderte der Beklagte den Bescheid vom 29. Mai 2015 dahin, dass die Erstattung der 146,91 EUR durch den Sohn der Klägerin entfiel, und wies im Übrigen des Widerspruch zurück. Erst am 11. Mai 2015 sei bekannt geworden, dass die Klägerin mit ihrem Sohn bereits sei am 6. August 2014 nach Paraguay geflogen sei. Die vorherige Zustimmung habe sie entgegen gesetzlicher Verpflichtung und Belehrung nicht eingeholt. Die Ortsabwesenheit sei auch nicht ab 8. September 2014 wegen Arbeitsunfähigkeit unbeachtlich geworden. Denn maßgebend sei der Verstoß gegen die Pflicht zur Erreichbarkeit. Erst wenn diese wiederhergestellt sei, entfalle der Leistungsausschluss. Ihre Mitteilungspflichten habe die Klägerin grob fahrlässig verletzt und hätte auch wissen müssen, dass ihr ab 6. August 2014 kein Anspruch mehr auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustehe. Damit seien die Leistungen an die Klägerin für den Zeitraum 6. August bis 30. September 2014 ebenso wie die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in diesem Zeitraum zu erstatten.
Dagegen ist für die Klägerin und ihren Sohn durch ihre Prozessbevollmächtigten am 11. Februar 2016 Klage zum Sozialgericht Reutlingen erhoben worden. Dieses hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 1. März 2016 an das Sozialgericht Augsburg verwiesen, wo er am 9. März 2016 erfasst worden ist. Zur Klagebegründung ist vorgetragen worden, dass der Leistungsausschluss wegen Ortsabwesenheit nur erwerbsfähige Leistungsberechtigte betreffe. Dann seien die Kosten der Unterkunft und Heizung aber abweichend vom Kopfteilprinzip auf die verbliebenen Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft umzulegen. Deswegen seien die unterkunftskosten voll übernehmen. Zudem sei der Sohn der Klägerin über diese familienversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass die Beiträge nicht zurückzuzahlen seien. Wegen einer Wirbelkörperverletzung sei die Klägerin ab 8. September 2014 arbeitsunfähig gewesen, so dass der Leistungsausschluss wegen Ortsabwesenheit nicht greife. Ab Oktober 2014 bestehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch mit dem aufgerechnet werde, soweit nach dem Vorgesagten überhaupt noch eine Rückforderung bestehen bleibe. Die Klägerin sei schließlich wegen einer akuten Notlage nach Paraguay ausgereist.
Beklagtenseits ist erwidert worden, der Leistungsausschluss solle eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen vorhindern und den Grundsatz des Forderns unterstützen. Die Klägerin habe unter Vortäuschung falscher Tatsachen weiter Leistungen erhalten wollen. Dieses Fehlverhalten werde in der Klagebegründung völlig außer Acht gelassen. Eine Umlegung der Unterkunftskosten komme nicht infrage, weil die Wohnung nicht genutzt worden sei. Trotz der Arbeitsunfähigkeit greife der Leistungsausschluss, da zunächst eine nicht genehmigte Ortsabwesenheit vorgelegen habe. Der Versicherungsschutz in der Krankenversicherung entfalle außerdem nicht wegen der Rückforderung von Beiträgen.
Mit Bescheid vom 22. Februar 2016 hat der Beklagte die Leistungsbewilligung ab 1. Oktober 2014 aufgehoben.
Eine vergleichsweise Regelung zwischen den Beteiligten ist in der mündlichen Verhandlung nicht zustande gekommen.
Hinsichtlich des Sohnes der Klägerin ist die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen worden.
Für die Klägerin wird beantragt:
Der Bescheid des Beklagten vom 29. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2016 wird aufgehoben.
Für den Beklagten wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Gegenstand des Verfahrens ist allein noch die mit Bescheid vom 29. Mai 2015 und Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2016 vorgenommene Aufhebung der Leistungsbewilligung für den Zeitraum 6. August bis 30. September 2014 und die deswegen von der Klägerin geforderte Erstattung von 1.447,54 EUR. Der zuletzt gestellte Klageantrag beschränkt sich auch auf die Aufhebung dieser Entscheidung. Die mit Bescheid vom 22. Februar 2016 verfügte Leistungsaufhebung ab Oktober 2014 ist im vorliegenden Verfahren weder klägerseits angefochten worden noch ist dieser Bescheid nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in das Verfahren einzubeziehen, weil er einen anderen Zeitraum betrifft und daher den streitigen Bescheid vom 29. Mai 2015 nicht abändert oder ersetzt.
Mit diesem Inhalt ist die Klage zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 29. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2016 ist aufzuheben, weil er in Bezug auf die Klägerin rechtswidrig ist und sie in ihren Rechten verletzt.
Der Aufhebung und Erstattung von Leistungen durch die Klägerin steht nicht § 107 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) entgegen. Dies käme infrage, wenn der Beklagte für die zurückgeforderten Leistungen einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger (gehabt) hätte (vgl. SG Augsburg, Urteil vom 17. November 2015, S 8 AS 983/15). Einzig denkbar wäre hier ein Anspruch gegenüber dem zuständigen Sozialhilfeträger im Hinblick auf einen Anspruch der Klägerin auf Sozialhilfe für Deutsche im Ausland nach § 24 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Allerdings hat die Klägerin im streitigen Zeitraum keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland begründet. Angesichts der geschilderten Umstände geht das Gericht nicht davon aus, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des beklagten Jobcenters aufgeben wollte. Es ist weder nach den klägerischen Angaben noch aufgrund sonstiger Umstände zu irgendeinem Zeitpunkt der Abwesenheit der Wille der Klägerin erkennbar, dass sie sich zukunftsoffen in Paraguay aufhalten bzw. nicht mehr in den Landkreis Rottweil zurückkehren wollte.
Die Voraussetzungen für die verfügte Aufhebung der Leistungsbewilligung liegen jedoch nicht vor. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Leistungsbewilligung gegenüber der Klägerin für den Zeitraum 6. August bis 30. September 2014 kommt allein § 40 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) i.V.m. § 48 SGB X infrage, weil die ursprüngliche Leistungsbewilligung für den besagten Zeitraum durch den Bescheid vom 16. Juni 2014 rechtmäßig war.
Eine für diese Aufhebung notwendige wesentliche Änderung der Verhältnisse ist schon nicht eingetreten. Der vom Beklagten herangezogene Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II wegen ungenehmigter Ortsabwesenheit kommt nicht zum Tragen. Hinsichtlich des Zeitraums 28. August bis 15. September 2014 liegt ohnedies eine genehmigte Ortsabwesenheit vor. Diese Genehmigung ist auch nicht zurückgenommen oder aufgehoben worden. Zudem ist 8. September 2014 eine krankheitsbedingte Verhinderung der Klägerin an der Rückkehr nach Deutschland anzunehmen. Nach dem ärztlichen Attest des Dr. S. vom 22. September 2014 war die Klägerin flugunfähig und damit an der Rückkehr in das Gebiet des Beklagten gehindert. Insoweit schließt sich das Gericht der Auffassung des SG Berlin im Urteil vom 21. August 2013, S 205 AS 5324/11, an, dass bei einer objektiven Unmöglichkeit der Rückkehr und Mitwirkung an der beruflichen Eingliederung, § 7 Abs. 4a SGB II teleologisch zu reduzieren ist. Daran ändert auch nichts, dass die Ortsabwesenheit der Klägerin erst ab 28. August 2014 genehmigt worden ist, weil diese Genehmigung zwar fehlerhaft sein mag, aber bestandskräftig ist. Angesichts des glaubwürdigen Vortrags der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und des ärztlichen Attestes hat das Gericht auch keinen Anlass, an der krankheitsbedingten Unmöglichkeit der Rückkehr für die Klägerin zu zweifeln.
Darüber hinaus ist außerdem ab dem Beginn der Ortsabwesenheit, ab 6. August 2015, ein wichtiger Grund für den Aufenthalt in Paraguay gegeben. Die Sorge und Pflege der Schwester der Klägerin sind ein nachvollziehbarer Grund für die umgehende Reise nach Paraguay und den Aufenthalt dort. Die Klägerin hat nachvollziehbar geschildert, weshalb ihre Anwesenheit dort erforderlich war trotz dessen, dass ihre Schwester mit ihrem Mann zusammen lebt, und weshalb eine frühere Rückkehr nicht möglich war. Die Sorge um eine so nahe Angehörige, zumal die einzige enge Verwandte neben dem Sohn, ist verständlich und rechtfertigt auch ein derartiges Verhalten. Eine Beeinträchtigung der Eingliederung in Arbeit ist weder vom Beklagten dargetan noch sonst ersichtlich.
Eine wesentliche Änderung ist auch nicht darin zu sehen, dass sich die Klägerin fast neun Monate, bis 4. Mai 2015, im Ausland aufhielt. Angesichts der geschilderten Umstände geht das Gericht nicht davon aus, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des beklagten Jobcenters aufgeben wollte, wie bereits oben dargelegt.
Auch eine wesentliche Änderung infolge Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 SGB II wegen der langdauernden Erkrankung der Klägerin ist nicht gegeben. Es war nicht absehbar, dass die Erkrankung länger als sechs Monate andauern würde. Das ergibt sich aus dem bereits erwähnten Attest des Dr. S ... Letztlich haben wohl vor allem finanzielle Gründe zu dem angegebenen verzögerten Heilungsverlauf geführt, die anfangs so nicht absehbar waren.
Die vom Beklagten vorgenommene Aufhebung mit Wirkung ab 6. August 2014 scheitert auch daran, dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht erfüllt sind. Die Nummern 1 und 3 dieser Regelung sind offenkundig nicht gegeben. Aber auch die Nummern 2 und 4 können nicht herangezogen werden. Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin weder vorsätzlich noch grob fahrlässig ihre Ortsabwesenheit in Paraguay nicht bzw. verspätet dem Beklagten mitgeteilt. Nach dem Akteninhalt ist davon auszugehen, dass dem Beklagten dieser Umstand bereits im September 2014 und nicht erst am 11. Mai 2015 bekannt war. Für den August und September 2014 hat die Klägerin aber in den Augen des Gerichts überzeugend dargelegt, dass sie wegen der Betreuung ihrer Schwester, des Schwagers, des Haushalts und ihres Sohnes, wegen der örtlichen Gegebenheiten und aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war oder nicht daran gedacht hatte, sich (früher) beim Beklagten zu melden und ihre Abwesenheit mitzuteilen. Die Mail der Klägerin am 25. August 2014 zeigt zwar, dass sie wusste, dass eine Ortsabwesenheit vom Jobcenter zu genehmigen ist. Allerdings beurteilt es das Gericht als allenfalls fahrlässig, dass dieser Umstand nicht bzw. nicht eher angezeigt worden ist. Aufgrund der gesamten Umstände ist der Kläger kein vom Gesetz gefordertes schwereres Fehlverhalten zum Vorwurf zu machen. Das gilt ebenso für die Kenntnis bzw. schuldhafte Unkenntnis vom Wegfall des Anspruchs auf die bewilligten Leistungen.
Nachdem der Bescheid des Beklagten bereits aus diesen Gründen aufzuheben ist, kann auch dahin stehen, ob die Leistungsaufhebung bestimmt genug verfügt worden ist. Denn im Ausgangsbescheid vom 29. Mai 2015 ist ausgeführt, dass die Aufhebung für die Zukunft erfolgt, obschon im Verfügungssatz diese ab 6. August 2014 vorgenommen worden ist.
Demzufolge ist der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG und § 63 SGB X. Angesichts des vollen Erfolges der Klage der Klägerin ist insofern eine vollumfängliche Kostenerstattung durch den Beklagten für Vor- und Klageverfahren angemessen. Hinsichtlich des Sohnes der Klägerin, des früheren Klägers zu 2., ist trotz Rücknahme der Klage eine volle Kostenerstattung für das Vorverfahren angemessen, weil insofern der Widerspruch im Ganzen erfolgreich war.
Rechtskraft
Aus
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