Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
135
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 135 AS 3966/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erwerbsfähige Ausländer, die dem Leistungsausschluss für Arbeitslosengeld II nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfallen, haben keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII (entgegen BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, vom 20. Januar 2016 B 14 As 15/15 R, B 14 AS 35/15 R).
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Klägerin für den Zeitraum November 2011 bis Juni 2012.
Die 1989 geborene Klägerin ist polnische Staatsangehörige. Die Klägerin arbeitete bis Oktober 2011 in Polen als Friseurin und zog dann von Polen nach Berlin. Sie ging im streitgegenständlichen Zeitraum keiner selbständigen oder Erwerbstätigkeit nach und hatte auch sonst keine Einnahmen oder Vermögen.
Die Klägerin bewohnte in Berlin eine 2-Zimmer-Wohnung gemeinsam mit Frau E. K. und Herrn J. K., der Sohn der Frau E. K.
Am 7. November 2011 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen, den der Beklagte mit Bescheid vom 26. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2012 ablehnte. Diese begründete er damit, dass die Klägerin nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sei, weil sie sich allein zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalte.
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zum Aktenzeichen S 59 AS 3966/12 ER/L 19 AS 629/12 B ER hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 10. Mai 2012 der Klägerin vorläufig Leistungen zugesprochen. Daraufhin erließ der Beklagte am 31. Mai 2012 einen Bescheid, mit dem er der Klägerin für den Zeitraum Februar bis Juli 2012 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährte.
Am 28. Juni 2012 stellte die Klägerin einen erneuten Leistungsantrag beim Beklagten, den dieser mit Bescheid vom 5. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2012 ablehnte. Die hiergegen erhobene Klage zum Aktenzeichen S 34 AS 20401/12 erledigte sich durch Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 SGG.
Mit Schreiben vom 14. April 2012, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie weiterhin Leistungen begehrt.
Die Klägerin trägt vor, dass sie bei einer Freundin der Mutter und deren Sohn zur Untermiete gewohnt habe und dafür eine Bruttowarmmiete von 99,- Euro vereinbart gewesen wäre. Dabei hätten in der 2-Zimmer-Wohnung der Sohn J. K. und dessen Mutter E. K., eine Freundin Ihrer Mutter, in einem Zimmer und sie in dem anderen Zimmer gewohnt. Es habe sich um eine Übergangsituation gehandelt, weil sie keine Wohnung gehabt hätte. Sie sei nach Deutschland gekommen, weil Frau K. ihr gesagt habe, sie könne in Deutschland als Friseurin arbeiten. Unter der Telefonnummer, die man ihr gegeben habe, habe sich aber niemand gemeldet. Dann habe sie weiter nach Arbeit gesucht, diese aber mangels Deutschkenntnissen zunächst nicht gefunden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 26. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum November 2011 bis Juni 2012 in gesetzlicher Höhe zu gewähren, hilfsweise den Beigeladenen zu verpflichten, der Klägerin Leistungen nach dem SGB XII für den Zeitraum November 2011 bis Juni 2012 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. Der Beklagte trägt vor, dass die Klägerin als EU-Ausländerin mit alleinigem Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ausgeschlossen sei.
Der Beigeladene beantragt, die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, dass die Klägerin als erwerbsfähige EU-Ausländerin mit alleinigem Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche von Leistungen nach dem SGB XII nach §§ 21 Abs. 1 und 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII ausgeschlossen sei. Der Leistungsausschluss des § 23 SGB XII entspreche dem des SGB II und mache den Willen des Gesetzgebers umso mehr deutlich. Personen, die erwerbsfähig seien, unterfielen nicht dem Regelungsbereich des Sozialhilferechts. Dies habe der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung klargestellt. Die Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII seien nur unter Hinzukommen besonderer Umstände zu leisten und bezögen sich nicht auf Leistungen zum Lebensunterhalt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden Leistungsakten des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der geheimen Beratung sowie mündlichen Verhandlung geworden sind.
Entscheidungsgründe:
Die Beiladung des Sozialhilfeträgers erfolgte nach § 75 Abs. 1 SGG, weil dessen berechtigte Interessen durch die Klageabweisung berührt werden (vgl. Fock in Breitkreuz/Fichte, SGG Kommentar, 2. Auflage, § 75 Rn. 18). Eine notwendige Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG hatte nicht zu erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossene Unionsbürger zwar einen Anspruch nach SGB XII haben (vgl. BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, vom 20. Januar 2016 B 14 As 15/15 R, B 14 AS 35/15 R). Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung jedoch aus den noch zu nennenden Gründen nicht.
Die Klage hat keinen Erfolg.
Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 26. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2012 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit dem Monat der Antragstellung November 2011 (§ 37 Abs. 2 S. 2 SGB II in der streitgegenständlichen Fassung) und endet, da die Klägerin ihr Begehren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt hat mit der erneuten Antragstellung im Juni 2012 (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 44/15 R m.w.N.).
Der die Entscheidungen des LSG im vorläufigen Rechtsschutz ausführende Bescheid des Beklagten vom 31. Mai 2012 ist nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 44/15 R m.w.N.)
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 1. Alt, Abs. 5 SGG zulässig, aber unbegründet.
Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II gegen den Beklagten. Die 1989 geborene Klägerin erfüllt die Altersgrenze des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II, ist erwerbsfähig nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II, und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland entsprechend § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II.
1. Die Kammer ist bereits der Überzeugung, dass die Klägerin ihre Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II nicht nachgewiesen hat, weil die Klägerin bereits im streitgegenständlichen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft i.S.d. § 9 Abs. 2. S. 1 SGB II mit Herrn J. K. bildete. Daher war dessen Einkommen und Vermögen bei der Beurteilung der Hillfebedürftigkeit der Klägerin zu beachten. Denn die Kammer kann der Klägerin nicht dahingehend folgen, dass sie lediglich zur Untermiete und in einer Wohngemeinschaft mit ihrem jetzigen Ehemann Herrn J. K. und dessen Mutter lebte. Die Kammer hält die Aussage der Klägerin für unglaubhaft. Es ist nicht nachvollziehbar und lebensfern, dass die Klägerin aus einer Erwerbstätigkeit heraus ohne ein konkretes Arbeitsangebot und ohne eine Unterkunft zu haben, von Polen nach Berlin zog und dann der damals 28jährige J. K. in ein Zimmer mit seiner Mutter zog, während die Klägerin das andere Zimmer bewohnte.
Es kann vorliegend dahinstehen, ob unter Anrechnung des Einkommens und Vermögens des Herrn J. K. eine Hilfebedürftigkeit anzunehmen ist, da die Kammer einen Leistungsausschluss von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII für gegeben sieht.
2. Die Klägerin ist aufgrund § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen. Danach sind vom Leistungsbezug ausgeschlossen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.
Es kann dahinstehen, ob sich die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhielt.
Zwar erfasst der ausdrückliche Wortlaut des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II nur Personen, die sich erst drei Monate oder bereits mehr als drei Monate allein zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten. Jedoch sind vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II auch die Personen umfasst, die keine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizüG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht haben. Insoweit ist § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II planwidrig lückenhaft und im Wege des "Erst-Recht-Schluss" auszulegen. Diese Form des Analogieschlusses ist immer dann zulässig, wenn das Gesetz angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers planwidrig lückenhaft ist. Wenn der Normzweck einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt stärker gegeben ist, als bei dem geregelten Normbestand, ist der "Erst-Recht-Schluss" zulässig (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 20 m.w.N.).
§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II erfasst Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung und auch kein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen nach seinem Wortlaut nicht. Aus der Entstehungsgeschichte, dem systematischen Zusammenhang und dem Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich jedoch, dass diese Gruppe gerade erfasst sein sollte (ausführlich dazu BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 20 ff m.w.N.).
Zweck der Einführung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II war die Umsetzung der Ausschlussmöglichkeit des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG. Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind. Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 21 m.w.N.).
Die Klägerin konnte sich im streitgegenständlichen Zeitraum nicht auf eine andere materielle Freizügigkeitsberechtigung als die der Arbeitssuche berufen.
Die Klägerin war nicht als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizüG/EU oder als Selbstständige i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Sie ging keiner Erwerbstätigkeit oder selbständigen Tätigkeit nach. Da die Klägerin weder Arbeitnehmerin noch Selbständige i.S.d. § 2 Abs. 2 FreizügG/EU war, hatte sie auch kein nachfolgendes Rechts aus § 2 Abs. 2 FreizügG/EU. Die Klägerin war auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürgerin iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Aus der Tatsache, dass die Klägerin geltend macht, hilfebedürftig i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II zu sein, ergibt sich, dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel im Sinne dieser Vorschrift verfügte (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 31).
Auch ein Daueraufenthaltsrecht i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU hat die Klägerin nicht. Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU iVm § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU setzt voraus, dass sich Unionsbürger seit fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Die Klägerin war jedoch erst im Oktober 2011 nach Deutschland eingereist.
Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht. 3. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II in dieser Auslegung ist europarechtskonform. Der EuGH hat in den Urteilen zur Rechtssache Dano (Urteil vom 11. November 2014, C 333/13 und Alimanovic (Urteil vom 15. September 2015, C 67/14) entschieden, dass ein Mitgliedsstaat Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten vom Zugang zu Sozialhilfeleistungen ausschließen kann, wenn ihnen gar kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht oder wenn ihr Aufenthaltsrecht sich nur aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.
4. Der Leistungsausschluss wird im Falle der Klägerin auch nicht durch Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA, BGBl II 1956, 564) verdrängt, da die Klägerin als polnische Staatsbürgerin nicht Staatsangehörige eines Vertragsstaates ist.
II.
Die Klägerin hat zur Überzeugung der Kammer auch keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII.
Die Kammer folgt insoweit aus den unten aufgeführten Gründen den Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht (BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, vom 20. Januar 2016 B 14 As 15/15 R, B 14 AS 35/15 R). Die Kammer sieht sich nicht an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebunden, eine solche Bindung ergibt sich nicht aus der Bindung an Recht und Gesetz aus Art. 20 Abs. 3 GG (a.A. Wenner, Gerichte dürfen den Rechtsschutz nicht verweigern, SozSich 3/2016, S. 44, der davon ausgeht, dass Gerichte das Gesetz "grundsätzlich in der Auslegung anwenden [müssen], die der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes vorgenommen hat." Dann aber auch einschränkend: "Sozial- und Landessozialgerichte können zwar auch eine abweichende Auffassung vertreten [ ]"). Eine Bindung im konkreten Verfahren nach § 170 Abs. 5 SGG besteht vorliegend nicht. Darüber hinaus binden obergerichtliche Entscheidungen anders als generell verbindliche Normen die unteren Instanzen bei ihrer Entscheidungsfindung nicht. "Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist nicht Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Der Geltungsgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und Kompetenz des Gerichts. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung kann allenfalls bei gefestigter, langjähriger Rechtsprechung entstehen." (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010, 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, Rn. 79 m.w.N.). Die in Art. 97 Abs. 1 GG verankerte Unabhängigkeit der Richter kann dementsprechend eine uneinheitliche Rechtsprechung zur Folge haben.
1.
Einen Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 23 SGB XII hat die Klägerin nicht. Denn sie ist als unstreitig Erwerbsfähige nach § 21 S. 1 SGB XII vom Bezug von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen.
Die Kammer folgt insoweit nicht den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, vom 20. Januar 2016 B 14 As 15/15 R, B 14 AS 35/15 R). Die Kammer ist der Überzeugung, dass sie aufgrund der Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG gehindert ist, den Leistungsausschluss aus § 21 S. 1 SGB XII so auszulegen, dass ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger Leistungen nach dem SGB XII beziehen kann (ebenso SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016, S 95 SO 3345/15 ER, SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2016, L 29 AS 20/16 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Februar 2016, L 9 AS 1335/15 B ER, Beschluss vom 7. März 2016, L 15 AS 185/15 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER; a.A. SG Berlin, Beschluss vom 4. Januar 2016, S 128 AS 25271/15 ER).
§ 21 S. 1 SGB XII lautet: "Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt."
Die Kammer ist der Überzeugung, dass der Wortlaut dieser Vorschrift so zu verstehen ist, dass Personen, die aus einem anderen Grund als der fehlenden Erwerbsfähigkeit i.S.d. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen sind, auch keinen Anspruch nach dem SGB XII haben (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2016, L 29 AS 20/16 B E, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER). Denn die Nennung der Voraussetzung der Erwerbsfähigkeit wäre überflüssig, wenn diese nicht zum Leistungsausschluss nach dem SGB XII führen sollte. Dann hätte ein Verweis auf die Anspruchsberechtigung nach dem SGB II genügt (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER).
Die Voraussetzung der Anspruchsberechtigung nach dem SGB II "dem Grunde nach" steht daneben nicht gesondert, sondern in Ergänzung und bezieht sich auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1. S. 1 SGB II, der die positiven Tatbestandsvoraussetzungen, so auch in Nr. 2 die Erwerbsfähigkeit benennt. Davon nicht erfasst sind die in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II genannten negativen Tatbestandsvoraussetzungen beziehungsweise Ausschlussgründe. Entsprechend lässt das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 7 SGB II, wie vorliegend der des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II den Ausschluss nach § 21 S. 1 SGB XII unberührt (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER).
Dass die Erwerbsfähigkeit das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung der Leistungssysteme nach dem SGB II und SGB XII ist, ergibt sich auch aus den Vorschriften der §§ 21 S. 3 SGB XII und 44 a SGB II. Diese regeln das Verfahren bei unterschiedlichen Auffassungen über die Zuständigkeit zwischen den Trägern der Leistungen nach SGB II und SGB XII in Bezug auf die Feststellung der Erwerbsfähigkeit detailliert. Daraus dass dieses Verfahren allein für den Streit über das Vorliegen der Erwerbsfähigkeit geregelt ist, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber diese als entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen den Leistungssystemen ansieht (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER).
Auch die Gesetzesbegründung zu § 21 SGB XII (BT Drs. 15/1514, S. 57) spricht zur Überzeugung der Kammer dafür, dass Erwerbsfähigen der Weg zu Leistungen nach dem SGB XII nicht eröffnet sein soll. Hier heißt es: "Die Regelung setzt nicht voraus, dass jemand tatsächlich Leistungen des anderen Sozialleistungsträgers erhält oder voll erhält, sondern knüpft an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren im Zweiten Buch näher bezeichneten Angehörigen an" (vgl. hierzu SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 28.01.2016, L 29 AS 20/16 B ER, 21/16 B ER PKH, bislang unveröffentlicht). Entsprechend heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II: "Auch wenn bei Ausländern die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, das heißt sie zwischen 15 und unter 65 Jahre alt, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, können dennoch die Leistungen nach diesem Buch durch den neugefassten Satz 2 ausgeschlossen sein. Darüber hinaus kommen dann für diese Personengruppe auch Leistungen des SGB XII wegen § 21 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht, da sie dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II ist" (vgl. hierzu SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13).
Die Kammer ist weiter der Überzeugung, dass dieser Wille im Gesetzeswortlaut wiederzufinden und daher bei der Auslegung zu beachten ist (a.A. SG Berlin, Beschluss vom 4. Januar 2016, S 128 AS 25271/15 ER Rn. 28). Insoweit wird auf die Ausführungen zuvor verwiesen. Die Kammer kann nicht erkennen, dass allein die Tatsache, dass auch eine andere Regelung möglich gewesen wäre (so SG Berlin, Beschluss vom 4. Januar 2016, S 128 AS 25271/15 ER Rn. 28 dahingehend, dass allein die Erwerbsfähigkeit als Ausschlusstatbestand genannt hätte werden können) dazu führen kann, dass der im Wortlaut zumindest auch zu erkennende Wille des Gesetzgebers keine Rolle spielen sollte.
Auch das Bundesozialgericht erkennt die grundsätzliche Abgrenzung nach der Erwerbsfähigkeit an, wenn es ausführt: "Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird" (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 44/15 R). Die entscheidende Funktion des Leistungsausschlusses des § 21 S. 1 SGB XII ist, dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehende Personen nicht dem auf Aktivierung und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ausgerichteten System des SGB II zuzuordnen, sondern in das hiervon unabhängige Grundsicherungssystem des SGB XII zu integrieren (s. dazu SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER; zur Abgrenzung des Leistungssysteme nach der Erwerbsfähigkeit Eicher in JurisPK, § 21 SGB XII, Rn. 15; Voelzke in: Haucke/Noftz, SGB, 01/14, § 21 SGB XII Rn. 31).
Soweit das Bundessozialgericht im Weiteren argumentiert, die "Systemabgrenzung" erfordere eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse und der Erwerbsfähigkeit allein komme daher keine entscheidende Bedeutung bei der Abgrenzung zwischen den Leistungssystemen von SGB II und SGB XII zu, kann die Kammer dem gerade im Hinblick auf die sodann zur Begründung angeführten Urteile (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 105/11 R, BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014, B 14 AS 66/13 R, BSG, Urteil vom 19. August 2015, B 14 AS 1/15 R) zu § 7 Abs. 4 SGB II nicht folgen.
Diese genannten Urteile des Bundessozialgerichts betreffen Altersrentenbezieher und stationär Untergebrachte beziehungsweise Inhaftierte, die dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 SGB II unterfallen. Dieser Leistungsausschluss bezieht sich auf die Erwerbsfähigkeit, indem für diese Fälle die fehlende Erwerbsfähigkeit fingiert beziehungsweise gesetzlich vermutet wird (vgl. Thie, LPK-SGB II, 5. Auflage, Rn. 85ff m.w.N.). Dass in diesen Fällen trotz eventuell bestehender tatsächlicher Erwerbsfähigkeit der Leistungsausschluss nach § 21 S. 1 SGB XII nicht gilt, liegt nicht daran, dass dieser zusätzlich zur Erwerbsfähigkeit die Leistungsberechtigung nach dem SGB II dem Grunde nach voraussetzt. Vielmehr folgt aus dem Ausschluss bei Erwerbsfähigkeit, dass die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II unterfallenden Personen, nicht nach § 21 S. 1 SGB XII von Leistungen ausgeschlossen sind. Denn sie sind aufgrund der gesetzlichen Vermutung nicht als Erwerbsfähige i.S.d. § 21 S. 1 SGB XII anzusehen (s. dazu ausführlich SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016, S 95 SO 3345/15 ER SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER).
Die Kammer ist der Überzeugung, dass diese Auslegung des § 21 S. 1 SGB XII nicht für Leistungsausschlüsse nach § 7 SGB II gelten kann, die nicht an die Erwerbsfähigkeit anknüpfen (so auch SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016, S 95 SO 3345/15 ER SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER). Dies gilt für den hier maßgeblichen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ebenso wie für andere Leistungsausschlüsse, wie zum Beispiel den der unerlaubten Ortsabwesenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II. Würde auch für diese Fälle angenommen, dass § 21 S. 1 SGB XII nicht gilt, hätten unerlaubt ortsabwesende Hilfebedürftige einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII (ohne die sich aus dem SGB II folgenden Pflichten), obwohl sie die in § 7 Abs. 4a SGB II vorgesehene Zustimmung nicht eingeholt haben.
Die Kammer sieht sich aufgrund der Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG und des Grundsatzes der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 GG gehindert, der Auslegung des § 21 S. 1 SGB XII durch das Bundessozialgericht in den genannten Entscheidungen zu folgen (vgl. zur unzulässigen Rechtsfortbildung, Lenze in NJW 8/2016, 555/557).
Denn nach dem oben Gesagten, ist die Kammer der Überzeugung, dass § 21 S. 1 SGB XII nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Gesetzessystematik dahingehend auszulegen ist, dass tatsächlich erwerbsfähige Personen, die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterfallen, keinen Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach SGB XII haben. Eine andere Auslegung widerspricht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der sich zur Überzeugung der Kammer auch deutlich im Wortlaut widerspiegelt. Daher stellt nach Überzeugung der Kammer die diesem Willen entgegenstehende Auslegung einen unzulässigen Eingriff in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers und damit einen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 GG und den Vorrang des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG dar (s. dazu SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, Az: S 149 AS 7191/13, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, Az S 95 SO 146/16 ER).
Insoweit folgt die Kammer der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Grenzen der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen. Danach folgt aus dem in Art. 20 Abs. 2 GG festgeschriebenen Grundsatz der Gewaltenteilung, dass den Gerichten nicht die Befugnisse zustehen, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen worden sind. Die Gerichte sind demnach daran gehindert, "sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben und sich damit der aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebenen Bindung an Recht und Gesetz zu entziehen. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011, Az: 1 BvR 918,10 Rn. 52 m.w.N., so auch BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 55/15 R, Rn. 20; SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, Az: S 149 AS 7191/13, zur Rechtsanwendung durch Richter auch Flint, Selbstverständnis Sozialrichter, NZS 3/2016, S. 82).
Die Rechtsfortbildung ist zwar auch Aufgabe der Gerichte und wird von diesen zum Teil durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auch durch den Gesetzgeber gefordert. Dieser Rechtsfortbildung sind jedoch durch das Prinzip der Gewaltenteilung, das Demokratieprinzip und die Bindung des Gerichts an das Gesetz aus Art. 20 Abs. 2, Abs. 3, 97 Abs. 1 GG Grenzen gesetzt. Gesetzeskorrigierendes oder gesetzesersetzendes Richterrecht darf es danach nicht geben (s. zu dazu ausführlich und mit weiteren Nachweisen, Nolte, Die Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Mohr Siebeck 2015, S. 68ff.). Das Bundesverfassungsgericht stellt im Weiteren klar, dass es auch Aufgabe der Gerichte ist, das Recht fortzuentwickeln angesichts des beschleunigten Wandels und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers und offener Formulierungen in zahlreichen Normen. Diese Befugnis zur "schöpferischen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung" ist jedoch mit Rücksicht auf Art. 20 Abs. 3 GG begrenzt. Eine Auslegung entgegen dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes ist daher unzulässig und stellt einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Gewaltenteilung und Gesetzesbindung dar. "Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Er hat hierbei den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein" (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011, Az: 1 BvR 918/10, Rn. 53).
2.
Ein Leistungsanspruch ergibt sich auch nicht aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA, BGBl II 1956, 564), da Polen nicht Vertragsstaat ist.
3.
Da die Klägerin zur Überzeugung der Kammer bereits aufgrund § 21 S. 1 SGB XII von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen ist, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob ihr Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII zustehen.
Gemäß § 23 Abs. 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe.
Das Bundessozialgericht nimmt insoweit einen Anspruch für Staatsbürger der EFA Vertragsstaaten nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 59/13 R) beziehungsweise nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII unter Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null nach einem sechsmonatigen Aufenthalt (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R) an.
Die Kammer kann diese Ansprüche bereits aufgrund des Gesetzeswortlautes und der Gesetzessystematik des § 23 Abs. 1 SGB XII nicht erkennen. Denn § 23 S. 1 S. 3 SGB XII regelt nach seinem Wortlaut "im Übrigen" keine Ansprüche, die bereits in § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII genannt sind. Die hier im Streit stehenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt sind in § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII genannt und können daher schon nach seinem Wortlaut nicht von § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII erfasst sein (so auch, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, Az S 95 SO 146/16 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Coseriu, JurisPK, § 23 SGB XII Rn.10).
Weiterhin ist die Kammer der Überzeugung, dass die Klägerin von Leistungen nach § 23 Abs. 1 S. 1 und S. 3 SGB XII aufgrund der Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII ausgeschlossen ist. Dieser Leistungsausschluss entspricht der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und regelt: "Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe". Entsprechend wurde im Gesetzesentwurf darauf hingewiesen, dass die Einfügung des § 23 Abs. 3 S. 1 2. Alt SGB XII sicherstellen solle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus Grundsicherung für Arbeitssuchende haben, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten können. Damit sollte Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 b RL 2004/38/EG umgesetzt werden. Nach dieser ist ein Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen denen dieser Status erhalten bleibt und ihren Familienangehörigen einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren (s. dazu BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R, Rn. 49). Auch dieser Leistungsausschluss gilt erst recht für Ausländer, die ohne materielles Aufenthaltsrecht in Deutschland sind (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 48).
Die Kammer ist der Überzeugung, dass nach Wortlaut, Systematik und dem genannten Gesetzeszweck der Vorschrift sämtliche Leistungen der Sozialhilfe gemeint sind und damit auch die Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII. Denn auch Ermessensleistungen sind grundsätzlich vom Begriff "Anspruch" umfasst. Die in § 23 Abs. 3 S. 2 SGB XII einzig geregelte Rückausnahme gilt lediglich für Hilfe bei Krankheit. Aufgrund dieses klaren Wortlautes sieht sich die Kammer an einer Auslegung wie sie das Bundessozialgericht vornimmt gehindert, da insoweit die oben beschriebenen Grenzen aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG zur Überzeugung der Kammer erreicht sind (so auch SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, Az S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER).
Etwas anderes kann zur Überzeugung der Kammer auch nicht aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängernorm des § 120 BSHG gelten. Nach dieser Rechtsprechung sollten Ausländer, die dem Leistungsausschluss wegen der Einreise zur Erlangung von Sozialhilfe unterfielen, nur vom gebundenen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs. 1 S. 1 BSHG a.F., nicht aber von Ermessensleistungen nach § 120 Abs. 1 S. 2 BSHG a.F. ausgeschlossen sein (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1985, 5 C 32/85; Urteil vom 14. März 1985, 5 C 145/83). Insoweit nimmt das Bundessozialgericht an, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts inhaltsgleich übernommen habe und daher für den dort geregelten Leistungsausschluss nichts anderes gelten könne. Da auch die systematische Stellung des § 23 Abs. 1 S. 1 und 3 SGB XII dem des § 120 BSHG entspreche, könne der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII nur die in § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII genannten Leistungen auf die ein gebundener Anspruch bestehe, nicht aber die in § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII genannten Ermessensleistungen erfassen (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R, Rn. 51f.)
Diese Herleitung kann die Kammer schon deshalb nicht überzeugen, weil die den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegende Gesetzesfassung des § 120 BSHG eben gerade nicht im Wesentlichen der Regelung des § 23 SGB XII entsprach. § 120 BSHG in der Fassung vom 20. Januar 1987 lautete:
"Personen, die nicht Deutsche im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sind und die sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Krankenhilfe, Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen und Hilfe zur Pflege nach diesem Gesetz zu gewähren; wer sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben hat, um Sozialhilfe zu erlangen, hat keinen Anspruch. Im übrigen kann Sozialhilfe gewährt werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu gewähren ist oder gewährt werden soll, bleiben unberührt."
Der dem heutigen § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII entsprechende Leistungsausschluss stand also gerade zwischen den Leistungsansprüchen entsprechend dem heutigen § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII (direkt angeknüpft im zweiten Halbsatz) und den Ermessensleistungen entsprechend dem heutigen § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII. Bei dieser Gesetzessystematik wäre auch die Kammer der Überzeugung, dass die erst nach dem Leistungsausschluss in einem gesonderten Satz genannten Ermessensleistungen auch für vom davor genannten Leistungsausschluss erfasste Personen bestehen sollen. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber später und im hier streitentscheidenden § 23 SGB XII den Leistungsausschluss gerade nach sämtlichen für Ausländer nach Absatz 1 geltenden Leistungsansprüchen im Absatz 3 der Vorschrift nennt und in diesem eine einzige Rückausnahme regelt, führt nach Ansicht der Kammer im Vergleich zur Vorgängerregelung des § 120 BSHG und der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gerade dazu, dass nach der aktuellen Gesetzessystematik ein Leistungsausschluss auch für die im Satz 3 des Absatz 1 genannten Ermessensleistungen vom Gesetzgeber gewollt und auch geregelt ist (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER).
4.
Zur Überzeugung der Kammer steht der Auslegung der Vorschriften der §§ 21, 23 SGB XII durch das Bundessozialgericht auch Art. 3 Abs. 1 GG entgegen. Denn durch die Aufnahme von erwerbsfähigen Unionsbürgern in das Leistungssystem des SGB XII werden diese gegenüber deutschen Staatsbürgern und ausländischen Staatsangehörigen, die aufgrund abhängiger oder selbstständiger Beschäftigung oder anderer Aufenthaltsrechte in das Leistungssystem des SGB II fallen, besser behandelt, ohne dass die Kammer dafür einen Rechtfertigungsgrund sehen kann. Für diese erwerbsfähigen Unionsbürger gelten dann nämlich Mitwirkungs- und Selbsthilfepflichten und die daraus folgenden Einschränkungen des SGB II nicht, wie zum Beispiel die grundsätzliche Pflicht nach § 7 Abs. 4a SGB II, sich im zeit- und ortsnahen Bereich des Trägers aufzuhalten oder der Verweis auf die Wohnung der Eltern nach § 22 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 SGB II für Hilfebedürftige, die unter 25 Jahren alt sind (s. dazu ausführlich, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER m.w.N.)
5.
Die Kammer sieht keine Veranlassung, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Frage der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII mit dem Grundgesetz vorzulegen. Denn die Kammer hält den Leistungsausschluss nicht für verfassungswidrig.
Anders als das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R) geht die Kammer nicht davon aus, dass aufgrund des geregelten Leistungsausschlusses ein Eingriff in Art. 1 Abs. 1. GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gegeben ist.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung das aus Art. 20 Abs. 1 GG folgende Sozialstaatsprinzip durch die Verbindung zum Schutz der Würde des Menschen in Art. 1 Abs. 1 GG subjektivrechtlich ausgestaltet. Insoweit hat es entschieden:
Tenor:
"Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter zu erlangen sind, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen. Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann" (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11, Rn 63).
Bereits in dieser grundsätzlichen Definition des sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Anspruches auf die Sicherung des Existenzminimums hat jedoch das Bundesverfassungsgericht selbst die Hilfe Dritter als vorrangig angesehen. Zwar darf diese Hilfe Dritter nicht rein freiwillig, sondern muss durch einen Anspruch des Hilfebedürftigen gesichert sein (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11, Rn 65). Dies ist jedoch bei durch andere Staaten der Europäischen Union für ihre Staatsbürger gewährleisteten Hilfen der Fall. Insoweit entspricht der in §§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII geregelte Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER, Beschluss vom 5. November 2015, L 3 AS 479/15 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Februar 2016, L 9 AS 1335/15 B ER m.w.N., LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER).
Dass ein solcher Verweis auf Sozialleistungssysteme anderer Länder nicht dem Grundsatz der Menschenwürde widerspricht, ergibt sich auch daraus, dass das Bundesverfassungsgericht selbst davon ausgeht, dass das Menschenrecht auf Sicherung des Existenzminimums, das aus Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet wird, nur für solche Personen gelten soll, "die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten" (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11). Ein sich weltweit erstreckender Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums gegenüber dem deutschen Staat kann sich schon aufgrund der offensichtlichen Unmöglichkeit der Umsetzung nicht aus Art. 1 Abs. 1 GG ergeben. Ein solcher wird auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig nicht angenommen. Dementsprechend ist der tatsächliche beziehungsweise der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II und §§ 23 Abs. 1 S. 1 und 24 Abs. 1 S. 1 SGB XII in der Regel Voraussetzung für den Empfang existenzsichernder Leistungen, ohne dass dies verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
Wenn die Hilfebedürftigen sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, erkennt die Kammer, dass das Menschenrecht der Menschenwürde und der hieraus hergeleitete Anspruch auf die Sicherung des Existenzminimums sich auf Ausländer wie Deutsche gleichermaßen beziehen. Insoweit ist jedoch der Verweis auf Leistungssysteme anderer Staaten durchaus zulässig, da der Verweis auf Leistungen Dritter, auf die ein Anspruch besteht, vom Bundesverfassungsgericht wie erläutert vorgesehen ist.
Soweit das Bundessozialgericht darauf verweist, dass eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus durch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, Rn. 99) ausdrücklich abgelehnt worden sei und deshalb eine Ermessensreduzierung auf Null bezüglich des nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII angenommenen Leistungsanspruchs gegeben sei (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R), kann die Kammer dem so nicht folgen. Auch geht die Kammer nicht davon aus, dass der Leistungsausschluss einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt, weil die Menschenwürde nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "migrationspolitisch nicht zu relativieren sei" (Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 Rn. 95; so aber wohl Wenner in SozSich 2/2016, S. 44). Denn diese Konkretisierungen des Bundesverfassungsgerichts zum Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG erfolgten in der Entscheidung, in der es um die Frage ging, ob der Gesetzgeber bei der Ermittlung der Höhe von Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz im Vergleich zu Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII andere Bedarfe festsetzen kann, wenn es um die Sicherung des Existenzminimums geht. In dieser Entscheidung prüft das Bundesverfassungsgericht ebenso wie in der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze nach SGB II (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09) nicht die inhaltliche Konkretisierung des Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, sondern vor allem die verfahrensrechtliche Sicherung, indem es Maßstäbe an das innere Gesetzgebungsverfahren bezüglich der Bestimmung der Leistungshöhe aufstellt (Nolte, Rationale Rechtsfindung im Sozialrecht, in: Der Staat 2013, 245/247 f.).
Die Situation eines Asylbewerbers ist jedoch zur Überzeugung der Kammer in keiner Weise vergleichbar mit der eines Bürgers der Europäischen Union, der von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch macht und nach Deutschland einreist. Das einfachgesetzlich ausgestaltete Recht auf Asyl steht nach Art. 16 a GG politisch Verfolgten zu. Diese können regelmäßig nicht in das Herkunftsland zurückkehren, anders als der freizügigkeitsberechtigte Bürger der Europäischen Union. Die Rückkehr in das Heimatland stellt für Bürger der Europäischen Union daher ein zulässiges Mittel zur Selbsthilfe dar. Die Notwendigkeit der Rückkehr stellt keinen Eingriff in das Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums dar (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER, so auch BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1988, 5 B 136/87). Sollte ein Bürger der Europäischen Union ebenfalls aus politischen Gründen an der Rückkehr in sein Heimatland gehindert sein, wären auch für diesen das Asylverfahrensrecht und die entsprechenden Leistungen eröffnet.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Notwendigkeit der Mitwirkung bei der Sicherung des Existenzminimums selbst anerkannt. Entsprechend hat es entschieden, dass der in §§ 7 Abs. 5 SGB II für Studenten geregelte Ausschluss von existenzsichernden Leistungen keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums darstellt, weil der Betroffene durch Abbruch des Studiums den Weg zu diesem Existenzsicherungssystem eröffnen kann (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2014, 1 BvR 886/11, vgl. dazu ausführlich SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER).
Diese Entscheidung zeigt auch, dass es für die Frage der Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG unerheblich ist, dass die vom gesetzlichen Leistungsausschluss erfassten Ausländer bis zur tatsächlichen Ausreise keinem System zur Sicherung des Existenzminimums unterstellt sind, auch wenn sie nicht zur Ausreise verpflichtet sind (a.A. Coseriu in: jurisPK, § 23 Rn. 63.3 und 63.6, in dem er den Verweis auf die Inanspruchnahme von Leistungen im Heimatland als "absurd und nicht mit dem GG in Einklang zu bringen" bezeichnet). Denn auch Studenten sind nach keiner Norm verpflichtet ihr Studium aufzugeben. Solange sie dies jedoch nicht tun, sind sie nach §§ 7 Abs. 5 SGB II und 22 Abs. 2 SGB XII von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ausgeschlossen.
Auch in seiner aktuellen Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht zur Verfassungsmäßigkeit der Aufrechnung nach § 43 SGB II in Höhe von 30 Prozent des Regelbedarfs entschieden, dass bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Gewährleistungsrechts aus Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG die Eigenverantwortung des Hilfebedürftigen als Teil der Art. 1 Abs. 1 GG zugrunde liegenden Vorstellung vom Menschen Beachtung finden kann (Urteil vom 9. März 2016, B 14 AS 20/15 R).
Daneben dürften Hintergrund der Regelungen zum Leistungsausschluss aus §§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II; 21 S. 1 SGB XII weniger migrationspolitische Erwägungen sein, als vielmehr das von den Vertragsstaaten gemeinsam erarbeitete System des Freizügigkeitsrechts, dass sich in den detaillierten Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes in Umsetzung europäischer Regelungen wiederfindet (s. dazu ausführlich SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER).
Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ergibt jedoch zur Überzeugung der Kammer einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen, wie der Kosten der Rückreise und des bis dahin in Deutschland erforderlichen Aufenthaltes (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2015, L 20 As 2161/15 B ER; SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13). Leistungen für die Rückreise sind jedoch vorliegend nicht beantragt. Die Kammer kann weiter nicht ersehen, dass ein weiterer Aufenthalt in Deutschland vor der Rückreise nach Polen erforderlich war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Klägerin für den Zeitraum November 2011 bis Juni 2012.
Die 1989 geborene Klägerin ist polnische Staatsangehörige. Die Klägerin arbeitete bis Oktober 2011 in Polen als Friseurin und zog dann von Polen nach Berlin. Sie ging im streitgegenständlichen Zeitraum keiner selbständigen oder Erwerbstätigkeit nach und hatte auch sonst keine Einnahmen oder Vermögen.
Die Klägerin bewohnte in Berlin eine 2-Zimmer-Wohnung gemeinsam mit Frau E. K. und Herrn J. K., der Sohn der Frau E. K.
Am 7. November 2011 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen, den der Beklagte mit Bescheid vom 26. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2012 ablehnte. Diese begründete er damit, dass die Klägerin nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sei, weil sie sich allein zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalte.
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zum Aktenzeichen S 59 AS 3966/12 ER/L 19 AS 629/12 B ER hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 10. Mai 2012 der Klägerin vorläufig Leistungen zugesprochen. Daraufhin erließ der Beklagte am 31. Mai 2012 einen Bescheid, mit dem er der Klägerin für den Zeitraum Februar bis Juli 2012 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährte.
Am 28. Juni 2012 stellte die Klägerin einen erneuten Leistungsantrag beim Beklagten, den dieser mit Bescheid vom 5. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2012 ablehnte. Die hiergegen erhobene Klage zum Aktenzeichen S 34 AS 20401/12 erledigte sich durch Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 SGG.
Mit Schreiben vom 14. April 2012, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie weiterhin Leistungen begehrt.
Die Klägerin trägt vor, dass sie bei einer Freundin der Mutter und deren Sohn zur Untermiete gewohnt habe und dafür eine Bruttowarmmiete von 99,- Euro vereinbart gewesen wäre. Dabei hätten in der 2-Zimmer-Wohnung der Sohn J. K. und dessen Mutter E. K., eine Freundin Ihrer Mutter, in einem Zimmer und sie in dem anderen Zimmer gewohnt. Es habe sich um eine Übergangsituation gehandelt, weil sie keine Wohnung gehabt hätte. Sie sei nach Deutschland gekommen, weil Frau K. ihr gesagt habe, sie könne in Deutschland als Friseurin arbeiten. Unter der Telefonnummer, die man ihr gegeben habe, habe sich aber niemand gemeldet. Dann habe sie weiter nach Arbeit gesucht, diese aber mangels Deutschkenntnissen zunächst nicht gefunden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 26. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum November 2011 bis Juni 2012 in gesetzlicher Höhe zu gewähren, hilfsweise den Beigeladenen zu verpflichten, der Klägerin Leistungen nach dem SGB XII für den Zeitraum November 2011 bis Juni 2012 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. Der Beklagte trägt vor, dass die Klägerin als EU-Ausländerin mit alleinigem Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ausgeschlossen sei.
Der Beigeladene beantragt, die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, dass die Klägerin als erwerbsfähige EU-Ausländerin mit alleinigem Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche von Leistungen nach dem SGB XII nach §§ 21 Abs. 1 und 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII ausgeschlossen sei. Der Leistungsausschluss des § 23 SGB XII entspreche dem des SGB II und mache den Willen des Gesetzgebers umso mehr deutlich. Personen, die erwerbsfähig seien, unterfielen nicht dem Regelungsbereich des Sozialhilferechts. Dies habe der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung klargestellt. Die Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII seien nur unter Hinzukommen besonderer Umstände zu leisten und bezögen sich nicht auf Leistungen zum Lebensunterhalt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden Leistungsakten des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der geheimen Beratung sowie mündlichen Verhandlung geworden sind.
Entscheidungsgründe:
Die Beiladung des Sozialhilfeträgers erfolgte nach § 75 Abs. 1 SGG, weil dessen berechtigte Interessen durch die Klageabweisung berührt werden (vgl. Fock in Breitkreuz/Fichte, SGG Kommentar, 2. Auflage, § 75 Rn. 18). Eine notwendige Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG hatte nicht zu erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossene Unionsbürger zwar einen Anspruch nach SGB XII haben (vgl. BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, vom 20. Januar 2016 B 14 As 15/15 R, B 14 AS 35/15 R). Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung jedoch aus den noch zu nennenden Gründen nicht.
Die Klage hat keinen Erfolg.
Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 26. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2012 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit dem Monat der Antragstellung November 2011 (§ 37 Abs. 2 S. 2 SGB II in der streitgegenständlichen Fassung) und endet, da die Klägerin ihr Begehren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt hat mit der erneuten Antragstellung im Juni 2012 (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 44/15 R m.w.N.).
Der die Entscheidungen des LSG im vorläufigen Rechtsschutz ausführende Bescheid des Beklagten vom 31. Mai 2012 ist nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 44/15 R m.w.N.)
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 1. Alt, Abs. 5 SGG zulässig, aber unbegründet.
Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II gegen den Beklagten. Die 1989 geborene Klägerin erfüllt die Altersgrenze des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II, ist erwerbsfähig nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II, und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland entsprechend § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II.
1. Die Kammer ist bereits der Überzeugung, dass die Klägerin ihre Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II nicht nachgewiesen hat, weil die Klägerin bereits im streitgegenständlichen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft i.S.d. § 9 Abs. 2. S. 1 SGB II mit Herrn J. K. bildete. Daher war dessen Einkommen und Vermögen bei der Beurteilung der Hillfebedürftigkeit der Klägerin zu beachten. Denn die Kammer kann der Klägerin nicht dahingehend folgen, dass sie lediglich zur Untermiete und in einer Wohngemeinschaft mit ihrem jetzigen Ehemann Herrn J. K. und dessen Mutter lebte. Die Kammer hält die Aussage der Klägerin für unglaubhaft. Es ist nicht nachvollziehbar und lebensfern, dass die Klägerin aus einer Erwerbstätigkeit heraus ohne ein konkretes Arbeitsangebot und ohne eine Unterkunft zu haben, von Polen nach Berlin zog und dann der damals 28jährige J. K. in ein Zimmer mit seiner Mutter zog, während die Klägerin das andere Zimmer bewohnte.
Es kann vorliegend dahinstehen, ob unter Anrechnung des Einkommens und Vermögens des Herrn J. K. eine Hilfebedürftigkeit anzunehmen ist, da die Kammer einen Leistungsausschluss von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII für gegeben sieht.
2. Die Klägerin ist aufgrund § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen. Danach sind vom Leistungsbezug ausgeschlossen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.
Es kann dahinstehen, ob sich die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhielt.
Zwar erfasst der ausdrückliche Wortlaut des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II nur Personen, die sich erst drei Monate oder bereits mehr als drei Monate allein zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten. Jedoch sind vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II auch die Personen umfasst, die keine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizüG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht haben. Insoweit ist § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II planwidrig lückenhaft und im Wege des "Erst-Recht-Schluss" auszulegen. Diese Form des Analogieschlusses ist immer dann zulässig, wenn das Gesetz angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers planwidrig lückenhaft ist. Wenn der Normzweck einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt stärker gegeben ist, als bei dem geregelten Normbestand, ist der "Erst-Recht-Schluss" zulässig (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 20 m.w.N.).
§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II erfasst Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung und auch kein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen nach seinem Wortlaut nicht. Aus der Entstehungsgeschichte, dem systematischen Zusammenhang und dem Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich jedoch, dass diese Gruppe gerade erfasst sein sollte (ausführlich dazu BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 20 ff m.w.N.).
Zweck der Einführung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II war die Umsetzung der Ausschlussmöglichkeit des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG. Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind. Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 21 m.w.N.).
Die Klägerin konnte sich im streitgegenständlichen Zeitraum nicht auf eine andere materielle Freizügigkeitsberechtigung als die der Arbeitssuche berufen.
Die Klägerin war nicht als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizüG/EU oder als Selbstständige i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Sie ging keiner Erwerbstätigkeit oder selbständigen Tätigkeit nach. Da die Klägerin weder Arbeitnehmerin noch Selbständige i.S.d. § 2 Abs. 2 FreizügG/EU war, hatte sie auch kein nachfolgendes Rechts aus § 2 Abs. 2 FreizügG/EU. Die Klägerin war auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürgerin iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Aus der Tatsache, dass die Klägerin geltend macht, hilfebedürftig i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II zu sein, ergibt sich, dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel im Sinne dieser Vorschrift verfügte (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 31).
Auch ein Daueraufenthaltsrecht i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU hat die Klägerin nicht. Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU iVm § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU setzt voraus, dass sich Unionsbürger seit fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Die Klägerin war jedoch erst im Oktober 2011 nach Deutschland eingereist.
Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht. 3. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II in dieser Auslegung ist europarechtskonform. Der EuGH hat in den Urteilen zur Rechtssache Dano (Urteil vom 11. November 2014, C 333/13 und Alimanovic (Urteil vom 15. September 2015, C 67/14) entschieden, dass ein Mitgliedsstaat Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten vom Zugang zu Sozialhilfeleistungen ausschließen kann, wenn ihnen gar kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht oder wenn ihr Aufenthaltsrecht sich nur aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.
4. Der Leistungsausschluss wird im Falle der Klägerin auch nicht durch Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA, BGBl II 1956, 564) verdrängt, da die Klägerin als polnische Staatsbürgerin nicht Staatsangehörige eines Vertragsstaates ist.
II.
Die Klägerin hat zur Überzeugung der Kammer auch keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII.
Die Kammer folgt insoweit aus den unten aufgeführten Gründen den Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht (BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, vom 20. Januar 2016 B 14 As 15/15 R, B 14 AS 35/15 R). Die Kammer sieht sich nicht an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebunden, eine solche Bindung ergibt sich nicht aus der Bindung an Recht und Gesetz aus Art. 20 Abs. 3 GG (a.A. Wenner, Gerichte dürfen den Rechtsschutz nicht verweigern, SozSich 3/2016, S. 44, der davon ausgeht, dass Gerichte das Gesetz "grundsätzlich in der Auslegung anwenden [müssen], die der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes vorgenommen hat." Dann aber auch einschränkend: "Sozial- und Landessozialgerichte können zwar auch eine abweichende Auffassung vertreten [ ]"). Eine Bindung im konkreten Verfahren nach § 170 Abs. 5 SGG besteht vorliegend nicht. Darüber hinaus binden obergerichtliche Entscheidungen anders als generell verbindliche Normen die unteren Instanzen bei ihrer Entscheidungsfindung nicht. "Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist nicht Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Der Geltungsgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und Kompetenz des Gerichts. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung kann allenfalls bei gefestigter, langjähriger Rechtsprechung entstehen." (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010, 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, Rn. 79 m.w.N.). Die in Art. 97 Abs. 1 GG verankerte Unabhängigkeit der Richter kann dementsprechend eine uneinheitliche Rechtsprechung zur Folge haben.
1.
Einen Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 23 SGB XII hat die Klägerin nicht. Denn sie ist als unstreitig Erwerbsfähige nach § 21 S. 1 SGB XII vom Bezug von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen.
Die Kammer folgt insoweit nicht den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, vom 20. Januar 2016 B 14 As 15/15 R, B 14 AS 35/15 R). Die Kammer ist der Überzeugung, dass sie aufgrund der Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG gehindert ist, den Leistungsausschluss aus § 21 S. 1 SGB XII so auszulegen, dass ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger Leistungen nach dem SGB XII beziehen kann (ebenso SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016, S 95 SO 3345/15 ER, SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2016, L 29 AS 20/16 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Februar 2016, L 9 AS 1335/15 B ER, Beschluss vom 7. März 2016, L 15 AS 185/15 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER; a.A. SG Berlin, Beschluss vom 4. Januar 2016, S 128 AS 25271/15 ER).
§ 21 S. 1 SGB XII lautet: "Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt."
Die Kammer ist der Überzeugung, dass der Wortlaut dieser Vorschrift so zu verstehen ist, dass Personen, die aus einem anderen Grund als der fehlenden Erwerbsfähigkeit i.S.d. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen sind, auch keinen Anspruch nach dem SGB XII haben (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2016, L 29 AS 20/16 B E, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER). Denn die Nennung der Voraussetzung der Erwerbsfähigkeit wäre überflüssig, wenn diese nicht zum Leistungsausschluss nach dem SGB XII führen sollte. Dann hätte ein Verweis auf die Anspruchsberechtigung nach dem SGB II genügt (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER).
Die Voraussetzung der Anspruchsberechtigung nach dem SGB II "dem Grunde nach" steht daneben nicht gesondert, sondern in Ergänzung und bezieht sich auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1. S. 1 SGB II, der die positiven Tatbestandsvoraussetzungen, so auch in Nr. 2 die Erwerbsfähigkeit benennt. Davon nicht erfasst sind die in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II genannten negativen Tatbestandsvoraussetzungen beziehungsweise Ausschlussgründe. Entsprechend lässt das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 7 SGB II, wie vorliegend der des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II den Ausschluss nach § 21 S. 1 SGB XII unberührt (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER).
Dass die Erwerbsfähigkeit das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung der Leistungssysteme nach dem SGB II und SGB XII ist, ergibt sich auch aus den Vorschriften der §§ 21 S. 3 SGB XII und 44 a SGB II. Diese regeln das Verfahren bei unterschiedlichen Auffassungen über die Zuständigkeit zwischen den Trägern der Leistungen nach SGB II und SGB XII in Bezug auf die Feststellung der Erwerbsfähigkeit detailliert. Daraus dass dieses Verfahren allein für den Streit über das Vorliegen der Erwerbsfähigkeit geregelt ist, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber diese als entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen den Leistungssystemen ansieht (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, Az: S 35 AS 5396/15 ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER).
Auch die Gesetzesbegründung zu § 21 SGB XII (BT Drs. 15/1514, S. 57) spricht zur Überzeugung der Kammer dafür, dass Erwerbsfähigen der Weg zu Leistungen nach dem SGB XII nicht eröffnet sein soll. Hier heißt es: "Die Regelung setzt nicht voraus, dass jemand tatsächlich Leistungen des anderen Sozialleistungsträgers erhält oder voll erhält, sondern knüpft an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren im Zweiten Buch näher bezeichneten Angehörigen an" (vgl. hierzu SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 28.01.2016, L 29 AS 20/16 B ER, 21/16 B ER PKH, bislang unveröffentlicht). Entsprechend heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II: "Auch wenn bei Ausländern die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, das heißt sie zwischen 15 und unter 65 Jahre alt, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, können dennoch die Leistungen nach diesem Buch durch den neugefassten Satz 2 ausgeschlossen sein. Darüber hinaus kommen dann für diese Personengruppe auch Leistungen des SGB XII wegen § 21 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht, da sie dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II ist" (vgl. hierzu SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13).
Die Kammer ist weiter der Überzeugung, dass dieser Wille im Gesetzeswortlaut wiederzufinden und daher bei der Auslegung zu beachten ist (a.A. SG Berlin, Beschluss vom 4. Januar 2016, S 128 AS 25271/15 ER Rn. 28). Insoweit wird auf die Ausführungen zuvor verwiesen. Die Kammer kann nicht erkennen, dass allein die Tatsache, dass auch eine andere Regelung möglich gewesen wäre (so SG Berlin, Beschluss vom 4. Januar 2016, S 128 AS 25271/15 ER Rn. 28 dahingehend, dass allein die Erwerbsfähigkeit als Ausschlusstatbestand genannt hätte werden können) dazu führen kann, dass der im Wortlaut zumindest auch zu erkennende Wille des Gesetzgebers keine Rolle spielen sollte.
Auch das Bundesozialgericht erkennt die grundsätzliche Abgrenzung nach der Erwerbsfähigkeit an, wenn es ausführt: "Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird" (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az: B 4 AS 44/15 R). Die entscheidende Funktion des Leistungsausschlusses des § 21 S. 1 SGB XII ist, dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehende Personen nicht dem auf Aktivierung und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ausgerichteten System des SGB II zuzuordnen, sondern in das hiervon unabhängige Grundsicherungssystem des SGB XII zu integrieren (s. dazu SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER; zur Abgrenzung des Leistungssysteme nach der Erwerbsfähigkeit Eicher in JurisPK, § 21 SGB XII, Rn. 15; Voelzke in: Haucke/Noftz, SGB, 01/14, § 21 SGB XII Rn. 31).
Soweit das Bundessozialgericht im Weiteren argumentiert, die "Systemabgrenzung" erfordere eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse und der Erwerbsfähigkeit allein komme daher keine entscheidende Bedeutung bei der Abgrenzung zwischen den Leistungssystemen von SGB II und SGB XII zu, kann die Kammer dem gerade im Hinblick auf die sodann zur Begründung angeführten Urteile (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 105/11 R, BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014, B 14 AS 66/13 R, BSG, Urteil vom 19. August 2015, B 14 AS 1/15 R) zu § 7 Abs. 4 SGB II nicht folgen.
Diese genannten Urteile des Bundessozialgerichts betreffen Altersrentenbezieher und stationär Untergebrachte beziehungsweise Inhaftierte, die dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 SGB II unterfallen. Dieser Leistungsausschluss bezieht sich auf die Erwerbsfähigkeit, indem für diese Fälle die fehlende Erwerbsfähigkeit fingiert beziehungsweise gesetzlich vermutet wird (vgl. Thie, LPK-SGB II, 5. Auflage, Rn. 85ff m.w.N.). Dass in diesen Fällen trotz eventuell bestehender tatsächlicher Erwerbsfähigkeit der Leistungsausschluss nach § 21 S. 1 SGB XII nicht gilt, liegt nicht daran, dass dieser zusätzlich zur Erwerbsfähigkeit die Leistungsberechtigung nach dem SGB II dem Grunde nach voraussetzt. Vielmehr folgt aus dem Ausschluss bei Erwerbsfähigkeit, dass die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II unterfallenden Personen, nicht nach § 21 S. 1 SGB XII von Leistungen ausgeschlossen sind. Denn sie sind aufgrund der gesetzlichen Vermutung nicht als Erwerbsfähige i.S.d. § 21 S. 1 SGB XII anzusehen (s. dazu ausführlich SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016, S 95 SO 3345/15 ER SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER).
Die Kammer ist der Überzeugung, dass diese Auslegung des § 21 S. 1 SGB XII nicht für Leistungsausschlüsse nach § 7 SGB II gelten kann, die nicht an die Erwerbsfähigkeit anknüpfen (so auch SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016, S 95 SO 3345/15 ER SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER). Dies gilt für den hier maßgeblichen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ebenso wie für andere Leistungsausschlüsse, wie zum Beispiel den der unerlaubten Ortsabwesenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II. Würde auch für diese Fälle angenommen, dass § 21 S. 1 SGB XII nicht gilt, hätten unerlaubt ortsabwesende Hilfebedürftige einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII (ohne die sich aus dem SGB II folgenden Pflichten), obwohl sie die in § 7 Abs. 4a SGB II vorgesehene Zustimmung nicht eingeholt haben.
Die Kammer sieht sich aufgrund der Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG und des Grundsatzes der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 GG gehindert, der Auslegung des § 21 S. 1 SGB XII durch das Bundessozialgericht in den genannten Entscheidungen zu folgen (vgl. zur unzulässigen Rechtsfortbildung, Lenze in NJW 8/2016, 555/557).
Denn nach dem oben Gesagten, ist die Kammer der Überzeugung, dass § 21 S. 1 SGB XII nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Gesetzessystematik dahingehend auszulegen ist, dass tatsächlich erwerbsfähige Personen, die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterfallen, keinen Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach SGB XII haben. Eine andere Auslegung widerspricht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der sich zur Überzeugung der Kammer auch deutlich im Wortlaut widerspiegelt. Daher stellt nach Überzeugung der Kammer die diesem Willen entgegenstehende Auslegung einen unzulässigen Eingriff in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers und damit einen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 GG und den Vorrang des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG dar (s. dazu SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, Az: S 149 AS 7191/13, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, Az S 95 SO 146/16 ER).
Insoweit folgt die Kammer der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Grenzen der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen. Danach folgt aus dem in Art. 20 Abs. 2 GG festgeschriebenen Grundsatz der Gewaltenteilung, dass den Gerichten nicht die Befugnisse zustehen, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen worden sind. Die Gerichte sind demnach daran gehindert, "sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben und sich damit der aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebenen Bindung an Recht und Gesetz zu entziehen. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011, Az: 1 BvR 918,10 Rn. 52 m.w.N., so auch BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 55/15 R, Rn. 20; SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, Az: S 149 AS 7191/13, zur Rechtsanwendung durch Richter auch Flint, Selbstverständnis Sozialrichter, NZS 3/2016, S. 82).
Die Rechtsfortbildung ist zwar auch Aufgabe der Gerichte und wird von diesen zum Teil durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auch durch den Gesetzgeber gefordert. Dieser Rechtsfortbildung sind jedoch durch das Prinzip der Gewaltenteilung, das Demokratieprinzip und die Bindung des Gerichts an das Gesetz aus Art. 20 Abs. 2, Abs. 3, 97 Abs. 1 GG Grenzen gesetzt. Gesetzeskorrigierendes oder gesetzesersetzendes Richterrecht darf es danach nicht geben (s. zu dazu ausführlich und mit weiteren Nachweisen, Nolte, Die Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Mohr Siebeck 2015, S. 68ff.). Das Bundesverfassungsgericht stellt im Weiteren klar, dass es auch Aufgabe der Gerichte ist, das Recht fortzuentwickeln angesichts des beschleunigten Wandels und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers und offener Formulierungen in zahlreichen Normen. Diese Befugnis zur "schöpferischen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung" ist jedoch mit Rücksicht auf Art. 20 Abs. 3 GG begrenzt. Eine Auslegung entgegen dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes ist daher unzulässig und stellt einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Gewaltenteilung und Gesetzesbindung dar. "Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Er hat hierbei den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein" (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011, Az: 1 BvR 918/10, Rn. 53).
2.
Ein Leistungsanspruch ergibt sich auch nicht aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA, BGBl II 1956, 564), da Polen nicht Vertragsstaat ist.
3.
Da die Klägerin zur Überzeugung der Kammer bereits aufgrund § 21 S. 1 SGB XII von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen ist, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob ihr Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII zustehen.
Gemäß § 23 Abs. 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe.
Das Bundessozialgericht nimmt insoweit einen Anspruch für Staatsbürger der EFA Vertragsstaaten nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 59/13 R) beziehungsweise nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII unter Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null nach einem sechsmonatigen Aufenthalt (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R) an.
Die Kammer kann diese Ansprüche bereits aufgrund des Gesetzeswortlautes und der Gesetzessystematik des § 23 Abs. 1 SGB XII nicht erkennen. Denn § 23 S. 1 S. 3 SGB XII regelt nach seinem Wortlaut "im Übrigen" keine Ansprüche, die bereits in § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII genannt sind. Die hier im Streit stehenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt sind in § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII genannt und können daher schon nach seinem Wortlaut nicht von § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII erfasst sein (so auch, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, Az S 95 SO 146/16 ER, Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER, Coseriu, JurisPK, § 23 SGB XII Rn.10).
Weiterhin ist die Kammer der Überzeugung, dass die Klägerin von Leistungen nach § 23 Abs. 1 S. 1 und S. 3 SGB XII aufgrund der Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII ausgeschlossen ist. Dieser Leistungsausschluss entspricht der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und regelt: "Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe". Entsprechend wurde im Gesetzesentwurf darauf hingewiesen, dass die Einfügung des § 23 Abs. 3 S. 1 2. Alt SGB XII sicherstellen solle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus Grundsicherung für Arbeitssuchende haben, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten können. Damit sollte Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 b RL 2004/38/EG umgesetzt werden. Nach dieser ist ein Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen denen dieser Status erhalten bleibt und ihren Familienangehörigen einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren (s. dazu BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R, Rn. 49). Auch dieser Leistungsausschluss gilt erst recht für Ausländer, die ohne materielles Aufenthaltsrecht in Deutschland sind (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R Rn. 48).
Die Kammer ist der Überzeugung, dass nach Wortlaut, Systematik und dem genannten Gesetzeszweck der Vorschrift sämtliche Leistungen der Sozialhilfe gemeint sind und damit auch die Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII. Denn auch Ermessensleistungen sind grundsätzlich vom Begriff "Anspruch" umfasst. Die in § 23 Abs. 3 S. 2 SGB XII einzig geregelte Rückausnahme gilt lediglich für Hilfe bei Krankheit. Aufgrund dieses klaren Wortlautes sieht sich die Kammer an einer Auslegung wie sie das Bundessozialgericht vornimmt gehindert, da insoweit die oben beschriebenen Grenzen aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG zur Überzeugung der Kammer erreicht sind (so auch SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, Az S 95 SO 146/16 ER; Beschluss vom 22. Februar 2016. S 95 SO 3345/15 ER).
Etwas anderes kann zur Überzeugung der Kammer auch nicht aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängernorm des § 120 BSHG gelten. Nach dieser Rechtsprechung sollten Ausländer, die dem Leistungsausschluss wegen der Einreise zur Erlangung von Sozialhilfe unterfielen, nur vom gebundenen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs. 1 S. 1 BSHG a.F., nicht aber von Ermessensleistungen nach § 120 Abs. 1 S. 2 BSHG a.F. ausgeschlossen sein (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1985, 5 C 32/85; Urteil vom 14. März 1985, 5 C 145/83). Insoweit nimmt das Bundessozialgericht an, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts inhaltsgleich übernommen habe und daher für den dort geregelten Leistungsausschluss nichts anderes gelten könne. Da auch die systematische Stellung des § 23 Abs. 1 S. 1 und 3 SGB XII dem des § 120 BSHG entspreche, könne der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII nur die in § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII genannten Leistungen auf die ein gebundener Anspruch bestehe, nicht aber die in § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII genannten Ermessensleistungen erfassen (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R, Rn. 51f.)
Diese Herleitung kann die Kammer schon deshalb nicht überzeugen, weil die den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegende Gesetzesfassung des § 120 BSHG eben gerade nicht im Wesentlichen der Regelung des § 23 SGB XII entsprach. § 120 BSHG in der Fassung vom 20. Januar 1987 lautete:
"Personen, die nicht Deutsche im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sind und die sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Krankenhilfe, Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen und Hilfe zur Pflege nach diesem Gesetz zu gewähren; wer sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben hat, um Sozialhilfe zu erlangen, hat keinen Anspruch. Im übrigen kann Sozialhilfe gewährt werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu gewähren ist oder gewährt werden soll, bleiben unberührt."
Der dem heutigen § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII entsprechende Leistungsausschluss stand also gerade zwischen den Leistungsansprüchen entsprechend dem heutigen § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII (direkt angeknüpft im zweiten Halbsatz) und den Ermessensleistungen entsprechend dem heutigen § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII. Bei dieser Gesetzessystematik wäre auch die Kammer der Überzeugung, dass die erst nach dem Leistungsausschluss in einem gesonderten Satz genannten Ermessensleistungen auch für vom davor genannten Leistungsausschluss erfasste Personen bestehen sollen. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber später und im hier streitentscheidenden § 23 SGB XII den Leistungsausschluss gerade nach sämtlichen für Ausländer nach Absatz 1 geltenden Leistungsansprüchen im Absatz 3 der Vorschrift nennt und in diesem eine einzige Rückausnahme regelt, führt nach Ansicht der Kammer im Vergleich zur Vorgängerregelung des § 120 BSHG und der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gerade dazu, dass nach der aktuellen Gesetzessystematik ein Leistungsausschluss auch für die im Satz 3 des Absatz 1 genannten Ermessensleistungen vom Gesetzgeber gewollt und auch geregelt ist (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER).
4.
Zur Überzeugung der Kammer steht der Auslegung der Vorschriften der §§ 21, 23 SGB XII durch das Bundessozialgericht auch Art. 3 Abs. 1 GG entgegen. Denn durch die Aufnahme von erwerbsfähigen Unionsbürgern in das Leistungssystem des SGB XII werden diese gegenüber deutschen Staatsbürgern und ausländischen Staatsangehörigen, die aufgrund abhängiger oder selbstständiger Beschäftigung oder anderer Aufenthaltsrechte in das Leistungssystem des SGB II fallen, besser behandelt, ohne dass die Kammer dafür einen Rechtfertigungsgrund sehen kann. Für diese erwerbsfähigen Unionsbürger gelten dann nämlich Mitwirkungs- und Selbsthilfepflichten und die daraus folgenden Einschränkungen des SGB II nicht, wie zum Beispiel die grundsätzliche Pflicht nach § 7 Abs. 4a SGB II, sich im zeit- und ortsnahen Bereich des Trägers aufzuhalten oder der Verweis auf die Wohnung der Eltern nach § 22 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 SGB II für Hilfebedürftige, die unter 25 Jahren alt sind (s. dazu ausführlich, SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER m.w.N.)
5.
Die Kammer sieht keine Veranlassung, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Frage der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII mit dem Grundgesetz vorzulegen. Denn die Kammer hält den Leistungsausschluss nicht für verfassungswidrig.
Anders als das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R) geht die Kammer nicht davon aus, dass aufgrund des geregelten Leistungsausschlusses ein Eingriff in Art. 1 Abs. 1. GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gegeben ist.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung das aus Art. 20 Abs. 1 GG folgende Sozialstaatsprinzip durch die Verbindung zum Schutz der Würde des Menschen in Art. 1 Abs. 1 GG subjektivrechtlich ausgestaltet. Insoweit hat es entschieden:
Tenor:
"Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter zu erlangen sind, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen. Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann" (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11, Rn 63).
Bereits in dieser grundsätzlichen Definition des sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Anspruches auf die Sicherung des Existenzminimums hat jedoch das Bundesverfassungsgericht selbst die Hilfe Dritter als vorrangig angesehen. Zwar darf diese Hilfe Dritter nicht rein freiwillig, sondern muss durch einen Anspruch des Hilfebedürftigen gesichert sein (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11, Rn 65). Dies ist jedoch bei durch andere Staaten der Europäischen Union für ihre Staatsbürger gewährleisteten Hilfen der Fall. Insoweit entspricht der in §§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII geregelte Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER, Beschluss vom 5. November 2015, L 3 AS 479/15 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Februar 2016, L 9 AS 1335/15 B ER m.w.N., LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER).
Dass ein solcher Verweis auf Sozialleistungssysteme anderer Länder nicht dem Grundsatz der Menschenwürde widerspricht, ergibt sich auch daraus, dass das Bundesverfassungsgericht selbst davon ausgeht, dass das Menschenrecht auf Sicherung des Existenzminimums, das aus Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet wird, nur für solche Personen gelten soll, "die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten" (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11). Ein sich weltweit erstreckender Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums gegenüber dem deutschen Staat kann sich schon aufgrund der offensichtlichen Unmöglichkeit der Umsetzung nicht aus Art. 1 Abs. 1 GG ergeben. Ein solcher wird auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig nicht angenommen. Dementsprechend ist der tatsächliche beziehungsweise der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II und §§ 23 Abs. 1 S. 1 und 24 Abs. 1 S. 1 SGB XII in der Regel Voraussetzung für den Empfang existenzsichernder Leistungen, ohne dass dies verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
Wenn die Hilfebedürftigen sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, erkennt die Kammer, dass das Menschenrecht der Menschenwürde und der hieraus hergeleitete Anspruch auf die Sicherung des Existenzminimums sich auf Ausländer wie Deutsche gleichermaßen beziehen. Insoweit ist jedoch der Verweis auf Leistungssysteme anderer Staaten durchaus zulässig, da der Verweis auf Leistungen Dritter, auf die ein Anspruch besteht, vom Bundesverfassungsgericht wie erläutert vorgesehen ist.
Soweit das Bundessozialgericht darauf verweist, dass eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus durch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, Rn. 99) ausdrücklich abgelehnt worden sei und deshalb eine Ermessensreduzierung auf Null bezüglich des nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII angenommenen Leistungsanspruchs gegeben sei (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R), kann die Kammer dem so nicht folgen. Auch geht die Kammer nicht davon aus, dass der Leistungsausschluss einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt, weil die Menschenwürde nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "migrationspolitisch nicht zu relativieren sei" (Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 Rn. 95; so aber wohl Wenner in SozSich 2/2016, S. 44). Denn diese Konkretisierungen des Bundesverfassungsgerichts zum Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG erfolgten in der Entscheidung, in der es um die Frage ging, ob der Gesetzgeber bei der Ermittlung der Höhe von Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz im Vergleich zu Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII andere Bedarfe festsetzen kann, wenn es um die Sicherung des Existenzminimums geht. In dieser Entscheidung prüft das Bundesverfassungsgericht ebenso wie in der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze nach SGB II (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09) nicht die inhaltliche Konkretisierung des Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, sondern vor allem die verfahrensrechtliche Sicherung, indem es Maßstäbe an das innere Gesetzgebungsverfahren bezüglich der Bestimmung der Leistungshöhe aufstellt (Nolte, Rationale Rechtsfindung im Sozialrecht, in: Der Staat 2013, 245/247 f.).
Die Situation eines Asylbewerbers ist jedoch zur Überzeugung der Kammer in keiner Weise vergleichbar mit der eines Bürgers der Europäischen Union, der von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch macht und nach Deutschland einreist. Das einfachgesetzlich ausgestaltete Recht auf Asyl steht nach Art. 16 a GG politisch Verfolgten zu. Diese können regelmäßig nicht in das Herkunftsland zurückkehren, anders als der freizügigkeitsberechtigte Bürger der Europäischen Union. Die Rückkehr in das Heimatland stellt für Bürger der Europäischen Union daher ein zulässiges Mittel zur Selbsthilfe dar. Die Notwendigkeit der Rückkehr stellt keinen Eingriff in das Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums dar (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER, SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER, so auch BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1988, 5 B 136/87). Sollte ein Bürger der Europäischen Union ebenfalls aus politischen Gründen an der Rückkehr in sein Heimatland gehindert sein, wären auch für diesen das Asylverfahrensrecht und die entsprechenden Leistungen eröffnet.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Notwendigkeit der Mitwirkung bei der Sicherung des Existenzminimums selbst anerkannt. Entsprechend hat es entschieden, dass der in §§ 7 Abs. 5 SGB II für Studenten geregelte Ausschluss von existenzsichernden Leistungen keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums darstellt, weil der Betroffene durch Abbruch des Studiums den Weg zu diesem Existenzsicherungssystem eröffnen kann (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2014, 1 BvR 886/11, vgl. dazu ausführlich SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER).
Diese Entscheidung zeigt auch, dass es für die Frage der Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG unerheblich ist, dass die vom gesetzlichen Leistungsausschluss erfassten Ausländer bis zur tatsächlichen Ausreise keinem System zur Sicherung des Existenzminimums unterstellt sind, auch wenn sie nicht zur Ausreise verpflichtet sind (a.A. Coseriu in: jurisPK, § 23 Rn. 63.3 und 63.6, in dem er den Verweis auf die Inanspruchnahme von Leistungen im Heimatland als "absurd und nicht mit dem GG in Einklang zu bringen" bezeichnet). Denn auch Studenten sind nach keiner Norm verpflichtet ihr Studium aufzugeben. Solange sie dies jedoch nicht tun, sind sie nach §§ 7 Abs. 5 SGB II und 22 Abs. 2 SGB XII von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ausgeschlossen.
Auch in seiner aktuellen Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht zur Verfassungsmäßigkeit der Aufrechnung nach § 43 SGB II in Höhe von 30 Prozent des Regelbedarfs entschieden, dass bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Gewährleistungsrechts aus Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG die Eigenverantwortung des Hilfebedürftigen als Teil der Art. 1 Abs. 1 GG zugrunde liegenden Vorstellung vom Menschen Beachtung finden kann (Urteil vom 9. März 2016, B 14 AS 20/15 R).
Daneben dürften Hintergrund der Regelungen zum Leistungsausschluss aus §§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II; 21 S. 1 SGB XII weniger migrationspolitische Erwägungen sein, als vielmehr das von den Vertragsstaaten gemeinsam erarbeitete System des Freizügigkeitsrechts, dass sich in den detaillierten Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes in Umsetzung europäischer Regelungen wiederfindet (s. dazu ausführlich SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016, S 95 SO 146/16 ER).
Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ergibt jedoch zur Überzeugung der Kammer einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen, wie der Kosten der Rückreise und des bis dahin in Deutschland erforderlichen Aufenthaltes (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2015, L 20 As 2161/15 B ER; SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13). Leistungen für die Rückreise sind jedoch vorliegend nicht beantragt. Die Kammer kann weiter nicht ersehen, dass ein weiterer Aufenthalt in Deutschland vor der Rückreise nach Polen erforderlich war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
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