S 96 AS 20946/15 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
96
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 96 AS 20946/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Selbst genutzt ist eine Eigentumswohnung im Sinne des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II grundsätzlich dann, wenn der Leistungsberechtigte sie selbst allein oder mit Angehörigen bewohnt. Die Verbindung der Ehepartner zu einer grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarfsgemeinschaft gebietet es jedoch in bestimmten Konstellationen, § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II so auszulegen, dass eine „selbst genutzte“ Eigentumswohnung auch eine solche ist, die von dem ohne Trennungswillen räumlich getrennt lebenden Ehepartner als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft bewohnt wird.
2. Die Ausweitung des Schutzes des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II muss insbesondere dann gelten, wenn der Ehepartner zur Deckung des Lebensunterhalts der anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft beiträgt und dessen Einkommen auf den Bedarf der übrigen Mitglieder mindernd angerechnet wird.
3. Der Schutz des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II entfaltet bereits vor Einzug des Ehepartners Vorwirkung, wenn sein Einzug in naher Zukunft feststeht. Es kann von dem anderen Ehepartner nicht gefordert werden, die sich in seinem Alleineigentum befindende Wohnung zu verkaufen, wenn feststeht, dass der Ehepartner in absehbarer Zeit dort einziehen wird.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 12. Oktober 2015 gegen den Bescheid vom 5. Oktober 2015 wird angeordnet.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 3. Dezember 2015 bis 31. Dezember 2015 in Höhe von 1.295,92 EUR, für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 2016 in Höhe von 1.388,49 EUR sowie für die Zeit vom 1. Februar 2016 bis 31. Mai 2016 in Höhe von monatlich 1.618,21 EUR, längstens jedoch bis zum Eintritt der Rechtskraft einer Entscheidung in der Hauptsache, zu zahlen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.

Gründe:

I. Die Antragstellerin zu 5) ist die Mutter der Antragsteller zu 1) bis 4). Die Miete der von den Antragstellern bewohnten, im Rubrum genannten 4-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von ca. 75 qm beträgt 594,25 EUR.

Die Antragstellerin zu 5) verfügt über eine 68,82 qm große 3-Zimmer-Eigentumswohnung in der S.Straße Berlin, die sie im Jahr 2002 im Wege eines Tauschgeschäfts mit ihrem geschiedenen Mann erhielt. Aus diesem notariellen Vertrag besteht weiterhin eine Verpflichtung zur Zahlung eines Betrags von 12.782,30 EUR an ihren geschiedenen Mann. Die Eigentumswohnung vermietet die Antragstellerin zu 5) seit dem 1. Dezember 2008 und erzielt unter Abzug der Kosten für die beauftragte Wohnungsverwaltung so monatliche Einnahmen von 287,44 EUR. Den Verkehrswert der Wohnung gibt sie selbst mit ca. 65.000 EUR an. Aus ihrer selbständigen Tätigkeit erwirtschaftet sie ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 70,00 EUR.

Der Ehemann der Antragstellerin zu 5) und Vater der Antragsteller zu 1) bis 4) lebt in Jordanien und geht dort einer Erwerbstätigkeit nach, aus der er monatliches Einkommen in Höhe von umgerechnet 1.778,14 EUR netto bezieht.

Mit Bescheid vom 4. September 2015 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern zu 1) bis 4) vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. Juni 2015 bis 30. November 2015 in Höhe von insgesamt 1.323,12 EUR. Bei der Berechnung der Leistungen berücksichtigte der Antragsgegner neben dem Einkommen aus Vermietung auch das Einkommen des Ehegatten der Antragstellerin zu 5), das er um berufliche Aufwendungen, Unterhaltsleistungen an eine bei ihm lebende Tochter sowie seinen eigenen Bedarf (Regelbedarf, Kosten der Unterkunft) bereinigte. Das so berechnete überschießende Einkommen des Ehegatten in Höhe von 510,84 EUR sowie das Einkommen aus Vermietung rechnete der Antragsgegner zunächst vollständig lediglich auf den Bedarf der Antragstellerin zu 5) an, so dass diese aus dem Leistungsbezug fiel und mit Bescheid vom 4. September 2015 keine Leistungen erhielt. Auf Seite 2 des Bescheides befindet sich der Hinweis, dass die Bewilligung auch aufgrund der noch ausstehenden Prüfung zur Verwertbarkeit des Vermögens (Eigentumswohnung S.Straße) vorläufig erfolgte.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 2015 nahm der Antragsgegner unter Bezugnahme auf § 45 SGB X den Bewilligungsbescheid vom 4. September 2015 für die Zeit ab dem 1. November 2015 zurück, da die Antragsteller über verwertbares Vermögen in Form der Eigentumswohnung im Wert von über 85.000 EUR verfügen würden. Der Wert der Wohnung ergebe ich aus der Auskunft aus der Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in Berlin von 1.240 EUR/qm im Mittelwert.

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2015 legten die Antragsteller zu 1) bis 4) Widerspruch gegen den Bescheid vom 5. Oktober 2015 ein, der vom Antragsgegner noch nicht beschieden wurde. Der Kontostand der Antragstellerin zu 5) betrug am 23. November 2015 noch 318,65 EUR.

Mit Schreiben vom 14. Oktober 2015 hat die Antragstellerin zu 5) das Mietverhältnis für die Eigentumswohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt, da die derzeit noch in Jordanien befindliche 18-jährige Tochter nach dem Abitur sowie der Ehemann im Juli 2016 in die Wohnung ziehen würden. Die Mieter haben daraufhin die Wohnung bereits zum 31. Januar 2016 gekündigt.

Der am 26. November 2015 gestellte Weiterbewilligungsantrag der Antragsteller wurde mit Bescheid vom 14. Dezember 2015 unter Hinweis auf das vorhandene Vermögen abgelehnt.

Die Antragsteller sind der Ansicht, die Eigentumswohnung sei kein verwertbares Vermögen. Zudem bestreiten sie die Höhe des Verkehrswertes. Ferner seien vollstreckbare Verbindlichkeiten der Antragstellerin zu 5) gegenüber ihrem geschiedenen Mann sowie gegenüber ihrem Arbeitgeber wegen rückwirkender Aufhebung des Kindergeldes in Höhe von 43.385 EUR zu berücksichtigen. Nach Abzug dieser Verbindlichkeiten verbleibe kein anrechenbares Vermögen mehr. Aufgrund des geplanten Einzugs des Ehemanns und der Tochter ab Juli 2016 könne ein Verkauf der Wohnung ohnehin nicht mehr gefordert werden. Ein dauerhaftes Zusammenleben aller Familienmitglieder sei nicht geplant, da sich der Ehemann während seines maximal vierjährigen Aufenthalts in Berlin auf seine Professur vorbereiten müsse.

In dem am 13. Oktober 2015 eingeleiteten Eilverfahren beantragen die Antragsteller nach Erweiterung ihres Antrags am 3. Dezember 2015 zuletzt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 12. Oktober 2015 gegen den Bescheid vom 5. Oktober 2015 anzuordnen sowie den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 3. Dezember 2015 bis 31. Januar 2016 in Höhe von monatlich insgesamt 1.360,77 EUR und für die Zeit vom 1. Februar 2016 bis 31. Mai 2016 in Höhe von monatlich insgesamt 1.618,21 EUR zu bewilligen und auszuzahlen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er ist der Ansicht, es bestehe aufgrund des verwertbaren Vermögens kein Leistungsanspruch. Hinsichtlich des beabsichtigten Einzugs weiterer Familienmitglieder in die Eigentumswohnung bestünden zu viele Unwägbarkeiten. Es sei nicht klar, wer genau in die Wohnung ziehen werde. Für alle Familienmitglieder sei die Wohnung zu klein. Zudem stünde die Wohnung von Februar 2016 bis Juni 2016 leer. Daher müsse sie veräußert werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Antragsteller betreffenden Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen, die dem Gericht bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.

II.
1. Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da der Widerspruch gegen den Rücknahmebescheid nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Er ist auch begründet.

Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen ist das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu. Dabei ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt (vgl. Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 39 Rn. 4). Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt jedoch in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 12f).

Dies ist hier nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Fall. Der Rücknahmebescheid vom 5. Oktober 2015 ist offensichtlich rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich bereits daraus, dass für eine Rücknahme nach § 45 SGB X nach vorangegangener vorläufiger Bewilligung von Leistungen kein Raum ist. Die Bewilligung erfolgte ausdrücklich auch wegen der noch offenen Prüfung der Verwertbarkeit des Vermögens vorläufig. Sofern der Antragsgegner davon ausgeht, dass die Tatsachen für die endgültige Entscheidung über den Leistungsanspruch nunmehr vorlagen, da die Verwertbarkeit des Vermögens für ihn feststeht, so hätte er nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II iVm § 328 SGB III den Leistungsanspruch endgültig festsetzen bzw. ablehnen müssen. Keine Grundlage findet die Rücknahme jedoch in den für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse einschlägigen Bestimmungen des § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II iVm § 45 SGB X (vgl. für den Fall des § 48 SGB X: BSG, Urteil vom 29. April 2015, B 14 AS 31/14 R).

Durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs lebt der Bewilligungsbescheid vom 4. September 2015 und die darin verfügten Leistungsansprüche der Antragsteller zu 1) bis 4) für den Monat November 2015 wieder auf. Ein Anspruch der Antragstellerin zu 5) ergibt sich daraus nicht, obgleich ihr bei zutreffender Verteilung des Einkommens auf alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ein Anspruch zustehen würde, womit auf der anderen Seite eine Verringerung der Ansprüche der Antragsteller zu 1) bis 4) korrespondiert. Leistungen für die Antragstellerin zu 5) für den Monat November 2015 wurden im gerichtlichen Verfahren jedoch nicht begehrt.

2. Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

Auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung sind insoweit erfüllt. Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Hierfür muss der Antragsteller nach § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft machen. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn der zu sichernde Hauptsacheanspruch dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht, wenn also das Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung überwiegende Erfolgsaussichten hat. Ein Anordnungsgrund ist dann anzunehmen, wenn dem Antragsteller ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zuzumuten ist, weil ihm ohne Erlass der einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die auch nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach der im einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II nach §§ 7 Abs. 1, 8, 19, 20, 22 SGB II.

Die Antragstellerin zu 5) erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Leistungen nach dem SGB II erhalten nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Dies ist der Fall. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners sind die Antragsteller auch hilfebedürftig. Hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Die Antragstellerin zu 5) verfügt über kein zu berücksichtigendes Vermögen. Die Eigentumswohnung in der Springbornstraße gehört zum Schonvermögen.

Nach § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II sind als Vermögen nicht zu berücksichtigen eine selbst genutzte Eigentumswohnung von angemessener Größe. Die Eigentumswohnung erfüllt diese Voraussetzungen.

Mit einer Größe von knapp 70 qm ist sie angemessen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist bei einer Belegung auch mit nur einer Person eine Wohnfläche von 80 qm als angemessen anzusehen (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, B 14/11b AS 67/06 R). Die Wohnfläche liegt hier darunter, so dass die Wohnung auch dann angemessen ist, wenn lediglich der Ehemann der Antragstellerin zu 5) die Wohnung bezieht.

Nach Einzug des Ehemannes der Antragstellerin zu 5) ist die Wohnung auch selbst genutzt im Sinne des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II. Zwar liegt eine Nutzung durch den Leistungsberechtigten grundsätzlich nur dann vor, wenn er selbst allein oder mit Angehörigen, hier also die Antragsteller zu 1) bis 5) selbst, die Wohnung nutzen. Aufgrund der besonderen Konstellation des vorliegenden Falles ist eine "eigene" Benutzung jedoch auch dann zu bejahen, wenn ein räumlich getrennt lebendes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller die Wohnung bewohnt.

Die vorliegende Konstellation ist deshalb ungewöhnlich und weicht von dem im Gesetz typisierten Fall ab, weil üblicherweise das Einkommen eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft nur dann auf den Bedarf der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft angerechnet wird, wenn dieser im gleichen Haushalt lebt. Beim Aufenthalt in zwei verschiedenen Wohnungen liegt üblicherweise keine Bedarfsgemeinschaft vor. Anders ist dies jedoch bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten. Diese können auch bei räumlicher Trennung – auch grenzüberschreitend – eine Bedarfsgemeinschaft bilden, wenn kein Trennungswille vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010, B 4 AS 49/09 R). Dies ist hier der Fall. Die Antragstellerin zu 5) und ihr Ehemann haben sich für ein Ehemodell unter Aufrechterhaltung verschiedener Wohnungen entschieden.

Die Verbindung der Eheleute zu einer grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarfsgemeinschaft gebietet es, § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II so auszulegen, dass eine "selbst genutzte" Eigentumswohnung auch eine solche ist, die von dem räumlich getrennt lebenden Ehemann als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft bewohnt wird. Sinn und Zweck des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II ist der Schutz der Wohnung des Leistungsberechtigten. Der Schutz muss dabei allen Mitgliedern der insoweit als Einheit anzusehenden Bedarfsgemeinschaft zustehen. Dem ist auch nicht entgegenzuhalten, dass ein gemeinsames Wohnen sämtlicher Mitglieder in der Wohnung aufgrund der geringen Wohnungsgröße nicht möglich ist, da die von den Eheleuten bewusst getroffene Entscheidung zur räumlich getrennten Lebensführung zu akzeptieren ist.

Die Ausweitung des Schutzes des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II muss insbesondere dann gelten, wenn das betreffende Mitglied zur Deckung des Lebensunterhalts der anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft beiträgt und dessen Einkommen auf den Bedarf der übrigen Mitglieder mindernd angerechnet wird. Der Schutz greift dabei zeitlich schon vor Einzug des Ehemannes, da dessen Einzug im Juli 2016 nach Abschluss des Semesters gemeinsam mit der ebenfalls zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Tochter feststeht bzw. hinreichend glaubhaft gemacht wurde. Der Ehemann verfügt bereits über ein Visum und hat am 2. Februar 2016 einen Termin bei der Ausländerbehörde hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Ehepartner. Es kann von der Antragstellerin zu 5) nicht gefordert werden, die Eigentumswohnung zu verkaufen, wenn feststeht, dass Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in absehbarer Zeit dort einziehen werden. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II entfaltet daher Vorwirkung in den Fällen, in denen der Einzug von Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft in absehbarer Zeit feststeht.

Die Antragstellerin zu 5) verfügt damit nicht über berücksichtigungsfähiges Vermögen.

Nach alldem hat sie einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II glaubhaft gemacht. Auch die Antragsteller zu 1) bis 4) erfüllen die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II.

Die Antragsteller haben Leistungen nach dem SGB II ab 3. Dezember 2015 bis zum 31. Mai 2016 beantragt und sich damit am Sechs-Monats-Zeitraum in § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II orientiert.

Bei der Berechnung des Anspruchs ist Folgendes zu beachten:

Für den Regelbedarf der Antragstellerin zu 5) ist entgegen der bisherigen Berechnung des Antragsgegners auf den Regelbedarf eines Alleinlebenden iSv § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II abzustellen. Zwar ist grundsätzlich bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten der Bedarf auch dann nach § 20 Abs. 4 SGB II zu bemessen, wenn die Ehegatten nicht in einer gemeinsamen Wohnung leben (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010, B 4 AS 49/09 R). Ungeachtet dessen findet § 20 Abs. 4 S 1 SGB II aber dann keine Anwendung, auch nicht analog, wenn wie hier ein Partner mangels eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossenen ist. Der Reduzierung des Regelbedarfs auf 90 % liegt die Annahme zugrunde, dass durch eine gemeinsame Haushaltsführung Kosten erspart werden (vgl. BSG, Urteil vom 11. Februar 2015, B 4 AS 27/14 R). Diese Annahme trifft auf die wirtschaftliche Lage der Antragstellerin zu 5) nicht zu. Dementsprechend erhöht sich auch der Mehrbedarf wegen Alleinerziehung.

Die Anspruchshöhe errechnet sich bezogen auf die vollen Monate Dezember 2015 und Januar 2016 wie folgt, wobei das sonstige Einkommen sich aus dem überschießenden Einkommen des Ehemannes in Höhe von 510,84 EUR und den Einnahmen aus der Vermietung in Höhe von 287,44 EUR zusammensetzt.

Dezember 2015 und Januar 2016

Name - K. A. H. A. S.A. R. A. M. A. Kopfteile / Typ 5 EHB/PTR U25 U25 U25 U25 Geburtsdatum Summe 1971 2006 2007 2010 2014 Bedarfe Bedarf RL inkl. MB 1592,52 EUR 590,52 EUR 267,00 EUR 267,00 EUR 234,00 EUR 234,00 EUR Regelleistung 1401,00 EUR 399,00 EUR 267,00 EUR 267,00 EUR 234,00 EUR 234,00 EUR Mehrbedarfe (&931;) 191,52 EUR 191,52 EUR - - - - Alleinerziehung 191,52 EUR 191,52 EUR - - - - Bedarf KdU 594,25 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR Bedarf gesamt 2186,77 EUR 709,37 EUR 385,85 EUR 385,85 EUR 352,85 EUR 352,85 EUR Einkommen Erwerbseinkommen brutto 70,00 EUR 70,00 EUR - - - - Erwerbseinkommen netto 70,00 EUR 70,00 EUR - - - - Erwerbstätigenfreibetrag 70,00 EUR 70,00 EUR - - - - Sonstiges Einkommen 798,28 EUR 798,28 EUR - - - - Anrechenbares Einkommen 798,28 EUR 798,28 EUR - - - - Verteilung Bedarf II 2186,77 EUR 709,37 EUR 385,85 EUR 385,85 EUR 352,85 EUR 352,85 EUR Bedarfsanteile 1.0000 0.3244 0.1764 0.1764 0.1614 0.1614 verteilbares Einkommen 798,28 EUR 798,28 EUR - - - - Einkommen n. Anteilen 798,28 EUR 258,96 EUR 140,85 EUR 140,85 EUR 128,81 EUR 128,81 EUR Anspruch Anspruch RL inkl. MB 794,24 EUR 331,56 EUR 126,15 EUR 126,15 EUR 105,19 EUR 105,19 EUR Anspruch KdU 594,25 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR Anspruch gesamt 1388,49 EUR 450,41 EUR 245,00 EUR 245,00 EUR 224,04 EUR 224,04 EUR

Da für den Monat Dezember 2015 nur Leistungen vom 3. Dezember bis 31. Dezember 2015 begehrt werden, ergibt sich ein Anspruch in Höhe von insgesamt 28/30 von 1.388,49 EUR und somit in Höhe von 1.295,92 EUR. Darüber hinaus war der Antrag für Dezember 2015 in geringer Höhe abzulehnen.

Für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 2016 ergibt sich ein Anspruch von insgesamt 1.388,49 EUR. In den Monaten Februar 2016 bis Mai 2016 ist zu berücksichtigen, dass die Einnahme aus Vermietung der Eigentumswohnung wegen Beendigung des Mietverhältnisses zum 31. Januar 2016 entfällt. Somit ergibt sich folgende Berechnung:

Februar 2016 bis Mai 2016

Name - K. A. H.A. S. A. R. A. M. A. Kopfteile / Typ 5 EHB/PTR U25 U25 U25 U25 Geburtsdatum Summe 1971 2006 2007 2010 2014 Bedarfe Bedarf RL inkl. MB 1592,52 EUR 590,52 EUR 267,00 EUR 267,00 EUR 234,00 EUR 234,00 EUR Regelleistung 1401,00 EUR 399,00 EUR 267,00 EUR 267,00 EUR 234,00 EUR 234,00 EUR Mehrbedarfe (&931;) 191,52 EUR 191,52 EUR - - - - Alleinerziehung 191,52 EUR 191,52 EUR - - - - Bedarf KdU 594,25 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR Bedarf gesamt 2186,77 EUR 709,37 EUR 385,85 EUR 385,85 EUR 352,85 EUR 352,85 EUR Einkommen Erwerbseinkommen brutto 70,00 EUR 70,00 EUR - - - - Erwerbseinkommen netto 70,00 EUR 70,00 EUR - - - - Erwerbstätigenfreibetrag 70,00 EUR 70,00 EUR - - - - Sonstiges Einkommen 510,84 EUR 510,84 EUR - - - - Anrechenbares Einkommen 510,84 EUR 510,84 EUR - - - - Verteilung Bedarf II 2186,77 EUR 709,37 EUR 385,85 EUR 385,85 EUR 352,85 EUR 352,85 EUR Bedarfsanteile 1.0000 0.3244 0.1764 0.1764 0.1614 0.1614 verteilbares Einkommen 510,84 EUR 510,84 EUR - - - - Einkommen n. Anteilen 510,84 EUR 165,71 EUR 90,14 EUR 90,14 EUR 82,43 EUR 82,43 EUR Anspruch Anspruch RL inkl. MB 1081,68 EUR 424,81 EUR 176,86 EUR 176,86 EUR 151,57 EUR 151,57 EUR Anspruch KdU 594,25 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR 118,85 EUR Anspruch gesamt 1675,92 EUR 543,66 EUR 295,71 EUR 295,71 EUR 270,42 EUR 270,42 EUR

Für die Zeit vom 1. Februar 2016 bis 31. Mai 2016 ergibt sich ein monatlicher Anspruch von insgesamt 1.675,92 EUR. Da die Antragsteller jedoch geringere Leistungen begehren, waren nur Leistungen in Höhe von 1.618,21 EUR zuzusprechen.

Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen. Den Antragstellern ist ein Abwarten der Hauptsache nicht zuzumuten. Sie erhalten derzeit keine existenzsichernden Leistungen und verfügen über kein deckendes Einkommen oder Vermögen, wie durch den Kontostand per 23. November 2015 in Höhe von 318,65 EUR glaubhaft gemacht wurde.

Die Verpflichtung des Antragsgegners wird auf die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens begrenzt, weil eine einstweilige Anordnung nicht über das im Hauptsacheverfahren erreichbare Begehren hinausgehen darf.

Die Kostentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Das teilweise Unterliegen der Antragsteller fiel wegen der Geringfügigkeit kostenmäßig nicht ins Gewicht.
Rechtskraft
Aus
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