S 37 AS 14517/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 14517/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Totalsanktion einer/eines unter 25jährigen, die/der mit den Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, begründet eine Abweichung vom Kopfteilprinzip, soweit die/der Sanktionierte über kein eigenes Einkommen verfügt.

2. Das der/dem Sanktionierten nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II zugeordnete Einkommen eines Elternteils ist kein eigenes Einkommen im genannten Sinn.


3. Das gilt zumindest dann, wenn dieses Einkommen einem Sachleistungsanspruch nach § 31a Abs. 3 SGB II entgegengehalten wird oder der Einkommensbezieher nicht darauf hingewiesen wird, dass er das der/dem Sanktionierten zugeordnete Einkommen für die Dauer der Sanktion für deren/dessen rechnerischen Mietanteil einsetzen soll.

4. Die bedarfsbezogene Abweichung vom Kopfteilprinzip gilt auch, wenn die/der unter 25jährigen in Haushaltsgemeinschaft mit den Eltern lebt.
Der Beklagte wird verpflichtet, den Bedarf des Klägers im Zeitraum Februar bis April 2015 im Rahmen der endgültigen Bewilligung über den Bewilligungsab-schnitt Dezember 2014 bis Mai 2015 um monatlich 216,82 EUR zu erhöhen. Der Bescheid vom 22.4.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2015 wird aufgehoben. Der Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Auswirkungen einer Totalsanktion eines unter 25jährigen Mitglieds einer Bedarfs- und später Haushaltsgemeinschaft auf den Bedarf der übrigen Mitglieder der Bedarfs-gemeinschaft (BG).

Der Kläger bezieht aufstockend zu Erwerbseinkommen Alg II. Er lebt mit seiner Ehefrau, die eine Altersrente bezieht und der gemeinsamen, 1991 geb. Tochter (S.) in einer Wohnung, für die seit 1.10.2014 Miete plus Heizkosten in Höhe von 648,87 EUR zu zahlen waren.

S. verfügte im Bewilligungszeitraum Dezember 2014 bis Mai 2015 über kein eigenes Einkommen. Auf ihren Bedarf wurde nur das horizontal gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II in der BG zu verteilende Einkommen ihres Vaters angerechnet, das im vorläufigen Ausgangsbescheid vom 6.11.2014 nach einem fiktiven Erwerbseinkommen von 585,50 EUR auf 281,88 EUR festgesetzt worden war.

Die nach § 7 Abs. 4 SGB II von SGB II-Leistungen ausgeschlossene Ehefrau des Klägers bezog im Bewilligungszeitraum Dezember 2014 bis Mai 2015 eine Altersrente von 585,03 EUR.

Wegen einer ersten, auf den vollen Regelbedarf der S. bezogenen Sanktion im Zeitraum November 2014 bis Januar 2015 und überlappenden, diversen Melde-Sanktionen hatte der Be-klagte die Leistung für S. im Ausgangsbescheid so bemessen, dass die Minderungsbeträge wegen der Melde-Sanktionen vom KdU-Bedarf der S.(= 216,28 EUR) abgesetzt wurden; das der S. zugerechnete Erwerbseinkommen des Klägers blieb ihr insofern erhalten, als keine Anrechnung auf den KdU-Bedarf erfolgte.

Erneute Sanktionen, darunter eine zweite Totalsanktion von Februar bis April 2015, führten zu einer vollständigen Minderung des Leistungsanspruchs der S. Für die Monate März und April 2015 hatte S. Lebensmittelgutscheine im Wert von jeweils 200 EUR eingelöst.

Das ihr rechnerisch zugeordnete Einkommen des Vaters (= 282,22 EUR nach einer Anpassung der KdU-Bedarfe auf die tatsächliche Miethöhe und der Regelbedarfsanpassung auf die ab 1.1.2015 geltenden Sätze) hatte der Beklagte dem Anspruch auf kompensierende Sachleistungen nach § 31a Abs. 3 SGB III nicht entgegengehalten.

Der die erneuten Sanktionen umsetzende, vorläufige Änderungsbescheid vom 12.3.2015 beließ den KdU-Bedarf des Klägers unverändert auf 1/3 der Bruttowarmmiete. Auch das nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II verteilte Einkommen blieb unverändert und wurde auf den Regelbedarf des Klägers von 353 EUR (2014) bzw. 360 EUR (2015) angerechnet. Der Kläger daher erhielt von Februar bis April 2015 monatlich 56,72 EUR Regelbedarf plus die ihm kopfteilig zugerechnete Miete von 216,28 EUR (= 273 EUR).

S. erhielt außer den im März und April eingelösten Lebensmittelgutscheinen für die Dauer der Totalsanktion keine Leistungen.

Gegen den Bescheid vom 12.3.2015 machte der Kläger unter Bezugnahme auf BSG-Rechtsprechung geltend, wegen der Totalsanktion der S. müsse ihm als Mietvertragspartei für die Dauer der 100%- Minderung ein höherer KdU-Anteil zuerkannt werden.

Der Beklagte wies den Widerspruch als unzulässig zurück; die Sanktionen als solche seien von S. nicht angefochten worden. Der die Minderung umsetzende Bescheid vom 12.3.2015 enthalte daher keine den Kläger belastende Regelung (Widerspruchsbescheid vom 15.6.2015).

Mit Klage vom 15.7.2015 macht der Kläger einen Anspruch auf 2/3 der Unterkunfts- und Heizkosten für die Dauer der Totalsanktion der S. geltend.

Außerdem wendet er sich gegen die Aufhebung der Leistungsbewilligung zum 30.4.2015, die der Beklagte darauf stützt, dass S. am 6.3.2015 geheiratet hatte, so dass seitdem eine 2-Personen-BG von Kläger und Ehefrau bestehe, die in Haushaltsgemeinschaft mit der S. zu-sammen lebe. Mit der Altersrente und dem mutmaßlichen Erwerbseinkommen des Klägers sei von einer Beendigung der Hilfebedürftigkeit auszugehen (Aufhebungsbescheid nach § 48 SGB X vom 22.4.2015, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 15.6.2015).

Der Kläger ist der Auffassung, dass die bis Mai 2015 vorläufig bewilligte Leistung nicht auf der Grundlage einer bloßen Mutmaßung über die Bedarfsdeckung nach (rechtlichem) Ausscheiden der S. aus der BG aufgehoben werden könne.

Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt bei sachdienlicher Auslegung des Klagebegehrens, 1. den Beklagten zu verpflichten, den Bedarf des Klägers im Rahmen der endgül-tigen Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1.2. bis 30.4.2015 um monatlich 216,28 EUR zu erhöhen.

2. den Bescheid vom 22.4.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Sanktion der S. rechtfertige keine Abweichung vom Kopfteilprinzip, weil S. ihren KdU-Bedarf mit dem über § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II zugeordneten Einkommen habe decken können.

Hinsichtlich der Aufhebung nach § 48 SGB X zum 30.4.2015 sei eine absehbare Überzahlung abgewendet worden.

Ergänzend wird zum übrigen Sach- und Streitstand auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die beigezogenen Leistungsakten verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 124 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Klage ist zulässig. Der Änderungsbescheid vom 12.3.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2015 beschwert den Kläger, sofern der geltend gemachte Anspruch auf einen eigenen, höheren KdU-Bedarf für die Dauer der Totalsanktion der S. vom Beklagten bestritten wird.

Weil noch keine endgültige Entscheidung über den inzwischen abgelaufenen Bewilligungszeitraum vorliegt, ist Gegentand der Klage ein Anspruch des Klägers auf Vornahme einer endgül-tigen Berechnung seines Leistungsanspruchs im ursprünglichen Zeitraum Dezember 2014 bis Mai 2015 unter Berücksichtigung eines veränderten KdU-Bedarfs für die Dauer der Totalsank-tion der S. (s. dazu BSG vom 6.4.2011 – B 4 AS 119/10 R).

Die Klage ist auch begründet:

I. Abweichung von der Kopfteilmethode in der Bedarfsgemeinschaft

Das erkennende Gericht folgt der BSG-Rechtsprechung darin, dass die Kopfteilmethode, die ja lediglich eine den Normalfall abbildende Rechenregel ist, durchbrochen werden muss, wenn anderenfalls eine Bedarfslücke entsteht bei Mitgliedern der BG, die einerseits den Ausfall der bedarfsdeckenden Leistung (hier wegen einer Pflichtverletzung der S.) nicht zu vertreten haben, andererseits bei unterbleibender Deckung ihren eigenen existentiellen Bedarf (auf angemessenes Wohnen) verlieren können. Das Festhalten an der Kopfteilmethode liefe auf eine Mithaftung des Klägers für die Pflichtverletzung der S. hinaus, für die es im SGB II keine Rechtfertigung gibt.

Zwingend ist dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass unter 25jährige BG-Mitglieder die elter-liche Wohnung nicht verlassen sollen, was hilfebedürftigen Eltern wirtschaftlich nur zumutbar ist, wenn die Kosten für den Lebensunterhalt und das Wohnen durch die in der BG verteilten Leistungen aufgefangen werden.

Wird die bedarfsdeckende Verteilung von Einkommen und Alg II-Leistungen in der BG gestört, bestimmt die individuelle, tatsächlich bestehende Belastung (mit Mietzinsforderungen) den vom Leistungsträger abzudeckenden Bedarf.

Eine Abweichung vom Kopfteilprinzip wegen einer Sanktion ist demzufolge aber auch nur insoweit gerechtfertigt, als das sanktionierte BG- Mitglied über kein Einkommen oder Vermögen verfügt, um seinen KdU-Anteil davon zumindest teilweise zu decken bzw. die übrigen BG-Mitglieder insoweit von der tatsächlichen Mietbelastung zu befreien.

Hierbei stellt BSG vom 2.12.2014 – B 14 AS 50/13 R ausdrücklich auf das eigene Einkommen i. S. von § 11 SGB II der von der Sanktion betroffenen Person ab (im entschiedenen Fall Kindergeld, das nach § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II als eigenes Einkommen des Kindes gilt).

Über eigenes Einkommen nach § 11 SGB II verfügte S. jedoch nicht. Das ihr rein rechnerisch zugeordnete Erwerbseinkommen des Klägers spiegelt lediglich die Funktion, Einkommen und SGB II-Leistungen in einem bestimmten Verhältnis auf die BG-Mitglieder zu verteilen, wider. Wirtschaftlich gesehen ist das Einkommen der S., mit dem sie zur gemeinsamen Wirtschaft beitragen konnte, deren Alg II, das mit der Sanktion wegfiel.

Im Gegensatz zum "Horizontal"-Einkommen der S. bestimmt nur "echtes" Einkommen i. S. von § 11 SGB II den in die Horizontal-Berechnung einzustellenden Bedarf des jungen Erwachsenen in der BG, mit der Folge, dass je nach Umfang seines Einkommens geringere SGB II-Leistungen ausgezahlt werden bzw. sich die Quote des zu verteilenden Einkommens zu Gunsten der Einkommen beziehenden Eltern verändert.

Diesem, auf § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II (Ausscheiden aus der BG bei Bedarfsdeckung mit eigenem Einkommen) beruhenden Verteilungssystem liegt die typisierende Annahme zugrunde, dass der junge Erwachsene in der BG über sein Einkommen in der Form verfügt, dass er es je nach Bedarfslage dem gemeinsamen Wirtschaften zuführt. Aus diesem Grund trifft ihn im Fall einer Sanktion die Obliegenheit, die ausgefallenen Sozialleistungen hinsichtlich des Regelbedarfs nach § 20 SGB II mit Sachleistungen zu kompensieren und mit dem Einkommen das Mitwohnen im elterlichen Haushalt zu finanzieren.

Im Fall eines bloß rechnerischen Einkommens, wie hier, wird die genannte Obliegenheit - folgte man der Auffassung des Beklagten - dem Kläger aufgebürdet. Dazu fehlt es aber an einer Grundlage im SGB II.

Doch selbst wenn man eine bedarfsbezogene Abweichung vom Kopfteilprinzip unter Verweis auf das "Horizontal"-Einkommen eines sanktionierten BG-Mitglieds verneinte, müsste die Zweckbindung dieses Einkommens für den anteiligen KdU-Bedarf in dem Bescheid, der die Leistungsberechnung an die Sanktion anpasst, für die übrigen BG-Mitglieder erkennbar ge-macht werden. Nur dann können sie das für die sanktionierte Person bestimmte Einkommen für die Mietzahlung einbehalten.

Der Änderungsbescheid vom 12.3.2015 enthält dagegen den auch sonst üblichen Hinweis auf die Anrechnung des zu verteilenden Einkommens im Rangverhältnis: Erst auf den Bedarf nach §§ 20, 21 SGB II, dann auf den Bedarf nach § 22 SGB II.

Zwar hat der Beklagte das der S. zugeordnete Erwerbseinkommen nicht in der Form auf den Regelbedarf angerechnet, dass ergänzende Sachleistungen nach § 31a Abs. 3 SGB II im Hinblick auf dieses Einkommen abgelehnt wurden; daraus konnte der Kläger aber nicht die Zweckbindung seines quotal für den Unterhalt der S. vorgesehenen Erwerbseinkommens für die Mietzahlung erkennen.

Ein entsprechender Hinweis in dem eine Totalsanktion umsetzenden Änderungsbescheid ist auch deshalb unverzichtbar, weil die Anrechnung von Einkommen im Sanktionsfall nach wie vor ungeklärt ist, was eine Sanktion nach LSG Niedersachsen-Bremen vom 26.5.2015 – L 7 AS 1059/13 anfechtbar macht, wenn Hinweise zur Einkommensanrechnung in der Rechtsfolgen-belehrung fehlen.

Zu Recht macht der Kläger mithin geltend, dass ihm für die Dauer vom 1.2.2015 bis zum 5.3.2015 ein höherer Bedarf nach § 22 SGB II zusteht, jedenfalls unter dem Gesichtspunkt eines im Bescheid fehlenden Hinweises darauf, dass eine Abweichung vom Kopfteilprinzip wegen der Nichtanrechnung des der S. zugeordneten Einkommensanteils auf den Regelbedarf unterbleibt, dieser Betrag also zur Kompensation des Mitwohnens im Elternhaus eingesetzt werden soll.

Der Umfang, in dem hier zur Vermeidung einer Mithaftung der rechtstreuen BG-Mitglieder vom Kopfteilprinzip abgewichen werden muss, bestimmt sich mangels eigenen Einkommens der S. auf deren vollen Kopfteil.

Dass der Kläger wegen des Leistungsausschlusses seiner Ehefrau damit einen KdU-Bedarf von 2/3 zugeordnet bekommt, ist konsequent, weil nur so ein Ausfall der zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen vermieden wird. Denn die Ehefrau des Klägers, die ihren Hilfebedarf bei einem auf 1/3 bemessenen Mietanteil mit der Rente decken kann, hat nachträglich keine Möglichkeit, vom SGB XII-Träger höhere Leistungen zu fordern.

Da der Ehefrau wegen § 7 Abs. 4 SGB II keine SGB II-Leistungen zuerkannt werden dürfen, muss das Existenzminimum über die Erhöhung des Bedarfs des Klägers gewährleistet werden. Dieser systemimmanente Ausgleich ist über die Abweichung vom Kopfteilprinzip verfassungskonform zu bewerkstelligen. Die Situation ist dem von BSG entschiedenen Fall ver-gleichbar, dass der leistungsberechtigte Einstandspartner den Regelbedarf für Alleinstehende beanspruchen kann, weil der andere Partner von SGB II-Leistungen ausgeschlossen ist und seine eigenen Mittel (nach dem AsylbLG) unter dem Partner-Regelsatz liegen (Urteil vom 6.10.2011 – B 14 AS 171/10 R).

II. Abweichung von der Kopfteilmethode in der Haushaltsgemeinschaft

Mit der Heirat der S. am 6.3.2015 endete die Eltern-Kind-BG, weil nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nur unverheiratete "Kinder" zur BG gehören.

Wegen des Weiterwohnens und –wirtschaftens im gemeinsamen Haushalt bestand ab dem 6.3.2015 eine Haushaltsgemeinschaft zwischen S. und deren Eltern.

Die Einstandspflicht des Klägers für die im Haushalt lebende S., die von ihrem einkommens-losen Ehemann keinen Unterhalt fordern konnte, bestimmte sich infolgedessen nach dem Maßstab von § 1 Abs. 2 Alg II-V, den der Kläger mit seinen Verdiensten im Zeitraum vom 6.3. bis 30.4.2015 nicht erreichte, sogar deutlich unterschritt.

S. verfügte im genannten Zeitraum also sowohl rechtlich als auch tatsächlich nur über die Sachzuwendungen nach § 31a Abs. 3 SGB II. Selbst wenn sie beim Einkauf von Lebensmitteln gemäß dem Prinzip des Wirtschaftens aus einem Topf den Kläger von eigenen Kosten entlastet hätte, war der Kläger nicht verpflichtet, mit seinem Einkommen zumindest für das kostenlose Wohnen der S. aufzukommen.

Er hat demzufolge auch im Zeitraum 6.3. bis 30.4.2015 Anspruch auf Leistungen unter Ansatz eines KdU-Bedarfs von 2/3 der Miet- und Heizkosten.

Die bedarfsbezogene Abweichung vom Kopfteilprinzip ist nicht auf Sanktions-Fälle in der BG beschränkt. Sie greift auch dort, wo ansonsten der Anspruch auf Absicherung des Existenz-minimums gefährdet wäre, sofern dadurch keine systemwidrigen Ergebnisse erzielt werden.

So hat beispielsweise ein Alg II-Bezieher, dessen zur Kostensenkung aufgenommener Mitbewohner Leistungsansprüche verliert und keine Möglichkeit der Ersatzfinanzierung anbieten kann, übergangsweise Anspruch auf volle Kostenübernahme. Auch hier ist die Sicherung des Wohnens für den letztlich mit der Miete belasteten Leistungsberechtigten Maßstab für die Abweichung vom Kopfteilprinzip; mit Verweis auf eine zivilrechtlich bestehende, aber wirtschaftlich wertlose Forderung kann der aktuelle Bedarf nicht erfüllt werden.

Erst recht gilt das im hier zu beurteilenden Fall einer Veränderung des rechtlichen Konstrukts der Bedarfs- zur Haushaltsgemeinschaft bei unverändert gebliebener Lastenverteilung für die Mietkosten.

Damit wird im Rahmen der endgültigen Bewilligung zu prüfen sein, ob der Kläger mit seinem Einkommen seinen infolge der Totalsanktion erhöhten Bedarf von 360 EUR plus 2/3 der Miet- und Heizkosten abdecken kann. Soweit ihm dies nicht möglich ist, muss der Beklagte von der Ver-teilung der KdU-Bedarfe nach der Zahl der Haushaltsmitglieder abweichen.

III. Aufhebung der Bewilligung zum 30.4.2015

Aus dem Zeitpunkt und den Umständen, die zum Erlass des Bescheides vom 22.4.2015 geführt haben, geht hervor, dass der Beklagte die Leistungsbewilligung fiktiv aufgehoben hat. Der Widerspruchsbescheid hat die Ausgangsentscheidung ohne Ermittlung des tatsächlichen Einkommens im Mai 2015 bestätigt.

Damit erweist sich die Aufhebungsentscheidung als rechtswidrig (dazu BSG vom 25.6.2016 – B 14 AS 30/14 R).

Der Bescheid vom 22.4.2015 kann auch nicht in eine vorläufige Entscheidung nach § 328 SGB III umgedeutet werden. Selbst wenn dies der Wille der Behörde gewesen sein sollte, scheitert die Umdeutung daran, dass § 328 SGB III keine Grundlage dafür gibt, vorläufig Leistungen in Form einer Null-Bewilligung abzulehnen (s. dazu LSG NRW vom 25.8.2014 – L 9 AL 234/14 B).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Obwohl der Kläger, der in den Monaten Februar bis April 2015 jeweils 273 EUR Alg II bekommen hat, infolge des Urteils für Februar 2015 nur eine Nachzahlung von 3,17 EUR beanspruchen kann (360 EUR Regelbedarf + 432,58 EUR KdU abzüglich 516,41 EUR bereinigtes Erwerbseinkommen = 276,17 EUR) und für März 2015 eine Nachzahlung von 122,44 EUR (360 EUR Regelbedarf + 432,58 EUR KdU abzüglich 397,14 EUR bereinigtes Erwerbseinkommen), der im März 2015 eine Überzahlung von 104,32 EUR gegenübersteht (360 EUR Regelbedarf + 432,58 EUR KdU abzüglich 623,90 EUR berei-nigtes Erwerbseinkommen) und für Mai 2015 allenfalls eine geringe Leistung zu erwarten ist, der Streitwert mithin unter 750 EUR liegt, wird die Berufung zugelassen, da das Urteil noch ungeklärte Fragen aufwirft, die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben.
Rechtskraft
Aus
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