L 9 AS 1083/16 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 193 AS 4953/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 AS 1083/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Aufgeben der bisherigen Rechtsprechung (L 9 AS 1583/14 B ER, Beschluss vom 1. Juli 2015),
Anschluss an Urteil des BSG vom 19. August 2015 - B 14 AS 1/15 R,
Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrages
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die 1953 geborene Antragstellerin hat im März 2016 das 63. Lebensjahr vollendet. Sie bezieht seit dem Jahr 2010 ununterbrochen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Ihr derzeitiger Bedarf liegt bei 816,17 Euro monatlich (Bescheid des Antragsgegners vom 26. April 2016 für die Monate April bis September 2016).

Nach einer bei den Akten des Antragsgegners befindlichen Renteninformation der Deutschen Rentenversicherung Bund wird die am 1. November 2018 beginnende Regelaltersrente der Antragstellerin ohne Abschläge 866,14 Euro betragen, (Renteninformation vom 07. Januar 2015; zu jenem Zeitpunkt erreichte Rentenanwartschaft: 800,15 Euro).

Auf der Grundlage von § 12a SGB II forderte der Antragsgegner die Antragstellerin mit Bescheid vom 18. März 2016, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2016, auf, beim zuständigen Rentenversicherungsträger die Bewilligung von Altersrente zu beantragen. Den hiergegen gerichteten Eilantrag hat das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 22. April 2016 zurückgewiesen; über die am 11. Mai 2016 erhobene Klage (S 193 AS 6756/16) ist noch nicht entschieden.

Zur Begründung ihrer am 2. Mai 2016 eingelegten Beschwerde führt die Antragstellerin an, die Entscheidung des Antragsgegners sei ermessensfehlerhaft und erschöpfe sich in Leerformeln. Die zu erwartende Höhe der Altersrente sei dem Grundsicherungsbedarf nicht gegenüber gestellt worden. Bei Inanspruchnahme von Altersrente werde sie abhängig von Leistungen der Sozialhilfe. In diesem Fall müsse sie ihre Gothaer Privatrente vorzeitig in Anspruch nehmen, was unbillig sei.

II.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2016 ist zulässig, hat jedoch keinen rechtlichen Erfolg.

Wegen der Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im erstinstanzlichen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Nach eigener Sachprüfung hält auch der Senat den Bescheid des Antragsgegners vom 18. März 2016, nunmehr in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2016, für rechtmäßig.

In Würdigung insbesondere der Beschwerdebegründung bleibt zu ergänzen: Ermessensfehler vermag auch der Senat im angefochtenen Bescheid nicht zu erkennen. Maßgeblich leiten lässt der Senat sich insoweit von der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu der Thematik (Urteil vom 19. August 2015, B 14 AS 1/15 R, zitiert nach juris, dort insbes. Rdnr. 28ff.); von seiner in eine teilweise andere Richtung gehenden Rechtsprechung (Beschluss vom 1. Juli 2015, L 9 AS 1583/14 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 10; Ablehnung intendierten Ermessens) nimmt der Senat insoweit Abstand. Das Bundessozialgericht hat in der zitierten Entscheidung betont (a.a.O., Rdnr. 28), dass das einem Leistungsträger hinsichtlich des Ob einer Aufforderung eingeräumte Ermessen seinen Ausgangspunkt beim Grundsatz der gesetzlichen Verpflichtung des Leistungsberechtigten nach § 12a SGB II zur Realisierung vorrangiger Sozialleistungen nehme. Dies gelte erst recht bei einer Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente, wenn – wie hier – die Ausnahmetatbestände der Unbilligkeitsverordnung nicht vorlägen. Denn dem Entschließungsermessen gehe tatbestandlich voraus, dass die Antragstellung des Leistungsberechtigten auf die Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen erforderlich und insbesondere die Beantragung einer vorzeitigen Altersrente nicht unbillig sei. Aufgrund der sich hieraus ergebenden Verpflichtung des Leistungsberechtigten zur Antragstellung nach § 12a SGB II entspreche es pflichtgemäßem Ermessen des Leistungsträgers, "im Regelfall" von der Ermächtigung zur Aufforderung zur Antragstellung Gebrauch zu machen. In das Ermessen einzustellen seien daher nur solche Gesichtspunkte, die einen atypischen Fall begründen, in dem vom gesetzlichen Regelfall der Aufforderung zur Antragstellung zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen abzusehen sei; hierfür dürften bei der Aufforderung zur Rentenantragstellung nur besondere Härten im Einzelfall in Betracht kommen, die keinen Unbilligkeitstatbestand im Sinne der Unbilligkeitsverordnung begründeten, aber die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher Umstände als unzumutbar erscheinen ließen.

Solche zu einer besonderen Härte führenden atypischen Umstände sind im Falle der Antragstellerin nicht erkennbar und mussten daher vom Antragsgegner auch nicht erwogen werden. Für den Antragsgegner war bei Erlass der angefochtenen Entscheidung ersichtlich, dass die Altersrente der Antragstellerin auch bei Berücksichtigung von Abschlägen annähernd in der Höhe des derzeitigen Regelbedarfs liegen wird. Dieser Umstand nimmt dem Fall der Antragstellerin schon im Ansatz jegliche besondere (vom Gesetzgeber nicht gesehene) Härte. Rechtlich unerheblich ist zugleich, dass die Antragstellerin im Falle des Bezuges von Altersrente gegebenenfalls Sozialhilfeleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) wird beantragen können oder müssen, denn das gesetzliche Regelungskonzept einer Inanspruchnahme vorrangiger Sozialleistungen zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der aktuellen Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II fragt nicht nach einer etwaigen künftigen Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB XII. Im Rahmen der Ermessensausübung vor Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung sind Prognosen über eine künftige Hilfebedürftigkeit daher nicht anzustellen (Bundessozialgericht, a.a.O., Rdnr. 42).

Rechtlich unerheblich und daher für den Antragsgegner nicht weiter erörterungsbedürftig war daher auch das Vorhandensein einer privaten Rentenversicherung auf Seiten der Antragstellerin. Irgendein Zwang, diese vorzeitig aufzulösen, ist nicht im Ansatz erkennbar, zumal die von der Antragstellerin zu erwartend Altersrente sich trotz Abschlägen in etwa in der Höhe des jetzigen Grundsicherungsbedarfs bewegen wird.

Vor diesem Hintergrund durfte das Sozialgericht auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren ablehnen, § 73a SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), denn insbesondere angesichts der oben zitierten jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der hier gegebenen Fallgruppe fehlte dem Eilantrag jede "hinreichende Aussicht auf Erfolg" im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO. Auch eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren kommt aus diesem Grund nicht in Betracht.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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