L 18 AS 2884/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 190 AS 10443/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2884/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. November 2016 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis 31. Oktober 2016.

Der 1984 geborene Kläger ist rumänischer Staatsbürger und lebt seit Juni 2014 in der Bundesrepublik Deutschland. Er war vom 1. Juli 2014 bis 31. Dezember 2014 und vom 15. März 2015 bis 31. Oktober 2015 (Kündigung durch den Arbeitgeber) versicherungspflichtig beschäftigt und bezog anschließend bis 1. Mai 2016 Arbeitslosengeld (Alg) von der Bundesagentur für Arbeit. Seit 1. Mai 2016 übt der Kläger aufgrund eines Arbeitsvertrages vom selben Tag eine Tätigkeit als Koch in einem Restaurant mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von "ca. 5 Stunden" und einem monatlichen Entgelt iHv 180,-EUR aus; seit September 2016 beläuft sich das Entgelt bei entsprechender Versicherungspflicht auf monatlich 480,- EUR.

Seiner mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Lebensgefährtin E C bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 28. April 2016 SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis 31. Oktober 2016, lehnte dies gegenüber dem Kläger jedoch ab, weil dieser sich lediglich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalte und somit vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Nach dem Ende seiner Beschäftigung zum 1. November 2015 sei er nur für die Dauer von weiteren sechs Monaten leistungsberechtigt nach dem SGB II gewesen. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2016).

Das Sozialgericht (SG) B hat den Beklagten unter Änderung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis 31. Oktober 2016 zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei begründet. Der Kläger sei nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen, weil er sich auf ein Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer berufen könne und sich daher nicht nur zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalte. Die von ihm ausgebübte Tätigkeit stelle sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und des Bundessozialgerichts (BSG) nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich dar.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er geht nicht von einem Arbeitnehmerstatus des Klägers durch die seit 1. Mai 2016 ausgeübte Tätigkeit aus.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts B vom 9. November 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass er seit September 2016 versicherungspflichtig bei einem monatlichen Entgelt iHv 480,- EUR beschäftigt sei.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Verwaltungsvorgang des Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die zulässige Berufung des Beklagten durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis 31. Oktober 2016 ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zusteht. Der Kläger erfüllt die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Seinem Anspruch steht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht entgegen

Der Kläger erfüllt die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Er ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 iVm § 8 SGB II erwerbsfähig und auch hilfebedürftig nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 iVm § 9 SGB II. Der Kläger verfügt gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II iVm § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil - (SGB I) auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist bereits im Juni 2014 in die Bundesrepublik eingereist. Seitdem hält er sich hier unter Umständen auf, die erkennen lassen, dass er nicht nur vorübergehend verweilt. Sein Aufenthalt ist auch rechtmäßig. Nach der gesetzlichen Konzeption des Freizügigkeitsrechts ist von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen, solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) festzustellen und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht einzuziehenDie Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU wird erst mit dieser Verlustfeststellung begründet (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 21 Rn 14 mwN).

Der Kläger ist auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II zunächst Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch auf Grund des § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, des Weiteren Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie zuletzt Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).

Der Kläger ist als rumänischer Staatsangehöriger Ausländer im Sinne dieser Vorschrift. Er ist aber nicht leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG und hält sich bereits seit Juni 2014 in der Bundesrepublik auf. Er ist auch nicht deswegen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, weil sich sein Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Denn der Kläger war im Streitzeitraum als Arbeitnehmer iSv § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Arbeitnehmer iSd Freizügigkeitsrechts ist auch derjenige, der nur über ein geringfügiges, das Existenzminimum nicht deckendes Einkommen verfügt. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 39 EG-Vertrag fällt jeder Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt - mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt - unter die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl ua EuGH, Rs 139/85 (Kempf), Slg 1986, 1741, Rn 9 ff; Rs 53/81 (Levin), Slg 1982, 1035, Rn 17; C-213/05 (Geven), Slg 2007, I-6347, Rn 16) Das BSG hat eine iS der vorgenannten Rspr bestehende Arbeitnehmereigenschaft bereits bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden mit einem Monatsentgelt iHv 100,- EUR bejaht (vgl BSG aaO Rn 18). Nichts anderes kann für die hier in Rede stehende Beschäftigung im Umfang von fünf Wochenstunden bei einem monatlichen Entgelt von 180,- EUR gelten. Für die Zeit ab 1. September 2016 liegt dies ohnehin auf der Hand, weil der Kläger von diesem Zeitpunkt an versicherungspflichtig bei einem Monatsentgelt iHv 480,- EUR in entsprechend höherem zeitlichem Umfang beschäftigt war (vgl die im Berufungsverfahren vorgelegten Entgeltabrechnungen). Auch der EuGH hat hier keine feste Arbeitszeitgrenze gezogen, indes eine Wochenarbeitszeit von 5,5 Stunden als ausreichend erachtet (vgl Rs C-14/09 vom 4. Februar 2010 (Genc) - juris; vgl auch BVerwG, Urteil vom 19. April 2012 – 1 C 10/11 – juris – Rn 15)

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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