S 20 SO 48/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 48/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 218/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11.08.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2016 verurteilt, der Klägerin Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges mit der Möglichkeit des Transportes ihres Elektrostuhls zu gewähren. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Eingliederungshilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges mit der Möglichkeit des Transportes eines Elektro-(E)Rollstuhls.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist aufgrund eines Postpolio-Syndroms, Tetraparese und Ateminsuffizienz körperlich wesentlich behindert. Sie ist als Schwerbehinderte anerkannt nach einem Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen "G", "aG" und "RF". Sie bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Vom örtlichen Träger der Sozialhilfe erhält sie Hilfe zur Pflege, darüber hinaus Assistenzhilfe für den Freizeitbereich im Umfang von 10 Stunden pro Woche. Seit Januar 2013 ist sie von ihrer Krankenkasse mit einem E-Rollstuhl versorgt. Die Klägerin verfügt über einen PKW der Marke Toyota (Erstzulassung: Mai 2001), auf den sie nach Einschätzung sowohl des örtlichen als auch des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe angewiesen und der deshalb geschütztes Vermögen ist.

Am 03.08.2015 beantragte die Klägerin einen Zuschuss zur Anschaffung eines PKW mit der Möglichkeit, den E-Rollstuhl zu transportieren, da dies mit dem vorhandenen PKW nicht möglich sei. Sie legte hierzu ein Angebot über einen entsprechend gebauten VW Caddy zum Pries von ca. 30.000,00 Euro vor, des Weiteren eine amtsärztliche Bescheinigung von Dr. A. vom 08.07.2014, wonach sie aus medizinischer Sicht zur Teilhabe am sozialen Leben auf die Nutzung eines PKW angewiesen ist.

Durch Bescheid vom 11.08.2015 lehnte der Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, die Klägerin benötige das KFZ weder zur Teilhabe am Arbeitsleben noch aus anderen Gründen täglich. Einkäufe seien nicht täglich oder so regelmäßig erforderlich, dass sie den Fahrten zu einem Arbeitsplatz gleichzusetzen wären; zudem erhalte sie Leistungen im Rahmen der Haushaltshilfe; auch sei davon auszugehen, dass zumindest gelegentlich Einkäufe mit dem E-Rollstuhl im nahegelegenen Kaufland selber durchgeführt werden könnten. Für Fahrten zum Arzt oder zu ärztlich verordneten Maßnahmen könne die Notwendigkeit eines PKW grundsätzlich nicht anerkannt werden; hier sei die Krankenkasse für die Übernahme von Fahrtkosten zuständig. Auch Fahrten zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, z.B. Verwandtenbesuche, Besuche bei Freunden, Tagesausflüge, Urlaubsreisen, seien nicht ständig – tagtäglich – erforderlich. Durch die Möglichkeit, ein Taxi oder einen Behindertenfahrdienst für Besuche und Ausflüge in Anspruch nehmen zu können, sei ein Mindestmaß an Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft garantiert; der Beklagte verwies die Klägerin in diesem Zusammenhang auf den Behindertenfahrdienst der Städteregion Aachen.

Dagegen erhob die Klägerin am 27.08.2015 Widerspruch, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 18.02.2016 zurückwies.

Dagegen hat die Klägerin am 29.03.2016 Klage erhoben. Sie hat auf ihre Ateminsuffizienz hingewiesen, aufgrund derer sie nur in der Lage sei, Strecken bis höchstens 50 Meter, meistens aber deutlich weniger als 20 Meter zu gehen und 5 bis 6 Stufen einer Treppe zu steigen; sie sei daher außerhalb der Wohnung auf ihren E-Rollstuhl angewiesen, um sich fortzubewegen. Da dessen Mitnahme im jetzigen Auto nicht möglich und ein Umbau dieses PKW wirtschaftlich nicht sinnvoll sei, da er den Wert des Autos deutlich übersteigen würde, benötige sie ein KFZ, mit dem sie den E-Rollstuhl transportieren könne. Wie schon Dr. A. in der Stellungnahme vom 08.07.2014 bescheinigt habe, sei sie aufgrund ihres schweren Postpolio-Syndroms, der schweren Ateminsuffizienz und einem Zustand nach Skoliose-Operation auf die Nutzung eines eigenen PKW angewiesen. Für das gesetzliche Erfordernis einer "regelmäßigen" Benutzung des KFZ sei nicht erforderlich, dass diese ähnlich häufig wie im Fall der Teilnahme am Arbeitsleben anfallen müsse. Angesichts ihrer schwerwiegenden Erkrankungen und des Angewiesenseins auf einen E-Rollstuhl erscheine es nicht zumutbar, sie auf öffentliche Verkehrsmittel zu verweisen. Die Klägerin hat als Beispiele, warum und wozu sie das Auto brauche, benannt: Familientreffen/-besuche, Besuch des Grabes der Mutter, Veranstaltungen des Post-Polio-Bundesverbandes und anderer Untergruppierungen mit Jahreshauptversammlung an wechselnden Orten, Seminare, Gesundheitsfortbildungen, ehrenamtliche Tätigkeiten, Konzerte, Veranstaltungen der Baha´i-Gemeinde (mit Hauptsitz bei Frankfurt), Urlaube, Spazierfahrten u.a.m. Es gehe insbesondere um Ziele, die weit außerhalb von Aachen liegen und allein mit dem E-Rollstuhl nicht erreichbar sind. Mit einem geeigneten Auto, mit dem sie ihren E-Rollstuhl transportieren könne, sei sie wieder in der Lage, ihre Ziele zu erreichen, auch wenn die Parkplätze weiter weg sind. Zur Bekräftigung ihres Vortrags hat die Klägerin eine fachliche Stellungnahme der Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsangebote (KoKoBe) Aachen vom 07.11.2016 vorgelegt; darin wird dargelegt, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder von Fahrdiensten im besonderen Fall der Klägerin keine umsetzbare Alternative ist. Es gehe darum, der Klägerin mit Hilfe eines PKW in Kombination mit einem einladbaren E-Rollstuhl höchstmögliche Beweglichkeit zu erhalten. Derzeit gebe es viele Lebensbereiche, die der Klägerin verschlossen blieben, weil sie zwar mit dem Auto in die Nähe fahren könne, vor Ort aber aufgrund längerer Fußwege nicht weiterkomme.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11.08.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2016 zu verurteilen, ihr Hilfe zur Beschaffung eines behindertengerechten Kraftfahrzeugs mit der Möglichkeit des Transportes ihres Elektro- Rollstuhls zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Klägerin sei nicht auf die Nutzung eines KFZ im Sinne des § 8 Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV) angewiesen. Selbst wenn es ihr aus den verschiedensten Gründen nicht möglich sei, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, bestehe doch die Möglichkeit, den Fahrdienst für Menschen mit Behinderung zu nutzen; dies sei ein Angebot für Menschen, deren Teilhabe am Leben der Gemeinschaft eingeschränkt sei, weil sie wegen ihrer Behinderung keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen könnten und über kein eigenes Fahrzeug verfügten. Auch für die zur Eigenversorgung und zum Einkauf geltend gemachten Fahrten sei ein PKW nicht erforderlich; den Nahbereich mit Geschäften und Einkaufsmöglichkeiten im Radius von 1000 Metern könne sie sich mit Hilfe des von der Krankenversicherung bewilligten E-Rollstuhls erschließen. Der Beklagte behauptet, ein E-Rollstuhl weise in der Regel eine Reichweite von mindestens 30 Kilometer auf. Der Beklagte meint, ein KFZ sei im Fall der Klägerin zwar eine geeignete Eingliederungsmaßnahme, die jedoch zum Erreichen der Eingliederungsziele nicht unentbehrlich sei. Die Klägerin habe lediglich mögliche Aktivitäten aufgelistet, ohne genaue Angaben zur Häufigkeit, Art, Terminen und Orten zu machen. Der Beklagte meint, seitens des Hilfesuchenden müssten inhaltlich und örtlich genau zu benennende Fahrten mit dem KFZ geschildert und nachgewiesen werden. Aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich, dass die mit dem KFZ zu erledigenden Fahrten weit überwiegend den familiären Bereich betreffen. Der Beklagte meint, bei Kontakten zur Familie einschließlich des Besuchs des Grabes der Mutter seien die sachlichen Voraussetzungen für die begehrte KFZ-Hilfe nicht erfüllt; bei dieser Familienpflege handele es sich nicht um Leistungen zur Teilhabe am Gemeinschaftsleben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da sie rechtswidrig sind. Die Klägerin hat Anspruch auf die beantragte Eingliederungshilfe in Form von KFZ-Hilfe.

Der Leistungsanspruch gegen den Beklagten folgt aus § 19 Abs. 3 i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 und § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sowie § 55 SGB IX i.V.m. § 8 Abs. 1 EinglHV.

Die Klägerin ist insbesondere aufgrund ihres Postpolio-Syndroms, Tetraparese und Ateminsuffizienz in ihren körperlichen Funktionen wesentlich behindert (§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 1 Nr. 1 EinglHV. Durch die genannten gesundheitlichen Einschränkungen ist sie nicht in der Lage, in einem Umfang am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, wie dies für nicht behinderte Menschen ihres Alters üblich ist. Das Vorliegen der personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII stellt der Beklagte auch nicht in Abrede.

Gemäß § 8 Abs. 1 EinglHV wird Hilfe zur Beschaffung eines KFZ in angemessenen Umfang als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung des KFZ angewiesen ist. Im Hinblick auf das bei jeder Eingliederungsmaßnahme zu prüfende Merkmal der Notwendigkeit (§ 4 Abs. 1 SGB IX) ist dies nur zu bejahen, wenn das KFZ als grundsätzlich geeignete Eingliederungsmaßnahme unentbehrlich zum Erreichen der Eingliederungsziele ist, die darin liegen (vgl. § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII), eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Dabei ist dem behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. In welchem Maß und durch welche Aktivitäten ein behinderter Mensch am Leben in der Gemeinschaft teilnimmt, ist abhängig von seinen individuellen Bedürfnissen unter Berücksichtigung seiner Wünsche (vgl. § 9 Abs. 1 SGB IX und § 9 Abs. 2 SGB XII). Es gilt mithin ein individueller und personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht (BSG, Urteil vom 12.12.2013 – B 8 SO 18/12 R; Urteil vom 23.08.2013 – B 8 SO 24/11 R; Urteil vom 02.02.2012 – B 8 SO 9/10 R). Die Ansicht des Beklagten, bei § 8 Abs. 1 EinglHV sei eine mit der Notwendigkeit für die Teilhabe am Arbeitsleben vergleichbare Nutzungsintensität erforderlich, steht mit den vom BSG entwickelten Maßstäben nicht in Einklang. Als "Korrektiv" gegenüber ausufernden Wünschen des Betroffenen fungiert nicht ein starrer Vergleich mit der Nutzungsintensität bei einer Teilnahme am Arbeitsleben, sondern die Notwendigkeit der Angemessenheit der Wünsche im Hinblick auf eine Eingliederung in die Gesellschaft entsprechend den im Einzelfall bestehenden Möglichkeiten und verständigen Teilhabebedürfnissen. Entsprechend der Rechtsprechung des BSG kommt es auf eine Prognose an, welche Eingliederungsziele mit der begehrten Beihilfe für die Anschaffung eines KFZ verfolgt werden und ob die begehrte Eingliederungsmaßnahme für die Verfolgung dieser Ziele geeignet und erforderlich ist (LSG NRW, Urteil vom 24.06.2014 – L 20 SO 388/13).

Die Klägerin hat ihre Wünsche, zu deren Erfüllung sie die Eingliederungshilfe begehrt, das heißt ihre Eingliederungsziele umfassend und ausreichend konkret dargestellt. Sie will selbstständig Verwandte auch in größerer Entfernung besuchen, zum Grab der Mutter fahren, sich in Bezug auf ihre primäre Krankheit (Postpolio-Syndrom) verbandspolitisch informieren oder gar engagieren und zu entsprechenden Verbandstreffen und –veranstaltungen fahren, Fortbildungsseminare und Konzerte außerhalb von Aachen besuchen, an auswärtigen Treffen der Baha´i-Gemeinde teilnehmen, aber auch einfach nur in die Natur gelangen, Ausflüge unternehmen und Urlaube durchführen. Der Einwand des Beklagten, es handele sich hierbei um "mögliche" Aktivitäten, ohne dass hierfür der Nachweis erbracht sei, wie häufig diese stattfinden, ist unerheblich. Es ist nicht erforderlich, dass der behinderte Mensch – wie im Arbeitsleben – beständig praktisch täglich auf das KFZ angewiesen sein muss; ein derart strenger Maßstab findet im Gesetz keine Stütze (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.09.2012 – L 2 SO 1378/11). Insbesondere kann nicht von den bisherigen Aktivitäten auf die Zukunft geschlossen und dadurch die Notwendigkeit der KFZ-Hilfe relativiert oder gar verneint werden. Gerade weil die Klägerin derzeit noch nicht über ein KFZ verfügt, mit dem sie den E-Rollstuhl transportieren kann, ist sie in ihren Aktivitäten zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft stark eingeschränkt. Diese Einschränkung zu beheben, ist das Ziel der Eingliederungshilfe. Die Klägerin benötigt für (fast) alle Aktivitäten außerhalb ihres Hauses den E-Rollstuhl. Mit diesem allein kann sie aber nur den Nahbereich im Umfeld ihrer Wohnung erschließen; allein darauf ist auch nur die Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung gerichtet. Sobald die Aktivitäten der Klägerin diesen Nahbereich überschreiten, muss sie den E-Rollstuhl über die längere Entfernung transportieren, um ihn am Zielort wieder einsetzen zu können. Dies kann, muss aber nicht regelmäßig sein und hängt von der Tagesform und den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Klägerin ab.

Die begehrte Eingliederungshilfe ist auch geeignet, die Eingliederungsziele zu verwirklichen. Ausgehend davon, dass die Klägerin nur noch sehr kurze Wegstrecken bis max. 50 Meter, eher aber darunter liegend, ohne E-Rollstuhl zurücklegen kann, muss sie , um den E-Rollstuhl zu weiter entfernt liegenden Zielen transportieren und dort einsetzen zu können, mit einem entsprechenden Transportmittel ausgestattet sein. Dies trifft auf einen PKW, der derart gebaut ist, dass mit ihm ein E-Rollstuhl transportiert werden kann, zu. Der vorhandene PKW ist dafür nicht geeignet. Ein Umbau dieses PKW, falls er überhaupt möglich sein sollte, ist angesichts des Alters von 16 Jahren offensichtlich nicht wirtschaftlich.

Allerdings wäre die Erforderlichkeit der begehrten Eingliederungshilfe und das Angewiesensein auf ein zum Transport eines E-Rollstuhls geeigneten KFZ zu verneinen, wenn die Teilhabeziele auch anders, z.B. durch Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) oder Inanspruchnahme des Behindertenfahrdienstes zumutbar verwirklicht werden können (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2013 – B 8 SO 18/12 R). Dies trifft auf die Klägerin jedoch nicht zu. Es geht bei ihr darum, einen E-Rollstuhl, nicht nur einen einfachen (Falt-)Rollstuhl zu transportieren. Aus eigener Erfahrung weiß die Kammer, dass es schwierig bis kaum möglich ist, mit einem derart großen und schweren Fahrzeug die üblicherweise verkehrenden Busse und Bahnen zu nutzen; jedenfalls aber ist dies höchst aufwändig und umständlich und insofern der Klägerin nicht zumutbar. Hinzu kommt, dass viele Ziele durch ggf. geeignete Verkehrsmittel nicht erreichbar sind. Die Kammer hält daher im konkreten Fall der Klägerin eine Verweisung auf die Nutzung des ÖPNV für nicht realitätsnah und jedenfalls unzumutbar. Dasselbe gilt für die Inanspruchnahme des Behindertenfahrdienstes. Zwar erfüllt die Klägerin die Grundvoraussetzung für die Teilnahme am Fahrdienst für Menschen mit Behinderungen in der Städteregion Aachen, da sie über einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "aG" verfügt. Jedoch ist der Behindertenfahrdienst nicht darauf ausgerichtet, behinderte Menschen zu weit entfernt liegenden Zielen zu fahren und nach Abschluss der am Zielort durchzuführenden Aktivität wieder nach Hause zu bringen, insbesondere, wenn damit auch noch der Transport eines E-Rollstuhls verbunden ist. Zudem erlaubt der Behindertenfahrdienst regelmäßig keine spontanen Aktivitäten; Anmeldungen müssen teilweise zwei bis drei Tage im Voraus erfolgen.

Soweit der Beklagte geltend macht, die von der Klägerin als Eingliederungsziel geltend gemachten familiären Kontakte erfüllten nicht die sachlichen Voraussetzungen für die begehrte Hilfe, weil diese Familienpflege keine Leistung zur Teilhabe am Gemeinschaftsleben sei, verkennt er die Bedeutung und Reichweite der für diese Auffassung in Anspruch genommenen Rechtsprechung. Weder das BSG noch das LSG NRW halten Familienbesuche für anspruchshindernde Eingliederungsziele. Das BSG (vgl. Urteil vom 12.12.2013 – B 8 SO 18/12 R – Rn. 16) hält ausdrücklich auch Familienbesuche für relevante Eingliederungsziele. Das LSG NRW hat einen Bezug zur Teilhabe am Gemeinschaftsleben in Bezug auf Familienbesuche nur dann verneint, wenn es einem Leistungsberechtigten "in erster Linie" darum geht, seine familiären Kontakte zu intensivieren, nicht aber Kontakte mit anderen Menschen zu fördern oder auszubauen (vgl. Urteil vom 28.05.2015 – L 9 SO 303/13 – Rn. 41). Dies trifft aber auf die Klägerin nicht zu; für sie sind Familienbesuche nur eine von vielen anderen gewünschten Aktivitäten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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