L 11 AS 121/17 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AS 567/16 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 121/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Kein Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs, wenn keine Bereitschaft zur Mitwirkung in Bezug auf eine weitere diesbezügliche Aufklärung besteht.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 29.12.2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die vorläufige Zahlung (höherer) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die Antragstellerin (ASt) bezieht vom Antragsgegner (Ag) Alg II. Sie bewohnte zunächst eine gemeinsame Wohnung mit ihrer Mutter, die im März 2015 verstarb. Der Ag wies diesbezüglich im Änderungsbescheid vom 30.03.2015 (Bewilligungsabschnitt März bis November 2015) darauf hin, dass die Unterkunftskosten nunmehr unangemessen seien und nur noch bis längstens zum 30.09.2015 in tatsächlicher Höhe anerkannt werden könnten. Die ASt habe sich um die Senkung der Unterkunftskosten zu bemühen und dies nachzuweisen. Angemessen seien Unterkunftskosten iHv 340 EUR zuzüglich kalter Nebenkosten und angemessener Heizkosten. Gleichzeitig wurden ab Oktober 2015 nur noch Bedarfe für Unterkunft und Heizung iHv monatlich 456 EUR berücksichtigt. In der Folgezeit bemühte sich die ASt nach eigenen Angaben erfolglos um eine angemessene Wohnung und legte dem Ag hierüber Nachweise vor. Für die Zeit von Dezember 2015 bis November 2016 bewilligte der Ag mit Bescheid vom 20.11.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 29.11.2015 Alg II unter Berücksichtigung des maßgeblichen Regelbedarfs, eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung iHv 131,67 EUR sowie von Bedarfen für Unterkunft und Heizung iHv 456 EUR. Einen Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.11.2015 wies der Ag mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2016 zurück. Am 16.03.2016 hat die ASt Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben (S 15 AS 112/16), mit der sie ua die Berücksichtigung der erhöhten Miete bis auf weiteres begehrt hat.

Am 18.03.2016 erfolgte die zwangsweise Räumung der Wohnung durch den Gerichtsvollzieher. Die ASt musste gleichzeitig in eine Klinik eingeliefert werden. Für die Zeit von April bis November 2016 berücksichtigte der Ag daraufhin keine Bedarfe für Unterkunft und Heizung mehr (Änderungsbescheid vom 22.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2016). Dagegen hat die ASt Klage beim SG erhoben (S 15 AS 266/16).

Am 27.04.2016 wurde die ASt aus dem Bezirkskrankenhaus L-Stadt entlassen. Am 04.05.2016 beantragte sie die Übernahme von Kosten für eine Übernachtung in einem Hotel Garni iHv 47 EUR und teilte weiter mit, dass sie nunmehr ein Zimmer (A.P., A-Stadt) bewohne, für welches täglich 20 EUR anfallen würden. Entsprechend der vorgelegten Nachweise erkannte der Ag weitere Unterkunftskosten für die Zeit vom 27.04.2016 bis 08.05.2016 an, wies aber gleichzeitig daraufhin, eine Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung könne nur maximal in Höhe der Mietobergrenzen des Landkreises Aschaffenburg erfolgen (Änderungsbescheid vom 11.05.2016). Im Hinblick auf die Umlagerung und Einlagerung des Hausrates der ASt in zwei Containern erklärte der Ag gegenüber der Firma MH-Umzugsdienst (MH), die ASt könne sie mit der Durchführung beauftragen und einlagern. Rechnungen sollten an den Ag nach Ausführung geschickt werden. Im Rahmen weiterer Änderungsbescheide berücksichtigte der Ag sodann die durch Rechnungen für das Zimmer nachgewiesenen Unterkunftskosten bis zur Mietobergrenze (Mai 2016 iHv 458,97 EUR - zuletzt Änderungsbescheid vom 31.05.2016; Juni 2016 iHv 459 EUR - zuletzt Änderungsbescheid vom 04.07.2016; für Juli 2016 wurden mit Bescheid vom 12.07.2016 Unterkunftskosten iHv 148,10 EUR berücksichtigt, die weiteren Änderungsbescheide befinden sich nicht in den Akten des Ag).

Einen Antrag auf Übernahme von Kosten in Zusammenhang mit der Wohnungssuche, die die ASt zunächst mit 162,20 EUR bezifferte, sowie zur Einlagerung ihres Hausrates lehnte der Ag mit Bescheid vom 18.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2016 ab.

Am 09.09.2016 schlossen die Beteiligten vor dem SG einen Vergleich, wonach sich der Ag verpflichtete, für die Zeit von September bis einschließlich November 2016 auf entsprechenden Nachweis die Kosten der Einlagerung iHv monatlich 180 EUR zu übernehmen. Die ASt erklärte ua ihre Klagen S 15 AS 112/16 und S 15 AS 266/16 für erledigt. Zuvor hatte der Vorsitzende der 15. Kammer des SG auf die Rechtsprechung zur abstrakt angemessenen Obergrenze und die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach bei Fehlen eines schlüssigen Konzeptes ein Zuschlag von 10% auf die Tabellenwerte des § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) vorzunehmen sei, hingewiesen.

Ein Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 30.03.2015 wurde vom Ag mit Bescheid vom 18.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2016 abgelehnt.

Am 04.10.2016 stellte die ASt (erneut) einen Überprüfungsantrag insbesondere in Bezug auf die Kosten der erhöhten Miete von September 2015 bis März "2015" (wohl 2016) iHv etwa 1.200 EUR, Fahrt- und Parkkosten bezüglich der Abholung von Vorauszahlungen beim Ag von Mai bis August 2016, Fahrtkosten zu MH zwecks Eigentumssicherung, Übernahme tatsächlicher Mietkosten von mindestens 400 EUR bezüglich der Kaltmiete sowie der Übernahme der derzeitigen tatsächlichen Unterkunftskosten iHv 600 EUR bis 620 EUR. Später konkretisierte die ASt die angefallenen Kosten für Fahrten zu den eingelagerten Gegenständen bis 15.10.2016 auf 77,40 EUR, für Fahrten zum Ag Kosten auf 202,30 EUR, für Wohnungssuche auf 117,20 EUR und für die Differenz bei den Unterkunftskosten auf 926 EUR.

Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom 19.10.2016 für Alg II ab 01.12.2016 versagte der Ag zunächst entsprechende Leistungen mit Bescheid vom 08.12.2016, da die ASt den Fragebogen Gesundheit und eine unterschriebene Schweigepflichtentbindungserklärung nicht eingereicht habe. Unter dem 19.12.2016 erklärte die ASt, sie sei nicht bereit, den Gesundheitsfragebogen sowie die Schweigepflichtentbindungserklärung auszufüllen. Mit der Untersuchung von einem Arzt ihrer Wahl sei sie aber einverstanden. Gegen den Bescheid vom 08.12.2016 legte die ASt Widerspruch ein. Vom 06.12.2016 bis 16.01.2017 befand sich die ASt erneut im Bezirkskrankenhaus. Mit Bescheid vom 20.01.2017 bewilligte der Ag dann vorläufig Alg II für Januar 2017 iHv 653,80 EUR, wobei Unterkunftskosten nur für die Zeit vom 16.01.2017 bis 31.01.2017 berücksichtigt wurden und für Februar bis Juni 2017 iHv 868 EUR monatlich. Der Gesundheitszustand sei aktuell unklar. Ein Mehrbedarf nach § 21 SGB II könne nicht geprüft werden, da sich die ASt geweigert habe, an einer amtsärztlichen Untersuchung teilzunehmen.

Die ASt legte Abtretungserklärungen an ihren Vermieter vor und teilte dem Ag mit, der Vermieter sei nicht mehr bereit, länger zuzuwarten. Es drohe ein Unterkunftsverlust. Mit der nur vorläufigen Leistungsgewährung bestehe kein Einverständnis. Neben einem Mehrbedarf von 33% des Regelbedarfs seien auch für Dezember 2016 und Januar 2017 noch weitere Leistungen zu erbringen. Weiter legte sie eine ausführliche ärztliche Bescheinigung für die Notwendigkeit eines Mehrbedarfs nach dem SGB II der Dr. F. vom 04.10.2013 vor, die den Zusatz enthielt, dass der Bedarf weiterhin erforderlich sei. Der Vermerk ist unter dem 26.01.2017 von Dr. M. unterzeichnet.

Mit Bescheid vom 01.02.2017 lehnte der Ag die Übernahme weiterer Unterkunftskosten für Zeiten, in denen die Wohnung nicht bewohnt worden sei, ab. So habe die ASt vom 06.12.2016 bis 16.01.2017 nicht in der Pension gewohnt. Im Monat Dezember 2016 bestehe wegen des Versagungsbescheides vom 08.12.2016 generell kein Leistungsanspruch. Dagegen und gegen den Bescheid vom 20.01.2017 legte die ASt Widerspruch ein.

Bereits am 02.12.2016 hat die ASt beim SG Klage erhoben (S 16 AS 569/16) und zugleich einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sie begehre vorläufig Alg II für die Zeit von Dezember 2016 bis November 2017 einschließlich eines Mehrbedarfs iHv 33% des Regelbedarfes, die Übernahme der Einlagerungskosten iHv 180 EUR monatlich bei MH, die Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Unterkunftskosten iHv 600 EUR bzw 620 EUR monatlich, die Erstattung angefallener Wohnungssuchkosten seit April 2015, nach dem Wohngeldrecht zustehende höhere Miete für die alte Wohnung von Oktober 2015 bis März 2016 iHv 1.200 EUR, Nachzahlung noch zustehender Unterkunftskosten für die Unterkunft im A.P. ab Mai 2016 sowie Fahrtkosten zur Abholung der Unterkunftskosten von Mai bis August 2016 inklusive der Parkkosten als auch die Fahrtkosten zu MH. Den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat das SG mit Beschluss vom 29.12.2016 abgelehnt. Soweit Leistungen ab 01.12.2016 begehrt würden, sei der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Die ASt habe es selbst in der Hand, durch Vorlage der geforderten Unterlagen die begehrte Bewilligung von Alg II zu erreichen. Hinsichtlich der Einlagerungskosten sei bereits im Verfahren S 15 AS 394/16 ER, bei dem die ASt ebenfalls die Übernahme dieser Kosten für mindestens sechs Monate begehrt habe, ein Vergleich dahingehend geschlossen worden, dass der Ag die Kosten nach Vorlage von Nachweisen für drei Monate übernehme. Dies und das fehlende Erbringen von Nachweisen stehe dem Antrag auf einstweilige Anordnung entgegen. Bei den übrigen Leistungen, die die ASt begehre, handele es sich um Leistungen für vergangene Zeiträume. Hierfür fehle es an einem Anordnungsgrund. Zudem seien diesbezügliche Ablehnungsbescheide bestandskräftig geworden, womit auch kein Anordnungsanspruch glaubhaft sei.

Dagegen hat die ASt Beschwerde beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Das SG habe weder die Vorleistungspflicht noch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) berücksichtigt. Gleiches gelte für das Angebot sich von einem Arzt nach eigener Wahl untersuchen zu lassen. Sie habe auch Überprüfungsanträge gestellt. Der Ag habe Sachen immer wieder verschleppt und dafür gesorgt, dass in Hauptsachverfahren Entscheidungen nicht ergangen seien. Es sei verfassungswidrig, Unterschriften zu verlangen im Gegenzug zur Leistungsgewährung. Der Mehrbedarf ergebe sich aus der ärztlichen Bescheinigung. Eine weitere Begutachtung verstoße gegen den Sozialdatenschutz und sei unverhältnismäßig. Sie könne die Einlagerungskosten beanspruchen, weil es sich um benötigte Unterlagen und Gegenstände handele. Einen Kostennachweis müsse sie nicht erbringen. Es liege offensichtlich eine Kostenzusage des Ag gegenüber MH vor. Von MH sei ihr am 07.01.2017 mitgeteilt worden, dem Ag seien bislang keine Rechnungen zur Einlagerung gestellt worden. Sowohl diesbezüglich als auch hinsichtlich der tatsächlichen Unterkunftskosten für die alte Wohnung bestehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Insofern hätte es einer Einzelfallprüfung bedurft. Eine Obdachlosenunterkunft sei ihr nicht zumutbar. Eine angemessene Wohnung habe sie trotz entsprechender Bemühungen nicht finden können. Auch existiere kein schlüssiges Konzept. Die geltend gemachten Fahrtkosten zum Ag bzw MH seien unvermeidbar gewesen. Die Kosten seien zusätzlich zum Regelbedarf angefallen. Der Ag habe entsprechende Kosten dadurch verursacht, dass er sich geweigert habe, Unterkunftskosten im Voraus anzuweisen. So sei es erforderlich gewesen, wöchentlich mit der Rechnung zum Ag zu fahren. Hilfsweise beantrage sie, den Vergleich vom 09.09.2016 teilweise für unwirksam zu erklären und zeitnahe vorschussweise Zahlung durch den Ag. Mit einer Vereinbarung ab Januar 2017 habe sich ihr Antrag hinsichtlich der zukünftigen Unterkunftskosten für die aktuell bewohnte Unterkunft erledigt.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die Akten des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG), aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Gegenstand des Rechtsstreites ist zunächst die (vorläufige) Zahlung von weiterem Alg II in Bezug auf höhere Unterkunftskosten für die jeweils bewohnte Unterkunft sowie in Zusammenhang mit der Einlagerung des Hausrates bei MH - diese Kosten stellen ebenfalls einen Bedarf für Unterkunft dar - und die Kosten für Fahrten zum Ag bzw zum eingelagerten Hausrat. Dies betrifft die Bewilligungszeiträume Oktober bis November 2015 (insbesondere Änderungsbescheid vom 30.03.2015) und Dezember 2015 bis November 2016 (insbesondere Bescheid vom 20.11.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 29.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2016; Änderungsbescheid vom 22.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2016; Änderungsbescheide vom 31.05.2016, 04.06.2016 und 12.07.2016). Hinzu kommen (höhere) Leistungen für die Zeit ab Dezember 2016 (Versagungsbescheid vom 08.12.2016, Bewilligungsbescheid vom 20.01.2017 und Bescheid vom 01.02.2017) in Bezug auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (Pension und Einlagerungskosten), Fahrtkosten und den Mehrbedarf. Schließlich geht es um die Kosten in Zusammenhang mit der Wohnungssuche (insbesondere Bescheid vom 18.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2016).

Die Begehren der ASt können im Rahmen einer Hauptsache grundsätzlich mit einer Anfechtungs- und Leistungsklage geltend gemacht werden, so dass vorliegend § 86b Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes darstellt. Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG, Beschluss vom 25.10.1998 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69 (74); Beschluss vom 19.10.1977 - 2 BvR 42/76 - BVerfGE 46, 166 (179); Beschluss vom 22.11.2002 - 2 BvR 745/88 - NJW 2003, 1236).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl, § 86b Rn 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom BVerfG vor-gegebenen Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen und deshalb eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in den Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, droht, ist eine Versagung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nur dann möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 - 1 BvR 1335/13). Für eine Entscheidung aufgrund einer sorgfältigen und hinreichend substantiierten Folgenabwägung ist nur dann Raum, wenn eine - nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende - Rechtmäßigkeitsprüfung auch unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht verwirklicht werden kann, was vom zur Entscheidung berufenen Gericht erkennbar darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch: BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 - 1 BvR 1335/13; Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12).

In Bezug auf die Zahlung von weiterem Alg II für die Zeit ab März 2017 ist ein Anordnungsanspruch auf (vorläufige) Gewährung höherer Leistungen nicht ersichtlich.

Die Leistungsvoraussetzungen der §§ 7 ff SGB II liegen bei der ASt offensichtlich vor. Der Ag erbringt zumindest vorläufig laufende Leistungen. Insofern wurde mit Bescheid vom 20.01.2017 ua für die Zeit von März bis Juni 2017 Alg II iHv monatlich 868 EUR (409 EUR Regelbedarf und 459 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung) bewilligt. Hinsichtlich des Bedarfs für die Unterbringung in der Pension hat die ASt zuletzt ausgeführt, dass sich der Antrag für entsprechende weitere künftige Kosten erledigt habe. Die vom Ag bewilligten 459 EUR monatlich sind demnach offensichtlich insoweit bedarfsdeckend.

Dass für die Einlagerung des Hausrates bei MH derzeit ein weiterer Unterkunftsbedarf zu berücksichtigen wäre, ergibt sich nicht. Nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II werden als Bedarfe für Unterkunft und Heizung die tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt, soweit sie angemessen sind. Hierzu können auch die angemessenen Kosten einer Einlagerung von vorübergehend nicht benötigtem angemessenem Haushalt und persönlichen Gegenständen gehören, wenn es wegen der Größe der konkreten Unterkunft erforderlich ist (vgl dazu BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R). Fällige Rechnungen, die einen entsprechenden Bedarf begründen würden, liegen aber ersichtlich nicht vor. Sollte eine Rechnung künftig erteilt werden, wird dann zu prüfen sein, ob bei Fälligkeit die Kosten vom Ag zu übernehmen wären. Dies kann aktuell jedoch noch nicht beurteilt werden. Ein vorbeugender Rechtsschutz kommt nicht in Betracht, da es der ASt zumutbar ist, die Rechnungstellung und eine entsprechende Entscheidung des Ag abzuwarten.

Auch höhere Leistungen für einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung können (derzeit) nicht erbracht werden. Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt (§ 21 Abs 5 SGB II). Ein solcher Bedarf ist bei der ASt derzeit nicht feststellbar. Im Hinblick auf die ärztliche Bescheinigung vom 04.10.2013, deren weitere Gültigkeit von Dr. M. unter dem 26.01.2017 bestätigt worden ist, stellt sich schon die Frage, ob es sich bei den dort genannten Dingen, auf die die ASt krankheitsbedingt angewiesen sein soll, um einen Ernährungsbedarf handelt. Unabhängig davon muss es dem Ag möglich sein, selbst den entsprechenden Bedarf zu ermitteln bzw zu überprüfen. Dies ist nicht möglich, da die ASt (bislang) nicht bereit ist, einen Gesundheitsfragebogen auszufüllen und ihre behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Allein die Untersuchung durch einen Arzt eigener Wahl wurde von ihr angeboten. Im Rahmen der Mitwirkungsverpflichtungen soll ein Antragsteller sich auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen, soweit diese für die Entscheidung über die Leistung erforderlich sind (§ 62 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I). Da die ärztliche Bescheinigung ursprünglich vom 04.10.2013 datiert und auch im Hinblick auf die Bestätigung vom 26.01.2017 nicht ersichtlich ist, inwieweit neue Befunde von den behandelnden Ärzte seit 2013 erhoben bzw neue Diagnosen erstellt worden sind. Eine weitergehende Überprüfung des Bedarfs kann daher nur durch Beiziehung bereits vorhandener ärztlicher Unterlagen, was im Hinblick auf ein fehlendes Einverständnis der ASt nicht möglich ist, oder durch eine ärztliche Untersuchung erfolgen. Bei letzterer steht es im Ermessen des Ag, die untersuchende Stelle und den untersuchenden Arzt zu bestimmen, wodurch der Anspruch der ASt auf die sog freie Arztwahl eingeschränkt ist (vgl dazu Seewald in Kassler Kommentar, Stand 12/2016, § 62 SGB I Rn 10). Hinreichende Gründe, weshalb eine Untersuchung der ASt durch den Amtsarzt unzumutbar sein soll, sind weder konkret vorgebracht noch ersichtlich. Damit wäre aktuell auch im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens mangels nachgewiesener Leistungsvoraussetzungen für den Mehrbedarf ein solcher nicht zu berücksichtigen. Gleiches gilt für den Fall, dass der in der ärztlichen Bescheinigung aufgezählte Mehrbedarf nicht in Bezug auf Ernährung bestehen sollte, sondern in Bezug auf andere Dinge. Auch im Rahmen von § 21 Abs 6 Satz 1 SGB II, wonach bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt wird, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht, wäre dieser Bedarf festzustellen bzw zu überprüfen.

Unklar ist, ob derzeit noch Kosten für Fahrten zu MH im Hinblick auf die eingelagerten Gegenstände anfallen. Unabhängig davon wären entsprechende Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten. Hiermit werden ua Aufwendungen für Verkehr abgedeckt (§ 29 Abs 1a SGB II iVm § 5 Abs 1 Abteilung 7 Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz - RBEG).

Aktuell wurden keine konkreten Kosten der Wohnungssuche nachgewiesen. Im Übrigen dürften hier Kosten für Zeitungen zur Anzeigenrecherche oder Telefonkosten zur Kontaktaufnahme mit potentiellen Vermietern aus dem Regelbedarf zu bestreiten sein (vgl dazu Luik in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 22 Rn 203 mwN).

Sofern die ASt weitere Leistungen für die Zeit vor März 2017 für die tatsächlichen Kosten der jeweils bewohnten Unterkunft sowie in Zusammenhang mit der Einlagerung des Hausrates bei MH, die Kosten für Fahrten zum Ag bzw zum eingelagerten Hausrat, einen Mehrbedarf, Kosten der Wohnungssuche und Leistungen für Dezember 2016 begehrt, fehlt es an einem Anordnungsgrund. Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist der Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass die ASt vor vollendete Tatsachen gestellt werden, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 86b Rn 27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht (vgl Beschluss des Senates vom 12.04.2010 - L 11 AS 18/10 B ER). Beides ist vorliegend nicht der Fall. Zum einen ist zu beachten, dass einzelne Leistungszeiträume bereits bestandskräftig und damit für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG) geregelt sein könnten. Zum anderen sind die Fragen zur Schlüssigkeit des Konzeptes bzw zur Übernahme der unangemessenen Unterkunftskosten im Rahmen eines etwaigen besonderen Einzelfalls bzw mangels konkret verfügbaren angemessenen Unterkünften noch als offen anzusehen. Dies wäre im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens bzw Überprüfungsverfahrens noch zu klären. Einen besonderen Nachholbedarf vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen.

Nach alledem war die Beschwerde der ASt gegen den Beschluss des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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