L 15 SO 353/16 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 88 SO 1338/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 353/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei dem fünfjährigen Aufenthalt gem. § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II im Bundesgebiet muss es sich nicht um einen erlaubten Aufenthalt handeln.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2016 geändert. Der Beigeladene zu 2) wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit vom 1. April 2017 bis zum 30. Juni 2017, längstens bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache oder der (dauernden) Ausreise des Antragstellers aus Deutschland, in Höhe von 119,76 Euro monatlich zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu vier Fünfteln und der Beigeladene zu 2) hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu vier Fünfteln zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1969 geborene, also jetzt 47 Jahre alte Antragsteller ist litauischer Staatsbürger. Er bezieht von dem litauischen Sozialversicherungsfonds, Filiale K, laut dessen Bescheinigung vom 22. April 2016 eine Invaliditätsrente aufgrund einer 80prozentigen Arbeitsunfähigkeit. Der Rentenanspruch beträgt ab Januar 2016 261,08 Euro, wovon ein Teil aufgrund einer Pfändung einbehalten wird. Seit Januar 2017 werden ihm 167,74 Euro ausgezahlt. Weiter erhält er 9,50 Euro Fahrkostenerstattung aus Litauen im Monat. Er leidet nach eigenen Angaben an einer Stoffwechselstörung (Adrenogenitales Syndrom) mit Hormonsubstitution und einem Zustand nach Schlaganfall im Jahr 1995. Er sei linksseitig an den äußeren Extremitäten gelähmt. Auf Grund dieser Erkrankungen erhält er aus Litauen eine Entschädigung der Kosten für medizinische Behandlung (Fürsorge) in Höhe von zurzeit 112, 00 Euro monatlich.

Im April 2016 stellte der Antragsteller bei dem Jobcenter Spandau, also dem Beigeladenen zu 1), einen Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch/ Zweites Buch (SGB II). Er gab an, obdachlos zu sein und über kein Einkommen zu verfügen. Er benötige Unterstützung bei der Arbeitsuche. Er verkaufe den Straßenfeger und lebe von Rente und Sozialhilfe aus Litauen. Er lebe seit 2009 – ohne polizeiliche Meldung – in Deutschland. Er legte eine Bestätigung des "VBS - WO" vom 4. April 2016 vor, wonach er dort regelmäßig in der Einrichtung Gast sei.

Mit Bescheid vom 29. April 2016 hat der Beigeladene zu 1) den Antrag mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe keinen Nachweis dafür vorlegen können, dass er sich rechtmäßig seit mehr als sieben Jahren in Deutschland aufhalte. Er habe ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zweck der Arbeitsuche und ein Anspruch sei daher gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen.

Zur Begründung seines Widerspruches vom 19. Mai 2016 legte der Antragsteller eine Bescheinigung der C vor, dass er seit dem 28. September 2009 regelmäßig in der C-Ambulanz am B medizinisch behandelt werde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2016 hat der Beigeladene zu 1) den Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen, ein Aufenthaltsrecht sei nicht gegeben und ein mehr als fünfjähriger Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland nicht nachgewiesen. Ein Aufenthaltsrecht ergebe sich auch nur bei einem rechtmäßigen Aufenthalt. Gegen diesen Bescheid wurde keine Klage erhoben.

Am 25. Juli 2016 stellte der Antragsteller bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII). Er legte eine Bescheinigung der Abteilung Soziales und Gesundheit des Bezirksamts Spandau vom 24. Mai 2016 vor, wonach er in der D Straße , Berlin , seit dem 27. Oktober 2009 gemeldet ist. Dies sei allerdings nur eine Scheinadresse. Er habe dort niemals gewohnt. Weiter legte er eine Bescheinigung des C- E e.V., C-Ambulanz , unterschrieben von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. G, vom 23. Mai 2016 vor, wonach er dort seit 2009 in Behandlung und dauerhaft arbeitsunfähig sei.

Weiter hat er Kontoauszüge für die Zeit ab März 2016 vorgelegt, die zum Teil sehr niedrige Beträge über Einkäufe, z B. 0,31 Euro, 0,64 Euro, 1,06 Euro, 0,06 Euro etc. aufweisen, die abgebucht wurden.

Mit Beschluss vom 12. August 2016 (Az. VG 23 L 820.16) hat es das Verwaltungsgericht Berlin abgelehnt, den Antragsteller nach dem Allgemeinen Gesetz zum Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG) in eine Unterkunft einzuweisen, u.a. mit der Begründung, ein Anordnungsgrund, also eine Eilbedürftigkeit bestehe nicht, da der Antragsteller bereits seit September 2009 ohne festen Wohnsitz in Berlin lebe.

Am 5. September 2016 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner beim Sozialgericht Berlin gestellt. Er hat eine Bescheinigung der C-Ambulanz vom 9. September 2016 vorgelegt. Darin wird bescheinigt, dass er seit dem 28. September 2009 Patient in der Einrichtung sei. Er sei im Jahr 2009 (August bis November) viermal, im Jahr 2014 (Januar bis Dezember) elfmal, im Jahr 2015 (Mai bis Dezember) zehnmal und im Jahr 2016 siebenmal, und zwar zuletzt am 6. April, behandelt worden. Der Antragsteller legte eine eidesstattliche Versicherung vom 20. September 2016 vor, in der er angegeben hat, seine litauischen Kontoauszüge nicht vorlegen zu können. Die Kleinstbeträge bei den Abbuchungen von seinem Konto seien Lebensmitteleinkäufe. Er erziele circa 0,50 Euro durch Flaschensammeln täglich.

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2016 hat der Antragsgegner den Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII mit der Begründung abgelehnt, es seien keine ausreichenden Unterlagen eingereicht worden. Es sei nicht erkennbar, warum der Antragsteller Sozialleistungen in Litauen empfange, wenn er sich dort nicht aufhalte. Er könne nach Litauen zurückkehren. Eine Busfahrt dorthin koste 37,00 Euro.

Der Antragsteller legte weitere Kontoauszüge vor, aus denen sich u.a. ergibt, dass er sich am 19. September 2016 in P aufgehalten hat und in der Zeit vom 13. Oktober 2016 bis 17. Oktober 2016 in V.

Mit Beschluss vom 7. Dezember 2016 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Bedürftigkeit sei nicht glaubhaft gemacht worden. Es bestünden auch Zweifel an einem durchgehenden Aufenthalt des Antragstellers in Berlin seit 2009. Die C-Ambulanz habe ärztliche Behandlungen dort im Spätsommer/Herbst des Jahres 2009 bestätigt und dann erst wieder im Winter des Jahres 2014. Auch im Jahr 2014 hätten zwischen April und November keinerlei Behandlungstermine stattgefunden. Angesichts der chronischen Erkrankungen des Antragstellers erscheine die Auflistung der Behandlungstermine mit Blick auf die vorhandenen Lücken nicht geeignet, einen dauerhaften Aufenthalt des Antragstellers in Berlin zu belegen. An einen Einsatz seiner eigenen europäischen Krankenversicherungskarte habe sich der Antragsteller lediglich für November 2015 erinnern können. Auch während des vorliegenden Verfahrens scheine sich der Antragsteller nicht durchgängig in Berlin aufgehalten zu haben, wie sich aus den Kontoauszügen mit Abhebungen in P und V ergebe. Auch die Kleinstabhebungen auf dem Girokonto ließen erkennen, dass der Antragsteller an den Kassen wohl Pfandbons eingelöst und damit den überwiegenden Teil der jeweiligen Einkäufe bezahlt habe. Dass er lediglich 15 Euro monatlich mit dem Sammeln von Pfandflaschen erziele, sei insoweit für die Kammer nicht glaubhaft.

Gegen den am 7. Dezember 2016 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 26. Dezember 2016 Beschwerde bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass er keine Möglichkeit habe, gegen die Pfändung seiner litauischen Rente vorzugehen. Er könne aufgrund seiner körperlichen Beschwerden keine großen Summen durch Pfand einlösen. Zum Monatsbeginn verwende er seine Mittel, um Übernachtungen in Hostels zu bezahlen, in denen er auch selbst kochen könne. Hierfür kaufe er mit seiner EC-Karte leicht zuzubereitende preisgünstige Lebensmittel. Nach Verbrauch seiner Mittel esse er dann überwiegend in Obdachloseneinrichtungen. In P habe er sich nach seiner Erinnerung Mitte September 2016 aufgehalten. Er habe sich einer medizinischen Behandlung unterzogen, sei aber nicht lange dort gewesen. In V habe er sich nach seiner Erinnerung für einige Tage im Oktober 2016 aufgehalten, um Behördengänge zu erledigen. Beide Reisen seien zeitlich überschaubar und klar zweckgebunden gewesen. Sie hätten keine Verlagerung des Lebensmittelpunktes dargestellt.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2016 aufzuheben und den Antragsteller zu verpflichten, ihm vorläufig, bis zur Entscheidung in der Hauptsache, Hilfen zum Lebensunterhalt in Höhe von 151,96 Euro monatlich nebst den Kosten seiner Unterbringung zu bewilligen, hilfsweise,

den Beigeladenen zu 1) oder den Beigeladenen zu 2) zu verpflichten, ihm vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 151,96 Euro monatlich nebst den Kosten seiner Unterkunft zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hat sich auf den seines Erachtens zutreffenden Beschluss des Sozialgerichts bezogen. Hilfebedürftigkeit habe auch im Erörterungstermin am 1. Februar 2017 weder glaubhaft gemacht noch nachgewiesen werden können. Die Erklärungen des Antragstellers seien nicht bestätigt worden, sie widersprächen sogar teilweise seinen eigenen Angaben. Jedenfalls stünden wohl genügend Mittel zur Verfügung, um nach L und P zu reisen. Der Antragsteller habe zudem den ablehnenden Bescheid des Beigeladenen zu 1) bestandskräftig werden lassen. Der Antragsteller verfüge weder über einen gültigen Aufenthaltstitel der zuständigen Ausländerbehörde noch könne er aus dem Freizügigkeitsrecht für EU-Bürger einen erlaubten Aufenthalt ableiten, ebenso wenig aus dem behaupteten fünfjährigen Aufenthalt. Es habe sich bei der Meldeanschrift nur um eine Scheinadresse gehandelt, er habe dort nie gewohnt.

Der Beigeladene zu 1) hat keine Stellungnahme abgegeben, er hält sich nicht für zuständig.

Der Beigeladene zu 2), das JobCenter Mitte, beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hat auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Er habe keine Verpflichtung zur Leistung. Der Antragsteller habe kein Aufenthaltsrecht nachgewiesen. Eine Leistungsberechtigung scheide damit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II aus. Eine Zuständigkeit des Beigeladenen zu 2) richte sich nach der Geburtsdatenregelung des Landes Berlin, wenn der Antragsteller in Berlin niemals eine Meldeanschrift gehabt habe. Die D Straße falle in den Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen zu 2) nur, wenn die Meldeadresse kein Wohnheim sei. Eine Meldung in einem Wohnheim stelle keine ordentliche Meldeanschrift dar und könne daher keine örtliche Zuständigkeit beim Beigeladenen zu 2) begründen.

In einem Erörterungstermin am 1. Februar 2017 ist der Antragsteller gehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift verwiesen.

Der Antragsgegner hat mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2017 den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. Oktober 2016 zurückgewiesen. Es werde angezweifelt, dass der Antragsteller sich dauerhaft in Deutschland aufhalte. Auch eine Mittellosigkeit sei nicht glaubhaft dargelegt worden. Seine volle Erwerbsminderung, die er geltend mache, sei bisher nicht von dem deutschen Rententräger nachgewiesen worden. Es fehlten weiterhin Atteste und Behandlungsberichte für eine Prüfung. Bis zur Feststellung gelte der Antragsteller als erwerbsfähig und werde damit dem Leistungssystem des SGB II zugeordnet. Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Antragsteller Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben.

Der Antragsteller hat eine eidesstattliche Versicherung vom 22. Februar 2017 eingereicht, wonach er sich in der Zeit nach seiner polizeilichen Anmeldung in Berlin – von kurzen Auslandsreisen abgesehen – durchgehend in Deutschland aufgehalten habe. Er habe zunächst in Berlin gelebt. Er habe zu dieser Zeit sehr viel Alkohol getrunken, eigentlich täglich. Er sei dann rumgefahren und sei auch in anderen Städten gewesen, er erinnere sich an Hamburg und Frankfurt am Main. Zwischen den Städten sei er schwarz mit dem ICE gefahren. Er habe Deutschland aber nicht verlassen. Das liege daran, dass man hier, wenn man kein Geld mehr habe, in den Einrichtungen der Obdachlosenhilfe trotzdem etwas zu essen bekomme. Er könne sich nicht erinnern, wann genau er in welcher Stadt gewesen sei und wie lange. Er habe damals sehr viel getrunken.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Die den Antragsteller betreffenden Verwaltungsakten des Antragsgegners und des Beigeladenen zu 1) haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und auch teilweise begründet. Der Antragsteller hat gegen den Beigeladenen zu 2) den aus der Beschlussformel ersichtlichen Anspruch nach dem SGB II.

Die Zuständigkeit des Beigeladenen zu 2) ergibt sich aus Nr. I. 1. der Vereinbarung zwischen dem Land Berlin und der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit zur Regelung über die örtliche Zuständigkeit für wohnungslose Leistungsberechtigte nach dem SGB II in Verbindung mit Nr. 3 (1) Ausführungsvorschrift über die örtliche Zuständigkeit auf dem Gebiet der Sozialhilfe vom 14. Mai 2013, ABI. S. 1082 (AV Wohnungslose). Danach gilt für die Abgrenzung der örtlichen Zuständigkeit zwischen den Bezirksämtern der Grundsatz, dass das Bezirksamt [hier das JobCenter] örtlich zuständig ist, in dessen Amtsbezirk die leistungsberechtigte Person ihren Wohnsitz hat. Als Wohnsitz im Sinne dieser Ausführungsvorschriften gilt die letzte durch Eintrag im Personalausweis nachgewiesene bzw. durch Rückfrage beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO)/Bürgeramt (ohne Archivanfrage, es gilt der online aus dem Melderegister abrufbare erweiterte Datensatz) ermittelte melderechtliche Anmeldung in einer Wohnung (Miet- oder Untermietvertrag, Eigentumswohnung, Eigenheim, kostenfreies Wohnen ohne schriftlichen Vertrag). Dies ist bei dem Antragsteller die D Straße , Berlin. Dass der Antragsteller nach eigenem Bekunden dort nie gewohnt hat, ist unbeachtlich, da die genannte Vorschrift lediglich an die Meldung anknüpft und nicht an den tatsächlichen Wohnsitz. Dies ergibt sich - abweichend von § 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch/Erstes Buch (SGB I), wonach jemand einen Wohnsitz dort hat, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird - aus der Formulierung "als Wohnsitz im Sinne dieser Ausführungsvorschriften gilt die letzte ( ) durch Rückfrage beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO)/Bürgeramt ( ) ermittelte melderechtliche Anmeldung in einer Wohnung". Es wird dort allein auf die Anmeldung in einer Wohnung abgestellt. Da die D Straße im Bezirk Mitte liegt, ist der Beigeladene zu 2) der zuständige Leistungsträger.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür ist regelmäßig, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materieller Leistungsanspruch, als auch ein Anordnungsgrund, d.h. eine Eilbedürftigkeit, gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht ist.

Ein Anordnungsgrund ist gegeben, da der Antragsteller keine das Existenzminimum sichernden Mittel zu Verfügung hat.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch - gegen den Beigeladenen zu 2) - glaubhaft gemacht. Rechtsgrundlage hierfür ist § 19 in Verbindung mit § 7 SGB II. Nach § 19 Abs. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II. Leistungsberechtigte sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Diese Voraussetzungen sind für den Antragsteller erfüllt. Es bestehen zwar Bedenken bzgl. der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers, da ihm in Litauen eine 80prozentige Invalidität zugesprochen worden ist und er angibt, u.a. an einer Halbseitenlähmung zu leiden. Da das Fehlen der Erwerbsfähigkeit jedoch bisher nicht festgestellt worden ist (vgl. zum Verfahren § 44a SGB II), ist das JobCenter bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zur Leistung verpflichtet. Dies ergibt sich, über seinen Wortlaut hinaus, aus § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II. Danach besteht die Leistungspflicht zwar nur bis zur "Entscheidung über den Widerspruch". Jedoch sind die SGB II-Träger über den Wortlaut des Absatz 1 Satz 7 hinaus verpflichtet, auch ohne das Vorliegen eines Widerspruchs Nahtlosigkeitsleistungen zu erbringen, wenn sie zwar vom Fehlen der Erwerbsfähigkeit ausgehen, die Zuständigkeit aber nicht mit dem nach ihrer Auffassung zuständigen Träger geklärt haben (Knapp in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, Stand August 2016, § 44a, Rn. 71 mit Nachweisen u.a. zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)). Einem Anspruch des Antragstellers steht auch nicht die Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegen. § 7 Abs. 1 Sätze 2 bis 7 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (GrSiAuslG) vom 22. Dezember 2016, BGBl. I S. 3155 lauten: Ausgenommen sind 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

2. Ausländerinnen und Ausländer,

a) die kein Aufenthaltsrecht haben, b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder c) die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten, und ihre Familienangehörigen,

3.Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

Der Antragsteller ist Ausländer (Litauer) ohne erkennbares anderweitiges Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht. Er hat aber glaubhaft gemacht, dass er seit mindestens fünf Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Nach § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II beginnt die Fünfjahresfrist mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde, hier also am 27. Oktober 2009. Unbeachtlich ist, dass der Antragsteller unter der Meldeanschrift nach eigenen Angaben nie gewohnt hat, der Gesetzeswortlaut knüpft allein an die Meldung an. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksache 18/10211 vom 7. November 2016, B. Zu Artikel 1, dort zu Nummer 2 (§ 7 SGB II), Seite 14, dokumentieren die Betroffenen durch die verpflichtende Meldung bei der Meldebehörde ihre Verbindung zu Deutschland, die Voraussetzung für eine Aufenthaltsverfestigung ist. Durch die Bescheinigung der C-Ambulanz vom 9. September 2016 ist auch glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller sich im Jahr 2009 und dann wieder ab mindestens Januar 2014 bis fortlaufend tatsächlich in Berlin aufgehalten hat. Für die Zeit ab Januar 2015 geht dies auch aus den beim Beigeladenen zu 1) und dem Antragsgegner vorgelegten Kontoauszügen hervor. Er hat durch eine eidesstattliche Erklärung auch glaubhaft gemacht, dass er Kontoauszüge für die Zeit vorher nicht vorlegen kann, was ggfs. im Hauptsacheverfahren zu überprüfen sein wird. Für die Zwischenzeit, also Dezember 2009 bis Dezember 2013 ist der Aufenthalt in Deutschland durch die vorgelegte eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht. Die von dem Antragsteller gegebene Erklärung ist plausibel. Für die Zeit, in der er sich als Obdachloser in verschiedenen Städten Deutschlands aufgehalten hat, ist auch nachvollziehbar, dass er hierfür nur schwer Nachweise erbringen kann. Auch die Erklärung, aus welchen Gründen er sich nicht in Litauen aufhalten konnte oder wollte, ist nachvollziehbar. In dem Erörterungstermin vom 1. Februar 2017 hat der Antragsteller angegeben, er sei in Deutschland, weil er drei Mal am Tag Essen und Medikamente einnehmen müsse. Dies gehe in Litauen nicht. In Deutschland bekomme er etwas von den Missionen. In Litauen gebe es diese nur auf dem Papier, in der Realität jedoch nicht. Alles werde so gemacht, dass die Obdachlosen das Land verließen. Wenn sie das nicht täten, würden sie verhungern oder an Krankheiten eingehen. Es sei ein Unterschied wie Tag und Nacht. Die von ihm beschriebenen Zustände in Litauen entsprechen denen, die in der Studie "Die wirtschaftliche und soziale Lage in den Baltischen Staaten: Litauen", erstellt von Prof. Dr. Boguslavas Gruzevskis und Dr. habil. Inga Blaziene, herausgegeben vom Referat Besuchergruppen/Veröffentlichungen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, Brüssel 2013, zu finden unter http://www.eesc.europa.eu/resources/docs/qe-30-12-150-de-c.pdf, dargestellt werden. Dort (Seite 9) wird ausgeführt, dass die stark ausgeprägte wirtschaftliche Ungleichheit in der Bevölkerung bei geringem Lebensstandard Ursachen für die große Zahl der Menschen sind, die in Armut und sozialer Ausgrenzung leben. Nach Angaben von Eurostat waren 2010 über 33% der Menschen in Litauen von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen – einer der höchsten Werte in der EU. Zwar beträgt das Durchschnitts- und Mindesteinkommen in Litauen nur ein Fünftel bis die Hälfte dessen, was in vielen EU-Staaten verdient wird, aber die Preise für zahlreiche wichtige Waren und Dienstleistungen liegen nur 10-30% unter dem EU-Durchschnitt. Der allgemeine Preisindex in Litauen wird nur durch geringere Preise für Wohnungen, Bildung und Gesundheitsversorgung (von denen bekanntlich nur ein geringer Teil statistisch erfasst ist) gedrückt. Allerdings liegen auch diese Preise bei etwa 40% des EU-Durchschnitts, während Arbeitslöhne, Renten und Sozialhilfen um ein Vielfaches geringer sind als in den übrigen EU-Ländern. Nach einer Umfrage der Technischen Universität K von 2011, an der 1187 Einwohner Litauens teilgenommen haben, sind mehr als 70% der Befragten der Ansicht, der litauische Staat versäume es, Unterstützung und Hilfeleistungen für ein vollwertiges Leben von Menschen mit Behinderungen bereitzustellen.

Der fünfjährige Aufenthalt in Deutschland muss auch nicht erlaubt gewesen sein, d.h., es muss keine materiell-rechtliches Aufenthaltsrecht bestanden haben, wie sich aus den Materialien zum GrSiAuslG ergibt. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksache 18/10211 vom 7. November 2016, B. Zu Artikel 1, dort zu Nummer 2 (§ 7 SGB II), Seite 14, ist diese Frist angelehnt an den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts, setzt jedoch im Gegensatz zu diesem keine materielle Freizügigkeitsberechtigung voraus. Der Gesetzgeber wollte mit der Möglichkeit des Bezuges von Leistungen ohne ein Aufenthaltsrecht offenbar der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, vgl. Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 u.a. –, dokumentiert in juris und in NVwZ 2012, 1024), Rechnung tragen. Dabei nimmt der Gesetzgeber allerdings den Zeitraum eines "kurzfristigen Aufenthalts" mit fünf Jahren deutlich länger an als z.B. das BSG. Dieses ist davon ausgegangen, dass nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten ein durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirktes Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland vorliegt (BSG, Urteil vom 03. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R –, juris Rn. 56 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 43). Da der Antragsteller jedenfalls glaubhaft gemacht hat, dass er sich seit (mehr als) fünf Jahren gewöhnlich in Deutschland aufhält, kann an dieser Stelle dahinstehen, nach welcher Zeit nicht mehr von einem Kurzaufenthalt auszugehen ist.

Sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass ein fünfjähriger ununterbrochener Aufenthalt nicht vorliegt (z.B. durch Anforderung der Kontoauszüge für die Zeit ab 2012), wäre zu prüfen, ob nicht ein Anspruch gegen den Antragsgegner besteht. Dieser könnte sich zum einen im Wege der verfassungskonformen Auslegung der Härtefallregelung in § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII in der Fassung des GrSiAuslG ergeben. Danach werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt, soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern. Ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Sofern man die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung verneint, könnte sich zum anderen ein Anspruch im Hinblick auf eine Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses existenzsichernder Leistungen trotz eines mehr als kurzfristigen Aufenthalts in Deutschland ergeben. Verfassungsrechtliche Bedenken an den Regelungen des GrSiAuslG bestehen im Hinblick auf das Urteil des BVerfG zum Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) vom 18. Juli 2012, aaO. (vgl. zu den verfassungsrechtlichen Fragen und Bewertungen nur die Ausführungen der Verbände und Sachverständigen in den Materialien zur öffentlichen Anhörung vom 28. November 2016 zum Gesetzentwurf des GrSiAuslG, Ausschussdrucksache 18(11)851 des Deutschen Bundestages, die zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Frage der Verfassungswidrigkeit der Neuregelungen, insbesondere im Hinblick auf das Urteil des BVerfG zum AsylbLG, kommen). Sofern man von einer Verfassungswidrigkeit ohne Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung ausgehen würde, würde man dabei - anders als der Gesetzgeber - einen nicht mehr kurzfristigen Aufenthalt nicht erst nach fünf Jahren annehmen.

Dem Antragsteller waren Leistungen wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu gewähren. Dabei war von einem Regelbedarf von 409,00 Euro monatlich auszugehen und hiervon die (tatsächlich ausgezahlte) litauische Rente in Höhe von 167,74 Euro monatlich, die Fahrkostenerstattung in Höhe von 9,50 Euro monatlich und die Entschädigung der Kosten für medizinische Behandlung (Fürsorge) in Höhe von 112,00 Euro monatlich abzusetzen. Dies ergibt 119,76 Euro monatlich.

Der Beginn der Leistungen war auf den Ersten des Monats der Entscheidung des Senats festzulegen. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller zur Abwendung einer Notlage dringend auf Leistungen auch für die Zeit vorher angewiesen ist, sind nicht ersichtlich. Insoweit und bzgl. der Höhe war die Beschwerde zurückzuweisen.

Zurückzuweisen war die Beschwerde auch insoweit, als Leistungen ohne zeitliche Begrenzung begehrt werden. Eine Leistungsgewährung ist lediglich für drei Monate vorzunehmen. Denn der Antragsgegner hat bei der Ausländerbehörde Berlin bereits am 3. Februar 2017 die Überprüfung des Freizügigkeitsrechts beantragt, so dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen möglicherweise in Kürze eingeleitet werden. Weiter wird zu überprüfen sein, ob die Rente aus Litauen nach Wegfall der Pfändung wieder in voller Höhe ausgezahlt wird.

Bzgl. der Kosten der Unterkunft und Heizung besteht kein Anordnungsanspruch, da der Antragsteller keine Unterkunft hat. Bei Nachweis einer Unterkunft wird der Beigeladene zu 2) jedoch die (angemessenen) Kosten für diese übernehmen müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG analog. Sie berücksichtigt, dass bis zum In-Kraft-Treten des GrSiAuslG am 29. Dezember 2016 entsprechend der Rechtsprechung des BSG ein Anspruch gegen den Antragsgegner gegeben gewesen wäre (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall den Beschluss des erkennenden Senats vom 13. April 2016, Az. L 15 SO 53/16 B ER, dokumentiert in juris und zu finden unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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