S 19 AS 2057/17 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AS 2057/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 27.04.2017 bis 27.10.2017, längstens jedoch bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gewähren in Höhe von

 89,74 EUR für die Zeit vom 27. bis 30.04.2017,
 monatlich 673,08 EUR für die Zeit vom 01.05. bis 30.09.2017 und
 605,77 EUR für die Zeit vom 01. bis 27.10.2017.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Dem Antragsgegner werden Verschuldenskosten auferlegt in Höhe von 500,00 EUR.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darüber, ob die Antragsteller Anspruch haben auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld. Der 1980 geborene Antragsteller zu 1) und die 1985 geborene Antragstellerin zu 2) sind miteinander verheiratet. Sie sind die Eltern der 2004, 2008, 2010 und 2012 geborenen Antragsteller zu 3) bis 6). Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Sie halten sich seit 2014 gewöhnlich in Deutschland auf, seit 2015 in I.

Der Antragsteller zu 1) war bislang bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt. In keinem Fall wurde nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Unfreiwilligkeit der Arbeitsaufgabe von der Agentur für Arbeit bescheinigt.

Die Antragsteller bewohnen zusammen mit ihrer 2002 geborenen Tochter bzw. Schwester S eine 2,5-Zimmer-Wohnung in I, N-Ring. Die Grundmiete beträgt 330,00 EUR. Hinzu kommt eine Nebenkostenvorauszahlung von 120,00 EUR. Die Antragsteller erhalten – unter Einbeziehung von S – Kindergeld in Höhe von insgesamt 1.028,00 EUR monatlich.

Die Antragsteller beantragten am 12.12.2016 beim Antragsgegner Leistungen. Mit Bescheid vom 17.01.2017 versagt der Antragsgegner Leistungen wegen fehlender Mitwirkung. Am 31.01.2017 stellte der Antragsteller zu 1) einen neuen Leistungsantrag.

Mit Ablehnungsbescheid vom 20.04.2017 lehnte der Antragsgegner den Leistungsantrag "vom 12.12.2016" ab. Den Antragstellern stehe ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche zu. Arbeitnehmer sei nur, wer mindestens 10 Stunden wöchentlich tätig sei und ein Nettoeinkommen von 360,00 EUR erziele.

Gegen den Ablehnungsbescheid legten die Antragsteller am 27.04.2017 Widerspruch ein.

Ebenfalls am 27.04.2017 haben die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie behaupten, der Antragsteller zu 1) sei seit 01.04.2017 beschäftigt bei der I, von der er im E-Depot in I eingesetzt werde. Dort arbeite er dienstags bis samstags von 5:00 bis 7:00 Uhr. Der Stundenlohn betrage 8,84 EUR. Für April 2017 betrage das Arbeitsentgelt, das im Folgemonat zufließe, 335,92 EUR brutto = netto. Die Antragsteller meinen, dass der Antragsteller zu 1) deshalb Arbeitnehmer sei und allen Antragstellern ein anderes Aufenthaltsrecht als zur Arbeitssuche zustehe.

Die Antragsteller beantragen,

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Antragstellern für den Zeitraum 27.04.2017 bis einschließlich 27.10.2017 den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 20 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II) nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften – insbesondere auch unter Anrechnung etwaigen Einkommens – zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung hat der Antragsgegner zunächst darauf verwiesen, dass das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bei der I nicht ausreichend nachgewiesen sei. Jedenfalls seien die diesbezüglichen Angaben der Antragsteller unglaubhaft. Im Rahmen des Erörterungstermins vom 22.05.2017 hat der Antragsgegner dann angekündigt, ein Anerkenntnis abzugeben, falls morgens zwischen 5:00 und 7:00 Uhr im E-Depot in I tatsächlich eine Schicht stattfindet und der Antragsteller zu 1) dort bei einer Kontrolle durch den Zoll angetroffen wird. Nunmehr meint der Antragsgegner, dass der Antragsteller zu 1) trotz der Tätigkeit für die I nicht Arbeitnehmer sei, weil bislang erst eine kurze Beschäftigungsdauer zu verzeichnen sei. Der Antragsgegner sei jedoch bereit, den Ablehnungsbescheid vom 20.04.2017 aufzuheben und in eine erneute Sachprüfung einzutreten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen I. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 22.05.2017.

Der Vorsitzende hat den Antragsgegner mit Verfügung vom 01.06.2017 – wie schon zuvor telefonisch – darauf hingewiesen, dass die weitere Rechtsverteidigung rechtsmissbräuchlich erscheint und im Fall einer gerichtlichen Entscheidung deshalb die Verhängung von Verschuldenskosten beabsichtigt ist.

Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners und die beigezogenen Ausländerakten der Antragsteller. Die genannten Akten sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

II.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat Erfolg. Er ist zulässig, insbesondere als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Der Antrag ist auch begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs voraus. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung erfordert ferner das Vorliegen eines Anordnungsgrunds. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht werden. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Die Antragsteller haben zunächst das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch setzt das Bestehen des materiellen Anspruchs voraus, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 927, 928 f.) allein möglichen summarischen Prüfung haben die Antragsteller zu 1) und 2) Anspruch auf Arbeitslosengeld II aus §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II und die Antragsteller zu 3) bis 6) auf Sozialgeld aus §§ 7 Abs. 2 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II.

Die formellen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor, weil der Antragsteller zu 1) den nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II erforderlichen Antrag am 31.01.2017 gestellt hat. Der Antrag wirkt gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB II auch für die übrigen Antragsteller. Die Zuständigkeit des Antragsgegners folgt sachlich aus §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 44b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II und örtlich aus § 36 Sätze 1 und 2 SGB II, wonach für die örtliche Zuständigkeit der gewöhnliche Aufenthalt des Leistungsberechtigten maßgeblich ist.

Auch die materiellen Anspruchsvoraussetzungen sind gegeben. Einen Anspruch auf Leistungen aus §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II hat, wer seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, mindestens 15 Jahre alt, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist. Diese Voraussetzungen werden von den Antragstellern zu 1) und 2) erfüllt. Insbesondere sind sie hilfebedürftig i. S. d. § 9 SGB II. Sie sind nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen oder Vermögen oder aus Einkommen oder Vermögen anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu bestreiten. Dafür, dass die Antragsteller zu 1) und 2) über verschwiegenes Einkommen verfügen, sind keine Anhaltspunkte – beispielsweise erfolgte Mietzahlungen – ersichtlich.

Einen Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 2 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II hat, wer zwar nicht die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt, jedoch mit einem nach dieser Norm leistungsberechtigten Erwerbsfähigen in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Zudem muss Hilfebedürftigkeit i. S. d. § 9 SGB II vorliegen. Diese Voraussetzungen erfüllen die Antragsteller zu 3) bis 6). Als unverheiratete Kinder der Antragsteller zu 1) und 2), die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und mit den Antragstellern zu 1) und 2) in einem gemeinsamen Haushalt leben, bilden sie mit diesen gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft. Auch die Antragsteller zu 3) bis 6) sind nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen oder Vermögen oder aus Einkommen oder Vermögen anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu bestreiten.

Der Leistungsanspruch der Antragsteller ist nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Nach dieser Norm sind solche Ausländer und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, denen kein Aufenthaltsrecht zusteht, ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche oder ein Aufenthaltsrecht (allein oder neben einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche) aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 492/2011. Die Antragsteller sind als rumänische Staatsangehörige zwar Ausländer. Den Antragstellern steht jedoch ein Aufenthaltsrecht zu. Dieses besteht weder zum Zweck der Arbeitssuche noch allein aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 492/2011.

Dem Antragsteller zu 1) steht ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) zu. Danach haben Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht, wenn sie sich als Arbeitnehmer im Inland aufhalten. Der Antragsteller zu 1) ist als Rumäne Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union und damit Unionsbürger i. S. d. § 1 FreizügG/EU. Er ist auch Arbeitnehmer.

Der Antragsteller zu 1) hat glaubhaft gemacht, dass er seit 01.04.2017 dienstags bis samstags zwischen 5:00 Uhr und 7:00 Uhr einer Beschäftigung als Paketsortierer bei der I im E-Depot in I nachgeht und dafür eine Vergütung erhält von 8,84 EUR je Stunde. Dabei berücksichtigt das Gericht maßgeblich den vorgelegten Arbeitsvertrag, den vorgelegten, vom Arbeitgeber ausgestellten Stundenzettel für April 2017, die Lohnabrechnung für April 2017 und den Kontoauszug, aus dem sich ein Lohnzufluss in Höhe von 335,92 EUR am 11.05.2017 ergibt. Hinzu kommt die – strafbewehrte – eidesstattliche Versicherung des Antragstellers zu 1).

Das Gericht verkennt nicht, dass die Überzeugungskraft der genannten Mittel der Glaubhaftmachung dadurch eingeschränkt wird, dass die I eine Vielzahl rumänischer Staatsangehöriger, die beim Antragsgegner im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende stehen, im Rahmen von Minijobs beschäftigt. Dieser Umstand mag zwar zunächst den Eindruck erwecken, dass es vor allem Ziel des Arbeitgebers und der Leistungsberechtigten ist, den Leistungsberechtigten durch kollusives Zusammenwirken den Bezug aufstockender Sozialleistungen zu ermöglichen, was wiederum indizieren kann, dass das Arbeitsverhältnis nicht gelebt wird. Nach der informatorischen Anhörung des Antragstellers zu 1) im Rahmen des Erörterungstermins vom 22.05.2017 hat das Gericht jedoch keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller zu 1) in dem von ihm angegebenen Umfang der genannten Tätigkeit tatsächlich nachgeht.

Nach dem Eindruck, den der Antragsteller zu 1) im Rahmen des Erörterungstermins gemacht hat, hält das Gericht ihn für glaubwürdig. Dem Gericht ist bewusst, dass der Antragsteller zu 1) ein erhebliches Interesse am Ausgang des vorliegenden Eilverfahrens hat, da Streitgegenstand existenzsichernde Leistungen für ihn und seine Familie sind. Dass der Antragsteller zu 1) gleichwohl um wahrheitsgemäße Angaben bemüht war, ergibt sich nach dem Dafürhalten des Gerichts vor allem daraus, dass er zunächst angab, für E zu arbeiten. Dieser vordergründige Widerspruch lässt den Antragsteller zu 1) deshalb glaubwürdig erscheinen, weil davon auszugehen ist, dass er bei einer zurechtgelegten, unwahren Einlassung diesen Widerspruch vermieden und stattdessen die Angabe zum Arbeitgeber aus seinem Arbeitsvertrag wiederholt hätte. Letztlich ist es auch gut nachvollziehbar, warum der Antragsteller zu 1), der über keine nennenswerten deutschen Sprachkenntnisse verfügt, angab, für E zu arbeiten. So verrichtet er seine Arbeit in einem Gebäude von E, be- und entlädt Fahrzeuge von E und arbeitet zusammen mit Personen, die Arbeitskleidung von E tragen.

Die Angaben des Antragstellers zu 1) sind auch glaubhaft. Er hat widerspruchsfrei und für das Gericht nachvollziehbar die Anbahnung der Tätigkeit, den Weg zur Arbeit und Einzelheiten der Tätigkeit geschildert.

Umstände, die es dem Gericht hiernach erlauben würden, zu einer abweichenden Würdigung zu gelangen, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Zwar bezweifelte der Antragsgegner im Rahmen des Erörterungstermins vom 22.05.2017, dass morgens zwischen 5:00 und 7:00 Uhr im E-Depot in I tatsächlich gearbeitet wird. Dem Antragsgegner ist zuzugeben, dass der Geschäftsführer der I, C, im Rahmen seiner Vernehmung als Zeuge vor dem Landessozialgericht (LSG) NRW (Az.: L 7 AS 175/17 B ER) angeben hat, morgens würden im E-Depot in I nur Fahrer arbeiten. Jedoch hat eine telefonische Nachfrage des Vorsitzenden beim Kundenservice von E in I Gegenteiliges ergeben, so dass das Gericht die abweichende Angabe des Geschäftsführers als Missverständnis wertet.

Ausgehend von den vorstehenden Feststellungen des Gerichts ist der Antragsteller zu 1) Arbeitnehmer i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU. Arbeitnehmer in diesem Sinne "ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, als dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt" (LSG NRW, Beschluss vom 23.12.2015, L 12 AS 2000/15 B ER, juris, Rn. 6 unter Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, juris, Rn. 18). Die Kriterien zur Beurteilung der Frage, ob eine völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit vorliegt, werden in Ziff. 2.2.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU zutreffend wie folgt zusammengefasst:

"Das Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft ist im Rahmen einer Gesamtschau aller Umstände der fraglichen Tätigkeiten als auch des fraglichen Vertragsverhältnisses zu entscheiden. Der EuGH hat bereits Tätigkeiten mit einer Wochenarbeitszeit von 10 bis 12 sowie von 5,5 Wochenstunden für die Begründung des Arbeitnehmerstatus ausreichen lassen (EuGH, Urteil vom 3. Juni 1986, Rs. 139/85 – Kempf; EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010, Rs. C–14/09 – Genc). Der EuGH hat auch keinen Mindestbetrag für eine Vergütung festgelegt, unterhalb derer ein Unionsbürger nicht oder nicht mehr als Arbeitnehmer anzusehen ist. Er hat bereits ein Monatseinkommen von 175 Euro ausreichen lassen. Der Gerichtshof hat allerdings weitere Kriterien benannt, die zur Klärung herangezogen werden können, ob es sich um eine tatsächliche und echte Tätigkeit handelt, darunter ein Anspruch auf bezahlten Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung eines gültigen Tarifvertrags der Branche auf dieses Beschäftigungsverhältnis oder die bereits bestehende Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010, Rs. C-14/09 – Genc). Eine nach nationalem Recht geringfügige Beschäftigung kann eine Arbeitnehmereigenschaft begründen. Als Arbeitnehmer gilt auch, wer eine Berufsausbildung im dualen System absolviert."

Ausgehend von diesem Maßstab ist die Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers zu 1) zu bejahen. Dabei berücksichtigt das Gericht maßgeblich die Arbeitszeit von zehn Wochenstunden. Das Gericht berücksichtigt weiter maßgeblich, dass das Arbeitsentgelt mit 335,92 EUR brutto = netto deutlich über dem Betrag von 175,00 EUR liegt, den der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat genügen lassen. Das gilt umso mehr, als zumindest in Teilen der Rechtsprechung Einkommen in jeder Höhe zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft für ausreichend erachtet wird, sobald es zu einer Anrechnung im Rahmen des Rechts der Grundsicherung für Arbeitsuchende führt, also über 100,00 EUR liegt (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 07.10.2016, L 12 AS 965/16 B ER, juris, Rn. 16; so schon andeutungsweise LSG NRW, Beschluss vom 07.04.2016, L 7 AS 288/16 B ER, juris, Rn. 16; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.06.2016, juris, Rn. 31, wo ein Bruttolohn von 165,75 EUR für ausreichend erachtet wurde). Auf die vom EuGH aufgestellten Hilfskriterien wie Urlaubsanspruch oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kommt es hiernach nicht mehr entscheidend an. Das gilt auch für das Kriterium der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Insbesondere gibt es – entgegen der Ansicht des Antragsgegners – keine mehrmonatige Karenzzeit, während derer das Arbeitsverhältnis bestanden haben muss, um von der Arbeitnehmereigenschaft auszugehen. Die Arbeitnehmereigenschaft wird unmittelbar mit Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses begründet. Die Dauer des Arbeitsverhältnisses kann lediglich als weiteres Kriterium herangezogen werden, wenn die übrigen Kriterien – was hier allerdings nicht der Fall ist – keine hinreichende Aussagekraft besitzen.

Ob die Berufung des Antragstellers zu 1) auf die Arbeitnehmereigenschaft möglicherweise missbräuchlich ist, weil durch das Erwerbseinkommen der Bedarf der Antragsteller nur in geringem Umfang gedeckt werden kann (vgl. Oberverwaltungsgericht [OVG] NRW, Beschluss vom 28.03.2017, 18 B 274/17, juris, Rn. 2 ff.; Hessischer Verwaltungsgerichtshof [VGH], Beschluss vom 26.06.2014, 9 B 37/14, juris, Rn. 10), ist nicht zu entscheiden. Die Prüfung, ob eine Verlustfeststellung nach § 7 FreizügG/EU in Betracht kommt, obliegt nicht den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (LSG NRW, Beschluss vom 19.12.2016, L 19 AS 2248/16 B ER, nicht veröffentlicht).

Von dem Antragsteller zu 1) können die übrigen Antragsteller ein Aufenthaltsrecht gemäß §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ableiten, weil sie als Ehefrau bzw. Kinder unter 21 Jahren Familienangehörige sind i. S. d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU.

Die Höhe des monatlichen Anspruchs der Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende errechnet sich – vereinfacht dargestellt, ohne Differenzierung nach Einzelansprüchen der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft – wie folgt:

Regelbedarf des Antragstellers zu 1) 368,00 EUR
Regelbedarf der Antragstellerin zu 2) 368,00 EUR
Regelbedarf des Antragstellers zu 3) 291,00 EUR
Regelbedarf der Antragstellerin zu 4) 291,00 EUR
Regelbedarf der Antragstellerin zu 5) 291,00 EUR
Regelbedarf des Antragstellers zu 6) 236,00 EUR
abzüglich Erwerbseinkommen des Antragstellers zu 1) - 335,92 EUR
abzüglich Kindergeld (ohne Kindergeld für B.-B. S) - 836,00 EUR
Summe 673,08 EUR

Dass der Regelbedarf zu gewähren ist, folgt aus § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Die Höhe des Regelbedarfs folgt aus §§ 20 Abs. 1a Satz 1 SGB II, 28 des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII), 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 5 und 6 des Regelbedarfsermittlungsgesetzes (RBEG). Eventuelle Mehrbedarfe sowie Kosten der Unterkunft und Heizung sind nicht zu berücksichtigen, weil nicht beantragt.

Die Einkommensanrechnung beruht auf § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Freibeträge sind nicht zu berücksichtigen. Denn das Gericht versteht den Antrag im Hinblick auf die gefestigte Rechtsprechung (z. B. LSG NRW, Beschluss vom 26.10.2015, L 19 AS 1623/15 B ER, L 19 AS 1624/15 B, juris, Rn. 3; Beschluss vom 17.09.2015, L 7 AS 1288/15 B ER, juris, Rn. 21), wonach im Eilverfahren eine Einkommensbereinigung unterbleibt, dahingehend, dass eine solche nicht erstrebt wird.

Auf Rechtsfolgenseite sehen §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II bzw. §§ 7 Abs. 2 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II eine gebundene Entscheidung vor. Dem Antragsgegner kommt kein Ermessen zu.

Die Antragsteller haben auch das Vorliegen eines Anordnungsgrunds glaubhaft gemacht. Anordnungsgrund kann nur die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sein. Entscheidend ist insoweit, ob es nach den Umständen des Einzelfalls für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Ein wesentlicher Nachteil liegt vor, wenn der Antragsteller konkret in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist oder ihm sogar die Vernichtung der Lebensgrundlage droht. Eine solche besondere Dringlichkeit ist vorliegend gegeben, weil Streitgegenstand Leistungen sind, die die Antragsteller zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums benötigen.

Die Bewilligungsdauer orientiert sich mit sechs Monaten ab Antragstellung bei Gericht an § 41 Abs. 3 Satz 2 SGB II (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 21.07.2016, L 7 AS 1045/16 B ER, juris, Rn. 22). Die einstweilige Anordnung gilt längstens bis zur bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache. Damit bleibt das Gericht nicht hinter dem Antrag der Antragsteller zurück, so dass es einer Antragsablehnung im Übrigen nicht bedarf. Zwar ist in dem Antrag der Antragsteller keine ausdrückliche Befristung der begehrten einstweiligen Anordnung bis zur bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache enthalten. Im Hinblick darauf, dass für eine einstweilige Regelung in Bezug auf den Streitgegenstand nach einer unanfechtbaren Entscheidung in der Hauptsache kein Rechtsschutzbedürfnis mehr besteht, ist jedoch davon auszugehen, dass eine Geltung der einstweiligen Anordnung über die bestands- oder rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache hinaus nicht erstrebt wird.

Die Kostenentscheidung ist in entsprechender Anwendung der §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG ergangen und folgt der Entscheidung in der Sache.

Die Entscheidung, dem Antragsgegner Verschuldenskosten aufzuerlegen, beruht auf § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Nach dieser Norm, die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entsprechend anzuwenden ist (LSG NRW, Beschluss vom 15.12.2010, L 19 AL 285/10 B ER, juris, Rn. 9), kann das Gericht einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch entstehen, dass er "den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist". Diese Voraussetzungen liegen vor.

Dem Antragsgegner ist mit Verfügung des Vorsitzenden vom 01.06.2017 die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt worden. Er ist auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung hingewiesen worden.

Die weitere Rechtsverfolgung ist missbräuchlich. Die Rechtsverfolgung erweist sich dann als missbräuchlich, wenn sie von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (LSG NRW, Beschluss vom 02.03.2016, L 11 KR 69/15, juris, Rn. 27). Diese Voraussetzungen liegen nach dem Vorstehenden vor. Die Rechtsverteidigung erschien zwar solange nicht aussichtslos, wie noch keine Bestätigung von E dafür vorlag, dass morgens zwischen 5:00 und 7:00 Uhr im E-Depot in I in der Paketsortierung gearbeitet wird. Solange standen die Angaben des Antragstellers zu 1) in scheinbarem Widerspruch zu den Angaben des Geschäftsführers der I im Rahmen des Verfahrens vor dem LSG NRW. Dieser Widerspruch besteht jedoch nicht mehr fort. Auch der Antragsgegner geht offensichtlich nicht mehr davon aus, dass die Angabe des Antragstellers zu 1), morgens zwischen 5:00 und 7:00 Uhr im E-Depot in I zu arbeiten, falsch ist. Ansonsten hätte der Antragsgegner keinerlei Veranlassung, im Rahmen des Widerspruchsverfahrens – wie angekündigt – seinen Ablehnungsbescheid aufzuheben. Hält der Antragsgegner an diesem Einwand aber nicht mehr fest, ist kein Grund ersichtlich, an der Rechtsverteidigung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes festzuhalten. Der einzige insoweit vom Antragsgegner angeführte Grund – die Arbeitnehmereigenschaft könne bei einem Arbeitsverhältnis, das erst seit 01.04.2017 besteht, noch nicht angenommen werden – ist angesichts des Gewichts der übrigen für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft vorliegend heranzuziehenden Umstände derart wenig überzeugend, dass er die Fortführung der Rechtsverteidigung nicht zu rechtfertigen vermag. Das gilt umso mehr, als die Rechtsverteidigung auch dann erfolglos bleiben müsste, wenn angesichts der geringen bisherigen Dauer des Arbeitsverhältnisses eine Prüfung des Vorliegens der Arbeitnehmereigenschaft tatsächlich nur rückblickend möglich wäre. In diesem Fall wäre der Antragsgegner aufgrund einer doppelten Folgenabwägung zur Leistungserbringung zu verpflichten.

Das Gericht verkennt nicht, dass selbst offensichtlich fehlende Erfolgsaussicht regelmäßig nicht genügt, um Rechtsmissbräuchlichkeit anzunehmen. Hinzu treten muss ein hohes Maß an Uneinsichtigkeit (Bayerisches LSG, Beschluss vom 30.09.2013, L 2 U 24/13, juris, Rn. 8; vgl. auch LSG NRW, Urteil vom 13.01.2015, L 18 R 353/12, juris, Rn. 55). Dieses sieht das Gericht vorliegend als gegeben an, weil der Antragsgegner vom Gericht fernmündlich und schriftlich auf die offensichtliche Aussichtslosigkeit der Rechtsverteidigung hingewiesen worden ist und den Erwägungen des Gerichts auch danach nicht qualifiziert entgegengetreten ist. Von der hohen Uneinsichtigkeit des Antragsgegners ist umso mehr auszugehen, als dieser in Fällen von Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit 360,00 EUR monatlichem Nettoverdienst und 10 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit überzogene Anforderungen an die Arbeitnehmereigenschaft aufstellt, die keine Stütze im Gesetz oder in der Rechtsprechung finden. Dies erweckt den Eindruck, dass es der Antragsgegner in einer Vielzahl derartiger Fälle regelmäßig darauf anlegt, nur zu leisten, wenn er vom Gericht im Rahmen einer einstweiligen Anordnung verpflichtet wird.

Vor dem Hintergrund vorstehender Umstände hält das Gericht es nach pflichtgemäßem Ermessen für geboten, den Antragsgegner im Wege von Verschuldenskosten an den Kosten des Rechtsstreits zu beteiligen. Zum einen ist es nicht Zweck der Kostenfreiheit nach §§ 183 Satz 1 SGG, 64 Abs. 3 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X), die rechtsmissbräuchliche Fortführung einer offensichtlich aussichtslosen Rechtsverteidigung zu begünstigen. Zum anderen darf die Sozialgerichtsbarkeit es nicht hinnehmen, durch die Fortführung der Rechtsverteidigung in solchen Verfahren an der Erfüllung ihrer Aufgaben gehindert zu werden und anderen Rechtsuchenden den ihnen zustehenden Rechtsschutz deshalb nur verzögert gewähren zu können.

Die Höhe der festgesetzten Verschuldenskosten beruht auf § 192 Abs. 1 Sätze 1 und 3 SGG. Danach gilt als verursachter Kostenbeitrag mindestens ein Betrag in Höhe der Pauschgebühr nach § 184 Abs. 2 SGG, für die erste Instanz also 150,00 EUR. Das Gericht kann bei der Festsetzung der Verschuldenskosten jedoch im Ermessenswege über diesen Betrag hinausgehen bis zur Höhe der tatsächlich verursachten Gerichtshaltungskosten, deren Höhe vom Gericht zu schätzen ist (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 192 Rn. 14).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hält das Gericht es für geboten, Verschuldenskosten in Höhe von 500,00 EUR festzusetzen. Die Festsetzung nur des Mindestbetrags scheidet aus, weil dem Antragsgegner vom erkennenden Gericht bereits in anderen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, die Ausländer aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union betreffen, Verschuldenskosten auferlegt worden sind (Beschluss vom 04.11.2016, S 14 AS 4075/16 ER; Beschluss vom 02.11.2016, S 58 AS 4465/16 ER, jeweils nicht veröffentlicht). Von den dort festgesetzten Verschuldenskosten – die festgesetzten Kosten lagen mit 250,00 EUR und 500,00 EUR jeweils oberhalb des Mindestbetrags – hat sich der Antragsgegner ersichtlich nicht beeindrucken lassen. Das Gericht hat daher die tatsächlich verursachten Kosten im Schätzungswege nach § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO ermittelt. Dabei hat es berücksichtigt, dass allein auf Seiten des Vorsitzenden und allein für die Abfassung des vorliegenden Beschlusses vier Richterarbeitsstunden angefallen sind. Der Wert einer Richterstunde wurde schon 1986/87 auf umgerechnet 178,95 EUR bis 230,08 EUR geschätzt (vgl. LSG NRW, Urteil vom 21.01.2014, L 2 AS 975/13, juris, Rn. 37) und in der Folgezeit – unter Einbeziehung auch des Aufwands auf Seiten der Geschäftsstelle – auf umgerechnet 357,90 EUR bis 460,16 EUR (vgl. LSG NRW, Urteil vom 28.06.2016, L 18 KN 89/15 juris, Rn. 24; Urteil vom 29.10.1996, L 6 V 10/96, juris, Rn. 33). Unter Berücksichtigung dieser Werte, die sich zwischenzeitlich aufgrund der allgemeinen Kostenentwicklung weiter erhöht haben dürften, sind durch das Verhalten des Antragsgegners Kosten zwischen 1.431,60 EUR und 1.840,64 EUR entstanden. Das Gericht hat allein deshalb davon abgesehen, diese Beträge bei der Festsetzung der Verschuldenskosten auszuschöpfen, um für künftige Verfahren "Raum nach oben" zu lassen.
Rechtskraft
Aus
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