L 18 AS 392/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 174 AS 8018/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 392/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Januar 2017 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger hält die Höhe des ihm für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis April 2017 monatlich gewährten Regelbedarfs für verfassungswidrig.

Der 1960 geborene Kläger steht seit April 2015 im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II – des Beklagten.

Der Beklagte bewilligte ihm antragsgemäß mit Bescheid vom 5. April 2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 9. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26. November 2016 für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis 30. April 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, und zwar bis 31. Dezember 2016 unter Berücksichtigung eines Regelbedarfs in Höhe von 404 EUR und für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2017 unter Berücksichtigung eines Regelbedarfs von 409 EUR.

Die vom Kläger gegen die aus dessen Sicht verfassungswidrige Höhe des Regelbedarfs erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin (SG) mit Gerichtsbescheid vom 10. Januar 2017 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Beklagte sei zutreffend von einem monatlichen Regelbedarf von 404 EUR ausgegangen, der gesetzlich vorgegeben sei und sich einer Anpassung aufgrund eines individuellen Bedarfs entziehe. Die Pauschalierung sei verfassungsgemäß, wie sich zuletzt aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 – ergebe. Unter Bezugnahme auf den Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) vom 17. Oktober 2016 – L 7 AS 401/14 – hat es weiter ausgeführt, es lasse sich nicht feststellen, dass die Leistungen evident unzureichend festgesetzt seien, weil der existenzsichernde Bedarf offensichtlich nicht gedeckt würde. Das BVerfG habe im Rahmen seiner Entscheidung die Stellungnahmen der Verbände und Sachverständigen zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung berücksichtigt und gewürdigt und nach intensiver Prüfung die Regelungen für mit dem Grundgesetz vereinbar erachtet. Danach und angesichts der ausführlichen Begründung des Bundesverfassungsgerichts weiterhin ins Blaue zu behaupten, die Regelsatzfestsetzung sei verfassungswidrig, sei missbräuchlich. Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, er begehre, dass der Regelsatz unter Einbeziehung seiner Grundrechte für ihn nachvollziehbar ermittelt werde. Insbesondere der von der Politik vorgegebene Betrag für Getränke sei nicht korrekt ermittelt worden. Seine Klage beziehe sich nicht auf einen bestimmten Betrag. Grund seiner Klage seien erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Regelsatzes. Wenn man davon ausgehe, dass der Regelsatz durch Manipulationen an der EVS und anderen Statistiken schon 2005 mit Unterdeckungen an den Start gegangen sei, addierten sich diese Unterdeckungen mit einer manipulierten Inflationsrate. Elf Jahre später hätte die Grundsicherung nicht mehr das Geringste mit den Vorgaben des Grundgesetzes zu tun.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Januar 2017 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung der Bescheide vom 5. April 2016 und 9. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2016 in der Fassung des Bescheides vom 26. November 2016 zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis 30. April 2017 monatlich einen verfassungsgemäßen Regelbedarf zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Verwaltung habe auf der Grundlage der aktuellen Regelungen die jeweils zum 1. Januar eines Jahres aktualisierten Regelbedarfe zu gewähren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren in der Gerichtsakte enthaltene vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Leistungsakten des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und, soweit erforderlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Über die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die trotz Ausbleibens des Beklagten in der mündlichen Verhandlung hat entschieden werden können (§§ 126, 110 Abs. 1 Satz 2 SGG), war die Berichterstatterin, der der Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 SGG zur Entscheidung übertragen worden ist (Beschluss vom 3. März 2016), zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zur Entscheidung berufen.

Die Berufung ist nicht statthaft und war dementsprechend als unzulässig zu verwerfen.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind die Bescheide des Beklagten vom 5. April 2016 und 9. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2016 in der Fassung des Bescheides vom 26. November 2016 (§ 96 Abs. 1 SGG). Das Rechtsmittel der Berufung (§ 143 SGG) ist u.a. gegeben, wenn der Beschwerdewert den Betrag von 750 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) übersteigt, bzw. wenn das SG die Berufung zugelassen hat, was hier nicht der Fall ist. Maßgebend für den Wert des Beschwerdegegenstandes ist, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was von diesem mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt wird.

Dem Begehren und Antrag des Klägers ist eine Beschränkung des Streitgegenstands insoweit zu entnehmen, als Kosten der Unterkunft und Heizung nicht im Streit stehen, was auch nach der Neufassung des SGB II zum 1. Januar 2011 möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 12. November 2015 – B 14 AS 34/14 R – juris Rn. 11 m.w.N.). Zwar hat der Kläger wiederholt – zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – dargelegt, es gehe ihm nicht einfach nur darum, einen gegebenenfalls höheren Betrag im Streitzeitraum vom 1. Mai 2016 bis 30. April 2017 zu erstreiten, er begehre vielmehr, dass der Regelsatz unter Einbeziehung seiner Grundrechte für ihn nachvollziehbar ermittelt werde. Indes handelte es sich hierbei nicht um ein zulässigerweise mit der Berufung weiterzuverfolgendes Klagebegehren. Ein gegebenenfalls hierin liegendes Feststellungsbegehren wäre wegen der entgegenstehenden Bescheide (§ 77 SGG) von vornherein unzulässig, welches im Wege der sachdienlichen Auslegung der Anträge (vgl. § 123 SGG) daher nicht zugrunde zulegen ist. Die vorrangige kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) ist zwar statthaft. Unter Zugrundelegung eines solchen, allein sachdienlichen Rechtsschutzbegehrens ist – wie auch vom SG angenommen – die Berufung unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheides und Änderung der angefochtenen Bescheide auf die Gewährung monatlich höherer Regelbedarfe im Streitzeitraum vom 1. Mai 2016 bis 30. April 2017 gerichtet. In diesem Fall ist der Beschwerdewert nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG bei einem – wie hier – unbezifferten Antrag und einem Streitzeitraum von nicht mehr als einem Jahr (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) vom Gericht zu ermitteln.

Der Senat kann indes nicht feststellen, dass vorliegend der Wert des Beschwerdegegenstandes (insgesamt) mindestens 750,01 EUR beträgt. Dass der Beklagte ihm mit den angefochtenen Bescheiden weniger als die nach § 20 Abs. 2 Satz 1 und 5 SGB II i.V.m. mit dem Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) gesetzlich vorgesehen Leistungen gewährt hätte, behauptet der Kläger nicht. Hierfür bestehen auch keine Anhaltspunkte. Dass er einen um monatlich (nur) 12,45 EUR höheren Regelsatz erstreiten wolle, hat er verneint. Insofern wäre der Mindestbeschwerdewert unter Berücksichtigung des Streitzeitraums ohnehin nicht ansatzweise erreicht. Dass es ihm aufgrund objektiver Umstände nicht möglich wäre, sein Begehren wertmäßig zu beziffern, mithin konkret darzulegen, in welcher Höhe er seinen grundrechtlichen Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund der angefochtenen Bescheide für verletzt hält, ist nicht ersichtlich. Für weitere Ermittlungen von Amts wegen besteht ebenso wenig Anlass (§ 103 SGG). Soweit der Kläger einen höheren Regelbedarf wegen eines aus seiner Sicht – beispielhaft – unzureichend in den Gesamtbedarf eingeflossenen, um etwa 12 EUR monatlich höheren Bedarfs für Getränke geltend macht, wäre der Berufungsstreitwert, wie ausgeführt, bei Weitem nicht erreicht und würde schon deshalb keine weiteren Ermittlungen rechtfertigen. Andere Umstände, die das Gericht zu weiteren Ermittlungen drängen könnten, hat der Kläger nicht dargelegt, sondern sich im Wesentlichen darauf beschränkt, die Verfassungsmäßigkeit der Regelsatzermittlung unter Hinweis auf ihm bekannte Studien zu bestreiten. Indes ist unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 – juris m.w.N.) ein solches Begehren "ins Blaue" hinein, ohne Angabe greifbarer Umstände rechtsmissbräuchlich und vom Gericht nicht im Wege der Amtsermittlung weiterzuverfolgen, zumal dem Gesetzgeber hinsichtlich der Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zusteht. Jener muss zwar die entsprechenden Bedarfe der Hilfebedürftigen zeit- und realitätsgerecht erfassen. Da das Grundgesetz aber selbst keine exakte Bezifferung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen vorgibt, beschränkt sich die materielle Kontrolle seitens der Gerichte hinsichtlich der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Wege einer Gesamtschau darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind, und zwar hinsichtlich der Höhe der Leistungen insgesamt und nicht in Bezug auf einzelne Berechnungselemente. Evident unzureichend sind Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich ist, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen können, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Entsprechendes gegebenenfalls plausibel darzulegen, obläge dem Berufungskläger. Im Übrigen kommt es darauf an, dass die Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sind. Nach diesen Maßstäben genügt allerdings die Regelung über die Bemessung des Regelsatzes aus § 20 Abs. 2 Satz 1 und 5 SGB II i.V.m. mit dem RBEG, die der Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden umgesetzt hat und wie vom Bundesverfassungsgericht entschieden, den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016, a.a.O. Rn. 35 ff. m.w.N.), ohne dass der Kläger konkrete Umstände dargelegt hätte oder sich solche aus den Akten ergäben, wonach die Leistung für ihn als hilfebedürftige Person nicht ausreichend bemessen wäre.

Daraus, dass sich der Kläger schließlich auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht in der Lage gesehen hat, sein Begehren der Höhe nach zu konkretisieren und einen bezifferten Antrag zu stellen, folgt nicht, dass die Berufung im vorliegenden Streit um höhere Geldleistungen nach dem SGB II bzw. einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) wertunabhängig zulässig wäre. Vielmehr ist sein Festhalten an einem unbezifferten Antrag unter Hinweis darauf, dass es einem "Hartz-4-Empfänger" von vornherein nicht möglich wäre, diese Hürde des Mindestberufungsstreitwerts zu überwinden, als aufs Geratewohl getätigt anzusehen und insofern rechtsmissbräuchlich mit dem Ziel des Erreichens der Zulässigkeit der Berufung. Ein auf diese Weise unbeziffert geltend gemachter Anspruch bleibt daher bei der Berechnung des Beschwerdewerts nach § 144 Satz 1 Nr. 1 SGG außer Betracht (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. Januar 2014 – L 11 AS 526/12 – juris Rn. 50 m.w.N. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 144 Rn. 19).

Nur vorsorglich – wie dem Kläger gegenüber bereits in der mündlichen Verhandlung angedeutet worden ist – weist der Senat darauf hin, dass eine auf die Zahlung höherer – verfassungsgemäßer – Regelbedarfe gerichtete Berufung auch unbegründet ist. Das SG hat die Klage insofern zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe sieht das Gericht unter Bezugnahme auf diejenigen des ausführlichen Gerichtsbescheides ab (vgl. § 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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