Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
43
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 43 AS 3864/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 26.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2014 und des Bescheides vom 03.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2015 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum Juli 2014 bis September 2015 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Der Beklagte trägt die Kosten des Klägers. Ansonsten sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem 2. Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat.
Der im Januar 1988 geborene Kläger ist österreichischer Staatsbürger. Er reiste am 01.10.2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein und hat in der Zeit vom 18.11.2010 bis 13.04.2011 und 10.10.2011 bis 12.11.2011 sozialversicherungspflichtig gearbeitet. Im August 2012 nahm er eine grundsätzlich nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz förderungsfähige Ausbildung auf, die er aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Abschluss brachte.
Am 01.07.2014 beantragte er beim Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Er verfügte zu diesem Zeitpunkt weder über Einkommen noch über Vermögen.
Mit Bescheid vom 26.08.2014 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Zur Begründung führte er aus, der Kläger sei als Ausländer, der sich ausschließlich zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalte, von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Den dagegen am 02.09.2014 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2014 zurück.
Dagegen richtet sich die am 13.10.2014 erhobene Klage.
Im Rahmen eines Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erfolgte eine vorläufige Leistungsgewährung für den Zeitraum 10.10.2014 bis 31.03.2015.
Am 27.02.2015 stellte der Kläger einen Folgeantrag, der mit Bescheid vom 03.03.2015 wiederum mit der Begründung eines Leistungsausschlusses für Ausländer, abgelehnt wurde. Diese Entscheidung bestätigte der Beklagte auf den Widerspruch vom 09.03.2015 mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2015.
Dagegen erhob der Kläger am 20.04.2015 Klage.
Im Rahmen eines weiteren Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erfolgte wiederum vorläufige Leistungsgewährung.
Ein weiterer Folgeantrag datiert vom 13.08.2015, der mit Bescheid vom 14.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2015 abgelehnt wurde.
Dagegen hat der Kläger am 09.10.2015 Klage erhoben.
Das Gericht hat die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden und den Sozialhilfeträger beigeladen.
Mit seinen Klagen begehrt der Kläger Leistungsgewährung nach dem SGB II. Er ist der Ansicht, dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf ihn keine Anwendung findet.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2014 und des Bescheides vom 03.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2015 zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit von Juli 2014 bis September 2015 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass die angefochtenen Bescheide der Sach- und Rechtslage entsprechen.
Die Beigeladene beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Sie sieht sich nicht in der Leistungspflicht nach dem SGB XII, sondern hält eine Leistungspflicht des Beklagten für gegeben.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Beklagte, der mit Bescheid vom 13.04.2016 Leistungen nach dem SGB II gewährt hat, klargestellt, dass eine Leistungsgewährung auch ab Oktober 2015 bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen erfolgen wird. Der Kläger hat das entsprechende Teilanerkenntnis angenommen, so dass das Gericht nur bis einschließlich September 2015 zu entscheiden hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und dem übrigen Akteninhalt verwiesen. Die den Kläger betreffenden Akten des Beklagten lagen im Termin vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entscheidet gem. § 130 I Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Grundurteil. Die zulässigen Klagen sind auch begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne § 54 Abs. 2 SGG, denn diese Bescheide sind rechtswidrig.
Der Beklagte hat zu Unrecht die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II abgelehnt.
Der Kläger hat auf die Leistungsgewährung einen Anspruch gemäß § 7 SGB II. Gemäß § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Der im Jahre 1988 geborene Kläger erfüllt die Voraussetzungen der Nr. 1 und ist mangels anderweitiger Feststellungen neuer Erkenntnisse auch erwerbsfähig und, ausgehend von seiner im Verwaltungsverfahren mitgeteilten finanziellen Situation, auch hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II. Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat er auch in der Bundesrepublik Deutschland, da er sich seit Oktober 2010 in X aufhält.
Die grundsätzliche Leistungsberechtigung liegt somit vor.
Allerdings könnte die Ausschlussklausel des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf den Kläger Anwendung finden. Nach dieser Vorschrift sind Ausländer und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen, wenn sich Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
Als österreichischer Staatsbürger ist der Kläger Ausländer im Sinne dieser Vorschrift. Er ist ausweislich der Verwaltungsakten am 01.10.2010 zum Zwecke der Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Grundsätzlich dürfte damit die Leistungsausschlussvorschrift tatbestandlich erfüllt sein.
Dies kann aus Sicht der Kammer letztlich jedoch offenbleiben, da der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vorliegend bereits deswegen nicht anwendbar ist, weil der Kläger sich auf das Gleichbehandlungsgebot des bilateralen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege vom 17.01.1966 berufen kann.
Artikel 2 Abs. 1 des Abkommens bestimmt, dass Staatsangehörigen der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang, unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt wird. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nach der Ratifikation durch den Bundestag nach Zustimmung des Bundesrates um unmittelbar geltendes Bundesrecht, dessen Anwendbarkeit im vorliegenden Fall kein jüngeres oder vorrangig anzuwendendes Recht entgegensteht. Innerstaatliches Recht ist nach dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht.
Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern hat in einem Beschluss vom 07.03.2012 (L 8 B 489/10 ER) in einem vergleichbaren Fall ausgeführt:
"Das bilaterale Fürsorgeabkommen zwischen der Bundesrepublik und Österreich findet im vorliegenden Fall Anwendung, da es sich beim Arbeitslosengeld II um Fürsorge im Sinne des Abkommens handelt. Somit liegen die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 2 Abs. 1 FürsAbk AUT vor (a.A. Thie/Schoch in Münder LPK-SGB II, 4. Auflage, § 7 Rdnr. 29).
Gemäß Art. 1 Nr. 4 FürsAbk AUT sind alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach-, Beratungs-, Betreuungs- und sonstigen Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfes für Personen, die keine Voraussetzung als die der Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben, Fürsorge im Sinne des Abkommens. Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II normierte Voraussetzung der Erwerbsfähigkeit ist keine "weitere Voraussetzung" im Sinne des Art. 1 Nr. 4 FürsAbk AUT. Sie dient lediglich der mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 neu geschaffenen Abgrenzung zum (Adressatenkreis des) wohl unzweifelhaft unter dem FürsAbk AUT fallenden SGB XII. Da die mit dem Abkommen in Kraft getretenen Durchführungsverordnung zum FürsAbk AUT (BGBl. II, 1969 Nr. 45, S. 1285) hinsichtlich dieser Auslegungsproblematik unergiebig ist, geht der Senat nach dem (mutmaßlichen) Willen der Vertragsschließenden davon aus, dass Sozialleistungen nur dann vom Anwendungsbereich des FürsAbk AUT ausgeschlossen sind, wenn sie auf Beiträge oder sonstige Leistungen des Fürsorgebedürftigen zurückgehen. Das Arbeitslosengeld II ist jedoch eine steuerfinanzierte (nachrangige) Fürsorgeleistung (vgl. Urteil des BSG vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170) und somit Geldleistung im Sinne des Abkommens. Anders als die Arbeitslosenhilfe und vergleichbar mit der Sozialhilfe im BSHG bzw. im SGB XII ist das SGB II ein bedarfsabhängiges Leistungssystem. Zudem fehlen dem SGB II der Sozialversicherungscharakter und der Beitragsbezug. Darüber hinaus ist die Fürsorgegesetzgebung in der Bundesrepublik nach dem Außerkrafttreten des BSHG zum 1. Januar 2005 nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII beschränkt. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende unterscheiden sich zwar im Wesentlichen – bei der Erwerbsfähigkeit der Hilfebedürftigen - nach ihrem Adressatenkreis. Der Fürsorgecharakter des SGB II bleibt davon jedoch unberührt (vgl. zur Parallelproblematik beim EFA, BSG, a.a.O., Rdnr. 33).
Die Arbeitslosenhilfe war bis zum 31. Dezember 2004 unter anderem wegen ihres zusätzlichen Kriteriums (Arbeitslosengeldbezug in der Vorfrist) nicht unter den Anwendungsbereich des FürsAbk AUT zu subsumieren. Allerdings haben die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich in dem Abkommen über Arbeitslosenversicherung vom 19. Juli 1978 (BGBl. 1979 II, So 790) unter anderem die Arbeitslosenhilfe aufgenommen, sodass in der Vergangenheit insoweit keine "Fürsorgelücke" gegeben war, die nach Ansicht des Senats durch die Gesetzesänderungen des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 ab dem 01. Januar 2005 auch nicht entstehen sollte.
Ferner ist es unschädlich, dass im Anhang I zum FürsAbk AUT als anzuwendende Fürsorgegesetze (soweit ersichtlich) noch immer – entgegen der Verpflichtung der Bundesrepublik zur Mitteilung geänderter bzw. neuer Rechtsvorschriften gemäß Art. 13 Abs 2 FürsAbk AUT – das BSHG neben weiteren Gesetzen genannt wird. Die Aufzählung der Fürsorgegesetze in der Anlage I ist jedoch nicht konstitutiv (vgl. BSG (zur Parallelproblematik beim EFA) a.a.O., Rdnr. 34).
Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 2 Abs. 1 FürsAbk AUT findet schließlich auch nicht alleine auf solche Staatsangehörige anderer Vertragsstaaten Anwendung, die sich bereits vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit im Aufenthaltsstaat aufgehalten haben (so aber LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rdnr. 30). Gemäß Abschnitt A. Nr. 1 des Schlussprotokolls sollen die aus dem Abkommen resultierenden Vergünstigungen Personen nicht zugute kommen, die das jeweilige Hoheitsgebiet aufsuchen, um diese Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen. Bereits aus dem Wortlaut geht hervor, dass grundsätzlich auch eine Hilfebedürftigkeit zum Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme im anderen Hoheitsgebiet denklogisch nicht die Anwendbarkeit des Abkommens ausschließen soll. Ansonsten hätte es dieser Feststellung im Schlussprotokoll nicht bedurft. Die Ausschlussklausel soll ausdrücklich nur die Fälle erfassen, bei denen die Hilfesuchenden gerade mit dem Zweck der Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen einreisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 1980 – 5 C 66/79; Juris, Rdnr. 11). Für einen entsprechenden Vorsatz ist im vorliegenden Fall nichts vorgetragen bzw. ersichtlich. Das bilaterale Fürsorgeabkommen zwischen der Bundesrepublik und Österreich findet im vorliegenden Fall Anwendung, da es sich beim Arbeitslosengeld II um Fürsorge im Sinne des Abkommens handelt. Somit liegen die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 2 Abs. 1 FürsAbk AUT vor (a.A. Thie/Schoch in Münder LPK-SGB II, 4. Auflage, § 7 Rdnr. 29).
Gemäß Art. 1 Nr. 4 FürsAbk AUT sind alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach-, Beratungs-, Betreuungs- und sonstigen Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfes für Personen, die keine Voraussetzung als die der Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben, Fürsorge im Sinne des Abkommens. Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II normierte Voraussetzung der Erwerbsfähigkeit ist keine "weitere Voraussetzung" im Sinne des Art. 1 Nr. 4 FürsAbk AUT. Sie dient lediglich der mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 neu geschaffenen Abgrenzung zum (Adressatenkreis des) wohl unzweifelhaft unter dem FürsAbk AUT fallenden SGB XII. Da die mit dem Abkommen in Kraft getretenen Durchführungsverordnung zum FürsAbk AUT (BGBl. II, 1969 Nr. 45, S. 1285) hinsichtlich dieser Auslegungsproblematik unergiebig ist, geht der Senat nach dem (mutmaßlichen) Willen der Vertragsschließenden davon aus, dass Sozialleistungen nur dann vom Anwendungsbereich des FürsAbk AUT ausgeschlossen sind, wenn sie auf Beiträge oder sonstige Leistungen des Fürsorgebedürftigen zurückgehen. Das Arbeitslosengeld II ist jedoch eine steuerfinanzierte (nachrangige) Fürsorgeleistung (vgl. Urteil des BSG vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170) und somit Geldleistung im Sinne des Abkommens. Anders als die Arbeitslosenhilfe und vergleichbar mit der Sozialhilfe im BSHG bzw. im SGB XII ist das SGB II ein bedarfsabhängiges Leistungssystem. Zudem fehlen dem SGB II der Sozialversicherungscharakter und der Beitragsbezug. Darüber hinaus ist die Fürsorgegesetzgebung in der Bundesrepublik nach dem Außerkrafttreten des BSHG zum 1. Januar 2005 nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII beschränkt. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende unterscheiden sich zwar im Wesentlichen – bei der Erwerbsfähigkeit der Hilfebedürftigen - nach ihrem Adressatenkreis. Der Fürsorgecharakter des SGB II bleibt davon jedoch unberührt (vgl. zur Parallelproblematik beim EFA, BSG, a.a.O., Rdnr. 33).
Die Arbeitslosenhilfe war bis zum 31. Dezember 2004 unter anderem wegen ihres zusätzlichen Kriteriums (Arbeitslosengeldbezug in der Vorfrist) nicht unter den Anwendungsbereich des FürsAbk AUT zu subsumieren. Allerdings haben die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich in dem Abkommen über Arbeitslosenversicherung vom 19. Juli 1978 (BGBl. 1979 II, So 790) unter anderem die Arbeitslosenhilfe aufgenommen, sodass in der Vergangenheit insoweit keine "Fürsorgelücke" gegeben war, die nach Ansicht des Senats durch die Gesetzesänderungen des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 ab dem 01. Januar 2005 auch nicht entstehen sollte.
Ferner ist es unschädlich, dass im Anhang I zum FürsAbk AUT als anzuwendende Fürsorgegesetze (soweit ersichtlich) noch immer – entgegen der Verpflichtung der Bundesrepublik zur Mitteilung geänderter bzw. neuer Rechtsvorschriften gemäß Art. 13 Abs 2 FürsAbk AUT – das BSHG neben weiteren Gesetzen genannt wird. Die Aufzählung der Fürsorgegesetze in der Anlage I ist jedoch nicht konstitutiv (vgl. BSG (zur Parallelproblematik beim EFA) a.a.O., Rdnr. 34).
Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 2 Abs. 1 FürsAbk AUT findet schließlich auch nicht alleine auf solche Staatsangehörige anderer Vertragsstaaten Anwendung, die sich bereits vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit im Aufenthaltsstaat aufgehalten haben (so aber LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rdnr. 30). Gemäß Abschnitt A. Nr. 1 des Schlussprotokolls sollen die aus dem Abkommen resultierenden Vergünstigungen Personen nicht zugutekommen, die das jeweilige Hoheitsgebiet aufsuchen, um diese Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen. Bereits aus dem Wortlaut geht hervor, dass grundsätzlich auch eine Hilfebedürftigkeit zum Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme im anderen Hoheitsgebiet denklogisch nicht die Anwendbarkeit des Abkommens ausschließen soll. Ansonsten hätte es dieser Feststellung im Schlussprotokoll nicht bedurft. Die Ausschlussklausel soll ausdrücklich nur die Fälle erfassen, bei denen die Hilfesuchenden gerade mit dem Zweck der Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen einreisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 1980 – 5 C 66/79; Juris, Rdnr. 11). Für einen entsprechenden Vorsatz ist im vorliegenden Fall nichts vorgetragen bzw. ersichtlich."
Dieser Ansicht schließt sich die Kammer an.
Die Leistungshöhe wird der Beklagte gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu ermitteln haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem 2. Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat.
Der im Januar 1988 geborene Kläger ist österreichischer Staatsbürger. Er reiste am 01.10.2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein und hat in der Zeit vom 18.11.2010 bis 13.04.2011 und 10.10.2011 bis 12.11.2011 sozialversicherungspflichtig gearbeitet. Im August 2012 nahm er eine grundsätzlich nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz förderungsfähige Ausbildung auf, die er aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Abschluss brachte.
Am 01.07.2014 beantragte er beim Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Er verfügte zu diesem Zeitpunkt weder über Einkommen noch über Vermögen.
Mit Bescheid vom 26.08.2014 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Zur Begründung führte er aus, der Kläger sei als Ausländer, der sich ausschließlich zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalte, von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Den dagegen am 02.09.2014 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2014 zurück.
Dagegen richtet sich die am 13.10.2014 erhobene Klage.
Im Rahmen eines Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erfolgte eine vorläufige Leistungsgewährung für den Zeitraum 10.10.2014 bis 31.03.2015.
Am 27.02.2015 stellte der Kläger einen Folgeantrag, der mit Bescheid vom 03.03.2015 wiederum mit der Begründung eines Leistungsausschlusses für Ausländer, abgelehnt wurde. Diese Entscheidung bestätigte der Beklagte auf den Widerspruch vom 09.03.2015 mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2015.
Dagegen erhob der Kläger am 20.04.2015 Klage.
Im Rahmen eines weiteren Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erfolgte wiederum vorläufige Leistungsgewährung.
Ein weiterer Folgeantrag datiert vom 13.08.2015, der mit Bescheid vom 14.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2015 abgelehnt wurde.
Dagegen hat der Kläger am 09.10.2015 Klage erhoben.
Das Gericht hat die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden und den Sozialhilfeträger beigeladen.
Mit seinen Klagen begehrt der Kläger Leistungsgewährung nach dem SGB II. Er ist der Ansicht, dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf ihn keine Anwendung findet.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2014 und des Bescheides vom 03.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2015 zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit von Juli 2014 bis September 2015 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass die angefochtenen Bescheide der Sach- und Rechtslage entsprechen.
Die Beigeladene beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Sie sieht sich nicht in der Leistungspflicht nach dem SGB XII, sondern hält eine Leistungspflicht des Beklagten für gegeben.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Beklagte, der mit Bescheid vom 13.04.2016 Leistungen nach dem SGB II gewährt hat, klargestellt, dass eine Leistungsgewährung auch ab Oktober 2015 bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen erfolgen wird. Der Kläger hat das entsprechende Teilanerkenntnis angenommen, so dass das Gericht nur bis einschließlich September 2015 zu entscheiden hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und dem übrigen Akteninhalt verwiesen. Die den Kläger betreffenden Akten des Beklagten lagen im Termin vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entscheidet gem. § 130 I Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Grundurteil. Die zulässigen Klagen sind auch begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne § 54 Abs. 2 SGG, denn diese Bescheide sind rechtswidrig.
Der Beklagte hat zu Unrecht die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II abgelehnt.
Der Kläger hat auf die Leistungsgewährung einen Anspruch gemäß § 7 SGB II. Gemäß § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Der im Jahre 1988 geborene Kläger erfüllt die Voraussetzungen der Nr. 1 und ist mangels anderweitiger Feststellungen neuer Erkenntnisse auch erwerbsfähig und, ausgehend von seiner im Verwaltungsverfahren mitgeteilten finanziellen Situation, auch hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II. Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat er auch in der Bundesrepublik Deutschland, da er sich seit Oktober 2010 in X aufhält.
Die grundsätzliche Leistungsberechtigung liegt somit vor.
Allerdings könnte die Ausschlussklausel des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf den Kläger Anwendung finden. Nach dieser Vorschrift sind Ausländer und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen, wenn sich Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
Als österreichischer Staatsbürger ist der Kläger Ausländer im Sinne dieser Vorschrift. Er ist ausweislich der Verwaltungsakten am 01.10.2010 zum Zwecke der Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Grundsätzlich dürfte damit die Leistungsausschlussvorschrift tatbestandlich erfüllt sein.
Dies kann aus Sicht der Kammer letztlich jedoch offenbleiben, da der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vorliegend bereits deswegen nicht anwendbar ist, weil der Kläger sich auf das Gleichbehandlungsgebot des bilateralen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege vom 17.01.1966 berufen kann.
Artikel 2 Abs. 1 des Abkommens bestimmt, dass Staatsangehörigen der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang, unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt wird. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nach der Ratifikation durch den Bundestag nach Zustimmung des Bundesrates um unmittelbar geltendes Bundesrecht, dessen Anwendbarkeit im vorliegenden Fall kein jüngeres oder vorrangig anzuwendendes Recht entgegensteht. Innerstaatliches Recht ist nach dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht.
Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern hat in einem Beschluss vom 07.03.2012 (L 8 B 489/10 ER) in einem vergleichbaren Fall ausgeführt:
"Das bilaterale Fürsorgeabkommen zwischen der Bundesrepublik und Österreich findet im vorliegenden Fall Anwendung, da es sich beim Arbeitslosengeld II um Fürsorge im Sinne des Abkommens handelt. Somit liegen die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 2 Abs. 1 FürsAbk AUT vor (a.A. Thie/Schoch in Münder LPK-SGB II, 4. Auflage, § 7 Rdnr. 29).
Gemäß Art. 1 Nr. 4 FürsAbk AUT sind alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach-, Beratungs-, Betreuungs- und sonstigen Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfes für Personen, die keine Voraussetzung als die der Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben, Fürsorge im Sinne des Abkommens. Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II normierte Voraussetzung der Erwerbsfähigkeit ist keine "weitere Voraussetzung" im Sinne des Art. 1 Nr. 4 FürsAbk AUT. Sie dient lediglich der mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 neu geschaffenen Abgrenzung zum (Adressatenkreis des) wohl unzweifelhaft unter dem FürsAbk AUT fallenden SGB XII. Da die mit dem Abkommen in Kraft getretenen Durchführungsverordnung zum FürsAbk AUT (BGBl. II, 1969 Nr. 45, S. 1285) hinsichtlich dieser Auslegungsproblematik unergiebig ist, geht der Senat nach dem (mutmaßlichen) Willen der Vertragsschließenden davon aus, dass Sozialleistungen nur dann vom Anwendungsbereich des FürsAbk AUT ausgeschlossen sind, wenn sie auf Beiträge oder sonstige Leistungen des Fürsorgebedürftigen zurückgehen. Das Arbeitslosengeld II ist jedoch eine steuerfinanzierte (nachrangige) Fürsorgeleistung (vgl. Urteil des BSG vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170) und somit Geldleistung im Sinne des Abkommens. Anders als die Arbeitslosenhilfe und vergleichbar mit der Sozialhilfe im BSHG bzw. im SGB XII ist das SGB II ein bedarfsabhängiges Leistungssystem. Zudem fehlen dem SGB II der Sozialversicherungscharakter und der Beitragsbezug. Darüber hinaus ist die Fürsorgegesetzgebung in der Bundesrepublik nach dem Außerkrafttreten des BSHG zum 1. Januar 2005 nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII beschränkt. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende unterscheiden sich zwar im Wesentlichen – bei der Erwerbsfähigkeit der Hilfebedürftigen - nach ihrem Adressatenkreis. Der Fürsorgecharakter des SGB II bleibt davon jedoch unberührt (vgl. zur Parallelproblematik beim EFA, BSG, a.a.O., Rdnr. 33).
Die Arbeitslosenhilfe war bis zum 31. Dezember 2004 unter anderem wegen ihres zusätzlichen Kriteriums (Arbeitslosengeldbezug in der Vorfrist) nicht unter den Anwendungsbereich des FürsAbk AUT zu subsumieren. Allerdings haben die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich in dem Abkommen über Arbeitslosenversicherung vom 19. Juli 1978 (BGBl. 1979 II, So 790) unter anderem die Arbeitslosenhilfe aufgenommen, sodass in der Vergangenheit insoweit keine "Fürsorgelücke" gegeben war, die nach Ansicht des Senats durch die Gesetzesänderungen des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 ab dem 01. Januar 2005 auch nicht entstehen sollte.
Ferner ist es unschädlich, dass im Anhang I zum FürsAbk AUT als anzuwendende Fürsorgegesetze (soweit ersichtlich) noch immer – entgegen der Verpflichtung der Bundesrepublik zur Mitteilung geänderter bzw. neuer Rechtsvorschriften gemäß Art. 13 Abs 2 FürsAbk AUT – das BSHG neben weiteren Gesetzen genannt wird. Die Aufzählung der Fürsorgegesetze in der Anlage I ist jedoch nicht konstitutiv (vgl. BSG (zur Parallelproblematik beim EFA) a.a.O., Rdnr. 34).
Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 2 Abs. 1 FürsAbk AUT findet schließlich auch nicht alleine auf solche Staatsangehörige anderer Vertragsstaaten Anwendung, die sich bereits vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit im Aufenthaltsstaat aufgehalten haben (so aber LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rdnr. 30). Gemäß Abschnitt A. Nr. 1 des Schlussprotokolls sollen die aus dem Abkommen resultierenden Vergünstigungen Personen nicht zugute kommen, die das jeweilige Hoheitsgebiet aufsuchen, um diese Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen. Bereits aus dem Wortlaut geht hervor, dass grundsätzlich auch eine Hilfebedürftigkeit zum Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme im anderen Hoheitsgebiet denklogisch nicht die Anwendbarkeit des Abkommens ausschließen soll. Ansonsten hätte es dieser Feststellung im Schlussprotokoll nicht bedurft. Die Ausschlussklausel soll ausdrücklich nur die Fälle erfassen, bei denen die Hilfesuchenden gerade mit dem Zweck der Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen einreisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 1980 – 5 C 66/79; Juris, Rdnr. 11). Für einen entsprechenden Vorsatz ist im vorliegenden Fall nichts vorgetragen bzw. ersichtlich. Das bilaterale Fürsorgeabkommen zwischen der Bundesrepublik und Österreich findet im vorliegenden Fall Anwendung, da es sich beim Arbeitslosengeld II um Fürsorge im Sinne des Abkommens handelt. Somit liegen die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 2 Abs. 1 FürsAbk AUT vor (a.A. Thie/Schoch in Münder LPK-SGB II, 4. Auflage, § 7 Rdnr. 29).
Gemäß Art. 1 Nr. 4 FürsAbk AUT sind alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach-, Beratungs-, Betreuungs- und sonstigen Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfes für Personen, die keine Voraussetzung als die der Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben, Fürsorge im Sinne des Abkommens. Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II normierte Voraussetzung der Erwerbsfähigkeit ist keine "weitere Voraussetzung" im Sinne des Art. 1 Nr. 4 FürsAbk AUT. Sie dient lediglich der mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 neu geschaffenen Abgrenzung zum (Adressatenkreis des) wohl unzweifelhaft unter dem FürsAbk AUT fallenden SGB XII. Da die mit dem Abkommen in Kraft getretenen Durchführungsverordnung zum FürsAbk AUT (BGBl. II, 1969 Nr. 45, S. 1285) hinsichtlich dieser Auslegungsproblematik unergiebig ist, geht der Senat nach dem (mutmaßlichen) Willen der Vertragsschließenden davon aus, dass Sozialleistungen nur dann vom Anwendungsbereich des FürsAbk AUT ausgeschlossen sind, wenn sie auf Beiträge oder sonstige Leistungen des Fürsorgebedürftigen zurückgehen. Das Arbeitslosengeld II ist jedoch eine steuerfinanzierte (nachrangige) Fürsorgeleistung (vgl. Urteil des BSG vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170) und somit Geldleistung im Sinne des Abkommens. Anders als die Arbeitslosenhilfe und vergleichbar mit der Sozialhilfe im BSHG bzw. im SGB XII ist das SGB II ein bedarfsabhängiges Leistungssystem. Zudem fehlen dem SGB II der Sozialversicherungscharakter und der Beitragsbezug. Darüber hinaus ist die Fürsorgegesetzgebung in der Bundesrepublik nach dem Außerkrafttreten des BSHG zum 1. Januar 2005 nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII beschränkt. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende unterscheiden sich zwar im Wesentlichen – bei der Erwerbsfähigkeit der Hilfebedürftigen - nach ihrem Adressatenkreis. Der Fürsorgecharakter des SGB II bleibt davon jedoch unberührt (vgl. zur Parallelproblematik beim EFA, BSG, a.a.O., Rdnr. 33).
Die Arbeitslosenhilfe war bis zum 31. Dezember 2004 unter anderem wegen ihres zusätzlichen Kriteriums (Arbeitslosengeldbezug in der Vorfrist) nicht unter den Anwendungsbereich des FürsAbk AUT zu subsumieren. Allerdings haben die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich in dem Abkommen über Arbeitslosenversicherung vom 19. Juli 1978 (BGBl. 1979 II, So 790) unter anderem die Arbeitslosenhilfe aufgenommen, sodass in der Vergangenheit insoweit keine "Fürsorgelücke" gegeben war, die nach Ansicht des Senats durch die Gesetzesänderungen des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 ab dem 01. Januar 2005 auch nicht entstehen sollte.
Ferner ist es unschädlich, dass im Anhang I zum FürsAbk AUT als anzuwendende Fürsorgegesetze (soweit ersichtlich) noch immer – entgegen der Verpflichtung der Bundesrepublik zur Mitteilung geänderter bzw. neuer Rechtsvorschriften gemäß Art. 13 Abs 2 FürsAbk AUT – das BSHG neben weiteren Gesetzen genannt wird. Die Aufzählung der Fürsorgegesetze in der Anlage I ist jedoch nicht konstitutiv (vgl. BSG (zur Parallelproblematik beim EFA) a.a.O., Rdnr. 34).
Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 2 Abs. 1 FürsAbk AUT findet schließlich auch nicht alleine auf solche Staatsangehörige anderer Vertragsstaaten Anwendung, die sich bereits vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit im Aufenthaltsstaat aufgehalten haben (so aber LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rdnr. 30). Gemäß Abschnitt A. Nr. 1 des Schlussprotokolls sollen die aus dem Abkommen resultierenden Vergünstigungen Personen nicht zugutekommen, die das jeweilige Hoheitsgebiet aufsuchen, um diese Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen. Bereits aus dem Wortlaut geht hervor, dass grundsätzlich auch eine Hilfebedürftigkeit zum Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme im anderen Hoheitsgebiet denklogisch nicht die Anwendbarkeit des Abkommens ausschließen soll. Ansonsten hätte es dieser Feststellung im Schlussprotokoll nicht bedurft. Die Ausschlussklausel soll ausdrücklich nur die Fälle erfassen, bei denen die Hilfesuchenden gerade mit dem Zweck der Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen einreisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 1980 – 5 C 66/79; Juris, Rdnr. 11). Für einen entsprechenden Vorsatz ist im vorliegenden Fall nichts vorgetragen bzw. ersichtlich."
Dieser Ansicht schließt sich die Kammer an.
Die Leistungshöhe wird der Beklagte gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu ermitteln haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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