Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 3 AS 1364/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1360/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.06.2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Be-schwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den An-trag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl BSG Beschluss vom 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 Rn 24 f). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 Rn 26; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl nur Beschluss vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER).
Die Antragsteller haben das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 7 ff SGB II und damit einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Durchgreifende Zweifel bestehen bereits an der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr 2 SGB II. Ein Erwerbshindernis ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin der Ladung zum Haftantritt nicht nachgekommen und zur Festnahme ausgeschrieben ist. Dieser Festnahme entgeht sie derzeit nur dadurch, dass ihr Aufenthalt der Staatsanwaltschaft nicht bekannt ist. Die Antragstellerin ist außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, während sie sich ihrer Festnahme entzieht.
Ob eine Person, die einer Ladung zum Haftantritt nicht nachgekommen und zur Fest-nahme ausgeschrieben ist, erwerbsfähig ist, ist gesetzlich nicht geregelt. Diese Rege-lungslücke ist planwidrig, denn der Gesetzgeber geht vom redlichen, sich gesetzestreu verhaltenden Leistungsempfänger aus und hat bei Regelung der Erwerbsfähigkeit und von Leistungsausschlüssen Personen, die sich rechtswidrig einer Festnahme entziehen, ersichtlich nicht im Blick gehabt. Nach einer Festnahme wäre die Antragstellerin nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Diese Vorschrift wird systematisch als Fiktion der fehlenden Erwerbsfähigkeit angesehen (vgl Bayerisches LSG Beschluss vom 07.11.2016 - L 18 AS 639/16 NZB; Leopold in jurisPK-SGB II, § 7 Rn 280). Aus § 8 Abs. 2 SGB II und § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II lässt sich die grundsätzliche Wertung des Gesetzgebers herleiten, dass rechtliche bzw. rechtlich-tatsächliche Hindernisse, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, im Ergebnis zu einem Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II führen. Die Regelungslücke ist damit entweder in analoger Anwendung nach § 8 Abs. 2 SGB II dahingehend zu schließen, dass eine rechtliche Erwerbsunfähigkeit auch bei zur Festnahme ausgeschriebenen Personen, die sich einer Ladung zum Strafantritt entziehen, anzuwenden ist, oder dergestalt, dass die Ausschreibung zur Festnahme nach Nichtantritt zum Strafantritt dem Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II gleichgestellt ist.
Die Antragsteller haben auch ihre Hilfebedürftigkeit (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr 3, 9 SGB II) nicht glaubhaft gemacht. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).
Der Antragstellerin stehen Selbsthilfemöglichkeiten zur Verfügung. Sie kann ihren Lebensunterhalt dadurch sicherstellen, dass sie der Ladung zum Strafantritt nachkommt (für die insoweit parallele Fragestellung zu § 19 Abs. 1 SGB XII ausdrücklich SG Münster Beschluss vom 16.03.2016 - S 15 SO 37/16 ER). Die vom Lebensunterhalt notwendigen Bedarfe werden in der Strafhaft vollständig gedeckt. Der Aufforderung nachzukommen und so Hilfebedürftigkeit zu vermeiden ist nicht unverhältnismäßig oder unzumutbar, sondern folgt aus einer rechtlichen Verpflichtung. Der Antragsgegner ist nicht verpflichtet, die Flucht der Antragstellerin vor der Strafhaft durch Leistungen zu erleichtern oder zu ermöglichen (ebenso SG Münster Beschluss vom 16.03.2016 - S 15 SO 37/16 ER).
Der am 00.00.2010 geborene Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf Leistungen in Form von Sozialgeld (§§ 7 Abs. 2, 19 Abs. 1, 23 SGB II) nicht glaubhaft gemacht, da er nicht mit einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
Die Voraussetzungen für eine Anordnung von Leistungen im Wege der Folgenabwä-gung liegen nicht vor, da der Ausgang eines Hauptsacheverfahrens nach den obigen Ausführungen nicht offen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den An-trag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl BSG Beschluss vom 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 Rn 24 f). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 Rn 26; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl nur Beschluss vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER).
Die Antragsteller haben das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 7 ff SGB II und damit einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Durchgreifende Zweifel bestehen bereits an der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr 2 SGB II. Ein Erwerbshindernis ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin der Ladung zum Haftantritt nicht nachgekommen und zur Festnahme ausgeschrieben ist. Dieser Festnahme entgeht sie derzeit nur dadurch, dass ihr Aufenthalt der Staatsanwaltschaft nicht bekannt ist. Die Antragstellerin ist außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, während sie sich ihrer Festnahme entzieht.
Ob eine Person, die einer Ladung zum Haftantritt nicht nachgekommen und zur Fest-nahme ausgeschrieben ist, erwerbsfähig ist, ist gesetzlich nicht geregelt. Diese Rege-lungslücke ist planwidrig, denn der Gesetzgeber geht vom redlichen, sich gesetzestreu verhaltenden Leistungsempfänger aus und hat bei Regelung der Erwerbsfähigkeit und von Leistungsausschlüssen Personen, die sich rechtswidrig einer Festnahme entziehen, ersichtlich nicht im Blick gehabt. Nach einer Festnahme wäre die Antragstellerin nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Diese Vorschrift wird systematisch als Fiktion der fehlenden Erwerbsfähigkeit angesehen (vgl Bayerisches LSG Beschluss vom 07.11.2016 - L 18 AS 639/16 NZB; Leopold in jurisPK-SGB II, § 7 Rn 280). Aus § 8 Abs. 2 SGB II und § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II lässt sich die grundsätzliche Wertung des Gesetzgebers herleiten, dass rechtliche bzw. rechtlich-tatsächliche Hindernisse, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, im Ergebnis zu einem Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II führen. Die Regelungslücke ist damit entweder in analoger Anwendung nach § 8 Abs. 2 SGB II dahingehend zu schließen, dass eine rechtliche Erwerbsunfähigkeit auch bei zur Festnahme ausgeschriebenen Personen, die sich einer Ladung zum Strafantritt entziehen, anzuwenden ist, oder dergestalt, dass die Ausschreibung zur Festnahme nach Nichtantritt zum Strafantritt dem Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II gleichgestellt ist.
Die Antragsteller haben auch ihre Hilfebedürftigkeit (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr 3, 9 SGB II) nicht glaubhaft gemacht. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).
Der Antragstellerin stehen Selbsthilfemöglichkeiten zur Verfügung. Sie kann ihren Lebensunterhalt dadurch sicherstellen, dass sie der Ladung zum Strafantritt nachkommt (für die insoweit parallele Fragestellung zu § 19 Abs. 1 SGB XII ausdrücklich SG Münster Beschluss vom 16.03.2016 - S 15 SO 37/16 ER). Die vom Lebensunterhalt notwendigen Bedarfe werden in der Strafhaft vollständig gedeckt. Der Aufforderung nachzukommen und so Hilfebedürftigkeit zu vermeiden ist nicht unverhältnismäßig oder unzumutbar, sondern folgt aus einer rechtlichen Verpflichtung. Der Antragsgegner ist nicht verpflichtet, die Flucht der Antragstellerin vor der Strafhaft durch Leistungen zu erleichtern oder zu ermöglichen (ebenso SG Münster Beschluss vom 16.03.2016 - S 15 SO 37/16 ER).
Der am 00.00.2010 geborene Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf Leistungen in Form von Sozialgeld (§§ 7 Abs. 2, 19 Abs. 1, 23 SGB II) nicht glaubhaft gemacht, da er nicht mit einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
Die Voraussetzungen für eine Anordnung von Leistungen im Wege der Folgenabwä-gung liegen nicht vor, da der Ausgang eines Hauptsacheverfahrens nach den obigen Ausführungen nicht offen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
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