Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 1071/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Verwandte (hier Tochter) über 21 Jahre ist Familienangehörige, wenn sie vom Vater unterhalten wird, indem ihr Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung gestellt werden.
I. Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheids vom 25. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2017 dem Grunde nach verpflichtet, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von September 2017 bis August 2018 zu bewilligen.
II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab September 2017.
Die am 1996 geborene Klägerin ist rumänische Staatsangehörige und bezog seit Längerem zusammen mit ihrem 1970 geborenen Vater und ihrer jüngeren Schwester, beide ebenfalls Rumänen, laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Zuletzt hatte der Beklagte Leistungen, auch an die Klägerin, bis August 2017 bewilligt. Im Juli 2017 wurde die Weiterbewilligung der Leistungen an die Bedarfsgemeinschaft beantragt.
Daraufhin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 25. Juli 2017 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von September 2017 bis August 2018 nur für den Vater und die Schwester der Klägerin. Die Klägerin sei von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen, weil sie nun 21 Jahre alt und damit keine Familienangehörige mehr sei. Ein Daueraufenthaltsrecht habe sie nicht, weil sie sich erst seit August 2014 in Deutschland aufhalte.
Der Widerspruch wurde damit begründet, die Klägerin sei schwanger und beginne ab September eine Berufsausbildung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2017 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Klägerin absolviere keine Weiterbildung, sondern eine sprachliche Bildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. Daher sei sie nicht Auszubildende, sondern Schülerin.
Dagegen hat die Klägerin am 21. September 2017 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie sei hier schulpflichtig und im fünften Monat schwanger. Sie besuche weiterhin die Berufsschule. Wie solle sie ihren Lebensunterhalt finanzieren? Bisher sei sie in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Familie gewesen. Diese erhalte nun weniger Leistungen, müsse sie aber verpflegen.
Der Beklagte hat erwidert, der Klägerin stehe jedenfalls kein Daueraufenthaltsrecht zu, weil Nachweise über den Aufenthalt im Inland erst ab 2014 vorlägen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Vater der Klägerin als Zeuge im Wesentlichen ausgesagt, dass er bereits seit 1990 in Deutschland sei, derzeit eine Beschäftigung ausübe und die Klägerin verpflege. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Die Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheids vom 25. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2017 verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum von September 2017 bis August 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu bewilligen.
Für den Beklagten wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Die Klägerin hat dem Grunde nach gegen den Beklagten auch ab 1. September 2017 weiterhin Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Soweit der Bescheid des Beklagten vom 25. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2017 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, so dass er abzuändern ist.
Die Klägerin ist auch ab September 2017 anspruchsberechtigt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II). Sie ist insbesondere nicht wegen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 2016, BGBl. I, S. 3155) von Leistungen ausgeschlossen.
Die Klägerin erfüllt nach wie vor die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Sie ist älter als 15 Jahre, überschreitet aber die Altersgrenze nach § 7a SGB II nicht, sie ist erwerbsfähig, hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und ist hilfebedürftig. Letztgenannte Voraussetzung nimmt das Gericht an, weil nicht durchgehend bedarfsdeckende Mittel ersichtlich sind. Die Klägerin bildet wegen § 7 Abs. 3 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater und ihrer jüngeren Schwester. Diese erhalten aktuell existenzsichernde Leistungen vom beklagten Jobcenter und die Klägerin bezog diese bis einschließlich August 2017. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die finanzielle Lage der Klägerin inzwischen derart verändert hätte, dass sie nicht mehr bedürftig im Sinn von § 9 Abs. 1 und 2 SGB II wäre. Insbesondere erbringt die derzeit vom Vater der Klägerin ausgeübte Tätigkeit keine Mittel, die den gesamten Bedarf decken.
Die Klägerin unterfällt ferner nicht einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II.
Für das Eingreifen der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II enthaltenen Konstellation ist nichts ersichtlich.
Aber auch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II kommt vorliegend nicht zur Anwendung, weil die Klägerin über ein anderes Aufenthaltsrecht als zur Arbeitssuche verfügt.
Die Klägerin kann zwar kein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) herleiten. Sie ist weder Arbeitnehmerin noch selbstständig erwerbstätig noch erbringt sie Dienstleistungen noch verfügt sie über ausreichend Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel. Zur Überzeugung des Gerichts steht nach der mündlichen Verhandlung fest, dass die Klägerin keiner Erwerbstätigkeit nachgeht und auch keine Berufsausbildung betreibt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU). Die Klägerin besucht zwar die Berufsschule, jedoch lediglich zur Berufsvorbereitung. Nach den von der Klägerin getätigten Angaben erhält sie beim Schulbesuch keine spezielle Sprachförderung mehr. Allerdings erfolgt der Schulbesuch nicht im Rahmen der Ausbildung für einen konkreten Beruf, sondern erlaubt den Schülern allgemein das Kennenlernen verschiedener Berufsfelder. Auf einen konkreten Abschluss ist er nicht ausgerichtet. Das wäre aber, wie sich nicht zuletzt aus Erwägungsgrund neun der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 (VO (EU) Nr. 492/2011) herauslesen lässt, Voraussetzung zur Annahme einer Berufsausbildung. Nachvollziehbar auch vor dem Hintergrund, dass die unionsrechtlich gesicherte Freizügigkeit vornehmlich erwerbstätigkeitsbezogen ausgerichtet ist und danach auch das entsprechende innerstaatliche Recht auszulegen ist. Demzufolge genügt eine bloße Vorbereitung auf eine mögliche spätere Berufsausbildung noch nicht, um in den Genuss der Rechte bei Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu gelangen.
Der bloße Schulbesuch - ein solcher liegt unzweifelhaft vor - mag zwar dem Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 unterfallen. Ein Aufenthaltsrecht auf dieser Grundlage würde aber wegen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe c SGB II wiederum ebenfalls nicht genügen.
Ferner hat die Klägerin kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben. Sie ist zwar in Deutschland geboren, hat sich danach aber ihren Angaben zufolge nur zwischen ein und zwei Jahren in Deutschland aufgehalten, bevor sie wieder nach Rumänien ging. Selbst wenn man annähme, dass sie bis über die Geburt ihrer jüngeren Schwester im Jahr 2000 hinaus mindestens fünf Jahre in Deutschland war, hätte sie durch den damaligen Aufenthalt kein Daueraufenthaltsrecht erwerben können, weil Rumänien erst 2007 Mitglied der Europäischen Union geworden ist. Zudem hätte der langjährige Aufenthalt außerhalb Deutschlands gemäß § 4 Abs. 7 FreizügG/EU den Verlust eines Daueraufenthaltsrechts zur Folge. Denn erst Mitte 2014, nach Angabe der Klägerin im Juli 2014, kam sie wieder mit der Perspektive, sich hier bis auf Weiteres auszuhalten, nach Deutschland. Dazwischen fanden allenfalls besuchsweise Aufenthalte beim hier lebenden Vater statt. Nachdem für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Konstellation nach § 4a Abs. 2 FreizügG/EU gar nichts ersichtlich ist, kann - ungeachtet weiterer Voraussetzungen - auch nach den Angaben der Klägerin kein Daueraufenthaltsrecht bestehen, weil seit Juli 2014 noch keine fünf Jahre verstrichen sind. Denn die Zeitspanne von fünf Jahren, welche für den Anspruch auf ein Daueraufenthaltsrecht grundsätzlich erreicht werden muss, muss ununterbrochen erfüllt werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 18. Juli 2017, 10 B 17.339). Damit scheidet auch ein Zusammenzählen der früheren und der aktuellen Aufenthaltszeiten aus.
Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin ergibt sich außerdem nicht in Vorwirkung eines Rechtes aus § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Denn der Vater des ungeborenen Kindes der Klägerin ist nach deren Auskunft weder Deutscher noch ist anzunehmen, dass er sich schon so lange in Deutschland rechtmäßig aufhält, dass das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wird, § 4 Abs. 1 und 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG).
Ob der Vater der Klägerin angesichts seines langen Aufenthalts in Deutschland, der nach seinen Angaben seit 1990 besteht, Anspruch nach § 10 Abs. 1 StAG auf Einbürgerung hat, kann dahin stehen, weil die Klägerin nicht mehr minderjährig ist und daher keinen Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 2 StAG haben kann. Somit würde eine einschränkende Auslegung bzw. eine Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II dahin, dass er nicht greift, falls eine Perspektive auf ein Bleiberecht wegen Einbürgerung besteht, im Fall der Klägerin ohnedies nicht greifen.
Von ihrer ebenfalls in Deutschland lebenden Mutter kann die Klägerin ebenfalls kein Aufenthaltsrecht ableiten. Der Mutter steht jedenfalls kein Daueraufenthaltsrecht zu, da sie nach den insofern glaubwürdigen Angaben des Zeugen selbst erst seit Mitte 2014 wieder in Deutschland ist und somit keine fünf Jahre hier aufhältig ist. Ob ein früherer mindestens fünfjähriger Aufenthalt in Deutschland vorliegt - die Geburten der Töchter könnten das annehmen lassen, kann aus den oben genannten Gründen dahin stehen. Da die Mutter der Klägerin auch nicht erwerbstätig ist, kann ihr daraus ebenfalls kein Aufenthaltsrecht erwachsen. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass sie über ausreichend Krankenversicherungsschutz verfügt und ihren Lebensunterhalt decken kann, § 4 FreizügG/EU. Schließlich ist nichts dafür vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, dass die Mutter die Klägerin unterhalten könnte im Sinn des § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU.
Anders stellt sich die Situation der Klägerin aber in Bezug auf ihren Vater dar: Die Klägerin ist nach wie vor als Familienangehörige ihres Vaters im Sinn des § 3 FreizügG/EU anzusehen, so dass ihr ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU zusteht und damit ein Aufenthaltsrecht aus einem anderen Grund als zum Zweck der Arbeitssuche. Für den 1. bis 2. September 2017 ergibt sich dieses Recht schon daraus, dass die Klägerin noch nicht 21 Jahre alt war und damit noch die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU erfüllt hat. Denn ihr Vater hatte, sofern er nicht ohnedies mittlerweile über ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU verfügt, wofür sein jahrzehntelanger, ununterbrochener Aufenthalt in Deutschland spricht, jedenfalls ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Der Zeuge hat nämlich in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er seit 10. Juli 2017 einer Beschäftigung nachgeht. Dabei handelt es sich um eine abhängige Beschäftigung, die nicht nur völlig unwesentlich ist, so dass zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen ist, dass der Zeuge und Vater der Klägerin freizügigkeitsrechtlich als Arbeitnehmer einzustufen ist. Der Vater der Klägerin arbeitet nämlich zu einem Stundenlohn von 1 EUR. Damit ist er abhängig beschäftigt. Der Verdienst des Zeugen erreicht zwar keinen Umfang, der es ihm erlauben würde, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. In den Blick zu nehmen ist jedoch zusätzlich der zeitliche Umfang der Tätigkeit, der sich als nicht völlig untergeordnet erweist, weil die Tätigkeit regelmäßig und in nicht ganz verschwindenden Umfang ausgeübt wird. In der Gesamtschau ist deswegen anzunehmen, dass der Zeuge Arbeitnehmer im Sinn des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist.
Seit dem 3. September 2017 ist die Klägerin zudem Familienangehörige ihres Vaters nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU. Anders als bei Nummer 1 der Regelung besteht insofern keine Altersbeschränkung und der Vater der Klägerin gewährt dieser Unterhalt. Solches liegt vor, wenn dem Verwandten, hier der Klägerin als Tochter, tatsächlich Leistungen zukommen, die als Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts angesehen werden können. Dazu gehört eine fortgesetzte, regelmäßige Unterstützung in einem Umfang, der es ermöglich, zumindest einen Teil des Lebensunterhalts regelmäßig zu decken. Nicht erforderlich ist, dass ein Anspruch auf Unterhaltsgewährung besteht (vgl. Ziffer 3.2.2.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Bundesministeriums des Innern zum FreizügG/EU vom 3. Februar 2016, GMBl. 2016, S. 86). Diese Interpretation macht sich das Gericht zu eigen. Nicht für anwendbar hält das Gericht vorliegend aber die im weiteren enthaltene Einschränkung, dass § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU nur zur Anwendung kommt, wenn der Unterhaltsbedarf bereits im Herkunfts- oder Heimatland im Zeitpunkt des Antrags auf Nachzug bestand. Denn zu berücksichtigen ist im Fall der Klägerin, dass diese auf der Basis von § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU bereits zuvor zu ihrem Vater nachgezogen war. Es ist aber kein ausreichender Grund dafür zu erkennen, dass ihr verwehrt werden sollte, auf anderer Grundlage weiterhin bei ihrem freizügigkeitsberechtigten Vater zu bleiben. Ebenso wäre es unangemessen, von ihr zu verlangen, zunächst nach Rumänien zu reisen, um dann - auf neuer rechtlicher Grundlage - als Familienangehörige wieder zu ihrem Vater nach Deutschland zu ziehen. Weiterhin meint das Gericht, dass es für die Annahme einer Unterhaltsgewährung genügen muss, wenn diese in geringem Umfang erfolgt. Hier ist anzuknüpfen daran, dass es für die Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts als Arbeitnehmer selbst ausreicht, wenn eine Beschäftigung mit geringem Umfang bzw. geringem Einkommen ausgeübt wird, solange sich diese nicht nur als völlig unwesentlich darstellt. Mit Blick darauf, dass dann dem Freizügigkeitsberechtigten eventuell nur geringe finanzielle Mittel zur Verfügung stehen und der Familiennachzug primär die Ausübung des Freizügigkeitsrechts erleichtern soll, kann keine Unterhaltsgewährung in erheblichem Umfang verlangt werden. Dies würde nämlich zu einer Schlechterstellung gering verdienender freizügigkeitsberechtigter Arbeitnehmer führen, die sich kaum ausreichend rechtfertigen ließe, oder faktisch die Inanspruchnahme der europarechtlich vorgegebenen Möglichkeit des Freizügigkeitsrechts unattraktiv bis unmöglich machen. Das Gericht geht jedoch nicht davon aus, dass letztere Folge mit dem Zweck der europarechtlichen Regelungen in Einklang zu bringen wäre. Dafür spricht zudem § 4 FreizügG/EU, der für nicht erwerbstätige - aber eben nur für diese - Unionsbürger und ihre Familienangehörigen strengere Regelungen aufstellt. Ein solcher Fall ist jedoch nicht gegeben. Es muss deshalb genügen, wenn die freizügigkeitsberechtigte Person - gemäß ihrer Leistungsfähigkeit - den Verwandten nur verpflegt und ihm eine Unterkunft zur Verfügung stellt, zumal damit gerade die ganz essentiellen Grundbedürfnisse gedeckt werden. Nach diesen Maßstäben ist das Gericht davon überzeugt, dass eine Unterhaltsgewährung vorliegt. Sowohl die Klägerin als auch ihr Vater haben ausgesagt, dass die Klägerin von ihrem Vater verköstigt wird und - wenngleich in geringem Umfang - Geldzuwendungen erhält. Zudem wohnt sie weiterhin bei ihm. Gründe, um die geschilderte Situation in Zweifel zu ziehen, sieht das Gericht nicht. Vielmehr liegt es nach der Lebenserfahrung nahe, dass Eltern ihre Kinder, auch wenn sie erwachsen sind, "durchfüttern" und bei sich wohnen lassen, zumal die Klägerin schwanger ist. Außerdem hat sie noch erklärt, in Rumänien außer einer Großmutter keine Verwandten zu haben, und sieht keine realistische Möglichkeit, dort unterzukommen und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Damit ist ein tatsächliches Abhängigkeitsverhältnis von ihrem Vater, wie es der Unterhaltsgewährung innewohnt, anzunehmen.
Nachdem somit der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht greift, kommt es auf die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm nicht an - welche diese Kammer allerdings bejaht hat (Urteil vom 7. September 2017, S 8 AS 621/17).
Demzufolge wird der Klage im Sinn einer Verurteilung des Beklagten dem Grunde nach gemäß § 130 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetzes (SGG) stattgegeben, da der Streit zwischen den Beteiligten allein die Leistungsberechtigung der Klägerin als solche betrifft und mit einem Grundurteil umfassend geklärt werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab September 2017.
Die am 1996 geborene Klägerin ist rumänische Staatsangehörige und bezog seit Längerem zusammen mit ihrem 1970 geborenen Vater und ihrer jüngeren Schwester, beide ebenfalls Rumänen, laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Zuletzt hatte der Beklagte Leistungen, auch an die Klägerin, bis August 2017 bewilligt. Im Juli 2017 wurde die Weiterbewilligung der Leistungen an die Bedarfsgemeinschaft beantragt.
Daraufhin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 25. Juli 2017 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von September 2017 bis August 2018 nur für den Vater und die Schwester der Klägerin. Die Klägerin sei von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen, weil sie nun 21 Jahre alt und damit keine Familienangehörige mehr sei. Ein Daueraufenthaltsrecht habe sie nicht, weil sie sich erst seit August 2014 in Deutschland aufhalte.
Der Widerspruch wurde damit begründet, die Klägerin sei schwanger und beginne ab September eine Berufsausbildung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2017 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Klägerin absolviere keine Weiterbildung, sondern eine sprachliche Bildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. Daher sei sie nicht Auszubildende, sondern Schülerin.
Dagegen hat die Klägerin am 21. September 2017 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie sei hier schulpflichtig und im fünften Monat schwanger. Sie besuche weiterhin die Berufsschule. Wie solle sie ihren Lebensunterhalt finanzieren? Bisher sei sie in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Familie gewesen. Diese erhalte nun weniger Leistungen, müsse sie aber verpflegen.
Der Beklagte hat erwidert, der Klägerin stehe jedenfalls kein Daueraufenthaltsrecht zu, weil Nachweise über den Aufenthalt im Inland erst ab 2014 vorlägen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Vater der Klägerin als Zeuge im Wesentlichen ausgesagt, dass er bereits seit 1990 in Deutschland sei, derzeit eine Beschäftigung ausübe und die Klägerin verpflege. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Die Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheids vom 25. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2017 verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum von September 2017 bis August 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu bewilligen.
Für den Beklagten wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Die Klägerin hat dem Grunde nach gegen den Beklagten auch ab 1. September 2017 weiterhin Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Soweit der Bescheid des Beklagten vom 25. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2017 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, so dass er abzuändern ist.
Die Klägerin ist auch ab September 2017 anspruchsberechtigt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II). Sie ist insbesondere nicht wegen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 2016, BGBl. I, S. 3155) von Leistungen ausgeschlossen.
Die Klägerin erfüllt nach wie vor die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Sie ist älter als 15 Jahre, überschreitet aber die Altersgrenze nach § 7a SGB II nicht, sie ist erwerbsfähig, hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und ist hilfebedürftig. Letztgenannte Voraussetzung nimmt das Gericht an, weil nicht durchgehend bedarfsdeckende Mittel ersichtlich sind. Die Klägerin bildet wegen § 7 Abs. 3 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater und ihrer jüngeren Schwester. Diese erhalten aktuell existenzsichernde Leistungen vom beklagten Jobcenter und die Klägerin bezog diese bis einschließlich August 2017. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die finanzielle Lage der Klägerin inzwischen derart verändert hätte, dass sie nicht mehr bedürftig im Sinn von § 9 Abs. 1 und 2 SGB II wäre. Insbesondere erbringt die derzeit vom Vater der Klägerin ausgeübte Tätigkeit keine Mittel, die den gesamten Bedarf decken.
Die Klägerin unterfällt ferner nicht einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II.
Für das Eingreifen der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II enthaltenen Konstellation ist nichts ersichtlich.
Aber auch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II kommt vorliegend nicht zur Anwendung, weil die Klägerin über ein anderes Aufenthaltsrecht als zur Arbeitssuche verfügt.
Die Klägerin kann zwar kein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) herleiten. Sie ist weder Arbeitnehmerin noch selbstständig erwerbstätig noch erbringt sie Dienstleistungen noch verfügt sie über ausreichend Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel. Zur Überzeugung des Gerichts steht nach der mündlichen Verhandlung fest, dass die Klägerin keiner Erwerbstätigkeit nachgeht und auch keine Berufsausbildung betreibt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU). Die Klägerin besucht zwar die Berufsschule, jedoch lediglich zur Berufsvorbereitung. Nach den von der Klägerin getätigten Angaben erhält sie beim Schulbesuch keine spezielle Sprachförderung mehr. Allerdings erfolgt der Schulbesuch nicht im Rahmen der Ausbildung für einen konkreten Beruf, sondern erlaubt den Schülern allgemein das Kennenlernen verschiedener Berufsfelder. Auf einen konkreten Abschluss ist er nicht ausgerichtet. Das wäre aber, wie sich nicht zuletzt aus Erwägungsgrund neun der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 (VO (EU) Nr. 492/2011) herauslesen lässt, Voraussetzung zur Annahme einer Berufsausbildung. Nachvollziehbar auch vor dem Hintergrund, dass die unionsrechtlich gesicherte Freizügigkeit vornehmlich erwerbstätigkeitsbezogen ausgerichtet ist und danach auch das entsprechende innerstaatliche Recht auszulegen ist. Demzufolge genügt eine bloße Vorbereitung auf eine mögliche spätere Berufsausbildung noch nicht, um in den Genuss der Rechte bei Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu gelangen.
Der bloße Schulbesuch - ein solcher liegt unzweifelhaft vor - mag zwar dem Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 unterfallen. Ein Aufenthaltsrecht auf dieser Grundlage würde aber wegen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe c SGB II wiederum ebenfalls nicht genügen.
Ferner hat die Klägerin kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben. Sie ist zwar in Deutschland geboren, hat sich danach aber ihren Angaben zufolge nur zwischen ein und zwei Jahren in Deutschland aufgehalten, bevor sie wieder nach Rumänien ging. Selbst wenn man annähme, dass sie bis über die Geburt ihrer jüngeren Schwester im Jahr 2000 hinaus mindestens fünf Jahre in Deutschland war, hätte sie durch den damaligen Aufenthalt kein Daueraufenthaltsrecht erwerben können, weil Rumänien erst 2007 Mitglied der Europäischen Union geworden ist. Zudem hätte der langjährige Aufenthalt außerhalb Deutschlands gemäß § 4 Abs. 7 FreizügG/EU den Verlust eines Daueraufenthaltsrechts zur Folge. Denn erst Mitte 2014, nach Angabe der Klägerin im Juli 2014, kam sie wieder mit der Perspektive, sich hier bis auf Weiteres auszuhalten, nach Deutschland. Dazwischen fanden allenfalls besuchsweise Aufenthalte beim hier lebenden Vater statt. Nachdem für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Konstellation nach § 4a Abs. 2 FreizügG/EU gar nichts ersichtlich ist, kann - ungeachtet weiterer Voraussetzungen - auch nach den Angaben der Klägerin kein Daueraufenthaltsrecht bestehen, weil seit Juli 2014 noch keine fünf Jahre verstrichen sind. Denn die Zeitspanne von fünf Jahren, welche für den Anspruch auf ein Daueraufenthaltsrecht grundsätzlich erreicht werden muss, muss ununterbrochen erfüllt werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 18. Juli 2017, 10 B 17.339). Damit scheidet auch ein Zusammenzählen der früheren und der aktuellen Aufenthaltszeiten aus.
Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin ergibt sich außerdem nicht in Vorwirkung eines Rechtes aus § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Denn der Vater des ungeborenen Kindes der Klägerin ist nach deren Auskunft weder Deutscher noch ist anzunehmen, dass er sich schon so lange in Deutschland rechtmäßig aufhält, dass das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wird, § 4 Abs. 1 und 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG).
Ob der Vater der Klägerin angesichts seines langen Aufenthalts in Deutschland, der nach seinen Angaben seit 1990 besteht, Anspruch nach § 10 Abs. 1 StAG auf Einbürgerung hat, kann dahin stehen, weil die Klägerin nicht mehr minderjährig ist und daher keinen Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 2 StAG haben kann. Somit würde eine einschränkende Auslegung bzw. eine Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II dahin, dass er nicht greift, falls eine Perspektive auf ein Bleiberecht wegen Einbürgerung besteht, im Fall der Klägerin ohnedies nicht greifen.
Von ihrer ebenfalls in Deutschland lebenden Mutter kann die Klägerin ebenfalls kein Aufenthaltsrecht ableiten. Der Mutter steht jedenfalls kein Daueraufenthaltsrecht zu, da sie nach den insofern glaubwürdigen Angaben des Zeugen selbst erst seit Mitte 2014 wieder in Deutschland ist und somit keine fünf Jahre hier aufhältig ist. Ob ein früherer mindestens fünfjähriger Aufenthalt in Deutschland vorliegt - die Geburten der Töchter könnten das annehmen lassen, kann aus den oben genannten Gründen dahin stehen. Da die Mutter der Klägerin auch nicht erwerbstätig ist, kann ihr daraus ebenfalls kein Aufenthaltsrecht erwachsen. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass sie über ausreichend Krankenversicherungsschutz verfügt und ihren Lebensunterhalt decken kann, § 4 FreizügG/EU. Schließlich ist nichts dafür vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, dass die Mutter die Klägerin unterhalten könnte im Sinn des § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU.
Anders stellt sich die Situation der Klägerin aber in Bezug auf ihren Vater dar: Die Klägerin ist nach wie vor als Familienangehörige ihres Vaters im Sinn des § 3 FreizügG/EU anzusehen, so dass ihr ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU zusteht und damit ein Aufenthaltsrecht aus einem anderen Grund als zum Zweck der Arbeitssuche. Für den 1. bis 2. September 2017 ergibt sich dieses Recht schon daraus, dass die Klägerin noch nicht 21 Jahre alt war und damit noch die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU erfüllt hat. Denn ihr Vater hatte, sofern er nicht ohnedies mittlerweile über ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU verfügt, wofür sein jahrzehntelanger, ununterbrochener Aufenthalt in Deutschland spricht, jedenfalls ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Der Zeuge hat nämlich in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er seit 10. Juli 2017 einer Beschäftigung nachgeht. Dabei handelt es sich um eine abhängige Beschäftigung, die nicht nur völlig unwesentlich ist, so dass zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen ist, dass der Zeuge und Vater der Klägerin freizügigkeitsrechtlich als Arbeitnehmer einzustufen ist. Der Vater der Klägerin arbeitet nämlich zu einem Stundenlohn von 1 EUR. Damit ist er abhängig beschäftigt. Der Verdienst des Zeugen erreicht zwar keinen Umfang, der es ihm erlauben würde, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. In den Blick zu nehmen ist jedoch zusätzlich der zeitliche Umfang der Tätigkeit, der sich als nicht völlig untergeordnet erweist, weil die Tätigkeit regelmäßig und in nicht ganz verschwindenden Umfang ausgeübt wird. In der Gesamtschau ist deswegen anzunehmen, dass der Zeuge Arbeitnehmer im Sinn des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist.
Seit dem 3. September 2017 ist die Klägerin zudem Familienangehörige ihres Vaters nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU. Anders als bei Nummer 1 der Regelung besteht insofern keine Altersbeschränkung und der Vater der Klägerin gewährt dieser Unterhalt. Solches liegt vor, wenn dem Verwandten, hier der Klägerin als Tochter, tatsächlich Leistungen zukommen, die als Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts angesehen werden können. Dazu gehört eine fortgesetzte, regelmäßige Unterstützung in einem Umfang, der es ermöglich, zumindest einen Teil des Lebensunterhalts regelmäßig zu decken. Nicht erforderlich ist, dass ein Anspruch auf Unterhaltsgewährung besteht (vgl. Ziffer 3.2.2.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Bundesministeriums des Innern zum FreizügG/EU vom 3. Februar 2016, GMBl. 2016, S. 86). Diese Interpretation macht sich das Gericht zu eigen. Nicht für anwendbar hält das Gericht vorliegend aber die im weiteren enthaltene Einschränkung, dass § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU nur zur Anwendung kommt, wenn der Unterhaltsbedarf bereits im Herkunfts- oder Heimatland im Zeitpunkt des Antrags auf Nachzug bestand. Denn zu berücksichtigen ist im Fall der Klägerin, dass diese auf der Basis von § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU bereits zuvor zu ihrem Vater nachgezogen war. Es ist aber kein ausreichender Grund dafür zu erkennen, dass ihr verwehrt werden sollte, auf anderer Grundlage weiterhin bei ihrem freizügigkeitsberechtigten Vater zu bleiben. Ebenso wäre es unangemessen, von ihr zu verlangen, zunächst nach Rumänien zu reisen, um dann - auf neuer rechtlicher Grundlage - als Familienangehörige wieder zu ihrem Vater nach Deutschland zu ziehen. Weiterhin meint das Gericht, dass es für die Annahme einer Unterhaltsgewährung genügen muss, wenn diese in geringem Umfang erfolgt. Hier ist anzuknüpfen daran, dass es für die Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts als Arbeitnehmer selbst ausreicht, wenn eine Beschäftigung mit geringem Umfang bzw. geringem Einkommen ausgeübt wird, solange sich diese nicht nur als völlig unwesentlich darstellt. Mit Blick darauf, dass dann dem Freizügigkeitsberechtigten eventuell nur geringe finanzielle Mittel zur Verfügung stehen und der Familiennachzug primär die Ausübung des Freizügigkeitsrechts erleichtern soll, kann keine Unterhaltsgewährung in erheblichem Umfang verlangt werden. Dies würde nämlich zu einer Schlechterstellung gering verdienender freizügigkeitsberechtigter Arbeitnehmer führen, die sich kaum ausreichend rechtfertigen ließe, oder faktisch die Inanspruchnahme der europarechtlich vorgegebenen Möglichkeit des Freizügigkeitsrechts unattraktiv bis unmöglich machen. Das Gericht geht jedoch nicht davon aus, dass letztere Folge mit dem Zweck der europarechtlichen Regelungen in Einklang zu bringen wäre. Dafür spricht zudem § 4 FreizügG/EU, der für nicht erwerbstätige - aber eben nur für diese - Unionsbürger und ihre Familienangehörigen strengere Regelungen aufstellt. Ein solcher Fall ist jedoch nicht gegeben. Es muss deshalb genügen, wenn die freizügigkeitsberechtigte Person - gemäß ihrer Leistungsfähigkeit - den Verwandten nur verpflegt und ihm eine Unterkunft zur Verfügung stellt, zumal damit gerade die ganz essentiellen Grundbedürfnisse gedeckt werden. Nach diesen Maßstäben ist das Gericht davon überzeugt, dass eine Unterhaltsgewährung vorliegt. Sowohl die Klägerin als auch ihr Vater haben ausgesagt, dass die Klägerin von ihrem Vater verköstigt wird und - wenngleich in geringem Umfang - Geldzuwendungen erhält. Zudem wohnt sie weiterhin bei ihm. Gründe, um die geschilderte Situation in Zweifel zu ziehen, sieht das Gericht nicht. Vielmehr liegt es nach der Lebenserfahrung nahe, dass Eltern ihre Kinder, auch wenn sie erwachsen sind, "durchfüttern" und bei sich wohnen lassen, zumal die Klägerin schwanger ist. Außerdem hat sie noch erklärt, in Rumänien außer einer Großmutter keine Verwandten zu haben, und sieht keine realistische Möglichkeit, dort unterzukommen und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Damit ist ein tatsächliches Abhängigkeitsverhältnis von ihrem Vater, wie es der Unterhaltsgewährung innewohnt, anzunehmen.
Nachdem somit der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht greift, kommt es auf die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm nicht an - welche diese Kammer allerdings bejaht hat (Urteil vom 7. September 2017, S 8 AS 621/17).
Demzufolge wird der Klage im Sinn einer Verurteilung des Beklagten dem Grunde nach gemäß § 130 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetzes (SGG) stattgegeben, da der Streit zwischen den Beteiligten allein die Leistungsberechtigung der Klägerin als solche betrifft und mit einem Grundurteil umfassend geklärt werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
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