Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 33 AS 3995/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 695/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 43/17 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. Oktober 2015 wird abgeändert und der Bescheid vom 15. November 2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 30. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. August 2013 wird aufgehoben, soweit damit eine Erstattungsforderung gegen die Klägerin geltend gemacht wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin 3/4 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.
Die am ...1997 geborene Klägerin bezog als Teil einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter und deren Partner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II). Der Beklagte hatte ihnen zuletzt mit Bescheid vom 12. Mai 2011, geändert durch Bescheid vom 17. August 2011, Leistungen für die Zeit von Juni bis November 2011 bewilligt. Für August 2011 gewährte er der Klägerin Sozialgeld in Höhe 331,12 EUR, für September, Oktober und November 2011 jeweils in Höhe von 261,12 EUR. Dem lagen folgende Bedarfe zugrunde: 287 EUR pro Monat als Regelbedarf; 158,12 EUR pro Monat für Kosten der Unterkunft und Heizung (ein Drittel der tatsächlich anfallenden Kosten der Bedarfsgemeinschaft); für August 2011 außerdem 70 EUR als persönlicher Schulbedarf. Als Einkommen der Klägerin berücksichtigte der Beklagte das für sie geleistete Kindergeld in Höhe von 184 EUR pro Monat.
Am 30. August 2011 verpflichtete sich der Vater der Klägerin, der nicht Teil der Bedarfsgemeinschaft war, gegenüber dem Jugendamt, seiner Tochter rückwirkend ab 1. Juli 2011 Unterhaltsleistungen in Höhe von 100 EUR pro Monat zu zahlen. Die ersten beiden Zahlungen (für Juli und August 2011) leistete er am 31. August 2011.
Daraufhin erließ der Beklagte unter dem 15. November 2011 einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Dieser war adressiert an die Mutter der Klägerin. In dem Bescheid hieß es: "[D]ie Entscheidung vom 17. August 2011 über die Bewilligung von Leistungen [ ] wird vom 1. Juli 2011 bis 30. November 2011 für Ihr Kind [ ] teilweise in Höhe von 500,00 Euro aufgehoben [ ]. Die unten stehenden Beträge sind deshalb von Ihnen zu erstatten (§ 50 SGB X)." Es folgte eine Aufstellung, wonach für Juli bis November 2011 jeweils 100 EUR pro Monat zu erstatten seien. Weiter wurde ausgeführt: "Dieser Bescheid ergeht an Sie als gesetzlichen Vertreter Ihres Kindes." An anderer Stelle hieß es: "Die gegen Ihre Tochter bestehende Erstattungsforderung wird unter Berücksichtigung der o.g. Rechtsvorschrift in monatlichen Raten in Höhe von 28,70 Euro gegen die Ihrer Tochter zustehenden laufenden Leistungen ab Januar 2011 aufgerechnet. Sie brauchen den o.g. Betrag also nicht zu überweisen." Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 16. Dezember 2011 Widerspruch.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens änderte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 2013 den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid dahingehend ab, dass lediglich die Bewilligung für die Zeit von August bis November 2011 teilweise aufgehoben und dementsprechend nur eine Erstattungsforderung von insgesamt 400 EUR (jeweils 100 EUR für die Monate August bis November 2011) geltend gemacht wurde. Im Übrigen wies er den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2013 als unbegründet zurück.
Zur Begründung ihrer dagegen vor dem Sozialgericht erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht: Sie sei vor Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids nicht angehört worden. Außerdem sei der Bescheid zu unbestimmt. Da nur der Änderungsbescheid vom 17. August 2011, nicht aber der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 12. Mai 2011 aufgehoben worden sei, habe sie weiterhin einen Leistungsanspruch aus diesem Bescheid. Außerdem hat die Klägerin im Laufe des Klageverfahrens, nachdem sie das 18. Lebensjahr vollendet hatte, die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geltend gemacht. Bei Eintritt in die Volljährigkeit habe sie weder über Einkommen noch über Vermögen verfügt.
Mit Urteil vom 1. Oktober 2015 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Unterhaltszahlungen des Vaters seien als Einkommen auf den Bedarf der Klägerin anzurechnen. Damit habe sich ihr Leistungsanspruch ab August 2011 um 100 EUR pro Monat verringert Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X) i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (Arbeitsförderung – SGB III) hätten vorgelegen. Für die Wirksamkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids habe die Bekanntgabe an die Mutter als gesetzliche Vertreterin der seinerzeit noch minderjährigen Klägerin genügt. Der Bescheid sei auch nicht zu unbestimmt. Es sei klar und unzweideutig zu erkennen, inwieweit die Leistungsbewilligung aufgehoben werde. Dass der Beklagte den Ausgangsbescheid vom 12. Mai 2011 nicht genannt habe, sei unschädlich, weil der Änderungsbescheid vom 17. August 2011 diesen, soweit es den streitigen Zeitraum betreffe, vollständig ersetzt habe. Hinsichtlich der Aufhebung der Leistungsbewilligung sei eine vorherige Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X entbehrlich gewesen; hinsichtlich des Erstattungsteils des Bescheids sei die notwendige und zunächst fehlende Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden. Der Erstattungsforderung stehe nicht die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a BGB entgegen; denn entscheidend sei der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, mithin die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids. In diesem Zeitpunkt sei die Klägerin aber noch nicht volljährig gewesen. Inwieweit sie einen Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X habe, sei nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Die Berufung hat das Sozialgericht nicht zugelassen.
Auf Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 23. November 2015 die Berufung zugelassen.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin erklärt, dass sie zum Zeitpunkt ihres 18. Geburtstags über keine Wertgegenstände, Konten, Sparbücher, Lebens- oder Rentenversicherungen oder Ähnliches verfügt habe. Ein eigenes Konto habe sie nach wie vor nicht. Die SGB II-Leistungen und die Unterhaltszahlungen des Vaters seien auf ein Konto ihrer Mutter geflossen. Wenn sie Geld benötigt habe, um sich etwas zu kaufen oder etwas zu unternehmen, habe sie dies von ihrer Mutter bekommen. Taschengeld habe sie nicht erhalten. Kleidung und Schuhe habe sie gemeinsam mit ihrer Mutter eingekauft.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. Oktober 2015 sowie den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15. November 2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 30. Mai 2013 und in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. August 2013 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Bereits im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde hat der Beklagte darauf abgestellt, dass hier eine isolierte Anfechtungsklage vorliege. Es könne deshalb offen bleiben, ob die Klägerin wegen der Beschränkung der Minderjährigenhaftung einen Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheids nach § 48 SGB X habe. Allerdings beziehe sich § 48 SGB X nur auf Dauerverwaltungsakte, und das sei ein Erstattungsbescheid nicht. Der Klägerin stehe es frei, im Vollstreckungsverfahren Einwendungen vorzubringen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Klägerin persönlich zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zum Zeitpunkt des Volljährigwerdens angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung ihrer Mutter als Zeugin. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Gerichtsakte des Sozialgerichts und die Leistungsakte des Beklagten sind beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Senat zugelassene Berufung ist zum Teil begründet. Die zulässige Anfechtungsklage hat teilweise Erfolg.
1. Unbegründet ist die Berufung, soweit sie die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung betrifft. Insoweit hat das Sozialgericht die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen, weil der angegriffene Bescheid nicht nur wirksam, sondern hinsichtlich der Aufhebung auch formell und materiell rechtmäßig ist.
a) Der Bescheid ist der Klägerin mit Zugang bei ihrer Mutter als ihrer gesetzlichen Vertreterin bekannt gegeben (§ 37 SGB X) und damit wirksam geworden (§ 39 Abs. 1 SGB X, vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 R –, juris Rn. 25).
b) Vor der Aufhebung bedurfte es gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X keiner Anhörung, weil hier lediglich einkommensabhängige Leistungen an geänderte Verhältnisse angepasst worden sind (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 –, juris Rn. 21). Im Übrigen wäre eine fehlende Anhörung im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt worden.
c) Der Bescheid genügt auch dem Bestimmtheitsgebot des § 33 Abs. 1 SGB X. Der Beklagte hat deutlich herausgestellt, dass die Aufhebung gegenüber der Klägerin gelten sollte. Daran ändert es nichts, dass deren Mutter als gesetzliche Vertreterin direkt angesprochen wird bzw. im Widerspruchsbescheid als Widerspruchsführerin bezeichnet wird. Auch der Gegenstand der Aufhebung wird zweifelsfrei bezeichnet. Das Bestimmtheitsgebot verlangt insoweit, dass der Betroffene bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt wird, die im Bescheid getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 2013 – B 4 AS 59/12 R –, juris Rn. 16). Im Bescheid vom 15. November 2011 wird zwar lediglich der (Änderungs-)Bescheid vom 17. August 2011 als aufzuhebender Bescheid genannt; in der Gesamtschau kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass dadurch nicht der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 12. Mai 2011 wieder aufleben sollte. Vielmehr ergibt sich auch aus den Aussagen zum Umfang der Aufhebung eindeutig, dass der Klägerin für die Monate August bis November 2011 pro Monat 100 EUR weniger an Leistungen verbleiben sollten, als im Änderungsbescheid vom 17. August 2011 bewilligt worden waren. Die angegriffene Aufhebungsentscheidung stellt sich damit auch als hinreichend klares "Spiegelbild" zur entsprechenden Bewilligung dar (s. dazu Aubel, in: Schlegel/Voelzke/Radüge, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 40 Rn. 18 (1. Überarbeitung, Stand: 28. Februar 2017); BSG, Urteil vom 15. August 2002 – B 7 AL 66/01 R –, juris Rn. 15).
d) Der Aufhebungsteil des Bescheids ist auch im Übrigen materiell rechtmäßig. Der Beklagte hat die Aufhebung zutreffend auf § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften lagen vor. Der Beklagte hat die Unterhaltsleistungen des Vaters zu Recht gemäß § 11 SGB II als Einkommen der Klägerin im jeweiligen Zuflussmonat angerechnet. Auch der Höhe nach ist die Aufhebung nicht zu beanstanden. Der vorangegangenen Bewilligung hatten die zutreffenden Bedarfe zugrunde gelegen. Absetzbeträge nach § 11b SGB II waren nicht zu berücksichtigen. Dass der Beklagte für August 2011 nicht berücksichtigt hat, dass der Klägerin in diesem Monat nicht nur 100 EUR, sondern insgesamt 200 EUR an Unterhalt zugeflossen sind, wirkt sich ausschließlich zu ihren Gunsten aus und ist deshalb für die Anfechtungsklage unbeachtlich.
2. Soweit mit dem angegriffenen Bescheid eine Erstattungsforderung in Höhe von 400 EUR geltend gemacht wird, ist er dagegen im Laufe des Klageverfahrens rechtswidrig geworden.
a) Auch der Erstattungsteil des wirksam bekanntgegebenen Bescheids ist formell rechtmäßig. Hinsichtlich der Erstattungsforderung hätte es zwar einer vorherigen Anhörung bedurft (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 R –, juris Rn. 19 f.). Deren Fehlen ist aber im Laufe des Widerspruchsverfahrens geheilt worden; denn die Klägerin hatte dort aufgrund der Angaben im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ausreichend Gelegenheit, sich sachgerecht zu äußern; insoweit kann gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil verwiesen werden.
b) Der Bescheid ist zudem auch hinsichtlich der Erstattungsforderung hinreichend bestimmt (§ 33 SGB X). Insoweit ist es unschädlich, dass die Mutter der Klägerin in dem an sie adressierten Bescheid vom 15. November 2011 direkt angesprochen wird und es dort heißt, der Betrag sei von ihr zu erstatten. Wenige Zeilen später wird ausdrücklich klargestellt, dass es um eine gegen ihre Tochter bestehende Erstattungsforderung geht. Insgesamt ergibt sich aus dem Bescheid zweifelsfrei, dass die Forderung aus der Leistungsaufhebung gegenüber der Klägerin resultiert und sich in der Sache auch gegen diese richtet, und dass die Mutter lediglich als ihre gesetzliche Vertreterin angesprochen wird (vgl. zu einer solchen Konstellation BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., juris Rn. 33). Gleiches gilt für den Änderungsbescheid vom 30. Mai 2013.
c) Auch im Übrigen war die Erstattungsforderung ursprünglich materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 50 SGB X lagen vor.
d) Nunmehr steht der Erstattungsforderung aber die Beschränkung der Minderjährigenhaftung entsprechend § 1629a BGB entgegen. Nach Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 dieser Vorschrift beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht oder sonstige vertretungsberechtigte Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögen des Kindes. Diese gesetzgeberische Entscheidung beansprucht als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch im Bereich des SGB II entsprechende Geltung (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 43 f.; Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 12/14 R –, juris Rn. 13; Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 40/15 R –, juris Rn. 37). Die Haftungsbeschränkung ist auch bereits im Erkenntnis- und nicht erst im Vollstreckungsverfahren beachtlich (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 45 ff.; Urteil vom 18. November 2014, a.a.O., Rn. 14). Dies gilt auch, wenn die Volljährigkeit erst während des gerichtlichen Verfahrens und damit nach der letzten Verwaltungsentscheidung eintritt (dazu unter aa)). Die Klägerin, die die Haftungsbeschränkung ausdrücklich geltend gemacht hat, verfügte zu diesem Zeitpunkt über kein Vermögen im Sinne dieser Vorschrift (dazu unter bb)).
aa) Die Beschränkung der Minderjährigenhaftung ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids beachtlich, obwohl sie erst während des Klageverfahrens eingetreten ist.
(1) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, wie sich die entsprechende Anwendung von § 1629a BGB auswirkt, wenn gegen einen Minderjährigen ein (zunächst) rechtmäßiger Erstattungsbescheid ergeht und der Minderjährige dann im Laufe des anschließenden Klageverfahrens volljährig wird.
(a) Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat mit Blick auf eine nach Erlass eines Erstattungsbescheids eintretende Haftungsbeschränkung darauf hingewiesen, dass für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einer (isolierten) Anfechtungsklage grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich sei (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 48). Das hätte, wie es auch das Sozialgericht im angefochtenen Urteil angenommen hat, zur Folge, dass bei einem Volljährigwerden im Prozess die Haftungsbeschränkung aus § 1629a BGB nicht zu einer Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids führen würde (ebenso: Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. April 2013 – L 26 AS 1379/10 –, juris Rn. 46).
Allerdings setzt diese einfachgesetzliche Regelung des bürgerlichen Rechts unmittelbar ein verfassungsrechtliches Gebot aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) um. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt, dass dem Volljähriggewordenen Raum bleiben muss, um sein Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten, die er nicht selbst zu verantworten hat (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 13. Mai 1986 – 1 BvR 1542/84 –, BVerfGE 72, 155). Diese Vorgabe müsste, wenn sie nicht zur Aufhebung des Erstattungsbescheids im Anfechtungsprozess führt, auf andere Weise Berücksichtigung finden. Dazu werden verschiedene Ansätze vorgeschlagen.
(aa) Der 14. Senat des Bundessozialgerichts geht davon aus, dass der volljährig Gewordene gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X einen Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheides hat (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 47; ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. April 2013, a.a.O., Rn. 46; Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, § 50 Rn. 64 (Stand: August 2016)).
(bb) Teils wird angenommen, dass die Haftungsbeschränkung aus § 1629a BGB erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen sei (vgl. Verwaltungsgericht (VG) Hamburg, Urteil vom 14. Januar 2003 – 13 VG 4777/2001 –, juris Rn. 25; Hamdan, in: Herberger/Martinek/Rüßmann, jurisPK-BGB, Bd. 4, 8. Auflage 2017, § 1629a Rn. 33). Dort kann die Einrede durch formlose Erklärung gegenüber der Vollstreckungsbehörde geltend gemacht werden (vgl. Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 1. Juli 2003 – VIII R 45/01 –, juris Rn. 14).
(cc) Teils wird auch auf die Möglichkeit eines Erlasses nach § 44 SGB II hingewiesen (vgl. Aubel, in: Schlegel/Voelzke/Radüge, a.a.O., § 40 Rn. 27; für eine andere Konstellation auch BSG, Urteil vom 19. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 38).
(b) Der 5. Senat des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt folgt demgegenüber schon nicht der Prämisse, dass für die Beurteilung des Erstattungsbescheids im Hinblick auf § 1629a BGB maßgeblich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankommt, sondern geht erkennbar davon aus, dass auch ein Volljährigwerden im Anfechtungsprozess zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids und dessen Kassation führen kann (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. März 2017 – L 5 AS 261/15 –, juris Rn. 110; ebenso: Sozialgericht (SG) Berlin, Urteil vom 28. April 2014 – S 82 AS 36391/10 –, juris Rn. 54 f.).
(2) Dem schließt sich der erkennende Senat an. Die Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, entscheidet sich anhand des materiellen Rechts (vgl. BSG, Urteil vom 2. Mai 2012 – B 11 AL 18/11 R –, juris Rn. 26; Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R –, juris Rn. 19). Aus der Natur des Verwaltungsakts, der sich dadurch auszeichnet, dass er die Rechtslage für einen Einzelfall konkretisiert, und aus den allgemeinen Vorschriften über Aufhebung, Rücknahme und Widerruf eines Verwaltungsakts (§§ 44 ff. SGB X) wird hergeleitet, dass für die Rechtmäßigkeit eines eingreifenden Verwaltungsakts grds. der Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung maßgeblich ist und spätere Änderungen unbeachtlich sind (vgl. – jeweils zum allgemeinen Verwaltungsrecht – Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 113 Rn. 97; Gärditz/Orth, Jura 2013, 1100, 1104 f.). Von dieser "Faustformel" gibt es aber zahlreiche Ausnahmen, die den jeweiligen Besonderheiten des materiellen Rechts Rechnung tragen (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014, a.a.O., Rn. 19). Eine solche wird insbesondere für die rechtliche Überprüfung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung angenommen (vgl. BSG, Urteil vom 15. November 2016 – B 2 U 19/15 R –, juris Rn. 18 m.w.N.). Entscheidend für die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt ist letztlich das gesamte Normprogramm der Sachregelung; dabei sind sowohl die ausdrückliche fachgesetzliche Regelung als auch vorrangige Grundentscheidungen des Verfassungs- und Unionsrechts entscheidend (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 113 Rn. 96). Insbesondere die Grundrechte und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit können es gebieten, das materielle Recht dahingehend auszulegen, dass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen ist (vgl. Gärditz/Orth, a.a.O., S. 1107).
So liegt es hier. Auch wenn ein Erstattungsbescheid seiner Natur nach kein Dauerverwaltungsakt ist (vgl. BSG, Urteil vom 18. Januar 1961 – 11 RV 1016/60 –, juris Rn. 16), ist er in der vorliegenden Konstellation dennoch wie ein solcher zu behandeln. Davon geht auch der 14. Senat des Bundessozialgerichts aus, wenn er § 48 SGB X für anwendbar hält (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 47; für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift: Schütze, in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 50 Rn. 11a). Das bedeutet, dass für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Schluss der mündlichen Verhandlung abzustellen ist.
Das entspricht zum einen dem Wesen und der Funktion eines Erstattungsbescheids gemäß § 50 Abs. 3 SGB X; zum anderen wird auf diese Weise den zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG am effektivsten Rechnung getragen, ohne dass dadurch anderweitige schützenswerte Interessen beeinträchtigt würden.
Nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X ist die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die Sozialleistungsträger in die Lage versetzt, Rückforderungen selbst durch Verwaltungsakt zu betreiben, statt eine gerichtliche Klage erheben zu müssen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8 Auflage 2014, § 49a Rn. 34 – zu § 49a VwVfG). Die Leistungsträger können per Bescheid selbst die Grundlage für die Vollstreckung schaffen. Diese Funktion können die streitgegenständlichen Bescheide aber nicht mehr erfüllen. Eine weitere Beitreibung, insbesondere eine Vollstreckung der Erstattungsforderung scheidet aus den genannten Gründen schon mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG aus. Es ist also kein Grund dafür ersichtlich, warum ein (verfassungswidrig gewordener) Erstattungsbescheid gegenüber einem volljährig Gewordenen zunächst bestandskräftig werden sollte, bevor diesem die Möglichkeit gegeben werden soll, seine Haftungsbeschränkung, die zu diesem Zeitpunkt bereits "entscheidungsreif" wäre, geltend zu machen (so bereits BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 46).
Insbesondere wäre es widersprüchlich, einerseits den Eintritt der Haftungsbeschränkung als unerheblich für die Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheids zu bezeichnen und den Adressaten andererseits auf eine Aufhebung dieses Bescheids nach § 48 SGB X zu verweisen. Auch eine Verlagerung auf das Verfahren der Verwaltungsvollstreckung würde in der vorliegenden Konstellation zu einer nicht gerechtfertigten Schwächung des Grundrechtsschutzes führen. Das Bundessozialgericht weist insoweit überzeugend auf unnötige Kosten, Fragen der Praktikabilität und drohenden Zeitverlust hin (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 46).
Umgekehrt entsteht dem Leistungsträger aber kein Nachteil dadurch, dass der Eintritt der Haftungsbeschränkung bereits im Anfechtungsprozess berücksichtigt wird. Er kann kein legitimes Interesse daran haben, dass ein Verwaltungsakt als rechtmäßig bestätigt wird, dessen Vollstreckung Verfassungsrecht verletzen würde. Wenn der Erstattungsbescheid ursprünglich rechtmäßig war, kann der Leistungsträger eine Kostenentscheidung zu seinen Lasten dadurch vermeiden, dass er unverzüglich nach Änderung der Sach- und Rechtslage ein Anerkenntnis abgibt (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 193 Rn. 12c).
bb) Bei Eintritt in die Volljährigkeit verfügte die Klägerin über keinerlei berücksichtigungsfähiges Vermögen. Maßgeblich ist die Situation am 26. Juli 2015 um 0 Uhr. Die Klägerin lebte zu diesem Zeitpunkt nach wie vor im Haushalt ihrer Mutter und deren Partners, erzielte kein eigenes Einkommen aus Ausbildung oder Erwerbstätigkeit und stand im Leistungsbezug beim Beklagten. Sie besaß, wie sie und ihre als Zeugin gehörte Mutter glaubhaft erklärt haben, weder ein eigenes Konto noch Ersparnisse oder verwertbare Vermögensgegenstände.
Es ist zwar ungewöhnlich, dass eine Jugendliche in diesem Alter nicht einmal über einen kleineren Bargeldbetrag verfügt. Angesichts der beschränkten finanziellen Möglichkeiten der Familie, die ihren Lebensunterhalt von SGB II-Leistungen bestritt, erscheint es aber letztlich glaubhaft, dass die Mutter der Klägerin das gesamte Geld der Familie bei sich behielt und ihrer Tochter kein Taschengeld zahlte, sondern ihr für Anschaffungen und Freizeitaktivitäten lediglich jeweils zweckgebunden die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellte. Mutter und Tochter haben in der mündlichen Verhandlung überzeugend geschildert, dass die Mutter der Klägerin alle finanziellen Entscheidungen traf und den übrigen Familienmitgliedern nur jeweils nach Bedarf und Möglichkeiten Geld zuteilte. Die Klägerin akzeptierte dies augenscheinlich; in der mündlichen Verhandlung hat sie bekundet, sie finde es gut, wie ihre Mutter das gemacht habe.
Aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin und ihrer Mutter geht der Senat außerdem davon aus, dass die Klägerin beim Eintritt in die Volljährigkeit auch keine sonstigen verwertbaren Vermögensgegenstände besaß. Dabei sind schon nach Sinn und Zweck des § 1629a BGB solche Gegenstände außer Betracht zu lassen, die gemäß § 811 Zivilprozessordnung (ZPO) von einer Pfändung ausgenommen sind (vgl. Muscheler, WM 1998, 2271, 2286; Coester, in: Staudinger, BGB, § 1629a Rn. 56 (Neubearbeitung 2015); Huber, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 9, 7. Auflage 2017, § 1629a Rn. 41). Dies gilt insbesondere für die dem persönlichen Gebrauch oder dem Haushalt dienenden Sachen, soweit der Schuldner ihrer zu einer seiner Berufstätigkeit und seiner Verschuldung angemessenen, bescheidenen Lebens- und Haushaltsführung bedarf (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Deshalb sind etwa die Kleidungsstücke der Klägerin nicht zu berücksichtigen. Gleiches gilt für ihr Fahrrad, nach dem sie in der mündlichen Verhandlung gefragt worden ist und bei dem es sich nach ihren glaubhaften Angaben um ein einfaches, gebrauchtes Rad handelte. Der Tablet-Computer, den sie nach der Zeugenaussage ihrer Mutter zum 18. Geburtstag von der ganzen Familie geschenkt bekommen hat, gehört schon deshalb nicht zum Altvermögen i.S.v. § 1629a BGB, weil die Klägerin ihn erst an ihrem Geburtstag, also nach dem Eintritt in die Volljährigkeit erhalten hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Klage hinsichtlich der Aufhebung der Leistungsbewilligung keinen Erfolg hat, dass dies aber im Ergebnis deutlich geringes Gewicht hat als das Obsiegen hinsichtlich der Erstattungsforderung.
4. Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Die Frage, wie sich der Eintritt der Haftungsbeschränkung entsprechend § 1629a BGB nach Erlass des Widerspruchsbescheids auf ein laufendes Klageverfahren auswirkt, hat grundsätzliche Bedeutung.
Der Beklagte hat der Klägerin 3/4 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.
Die am ...1997 geborene Klägerin bezog als Teil einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter und deren Partner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II). Der Beklagte hatte ihnen zuletzt mit Bescheid vom 12. Mai 2011, geändert durch Bescheid vom 17. August 2011, Leistungen für die Zeit von Juni bis November 2011 bewilligt. Für August 2011 gewährte er der Klägerin Sozialgeld in Höhe 331,12 EUR, für September, Oktober und November 2011 jeweils in Höhe von 261,12 EUR. Dem lagen folgende Bedarfe zugrunde: 287 EUR pro Monat als Regelbedarf; 158,12 EUR pro Monat für Kosten der Unterkunft und Heizung (ein Drittel der tatsächlich anfallenden Kosten der Bedarfsgemeinschaft); für August 2011 außerdem 70 EUR als persönlicher Schulbedarf. Als Einkommen der Klägerin berücksichtigte der Beklagte das für sie geleistete Kindergeld in Höhe von 184 EUR pro Monat.
Am 30. August 2011 verpflichtete sich der Vater der Klägerin, der nicht Teil der Bedarfsgemeinschaft war, gegenüber dem Jugendamt, seiner Tochter rückwirkend ab 1. Juli 2011 Unterhaltsleistungen in Höhe von 100 EUR pro Monat zu zahlen. Die ersten beiden Zahlungen (für Juli und August 2011) leistete er am 31. August 2011.
Daraufhin erließ der Beklagte unter dem 15. November 2011 einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Dieser war adressiert an die Mutter der Klägerin. In dem Bescheid hieß es: "[D]ie Entscheidung vom 17. August 2011 über die Bewilligung von Leistungen [ ] wird vom 1. Juli 2011 bis 30. November 2011 für Ihr Kind [ ] teilweise in Höhe von 500,00 Euro aufgehoben [ ]. Die unten stehenden Beträge sind deshalb von Ihnen zu erstatten (§ 50 SGB X)." Es folgte eine Aufstellung, wonach für Juli bis November 2011 jeweils 100 EUR pro Monat zu erstatten seien. Weiter wurde ausgeführt: "Dieser Bescheid ergeht an Sie als gesetzlichen Vertreter Ihres Kindes." An anderer Stelle hieß es: "Die gegen Ihre Tochter bestehende Erstattungsforderung wird unter Berücksichtigung der o.g. Rechtsvorschrift in monatlichen Raten in Höhe von 28,70 Euro gegen die Ihrer Tochter zustehenden laufenden Leistungen ab Januar 2011 aufgerechnet. Sie brauchen den o.g. Betrag also nicht zu überweisen." Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 16. Dezember 2011 Widerspruch.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens änderte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 2013 den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid dahingehend ab, dass lediglich die Bewilligung für die Zeit von August bis November 2011 teilweise aufgehoben und dementsprechend nur eine Erstattungsforderung von insgesamt 400 EUR (jeweils 100 EUR für die Monate August bis November 2011) geltend gemacht wurde. Im Übrigen wies er den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2013 als unbegründet zurück.
Zur Begründung ihrer dagegen vor dem Sozialgericht erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht: Sie sei vor Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids nicht angehört worden. Außerdem sei der Bescheid zu unbestimmt. Da nur der Änderungsbescheid vom 17. August 2011, nicht aber der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 12. Mai 2011 aufgehoben worden sei, habe sie weiterhin einen Leistungsanspruch aus diesem Bescheid. Außerdem hat die Klägerin im Laufe des Klageverfahrens, nachdem sie das 18. Lebensjahr vollendet hatte, die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geltend gemacht. Bei Eintritt in die Volljährigkeit habe sie weder über Einkommen noch über Vermögen verfügt.
Mit Urteil vom 1. Oktober 2015 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Unterhaltszahlungen des Vaters seien als Einkommen auf den Bedarf der Klägerin anzurechnen. Damit habe sich ihr Leistungsanspruch ab August 2011 um 100 EUR pro Monat verringert Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X) i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (Arbeitsförderung – SGB III) hätten vorgelegen. Für die Wirksamkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids habe die Bekanntgabe an die Mutter als gesetzliche Vertreterin der seinerzeit noch minderjährigen Klägerin genügt. Der Bescheid sei auch nicht zu unbestimmt. Es sei klar und unzweideutig zu erkennen, inwieweit die Leistungsbewilligung aufgehoben werde. Dass der Beklagte den Ausgangsbescheid vom 12. Mai 2011 nicht genannt habe, sei unschädlich, weil der Änderungsbescheid vom 17. August 2011 diesen, soweit es den streitigen Zeitraum betreffe, vollständig ersetzt habe. Hinsichtlich der Aufhebung der Leistungsbewilligung sei eine vorherige Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X entbehrlich gewesen; hinsichtlich des Erstattungsteils des Bescheids sei die notwendige und zunächst fehlende Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden. Der Erstattungsforderung stehe nicht die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a BGB entgegen; denn entscheidend sei der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, mithin die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids. In diesem Zeitpunkt sei die Klägerin aber noch nicht volljährig gewesen. Inwieweit sie einen Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X habe, sei nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Die Berufung hat das Sozialgericht nicht zugelassen.
Auf Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 23. November 2015 die Berufung zugelassen.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin erklärt, dass sie zum Zeitpunkt ihres 18. Geburtstags über keine Wertgegenstände, Konten, Sparbücher, Lebens- oder Rentenversicherungen oder Ähnliches verfügt habe. Ein eigenes Konto habe sie nach wie vor nicht. Die SGB II-Leistungen und die Unterhaltszahlungen des Vaters seien auf ein Konto ihrer Mutter geflossen. Wenn sie Geld benötigt habe, um sich etwas zu kaufen oder etwas zu unternehmen, habe sie dies von ihrer Mutter bekommen. Taschengeld habe sie nicht erhalten. Kleidung und Schuhe habe sie gemeinsam mit ihrer Mutter eingekauft.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. Oktober 2015 sowie den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15. November 2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 30. Mai 2013 und in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. August 2013 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Bereits im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde hat der Beklagte darauf abgestellt, dass hier eine isolierte Anfechtungsklage vorliege. Es könne deshalb offen bleiben, ob die Klägerin wegen der Beschränkung der Minderjährigenhaftung einen Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheids nach § 48 SGB X habe. Allerdings beziehe sich § 48 SGB X nur auf Dauerverwaltungsakte, und das sei ein Erstattungsbescheid nicht. Der Klägerin stehe es frei, im Vollstreckungsverfahren Einwendungen vorzubringen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Klägerin persönlich zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zum Zeitpunkt des Volljährigwerdens angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung ihrer Mutter als Zeugin. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Gerichtsakte des Sozialgerichts und die Leistungsakte des Beklagten sind beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Senat zugelassene Berufung ist zum Teil begründet. Die zulässige Anfechtungsklage hat teilweise Erfolg.
1. Unbegründet ist die Berufung, soweit sie die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung betrifft. Insoweit hat das Sozialgericht die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen, weil der angegriffene Bescheid nicht nur wirksam, sondern hinsichtlich der Aufhebung auch formell und materiell rechtmäßig ist.
a) Der Bescheid ist der Klägerin mit Zugang bei ihrer Mutter als ihrer gesetzlichen Vertreterin bekannt gegeben (§ 37 SGB X) und damit wirksam geworden (§ 39 Abs. 1 SGB X, vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 R –, juris Rn. 25).
b) Vor der Aufhebung bedurfte es gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X keiner Anhörung, weil hier lediglich einkommensabhängige Leistungen an geänderte Verhältnisse angepasst worden sind (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 –, juris Rn. 21). Im Übrigen wäre eine fehlende Anhörung im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt worden.
c) Der Bescheid genügt auch dem Bestimmtheitsgebot des § 33 Abs. 1 SGB X. Der Beklagte hat deutlich herausgestellt, dass die Aufhebung gegenüber der Klägerin gelten sollte. Daran ändert es nichts, dass deren Mutter als gesetzliche Vertreterin direkt angesprochen wird bzw. im Widerspruchsbescheid als Widerspruchsführerin bezeichnet wird. Auch der Gegenstand der Aufhebung wird zweifelsfrei bezeichnet. Das Bestimmtheitsgebot verlangt insoweit, dass der Betroffene bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt wird, die im Bescheid getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 2013 – B 4 AS 59/12 R –, juris Rn. 16). Im Bescheid vom 15. November 2011 wird zwar lediglich der (Änderungs-)Bescheid vom 17. August 2011 als aufzuhebender Bescheid genannt; in der Gesamtschau kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass dadurch nicht der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 12. Mai 2011 wieder aufleben sollte. Vielmehr ergibt sich auch aus den Aussagen zum Umfang der Aufhebung eindeutig, dass der Klägerin für die Monate August bis November 2011 pro Monat 100 EUR weniger an Leistungen verbleiben sollten, als im Änderungsbescheid vom 17. August 2011 bewilligt worden waren. Die angegriffene Aufhebungsentscheidung stellt sich damit auch als hinreichend klares "Spiegelbild" zur entsprechenden Bewilligung dar (s. dazu Aubel, in: Schlegel/Voelzke/Radüge, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 40 Rn. 18 (1. Überarbeitung, Stand: 28. Februar 2017); BSG, Urteil vom 15. August 2002 – B 7 AL 66/01 R –, juris Rn. 15).
d) Der Aufhebungsteil des Bescheids ist auch im Übrigen materiell rechtmäßig. Der Beklagte hat die Aufhebung zutreffend auf § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften lagen vor. Der Beklagte hat die Unterhaltsleistungen des Vaters zu Recht gemäß § 11 SGB II als Einkommen der Klägerin im jeweiligen Zuflussmonat angerechnet. Auch der Höhe nach ist die Aufhebung nicht zu beanstanden. Der vorangegangenen Bewilligung hatten die zutreffenden Bedarfe zugrunde gelegen. Absetzbeträge nach § 11b SGB II waren nicht zu berücksichtigen. Dass der Beklagte für August 2011 nicht berücksichtigt hat, dass der Klägerin in diesem Monat nicht nur 100 EUR, sondern insgesamt 200 EUR an Unterhalt zugeflossen sind, wirkt sich ausschließlich zu ihren Gunsten aus und ist deshalb für die Anfechtungsklage unbeachtlich.
2. Soweit mit dem angegriffenen Bescheid eine Erstattungsforderung in Höhe von 400 EUR geltend gemacht wird, ist er dagegen im Laufe des Klageverfahrens rechtswidrig geworden.
a) Auch der Erstattungsteil des wirksam bekanntgegebenen Bescheids ist formell rechtmäßig. Hinsichtlich der Erstattungsforderung hätte es zwar einer vorherigen Anhörung bedurft (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 R –, juris Rn. 19 f.). Deren Fehlen ist aber im Laufe des Widerspruchsverfahrens geheilt worden; denn die Klägerin hatte dort aufgrund der Angaben im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ausreichend Gelegenheit, sich sachgerecht zu äußern; insoweit kann gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil verwiesen werden.
b) Der Bescheid ist zudem auch hinsichtlich der Erstattungsforderung hinreichend bestimmt (§ 33 SGB X). Insoweit ist es unschädlich, dass die Mutter der Klägerin in dem an sie adressierten Bescheid vom 15. November 2011 direkt angesprochen wird und es dort heißt, der Betrag sei von ihr zu erstatten. Wenige Zeilen später wird ausdrücklich klargestellt, dass es um eine gegen ihre Tochter bestehende Erstattungsforderung geht. Insgesamt ergibt sich aus dem Bescheid zweifelsfrei, dass die Forderung aus der Leistungsaufhebung gegenüber der Klägerin resultiert und sich in der Sache auch gegen diese richtet, und dass die Mutter lediglich als ihre gesetzliche Vertreterin angesprochen wird (vgl. zu einer solchen Konstellation BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., juris Rn. 33). Gleiches gilt für den Änderungsbescheid vom 30. Mai 2013.
c) Auch im Übrigen war die Erstattungsforderung ursprünglich materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 50 SGB X lagen vor.
d) Nunmehr steht der Erstattungsforderung aber die Beschränkung der Minderjährigenhaftung entsprechend § 1629a BGB entgegen. Nach Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 dieser Vorschrift beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht oder sonstige vertretungsberechtigte Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögen des Kindes. Diese gesetzgeberische Entscheidung beansprucht als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch im Bereich des SGB II entsprechende Geltung (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 43 f.; Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 12/14 R –, juris Rn. 13; Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 40/15 R –, juris Rn. 37). Die Haftungsbeschränkung ist auch bereits im Erkenntnis- und nicht erst im Vollstreckungsverfahren beachtlich (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 45 ff.; Urteil vom 18. November 2014, a.a.O., Rn. 14). Dies gilt auch, wenn die Volljährigkeit erst während des gerichtlichen Verfahrens und damit nach der letzten Verwaltungsentscheidung eintritt (dazu unter aa)). Die Klägerin, die die Haftungsbeschränkung ausdrücklich geltend gemacht hat, verfügte zu diesem Zeitpunkt über kein Vermögen im Sinne dieser Vorschrift (dazu unter bb)).
aa) Die Beschränkung der Minderjährigenhaftung ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids beachtlich, obwohl sie erst während des Klageverfahrens eingetreten ist.
(1) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, wie sich die entsprechende Anwendung von § 1629a BGB auswirkt, wenn gegen einen Minderjährigen ein (zunächst) rechtmäßiger Erstattungsbescheid ergeht und der Minderjährige dann im Laufe des anschließenden Klageverfahrens volljährig wird.
(a) Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat mit Blick auf eine nach Erlass eines Erstattungsbescheids eintretende Haftungsbeschränkung darauf hingewiesen, dass für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einer (isolierten) Anfechtungsklage grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich sei (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 48). Das hätte, wie es auch das Sozialgericht im angefochtenen Urteil angenommen hat, zur Folge, dass bei einem Volljährigwerden im Prozess die Haftungsbeschränkung aus § 1629a BGB nicht zu einer Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids führen würde (ebenso: Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. April 2013 – L 26 AS 1379/10 –, juris Rn. 46).
Allerdings setzt diese einfachgesetzliche Regelung des bürgerlichen Rechts unmittelbar ein verfassungsrechtliches Gebot aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) um. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt, dass dem Volljähriggewordenen Raum bleiben muss, um sein Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten, die er nicht selbst zu verantworten hat (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 13. Mai 1986 – 1 BvR 1542/84 –, BVerfGE 72, 155). Diese Vorgabe müsste, wenn sie nicht zur Aufhebung des Erstattungsbescheids im Anfechtungsprozess führt, auf andere Weise Berücksichtigung finden. Dazu werden verschiedene Ansätze vorgeschlagen.
(aa) Der 14. Senat des Bundessozialgerichts geht davon aus, dass der volljährig Gewordene gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X einen Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheides hat (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 47; ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. April 2013, a.a.O., Rn. 46; Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, § 50 Rn. 64 (Stand: August 2016)).
(bb) Teils wird angenommen, dass die Haftungsbeschränkung aus § 1629a BGB erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen sei (vgl. Verwaltungsgericht (VG) Hamburg, Urteil vom 14. Januar 2003 – 13 VG 4777/2001 –, juris Rn. 25; Hamdan, in: Herberger/Martinek/Rüßmann, jurisPK-BGB, Bd. 4, 8. Auflage 2017, § 1629a Rn. 33). Dort kann die Einrede durch formlose Erklärung gegenüber der Vollstreckungsbehörde geltend gemacht werden (vgl. Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 1. Juli 2003 – VIII R 45/01 –, juris Rn. 14).
(cc) Teils wird auch auf die Möglichkeit eines Erlasses nach § 44 SGB II hingewiesen (vgl. Aubel, in: Schlegel/Voelzke/Radüge, a.a.O., § 40 Rn. 27; für eine andere Konstellation auch BSG, Urteil vom 19. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 38).
(b) Der 5. Senat des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt folgt demgegenüber schon nicht der Prämisse, dass für die Beurteilung des Erstattungsbescheids im Hinblick auf § 1629a BGB maßgeblich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankommt, sondern geht erkennbar davon aus, dass auch ein Volljährigwerden im Anfechtungsprozess zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids und dessen Kassation führen kann (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. März 2017 – L 5 AS 261/15 –, juris Rn. 110; ebenso: Sozialgericht (SG) Berlin, Urteil vom 28. April 2014 – S 82 AS 36391/10 –, juris Rn. 54 f.).
(2) Dem schließt sich der erkennende Senat an. Die Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, entscheidet sich anhand des materiellen Rechts (vgl. BSG, Urteil vom 2. Mai 2012 – B 11 AL 18/11 R –, juris Rn. 26; Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R –, juris Rn. 19). Aus der Natur des Verwaltungsakts, der sich dadurch auszeichnet, dass er die Rechtslage für einen Einzelfall konkretisiert, und aus den allgemeinen Vorschriften über Aufhebung, Rücknahme und Widerruf eines Verwaltungsakts (§§ 44 ff. SGB X) wird hergeleitet, dass für die Rechtmäßigkeit eines eingreifenden Verwaltungsakts grds. der Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung maßgeblich ist und spätere Änderungen unbeachtlich sind (vgl. – jeweils zum allgemeinen Verwaltungsrecht – Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 113 Rn. 97; Gärditz/Orth, Jura 2013, 1100, 1104 f.). Von dieser "Faustformel" gibt es aber zahlreiche Ausnahmen, die den jeweiligen Besonderheiten des materiellen Rechts Rechnung tragen (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014, a.a.O., Rn. 19). Eine solche wird insbesondere für die rechtliche Überprüfung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung angenommen (vgl. BSG, Urteil vom 15. November 2016 – B 2 U 19/15 R –, juris Rn. 18 m.w.N.). Entscheidend für die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt ist letztlich das gesamte Normprogramm der Sachregelung; dabei sind sowohl die ausdrückliche fachgesetzliche Regelung als auch vorrangige Grundentscheidungen des Verfassungs- und Unionsrechts entscheidend (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 113 Rn. 96). Insbesondere die Grundrechte und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit können es gebieten, das materielle Recht dahingehend auszulegen, dass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen ist (vgl. Gärditz/Orth, a.a.O., S. 1107).
So liegt es hier. Auch wenn ein Erstattungsbescheid seiner Natur nach kein Dauerverwaltungsakt ist (vgl. BSG, Urteil vom 18. Januar 1961 – 11 RV 1016/60 –, juris Rn. 16), ist er in der vorliegenden Konstellation dennoch wie ein solcher zu behandeln. Davon geht auch der 14. Senat des Bundessozialgerichts aus, wenn er § 48 SGB X für anwendbar hält (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 47; für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift: Schütze, in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 50 Rn. 11a). Das bedeutet, dass für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Schluss der mündlichen Verhandlung abzustellen ist.
Das entspricht zum einen dem Wesen und der Funktion eines Erstattungsbescheids gemäß § 50 Abs. 3 SGB X; zum anderen wird auf diese Weise den zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG am effektivsten Rechnung getragen, ohne dass dadurch anderweitige schützenswerte Interessen beeinträchtigt würden.
Nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X ist die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die Sozialleistungsträger in die Lage versetzt, Rückforderungen selbst durch Verwaltungsakt zu betreiben, statt eine gerichtliche Klage erheben zu müssen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8 Auflage 2014, § 49a Rn. 34 – zu § 49a VwVfG). Die Leistungsträger können per Bescheid selbst die Grundlage für die Vollstreckung schaffen. Diese Funktion können die streitgegenständlichen Bescheide aber nicht mehr erfüllen. Eine weitere Beitreibung, insbesondere eine Vollstreckung der Erstattungsforderung scheidet aus den genannten Gründen schon mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG aus. Es ist also kein Grund dafür ersichtlich, warum ein (verfassungswidrig gewordener) Erstattungsbescheid gegenüber einem volljährig Gewordenen zunächst bestandskräftig werden sollte, bevor diesem die Möglichkeit gegeben werden soll, seine Haftungsbeschränkung, die zu diesem Zeitpunkt bereits "entscheidungsreif" wäre, geltend zu machen (so bereits BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 46).
Insbesondere wäre es widersprüchlich, einerseits den Eintritt der Haftungsbeschränkung als unerheblich für die Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheids zu bezeichnen und den Adressaten andererseits auf eine Aufhebung dieses Bescheids nach § 48 SGB X zu verweisen. Auch eine Verlagerung auf das Verfahren der Verwaltungsvollstreckung würde in der vorliegenden Konstellation zu einer nicht gerechtfertigten Schwächung des Grundrechtsschutzes führen. Das Bundessozialgericht weist insoweit überzeugend auf unnötige Kosten, Fragen der Praktikabilität und drohenden Zeitverlust hin (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., Rn. 46).
Umgekehrt entsteht dem Leistungsträger aber kein Nachteil dadurch, dass der Eintritt der Haftungsbeschränkung bereits im Anfechtungsprozess berücksichtigt wird. Er kann kein legitimes Interesse daran haben, dass ein Verwaltungsakt als rechtmäßig bestätigt wird, dessen Vollstreckung Verfassungsrecht verletzen würde. Wenn der Erstattungsbescheid ursprünglich rechtmäßig war, kann der Leistungsträger eine Kostenentscheidung zu seinen Lasten dadurch vermeiden, dass er unverzüglich nach Änderung der Sach- und Rechtslage ein Anerkenntnis abgibt (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 193 Rn. 12c).
bb) Bei Eintritt in die Volljährigkeit verfügte die Klägerin über keinerlei berücksichtigungsfähiges Vermögen. Maßgeblich ist die Situation am 26. Juli 2015 um 0 Uhr. Die Klägerin lebte zu diesem Zeitpunkt nach wie vor im Haushalt ihrer Mutter und deren Partners, erzielte kein eigenes Einkommen aus Ausbildung oder Erwerbstätigkeit und stand im Leistungsbezug beim Beklagten. Sie besaß, wie sie und ihre als Zeugin gehörte Mutter glaubhaft erklärt haben, weder ein eigenes Konto noch Ersparnisse oder verwertbare Vermögensgegenstände.
Es ist zwar ungewöhnlich, dass eine Jugendliche in diesem Alter nicht einmal über einen kleineren Bargeldbetrag verfügt. Angesichts der beschränkten finanziellen Möglichkeiten der Familie, die ihren Lebensunterhalt von SGB II-Leistungen bestritt, erscheint es aber letztlich glaubhaft, dass die Mutter der Klägerin das gesamte Geld der Familie bei sich behielt und ihrer Tochter kein Taschengeld zahlte, sondern ihr für Anschaffungen und Freizeitaktivitäten lediglich jeweils zweckgebunden die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellte. Mutter und Tochter haben in der mündlichen Verhandlung überzeugend geschildert, dass die Mutter der Klägerin alle finanziellen Entscheidungen traf und den übrigen Familienmitgliedern nur jeweils nach Bedarf und Möglichkeiten Geld zuteilte. Die Klägerin akzeptierte dies augenscheinlich; in der mündlichen Verhandlung hat sie bekundet, sie finde es gut, wie ihre Mutter das gemacht habe.
Aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin und ihrer Mutter geht der Senat außerdem davon aus, dass die Klägerin beim Eintritt in die Volljährigkeit auch keine sonstigen verwertbaren Vermögensgegenstände besaß. Dabei sind schon nach Sinn und Zweck des § 1629a BGB solche Gegenstände außer Betracht zu lassen, die gemäß § 811 Zivilprozessordnung (ZPO) von einer Pfändung ausgenommen sind (vgl. Muscheler, WM 1998, 2271, 2286; Coester, in: Staudinger, BGB, § 1629a Rn. 56 (Neubearbeitung 2015); Huber, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 9, 7. Auflage 2017, § 1629a Rn. 41). Dies gilt insbesondere für die dem persönlichen Gebrauch oder dem Haushalt dienenden Sachen, soweit der Schuldner ihrer zu einer seiner Berufstätigkeit und seiner Verschuldung angemessenen, bescheidenen Lebens- und Haushaltsführung bedarf (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Deshalb sind etwa die Kleidungsstücke der Klägerin nicht zu berücksichtigen. Gleiches gilt für ihr Fahrrad, nach dem sie in der mündlichen Verhandlung gefragt worden ist und bei dem es sich nach ihren glaubhaften Angaben um ein einfaches, gebrauchtes Rad handelte. Der Tablet-Computer, den sie nach der Zeugenaussage ihrer Mutter zum 18. Geburtstag von der ganzen Familie geschenkt bekommen hat, gehört schon deshalb nicht zum Altvermögen i.S.v. § 1629a BGB, weil die Klägerin ihn erst an ihrem Geburtstag, also nach dem Eintritt in die Volljährigkeit erhalten hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Klage hinsichtlich der Aufhebung der Leistungsbewilligung keinen Erfolg hat, dass dies aber im Ergebnis deutlich geringes Gewicht hat als das Obsiegen hinsichtlich der Erstattungsforderung.
4. Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Die Frage, wie sich der Eintritt der Haftungsbeschränkung entsprechend § 1629a BGB nach Erlass des Widerspruchsbescheids auf ein laufendes Klageverfahren auswirkt, hat grundsätzliche Bedeutung.
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