Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 80/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 70/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 20. März 2014 und der Bescheid der Beklagten vom 27. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2012 aufgehoben und die polizeilichen Maßnahmen vom 7. Januar 2012 als Arbeitsunfall festgestellt.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob ein Ereignis als Arbeitsunfall festzustellen ist.
Die 1973 geborene Klägerin ist bei der D. AG beschäftigt. Am 7. Januar 2012, einem Samstag, verrichtete die Klägerin zusammen mit ihrem Kollegen F. ihren Dienst von 14.00 Uhr bis 22.30 Uhr am Service-Point des Fernbahnhofs am E-Stadter G. Der Mitarbeiter F., der für die örtliche Bahnsteigaufsicht zuständig war, übergab um ca. 15.00 Uhr der Klägerin einen Rucksack. Der Rucksack wurde von der Klägerin als Fundsache nach den entsprechenden Richtlinien behandelt. Im Beisein des Kollegen F. wurde der Rucksack geöffnet und dessen Inhalt dokumentiert. Gegen 15.30 Uhr erschienen zwei Beamte der Bundespolizei am Service-Point und fragten nach dem Rucksack. Nachdem ein Beamter den Rucksack in Augenschein genommen und per Funk Kontakt mit der Bundespolizeiinspektion am G. aufgenommen hatte, stellte er das Fehlen von Geld (500,00 Euro und 15.000 Rubel) und Schmuck fest. Er verlangte von der Klägerin die Herausgabe des Rucksackes, woraufhin die Klägerin dem Beamten den Rucksack gegen Unterschrift aushändigte. Nach ca. 30 Minuten kehrte der Beamte zurück und teilte der Klägerin mit, aus der Fundsache fehle auch eine Festplatte. Der Kollege F. wurde um 18.30 Uhr von Bundespolizeibeamten aufgefordert, sie unter Mitnahme seiner persönlichen Sachen zum Revier zu begleiten. Der Kollege F. kehrte nach ca. 15 Minuten zurück. Wenig später - gegen 19.00 Uhr - wurde die Klägerin von zwei Beamtinnen der Bundespolizei abgeholt und ebenfalls aufgefordert, ihre persönlichen Sachen, Mantel und Tasche mitzunehmen. Laut polizeilichem Protokoll durchsuchten die Beamtinnen von 19.10 Uhr bis 19.25 Uhr die von der Klägerin mitgeführten Sachen, die Klägerin selbst musste sich entkleiden und einer Leibesvisitation unterziehen. Die Klägerin trat am Sonntag, dem 8. Januar 2012, ihren Dienst wieder an. Ab Montag, dem 16. Januar 2012 wurde sie krankgeschrieben. In ihrer Patientenkartei wird hierzu ausgeführt: "Steht unter psychischem Druck, da sie bei der D. wegen einer Fundsache mit Bundespolizei Probleme bekommen hat, sie steht jetzt wohl fast unter Verdacht, Geld entwendet zu haben. Ist bis auf die Unterhose gefilzt worden. Bundespolizei ermittelt weiter gegen sie. Jetzt Schlafstörungen, ist massiv belastet, Unruhe, hat wieder angefangen zu rauchen, fühlt sich verfolgt". Vom 14. März 2012 bis 18. April 2012 erfolgte eine stationäre Behandlung der Klägerin im Klinikzentrum Mühlengrund in Bad Wildungen. Es wurde eine "akute Belastungsreaktion" diagnostiziert und unter anderem zur Krankheitsvorgeschichte ausgeführt: "Frau A. arbeitet beim Service der D. am E-Stadter G. Auslöser für ihre aktuellen Beschwerden war eine in Augenscheinnahme am 7.1.2012. Hier wurde die Patientin, wie sich im Nachhinein herausstellte, völlig ungerechtfertigt genötigt, sich komplett zu entkleiden und vollständig kontrollieren zu lassen. Seit diesem Zeitpunkt zog Frau A. sich immer mehr in sich zurück und verlor vollkommen ihr Vertrauen in sich selbst und die Außenwelt. Seither ist die Patientin arbeitsunfähig geschrieben". Mit einem am 23. April 2012 eingegangenen Schreiben machte die Klägerin das Ereignis bei der Beklagten als Arbeitsunfall geltend.
Mit Bescheid vom 27. April 2012 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe sich am 7. Januar 2012 im Rahmen ihrer Tätigkeit polizeilichen Ermittlungen bzw. Untersuchungen unterziehen müssen. Ein eigentliches Unfallereignis im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung liege nicht vor. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2012 zurück. Durch die Aufforderung, sich einer polizeilichen Kontrolle zu unterziehen, sei der Versicherungsschutz rechtlich wesentlich durch eine private Verrichtung unterbrochen worden. Die Handlungstendenz der Klägerin sei im Moment des Mitgehens zur Kontrolle nicht auf eine betriebsdienliche Tätigkeit gerichtet gewesen, sondern habe wesentlich der Verfolgung eigener Angelegenheiten, nämlich der Verpflichtung zur Feststellung, ob sie sich einer Straftat schuldig gemacht habe, gedient. Als sich die Klägerin einer polizeilichen Untersuchung unterzogen habe, sei sowohl nach den objektiven Gesamtumständen als auch nach der subjektiven Handlungstendenz deutlich zum Ausdruck gekommen, dass wesentliche betriebliche Interessen nicht mehr ihr Verhalten bestimmt hätten.
Die Klägerin hat hiergegen am 20. August 2012 beim Sozialgericht Fulda (Sozialgericht) Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat im Rahmen der Amtsermittlung bei den die Klägerin behandelnden Ärzten Befundberichte eingeholt sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis und die Akte eines Schwerbehindertenrechtsstreits (Az.: S 6 SB 100/09) beigezogen. Außerdem hat es von Amts wegen von dem Arzt für psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse und Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Dr. H., ein Gutachten vom 7. Juli 2013 eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten ausgeführt, die Leibesvisitation habe in dem Erleben der Klägerin nachvollziehbar einen kränkenden Charakter, da ihre Integrität infrage gestellt werde und die Untersuchung mit Gefühlen von Ausgeliefertsein, Hilflosigkeit und Ohnmacht einhergegangen sei. Bei der Klägerin sei eine emotionale Symptomatik aus Angst, Anspannung, Ärger und Reizbarkeit in Verbindung mit der beruflichen Situation festzustellen, während sie sich im privaten Umfeld beschwerdefrei fühle. Die sich entwickelnde psychopathologische Symptomatik habe zunächst die Kriterien einer Anpassungsstörung mit Beeinträchtigung von Gefühlen erfüllt, wobei sich die Symptome im Verlauf soweit zurückgebildet hätten, dass die Klägerin wieder ihre Berufstätigkeit habe aufnehmen können. Es sei nicht von einer akuten Belastungsreaktion auszugehen, welche an die Bedingungen geknüpft sei, dass es sich um eine außergewöhnliche Belastung im Sinne eines überwältigenden traumatischen Ereignisses mit ernsthafter Bedrohung gehandelt habe. Das Ereignis sei an sich nicht geeignet, eine Anpassungsstörung auszulösen. Bei der Inaugenscheinnahme habe es sich um eine nachvollziehbar belastende Situation gehandelt. Jedoch habe objektiv keine akute Bedrohungssituation bestanden. Wenn man von einer mittlerweile abgeklungenen Anpassungsstörung ausgehe, dann sei diese nur vor dem Hintergrund einer erhöhten Vulnerabilität verständlich. Unter stabilen Lebensbedingungen bleibe die Klägerin durchaus noch kompensiert, vulnerabel zeige sie sich bei Belastungen. Gehe man von einem Arbeitsunfall aus, so habe die sich im Anschluss entwickelnde psychopathologische Symptomatik zunächst die Kriterien einer Anpassungsstörung mit Beeinträchtigungen von Gefühlen (F 43.23) erfüllt, wobei sich die Symptome im Verlauf soweit zurückgebildet hätten, dass die Klägerin auch in der Lage gewesen sei, ihre Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Zusammenfassend ergebe sich die Konstellation eines weniger schweren äußeren Ereignisses bei vorbestehender Schadensanlage, wobei die spezifische Qualität des Ereignisses ein individuelles Belastungsmuster treffe und aktualisiere. Dies führe zur Bejahung der Zusammenhangsfrage. Aus der Vorgeschichte sei nicht zu entnehmen, dass die Schadensanlage so stark ausgeprägt und so leicht ansprechbar gewesen sei, als dass die Anpassungsstörung auch durch andere, alltäglich vorkommende und austauschbare Einwirkungen eingetreten wäre. Die weitgehend abgeklungene Anpassungsstörung sei bis zur erfolgreichen beruflichen Wiedereingliederung der Klägerin mit 20 vom Hundert zu bewerten.
Die Beklagte hat das Gutachten des Dr. H. ihrem Beratungsarzt, dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. J., vorgelegt. Dieser hat in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 23. Juli 2013 ausgeführt, das vorgelegte Gutachten sei in seinen Darlegungen schlüssig und nachvollziehbar. Es sei von vorneherein klar, dass die psychische Reaktion nur unter Berücksichtigung konkurrierender Kausalitäten zu verstehen sei. Hierzu mache der Gutachter insgesamt nachvollziehbare Ausführungen, die auch der allgemeinen medizinischen Erfahrung entsprächen. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Primärpersönlichkeit als sehr vulnerabel anzusehen. Durch das zur Debatte stehende Ereignis im Sinne einer wesentlichen Mitbedingung habe sich eine ängstlich depressiv gefärbte Anpassungsstörung entwickelt, aus der Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit resultiert seien. Das Ereignis selbst habe außerhalb der Alltäglichkeit gelegen. Eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) werde auch am Ende der Arbeitsunfähigkeit (AU) verneint.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 20. März 2014 die Klage abgewiesen und in den Gründen ausgeführt, die Klägerin habe zwar nach dem Ereignis vom 7. Januar 2012 eine mittlerweile abgeklungene Anpassungsstörung erlitten, diese sei aber nicht als Folge eines Arbeitsunfalls aufzufassen. Die Arbeitsschicht der Klägerin am 7. Januar 2012 sei rechtlich wesentlich durch eine private Verrichtung in Form der Leibesvisitation durch die Beamtinnen der Bundespolizei unterbrochen worden. Denn die Handlungstendenz der Klägerin sei im Moment des Mitkommens auf die Wache der Bundespolizei nicht auf eine betriebsdienliche Tätigkeit gerichtet gewesen. Im Wesentlichen habe das Mitkommen und das Zulassen der Leibesvisitation den eigenen Angelegenheiten der Klägerin gedient. Sie sei untersucht worden, da sie im Verdacht gestanden habe, mit dem Abhandenkommen von Geld, Schmuck und der Festplatte im Rucksack etwas zu tun gehabt zu haben. Die Beamten der Bundespolizei hätten mit der Einwilligung der Klägerin ihre Sachen durchsucht. Entscheidend sei, dass die Klägerin immer als Tatverdächtige behandelt worden sei, ebenso wie ihre beiden Kollegen. Insofern habe auch allein die Abwehr des Verdachtes einer Straftat im Vordergrund des Handelns der Klägerin gestanden. Betriebliche Interessen hätten zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr gespielt. Die Einwände der Klägerin, sie sei während ihrer Arbeitszeit bei Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit von der Bundespolizei mitgenommen worden, führe zu keiner anderen Beurteilung. Allein der zeitliche und sachliche Zusammenhang sei nicht ausreichend. Denn die Klägerin habe die Untersuchung einzig und allein zur Abwehr des Verdachtes einer Straftat über sich ergehen lassen. Sowohl nach den objektiven Gesamtumständen als auch nach der subjektiven Handlungstendenz hätten nicht mehr wesentliche betriebliche Interessen das Verhalten der Klägerin bestimmt. All diese Handlungen und die damit verbundenen Umstände hätten nichts mit den Aufgaben im Service-Bereich des Mitgliedsunternehmens der Beklagten zu tun. Eine fremdwirtschaftliche Zweckbestimmung für das Mitgliedsunternehmen der Beklagten habe nicht vorgelegen, da es allein um die Suche nach den aus dem Rucksack verschwundenen Sachen gegangen sei. Die Klägerin habe eigenwirtschaftlich gehandelt, da es weder objektiv noch subjektiv betriebsdienlich gewesen sei, sich der Leibesvisitation zu unterziehen. Denn es liege weder eine entsprechende arbeitsvertragliche Pflicht noch eine Nebenpflicht oder eine Weisung des Arbeitgebers vor.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 26. März 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8. April 2014 beim Sozialgericht Berufung eingelegt.
Auf den Hinweis des Senats, das Ereignis vom 7. Januar 2012 sei als Arbeitsunfall festzustellen, weil allein das Ausüben der beruflichen Tätigkeit Anlass zu den polizeilichen Maßnahmen gegeben habe, hat die Beklagte ausgeführt: Anlass für die in Augenscheinnahme und die Leibesvisitation sei nicht die versicherte Tätigkeit der Klägerin beim Service der D. AG gewesen, sondern nach dem aktenkundigen Protokoll vom 7. Januar 2012 sowohl eine Gefahrenabwehr als auch ggf. das Auffinden von Beweismitteln/Diebesgut gemäß §§ 43, 44 Bundespolizeigesetz (BPolG). Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Ereignisses ganz überwiegend eigene Interessen verfolgt, nämlich die Feststellung, ob sie sich einer Straftat schuldig gemacht habe. Mit der Aufforderung, sich der polizeilichen Kontrolle zu unterziehen, sei während der Arbeitsschicht der Klägerin am 7. Januar 2012 von 14.00 Uhr bis 22.30 Uhr der Versicherungsschutz rechtlich wesentlich durch eine private Verrichtung unterbrochen worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 20. März 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 27. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2012 aufzuheben und die polizeilichen Maßnahmen vom 7. Januar 2012 als Arbeitsunfall festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte des Sozialgerichts Fulda S 6 SB 100/09, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Auf die zulässige Berufung der Beklagten sind das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben, denn die Klägerin hat am 7. Januar 2012 einen Arbeitsunfall erlitten.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 27. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2017, mit dem die Beklagte die Feststellung eines Arbeitsunfalls abgelehnt hat. Ob die Klägerin wegen des Arbeitsunfalls Ansprüche auf Leistungen hat, ist nicht zu entscheiden, weil diesbezüglich noch keine Verwaltungsentscheidung ergangen ist.
Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit. Unfälle sind im § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII als zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse definiert, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Der Tatbestand des Arbeitsunfalls setzt somit neben der versicherten Tätigkeit ein schädigendes Ereignis sowie einen Gesundheitsschaden bzw. Gesundheitserstschaden voraus. Diese Voraussetzungen müssen im Vollbeweis nachgewiesen werden, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (§ 128 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und zudem durch einen Ursachenzusammenhang verbunden seien. Für die Kausalitätsfeststellung zwischen der versicherten Tätigkeit und dem schädigenden Ereignis (Unfallkausalität) sowie zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) gilt der gegenüber dem Vollbeweis geringere Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit bzw. hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernsthafte Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - juris).
Die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls sind hier nachgewiesen.
Der Unfallbegriff erfordert nach Abs. 1 Satz 2 ein "von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis". Als Einwirkung ist die durch einen äußeren Vorgang ausgelöste Änderung des physiologischen Körperzustandes zu verstehen, die von dem Gesundheitserstschaden zu unterscheiden ist. Mit dem Erfordernis wird zum Ausdruck gebracht, dass ein allein aus innerer Ursache (aus dem Menschen selbst) kommendes Geschehen nicht als Unfall anzusehen ist. Das Tatbestandsmerkmal "zeitlich begrenzt" ist in Abs. 1 Satz 2 nicht näher bestimmt. Nach herrschender Meinung muss die Einwirkung höchstens innerhalb einer Arbeitsschicht erfolgt sein (Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 8 Rdnrn. 11 und 12). Der durch die Einwirkung von außen verursachte Gesundheitserstschaden umfasst jedes Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen oder psychischen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands, auch ohne damit verbundene Schmerzen. Ein besonderer Ausprägungsgrad des Gesundheitserstschadens ist nicht erforderlich. Anders als in der Krankenversicherung muss er nicht zu einer Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit geführt haben (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., 1.4.2, S. 11).
"Unfallereignis" sind im vorliegenden Fall die die Klägerin unmittelbar betreffenden polizeilichen Maßnahmen insgesamt, so das Abführen zur Wache, die Durchsuchung der persönlichen Gegenstände der Klägerin und die Leibesvisitation. Auslöser und Ursache dieser polizeilichen Maßnahmen war allein die berufliche Tätigkeit der Klägerin, die die Klägerin ordnungsgemäß den dienstlichen Vorschriften entsprechend ausgeübt hat. Privat veranlasste Handlungen der Klägerin, die Anlass zu den polizeilichen Maßnahmen hätten geben können, gab es zweifellos nicht. Die berufliche Tätigkeit der Klägerin war folglich ursächlich für das von außen auf den Körper der Klägerin einwirkende Ereignis, die polizeilichen Maßnahmen. Sie standen in einem inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Klägerin.
Der Auffassung, die Klägerin habe ihre berufliche versicherte Tätigkeit durch eine private Verrichtung unterbrochen, als sie zur Wache mitgekommen und die Leibesvisitation sowie die Durchsuchung ihrer Sachen zugelassen habe, kann sich der Senat nicht anschließen. Unterbrochen wurde die berufliche Tätigkeit der Klägerin durch eine Einwirkung von außen, nämlich die polizeilichen Maßnahmen, die zunächst die polizeiliche Aufforderung beinhalteten, den Arbeitsplatz zu verlassen und sich in Begleitung der Beamtinnen zur Wache zu begeben, um dort die Durchsuchung der Person und von deren Sachen vorzunehmen. Aufgrund der §§ 43 Abs. 1 Ziffer 2 und 44 Abs. 1 Ziffer 1 BPolG sind Bundespolizeibeamte befugt, eine Person und die von ihr mitgeführten Sachen zu durchsuchen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen. Nach § 43 Abs. 5 BPolG kann eine Person festgehalten und zur Dienststelle mitgenommen werden, wenn die Durchsuchung auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten durchgeführt werden kann. Der Umstand, dass die Klägerin sich der Aufforderung der Beamtinnen, sie zur Wache zu begleiten, nicht widersetzte, kann nicht die Annahme rechtfertigen, die Klägerin habe sich entschieden, ihre betriebliche Tätigkeit für eine "private Verrichtung" zu unterbrechen. Der Klägerin kann auch nicht der Versicherungsschutz mit dem Argument versagt werden, die polizeilichen Maßnahmen hätten allein und überwiegend dem Interesse der Klägerin gedient, den Verdacht, eine Straftat begangen zu haben, abzuwehren. Denn entscheidend ist, ob die polizeilichen Maßnahmen in einem Kausalzusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Klägerin standen oder privat veranlasste Handlungen der Klägerin diese Maßnahmen verursacht haben. Im Übrigen liegt die Feststellung, ob ein Mitarbeiter die betriebliche Tätigkeit genutzt hat, um eine Straftat zu begehen, auch im Interesse des Arbeitgebers. Dies gilt umso mehr, wenn ein Arbeitnehmer verdächtigt wird, Gegenstände entwendet zu haben, die sich – wie hier – in dienstlicher Verwahrung befunden haben. Die polizeilichen Maßnahmen und deren Duldung durch die Klägerin diente deshalb objektiv auch wesentlich betrieblichen Interessen. Die polizeilichen Maßnahmen haben bei der Klägerin nach dem Gutachten des Dr. H. unmittelbar zu Gefühlen des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit und Ohnmacht geführt, so dass ein Gesundheitserstschaden in Folge des Ereignisses ebenfalls gegeben ist.
Der vorliegende Fall ist nicht vergleichbar mit den Sachverhalten, wie sie Entscheidungen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. März 2007 – L 1 U 5087/06 – und des Sozialgerichts Darmstadt vom 29. Januar 2016 – S 3 U 182/13 – (bestätigt durch Urteil des HLSG vom 7. Oktober 2016 – L 9 U 121/16) zu Grunde gelegen haben.
Das LSG Baden-Württemberg hat entschieden, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung rechtlich wesentlich unterbrochen werde, wenn der Versicherte auf einem grundsätzlich versicherten Weg nach einer Atemalkoholkontrolle (Atemalkohol 1,66 Promille) von Polizeibeamten aufgefordert werde, zur Blutentnahme auf die nächstgelegene Polizeidienststelle mitzukommen. Die Handlungstendenz des Versicherten sei im Moment des Aussteigens aus seinem Fahrzeug nicht auf eine betriebsdienliche Tätigkeit gerichtet gewesen, sondern habe wesentlich der Verfolgung eigener Angelegenheiten gedient, nämlich seiner Verpflichtung, sich zur Feststellung, ob er sich der Trunkenheit im Straßenverkehr schuldig gemacht hatte, einer Blutentnahme zu unterziehen.
Das Sozialgericht Darmstadt hat entschieden, dass der Versicherte seinen versicherten Heimweg rechtlich wesentlich durch eine private Verrichtung unterbrochen habe, als er sich im Rahmen der polizeilichen Personenkontrolle geweigert habe, seine Personalien bekannt zu geben und sich durch seinen Bundespersonalausweis auszuweisen. Seine Handlungstendenz sei dabei nicht auf eine betriebsdienliche Tätigkeit gerichtet gewesen, sondern habe wesentlich der Verfolgung eigener Angelegenheiten, nämlich sich der Identitätsfeststellung durch die Polizeibeamten zu entziehen, gedient. Dies sei weder objektiv noch subjektiv betriebsdienlich gewesen.
Wesentlich ursächlich für die polizeilichen Maßnahmen beim ersten Fall war das Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss und im zweiten Fall die Weigerung des Versicherten, sich einer Identitätskontrolle zu unterziehen. Die Ausübung der betrieblichen Tätigkeit war in diesen Fällen nicht Grund und Ursache für die polizeilichen Kontrollmaßnahmen, vielmehr waren dies privat veranlasste Handlungen des Versicherten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, die Nichtzulassung der Revision aus § 160 SGG.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob ein Ereignis als Arbeitsunfall festzustellen ist.
Die 1973 geborene Klägerin ist bei der D. AG beschäftigt. Am 7. Januar 2012, einem Samstag, verrichtete die Klägerin zusammen mit ihrem Kollegen F. ihren Dienst von 14.00 Uhr bis 22.30 Uhr am Service-Point des Fernbahnhofs am E-Stadter G. Der Mitarbeiter F., der für die örtliche Bahnsteigaufsicht zuständig war, übergab um ca. 15.00 Uhr der Klägerin einen Rucksack. Der Rucksack wurde von der Klägerin als Fundsache nach den entsprechenden Richtlinien behandelt. Im Beisein des Kollegen F. wurde der Rucksack geöffnet und dessen Inhalt dokumentiert. Gegen 15.30 Uhr erschienen zwei Beamte der Bundespolizei am Service-Point und fragten nach dem Rucksack. Nachdem ein Beamter den Rucksack in Augenschein genommen und per Funk Kontakt mit der Bundespolizeiinspektion am G. aufgenommen hatte, stellte er das Fehlen von Geld (500,00 Euro und 15.000 Rubel) und Schmuck fest. Er verlangte von der Klägerin die Herausgabe des Rucksackes, woraufhin die Klägerin dem Beamten den Rucksack gegen Unterschrift aushändigte. Nach ca. 30 Minuten kehrte der Beamte zurück und teilte der Klägerin mit, aus der Fundsache fehle auch eine Festplatte. Der Kollege F. wurde um 18.30 Uhr von Bundespolizeibeamten aufgefordert, sie unter Mitnahme seiner persönlichen Sachen zum Revier zu begleiten. Der Kollege F. kehrte nach ca. 15 Minuten zurück. Wenig später - gegen 19.00 Uhr - wurde die Klägerin von zwei Beamtinnen der Bundespolizei abgeholt und ebenfalls aufgefordert, ihre persönlichen Sachen, Mantel und Tasche mitzunehmen. Laut polizeilichem Protokoll durchsuchten die Beamtinnen von 19.10 Uhr bis 19.25 Uhr die von der Klägerin mitgeführten Sachen, die Klägerin selbst musste sich entkleiden und einer Leibesvisitation unterziehen. Die Klägerin trat am Sonntag, dem 8. Januar 2012, ihren Dienst wieder an. Ab Montag, dem 16. Januar 2012 wurde sie krankgeschrieben. In ihrer Patientenkartei wird hierzu ausgeführt: "Steht unter psychischem Druck, da sie bei der D. wegen einer Fundsache mit Bundespolizei Probleme bekommen hat, sie steht jetzt wohl fast unter Verdacht, Geld entwendet zu haben. Ist bis auf die Unterhose gefilzt worden. Bundespolizei ermittelt weiter gegen sie. Jetzt Schlafstörungen, ist massiv belastet, Unruhe, hat wieder angefangen zu rauchen, fühlt sich verfolgt". Vom 14. März 2012 bis 18. April 2012 erfolgte eine stationäre Behandlung der Klägerin im Klinikzentrum Mühlengrund in Bad Wildungen. Es wurde eine "akute Belastungsreaktion" diagnostiziert und unter anderem zur Krankheitsvorgeschichte ausgeführt: "Frau A. arbeitet beim Service der D. am E-Stadter G. Auslöser für ihre aktuellen Beschwerden war eine in Augenscheinnahme am 7.1.2012. Hier wurde die Patientin, wie sich im Nachhinein herausstellte, völlig ungerechtfertigt genötigt, sich komplett zu entkleiden und vollständig kontrollieren zu lassen. Seit diesem Zeitpunkt zog Frau A. sich immer mehr in sich zurück und verlor vollkommen ihr Vertrauen in sich selbst und die Außenwelt. Seither ist die Patientin arbeitsunfähig geschrieben". Mit einem am 23. April 2012 eingegangenen Schreiben machte die Klägerin das Ereignis bei der Beklagten als Arbeitsunfall geltend.
Mit Bescheid vom 27. April 2012 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe sich am 7. Januar 2012 im Rahmen ihrer Tätigkeit polizeilichen Ermittlungen bzw. Untersuchungen unterziehen müssen. Ein eigentliches Unfallereignis im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung liege nicht vor. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2012 zurück. Durch die Aufforderung, sich einer polizeilichen Kontrolle zu unterziehen, sei der Versicherungsschutz rechtlich wesentlich durch eine private Verrichtung unterbrochen worden. Die Handlungstendenz der Klägerin sei im Moment des Mitgehens zur Kontrolle nicht auf eine betriebsdienliche Tätigkeit gerichtet gewesen, sondern habe wesentlich der Verfolgung eigener Angelegenheiten, nämlich der Verpflichtung zur Feststellung, ob sie sich einer Straftat schuldig gemacht habe, gedient. Als sich die Klägerin einer polizeilichen Untersuchung unterzogen habe, sei sowohl nach den objektiven Gesamtumständen als auch nach der subjektiven Handlungstendenz deutlich zum Ausdruck gekommen, dass wesentliche betriebliche Interessen nicht mehr ihr Verhalten bestimmt hätten.
Die Klägerin hat hiergegen am 20. August 2012 beim Sozialgericht Fulda (Sozialgericht) Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat im Rahmen der Amtsermittlung bei den die Klägerin behandelnden Ärzten Befundberichte eingeholt sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis und die Akte eines Schwerbehindertenrechtsstreits (Az.: S 6 SB 100/09) beigezogen. Außerdem hat es von Amts wegen von dem Arzt für psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse und Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Dr. H., ein Gutachten vom 7. Juli 2013 eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten ausgeführt, die Leibesvisitation habe in dem Erleben der Klägerin nachvollziehbar einen kränkenden Charakter, da ihre Integrität infrage gestellt werde und die Untersuchung mit Gefühlen von Ausgeliefertsein, Hilflosigkeit und Ohnmacht einhergegangen sei. Bei der Klägerin sei eine emotionale Symptomatik aus Angst, Anspannung, Ärger und Reizbarkeit in Verbindung mit der beruflichen Situation festzustellen, während sie sich im privaten Umfeld beschwerdefrei fühle. Die sich entwickelnde psychopathologische Symptomatik habe zunächst die Kriterien einer Anpassungsstörung mit Beeinträchtigung von Gefühlen erfüllt, wobei sich die Symptome im Verlauf soweit zurückgebildet hätten, dass die Klägerin wieder ihre Berufstätigkeit habe aufnehmen können. Es sei nicht von einer akuten Belastungsreaktion auszugehen, welche an die Bedingungen geknüpft sei, dass es sich um eine außergewöhnliche Belastung im Sinne eines überwältigenden traumatischen Ereignisses mit ernsthafter Bedrohung gehandelt habe. Das Ereignis sei an sich nicht geeignet, eine Anpassungsstörung auszulösen. Bei der Inaugenscheinnahme habe es sich um eine nachvollziehbar belastende Situation gehandelt. Jedoch habe objektiv keine akute Bedrohungssituation bestanden. Wenn man von einer mittlerweile abgeklungenen Anpassungsstörung ausgehe, dann sei diese nur vor dem Hintergrund einer erhöhten Vulnerabilität verständlich. Unter stabilen Lebensbedingungen bleibe die Klägerin durchaus noch kompensiert, vulnerabel zeige sie sich bei Belastungen. Gehe man von einem Arbeitsunfall aus, so habe die sich im Anschluss entwickelnde psychopathologische Symptomatik zunächst die Kriterien einer Anpassungsstörung mit Beeinträchtigungen von Gefühlen (F 43.23) erfüllt, wobei sich die Symptome im Verlauf soweit zurückgebildet hätten, dass die Klägerin auch in der Lage gewesen sei, ihre Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Zusammenfassend ergebe sich die Konstellation eines weniger schweren äußeren Ereignisses bei vorbestehender Schadensanlage, wobei die spezifische Qualität des Ereignisses ein individuelles Belastungsmuster treffe und aktualisiere. Dies führe zur Bejahung der Zusammenhangsfrage. Aus der Vorgeschichte sei nicht zu entnehmen, dass die Schadensanlage so stark ausgeprägt und so leicht ansprechbar gewesen sei, als dass die Anpassungsstörung auch durch andere, alltäglich vorkommende und austauschbare Einwirkungen eingetreten wäre. Die weitgehend abgeklungene Anpassungsstörung sei bis zur erfolgreichen beruflichen Wiedereingliederung der Klägerin mit 20 vom Hundert zu bewerten.
Die Beklagte hat das Gutachten des Dr. H. ihrem Beratungsarzt, dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. J., vorgelegt. Dieser hat in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 23. Juli 2013 ausgeführt, das vorgelegte Gutachten sei in seinen Darlegungen schlüssig und nachvollziehbar. Es sei von vorneherein klar, dass die psychische Reaktion nur unter Berücksichtigung konkurrierender Kausalitäten zu verstehen sei. Hierzu mache der Gutachter insgesamt nachvollziehbare Ausführungen, die auch der allgemeinen medizinischen Erfahrung entsprächen. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Primärpersönlichkeit als sehr vulnerabel anzusehen. Durch das zur Debatte stehende Ereignis im Sinne einer wesentlichen Mitbedingung habe sich eine ängstlich depressiv gefärbte Anpassungsstörung entwickelt, aus der Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit resultiert seien. Das Ereignis selbst habe außerhalb der Alltäglichkeit gelegen. Eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) werde auch am Ende der Arbeitsunfähigkeit (AU) verneint.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 20. März 2014 die Klage abgewiesen und in den Gründen ausgeführt, die Klägerin habe zwar nach dem Ereignis vom 7. Januar 2012 eine mittlerweile abgeklungene Anpassungsstörung erlitten, diese sei aber nicht als Folge eines Arbeitsunfalls aufzufassen. Die Arbeitsschicht der Klägerin am 7. Januar 2012 sei rechtlich wesentlich durch eine private Verrichtung in Form der Leibesvisitation durch die Beamtinnen der Bundespolizei unterbrochen worden. Denn die Handlungstendenz der Klägerin sei im Moment des Mitkommens auf die Wache der Bundespolizei nicht auf eine betriebsdienliche Tätigkeit gerichtet gewesen. Im Wesentlichen habe das Mitkommen und das Zulassen der Leibesvisitation den eigenen Angelegenheiten der Klägerin gedient. Sie sei untersucht worden, da sie im Verdacht gestanden habe, mit dem Abhandenkommen von Geld, Schmuck und der Festplatte im Rucksack etwas zu tun gehabt zu haben. Die Beamten der Bundespolizei hätten mit der Einwilligung der Klägerin ihre Sachen durchsucht. Entscheidend sei, dass die Klägerin immer als Tatverdächtige behandelt worden sei, ebenso wie ihre beiden Kollegen. Insofern habe auch allein die Abwehr des Verdachtes einer Straftat im Vordergrund des Handelns der Klägerin gestanden. Betriebliche Interessen hätten zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr gespielt. Die Einwände der Klägerin, sie sei während ihrer Arbeitszeit bei Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit von der Bundespolizei mitgenommen worden, führe zu keiner anderen Beurteilung. Allein der zeitliche und sachliche Zusammenhang sei nicht ausreichend. Denn die Klägerin habe die Untersuchung einzig und allein zur Abwehr des Verdachtes einer Straftat über sich ergehen lassen. Sowohl nach den objektiven Gesamtumständen als auch nach der subjektiven Handlungstendenz hätten nicht mehr wesentliche betriebliche Interessen das Verhalten der Klägerin bestimmt. All diese Handlungen und die damit verbundenen Umstände hätten nichts mit den Aufgaben im Service-Bereich des Mitgliedsunternehmens der Beklagten zu tun. Eine fremdwirtschaftliche Zweckbestimmung für das Mitgliedsunternehmen der Beklagten habe nicht vorgelegen, da es allein um die Suche nach den aus dem Rucksack verschwundenen Sachen gegangen sei. Die Klägerin habe eigenwirtschaftlich gehandelt, da es weder objektiv noch subjektiv betriebsdienlich gewesen sei, sich der Leibesvisitation zu unterziehen. Denn es liege weder eine entsprechende arbeitsvertragliche Pflicht noch eine Nebenpflicht oder eine Weisung des Arbeitgebers vor.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 26. März 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8. April 2014 beim Sozialgericht Berufung eingelegt.
Auf den Hinweis des Senats, das Ereignis vom 7. Januar 2012 sei als Arbeitsunfall festzustellen, weil allein das Ausüben der beruflichen Tätigkeit Anlass zu den polizeilichen Maßnahmen gegeben habe, hat die Beklagte ausgeführt: Anlass für die in Augenscheinnahme und die Leibesvisitation sei nicht die versicherte Tätigkeit der Klägerin beim Service der D. AG gewesen, sondern nach dem aktenkundigen Protokoll vom 7. Januar 2012 sowohl eine Gefahrenabwehr als auch ggf. das Auffinden von Beweismitteln/Diebesgut gemäß §§ 43, 44 Bundespolizeigesetz (BPolG). Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Ereignisses ganz überwiegend eigene Interessen verfolgt, nämlich die Feststellung, ob sie sich einer Straftat schuldig gemacht habe. Mit der Aufforderung, sich der polizeilichen Kontrolle zu unterziehen, sei während der Arbeitsschicht der Klägerin am 7. Januar 2012 von 14.00 Uhr bis 22.30 Uhr der Versicherungsschutz rechtlich wesentlich durch eine private Verrichtung unterbrochen worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 20. März 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 27. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2012 aufzuheben und die polizeilichen Maßnahmen vom 7. Januar 2012 als Arbeitsunfall festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte des Sozialgerichts Fulda S 6 SB 100/09, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Auf die zulässige Berufung der Beklagten sind das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben, denn die Klägerin hat am 7. Januar 2012 einen Arbeitsunfall erlitten.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 27. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2017, mit dem die Beklagte die Feststellung eines Arbeitsunfalls abgelehnt hat. Ob die Klägerin wegen des Arbeitsunfalls Ansprüche auf Leistungen hat, ist nicht zu entscheiden, weil diesbezüglich noch keine Verwaltungsentscheidung ergangen ist.
Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit. Unfälle sind im § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII als zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse definiert, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Der Tatbestand des Arbeitsunfalls setzt somit neben der versicherten Tätigkeit ein schädigendes Ereignis sowie einen Gesundheitsschaden bzw. Gesundheitserstschaden voraus. Diese Voraussetzungen müssen im Vollbeweis nachgewiesen werden, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (§ 128 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und zudem durch einen Ursachenzusammenhang verbunden seien. Für die Kausalitätsfeststellung zwischen der versicherten Tätigkeit und dem schädigenden Ereignis (Unfallkausalität) sowie zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) gilt der gegenüber dem Vollbeweis geringere Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit bzw. hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernsthafte Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - juris).
Die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls sind hier nachgewiesen.
Der Unfallbegriff erfordert nach Abs. 1 Satz 2 ein "von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis". Als Einwirkung ist die durch einen äußeren Vorgang ausgelöste Änderung des physiologischen Körperzustandes zu verstehen, die von dem Gesundheitserstschaden zu unterscheiden ist. Mit dem Erfordernis wird zum Ausdruck gebracht, dass ein allein aus innerer Ursache (aus dem Menschen selbst) kommendes Geschehen nicht als Unfall anzusehen ist. Das Tatbestandsmerkmal "zeitlich begrenzt" ist in Abs. 1 Satz 2 nicht näher bestimmt. Nach herrschender Meinung muss die Einwirkung höchstens innerhalb einer Arbeitsschicht erfolgt sein (Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 8 Rdnrn. 11 und 12). Der durch die Einwirkung von außen verursachte Gesundheitserstschaden umfasst jedes Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen oder psychischen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands, auch ohne damit verbundene Schmerzen. Ein besonderer Ausprägungsgrad des Gesundheitserstschadens ist nicht erforderlich. Anders als in der Krankenversicherung muss er nicht zu einer Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit geführt haben (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., 1.4.2, S. 11).
"Unfallereignis" sind im vorliegenden Fall die die Klägerin unmittelbar betreffenden polizeilichen Maßnahmen insgesamt, so das Abführen zur Wache, die Durchsuchung der persönlichen Gegenstände der Klägerin und die Leibesvisitation. Auslöser und Ursache dieser polizeilichen Maßnahmen war allein die berufliche Tätigkeit der Klägerin, die die Klägerin ordnungsgemäß den dienstlichen Vorschriften entsprechend ausgeübt hat. Privat veranlasste Handlungen der Klägerin, die Anlass zu den polizeilichen Maßnahmen hätten geben können, gab es zweifellos nicht. Die berufliche Tätigkeit der Klägerin war folglich ursächlich für das von außen auf den Körper der Klägerin einwirkende Ereignis, die polizeilichen Maßnahmen. Sie standen in einem inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Klägerin.
Der Auffassung, die Klägerin habe ihre berufliche versicherte Tätigkeit durch eine private Verrichtung unterbrochen, als sie zur Wache mitgekommen und die Leibesvisitation sowie die Durchsuchung ihrer Sachen zugelassen habe, kann sich der Senat nicht anschließen. Unterbrochen wurde die berufliche Tätigkeit der Klägerin durch eine Einwirkung von außen, nämlich die polizeilichen Maßnahmen, die zunächst die polizeiliche Aufforderung beinhalteten, den Arbeitsplatz zu verlassen und sich in Begleitung der Beamtinnen zur Wache zu begeben, um dort die Durchsuchung der Person und von deren Sachen vorzunehmen. Aufgrund der §§ 43 Abs. 1 Ziffer 2 und 44 Abs. 1 Ziffer 1 BPolG sind Bundespolizeibeamte befugt, eine Person und die von ihr mitgeführten Sachen zu durchsuchen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen. Nach § 43 Abs. 5 BPolG kann eine Person festgehalten und zur Dienststelle mitgenommen werden, wenn die Durchsuchung auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten durchgeführt werden kann. Der Umstand, dass die Klägerin sich der Aufforderung der Beamtinnen, sie zur Wache zu begleiten, nicht widersetzte, kann nicht die Annahme rechtfertigen, die Klägerin habe sich entschieden, ihre betriebliche Tätigkeit für eine "private Verrichtung" zu unterbrechen. Der Klägerin kann auch nicht der Versicherungsschutz mit dem Argument versagt werden, die polizeilichen Maßnahmen hätten allein und überwiegend dem Interesse der Klägerin gedient, den Verdacht, eine Straftat begangen zu haben, abzuwehren. Denn entscheidend ist, ob die polizeilichen Maßnahmen in einem Kausalzusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Klägerin standen oder privat veranlasste Handlungen der Klägerin diese Maßnahmen verursacht haben. Im Übrigen liegt die Feststellung, ob ein Mitarbeiter die betriebliche Tätigkeit genutzt hat, um eine Straftat zu begehen, auch im Interesse des Arbeitgebers. Dies gilt umso mehr, wenn ein Arbeitnehmer verdächtigt wird, Gegenstände entwendet zu haben, die sich – wie hier – in dienstlicher Verwahrung befunden haben. Die polizeilichen Maßnahmen und deren Duldung durch die Klägerin diente deshalb objektiv auch wesentlich betrieblichen Interessen. Die polizeilichen Maßnahmen haben bei der Klägerin nach dem Gutachten des Dr. H. unmittelbar zu Gefühlen des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit und Ohnmacht geführt, so dass ein Gesundheitserstschaden in Folge des Ereignisses ebenfalls gegeben ist.
Der vorliegende Fall ist nicht vergleichbar mit den Sachverhalten, wie sie Entscheidungen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. März 2007 – L 1 U 5087/06 – und des Sozialgerichts Darmstadt vom 29. Januar 2016 – S 3 U 182/13 – (bestätigt durch Urteil des HLSG vom 7. Oktober 2016 – L 9 U 121/16) zu Grunde gelegen haben.
Das LSG Baden-Württemberg hat entschieden, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung rechtlich wesentlich unterbrochen werde, wenn der Versicherte auf einem grundsätzlich versicherten Weg nach einer Atemalkoholkontrolle (Atemalkohol 1,66 Promille) von Polizeibeamten aufgefordert werde, zur Blutentnahme auf die nächstgelegene Polizeidienststelle mitzukommen. Die Handlungstendenz des Versicherten sei im Moment des Aussteigens aus seinem Fahrzeug nicht auf eine betriebsdienliche Tätigkeit gerichtet gewesen, sondern habe wesentlich der Verfolgung eigener Angelegenheiten gedient, nämlich seiner Verpflichtung, sich zur Feststellung, ob er sich der Trunkenheit im Straßenverkehr schuldig gemacht hatte, einer Blutentnahme zu unterziehen.
Das Sozialgericht Darmstadt hat entschieden, dass der Versicherte seinen versicherten Heimweg rechtlich wesentlich durch eine private Verrichtung unterbrochen habe, als er sich im Rahmen der polizeilichen Personenkontrolle geweigert habe, seine Personalien bekannt zu geben und sich durch seinen Bundespersonalausweis auszuweisen. Seine Handlungstendenz sei dabei nicht auf eine betriebsdienliche Tätigkeit gerichtet gewesen, sondern habe wesentlich der Verfolgung eigener Angelegenheiten, nämlich sich der Identitätsfeststellung durch die Polizeibeamten zu entziehen, gedient. Dies sei weder objektiv noch subjektiv betriebsdienlich gewesen.
Wesentlich ursächlich für die polizeilichen Maßnahmen beim ersten Fall war das Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss und im zweiten Fall die Weigerung des Versicherten, sich einer Identitätskontrolle zu unterziehen. Die Ausübung der betrieblichen Tätigkeit war in diesen Fällen nicht Grund und Ursache für die polizeilichen Kontrollmaßnahmen, vielmehr waren dies privat veranlasste Handlungen des Versicherten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, die Nichtzulassung der Revision aus § 160 SGG.
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