Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 7 AS 554/08 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19.06.2008 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin wird in Aufhebung des Vollzugs des genannten Bescheides dazu verpflichtet, die aufgrund dieses Bescheides einbehaltenen Leistungen an den Antragsteller auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Verfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. bewilligt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbescheides.
Der 1962 geborene Antragsteller bezieht (in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau und seiner Tochter) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) von der Antragsgegnerin (letzter Bewilligungsbescheid für den Zeitraum vom 01.06.2008 – 30.11.2008 vom 25.04.2008, abgeändert durch Bescheid vom 17.05.2008).
Mit Schreiben vom 21.02.2008 (verbunden mit einer Rechtsfolgenbelehrung) lud die Antragsgegnerin den Antragsteller für den 03.04.2008 zu einem Gespräch über sein Bewerberangebot bzw. seine berufliche Situation ein. Dabei wurde der Kläger gebeten, entsprechend der Vorschrift des § 13 SGB X nur mit einem Beistand zu erscheinen. Der Antragsteller wandte schriftlich gegen diese Beschränkung. Mit Schreiben vom 19.03.2008 und 02.04.2008 machte die Antragsgegnerin deutlich, dass es bei der Einschränkung bleibe und der Antragsteller am 03.04.2008 im Beisein von maximal einem Beistand erwartet werde. Der Antragsteller nahm den Termin nicht wahr.
Nach vorheriger Anhörung erteilte die Antragsgegnerin am 19.06.2008 eine Sanktionsbescheid, mit dem sie das Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.07.2008 – 30.09.2008 monatlich um 10 v.H. der maßgebenden Regelleistung absenkte (31,- Euro monatlich), da der Antragsteller trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen zu dem Meldetermin am 03.04.2008 ohne wichtigen Grund nicht erschienen sei. Mit Schreiben vom 21.06.2008 erhob der Antragsteller Widerspruch, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden ist.
Am 25.08.2008 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 19.06.2008 anzuordnen. Die Meldeaufforderung sei schon nicht ordnungsgemäß gewesen, da damit eine nicht unerhebliche Einschränkung seiner Rechte verbunden worden sei. Die Antragsgegnerin habe gewusst, dass der Antragsteller stets mit mehreren Personen seine Termine wahrnehmen wolle. Aus § 13 Abs. 4 SGB X ergebe sich vom Wortlaut her nicht zwingend, dass der Beistand nur durch eine Person statt durch mehrere Personen erfolgen dürfe. Sowohl in der Kommentierung von Wannagat, SGB X, als auch in der Kommentierung von Hauck/Noftz, SGB X, werde die Ansicht vertreten, dass ein Beistand durch mehrere Personen zulässig sei.
Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19.06.2008 anzuordnen
ferner, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Es ergäben sich bereits Zweifel am Anordnungsgrund, weil eine existentielle Notlage bei der erfolgten Absenkung um 10 % der Regelleistung noch nicht gegeben sei. Ferner ergäben sich auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, da das Einladungsschreiben rechtmäßig gewesen sei.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird verwiesen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der Entscheidungsfindung des Gerichts gewesen ist.
II.
Der Antrag ist begründet.
Bei dem von dem Antragssteller geltend gemachten Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz handelt sich um ein solches nach § 86 b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht in der Hauptsache auf Antrag 1. in den Fällen, in denen Widerspruch- oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, 2. in den Fällen, in denen Widerspruch- oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, 3. in den Fällen des § 86 a Abs. 3 SGG die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufschiebung der Vollziehung anordnen (Satz 2 der Vorschrift).
Vorliegend handelt es sich um ein Begehren nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19.06.2008 anzuordnen. Bei dem Ausspruch der Sanktion nach § 31 SGB II handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 39 Nr. 1 SGB II, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet. Die letztgenannte Regelung stellt einen der anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fälle dar, bei denen die aufschiebende Wirkung gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt.
Bei der im Rahmen des § 86 b Abs. 1 SGG gebotenen Interessenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Bescheides. Es sprechen erhebliche Gesichtspunkte für die Rechtswidrigkeit des Bescheides. Insoweit hat das Verfahren in der Hauptsache überwiegende Erfolgsaussichten.
Gemäß § 31 Abs. 2 SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlages nach § 24 in einer ersten Stufe um 10 v.H. der für den erwerbstätigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommt und er keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.
Zwar hat der Antragsteller den Termin vom 03.04.2008 nicht wahrgenommen, doch bestehen gravierende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Absenkung um 10 % der Regelleistung, weil erhebliche Umstände dafür sprechen, dass der Termin nicht rechtmäßig angeordnet war. Eine rechtmäßige Terminsanordnung gehört aber zu den Voraussetzungen für eine Absenkung (vgl. z.B. Berlit in LPK/SGB II, § 31, RdNr. 72).
Strittig ist im Wesentlichen die Frage, ob ein Beteiligter nur mit einem oder mit mehreren Beiständen zu einer Vorsprache erscheinen darf. In ihrem Vortrag weisen die Beteiligten zu Recht darauf hin, dass für die von ihnen jeweils vertretenen Auffassungen entsprechende Fundstellen in der juristischen Kommentarliteratur zu finden sind (vgl. z.B Hauck/Notfz-Vogelgesang, § 13 SGB X, RdNr. 30; Rixen in: LPK-SGB X, 1. Auflage 2004, § 13, RdNr. 22).
Das Gericht vertritt die Auffassung, dass sich aus § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht ergibt, dass ein Beteiligter nur mit (maximal) einem Beistand zu Verhandlungen oder Besprechungen erscheinen darf. Es ergeben sich bereits keine Anhaltspunkte dafür, dass das Wort "einem" in § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB X vom Gesetz als Zahlwort verwendet werden würde. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung ist vielmehr davon auszugehen, dass sich der Beteiligte der Unterstützung auch von mehr als einem Beistand bedienen darf, wenn er dies für geboten hält. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Durchführung eines ordnungsgemäßen, zügigen und sachgerechten Verwaltungsverfahrens noch möglich sein muss. Deshalb dürfte in der Regel die Grenze bei zwei, höchstens drei Beiständen liegen (vgl. Hauck/Noftz-Vogelgesang, a.a.O.). Der vom Hessischen Landessozialgericht in Beschluss vom 22.06.2007 (L 9 B 68/06 AS) vertretenen Auffassung folgt das Gericht angesichts dessen nicht. Es handelt sich dabei ohnehin lediglich um eine Äußerung im Rahmen einer summarischen Rechtsprüfung im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren. Zudem war die Auslegung des LSG zu § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht tragender Grund für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe(so genanntes obiter dictum).
Mit Blick auf den Umstand, dass der Antragsteller schriftlich auf die Antragsgegnerin eingewirkt hat, die strittige Beschränkung vor dem Termin vom 03.04.2008 zurückzunehmen, kann ihm auch nicht vorgeworfen werden, er habe von vornherein gezielt seine Obliegenheit verletzen wollen.
Nach den Gesamtumständen ist daher zugrunde zulegen, dass sich im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine rechtswidrige Terminsanordnung und damit auch eine rechtswidrige Sanktion ergeben werden.
Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bedarf es keines Anordnungsgrundes, worauf die Bevollmächtigte des Antragstellers zu Recht hingewiesen hat. Vielmehr erfolgt eine Abwägung des Aussetzungsinteresses des Antragstellers mit dem öffentlichen Vollzugsinteresse unter maßgeblicher Beurteilung der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. z. SGG, 8. Aufl., § 86b, Rdnrn. 12c ff).
Bestehen danach erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, überwiegt im vorliegenden Fall auch das Aufschubinteresse des Antragstellers gegenüber dem Vollziehungsinteresse. Handelt es sich wie hier, um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen und das soziokulturelle Existenzminimum absichern, muss auch bei vorübergehenden Kürzungen dem Betroffenen die Leistung aus verfassungsrechtlichen Gründen vorläufig gewährt werden (vgl. z.B. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.10.2006 – L 1 B 27/06 AS ER -).
Aus den gleichen Gründen hat die Kammer auch von der ihr in § 86 b Abs. 1 Satz SGG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch gemacht, die Antragsgegnerin einstweilig zur Leistungsauszahlung bzw. Nachzahlung der aufgrund des Bescheides bereits einbehaltenen Leistungen zu verpflichten (Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch; vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.04.2008 – L 7 AS 1398/08 ER – B -).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von § 193 SGG.
Prozesskostenhilfe war gemäß § 73a SGG i.V.m. §§ 114ff ZPO zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin wird in Aufhebung des Vollzugs des genannten Bescheides dazu verpflichtet, die aufgrund dieses Bescheides einbehaltenen Leistungen an den Antragsteller auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Verfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. bewilligt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbescheides.
Der 1962 geborene Antragsteller bezieht (in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau und seiner Tochter) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) von der Antragsgegnerin (letzter Bewilligungsbescheid für den Zeitraum vom 01.06.2008 – 30.11.2008 vom 25.04.2008, abgeändert durch Bescheid vom 17.05.2008).
Mit Schreiben vom 21.02.2008 (verbunden mit einer Rechtsfolgenbelehrung) lud die Antragsgegnerin den Antragsteller für den 03.04.2008 zu einem Gespräch über sein Bewerberangebot bzw. seine berufliche Situation ein. Dabei wurde der Kläger gebeten, entsprechend der Vorschrift des § 13 SGB X nur mit einem Beistand zu erscheinen. Der Antragsteller wandte schriftlich gegen diese Beschränkung. Mit Schreiben vom 19.03.2008 und 02.04.2008 machte die Antragsgegnerin deutlich, dass es bei der Einschränkung bleibe und der Antragsteller am 03.04.2008 im Beisein von maximal einem Beistand erwartet werde. Der Antragsteller nahm den Termin nicht wahr.
Nach vorheriger Anhörung erteilte die Antragsgegnerin am 19.06.2008 eine Sanktionsbescheid, mit dem sie das Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.07.2008 – 30.09.2008 monatlich um 10 v.H. der maßgebenden Regelleistung absenkte (31,- Euro monatlich), da der Antragsteller trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen zu dem Meldetermin am 03.04.2008 ohne wichtigen Grund nicht erschienen sei. Mit Schreiben vom 21.06.2008 erhob der Antragsteller Widerspruch, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden ist.
Am 25.08.2008 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 19.06.2008 anzuordnen. Die Meldeaufforderung sei schon nicht ordnungsgemäß gewesen, da damit eine nicht unerhebliche Einschränkung seiner Rechte verbunden worden sei. Die Antragsgegnerin habe gewusst, dass der Antragsteller stets mit mehreren Personen seine Termine wahrnehmen wolle. Aus § 13 Abs. 4 SGB X ergebe sich vom Wortlaut her nicht zwingend, dass der Beistand nur durch eine Person statt durch mehrere Personen erfolgen dürfe. Sowohl in der Kommentierung von Wannagat, SGB X, als auch in der Kommentierung von Hauck/Noftz, SGB X, werde die Ansicht vertreten, dass ein Beistand durch mehrere Personen zulässig sei.
Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19.06.2008 anzuordnen
ferner, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Es ergäben sich bereits Zweifel am Anordnungsgrund, weil eine existentielle Notlage bei der erfolgten Absenkung um 10 % der Regelleistung noch nicht gegeben sei. Ferner ergäben sich auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, da das Einladungsschreiben rechtmäßig gewesen sei.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird verwiesen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der Entscheidungsfindung des Gerichts gewesen ist.
II.
Der Antrag ist begründet.
Bei dem von dem Antragssteller geltend gemachten Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz handelt sich um ein solches nach § 86 b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht in der Hauptsache auf Antrag 1. in den Fällen, in denen Widerspruch- oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, 2. in den Fällen, in denen Widerspruch- oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, 3. in den Fällen des § 86 a Abs. 3 SGG die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufschiebung der Vollziehung anordnen (Satz 2 der Vorschrift).
Vorliegend handelt es sich um ein Begehren nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19.06.2008 anzuordnen. Bei dem Ausspruch der Sanktion nach § 31 SGB II handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 39 Nr. 1 SGB II, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet. Die letztgenannte Regelung stellt einen der anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fälle dar, bei denen die aufschiebende Wirkung gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt.
Bei der im Rahmen des § 86 b Abs. 1 SGG gebotenen Interessenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Bescheides. Es sprechen erhebliche Gesichtspunkte für die Rechtswidrigkeit des Bescheides. Insoweit hat das Verfahren in der Hauptsache überwiegende Erfolgsaussichten.
Gemäß § 31 Abs. 2 SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlages nach § 24 in einer ersten Stufe um 10 v.H. der für den erwerbstätigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommt und er keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.
Zwar hat der Antragsteller den Termin vom 03.04.2008 nicht wahrgenommen, doch bestehen gravierende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Absenkung um 10 % der Regelleistung, weil erhebliche Umstände dafür sprechen, dass der Termin nicht rechtmäßig angeordnet war. Eine rechtmäßige Terminsanordnung gehört aber zu den Voraussetzungen für eine Absenkung (vgl. z.B. Berlit in LPK/SGB II, § 31, RdNr. 72).
Strittig ist im Wesentlichen die Frage, ob ein Beteiligter nur mit einem oder mit mehreren Beiständen zu einer Vorsprache erscheinen darf. In ihrem Vortrag weisen die Beteiligten zu Recht darauf hin, dass für die von ihnen jeweils vertretenen Auffassungen entsprechende Fundstellen in der juristischen Kommentarliteratur zu finden sind (vgl. z.B Hauck/Notfz-Vogelgesang, § 13 SGB X, RdNr. 30; Rixen in: LPK-SGB X, 1. Auflage 2004, § 13, RdNr. 22).
Das Gericht vertritt die Auffassung, dass sich aus § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht ergibt, dass ein Beteiligter nur mit (maximal) einem Beistand zu Verhandlungen oder Besprechungen erscheinen darf. Es ergeben sich bereits keine Anhaltspunkte dafür, dass das Wort "einem" in § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB X vom Gesetz als Zahlwort verwendet werden würde. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung ist vielmehr davon auszugehen, dass sich der Beteiligte der Unterstützung auch von mehr als einem Beistand bedienen darf, wenn er dies für geboten hält. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Durchführung eines ordnungsgemäßen, zügigen und sachgerechten Verwaltungsverfahrens noch möglich sein muss. Deshalb dürfte in der Regel die Grenze bei zwei, höchstens drei Beiständen liegen (vgl. Hauck/Noftz-Vogelgesang, a.a.O.). Der vom Hessischen Landessozialgericht in Beschluss vom 22.06.2007 (L 9 B 68/06 AS) vertretenen Auffassung folgt das Gericht angesichts dessen nicht. Es handelt sich dabei ohnehin lediglich um eine Äußerung im Rahmen einer summarischen Rechtsprüfung im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren. Zudem war die Auslegung des LSG zu § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht tragender Grund für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe(so genanntes obiter dictum).
Mit Blick auf den Umstand, dass der Antragsteller schriftlich auf die Antragsgegnerin eingewirkt hat, die strittige Beschränkung vor dem Termin vom 03.04.2008 zurückzunehmen, kann ihm auch nicht vorgeworfen werden, er habe von vornherein gezielt seine Obliegenheit verletzen wollen.
Nach den Gesamtumständen ist daher zugrunde zulegen, dass sich im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine rechtswidrige Terminsanordnung und damit auch eine rechtswidrige Sanktion ergeben werden.
Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bedarf es keines Anordnungsgrundes, worauf die Bevollmächtigte des Antragstellers zu Recht hingewiesen hat. Vielmehr erfolgt eine Abwägung des Aussetzungsinteresses des Antragstellers mit dem öffentlichen Vollzugsinteresse unter maßgeblicher Beurteilung der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. z. SGG, 8. Aufl., § 86b, Rdnrn. 12c ff).
Bestehen danach erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, überwiegt im vorliegenden Fall auch das Aufschubinteresse des Antragstellers gegenüber dem Vollziehungsinteresse. Handelt es sich wie hier, um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen und das soziokulturelle Existenzminimum absichern, muss auch bei vorübergehenden Kürzungen dem Betroffenen die Leistung aus verfassungsrechtlichen Gründen vorläufig gewährt werden (vgl. z.B. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.10.2006 – L 1 B 27/06 AS ER -).
Aus den gleichen Gründen hat die Kammer auch von der ihr in § 86 b Abs. 1 Satz SGG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch gemacht, die Antragsgegnerin einstweilig zur Leistungsauszahlung bzw. Nachzahlung der aufgrund des Bescheides bereits einbehaltenen Leistungen zu verpflichten (Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch; vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.04.2008 – L 7 AS 1398/08 ER – B -).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von § 193 SGG.
Prozesskostenhilfe war gemäß § 73a SGG i.V.m. §§ 114ff ZPO zu bewilligen.
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