S 91 AS 10974/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
91
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 91 AS 10974/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Es ist grundsätzlich Ausdruck eines fachgerechten Verwaltungshandelns, wenn die Behörde zunächst die Begründung des Widerspruchs abwartet und erst dann die eigentliche Bearbeitung des Widerspruchs einschließlich der ggf. erforderlichen Ermittlungen in die Wege leitet.

Trägt der Widerspruchsführer die Begründung nicht mit der Einlegung des Widerspruchs sondern erst später vor, darf er nicht damit rechnen, dass die Behörde innerhalb der Frist von drei Monaten ab Einlegung des Widerspruchs eine Entscheidung trifft. Vielmehr verlängert sich die Frist (mindestens) um den Zeitraum, der zwischen der Einlegung des Widerspruchs und dem Eingang der Begründung liegt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren.

Gemäß § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, auf Antrag durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Die Kostenentscheidung ist nach sachgemäßem Ermessen zu treffen (BSG, Beschluss vom 24. Mai 1991 – 7 RAr 2/91 –, SozR 3-1500 § 193 Nr. 2).

Eine Kostentragungspflicht des Beklagten nach Erledigung einer Untätigkeitsklage setzt in der Regel voraus, dass die Klage nach Ablauf der gemäß § 88 SGG maßgeblichen Frist erhoben worden ist und der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (Rechtsgedanke aus § 161 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Letzteres scheidet aus, wenn der Beklagte aus zureichenden Gründen noch nicht entschieden hatte und der Kläger diese Gründe kannte oder kennen musste (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. März 2007 – L 17 B 26/06 U –, juris m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen entspricht es im vorliegenden Fall sachgemäßem Ermessen, den Beklagten nicht mit den außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu belasten.

Die am 24. August 2017 bei Gericht eingegangene Untätigkeitsklage, gerichtet auf die Bescheidung des Widerspruchs der Klägerin vom 23. Mai 2017 gegen den Bescheid vom 21. April 2017 ist allerdings – worauf die Klägerin zu Recht hinweist – nach Ablauf der in § 88 Abs. 2 SGG (i. V. m. § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG) geregelten dreimonatigen Sperrfrist erhoben worden. Zwar war zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits eine Entscheidung über den Widerspruch getroffen worden (Widerspruchsbescheid vom 22. August 2017), diese war der Klägerin gegenüber mangels Bekanntgabe aber noch nicht wirksam geworden (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Die Klägerin durfte indes vor Klageerhebung nicht mit einer Bescheidung ihres Widerspruchs rechnen. Es bestand ein zureichender Grund dafür, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht über den Widerspruch der Klägerin entschieden hatte.

Bei der Prüfung des zureichenden Grundes für die Nichtbescheidung gilt, dass die in § 88 SGG genannten Fristen zwar im Normalfall eine angemessene Frist für den Zeitraum bestimmen, innerhalb dessen der Beklagte eine Sachentscheidung zu treffen hat, sie jedoch gegebenenfalls um Zeiten zu verlängern sind, die im konkreten Fall zu einer vom Normalfall abweichenden Sachbehandlung geführt haben und einen zureichenden Grund darstellen, (noch) nicht zu entscheiden (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Februar 2003 – L 2 B 10/02 KN KR –, juris). Dies bedeutet, dass für die Abhilfeprüfung der Ausgangsbehörde und die erneute volle Sachprüfung des Widerspruchsausschusses grundsätzlich eine (Überlegungs- und Entscheidungs-)Frist von insgesamt drei Monaten zur Verfügung steht, die sich, z. B. bei Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen im Widerspruchsverfahren, entsprechend verlängern kann (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Februar 2003 – L 2 B 10/02 KN KR –, juris).

Ausgehend davon lag zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch ein zureichender Grund vor. Die Klägerin hat ihren Widerspruch erstmals mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 11. Juli 2017 – dem Beklagten zugegangen noch am selben Tag – begründet. Es ist grundsätzlich Ausdruck eines fachgerechten Verwaltungshandelns, wenn die Behörde zunächst die Begründung des Widerspruchs abwartet und erst dann die eigentliche Bearbeitung des Widerspruchs einschließlich der ggf. erforderlichen Ermittlungen in die Wege leitet. Trägt der Widerspruchsführer die Begründung nicht mit der Einlegung des Widerspruchs sondern erst später vor, darf er nicht damit rechnen, dass die Behörde innerhalb der Frist von drei Monaten ab Einlegung des Widerspruchs eine Entscheidung trifft. Vielmehr verlängert sich die Frist (mindestens) um den Zeitraum, der zwischen der Einlegung des Widerspruchs und dem Eingang der Begründung liegt. Andernfalls würde die der Behörde vom Gesetz eingeräumte Überlegungs- und Entscheidungsfrist unzumutbar verkürzt werden. Dementsprechend lag bis zum Ablauf des 11. Oktober 2017 (und damit auch noch zum Zeitpunkt der Klageerhebung) ein zureichender Grund dafür vor, dass der Beklagte den Widerspruch der Klägerin noch nicht beschieden hatte.

Freilich gibt es keine gesetzliche Regelung, die den Widerspruchsführer verpflichtet, seinen Widerspruch überhaupt zu begründen (vgl. § 84 SGG). Gibt der Widerspruchführer zu erkennen, dass er keine Begründung vortragen werde, so wird die Behörde daher ohne weiteres Zuwarten mit der inhaltlichen Prüfung zu beginnen und etwa erforderliche Ermittlungen einzuleiten haben. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Vielmehr hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine Widerspruchsbegründung bei Einlegung des Widerspruchs sogar ausdrücklich angekündigt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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