L 7 AS 1875/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 852/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1875/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X setzt einen Erstattungsanspruch und damit voraus, dass feststeht, dass ein anderer Leistungsträger gegenüber dem leistenden Träger erstattungspflichtig ist; daran fehlt es, wenn der Leistungsempfänger gegen den anderen Leistungsträger allenfalls einen Anspruch auf Ermessensentscheidung hat.
2. Der Sozialhilfeträger muss sich im Erstattungsverhältnis gemäß § 105 Abs. 3 SGB X die Kenntnis anderer Träger nicht zurechnen lassen, auch wenn im Leistungsverhältnis zum Leistungsberechtigten eine Zurechnung zu erfolgen hätte.
3. Wendet sich ein Kläger mit der isolierten Anfechtungsklage gegen einen Aufhebungsbescheid eines Leistungsträgers, kommt eine Verurteilung eines anderen Leistungsträgers nach § 75 Abs. 5 SGG nicht in Betracht.
Auf die Berufung des Klägers zu 1 wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. April 2017 abgeändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 16. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2012 wird aufgehoben, soweit darin die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für den Kläger zu 1 ab 1. April 2012 aufgehoben worden ist.

Die Berufungen der Kläger zu 2 bis 5 gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. April 2017 werden zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1 in beiden Rechtszügen. Außergerichtliche Kosten der Kläger zu 2 bis 5 sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für April und Mai 2012.

Der Kläger zu 1 ist 1965 in Algerien geboren. Die Klägerin zu 2 ist die 1975 in Algerien geborene Ehefrau des Klägers zu 1. Die Kläger zu 3 bis 5 sind die 2000, 2002 bzw. 2005 geborenen Kinder der Kläger zu 1 und 2. Alle Kläger sind Staatsangehörige der Italienischen Republik.

Am 1. Dezember 2011 meldete sich der Kläger zu 1 bei der Stadt R. mit Wirkung zum 24. November 2011 an. Er sprach zudem am 1. Dezember 2011 bei dem Beklagten vor, beantragte Leistungen nach dem SGB II und gab an, aus Italien eingereist zu sein. Die Kläger zu 2 bis 5 seien noch in Italien, wollten aber auch "irgendwann" nachkommen.

Der Beklagte bewilligte dem Kläger zu 1 mit Bescheid vom 5. Dezember 2011 Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis zum 31. Mai 2012 und zwar für Dezember 2011 in Höhe von 328,00 EUR sowie für Januar bis Mai 2012 in Höhe von monatlich 337,00 EUR (jeweils Regelbedarf).

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2011 sicherte der Beklagte gegenüber dem Kläger zu 1 zu, die Kosten einer Wohnung in der A.straße ... im Rahmen der für den Landkreis R. geltenden Mietobergrenze zu übernehmen. Diese Kosten würden solange als Bedarf anerkannt, solange er einen entsprechenden Anspruch auf SGB II-Leistungen habe. Der Beklagte gewährte dem Kläger zudem ein Darlehen für die Mietkaution in Höhe von 1.800,00 Euro (weiterer Bescheid vom 23. Dezember 2011). Der Kläger bezog diese Wohnung nicht.

Im Januar 2012 reisten die Kläger zu 2 bis 5 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid vom 17. Januar 2012 verfügte die Stadt R. die Einweisung der Kläger in eine Wohnung in R. vom 19. Januar 2012 bis zum 19. Juli 2012 zur Vermeidung von Obdachlosigkeit gegen eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 256,40 Euro monatlich. Am 19. Januar 2012 meldeten sich alle Kläger bei der Stadt R. mit Einzugsdatum 21. Januar 2012 an. Mit Bescheid vom 24. Januar 2012 gewährte der Beklagte den Klägern einen Betrag von 2.689,00 Euro für die Erstausstattung mit Haushaltsgeräten.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2012 änderte der Beklagte seinen Bescheid vom 5. Dezember 2011 und bewilligte auch den Klägern zu 2 bis 5 Leistungen und zwar für die Zeit vom 19. Januar bis 31. Mai 2012. Mit Bescheid vom 31. Januar 2012 änderte der Beklagte seine Bewilligung aus dem Bescheid vom 27. Januar 2012 und bewilligte dem Kläger zu 1 Leistungen für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Mai 2012 sowie den Klägern zu 2 bis 5 Leistungen für die Zeit vom 19. Januar bis zum 31. Mai 2012. Unter anderem wurden den Klägern Leistungen für April und Mai 2012 bewilligt und zwar dem Kläger zu 1 monatlich 376,50 Euro, der Klägerin zu 2 monatlich 376,49 Euro sowie den Klägern zu 3 bis 4 monatlich 290,49 Euro pro Person.

Mit Bescheid vom 16. März 2012 hob der Beklagte – adressiert an den Kläger zu 1 – die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab dem 1. April 2012 ganz auf. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den zum Zeitpunkt seines Erlasses vorliegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Dies sei hier der Fall, weil sich der Kläger zu 1 und seine Familie allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhielten.

Hiergegen erhoben die Kläger am 22. März 2012 – inzwischen anwaltlich vertreten –Widerspruch. Es treffe nicht zu, dass sie sich allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhielten.

Mit Schreiben vom 26. März 2012 gab der Beklagte den Klägern Gelegenheit zur Äußerung. Der Kläger zu 1 halte sich nach derzeitiger Aktenlage seit dem 24. November 2011, seine Familie seit dem 19. Januar 2012 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland sei nicht bekannt. Damit dürfte weder eine Arbeitnehmereigenschaft noch eine Aufrechterhaltung eines bestehenden Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU) vorliegen. Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Freizügigkeitsgesetz/EU dürfte nicht bestehen. Somit dürfte nach Aktenlage lediglich ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitsuche gegeben sein, mithin ein Ausschluss von den Leistungen nach dem SGB II bestehen. Ein Anspruch nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) bestehe seit dem 19. Dezember 2011 nicht mehr, nachdem die Bundesrepublik Deutschland einen entsprechenden Vorbehalt erklärt habe. Die Bewilligung von Leistungen mit Bescheid vom 27. Januar 2012 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen und daher nach § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X ab dem 1. April 2012 für die Zukunft zurückzunehmen. Soweit der angefochtene Bescheid auf § 48 SGB X gestützt werde, sei gemäß § 41 SGB X eine Umstellung im Widerspruchsverfahren auf § 45 SGB X beabsichtigt. Den Klägern wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

Die Kläger trugen vor, dass die Klägerin zu 2 schwanger sei. Die Familie habe "nicht zuletzt, sondern in erster Linie aufgrund [der] Bewilligungsbescheide" des Beklagten ihren gesamten Haushalt in Italien aufgelöst und sei nach Deutschland verzogen.

Mit Beschluss vom 16. Mai 2012 ordnete das Sozialgericht Reutlingen (SG) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Kläger zu 2 bis 5 gegen den Bescheid des Beklagten vom 16. März 2012 an, lehnte den Antrag des Klägers zu 1 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 16. März 2012 hingegen ab (S 3 AS 1204/12 ER). Die Leistungen für April und Mai 2012 wurden daraufhin an die Kläger zu 2 bis 5 ausgezahlt.

Der Beklagte wies die Widersprüche der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2012 zurück. Die Aufhebungsentscheidung hinsichtlich des Klägers zu 1 beruhe auf § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Sein Aufenthaltsrecht ergebe sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche, so dass er von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Ein Anspruch folge auch nicht aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen, nachdem die Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung zum 19. Dezember 2011 einen entsprechenden Vorbehalt erklärt habe. Hinsichtlich der Kläger zu 2 bis 5 beruhe die Aufhebung der Leistungen auf § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X. Die Leistungsbewilligung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da im Zeitpunkt der Bewilligung auf Grund des bereits seit 19. Dezember 2011 bestehenden Vorbehaltes gemäß Art. 16 Abs. b EFA gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ein Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II bestanden habe. Eine Rücknahme von Leistungen für die Zukunft nach der genannten Vorschrift erfordere eine Ermessensentscheidung. Von Seiten der Kläger sei vorgetragen worden, dass diese im Vertrauen auf die dem Kläger zu 1 am 5. Dezember 2011 bewilligten Leistungen ihren spärlichen Haushalt in Italien aufgelöst und die dortige Wohnung geräumt hätten. Nach dem Nachzug der Familie aus Italien sei des Weiteren eine angeblich bestehende neuerliche Schwangerschaft der Klägerin zu 2 und die Anmeldung der Kinder zur Schule als Gesichtspunkte für einen individuellen Vertrauensschutz genannt worden. Gründe, die eine Unzumutbarkeit der Rückgängigmachung etwaiger (im Einzelnen weder benannter noch ersichtlicher) Vermögensdispositionen bedeuten würde, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Kläger befänden sich derzeit nicht in einem wirksamen ordentlichen Mietverhältnis, vielmehr liege lediglich eine obdachlosenpolizeiliche Einweisung in die von ihnen bewohnte Wohnung vor, die zudem bis zum 19. Juli 2012 befristet sei. Aus dem ursprünglich für die Zeit ab 1. Januar 2012 abgeschlossenen Mietvertrag für eine Wohnung in der A.straße ... in R., die von den bisherigen Mietern jedoch nicht freigegeben worden sei, erwüchsen für die Kläger keine Rechte und Pflichten. Soweit vorgetragen worden sei, der volle Hausstand in Italien sei aufgelöst worden, sei das Vorhandensein und eine Auflösung eines solchen sowie gegebenenfalls auch ein etwaiger Erlös hieraus bislang nicht bekannt. Im Übrigen seien steuerfinanzierte Erstausstattungsbedarfe in Höhe von 2.689,00 EUR an die Familie erbracht und die finanziellen Aufwendungen der Familie hierdurch bereits ausgeglichen worden. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte sei das Vertrauen der Kläger unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme nicht schutzwürdig. Hierbei sei zu beachten, dass sich die Familie erst seit Januar 2012, der Kläger zu 1 erst seit Ende November 2011 – und damit noch nicht lange – in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten. Für die Zeit ab 1. Juni 2012 sei im Übrigen bei gleichem Sachverhalt auf Grund des genannten gesetzlichen Leistungsausschlusses ohnehin keine Leistung nach dem SGB II bewilligt worden, ohne dass sich die Kläger auf Vertrauensschutz berufen könnten. Den von den Klägern vorgetragenen persönlichen Gesichtspunkten stehe das überwiegende öffentliche Interesse der Allgemeinheit gegenüber, die steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen nach dem SGB II nur an tatsächlich Leistungsberechtigte im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB II zur erbringen und eine materiell rechtswidrige Lage nicht zu verfestigen; dies umso mehr, als die Bundesregierung zielgerichtet von der genannten Möglichkeit nach Art. 16 Abs. b EFA Gebrauch gemacht habe.

Die Kläger haben am 27. Juni 2012 beim SG Klage gegen den Bescheid vom 16. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2012 erhoben. Der Bescheid vom 16. März 2012 sei nicht hinreichend individualisiert. Sie hätten im Vertrauen auf den Bescheid vom 5. Dezember 2011 und auf die Zusicherung der Übernahme der Kosten einer Unterkunft vom 23. Dezember 2011 Wohnung und Hausrat in Italien aufgelöst, in Deutschland zum 2. Januar 2012 eine Wohnung angemietet und seien nach R. verzogen. Sie hätten darauf vertraut, dass eine Rücknahme des Bescheides nicht mehr erfolgen werde. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland habe keine Verpflichtung postuliert, also keine zwingenden gesetzlichen Vorschriften erlassen. Der Beklagte habe ein Ermessen auszuüben. Dies habe der Beklagte im Sinne der Kläger durch die noch nach dem 19. Dezember 2011 ergangenen Bewilligungen und Bescheide getan.

Der Beklagte ist den Klagen unter Hinweis auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid entgegengetreten.

Mit Schreiben vom 4. November 2016 hat der Beklagte dem Kläger zu 1 erneut Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Voraussetzungen der Aufhebung für April und Mai 2012 nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegeben. Der Kläger zu 1 äußerte sich am 9. November 2016 dahingehend, dass es nicht zutreffe, was im Schreiben vom 4. November 2016 stehe. Die Wahrheit sei, dass er vom 1. April 2012 bis Ende Juni 2016 kein Geld bekommen habe. Am 12. Dezember 2016 äußerte sich der Kläger zu 1 dahingehend, dass seine Frau traumatisiert worden sei während ihrer Schwangerschaft. Er fordere Schadensersatz.

Mit Beschluss vom 11. April 2017 hat das SG den örtlich zuständigen Sozialhilfeträger beigeladen.

Mit Urteil vom 21. April 2017 hat das SG die Klage(n) abgewiesen. Die Zulässigkeit der Aufhebung der Bewilligungsentscheidung vom 5. Dezember 2011 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 27. und 31. Januar 2012 für den Kläger zu 1 richte sich nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Dessen Voraussetzungen seien hier erfüllt. Der Kläger zu 1 sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen, da sich sein Aufenthaltsrecht (und hiervon abgeleitet dasjenige der Kläger zu 2 bis 5) allein aus dem Zwecke der Arbeitsuche ergeben habe. Zum Zeitpunkt der Bewilligung von Leistungen an den Kläger zu 1 mit Bescheid vom 5. Dezember 2011 sei dieser nach der damaligen Rechtslage nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen, da der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf Staatsangehörige eines Vertragsstaates des Europäischen Fürsorgeabkommens nicht anwendbar gewesen sei und Italien das Europäische Fürsorgeabkommen unterzeichnet habe. Da die Bundesregierung gemäß § 16 Abs. b EFA mit Wirkung ab dem 19. Dezember 2011 eine entsprechenden Vorbehalt erklärt habe, finde § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II jedoch weiterhin Anwendung und gelte damit auch für Staatsangehörige eines Vertragsstaates des EFA. Der Bewilligungsbescheid vom 5. Dezember 2008 (gemeint: 2011) an den Kläger zu 1 sei daher wegen einer wesentlichen Änderung der rechtlichen Verhältnisse ab dem 19. Dezember 2011 rechtswidrig. Der seitens der Bundesregierung erklärte Vorbehalt stelle eine wesentliche Änderung der Rechtslage dar. Der Leistungsausschluss sei auch europarechtskonform. Dem Kläger zu 1 stehe für den streitgegenständlichen Zeitraum auch kein Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) gegenüber dem Beigeladenen zu. Der Kläger zu 1 gehöre als Erwerbsfähiger und dem Grunde nach zum Leistungsbezug nach dem SGB II Berechtigter zu dem durch § 21 Abs. 1 SGB XII vom Bezug von Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossenen Personenkreis. Die Kammer folge hinsichtlich der Auslegung des § 21 Satz 1 SGB XII ausdrücklich nicht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in dessen Urteilen vom 3. Dezember 2015 (B 4 AS 44/15 R) und vom 20. Januar 2016 (B 14 AS 35/15 R). Hinsichtlich der Aufhebung der Bewilligung für die Kläger zu 2 bis 5 richte sich diese nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X, da diese Bewilligung von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Die Entscheidung sei auch insbesondere ermessensfehlerfrei.

Gegen das ihnen am 27. April 2017 zugestellte Urteil haben die Kläger am 3. Mai 2017 beim SG Berufung eingelegt. Nach der Rechtsprechung des BSG wären im vorliegenden Fall "wohl" zumindest Leistungen durch den Beigeladenen im Rahmen des SGB XII zu gewähren gewesen. Das SG wende sich gegen die Entscheidung des BSG, was nicht nachvollziehbar sei. Es habe auch keine erkennbare Änderung der Rechtslage im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegeben. Zudem dürfte der entsprechende Vorbehalt nach § 16 Abs. b EFA mit Wirkung ab 19. Dezember 2011 nicht wirksam gewesen sein. Bezüglich des Klägers zu 1 sei von Vertrauensschutz auszugehen. Zudem dürften die Anhörungen nicht ausreichend gewesen seien. Der Bescheid sei auch nicht ausreichend bestimmt, da die Rückforderung bezüglich einzelner Personen in der Bedarfsgemeinschaft auch einzeln zu konkretisieren und auszusprechen gewesen sei. Auch bei den Klägern zu 2 bis 5 sei Vertrauensschutz zu beachten. Zudem sei eine Ermessenerwägung im Ausführungsbescheid vom 16. März 2012 nicht zu erkennen. Zudem seien zahlreiche in die Abwägung einzustellende Punkte nicht berücksichtigt worden. Die Kläger hätten im Vertrauen auf die Richtigkeit und auf den Fortbestand der Entscheidung im Hinblick auf die Leistungsgewährung ihren kompletten Hausstand und ihre komplette Lebensgrundlage in Italien aufgelöst und seien nach Deutschland gezogen, ohne dass sie hätten befürchten müssen, hier keine Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu erhalten. Zudem sei es für den Kläger zu 1 sehr aussichtsreich gewesen, in Kürze eine Arbeitsstelle zu erhalten. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass die Rechtsänderung auch vom Beklagten längere Zeit überhaupt nicht bemerkt und nicht umgesetzt worden sei. Auch insoweit werde ein Vertrauenstatbestand geschaffen. Die erbrachten steuerfinanzierten Erstattungsbedarfe seien nicht in die Abwägung mit einzustellen, da es sich hier um einen fachfremden Gesichtspunkt handele. Letztlich wäre aber "im Zweifel" auch der Beigeladene zu verurteilen gewesen.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. April 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte weist daraufhin, dass eine Erstattungsentscheidung nicht getroffen worden sei. Im Übrigen verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und auf die Darlegungen im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils. Die Anhörung sei im Widerspruchsverfahren und im Klageverfahren rechtswirksam nachgeholt worden.

Der Beigeladene beantragt,

die gegen ihn erhobene Berufung zurückzuweisen.

Der Beigeladene ist der Ansicht, dass die Kläger jedenfalls gegenüber ihm keinen Erfolg haben könnten. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhielten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt seien, keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Dass dieser Leistungsausschluss für die Kläger Anwendung finde, habe das SG im angefochtenen Urteil ausführlich und überzeugend dargelegt. Im Übrigen gehe es um Ansprüche zur Sicherung des Lebensunterhaltes, die fünfeinhalb Jahre zurück lägen. Er – der Beigeladene – habe keinerlei Kenntnisse von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Kläger. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es ihm gelingen würde, zu prüfen, ob in den streitgegenständlichen Monaten Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII bestanden habe. Im Übrigen würde eine Verpflichtung des Beigeladenen gegen den in § 18 SGB XII normierten Grundsatz "keine Hilfe für die Vergangenheit" verstoßen. Immerhin sei er erst auf Grund der Urteile des BSG vom 9. Dezember 2015 überhaupt als Leistungsträger in Betracht gekommen. Zu diesem Zeitpunkt habe der streitbefangene Zeitraum bereits dreieinhalb Jahre zurückgelegen. Es sei davon auszugehen, dass die Kläger ihren Lebensunterhalt für die Dauer von drei Monaten anderweitig hätten decken können.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die Akte des SG im Verfahren S 3 AS 1204/12 ER sowie auf die beigezogenen Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaften und gemäß § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegten Berufungen der Kläger, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), sind auch im Übrigen zulässig. Sie bedurften insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 SGG, da sich die Kläger gegen die Rücknahme von Leistungsbewilligungen in Höhe von insgesamt 3.248,92 Euro und damit in Höhe von mehr als 750,00 Euro (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) wenden. Die einzelnen, die jeweiligen Kläger betreffenden Beträge sind dabei zu addieren (vgl. § 5 Zivilprozessordnung; BSG, Urteil vom 10. August 2016 – B 4 AS 51/15 R – juris Rdnr. 10; Wehrhahn in jurisPK-SGG, 2017, § 144 Rdnr. 21).

2. Die Berufung des Klägers zu 1 ist begründet, die Berufungen der Kläger zu 2 bis 5 sind unbegründet. Das SG hat die Klage(n) der Kläger zu 2 bis 5 im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klagen sind insgesamt zulässig (dazu unter a), hinsichtlich der Kläger zu 2 bis 5 aber unbegründet (dazu unter b). Die Klage des Klägers zu 1 hat das SG zu Unrecht abgewiesen, denn diese Klage ist begründet (dazu unter b) (5)).

a) Die Klagen sind zulässig.

aa) Die Klagen richten sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 16. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2012. Hiergegen wenden sich die Kläger statthaft mit der isolierten Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R – juris Rdnr. 12; BSG, Urteil vom10. August 2016 – B 4 AS 51/15 R – juris Rdnr. 11).

bb) Insbesondere sind auch die Kläger zu 2 bis 5 klagebefugt (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG), denn die Bescheide sind auch an sie – als Inhalts- oder Regelungsadressaten – gerichtet. Zwar ist der Bescheid vom 16. März 2012 nur an den Kläger zu 1 – als Bekanntgabeadressat – adressiert, er entfaltet aber auch Wirkung gegenüber den Klägern zu 2 bis 5. Mit diesem Bescheid hat der Beklagte der Sache nach den Bescheid vom 31. Januar 2012, mit dem den Klägern zuletzt Leistungen unter anderem für April und Mai 2012 bewilligt worden waren, insgesamt aufgehoben. Dies ergibt sich aus dem Verfügungssatz des Bescheides vom 16. März 2012, wonach "die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab 01.04.2012 ganz aufgehoben wird", und dessen Begründung, in der darauf abgestellt wird, dass sich der Kläger und seine Familie allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhielten. Die Kläger haben diesen Bescheid auch von Anfang in dieser Weise verstanden, was sich daraus ergibt, dass der anwaltliche Bevollmächtigte nicht nur im Namen des Klägers zu 1, sondern auch dessen Familie Widerspruch erhoben hat. Entsprechend erging auch der Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2012 ausdrücklich auf den Widerspruch aller fünf Kläger. Auch aufgrund der Begründung des Widerspruchsbescheides konnte für den maßgeblichen objektiven Empfänger kein Zweifel bestehen, dass die Rücknahme der Leistungsbewilligung nicht nur gegenüber dem Kläger zu 1, sondern auch gegenüber den Klägern zu 2 bis 5 erfolgen sollte. Hierin wird ausdrücklich ausgeführt, dass die Aufhebung der Bewilligung alle fünf Kläger betrifft.

cc) Der Bescheid vom 16. März 2012 ist auch gegenüber den Klägern zu 2 bis 5 gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X bekanntgegeben worden und damit gemäß § 39 Abs. 1 SGB X wirksam geworden.

Auch wenn § 38 SGB II für die Zurechnung von belastenden Verwaltungsakten im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft grundsätzlich nicht gilt, schließt dies nicht aus, dass eine Bekanntgabe nach allgemeinen Grundsätzen erfolgen kann. Eine Bekanntgabe an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, das nicht als Vertreter derselben nach § 38 SGB II auftritt, erfordert einen Bekanntgabewillen der Behörde ihm gegenüber sowie zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme dieses anderen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft von dem Verwaltungsakt (BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 2/13 R – juris Rdnr. 28). Der Bekanntgabewille der Behörde ist anzunehmen, wenn die Behörde zielgerichtet den Bescheid dem Regelungsadressaten über den vermuteten Vertreter nach § 38 SGB II als (vermeintlichen) Empfangsbevollmächtigten bekanntgibt und sich aus dem Inhalt des Bescheids eindeutig schließen lässt, wer Adressat und von der Entscheidung betroffen sein soll (BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 2/13 R – juris Rdnr. 28). Weitere Voraussetzung für eine Bekanntgabe ist, dass das von der Regelung betroffene Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die Möglichkeit der Kenntnisnahme dadurch erlangt hat, dass der Verwaltungsakt so in seinen Machtbereich gelangt ist, dass es von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach den allgemeinen Gepflogenheiten auch von ihm erwartet werden kann (BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 2/13 R – juris Rdnr. 28 m.w.N.). Dann liegt kein Fall einer unwirksamen zufälligen Kenntnisnahme vor. Erst recht gilt der Zugang als erfolgt, wenn er tatsächlich stattgefunden hat (BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 2/13 R – juris Rdnr. 28).

Den Kläger zu 2 bis 5 ist der Rücknahmebescheid nach den vorgenannten Grundsätzen bekannt gegeben worden. An dem Willen des Beklagten, den Rücknahmebescheid über den Kläger zu 1 auch zielgerichtet den Klägern zu 2 bis 5 bekanntgeben zu wollen, kann angesichts des Umstandes, dass der Beklagte eine Regelung auch ihnen gegenüber getroffen hat (siehe oben), kein Zweifel bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 2/13 R – juris Rdnr. 29). Dass die Bekanntgabe auch tatsächlich gegenüber der Klägerin zu 2 erfolgt ist, ergibt sich daraus, dass der Widerspruch gegen den Rücknahmebescheid auch von ihr erhoben worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 2/13 R – juris Rdnr. 29). Gegenüber den Klägern zu 3 bis 5 genügte im Übrigen ohnehin die Bekanntgabe an den Kläger zu 1 als deren gesetzlicher Vertreter (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 2/13 R – juris Rdnr. 23); die Bekanntgabe an ein Elternteil reicht aus (BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 2/13 R – juris Rdnr. 23 m.w.N.). Der Widerspruchsbescheid ist allen Klägern schon dadurch bekannt gegeben worden, dass er ihrem anwaltlichen Bevollmächtigten bekanntgegeben worden ist (§ 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X).

b) Die Klagen der Kläger zu 2 bis 5 sind aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 16. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2012 ist insoweit rechtmäßig. Alle Kläger hatten im streitgegenständlichen Zeitraum (April und Mai 2012) keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gegen den Beklagten (dazu unter aa). Der Beklagte war auch berechtigt, seine Leistungsbewilligung für diesen Zeitraum zurückzunehmen (dazu unter bb); die Rücknahme gegenüber dem Kläger zu 1 ist indes ermessensfehlerhaft und deswegen rechtswidrig (dazu unter bb) (5)). Der Rücknahme gegenüber den Klägern zu 2 bis 5 steht die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X nicht entgegen (dazu unter cc). Ob die Kläger gegen den Beigeladenen einen Anspruch auf eine Ermessensentscheidung haben, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens (dazu unter dd).

aa) Die Kläger hatten im streitgegenständlichen Zeitraum (April und Mai 2012) keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gegen den Beklagten. Die Kläger waren nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im streitgegenständlichen Zeitraum von der Leistungsberechtigung nach dem SGB II ausgeschlossen.

(1) Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Leistungen erhalten gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören gemäß § 7 Abs. 3 SGB II neben den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (Nr. 1) unter anderen auch die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können (Nr. 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind "ausgenommen" – also keine leistungsberechtigten Personen im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II – Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Dieser Leistungsausschluss umfasste erst Recht Ausländer, die über kein Aufenthaltsrecht, also über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG), verfügen (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – juris Rdnr. 19 ff.; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 35/15 R – juris Rdnr. 24 m.w.N.; BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rdnr. 22).

Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs. 5 FreizügG/EU). Diese generelle Freizügigkeitsvermutung allein eröffnet indes weder einen Zugang zu Leistungen nach dem SGB II noch steht sie dem Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II entgegen (BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rdnr. 23).

Nach diesen Maßstäben waren die Kläger von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, da ein Aufenthaltsrecht allenfalls aus dem Zwecke der Arbeitsuche resultierte. Sie verfügten über keine andere materielle Freizügigkeitsberechtigung oder sonstiges Aufenthaltsrecht. Insbesondere waren die Kläger nicht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FreizügG/EU aufenthaltsberechtigt, da sie jedenfalls zwischen ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland und dem Ende des hier streitgegenständlichen Zeitraum keiner abhängigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nachgingen.

Dieser Leistungsausschluss ist sowohl mit dem Grundgesetz (dazu zuletzt BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rdnr. 29 ff.) und auch mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar (dazu Europäischer Gerichtshof [EuGH], Urteil vom 11. November 2014 – C-333/13 – Dano – juris; EuGH, Urteil vom 15. September 2015 – C-67/14 – Alimanovic – juris; BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – juris Rdnr. 35; BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rdnr. 27).

(2) Ein Leistungsanspruch der Kläger folgte im streitgegenständlichen Zeitraum auch nicht aus Art. 1 EFA.

Nach Art. 1 EFA, das unter anderem die Bundesrepublik Deutschland und die Italienische Republik unterzeichnet haben, deren Staatsangehörige die Kläger sind, ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge (im Folgenden als "Fürsorge" bezeichnet) zu erbringen, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Das EFA ist in der Bundesrepublik Deutschland durch das Zustimmungsgesetz vom 15. Mai 1956 (BGBl. II 563) in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten begründendes Recht transformiert worden (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R – juris Rdnr. 17 m.w.N.).

Einer weiteren Inländergleichbehandlung bezogen auf die hier allein streitigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II stand jedoch der von der Bundesregierung am 19. Dezember 2011 erklärte Vorbehalt entgegen. Der Vorbehalt ist formell wirksam erklärt worden (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R – juris Rdnr. 19 – auch zum Folgenden). Nach Art. 16 Abs. b EFA hat jeder Vertragschließende dem Generalsekretär des Europarats alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind (Satz 1). Gleichzeitig mit dieser Mitteilung kann der Vertragschließende Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden machen (Satz 2). Nach Art. 16 Abs. c EFA hat der Generalsekretär des Europarats den übrigen Vertragschließenden alle Mitteilungen, die ihm nach den Bestimmungen der Absätze a und b zugehen, zur Kenntnis zu bringen. Auf der Grundlage dieser Regelung hat die Bundesregierung am 19. Dezember 2011 gegen die Anwendung des SGB II im Rahmen des EFA gegenüber dem Europarat folgenden Vorbehalt angebracht: "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland übernimmt keine Verpflichtung, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden" (in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 2012, BGBl. II S. 144, berichtigt durch die Bekanntmachung zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 3. April 2012, BGBl. II S. 470). Gleichzeitig hat sie erstmals die Regelungen des SGB II als neue Fürsorgevorschriften notifiziert. Der Vorbehalt wurde den übrigen vertragschließenden Parteien des Fürsorgeabkommens nach Art. 16 Abs. c EFA zur Kenntnis gebracht. Der notifizierte Vorbehalt musste nicht durch ein entsprechendes Gesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG im innerstaatlichen Recht umgesetzt werden (dazu näher BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R – juris Rdnr. 20 ff.) und ist auch im Übrigen wirksam (dazu näher BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R – juris Rdnr. 22 ff.; zuvor bereits BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 9/13 R – juris Rdnr. 23).

Vor diesem Hintergrund hatten die Kläger jedenfalls seit dem 19. Dezember 2011 und damit auch in den hier streitgegenständlichen Monaten April und Mai 2012 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II aufgrund Art. 1 EFA. Es kann daher insoweit dahinstehen, ob Art. 1 EFA auch unabhängig von der Erklärung des Vorbehaltes durch die Bundesregierung deswegen nicht eingreift, weil das EFA nach seiner grundlegenden Konzeption nur den Staatsangehörigen anderer Vertragsstaaten den sozialen Schutz durch den Aufenthaltsstaat gewähren solle, die zur Zeit des Eintritts der Hilfsbedürftigkeit dort bereits ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten (so Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 Rdnr. 33, 60; Greiser in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Anhang zu § 23 Rdnr. 84, 101 ff., 105 ff. m.w.N.; a.A. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R – juris Rdnr. 39) und dies hier nicht der Fall war.

bb) Der Beklagte war berechtigt, seine Leistungsbewilligung gegenüber den Klägern für April und Mai 2012 zurückzunehmen. Entgegen der Auffassung des SG und des Beklagten bildet indes für den Kläger zu 1 nicht § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, sondern ebenso wie für die Kläger zu 2 bis 5 § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X die Ermächtigungsgrundlage. Dass der Beklagte seine Rücknahmeentscheidung hinsichtlich des Klägers zu 1 auf eine falsche Ermächtigungsgrundlage gestützt hat, resultiert lediglich in einer falschen Begründung des Bescheides, die diesen insofern (zur Ermessensausübung aber siehe noch unter (5)) aber nicht rechtswidrig macht. Insofern ist ein "Austausch" der Rechtsgrundlage unschädlich, da der Verfügungssatz hierdurch nicht berührt wird (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 4 AS 22/10 R – juris Rdnr. 26; BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 – B 4 AS 41/15 R – juris Rdnr. 15 m.w.N.).

Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, gemäß § 45 Abs. 1 SGB X nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit (1.) er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (2.) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (3.) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Diese Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 31. Januar 2012 mit Wirkung zum 1. April 2012 liegen hier vor.

(1) Der Bescheid vom 31. Januar 2012 war von Anfang an rechtswidrig. Den Kläger hätten keine Leistungen nach dem SGB II gewährt werden dürfen, da sie – siehe oben – vom Leistungsanspruch ausgeschlossen waren.

Da mit dem streitgegenständlichen Bescheid der Bescheid vom 31. Januar 2012 aufgehoben worden ist, ist unerheblich, dass dem Kläger zu 1 bereits mit Bescheid vom 5. Dezember 2011 Leistungen bewilligt worden waren. Dieser Bewilligungsbescheid ist für den hier streitigen Zeitraum durch den Änderungsbescheid vom 31. Januar 2012 geändert worden und hat sich insofern erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X).

(2) Der Bescheid des Beklagten vom 16. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2012 ist formell rechtmäßig. Insbesondere sind die Kläger hinreichend im Sinne von § 24 Abs. 1 SGB X angehört worden. Mit dem Anhörungsschreiben vom 26. März 2012 ist ihnen ausdrücklich auch Gelegenheit gegeben worden, sich zu den für eine Entscheidung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 SGB X erheblichen Tatsachen zu äußern. Eine solche (nachträgliche) Anhörung während des Vorverfahrens ist gemäß § § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X – im Übrigen noch bis zur letzten Tatsacheninstanz im sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren – zulässig.

Dass der Beklagte seine Entscheidung anschließend im Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2012 hinsichtlich des Klägers zu 1 auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützt hat, beseitigt nicht die Wirksamkeit der Anhörung (im Ergebnis auch BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 – B 4 AS 41/15 R – juris Rdnr. 15). Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich in dreifacher Hinsicht von derjenigen, über die der Senat in seinem Urteil vom 26. März 2015 (L 7 AS 4295/13 – juris Rdnr. 25; anschließend BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R – juris Rdnr. 13) entschieden hat: Dort hatte die Behörde ihre Rücknahmeentscheidung auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X und den Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden Bescheides und damit auch auf subjektive Tatbestandsvoraussetzungen gestützt, zu diesen aber nicht angehört, sondern nur zu einer beabsichtigten Aufhebungsentscheidung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. So liegt der Fall hier nicht. Erstens: Im vorliegenden Fall war die Anhörung – nach der insofern maßgeblichen (Urteil des Senats vom 26. März 2015 – L 7 AS 4295/13 – juris Rdnr. 24 m.w.N.) Rechtsauffassung des Beklagten – zugunsten des Klägers zu 1 überschießend, da er auch zu subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen angehört worden ist, obwohl es auf diese nach der Entscheidung des Beklagten nicht ankam. Die für die Aufhebungsentscheidung erheblichen Umstände waren von dem Beklagten in seinem Schreiben vom 26. März 2016 dargelegt; zu ihnen konnte sich auch der Kläger zu 1 äußern und hat dies auch getan. Der Beklagte hat seine Entscheidung damit nicht auf Gesichtspunkte gestützt, zu denen sich der Kläger zu 1 zuvor nicht hätte äußern können. Zweitens: Der Beklagte hat die Anhörung des Klägers zu 1 zu einer Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X während des erstinstanzlichen Verfahren mit Schreiben vom 4. November 2016 nachgeholt; der Kläger zu 1 hat sich am 9. November und 2. Dezember 2016 hierzu geäußert, ohne dass dabei neue Gesichtspunkte zu Tage getreten wären. Drittens: Der Beklagte hat vorliegend zu einer beabsichtigen Rücknahme nach § 45 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 SGB X und damit zu der – siehe oben – tatsächlich durchgreifenden Ermächtigungsgrundlage angehört.

(3) Das Vertrauen der Kläger auf den Bestand des Verwaltungsaktes war nicht schutzwürdig.

Das grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes entstehende Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes (Padé in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 45 Rdnr. 64) ist nur dann schutzwürdig, wenn das Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands das Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustands überwiegt (BSG, Urteil vom 14. Juni 1984 – 10 RKg 5/83 – juris Rdnr. 16; BSG, Urteil vom 5. November 1997 – 9 RV 20/96 – juris Rdnr. 18; Padé in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 45 Rdnr. 68). Das Interesse der Allgemeinheit besteht in der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und in der Vermeidung von ohne ausreichende gesetzliche Grundlage begründeten Belastungen. Letztlich dient die Wiederherstellung gesetzmäßiger Zustände im Falle von begünstigenden Verwaltungsakten der Vermeidung von Aufwendungen zu Lasten der (Solidar-)Gemeinschaft (Padé in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 45 Rdnr. 69). Bei Verwaltungsakten, mit denen Dauerleistungen bewilligt worden sind, ist dabei das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes größer als bei der Gewährung einmaliger Leistungen, weil eine Dauerleistung die Allgemeinheit in der Regel mehr belastet als eine einmalige Leistung (BSG, Urteil vom 14. Juni 1984 – 10 RKg 5/83 – juris Rdnr. 16; BSG, Urteil vom 5. November 1997 – 9 RV 20/96 – juris Rdnr. 18). Das Interesse des gutgläubigen Begünstigten an der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes besteht im Fortbestand der einmal gewährten Begünstigung. Sein Interesse ist an den ihm durch die Rücknahme drohenden Folgen zu messen. Drohen ihm unzumutbare Folgen, so ist sein Interesse schutzwürdig (Padé in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 45 Rdnr. 70).

Nach diesen Maßstäben war das Vertrauen der Kläger in den Bestand des Bewilligungsbescheides vom 31. Januar 2012 nicht schutzwürdig. Gegen die Schutzwürdigkeit des Vertrauens spricht, dass die Rücknahme der Leistungsbewilligung erst für einen zukünftigen Zeitraum erfolgte, der zudem nur zwei Monate umfasste. Die Kläger, die bis zu ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im November 2011 bzw. im Januar 2012 über keinerlei Bezüge zur Bundesrepublik Deutschland verfügten, konnte nicht damit rechnen, dass ihnen gleichwohl dauerhaft allein aufgrund des Umstandes ihrer Einreise und ihrer Hilfebedürftigkeit Sozialleistungen gewährt würden. Dies war ihnen im Übrigen schon deswegen bewusst, weil die Leistungen nur bis zum 31. Mai 2012 bewilligt worden waren. Der Aufenthalt der Kläger war im Zeitpunkt des Erlasses des Rücknahmebescheides vom 16. März 2012 auch noch nicht derart verfestigt, dass dies zur Schutzwürdigkeit ihres Vertrauens geführt hätte. Vielmehr verfügten die Kläger weder über eine Beschäftigung noch über eine eigene Wohnung; sie waren allein aufgrund der ordnungsbehördlichen Wohnungseinweisung durch die Stadt R. nicht obdachlos. Auch Vermögensdispositionen hatten sie nicht getroffen. Die mit der Erstausstattung ihres Haushaltes in der Bundesrepublik Deutschland verbundenen Kosten in Höhe von 2.689,00 Euro wurden durch den Beklagten getragen (Bescheid vom 24. Januar 2012); diese Leistungsgewährung wird von der hier streitgegenständlichen Rücknahmeentscheidung nicht berührt. Hinsichtlich des Vorbringens der Kläger zur Auflösung ihres Haushaltes in Italien haben das SG und der Beklagte bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass die Kläger bislang keinerlei konkrete Angaben – insbesondere zu einem etwaigen Erlös und dessen Verwendung – hierzu gemacht haben. Auch der Vortrag im Berufungsverfahren, es sei für den Kläger zu 1 sehr aussichtsreich gewesen, "in Kürze" eine Arbeitsstelle zu erhalten, bleibt ohne jede Substantiierung und ist auch durch den tatsächlichen Verlauf widerlegt: Der Kläger zu 1 hat bis zum Ende des streitgegenständlichen Zeitraumes gerade keine Beschäftigung aufgenommen; er hat erst ab dem 4. Juni 2012 eine geringfügige Beschäftigung mit einer Entlohnung von 225,00 Euro pro Monat aufgenommen, worauf hin dann der Beklagte den Klägern auch Leistungen nach dem SGB II ab dem 4. Juni 2012 (bis zunächst 30. November 2012) bewilligt hat (Bescheid vom 18. Juli 2012).

Neben das allgemeine, stets zu berücksichtigende Interesse der Allgemeinheit an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und an der Vermeidung von finanziellen Belastungen des Steuerzahlers ohne gesetzliche Grundlage tritt in einer Konstellation wie der vorliegenden noch hinzu, dass die Gewährung von finanziellen Leistungen entgegen dem materiellen Recht sowohl in Bezug auf die jeweils konkret betroffenen Personen als auch auf andere in vergleichbarer ausländerrechtlicher Lage befindliche Personen eine Anreizwirkung darstellen, in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen und/oder dort zu verbleiben. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BSG zu § 23 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 SGB XII in der vom 7. Dezember 2006 bis 5. August 2016 geltenden Fassung (a.F.), wonach eine Verfestigung des Aufenthaltes eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Sozialhilfeleistungsanspruch führen kann (dazu noch unten). Wenn nach der Rechtsprechung des BSG der tatsächliche und verfestigte Aufenthalt auch zu Sozialhilfeansprüchen führen kann, dann entspricht es dem besonderen Interesse der Allgemeinheit, eine solche Verfestigung des Aufenthaltes nicht durch die Gewährung rechtswidriger Leistungen zu befördern und vor Ablauf des vom BSG angenommenen Sechsmonatszeitraums die rechtswidrige Leistungsgewährung zu korrigieren.

Entgegen der Auffassung der Kläger kann zu ihren Gunsten nicht berücksichtigt werden, dass sie gerade wegen der Bewilligungsentscheidung des Beklagten ihren Wohnsitz in Italien aufgegeben und nach Deutschland eingereist sind. Hierbei handelt es sich um einen Gesichtspunkt, der nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Variante 1 SGB XII a.F. gerade zu einem Ausschluss vom Anspruch auf Sozialhilfe führt (dazu noch unten). Zwar steht er nach der Rechtsprechung des BSG der Anwendbarkeit des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a.F. nicht entgegen. Auch in diesem Fall erfolgt eine etwaige Leistungsgewährung aber nicht wegen der Einreise zum Zweck des Bezuges von Sozialhilfe, sondern trotz dieses Einreisezweckes. Eine derartige, von der Rechtsordnung missbilligte Intention kann nicht im Rahmen des SGB II als Vertrauensschutzgesichtspunkt in die Interessenabwägung zu Gunsten des Leistungsbeziehers eingestellt werden.

(4) Der Beklagte hat auch das ihr zustehende Ermessen hinsichtlich der Kläger zu 2 bis 5 fehlerfrei ausgeübt.

Eine Rücknahmeentscheidung gemäß § 45 Abs. 1 SGB X steht im Ermessen der Behörde (BSG, Urteil vom 13. August 2014 – B 6 KA 38/13 R – juris Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 7. August 2014 – B 13 R 39/13 R – juris Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 R 14/11 R – juris Rdnr. 19). Die Ausnahmeregelung des § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in der vom 1. April 2011 bis 31. Dezember 2015 geltenden Fassung i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III greift nicht ein, weil kein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegt.

Die gerichtliche Überprüfung behördlicher Ermessensausübung erfolgt in eingeschränktem Umfang, nämlich nur hinsichtlich eines Ermessensnichtgebrauchs, einer Ermessensunter- oder -überschreitung und eines Ermessensfehlgebrauch (siehe statt aller – auch zum Folgenden – nur Söhngen in jurisPK-SGG, 2017, § 54 Rdnr. 53). Es ist also nur zu prüfen, ob die Ermächtigungsgrundlage der Behörde überhaupt Ermessen einräumt, ihr also gestattet wird, unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen zu entscheiden, ob eine Rechtsfolge eintreten soll oder nicht (Entschließungsermessen) und ob sie (nur oder zusätzlich) unter mehreren Rechtsfolgen auswählen können soll (Rechtsfolgeermessen). Verkennt die Behörde diesen Entscheidungsspielraum überhaupt, geht sie also davon aus, dass sie eine bestimmte Entscheidung zwingend zu treffen habe, liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor. Verkennt sie den Umfang ihres Ermessens in der Weise, dass sie bestimmte Entscheidungsalternativen nicht in die Überlegungen miteinbezieht, liegt eine Ermessensunterschreitung vor. Wählt sie schließlich eine Rechtsfolge, die in der Ermächtigungsnorm nicht vorgesehen ist, handelt es sich um eine Ermessensüberschreitung.

Der Beklagte hat im Widerspruchsbescheid ausdrücklich die von den Klägern ins Feld geführten Ermessensgesichtspunkte (Auflösung und Räumung des Haushaltes in Italien im Hinblick auf die Leistungsgewährung durch den Beklagten, erneute Schwangerschaft der Klägerin zu 2, Anmeldung der Kläger zu 3 bis 5 zur Schule) berücksichtigt und mit den für eine Rücknahmeentscheidung sprechenden Aspekten (keine Vermögensdispositionen, kurze Zeit des Aufenthaltes im Inland) abgewogen, ohne dass hiergegen – zumal angesichts des bei der gerichtlichen Überprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen eingeschränkten Maßstabes – Bedenken bestehen.

(5) Allerdings ist die Entscheidung des Beklagten hinsichtlich des Klägers zu 1 ermessensfehlerhaft. Der Beklagte ging – wohl auch aufgrund des Beschlusses des SG vom 16. Mai 2012 (S 3 AS 1204/12 ER) im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – davon aus, dass die Aufhebungsentscheidung gegenüber dem Kläger zu 1 auf § 48 SGB X zu stützen und deswegen Ermessen nicht auszuüben sei. Da sich die Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Leistungsbewilligung gegenüber dem Kläger zu 1 indes genauso wie gegenüber den Klägern zu 2 bis 5 nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X richtet, weil der zuletzt maßgebliche Bescheid vom 31. Januar 2012, der an die Stelle des Bescheides vom 5. Dezember 2011 getreten ist, von Anfang an rechtswidrig war, hätte der Beklagte auch hinsichtlich des Klägers zu 1 Ermessen ausüben müssen. Dass dies nicht geschehen ist und der Senat auch nicht überzeugt ist, dass eine Ermessensreduktion auf Null vorliegt, führt als Ermessensnichtgebrauch dazu, dass die streitgegenständlichen Bescheide den Kläger zu 1 hinsichtlich der ihm gegenüber erfolgten Bewilligungsrücknahme in seinen Rechten verletzen und insoweit rechtswidrig sind. Seine Klage ist daher begründet.

(6) Die weiteren Voraussetzungen für die Rücknahme des Verwaltungsaktes sind erfüllt. Insbesondere hat die gemäß § 45 Abs. 5 SGB X i.V.m. § 44 Abs. 3 SGB X zuständige Behörde gehandelt. Die statt der Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X eigentlich maßgebliche Zehnjahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X kommt nicht zur Anwendung, weil die Geldleistung bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme des Bescheides gezahlt wurde (§ 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X); im Übrigen wären aber sowohl die Zwei- als auch die Zehnjahresfrist gewahrt, denn der zurückgenommene Verwaltungsakt datiert auf den 31. Januar 2012, während die Rücknahme bereits am 16. März 2012 erfolgte. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist jedenfalls deswegen gewahrt, weil der Beklagte frühestens mit Bekanntgabe des von der Bundesregierung zum EFA erklärten Vorbehaltes am 19. Dezember 2011 Kenntnis von den Tatsachen haben konnte, die die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 31. Januar 2012 rechtfertigen, aber die Rücknahmeentscheidung bereits am 16. März 2012 erfolgte.

(7) Der Rücknahmebescheid vom 16. März 2012 ist auch hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X. Da die Leistungsbewilligung für April und Mai 2012 vollständig aufgehoben wurde, bedurfte es keiner betragsmäßigen Aufschlüsselung bezogen auf jeden einzelnen Kläger. Der Einwand der Kläger, dass die Rückforderung bezüglich einzelner Personen in der Bedarfsgemeinschaft auch einzeln zu konkretisieren und auszusprechen sei, geht schon deshalb ins Leere, weil mit dem streitgegenständlichen Bescheid noch gar keine Erstattungsforderung geltend gemacht wurde.

cc) Die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X steht den Rücknahmeentscheidungen des Beklagten gegenüber den Klägern zu 2 bis 5 nicht entgegen. Hinsichtlich der Rücknahmeentscheidung gegenüber dem Kläger zu 1 kommt es hierauf nicht an, da der Bescheid insoweit bereits mangels Ermessensausübung rechtswidrig ist (siehe oben).

(1) Soweit eine Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs. 1 SGB X reicht, schließt sie allerdings eine Aufhebung bzw. Rücknahme der Leistungsbewilligung durch den Leistungsträger, der den Erstattungsanspruch hat, nach den § 44 ff. SGB X (und einen Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X) aus (BSG, Urteil vom 20. Dezember 2011 – B 4 AS 203/10 R – juris Rdnr. 19 m.w.N.; BSG, Urteil vom 22. Mai 2002 – B 8 KN 11/00 R – juris Rdnr. 17; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. März 2012 – L 1 AL 90/11 – juris Rdnr. 22; Roller in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 107 SGB X Rdnr. 8). Die Erfüllungsfiktion verleiht dem Sozialleistungsempfänger einen Rechtsgrund, die Leistung zu behalten (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. März 2016 – L 23 SO 267/15 – juris Rdnr. 94; Böttiger in Diering/Timme, SGB X, 4. Aufl. 2016, § 107 SGB X Rdnr. 11). Der Leistungsträger hat also kein Wahlrecht, die Erstattung entweder vom anderen Leistungsträger oder vom Leistungsempfänger zu verlangen (BSG, Urteil vom 31. Oktober 1991 – 7 RAr 46/90 – juris Rdnr. 27; BSG, Urteil vom 29. April 1997 – 8 RKn 29/95 – juris Rdnr. 19 m.w.N. auch zur früheren, diese Frage offen lassenden Rechtsprechung des BSG; BSG, Urteil vom 22. Mai 2002 – B 8 KN 11/00 R – juris Rdnr. 17; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. März 2016 – L 23 SO 267/15 – juris Rdnr. 94; Böttiger in Diering/Timme, SGB X, 4. Aufl. 2016, § 107 SGB X Rdnr. 12).

(2) Die Erfüllungsfiktion – und damit auch deren Sperrwirkung gegenüber einer Rücknahme der Leistungsbewilligung – setzt aber voraus, dass ein Erstattungsanspruch des Trägers, der Leistungen bewilligt hat, gegenüber einem anderen Träger objektiv besteht (BSG, Urteil vom 28. März 2000 – B 8 KN 3/98 U R – juris Rdnr. 18; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 9. März 2017 – L 4 AS 61/14 – juris Rdnr. 48). Ein solcher Erstattungsanspruch könnte hier allenfalls aufgrund § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X bestehen (vgl. Kater in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 105 SGB X Rdnr. 59 [April 2015]). Nach dieser Norm ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, soweit der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Der Erstattungsanspruch setzt also unter anderem voraus, dass der andere Träger zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (vgl. Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 105 Rdnr. 12 [August 2011]; Kater in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 105 SGB X Rdnr. 17 [April 2015]).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt, denn der Beklagte hat gegen den Beigeladenen keinen Erstattungsanspruch, denn der Beigeladene war gegenüber den Klägern zu 2 bis 5 nicht zur Leistung verpflichtet. Die Kläger zu 2 bis 5 hatten – jedenfalls mangels einer Ermessensreduzierung auf Null – keinen Leistungsanspruch gegen den Beigeladenen als örtlich zuständigem Träger der Sozialhilfe.

Nach § 19 Abs. 1, § 27 Abs. 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Ob dem Leistungsanspruch der Kläger bereits § 21 Satz 1 SGB XII entgegensteht, wonach Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten, oder ob diese Regelung bei Personen, die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II unterfallen, nicht greift (so BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – juris Rdnr. 40 ff.; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 35/15 R – juris Rdnr. 34 ff.; BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rdnr. 32 ff.; zur Kritik und Gegenansicht etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016 – L 12 SO 79/16 B ER – juris Rdnr. 18 ff.; Bernsdorff, NVwZ 2016, 633 [634 f.]), kann dabei dahinstehen.

Die Kläger zu 2 bis 5 unterliegen jedenfalls dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII a.F. Danach haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

Voraussetzung für § 23 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 SGB XII a.F. ist, dass der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – juris Rdnr. 45; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 35/15 R – juris Rdnr. 38; BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rdnr. 42). Dies ist hier der Fall. Die Kläger zu 2 bis 5 sind in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Dies ergibt sich schon aus dem eigenen Vorbringen der Kläger: Sie tragen vor, dass die Kläger zu 2 bis 5 ihren Wohnsitz in Italien aufgegeben haben, nachdem dem Kläger zu 1 Leistungen nach dem SGB II bewilligt worden sind. Im Vorverfahren haben sie ausdrücklich ausgeführt, die Familie habe "nicht zuletzt, sondern in erster Linie aufgrund [der] Bewilligungsbescheide" des Beklagten ihren gesamten Haushalt in Italien aufgelöst und sei nach Deutschland verzogen. Im Klageverfahren haben die Kläger vorgebracht, sie hätten im Vertrauen auf den Bescheid vom 5. Dezember 2011 und auf die Zusicherung der Übernahme der Kosten einer Unterkunft vom 23. Dezember 2011 Wohnung und Hausrat in Italien aufgelöst, in Deutschland zum 2. Januar 2012 eine Wohnung angemietet und seien nach R. verzogen. Der finale Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebegehren ist damit offenkundig. Nachdem der Beklagte dem Kläger zu 1 Leistungen nach dem SGB II bewilligt hatte, sind die Kläger zu 2 bis 5 – ohne eigene Mittel – in die Bundesrepublik Deutschland nachgekommen, um gleichfalls Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes zu erlangen.

Außerdem unterliegen die Kläger auch dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 SGB XII a.F., weil sie – siehe oben – weder über eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen, so dass sich im streitgegenständlichen Zeitraum ihr Aufenthaltsrecht allenfalls aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Ebenso wie im SGB II sind auch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 SGB XII nichtfreizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe ausgenommen (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – juris Rdnr. 48; BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rdnr. 42). Auch dieser Leistungsausschluss ist mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar (BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rdnr. 43).

Nach der Rechtsprechung des BSG führt der Leistungsausschlusses nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII a.F. jedoch nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a.F., wonach im Übrigen Sozialhilfe geleistet werden kann, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – juris Rdnr. 51 f.; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 35/15 R – juris Rdnr. 40 ff.; BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rdnr. 44 ff.; zur Kritik und Gegenposition etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016 – L 12 SO 79/16 B ER – juris Rdnr. 27 ff.; Bernsdorff, NVwZ 2016, 633 [635]; Greiner/Kock, NZS 2017, 201 [205]; Thym, NZS 2016, 441 [443 f.]).

Das Ermessen des Sozialhilfeträgers reduziert sich nach der Rechtsprechung des BSG dem Grund und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigte habe, was regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland der Fall sei (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – juris Rdnr. 53). Dies soll jedenfalls bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland gelten, gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet wird (BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 35/15 R – juris Rdnr. 41; a.A. etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Juli 2017 – L 2 AS 890/17 B ER – juris Rdnr. 24)

Der Senat kann offen lassen, ob er der Rechtsprechung des BSG insofern folgt. Denn auch bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG hätten die Kläger zu 2 bis 5 keinen Leistungsanspruch aufgrund einer Ermessenreduktion auf Null. Die Kläger zu 2 bis 5 sind erst am 19. Januar 2012 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, so dass ein Zeitraum von sechs Monaten erst am 19. Juli 2012 und damit nach Abschluss des hier streitgegenständlichen Zeitraums erreicht ist. Der Senat ist auch unabhängig von der Sechsmonatsgrenze der Überzeugung, dass sich der Aufenthalt der Kläger zu 2 bis 5 vor dem 31. Mai 2012 noch nicht so verfestigt hat, dass eine Ermessensreduktion auf Null anzunehmen wäre. Zu berücksichtigen ist, dass die Kläger noch im streitgegenständlichen Zeitraum über keine eigene Wohnung verfügten, sondern nur aufgrund der behördlichen Wohnungseinweisung nicht obdachlos waren. Auch eine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt war im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht geknüpft (vgl. zur Bedeutung familiärer Bindung, sprachlicher und wirtschaftlicher Integration etwa Thym, NZS 2016, 441 [444]).

Selbst wenn die Kläger zu 2 bis 5 gegen den Beigeladenen einen Anspruch auf eine Ermessensentscheidung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a.F. hätten, bewirkte ein solcher bloßer Bescheidungsanspruch mangels Erstattungsanspruch keine Erfüllungsfiktion.

Unabhängig von dem Vorstehenden steht einem Erstattungsanspruch des Beklagten gegenüber dem Beigeladenen auch entgegen, dass § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X gemäß § 105 Abs. 3 SGB X gegenüber den Trägern der Sozialhilfe, hier also dem Beigeladenen, nur von dem Zeitpunkt an gilt, von dem ihnen bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen. Damit soll verhindert werden, dass die Sozialhilfeträger für die Vergangenheit erstattungspflichtig werden (Prange in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 105 Rdnr. 55). Die Sozialhilfeträger müssen sich die Kenntnis anderer Träger im Erstattungsverhältnis dabei nicht zurechnen lassen (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 2. Juni 2005 – 5 C 30/04 – juris Rdnr. 12; SG Duisburg, Urteil vom 12. Dezember 2017 – S 49 AS 3784/15 – juris Rdnr. 52 m.w.N.; Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 103 Rdnr. 24; Böttiger in Diering/Timme, SGB X, 4. Aufl. 2016, vor §§ 102-114 SGB X Rdnr. 46; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 103 Rdnr. 21 [August 2011]; Prange in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 105 Rdnr. 55) und zwar auch dann, wenn – wie nach der Rechtsprechung des BSG hier (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – juris Rdnr. 39 m.w.N.) – im Leistungsverhältnis eine Zurechnung erfolgen würde (BVerwG, Urteil vom 2. Juni 2005 – 5 C 30/04 – juris Rdnr. 12; SG Duisburg, Urteil vom 12. Dezember 2017 – S 49 AS 3784/15 – juris Rdnr. 52 ff. m.w.N.). Insbesondere muss sich der zur Leistung verpflichtete Träger nicht die Kenntnis des Sozialleistungsträgers zurechnen lassen, der die Leistung erbracht hat (Kater in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 105 SGB X Rdnr. 28 [April 2015]).

Dem Beigeladenen war – selbst wenn man einen Anspruch der Kläger zu 2 bis 5 im Wege einer Ermessensreduktion auf Null unterstellt – jedenfalls nicht vor dem 1. Juni 2012 bekannt, dass die Voraussetzungen für seine Leistungspflicht vorlagen. Dabei ist es unerheblich, ob man darauf abstellt, dass der Beigeladene erst durch den Beiladungsbeschluss des SG vom 11. April 2017 von den Klägern und ihrer Hilfebedürftigkeit Kenntnis erlangt hat oder ob man auf die erste Entscheidung des BSG zur Anwendbarkeit des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a.F. vom 3. Dezember 2015 (B 4 AS 44/15 R – juris) abstellt; beide Ereignisse lagen nach dem 31. Mai 2012 und damit dem hier streitigen Zeitraum. Jedenfalls vor dem Urteil des BSG vom 3. Dezember 2015 (B 4 AS 44/15 R – juris) konnte der Beigeladene nicht wissen, dass ein Anspruch der Kläger gegen ihn bestehen könnte.

Ein Anspruch der Kläger zu 2 bis 5 gegen den Beigeladenen folgt auch nicht aus Art. 1 EFA. Rechtsfolge des Art. 1 EFA wäre, dass die Kläger so zu stellen wären, wie wenn sie deutsche Staatsangehörige wären (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 59/13 R – juris Rdnr. 21; Beschluss des Senats vom 15. März 2017 – L 7 AY 5085/15 – juris Rdnr. 34). In diesem Fall hätten sie nicht Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII, sondern nach dem SGB II, denn sie gehörten im streitgegenständlichen Zeitraum als erwerbsfähige Leistungsberechtigten im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II bzw. als deren unverheiratete Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zu den nach dem SGB II dem Grunde nach Leistungsberechtigten (vgl. Beschluss des Senats vom 15. März 2017 – L 7 AY 5085/15 – juris Rdnr. 34). Ob unabhängig davon Art. 1 EFA auch nicht eingreift, wenn die Voraussetzungen für einen Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 SGB XII vorliegen, der Ausländer also eingereist ist, um Sozialhilfe zu erlangen (so Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 Rdnr. 33, 60; Greiser in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Anhang zu § 23 Rdnr. 84, 101 ff., 105 ff. m.w.N.) oder ob die Anwendbarkeit des Art. 1 EFA hiervon unabhängig ist (so BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R – juris Rdnr. 39), kann daher dahinstehen.

dd) Die Frage, ob die Kläger einen Anspruch gegenüber dem Beigeladenen auf eine Ermessenentscheidung haben, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 16. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2012. Zwar kann gemäß § 75 Abs. 5 SGG unter anderem ein Träger der Sozialhilfe nach Beiladung verurteilt werden. Es handelt sich indes um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift (Gall in jurisPK-SGG, 2017, § 75 Rdnr. 185), die zudem nur Verpflichtungs-, Leistungs- und Feststellungsklagen erfasst (Gall in jurisPK-SGG, 2017, § 75 Rdnr. 186 m.w.N.; Straßfeld in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 75 Rdnr. 289). Dies beruht darauf, dass die Zielrichtung der ursprünglich erhobenen Klage und einer etwaigen Verurteilung eines Beigeladenen identisch sein muss. Bei einer – wie hier vorliegenden – isolierten Anfechtungsklage kommt eine Verurteilung bereits des Beklagten nicht in Betracht, da die angestrebte gerichtliche Entscheidung rein kassatorischer Natur ist. § 75 Abs. 5 SGG ermöglicht lediglich die Verurteilung eines anderes Beteiligten statt des Beklagten, eröffnet aber nicht die Möglichkeit einer Verurteilung des Beigeladenen statt oder zusätzlich zu einer rein kassatorischen Entscheidung gegenüber dem Beklagten. Dies beruht zusätzlich darauf, dass eine Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG nur in Betracht kommt, wenn die Klage gegen den Beklagten keinen Erfolg hat (Gall in jurisPK-SGG, 2017, § 75 Rdnr. 190; Straßfeld in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 75 Rdnr. 294), also eine Wechselwirkung (Gall in jurisPK-SGG, 2017, § 75 Rdnr. 191; Straßfeld in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 75 Rdnr. 294 f.) und Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (Straßfeld in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 75 Rdnr. 296). An dieser Wechselwirkung fehlt es bei einer isolierten Anfechtungsklage von vorneherein. Denn eine solche isolierte Anfechtungsklage könnte Erfolg haben – etwa aufgrund formellrechtlicher Mängel des angefochtenen Bescheides – ohne dass damit ein Anspruch gegen den Beigeladenen ausgeschlossen wäre. Entsprechend hat das BSG gerade in der Konstellation, in der es über die Aufhebung von Leistungsbewilligungen der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegenüber Ausländern entschieden hat, nicht die Frage einer Verurteilung des Sozialhilfeträgers thematisiert (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R – juris).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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