S 8 AS 95/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 95/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 41 a SGB II ist auch bei abschließenden Entscheidungen über vorläufig beschiedene Bewilligungszeiträume, die vor August 2016 endeten, anwendbar.
I. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2017 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Leistungsanspruch der Kläger im Zeitraum September 2015 bis Februar 2016 an den Beklagten zurückverwiesen.
II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind der endgültige Leistungsanspruch der Kläger von September 2015 bis Februar 2016 und daraus resultierende Rückforderungen von insgesamt 3.868,32 EUR streitig.

Der 1987 geborene Kläger zu 1, seine 1988 geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2, und ihr 2013 geborener Sohn, der Kläger zu 3, beantragten erneut im September 2015 beim beklagten Jobcenter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Kläger zu 1 betreibt seit Mai 2015 als Selbstständiger ein Tattoostudio; einen Gewinn hieraus prognostizierte er nicht. Die Klägerin zu 2 erhielt ab Januar 2016 Arbeitslosengeld, wobei der Beklagte über einen Erstattungsanspruch gegen die Agentur für Arbeit für die Monate Januar und Februar 2016 hiervon 2.310 EUR erhielt. Für den Kläger zu 3 wurde im streitigen Zeitraum Kindergeld und Betreuungsgeld von monatlich 150 EUR gezahlt.

Nachdem der Beklagte Leistungen zunächst mit Bescheid vom 8. Dezember 2015 wegen unzureichender Mitwirkung versagt hatte, bewilligte er der Bedarfsgemeinschaft der Kläger mit Bescheid vom 14. Januar 2016 vorläufig Leistungen für die Monate September 2015 bis Februar 2016 in unterschiedlicher Höhe. Dabei wurden als bedarfsminderndes Einkommen lediglich Kinder- und Betreuungsgeld berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 28. Januar und vom 17. Februar 2016 forderte der Beklagte den Kläger zu 1 zur Abgabe einer abschließenden Erklärung über seine Einnahmen und Ausgaben aus der selbstständigen Tätigkeit (EKS) nebst Belegen auf. Der Kläger zu 1 reichte in der Folgezeit unter anderem betriebswirtschaftliche Auswertungen (BWAs) für die Monate September bis Dezember 2015 sowie vorläufige BWAs für Januar und Februar 2016 ein.

Unter dem 28. November 2016 forderte der Beklagte den Kläger zu 1 zur Abgabe einer abschließenden EKS nebst Belegen bis 31. Dezember 2016 auf und wies darauf hin, dass bei nicht vollständiger Erfüllung der Nachweis- oder Auskunftspflicht der Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend festgestellt wird, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden. Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand.

Mit drei Bescheiden vom 22. März 2017 setzte das beklagte Jobcenter den Leistungsanspruch der Kläger für die Monate September 2015 bis Februar 2016 auf Null fest und forderte von den Klägern zu 1 und 2 jeweils 1.607,67 EUR und vom Kläger zu 3 652,98 EUR überzahlte Leistungen zurück. Dem Kläger zu 1 sei am 28. November 2016 erneut Gelegenheit zur Einreichung der EKS gegeben worden. Trotzdem seien keine vollständig ausgefüllte und unterschriebene abschließende EKS und keine Nachweise zu den Betriebseinnahmen und -ausgaben eingegangen. Damit seien die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nicht nachgewiesen.

Im Widerspruch wurde vorgetragen, der Kläger zu 1 sei mit Unterlagen beim Jobcenter gewesen. Ferner wurde eine abschließende EKS für Januar und Februar 2016 eingereicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2017 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die vorläufige Bewilligung sei nie abgeändert worden, so dass Vorläufigkeit gegeben gewesen sei. Der Kläger zu 1 sei mehrfach unter Fristsetzung zur Einreichung von Unterlagen aufgefordert worden, v.a. einer vollständig ausgefüllten und unterschriebenen EKS mit sämtlichen Nachweisen und Belegen. Die Abgabe einzelner BWAs genüge nicht. Eine Reaktion sei aber nicht erfolgt.

Dagegen ist durch den Kläger zu 1 am 23. Januar 2018 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben und vorgetragen worden, es sei nicht richtig, dass er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Er habe alle Unterlagen vorgelegt. Die Rückforderung sei daher nicht rechtmäßig.

Der Beklagte hat seine Entscheidung verteidigt.

Für die Kläger wird beantragt:

Die Bescheide des Beklagten vom 22. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 2017 werden aufgehoben.

Für den Beklagten wird beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Gegenstand der Klage ist das Ziel der Kläger, nicht mit den Rückforderungen belastet zu werden, die aus der endgültigen Leistungsfestsetzung resultieren. Das ergibt sich hinreichend deutlich aus dem bisherigen Vorbringen. Mit der Gestaltung - dementsprechend auch die Antragstellung in der mündlichen Verhandlung - als reine Anfechtungsklage kann dieses Rechtsschutzziel bereits erreicht werden, weil bei der vorläufigen Leistungsbewilligung kein Erwerbseinkommen des Klägers zu 1 bedarfsmindernd berücksichtigt worden ist und damit die Beibehaltung dieser Leistungsbewilligung für die Kläger am günstigsten wäre. Das gilt nicht zuletzt im Hinblick auf die gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1, § 41a Abs. 5 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) mit dem 31. Juli 2017 ablaufende Frist zur abschließenden Leistungsfestsetzung für den streitigen Zeitraum.

Die so verstandene Klage ist als isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Sie ist insbesondere für die Kläger zu 2 und 3 ebenfalls wirksam und fristgemäß durch den Kläger zu 1 am 23. Januar 2017 erhoben worden. Unter Berücksichtigung des oben skizzierten Klageziels war davon auszugehen, dass der Kläger zu 1 als juristischer Laie die Klage ebenso wie den vorhergehenden Widerspruch nicht nur für sich, sondern für die gesamte Bedarfsgemeinschaft erheben wollte. Die Klägerin zu 2 hat später auch mitgeteilt, dass er dazu bevollmächtigt war.

Die Klage hat in der Sache Erfolg im Sinn der Aufhebung des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheids und der Zurückverweisung an den Beklagten zur erneuten Entscheidung über den endgültigen Leistungsanspruch der Kläger von September 2015 bis Februar 2016.

Inwieweit die Bescheide des Beklagten vom 22. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 2017 im Ergebnis rechtmäßig sind und die Kläger in ihren Rechten verletzen, bedarf weiterer Sachaufklärung.

Die Kläger erfüllten im streitigen Zeitraum grundsätzlich die Leistungsvoraussetzungen der §§ 7 bis 9, 19 und 23 SGB II. Die Kläger zu 1 und 2 lagen innerhalb der Altersgrenzen, waren erwerbsfähig und alle Kläger hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und bildeten eine Bedarfsgemeinschaft. Lediglich offen ist das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit im Sinn des § 9 SGB II im Hinblick auf Einkommen des Klägers zu 1 aus seiner selbstständigen Tätigkeit. Ferner hatte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 14. Januar 2016 für den streitigen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit bewilligt.

Als Rechtsgrundlage für die Entscheidung des beklagten Jobcenters über den abschließenden Leistungsanspruch der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum kommen nur § 80 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 41a Abs. 3 SGB II infrage. Demnach ist auch für vorläufig beschiedene Bewilligungszeiträume, die vor dem 1. August 2016 endeten, über den monatlichen Leistungsanspruch gemäß des seit 1. August 2016 geltenden § 41a SGB II abschließend zu entscheiden. Die anderslautende Auffassung (vgl. v.a. SG Berlin, Urteil vom 25. September 2017, S 179 AS 6737/17, und dem folgend jüngst SG Dresden, Urteil vom 11. Januar 2018, S 52 AS 4077/17 - jeweils zitiert nach juris) vermag das Gericht nicht zu überzeugen, sondern es bleibt bei der im Urteil der Kammer vom 3. Juli 2017, S 4 AS 400/17, vertretenen Ansicht. Soweit teilweise als Begründung auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. März 2017, B 14 AS 18/16 R, verwiesen wird, führt dies für die vorliegende Konstellation nicht weiter. Dem Urteil des BSG lag ein anderer Sachverhalt zugrunde. Dort war nämlich bereits vor dem 1. August 2016, dem Datum des Inkrafttretens von § 41a SGB II (eingefügt durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1824), nach altem Recht eine abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch getroffen worden. Das BSG hat lediglich unter Verweis auf das Geltungszeitprinzip bestätigt, was ohnedies nicht aus § 80 Abs. 2 SGB II herauszulesen ist, nämlich dass dann das damals geltende Recht anzuwenden ist und nicht § 41a Abs. 4 SGB II. Für die hier inmitten stehende Fallgestaltung ist nach Meinung des Gerichts aus dieser Entscheidung nicht abzuleiten, dass die Anwendung von § 41a SGB II in jedem Fall ausgeschlossen ist, also auch wenn nur eine vorläufige Entscheidung über den Leistungsanspruch ergangen ist, jedoch noch keine endgültige. Ferner hält das Gericht den Schluss aus § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II auf eine fehlende Anwendbarkeit von § 41a SGB II auf nur vorläufig beschiedene Bewilligungszeiträume mit Ende vor August 2016 in der Zusammenschau mit der Gesetzesbegründung für wackelig. Wie auch von der Gegenansicht konzediert, ist aus der Begründung zu § 80 Abs. 2 SGB II die Intention nicht zu verkennen, § 41a auf alle am 1. August 2016 noch nicht abgeschlossenen, nur vorläufig verbeschiedenen Bewilligungszeiträume anzuwenden. Dass dies in der Gestaltung der Norm keinen (ausreichenden) Niederschlag gefunden haben soll, ist für das Gericht nicht zu sehen. § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II ergibt durchaus Sinn und hat einen entsprechenden Anwendungsbereich bei der hier vertretenen Auslegung, dass § 41a SGB II auf alle am 1. August 2016 bereits abgeschlossenen Bewilligungszeiträume mit der normierten Maßgabe angewandt wird. Auch wenn andere Formulierungen denkbar sind, unterstreicht die gewählte Normgestaltung doch gerade die - wie aus der Begründung ersichtlich - vorgehabte Differenzierung anhand des Zeitpunkts des Inkrafttretens des neuen Regelungsregimes zur abschließenden Entscheidung. Eine nicht mehr hinzunehmende Schlechterstellung des betreffenden Leistungsempfängers geht damit nicht einher. Denn das neue Recht sieht vor, dass ausreichend belehrt wird, was nach altem Recht so nicht in dieser Konsequenz statuiert war. Hinzu kommt, dass nunmehr anders als bisher über § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II eine zeitliche Grenze für die abschließende Leistungsbewilligung eingezogen wurde, von welcher Leistungsempfänger durchaus profitieren können. Dass gegenüber diesen Vorteilen der Wegfall etwa der Schätzungsmöglichkeit derart nachteilig ins Gewicht fällt, nimmt das Gericht nicht an. Im Gegenteil wird die verfahrensrechtliche Position - und mehr hat ein Empfänger vorläufiger Leistungen in Bezug auf eine abschließende Entscheidung nicht erworben - gerade gestärkt. Dem Geltungszeitprinzip wird mithin ausreichend Rechnung getragen. Darüber hinaus ist aus § 80 Abs. 1 SGB II ebenfalls zu schließen, dass § 41a SGB II Anwendung finden soll. Der dort bestimmte Anwendungsbefehl bezüglich einer zum 1. August 2016 außer Kraft getretenen Fassung von § 41 Abs. 3 und 4 SGB II ist nur für den Fall sinnhaft, dass die Regelung eben für die abschließende Leistungsbewilligung nach Juli 2016 gar nicht mehr heranzuziehen ist. Eine derartige Regelung wäre aber nach der Gegenauffassung infolge des Geltungszeitprinzips entbehrlich. Das Gericht interpretiert die Existenz dieser Bestimmung daher als Beleg für seine Ansicht.

Nach dem somit anzuwendenden § 41a Abs. 3 SGB II sind die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verpflichtet, die vom Träger der Grundsicherung zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen. Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- und Auskunftspflicht nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach, setzt der Grundsicherungsträger den Leistungsanspruch nur in der Höhe fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden. Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand.

Danach sind die Voraussetzungen für die vom Beklagten getroffenen Feststellungen, dass ein Leistungsanspruch der Kläger im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum gar nicht bestand, nicht gegeben.

Zwar hat der Beklagte zutreffend die Regelung der vorläufigen und abschließenden Leistungsbewilligung in § 41a SGB II angewandt; der vorliegend streitige Bewilligungszeitraum reichte bis Ende Februar 2016.

Jedoch hat der Beklagte keine angemessene Frist zur Vorlage der Unterlagen des Klägers zu 1 über seine tatsächlich erfolgten Einnahmen und Ausgaben aus seiner selbstständigen Tätigkeit im streitigen Zeitraum gesetzt.

Aus den fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit leitet das Gericht ab, dass diese bei zu prüfenden Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit - wie es beim Kläger zu 1 infrage kommt - eine Frist von zwei Monaten für angemessen hält. Dies erscheint dem Gericht ebenfalls sachgerecht (siehe bereits das Urteil der Kammer vom 3. Juli 2017, S 8 AS 400/17), weil derartige Unterlagen erfahrungsgemäß häufig erst beschafft oder zusammengestellt werden müssen. Dass dies einige Zeit in Anspruch nehmen kann, liegt für das Gericht auf der Hand. Zudem war in dem bis 31. Juli 2016 geltenden § 3 Abs. 6 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) ebenfalls eine Frist von zwei Monaten zum Nachweis des tatsächlichen Einkommens vorgesehen - wenngleich beginnend ab dem Ende des betreffenden Bewilligungszeitraums. Zu bedenken ist aber, dass die nun von § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II vorgesehene Verfahrensweise zu deutlich einschneidenderen Ergebnissen, nämlich der Feststellung des kompletten Anspruchswegfalls führen kann - so geschehen im Fall der Kläger. Aus diesen Gründen hält das Gericht eine mindestens zweimonatige Frist nach wie vor für angemessen. Die von anderen Sozialgerichten (siehe die oben zitierten Entscheidungen) als nicht angemessen beurteilte Pauschalität dieser Frist trifft so nicht zu. Zum einen ist es eine Mindestfrist, eine Verlängerung also in begründeten (Ausnahme-)Fällen möglich und angezeigt. Zum anderen erfordert das Grundsicherungsrecht aufgrund seiner massenhaft anfallenden Bewilligungsprozesse eine für die Verwaltung ausreichend sicher handhabbare und für die Leistungsempfänger ausreichend abschätzbare Vorgehensweise. Dem wird man kaum gerecht, wenn jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, welche Frist genau angemessen ist. Natürlich kann demgegenüber eingewandt werden, dass ebenso eine einmonatige Mindestfrist genommen werden kann. Allerdings würde diese kürzere Mindestfrist die sonst vorgebrachten Bedenken genauso wenig ausräumen. Und gerade die existenziellen Konsequenzen streiten in den Augen des Gerichts dafür, dass eine längere - eben mindestens zweimonatige - Frist dann vorzugswürdiger, wenn nicht sogar geboten ist. Insofern kann etwa auch eine Orientierung an § 160a Abs. 2 SGG, der eine Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG binnen zwei Monaten vorsieht, erfolgen, zumal dieser Frist ebenfalls prozessuale und materielle Bedeutung zukommt.

Der Beklagte hat aber keine dementsprechende Frist für die Einreichung der EKS nebst Nachweisen gesetzt. Dass dies mit den Anforderungsschreiben vom 28. Januar und vom 17. Februar 2016 nicht erfolgen konnte, weil damals ein anderer Rechtszustand herrschte, versteht sich. Die einzige Fristsetzung, welche nach neuem Recht erfolgte und auch eine entsprechende Belehrung über die Rechtsfolgen enthalten konnte, war die mit Schreiben vom 28. November 2016. Dort wurde aber eine zu kurze Frist, nämlich nur von gut einem Monat, nämlich bis 31. Dezember 2016, eingeräumt.

Dem entsprach die mit Schreiben des Beklagten vom 10. Mai 2016 bis 8. Juni 2016 gesetzte Frist nicht.

An dieser Bewertung ändert sich nichts dadurch, dass zur angefochtenen Festsetzung im März 2017 seit Ablauf des Bewilligungszeitraums über 12 Monate verstrichen waren. Denn maßgeblich ist allein die vom Beklagten mit Schreiben vom 28. November 2016 gesetzte Frist, da das Verfahren zur abschließenden Entscheidung über die Leistungen nicht zwangsläufig einsetzt, sondern entweder vom Träger oder vom Leistungsberechtigten angestoßen wird. Anders als § 3 Abs. 6 Alg II-V in seiner alten Fassung ist auch kein automatischer Beginn einer Frist rechtlich vorgesehen. Hinzu kommt, dass der Beklagte in früheren Schreiben, wie gesehen, nicht ordnungsgemäß belehrt hat.

Auf die nicht ausreichende Fristsetzung kommt es zudem an, obwohl der Kläger zu 1 die verlangte EKS mit Nachweisen nicht bzw. nur unvollständig eingereicht hat. Denn die nicht fristgemäße Einreichung ist die einzige infrage kommende Variante des § 41a Abs. 3 Satz 3 SGB II. Der Kläger zu 1 hat - unwidersprochen - vorgebracht, er habe beim Beklagten mit allen seinen Unterlagen vorgesprochen und diese zur Einsicht bzw. Kopie angeboten. Und er hat, wie sich aus den Akten des Beklagten ergibt, zumindest BWAs für den kompletten maßgeblichen Zeitraum eingereicht. Es ist angesichts dieser Umstände für das Gericht nicht sicher nachgewiesen, dass der Kläger zu 1 seinen von § 41a Abs. 3 SGB II umfassten Nachweis- oder Auskunftspflicht nicht oder nicht vollständig nachgekommen ist. Als einziges steht fest, dass er nicht innerhalb der ihm mit Schreiben vom 28. November 2016 gesetzten Frist alle vom Beklagten für erforderlich gehaltenen Unterlagen eingereicht hat. Es ist aber gerade nicht auszuschließen, dass der Kläger zu 1 bei längerer, angemessener Fristsetzung vollständige Nachweise bzw. eine vollständige EKS mit ausreichenden Nachweisen dem Beklagten zugesandt hätte.

Konsequenz daraus ist nach dem Dafürhalten des Gerichts aber nicht, dass die streitigen Bescheide vollständig aufgehoben werden und es dann bei der vorläufigen Leistungsbewilligung auch endgültig bleibt. Vielmehr sind lediglich die Voraussetzungen für das vom Beklagten gewählte Vorgehen nach § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II nicht erfüllt. Damit ist aber nicht das Verfahren zur abschließenden Entscheidung über den Leistungsanspruch vollständig beendet, sondern es greift wieder das von § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II vorgesehene Prozedere, zumal der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht hat, eine abschließende EKS nebst Nachweisen für den gesamten streitigen Zeitraum beim Beklagten einzureichen.

Ob und in welcher Höhe sich im streitgegenständlichen Zeitraum danach ein abschließender Leistungsanspruch der Kläger ergibt, bleibt noch zu klären. Hierzu fehlt es bislang völlig an Ermittlung und Prüfung durch den Beklagten, weil dieser ein anderes Vorgehen gewählt hatte.

Es ist zwar Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen. Allerdings ist es nicht gerichtliche Aufgabe, anstellte der Behörde erstmals umfassende Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und den Leistungsanspruch zu berechnen. Denn die Verwaltung trifft primär eine Amtsermittlungspflicht und die Gerichte sind primär zur Nachprüfung behördlicher Entscheidung berufen. Gerade bei reinen Anfechtungsklagen, wie vorliegend, und einem erheblichen Ermittlungsdefizit tritt daher die Pflicht der Gerichte aus § 103 SGG hinter die Amtsermittlungspflicht der Verwaltung zurück (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2015, B 14 AS 30/14 R; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Auflage, § 131 Rz. 17 ff.).

Angesichts dieser Umstände hält es das Gericht für zweckmäßig, nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG vorzugehen. Es besteht, wie dargelegt, noch Ermittlungs- und Prüfungsbedarf und es handelt sich um die Situation einer reinen Anfechtung einer behördlichen Entscheidung. Die Interessen der Kläger sprechen ebenfalls nicht dagegen, weil sie vom Beklagten eine eingehende Prüfung erwarten können. Den Klägern drohen also keine Nachteile aus diesem Vorgehen. Im Gegenteil werden Sie nicht erstmals im gerichtlichen Verfahren mit einer Leistungsberechnung auf ganz neuer Grundlage konfrontiert.

Im Hinblick auf § 41a Abs. 5 Satz 1 und § 80 Abs. 2 SGB II beschränkt das Gericht die Aufhebung jedoch auf den Widerspruchsbescheid. Das Gericht geht nämlich davon aus, dass sich daraus eine Festsetzungsfrist bis 31. Juli 2017 ergab, die mithin verstrichen ist. Entgegen der Ansicht, welche in bereits erwähnten Entscheidung anderer Sozialgerichte vertreten wird, hält es das Gericht nicht für begründet, einen Widerspruch gegen eine abschließende Leistungsfestsetzung auf der Grundlage von § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II zugleich als Antrag im Sinn von § 41a Abs. 5 Satz 2 SGB II zu werten. Denn ohne weitere Belehrung/Aufklärung oder die Annahme entsprechender Kenntnisse, beides ist vorliegend mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht belegt, kann einem Widerspruchsführer nicht unterstellt werden, er wolle sich mit seinem Widerspruch auch des Schutzes aus § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II begeben. Die Deutung als Antrag auf abschließende Entscheidung mutet umso widersprüchlicher an, bedenkt man, dass zuvor argumentiert wird, die Regelung sei für derartige Bewilligungszeiträume gar nicht anwendbar. Die noch erforderliche ausreichende Fristsetzung zur Einreichung noch ausstehender Nachweise kann zudem während des Vorverfahrens erfolgen und dann gegebenenfalls eine Abhilfe durchgeführt werden. Würde also ebenso der Festsetzungsbescheid vom 22. März 2017 aufgehoben, träte die Folge des § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II ein, was vermieden werden soll.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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