L 18 AS 2447/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 77 AS 27527/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2447/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerinnen werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. September 2016 und die Bescheide des Beklagten vom 10. Juli 2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15. Oktober 2013 aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen im gesamten Verfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerinnen wenden sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 7. April 2006 bis 30. September 2007 und deren Erstattung in einer Gesamthöhe von (noch) 8.245,42 EUR.

Die seit 2005 verwitwete, 1961 geborene Klägerin zu 1) beantragte für sich und ihre 1993 und 1996 (Klägerin zu 2) geborenen Töchter, mit denen sie im Streitzeitraum in einem gemeinsamen Haushalt lebte, erstmals am 7. April 2006 die Gewährung von SGB II-Leistungen. Dabei machte sie Angaben zu ihrem und dem Hinterbliebenenrenteneinkommen der Töchter (große Witwenrente der Klägerin zu 1 = Zahlbetrag mtl 349,64 EUR), zum Kindergeld (jeweils 154,- EUR mtl), zu ihrem Girokonto (Guthaben bei Antragstellung = 1.326,70 EUR) bei der B S () und zu ihrer eigenen Kapitallebensversicherung (Rückkaufswert bei Antragstellung = 4.124,33 EUR); die bereits am 18. Januar 2006 aus der Kapitallebensversicherung des verstorbenen Ehemannes auf ihr Konto bei der D Bank AG () gutgeschriebene Versicherungssumme iHv 36.273,29 EUR erwähnte die Klägerin zu 1) indes nicht. Anlässlich eines Vorsprachetermins bei dem Beklagten verwies die Klägerin zu 1) erstmals am 9. Oktober 2012 auf die Lebensversicherung ihres Ehemannes und darauf, dass das Geld auf die Sparkonten der Töchter geflossen sei. Die Klägerin zu 1) hatte die erhaltene Versicherungssumme zugunsten zweier im Juni 2006 eingerichteter Geldmarktkonten ihrer Töchter bei der D Bank AG iHv jeweils 18.210,- EUR am 15. Juni 2006 eingezahlt; auf den genannten Konten der Töchter befanden sich am 30. September 2007 Guthaben iHv 18.360,14 EUR (Klägerin zu 2) bzw 18.361,10 EUR.

Die mit Bescheiden vom 23. Juni 2006 (Bewilligungszeitraum vom 7. April 2006 bis 30. September 2006), 29. September 2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 5. April 2007 (Bewilligungszeitraum vom 1. Oktober 2006 bis 31. März 2007) und weiterem Bescheid vom 5. April 2007 in der Fassung der Bescheide vom 2. Juni 2007, 31. Juli 2007 und 14. April 2008 (Bewilligungszeitraum vom 1. April 2007 bis 30. September 2007) erfolgten Bewilligungen von SGB II-Leistungen, auf die wegen der Berechnung im Einzelnen verwiesen wird, hob der Beklagte nach Anhörung der Klägerinnen (Schreiben vom 13. Mai 2013) für die Zeiträume vom 7. April 2006 bis 30. September 2006, 1. Oktober 2006 bis 31. März 2007 und vom 1. April 2007 bis 30. September 2007 mit (drei) Bescheiden vom 10. Juli 2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15. Oktober 2013 "ganz" auf. Die Klägerin zu 1) habe ihr Vermögen verschwiegen und damit zumindest grob fahrlässig falsche und unvollständige Angaben gemacht. Ihr sei auch bewusst gewesen, dass die Bewilligungen fehlerhaft gewesen seien. Die an die Klägerinnen gezahlten Leistungen einschließlich der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- bzw Pflegeversicherung (KV/PV) iHv insgesamt 3.100,22 EUR (7. April 2006 bis 30. September 2006), 3.535,26 EUR (1. Oktober 2006 bis 31. März 2007) bzw 3.866,22 EUR (1. April 2007 bis 30. September 2007) seien zu erstatten. Die Klägerin zu 1) erstattete dem Beklagten in der Folge die geforderten Beträge.

Im Klageverfahren hat der Beklagte die angefochtenen Bescheide dahingehend geändert, dass die Erstattung der KV/PV-Beiträge iHv 1.999,72 EUR (KV) bzw 256,56 EUR (PV) nicht mehr geltend gemacht wird (Bescheid vom 11. April 2014). Die insoweit bereits erstatteten Beträge hat der Beklagte wieder an die Klägerinnen ausgekehrt. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Aufhebung der Bescheide vom 10. Juli 2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15. Oktober 2013 und in der Fassung des Bescheides vom 11. April 2014 gerichtete Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 5. September 2016). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Klägerin zu 1) sei zumindest grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der hier in Rede stehenden Bewilligungen iSv § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) anzulasten, so dass der Beklagte berechtigt und verpflichtet gewesen sei (§§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, 330 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – SGB III), diese Bewilligungen aufzuheben und Erstattung der den Klägerinnen insoweit gezahlten Leistungen zu fordern. Die Klägerinnen hätten zum Zeitpunkt der betreffenden Bewilligungen über Vermögenswerte von mehreren zehntausend Euro weit oberhalb der Freibetragsgrenzen des § 12 SGB II verfügt, weshalb keine Hilfebedürftigkeit iSv § 9 SGB II vorgelegen habe und die Bewilligungen rechtswidrig gewesen seien.

Mit der Berufung verfolgen die Klägerinnen ihr Begehren weiter. Sie verweisen darauf, dass die Klägerin zu 1) nicht über die erforderliche subjektive Einsichts- und Kritikfähigkeit verfügt habe, um die Rechtswidrigkeit der Bewilligungen zu erkennen. Sie sei seinerzeit nach dem Tod des Ehemannes physisch und psychisch krank und überfordert gewesen, zumal sich vorher der Ehemann um Behördenangelegenheiten gekümmert habe; auf das arbeitsamtsärztliche Gutachten vom 18. Juni 2007 nehmen die Klägerinnen Bezug. Dass die Lebensversicherung des Ehemannes als Vermögen anzugeben sei, sei ihr nicht bekannt gewesen.

Die Klägerinnen beantragen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. September 2016 und die Bescheide des Beklagten vom 10. Juli 2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15. Oktober 2013 und in der Fassung des Bescheides vom 11. April 2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten (5 Bände) sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerinnen ist begründet. Streitgegenständlich ist dabei noch die Aufhebung der Bewilligung von SGB II-Leistungen an die Klägerinnen in der Zeit vom 7. April 2006 bis 30. September 2007 und die Geltendmachung entsprechender Erstattungsforderungen gegenüber der Klägerin zu 1) in einer Gesamthöhe von 7.096,06 EUR (2.090,- EUR (7. April 2006 bis 30. September 2006), 2.431,91 EUR (1. Oktober 2006 bis 31. März 2007) bzw 2.574,15 EUR (1. April 2007 bis 30. September 2007)) und gegenüber der Klägerin zu 2) in einer Gesamthöhe von 1.149,36 EUR. Die angefochtenen Bescheide vom 10. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2013 haben nach Änderung durch den Bescheid vom 11. April 2014 keinen darüber hinausgehenden Regelungsgehalt mehr.

Der Beklagte war nicht berechtigt, die (bestandskräftigen und damit bindenden, vgl § 77 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) Leistungsbewilligungen gegenüber den Klägerinnen für die Zeit vom 7. April 2006 bis 30. September 2007 aufzuheben, weil die gesetzlichen Rücknahmevoraussetzungen hierfür nicht in vollem Umfang erfüllt sind.

Nach § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X iVm den §§ 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 330 Abs. 2 SGB III ist der Beklagte berechtigt und verpflichtet, einen Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Nach Abs. 2 der Regelung darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit (1.) er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (2.) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (3.) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Schon eine anfängliche objektive Rechtswidrigkeit der entsprechenden Bewilligungsbescheide iSv § 45 Abs. 1 SGB X, der hier über § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II anwendbar ist, liegt entgegen der Auffassung des Beklagten nicht in vollem Umfang vor. Denn der Klägerin zu 1) stand gemäß §§ 7, 9 und 19 SGB II für die Zeit ab 15. Juni 2006 (Einzahlung auf die Geldmarktkonten der Töchter) Arbeitslosengeld II ohne Berücksichtigung der ihr am 18. Januar 2006 zugeflossenen Versicherungssumme zu. Das weitere bei der Antragstellung am 7. April 2006 vorhandene Vermögen der Klägerin übersteigt den Grundfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II nicht und war daher bei der Leistungsberechnung nicht zu berücksichtigen. Vermögen der Klägerin zu 2) oder der Tochter T war auf den Bedarf der mit ihnen im Streitzeitraum in Bedarfsgemeinschaft lebenden Klägerin zu 1) insoweit nicht anzurechnen, weil die Klägerin zu 2) und die Tochter T ab 15. Juni 2006 aufgrund ihres anrechenbaren Vermögens den eigenen Bedarf voll decken konnten und daher mit der Klägerin zu 1) keine Bedarfsgemeinschaft mehr bildeten (vgl § 7 Abs. 3 Nr 4 SGB II) und zudem Einkommen und Vermögen von Kindern auf den Bedarf der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Eltern ohnehin nicht anzurechnen ist (vgl § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II).

Die Klägerin zu 1) verfügte zu den Zeitpunkten der Bekanntgabe der Bewilligungsbescheide, die alle nach dem 23. Juni 2006 (Datum des ersten Bewilligungsbescheides) lagen, nicht (mehr) über anrechenbares Vermögen nach § 12 SGB II. Ausgehend von den von den Grundsicherungssenaten des Bundessozialgerichts (BSG) in Anlehnung an die Rspr des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Sozialhilferecht entwickelten Kriterien ist maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen allein der Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 37 SGB II. Einkommen iS des § 11 Abs. 1 SGB II ist grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (vgl BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999 - 5 C 35/97 = BVerwGE 108, 296 ff: Steuererstattung; BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999 - 5 C 14/98 = NJW 1999, 3137 f; BSG, Urteile vom 30. Juli 2008 - B 14/7b AS 12/07 R und 26/07 R jeweils zum Zufluss einer Steuererstattung vor Bedarfszeitraum/Antragstellung – juris -; BSG, Urteil vom 30. Juli 2008 - B 14/11b AS 17/07 R - Zufluss von Überbrückungsgeld vor dem Bedarfszeitraum – juris; BSG, Urteil vom 6. Oktober 2011 – B14 AS 94/10 R - juris). Dabei ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt. Abzustellen ist gemäß § 12 Abs. 4 Satz 2 SGB II grundsätzlich auf den Zeitpunkt, in dem der Antrag oder Weiterbewilligungsantrag gestellt wird. Wesentliche Änderungen sind indes nach § 12 Abs. 4 Satz 3 SGB II zu berücksichtigen.

Zwar verfügte die Klägerin zu 1) zum Zeitpunkt der Antragstellung am 7. April 2006 nachweislich über verwertbares Vermögen in einer Gesamthöhe von 41.724,32 EUR (D Bank = 36.273,29 EUR; B S = 1.326,70 EUR; Rückkaufswert Lebensversicherung = 4.124,33 EUR), das die Freibeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II um mehr als 30.000,- EUR überstieg (vgl die insoweit zutreffende Berechnung des Beklagten in den angefochtenen Widerspruchsbescheiden). Die Übertragung des im Januar zugeflossenen Betrages aus der Lebensversicherung des Ehemannes der Klägerin zu 1) iHv jeweils 18.210,- EUR an deren Töchter am 15. Juni 2006, dh vor der Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides vom 23. Juni 2006, stellt jedoch eine wesentliche Änderung iSv § 12 Abs. 4 Satz 3 SGB II dar. Denn damit handelte es sich in der Folge insoweit um Vermögen der Klägerin zu 2) bzw der anderen, vorliegend am Rechtsstreit nicht beteiligten Tochter T. Wesentliche, weil sich auf den Anspruch auf Leistungen auswirkende Änderungen hatte der Beklagte ohne erneuten Antrag im laufenden Verwaltungsverfahren zu berücksichtigen (vgl Radüge in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 12 Rn 207, der darauf hinweist, dass § 12 Abs. 4 Satz 3 zunächst in denjenigen Fallgestaltungen anwendbar sei, in denen Änderungen in den Vermögensverhältnissen in dem Zeitraum zwischen Antragstellung und Bezugsbeginn der Leistungen der Grundsicherung eintreten; ebenso [Wertänderung vor Erlass des Verwaltungsaktes] Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 3. Aufl., § 12 Rn 135). Aus der Regelung des § 12 Abs. 4 SGB II folgt lediglich, dass sich der Beklagte auf das Vorhandensein eines Vermögensgegenstandes oder -wertes bei Antragstellung berufen kann, solange dieser unverändert besteht. Tritt insofern durch Veräußerung, Belastung oder durch sonstige Umstände eine Änderung des Verkehrswertes ein, ist dieser zu berücksichtigen, ohne dass es auf den Grund für die Vermögensänderung ankommt (vgl Bayerisches LSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – L 11 AS 681/14 – juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. September 2015 – L 9 AS 5084/13 – juris). Das BSG hat zur Anrechnung von Einkommen insoweit gleichlautend entschieden, dass nicht allein der Tag des Zuflusses entscheidend ist, sondern berücksichtigt "in einem abschließenden Prüfungsschritt" immer auch, ob zugeflossenes Einkommen (noch) als "bereites Mittel" geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken. Dies gilt ohne Einschränkungen (vgl BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 14 AS 76/12 R – Rn 11 – juris; BSG, Urteil vom 17. Oktober 2013 – B 14 AS 38/12 R – juris; BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 33/12 R = BSGE 112, 229-235 = SozR 4-4200 § 11 Nr 57) auch bei Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme über den Verteilzeitraum hinweg. Verwendet der Hilfebedürftige die einmalige Einnahme nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts und führt so Hilfebedürftigkeit herbei, kann dies ggf einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs. 1 SGB II (vgl BSG aaO Rn 17) auslösen, der hier indes im Hinblick auf die Drei-Jahres-Frist nach Ablauf der Leistungserbringung in § 34 Abs. 3 SGB II jedenfalls erloschen wäre.

War die Wertänderung des Vermögens der Klägerin zu 1) daher bei der Entscheidung über die Bewilligung, hier erstmals mit Bescheid vom 23. Juni 2006, insoweit zu berücksichtigen, dass entsprechendes Vermögen der Klägerin zu 1) seit 15. Juni 2006 nicht mehr vorlag, stellen sich die Bewilligungsbescheide insoweit nicht als anfänglich objektiv rechtswidrig iSv § 45 SGB X dar. Soweit das Vermögen aus der Versicherungssumme nunmehr der Klägerin zu 2) bzw der Tochter T zu gleichen Teilen zustand und auch am 30. September 2007 noch in vollem Umfang vorhanden und verwertbar war, war dieses auf den Bedarf der Klägerin zu 1) nicht anzurechnen. weil die Klägerin zu 2) und die Tochter T aufgrund ihres anrechenbaren Vermögens den eigenen Bedarf voll decken konnten und daher mit der Klägerin zu 1) keine Bedarfsgemeinschaft bildeten (vgl § 7 Abs. 3 Nr 4 SGB II) Zudem folgt aus § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II, dass lediglich bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder mit einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben, eine Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens der Eltern bzw des Elternteils erfolgt, soweit die Kinder ihren Bedarf nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen sichern können. Eine entgegengesetzte Anrechnung von (den eigenen Bedarf der Kinder übersteigendem) Einkommen und Vermögen auf den Bedarf der Eltern bzw des Elternteils sieht das Gesetz indes nicht vor (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 4). Lediglich Kindergeld, das von dem Kind nicht zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts benötigt wird, ist als Einkommen der Eltern bzw des Elternteils zu berücksichtigen (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3; SozR 4-4200 § 11 Nr 23 Rn 17). Hieraus folgt zum Einen, dass bei zutreffender Berechnung das Kindergeld für die Klägerin zu 2) und die Tochter T iHv mtl jeweils 154,- EUR in dem in Rede stehenden Zeitraum als Einkommen der Klägerin zu 1) anzurechnen gewesen wäre.

Aus dem Vorgenannten folgt zugleich, dass das für die Zeit ab 15. Juni 2006 das Renteneinkommen der Klägerin zu 1) aus der großen Witwenrente iHv mtl 349,64 EUR im Streitzeitraum nicht gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II nach Bedarfsanteilen auf die Klägerin zu 2) und die Tochter T aufzuteilen war, sondern – in bereinigtem Umfang von 319,64 EUR - allein auf den Bedarf der Klägerin zu 1). Den Klägerinnen standen somit aus objektiver Sicht für die Zeit bis 14. Juni 2006 keine SGB II-Leistungen zu, weil sie ihren Bedarf aus dem anrechenbaren Vermögen der Klägerin zu 1) im Umfang von mehr als 30.000,- EUR decken konnten. Dies war anschließend auch der Fall, soweit die Klägerin zu 2) betroffen ist. Hinsichtlich der Klägerin zu 1) waren die ihr bewilligten Leistungen für die Zeit ab 15. Juni 2006 anfänglich objektiv rechtswidrig insoweit überhöht, als der Beklagte bei der Klägerin zu 1) anschließend das Kindergeld iHv insgesamt 308,- EUR mtl nicht als Einkommen berücksichtigt und deren Renteneinkommen lediglich im Umfang ihres – bezogen auf die Klägerin zu 2) und die Tochter T – ermittelten anteiligen Bedarfs am Gesamtbedarf bedarfsmindernd berücksichtigt hat, nicht jedoch in vollem Umfang.

Der Senat konnte indes davon absehen, die der Klägerin zu 1) für die Zeit ab 15. Juni 2006 bis zum Ablauf des Streitzeitraums materiell-rechtlich zustehenden Leistungen konkret festzustellen. Denn der Klägerin zu 1) ist nach dem insoweit anzuwendenden subjektiven Verschuldensmaßstab aufgrund der dem Senat möglichen Feststellungen keine zumindest grob fahrlässige Angabe unvollständiger Tatsachenangaben iSv § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X und auch keine zumindest grob fahrlässige Unkenntnis von der (Teil-)Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide iSv § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X anzulasten, wobei ihr Verschulden als gesetzliche Vertreterin der Klägerin zu 2) zuzurechnen wäre. Eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen für den hier in Rede stehenden Zeitraum kommt daher nicht in Betracht. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der bzw die Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl schon BSG, Urteil vom 31. August 1976 - 7 RAr 112/74 - ; Urteil vom 11. Juni 1987 - 7 RAr 105/85 - juris). Das Maß der Fahrlässigkeit ist hierbei nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: st Rspr des BSG, ua Urteil vom 13. Dezember 1972 - 7 RKg 9/69; Urteil vom 8. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R - juris). Maßgebend für die Kenntnis oder für das Kennenmüssen seiner Rechtswidrigkeit ist hierbei der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsakts (vgl BSG, Urteil vom 27. Januar 2009 - B 7/7a AL 30/07 R - juris).

Ungeachtet dessen, dass der Klägerin zu 1) jedenfalls für die Leistungszeiträume ab 15. Juni 2006 (Zeitpunkt der Vermögensübertragung) zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Bescheide aufgrund mangelnder Rechtskenntnisse schon nicht bekannt sein musste, dass sich ihr Leistungsanspruch nunmehr anders berechnet, ihr mithin die – oben aufgezeigten - Fehler in der Rechtsanwendung des Beklagten sich nicht ohne weiteres aufdrängen mussten, vermochte der Senat im insoweit erforderlichen Vollbeweis auch keine hinreichenden Tatsachen festzustellen, die den Vorwurf einer zumindest grob fahrlässigen Verletzung ihrer Mitteilungspflichten iSv § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X begründen könnten.

Es ist schon nicht hinreichend feststellbar, ob und ggf wann die Klägerin zu 1) ausdrücklich darauf hingewiesen worden wäre, dass verwertbares Vermögen Einfluss auf die Hilfebedürftigkeit hat. Der Erhalt des entsprechenden Merkblattes "SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld)" ist nicht dokumentiert; lediglich im Antragsformular selbst heißt es, dass als Vermögen "alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen sind". Die Klägerin zu 1) hat insoweit zwar bei der Erstantragstellung und auch in den folgenden Weiterbewilligungsanträgen das aus dem Zufluss der Versicherungssumme iHv 36.273,29 EUR resultierende Vermögen nicht angegeben, ebenso wenig die Tatsache, dass sie vor der erstmaligen Bewilligungsentscheidung dieses Vermögen bereits ihren Töchtern zu hälftigen Anteilen auf ein Geldmarktkonto übertragen hatte, obwohl sie hierzu nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw Nr 2 SGB I verpflichtet war. Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat hiernach alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind und Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Auch das Verschweigen von Umständen kann als unrichtige Angabe angesehen werden, wenn eine Mitteilungspflicht bestand, weil die Umstände für die fragliche Leistung rechtlich erheblich waren und dies dem Betroffenen auch bekannt war oder sein musste (vgl Roller in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 11 Rn 7 mwN.

Dass die Klägerin zu 1) die ihr obliegende Mitteilungspflicht jedoch zumindest grob fahrlässig verletzt hätte, ist nach dem persönlichen Eindruck, den der Senat von ihr in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, und insbesondere in Ansehung des Inhalts des arbeitsamtsärztlichen Gutachtens vom 18. Juni 2007 nicht mit der erforderlichen richterlichen Überzeugung feststellbar. Die verbleibenden Zweifel gehen zu Lasten des Beklagten, der für die Feststellung der seine Aufhebungsentscheidungen begründenden Tatsachen die objektive Beweislast trägt. Zwar hält es der Senat nicht für glaubhaft, dass die Klägerin zu 1) die ausgezahlte – erhebliche - Versicherungssumme gar nicht erinnerte oder schlichtweg – wie sie anlässlich der Befragung durch den Senat ausgeführt hat - "vergessen" hatte, weil es "ja Vermögen meines Mannes war". Hiergegen spricht schon, dass die sie in "Gelddingen" mehr als ein Jahr nach dem Tod des Ehemannes durchaus Entscheidungen treffen konnte, wie das nach entsprechender Beratung durch die Versicherung erfolgte Einrichten der Geldmarktkonten für ihre Töchter im Juni 2006. Vorliegend ist aber in Rechnung zu stellen, dass bei der Klägerin zu 1) seinerzeit ein erhebliches psychisches Leiden vorlag, das wesentliche Einschränkungen der Urteils-, Einsichts- und Kritikfähigkeit nicht auszuschließen vermag.

Aus dem Gutachten vom Juni 2007, das zeitnah den Gesundheitszustand der Klägerin zu 1) nach einer entsprechenden Untersuchung durch Dr. A wiedergibt, erhellt, dass sich bei der Klägerin zu 1) seinerzeit aufgrund des außergewöhnlich belastenden Lebensereignisses, nämlich dem Tod des Mannes und Vaters der Klägerin zu 2) im Mai 2006, "eine plötzliche, totale Lebensveränderung" entwickelte, die die auch im Verhandlungstermin affektgeminderte Klägerin zu 1) plastisch auch bei ihrer persönlichen Anhörung geschildert hat. Der Gutachter hatte seinerzeit zudem festgestellt, dass die "aktuelle soziale Funktionsfähigkeit auffällig gestört" sei. Er hatte eine "soziale Überforderung mit depressiver Störung" gesehen. Gerade wenn aber im sozialen Lebensvollzug des bzw der Erkrankten erhebliche Auswirkungen feststellbar sind, können auch Einschränkungen der Urteils-, Kritik und Einsichtsfähigkeit nicht sicher ausgeschlossen werden.

Da eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligungen für die Zeit vom 7. April 2006 bis 30. September 2007 nicht in Betracht kommt, besteht auch keine Grundlage für das hier noch streitige Erstattungsverlangen, § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Der Beklagte wird den bereits von den Klägerinnen erstatteten Betrag auch insoweit zurückzuzahlen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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