L 8 AS 1672/13

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 7 AS 7624/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AS 1672/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen der Lernförderung
1. Lernförderung gemäß § 28 Abs. 5 SGB II umfasst nicht nur kurzfristige sondern auch längerfristige Maßnahmen zum Ausgleich von Teilleistungsschwächen, insbesondere von Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS).
2. Erforderlich im Sinne von § 28 Abs. 5 SGB II kann eine Maßnahme der Lernförderung auch dann sein, wenn an staatlichen Schulen grundsätzlich vorhandene Fördermöglichkeiten (hier sog. LRS-Klassen) nicht nutzbar sind, weil entweder ein insoweit schulrechtlich vorgesehenes Feststellungsverfahren vom Schulleiter nicht initiiert worden ist oder derartige Maßnahmen an Schulen in freier Trägerschaft nicht angeboten werden.
3. Wegen der Rechtswidrigkeit der Ablehnung von Sach- und Dienstleistungen für Bildung und Teilhabe (§§ 28, 29 SGB II) kommt eine Kostenerstattung nur für solche Leistungen in Betracht, die sich der Leistungsberechtigte nach der Ablehnungsentscheidung des Leistungsträgers selbst beschafft hat. Dies gilt auch für den ab 01.08.2013 in § 30 SGB II geregelten Kostenerstattungsanspruch, bei dem die
Nichterreichbarkeit als Sach- und Dienstleistung (§ 30 Satz 1 Nr. 2 SGB II) auch auf rechtswidriger Leistungsablehnung beruhen kann.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 27. August 2013 abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2012 verpflichtet, die Kosten für den von der Klägerin im Zeitraum 1. Oktober 2012 bis 29. August 2013 am Lehrinstitut für Orthographie und Sprachkompetenz Y ... besuchten Kurs LRS 2 zu tragen und der Klägerin hierfür 870,00 EUR zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die zur Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 3/4 zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten eines Kurses für Schüler mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) als Leistung für Bildung und Teilhabe.

Die 2001 geborene Klägerin besuchte im Schuljahr 2012/2013 die vierte Klasse der Freien Waldorfschule A ...

Ein vom Lehrinstitut für Orthographie und Sprachkompetenz Y ... (LOS) am 12.04.2011 durchgeführter Test ergab bei der Klägerin eine schwere Form der LRS. Die erforderliche intensive Therapie solle in Absprache mit der Schule angegangen und nur dann im LOS zwei Mal wöchentlich intensiviert werden, soweit eine wirkungsvolle Hilfe durch die Schule nicht gewährleistet sei.

Die Schule der Klägerin bestätigte – wie bereits am 19.04.2011 für die dritte Klasse – am 13.07.2012 auch für das vierte Schuljahr die Notwendigkeit der Lernförderung in den Fächern Schreiben, Lesen und Rechnen, da das Erreichen der wesentlichen Lernziele gefährdet sei. Bei Erteilung von Lernförderung könne mit einer positiven Versetzungsprognose gerechnet werden. Des Weiteren bestätigte die Schule, dass die Leistungsschwäche nicht auf unentschuldigtes Fehlen oder anhaltendes Fehlverhalten oder Nichtteilnahme an außerunterrichtlichen Angeboten der Schule zurückzuführen sei. Kostenfreie schulische Angebote für den festgestellten Lernförderbedarf bestünden in den Fächern Lesen und Schreiben nicht.

Am 18.07.2012 schloss die im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) stehende Mutter der Klägerin mit dem LOS einen Vertrag für den Besuch des Kurses LRS 2, der vom 19.07.2012 bis 28.08.2013 stattfand. Der Kurs umfasste 80 Unterrichtsstunden à 45 Minuten. Er fand einmal wöchentlich für zwei Unterrichtseinheiten statt. Die Kosten beliefen sich auf 15,00 EUR pro Unterrichtsstunde, insgesamt auf 1.200,00 EUR. Zahlungen hierauf sollten zum 15.11.2012 und 15.04.2013 in Höhe von jeweils 600,00 EUR erfolgen.

Mit am 23.07.2012 beim Jobcenter A ... eingegangenem Antrag vom 18.07.2012 beantragte die Mutter der Klägerin Leistungen für Bildung und Teilhabe in Form einer ergänzenden angemessenen Lernförderung.

Mit Bescheid vom 25.07.2012 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 11.10.2012 lehnte das Jobcenter A ... den Antrag der Klägerin ab. Die Lernförderung im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II ziele nach ihrem Sinn und Zweck auf die Lösung von Lernproblemen ab, die im Regelfall innerhalb weniger Monate überwunden werden könnten. Eine außerschulische Lernförderung komme daher nur kurzzeitig in Betracht, um eine vorübergehende Lernschwäche zu beheben. Hier sei die Klägerin jedoch auf eine längerfristige therapeutische Behandlung angewiesen. An erster Stelle sei die Schule in die Verantwortung zu nehmen, da diese auch über die fachlichen und methodischen Kompetenzen im Sinne des eigentlichen Handlungsbedarfes verfüge. Ausgehend von § 35a des Sächsischen Schulgesetzes (SächsSchulG) orientiere sich die Ausgestaltung des Unterrichts und anderer schulischer Veranstaltungen an den individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen der Schüler. Dabei sei insbesondere den Teilleistungsschwächen Rechnung zu tragen.

Auf die hiergegen am 08.11.2012 erhobene Klage hat das Sozialgericht Dresden (SG) die Beklagte, die ab 01.01.2013 die Bearbeitung der Bildungs- und Teilhabeleistungen vom Jobcenter A ... übernommen hatte, mit Urteil vom 27.08.2013 verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 19.07.2012 bis 29.08.2013 Leistungen für Bildung und Teilhabe in Höhe von 1.200,00 EUR zu erstatten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe ausdrücklich auf den zusätzlichen Bedarf vor allem bei schulpflichtigen Kindern hingewiesen. Ohne die Deckung dieser Kosten drohe hilfebedürftigen Kindern der Ausschluss von Lebenschancen. Dies wiederum berge die Gefahr, dass diese Kinder später ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften bestreiten können. Vorrangige Ansprüche nach § 35a Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) bestünden nicht. Eine seelische Behinderung liege bei der Klägerin ersichtlich nicht vor.

Gegen das am 12.09.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.09.2013 Berufung eingelegt. Die Leistungen der Bildung und Teilhabe erfassten lediglich kurzfristig zu gewährende Leistungen. Für die bei der Klägerin bestehende LRS seien langfristige Lerntherapien erforderlich, die vom Leistungskatalog des SGB II nicht erfasst seien. Es sei vom Gericht nicht geprüft worden, ob vorrangige Leistungen nach dem SGB VIII beantragt und beschieden worden seien. Letztlich gebe es an mehreren Grundschulen spezielle Klassen zur gezielten Unterrichtung von Kindern mit LRS. Auch deshalb scheide eine Übernahme der Kurskosten als Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 28 Abs. 5 SGB II als unverhältnismäßig aus, da diese Angebote vorrangig zu nutzen seien.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 27.08.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2012 zu Unrecht verurteilt, der Klägerin einen über 870,00 EUR hinausgehenden Betrag für den Besuch des Kurses LRS 2 an der LOS zu erstatten. Die mit der Klage angegriffenen Bescheide sind nur insoweit rechtswidrig, als eine Übernahme der Kosten ab 01.10.2012 abgelehnt worden ist.

1. Rechtsgrundlage für die Übernahme der Kosten durch die Beklagte ist § 28 Abs. 5 SGB II. Hiernach wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.

Die Voraussetzungen dieser Norm liegen vor. Die von der Klägerin in Anspruch genommene Förderung stellt eine die schulischen Angebote ergänzende angemessene Lernförderung dar, die auch geeignet und zusätzlich erforderlich war, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele des Kindes zu erreichen. Ein Vorrang der Regelung des § 35a SGB VIII besteht vorliegend nicht.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten erfasst die Regelung des § 28 Abs. 5 SGB II nicht nur kurzfristige Fördermaßnahmen wie die klassische Nachhilfe (etwa weil aufgrund von Krankheit, Unaufmerksamkeit oder schlichter Faulheit Teile des Unterrichtsstoffes versäumt wurden). Die "Lernförderung" schließt im Gegensatz zur "Nachhilfe" eine komplexere Leistung ein und geht darüber hinaus. Sie ist begrifflich die Förderung Lernender und beinhaltet insbesondere auch die Unterstützung bei Lernbehinderungen. Erfasst werden daher auch längerfristige Maßnahmen zum Ausgleich von Teilleistungsstörungen wie Legasthenie oder Dyskalkulie (Becker, SGb 2012, 185, 187; Sächsisches Landessozialgericht [LSG], Beschluss vom 18.12.2014 – L 2 AS 1285/14 B ER – juris RdNr. 27; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 26.03.14 – L 6 AS 31/14 B ER – juris RdNr. 31; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.12.2013 – L 19 AS 2015/13 B ER – juris RdNr. 17; Leopold in jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 28 RdNr. 140 f.). Auch die in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/3404, S. 105) zu § 28 Abs. 5 SGB II gewählte Formulierung, dass Lernförderung "in der Regel nur kurzzeitig notwendig" sein wird, impliziert bereits, dass in Ausnahmefällen – nämlich gerade dann, wenn, wie hier, eine Lernstörung vorliegt – eine längerfristige Förderung erfolgen kann und muss. Eine generelle zeitliche Beschränkung ist der Norm nicht zu entnehmen. Schließlich stellt die Gesetzbegründung gerade auf den Nachhaltigkeitsaspekt sowie den Zusammenhang zwischen Bildung und Armutsbekämpfung ab. Lernschwächen von Schülerinnen und Schülern aus einkommensschwachen Haushalten beruhen nach den Erfahrungen der Praxis häufig auf Defiziten, die gerade nicht kurzfristig behoben werden können (Sächsisches LSG, a.a.O, m.w.N.). Auch bezüglich dieses Personenkreises sollen jedoch die Leistungen für Bildung und Teilhabe die Deckung derjenigen Bedarfe gewährleisten, ohne deren Berücksichtigung ein Ausschluss von Lebenschancen drohen würde (BVerfG, Urteil vom 09.02.2012 – 1 BvL 1/09 u.a. – juris RdNr. 192 ff.).

3. Die Maßnahme am LOS war vorliegend geeignet und zusätzlich erforderlich, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.

Wesentliches Lernziel ist in der Regel die Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe bzw. das Erreichen eines ausreichenden Leistungsniveaus (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 105). Jedoch kommen unter besonderer Berücksichtigung des Einzelfalls auch andere Lernziele in Betracht, insbesondere eine Verbesserung des Leistungsniveaus bei Vorliegen einer Legasthenie oder Dyskalkulie (Hessisches LSG, Urteil vom 13.11.2015 – L 9 AS 192/14 – juris RdNr. 35; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12.01.2015 – L 2 AS 622/14 B ER – juris RdNr. 28; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.02.2012 – L 7 AS 43/12 B ER – juris RdNr. 20). Zu beachten ist insoweit, dass die wesentlichen Lernziele nicht abstrakt, sondern im jeweiligen Einzelfall differenzierend nach Schulform und Klassenstufe anhand der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen zu ermitteln sind.

Vorliegend bestimmen sich die wesentlichen Lernziele, denen als Grundprinzipien auch die Ersatzschulen unterliegen (vgl. § 1 des Sächsisches Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft [SächsFrTrSchulG]), nach dem SächsSchulG sowie der Schulordnung Grundschulen (SOGS). Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SächsSchulG hat die Grundschule im Freistaat Sachsen die Aufgabe, alle Schüler in einem gemeinsamen Bildungsgang ausgehend von den individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen unter Einbeziehung von Elementen des spielerischen und kreativen Lernens zu weiterführenden Bildungsgängen zu führen. Damit schafft sie nach § 5 Abs. 1 Satz 2 SächsSchulG die Voraussetzungen für die Entwicklung sicherer Grundlagen für selbstständiges Denken, Lernen und Arbeiten und die Beherrschung des Lesens, Schreibens und Rechnens (Kulturtechniken). Zum Ziel der Versetzung in die nächsthöhere Klasse tritt damit jedenfalls in der Grundschule als weiteres wesentliches Lernziel die Verschaffung von Kulturtechniken hinzu (Sächsisches LSG, Urteil vom 14.01.2016 – L 3 BK 12/14 – juris RdNr. 44 ff.).

Das Erreichen dieser Ziele – vor allem auch die Versetzung in die nächste Klassenstufen – war ausweislich der Stellungnahme der Schule vom 13.07.2012 in der vierten Klasse ohne zusätzliche Fördermaßnahmen gefährdet. Auf die Frage, ob Teilleistungsschwächen, die keine Versetzungsgefahr bedingen, von der Förderung ausgeschlossen sind (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 20.01.2017 – L 3 AS 195/13 –, juris RdNr. 41), kommt es daher nicht an.

Soweit die Beklagte darauf verweist, dass das SächsSchulG vorsehe, dass sich die Ausgestaltung des Unterrichts und anderer schulischer Veranstaltungen an den individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen der Schüler orientiere, wobei insbesondere Teilleistungsschwächen Rechnung zu tragen sei (vgl. § 35a Abs. 1 SächsSchulG), vermittelt dies keinen vorrangig wahrzunehmenden Anspruch. Insoweit verkennt sie zum einen, dass die von der Klägerin besuchte Schule als Ersatzschule dem SächsFrTrSchulG und nur in geringem Umfang dem für staatliche Schulen konzipierten SächsSchulG unterfällt (vgl. § 3 Abs. 1 SächsSchulG). Zum anderen hat die von der Klägerin besuchte Schule auch erklärt, dass schulinterne Fördermöglichkeiten nur im Fach Rechnen angeboten werden können. Die ausreichende Förderung der Klägerin in den Fächern Lesen und Schreiben war im regulären Schulunterricht nicht möglich. Nach der Einschätzung des LOS (vgl. Stellungnahme vom 18.04.2011) bedurfte es in diesem Fall vielmehr einer speziellen, zielgerichteten Förderung – hier in Form des Besuchs eines LRS-Kurses. Denn durch die spezifische Förderung erschien ein Ausgleich der aus der LRS resultierenden Schwächen derart möglich, dass jedenfalls eine verbesserte Lese- und Schreibkompetenz erreicht und die Auswirkungen auf das schulische Leistungsniveau zumindest gemindert werden können.

Die Klägerin konnte auch nicht auf einen Wechsel in eine der an einigen öffentlichen Grundschulen eingerichteten LRS-Klassen verwiesen werden. Zwar sieht § 13a Abs. 1 SOGS für den Bereich der öffentlichen Schulen vor, dass für Schüler mit festgestellter Teilleistungsschwäche im Lesen und Rechtschreiben die Sächsische Bildungsagentur zulassen kann, dass für die Klassenstufe 3 besondere Klassen (LRS-Klassen) gebildet werden, wobei die Klassenstufe 3 auf zwei Schuljahre gedehnt wird. Doch ist zum einen diese Fördermöglichkeit im Bereich der Ersatzschulen nicht existent. Zum anderen setzen Ziffern 4.1.1 und 4.1.2 der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zur Förderung von Schülern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche für den Besuch einer LRS-Klasse voraus, dass die LRS im Rahmen eines Feststellungsverfahrens festgestellt wurde. Dieses beantragt der Schulleiter mit Zustimmung der Eltern bei der Sächsischen Bildungsagentur. Ein solches Feststellungsverfahren wurde hier indes weder initiiert noch durchlaufen.

Somit traf die Klägerin hier vorrangig allein die Verpflichtung – hier allerdings nicht vorhandene – schulische Förderangebote an der bereits besuchten Schule zu nutzen.

4. Hinsichtlich der Angemessenheit der wahrgenommenen Fördermaßnahme bestehen keine Bedenken. Die mit 15,00 EUR pro Unterrichtseinheit vergütete Leistung hält sich im Rahmen der örtlichen Angebotsstruktur und den ortsüblichen Sätzen (vgl. hierzu BT-Drs. 17/3404 S. 105). Kostengünstigere, gleich geeignete Maßnahmen sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist zu beachten, dass die Lernförderung bei der diagnostizierten LRS durch eine Fachkraft erfolgen muss (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 18.12.2014 – L 2 AS 1285/14 B ER – juris RdNr. 28; Lenze in LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 28 RdNr. 26).

5. Der Anspruch gegen die Beklagte ist vorliegend auch nicht aufgrund der – grundsätzlich vorrangigen (§ 10 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII) – Regelung des § 35a SGB VIII ausgeschlossen.

Nach § 35a Abs. 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII liegen indes hier nicht vor. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung begründen Legasthenie oder Dyskalkulie als bloße Teilleistungsschwächen ohne eine hinzutretende seelische Störung als Sekundärfolge noch keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe (vgl. SG Nordhausen, Urteil vom 09.07.2014 – S 22 AS 4109/12 – juris RdNr. 29 m.w.N. aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung). Legasthenie oder Dyskalkulie als solche stellen noch keine seelischen Störungen dar. Vielmehr muss infolge der Legasthenie oder Dyskalkulie sekundär eine seelische Störung eingetreten sein, die nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt. Dabei sind Sekundärerscheinungen wie Schulunlust, Gehemmtheit oder Versagensängste grundsätzlich noch nicht ausreichend als Voraussetzung der Leistungsgewährung. Nicht jede Beeinträchtigung des Schulbesuchs ist daher eine Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII. Erforderlich ist auch in diesen Fällen, dass eine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionstüchtigkeit des Betroffenen vorliegt oder eine solche droht. Dies ist beispielsweise bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule anzunehmen (Stähr in: Hauck/Noftz, SGB VIII, § 35a RdNr. 26).

Derartige Sekundärerscheinungen liegen bei der Klägerin ersichtlich nicht vor. Hierfür bieten sich aus den Akten keinerlei Anhaltspunkte. Letztlich beschränkt sich auch die Beklagte auf bloße Behauptungen, ohne für weitere Ermittlungen erforderliche Anknüpfungstatsachen mitzuteilen. Der hier aus der bloßen Lernstörung resultierende Sonderbedarf ist – als Teil des Anspruchs auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BT-Drs. 17/3404 S. 105) – durch die Leistungen der Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II zu decken, wobei Hintergrund der Verortung der Leistungen im Recht der Grundsicherungsleistungen die Erkenntnis des BVerfG ist, dass im (in die Zuständigkeit der Länder fallenden) Schul- und Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland der individuelle Hilfebedarf von Schülerinnen und Schülern jedenfalls derzeit nicht in ausreichendem Maße – d.h. in einem Umfang, der dem drohenden "Ausschluss von Lebenschancen" entgegenwirkt – gedeckt ist (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – juris RdNr. 197).

6. Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II werden gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB II durch Sach- und Dienstleistungen, insbesondere durch die Ausstellung personalisierter Gutscheine oder im Wege der Direktzahlung an den Anbieter, erbracht. Hier verfolgt die Klägerin mit ihrer Klage jedoch keinen Sach- oder Dienstleistungsanspruch, sondern begehrt die Erstattung der Kosten für den auf eigene Rechnung in der Zeit vom 19.07.2012 bis 29.08.2013 besuchten Kurs LRS 2.

Eine Regelung über die Erstattung von Kosten bei Selbstbeschaffung von Sach- und Dienstleistungen für Teilhabe und Bildung ist in das Gesetz allerdings erst mit Wirkung vom 01.08.2013 in § 30 SGB II eingeführt worden. Bei Inkrafttreten dieser Vorschrift war die hier streitige Zeit (19.07.2012 bis 29.08.2013) weitestgehend verstrichen. Dies steht indessen einem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin nicht entgegen. Denn die Erstattung von Kosten bei Selbstbeschaffung unaufschiebbarer oder zu Unrecht abgelehnter Sach- und Dienstleistungen ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens im Sozialrecht, wie er in § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und § 15 Abs. 1 Satz 4 (ab 01.01.2018: § 18 Abs. 6) Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) Ausdruck gefunden hat; liegen seine Voraussetzungen vor, wandelt sich auch im Anwendungsbereich des SGB II ein Sach- oder Dienstleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch, gerichtet auf Geld, um (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23.05.2013 – B 4 AS 79/12 R – juris RdNr. 21; Urteil vom 19.08.2010 – B 14 AS 36/09 R – juris RdNr 21). Dies galt auch für die Sach- und Dienstleistungen nach § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB II (vgl. Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 29 RdNr. 19).

Ein solcher Kostenerstattungsanspruch setzt grundsätzlich voraus, dass der Leistungsträger vom Leistungsberechtigten vor Inanspruchnahme der selbstbeschafften Leistung mit dem Leistungsbegehren in der Sache befasst wurde (BSG, Urteil vom 30.06.2009 – B 1 KR 5/09 R – juris RdNr. 15; Urteil vom 06.03.2012 – B 1 KR 10/11 R – juris RdNr. 10; Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R – juris RdNr. 11; vgl. auch § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB II, der für Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II einen gesonderten Antrag vorsieht). Eine Kostenerstattung kommt daher nur bei Selbstbeschaffung einer Leistung nach einer rechtswidrigen (aber noch nicht bestandskräftigen) Leistungsablehnung oder in einem keinen Aufschub duldenden Dringlichkeitsfall in Betracht. Für letzteres, dafür dass der Klägerin mit Blick auf den Leistungszweck ein Abwarten der Verwaltungsentscheidung nicht zumutbar war (zu diesem Gesichtspunkt BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 30/15 R – juris RdNr. 16 f.; Luik in: jurisPK-SGB IX, 2. Aufl 2015, § 15 RdNr. 44), fehlt es hier an jeglichen Anhaltspunkten – zumal die Beklagte in der Lage war, bereits am 25.07.2012 über den am 23.07.2012 von der Klägerin gestellten Antrag zu entscheiden.

Die Leistungsablehnung durch den Beklagten war hier – wie dargelegt – rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit der Leistungsablehnung genügt aber nicht, um einen Kostenerstattungsanspruch zu begründen. Vielmehr muss auch ein Kausalzusammenhang zwischen rechtswidriger Leistungsablehnung und Kostenbelastung bestehen (BSG, Urteil vom 02.11.2007 – B 1 KR 14/07 R – juris RdNr. 22; Urteil vom 14.12.2006 – B 1 KR 8/06 R – juris RdNr. 10; Urteil vom 20.05.2003 – B 1 KR 9/03 R – juris RdNr. 12). Dieser fehlt nicht nur, wenn der Leistungsträger vor Inanspruchnahme der Leistung mit dem Leistungsbegehren überhaupt nicht befasst wurde, sondern auch dann, wenn dies zwar der Fall war, der Leistungsberechtigte die Entscheidung des Leistungsträgers aber nicht abgewartet hat, obwohl ihm dies möglich und zumutbar gewesen wäre (BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R – juris RdNr. 11; Urteil vom 17.06.2008 – B 1 KR 31/07 R – juris RdNr. 16). Selbst beschafft ist eine Leistung bereits dann, wenn vor der Entscheidung des Leistungsträgers eine endgültige rechtliche Verpflichtung eingegangen wird und der Leistungserbringer demgemäß auch im Falle der Ablehnung des Leistungsbegehrens durch den Träger die Abnahme und Bezahlung der Leistung verlangen kann (BSG, Urteil vom 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R – juris RdNr. 44).

Hier ist die Klägerin zwar von ihrer Mutter bereits am 18.07.2012 für den Kurs LRS 2 am LOS und damit noch vor der Beantragung der Leistung bei der Beklagten angemeldet worden. Dies schließt jedoch den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen rechtswidriger Leistungsablehnung und Kostenbelastung nicht gänzlich aus. Denn bei laufenden oder sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Leistungen – wie hier – ist die ablehnende Entscheidung des Leistungsträgers als Zäsur anzusehen und die Kostenerstattung nur für diejenigen Leistungen ausgeschlossen, die bis zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung auf eigene Rechnung beschafft wurden. Für spätere Leistungen wird der erforderliche Kausalzusammenhang dagegen bejaht, soweit die Entscheidung des Leistungsträgers noch geeignet war, das weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen (BSG, Urteil vom 03.08.2006 – B 3 KR 24/05 R – juris RdNr. 22). War mit dem Beginn der Leistung der weitere Verlauf bereits endgültig festgelegt, fehlt dagegen der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnungsentscheidung des Leistungsträgers und der Kostenbelastung des Betroffenen auch für nach der ablehnenden Entscheidung liegende Zeiträume (BSG, Urteil vom 19.06.2001 – B 1 KR 23/00 R – juris RdNr. 14).

Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen rechtswidriger Leistungsablehnung und Belastung durch die Kosten der selbstbeschafften Leistung besteht hier erst seit 01.10.2012. Denn aufgrund der mit dem Anbieter vereinbarten Kündigungsbedingungen, wonach eine Kündigung unter Einhaltung einer Frist von sechs Wochen zum Monatsende möglich war, wäre die Klägerin selbst bei unverzüglicher Kündigung des Vertrages nach der Leistungsablehnung durch die Beklagte bis Ende September 2012 hieran gebunden gewesen. Die Kurskosten für die bis zum Ablauf der Kündigungsfrist regelmäßig donnerstags in Anspruch genommenen zwei Unterrichtseinheiten á 15,00 EUR (insgesamt 22 Unterrichtseinheiten ab 19.07.2012) sind damit aufgrund der vor der Ablehnung eingegangenen Verbindlichkeit nicht erstattungsfähig, so dass sich der Erstattungsbetrag auf lediglich 870,00 EUR beläuft.

Für einen bereits vor dem 23.07.2012 beim damals noch zuständigen Jobcenter A ... gestellten Antrag für das vierte Schuljahr fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten. Der auf die Übernahme des Kurses LRS 1 am LOS für das dritte Schuljahr konkretisierte Leistungsantrag vom 19.04.2011 und der in diesem Zusammenhang auch mit der Beklagten als Träger der Kinder- und Jugendhilfe geführte Schriftverkehr entfalten keine Antragswirkung für das vierte Schuljahr.

Der Kostenerstattungsanspruch besteht auch für die Zeit ab Einführung des § 30 SGB II am 01.08.2013. § 30 SGB II ist zwar anders formuliert als § 13 Abs. 3 SGB V, § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX (ab 01.01.2018: § 18 Abs. 6 SGB IX), die ihrem Rechtsgedanken nach als Vorbild dienten (Leopold in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 30 RdNr. 6). In der Sache bestehen aber keine wesentlichen Unterschiede zu diesen Vorbildern. Dass Grundvoraussetzung für den Kostenerstattungsanspruch das Bestehen eines Primäranspruchs auf die Sach- oder Dienstleistung ist, gilt allgemein (Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 RdNr. 39) und kommt in § 30 SGB II nur klarer zum Ausdruck (vgl. dessen Satz 1 Nr. 1). Die Tatbestände der Kostenerstattung gleichen sich: Der unaufschiebbaren Leistung (§ 13 Abs. 3 SGB V, § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX) entspricht die nicht rechtzeitige Erreichbarkeit als Sach- und Dienstleistung (§ 30 Satz 1 Nr. 2 SGB II) und der rechtswidrigen Leistungsablehnung (§ 13 Abs. 3 SGB V, § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX) die Nichterreichbarkeit als Sach- und Dienstleistung (§ 30 Satz 1 Nr. 2 SGB II) – wobei allerdings letzteres weitergeht und auch die Weigerung des Anbieters erfasst, die Leistung als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen (Leopold in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 30 RdNr. 34). Dass den Leistungsberechtigen an der Verwirklichung eines Tatbestandes kein Verschulden treffen darf, ist zwar in § 13 Abs. 3 SGB V, § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX anders als in § 30 Satz 1 Nr. 2 SGB II nicht ausdrücklich bestimmt; die vorwerfbare Verletzung der Pflicht, sich vor der Leistungsinanspruchnahme an den Leistungsträger gewandt und dessen Entscheidung abgewartet zu haben, ist aber auch im Rahmen von § 13 Abs. 3 SGB V, § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX anspruchsausschließend (vgl. Helbig in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 RdNr. 52). Beidemal stellt die ablehnende Entscheidung des Leistungsträgers eine Zäsur für den Kausal- bzw. Pflichtwidrigkeitszusammenhang dar: Wie im Rahmen von § 13 Abs. 3 SGB V, § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX ein zunächst fehlender Kausalzusammenhang dann entstehen kann, wenn die Verwaltungsentscheidung geeignet ist, das weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen (BSG, Urteil vom 03.08.2006 – B 3 KR 24/05 R – juris RdNr. 22), kann spiegelbildlich bei § 30 SGB II der für das Verschulden erforderliche Pflichtwidrigkeitszusammenhang unter den gleichen Voraussetzungen wieder entfallen. Daher ist es im vorliegenden Fall für die Zeit ab 01.08.2013 unerheblich, dass die Klägerin bei Beginn des streitigen Kurses am 19.07.2012 dessen Nichterreichbarkeit als Sach- und Dienstleistung zu verschulden hatte; denn dieses Verschulden dauerte nur soweit und solange, wie die Klägerin bei der Leistungsablehnung durch den Beklagten bereits gegenüber dem Anbieter endgültige Verbindlichkeiten eingegangen war, mithin nur bis zum Ablauf der Frist für eine unverzügliche Kündigung am 30.09.2012.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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