L 7 AS 2042/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 5059/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 2042/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.10.2015 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Instanzen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der den Klägern von Januar 2013 bis Oktober 2014 zustehenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X.

Die 1978 geborene Klägerin zu 1) und der 1977 geborene Kläger zu 2) beziehen mit den gemeinsamen Kindern, den Klägern zu 3) bis 6) (geboren 2006, 1999, 2005 und 2001) seit mehreren Jahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Kläger wohnen in einer 140 m² großen Wohnung in X.-straße 1 in F., für die 2013 eine Bruttokaltmiete von 1.040,- EUR (Kaltmiete 780,- EUR, Betriebskosten 260,- EUR) sowie Heizkosten von 150,- EUR und ab Januar 2014 eine Bruttokaltmiete von 1.050,- EUR (Kaltmiete 775,- EUR, Betriebskosten 275,- EUR) sowie Heizkosten von 180,- EUR zu zahlen waren. Neben den Klägern lebten im streitigen Zeitraum die Söhne der Klägerin zu 1), B. und N. S. (geboren 1997 und 1998) in der Wohnung. Sie erhielten monatlichen Unterhalt von je 454,- EUR sowie Kindergeld von je 184,- EUR.

Mit Bescheiden vom 17.12.2012 und 18.06.2013 bewilligte die Beklagte den Klägern für die Zeit vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv 1.358,58 EUR monatlich. Dabei errechnete die Beklagte die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem kopfteiligen Wert ausgehend von acht Haushaltsangehörigen und berücksichtigte eine nach den Angemessenheitsrichtlinien für acht Personen errechnete Kaltmiete von 645,40 EUR (7 * 80,68 EUR zzgl. einmal 80,64 EUR kopfteilig), die tatsächlichen Nebenkosten von 260,- EUR (32,50 EUR kopfteilig), mithin eine Bruttokaltmiete von 905,40 EUR und die tatsächlichen Heizkosten von 150,- EUR (18,75 EUR kopfteilig). Bei den Klägern zu 3) bis 6) berücksichtigte die Beklagte zudem Kindergeld von 190,- EUR (Kläger zu 4) bzw 215,- EUR (Kläger zu 3), 5) und 6)) als Einkommen. Für N. und B. S. ermittelte die Beklagte einen Bedarf von 420,93 EUR (289,- EUR Regelleistung, 80,68 EUR Kaltmiete, 32,50 EUR Betriebskosten [113,18 EUR] 18,75 EUR Heizkosten [KdU 131,93 EUR]) bzw. 420,89 EUR (289,- EUR Regelleistung, 80,64 EUR Kaltmiete, 32,50 EUR Betriebskosten [113,14 EUR], 18,75 EUR Heizkosten [131,89]). Sie stellte die Unterhaltzahlungen in Höhe von je 454,- EUR sowie das Kindergeld als Einkommen gegenüber und verneinte wegen des den Bedarf übersteigenden Einkommens einen Leistungsanspruch.

Mit Bescheiden vom 11.12.2013, 13.12.2013, 08.01.2014 und 23.01.2014 bewilligte die Beklagte für die Zeit von Januar 2014 bis Juni 2014 Leistungen iHv 1.433,58 EUR monatlich bzw. im Januar 2014 iHv 1.916,32 EUR (Nachzahlungsbetrag iHv 498,92 EUR aus der Nebenkostenabrechnung für 2012) und berücksichtigte die geänderten Abschläge für Betriebs- und Heizkosten. Mit Bescheid vom 10.06.2014 gewährte die Beklagte für Juli 2014 bis Dezember 2014 Leistungen iHv 1.467,36 EUR, mit Änderungsbescheid vom 29.10.2014 für November 2014 und Dezember 2014 iHv 1.480,56 EUR. Mit Bescheid vom 29.10.2014 hob die Beklagte den Bescheid vom 10.06.2014 für November 2014 und Dezember 2014 teilweise auf. Die Berechnung Bedarfe für Unterkunft und Heizung erfolgte jeweils nach den gleichen Grundsätzen wie im Kalenderjahr 2013.

Am 07.11.2014 beantragten die Kläger die Überprüfung der Bescheide ab Januar 2013 hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft nach § 44 SGB X.

Mit Bescheid vom 20.11.2014 bewilligte die Beklagte den Klägern weitere Aufwendungen nach § 22 SGB II von 104,40 EUR für 2013, von insgesamt 29,90 EUR für Januar 2014 bis April 2014, von insgesamt 14,88 EUR für Mai 2014 bis August 2014 und von insgesamt 26,40 EUR für September 2014 und Oktober 2014, ausgehend von einer Bruttokaltmiete für acht Personen von 917,- EUR (6,55 EUR/m² ) für 2013, von 929,60 EUR (6,64 EUR/m²) für den Zeitraum Januar 2014 bis April 2014, von 925,40 EUR (6,61 EUR/m²) für den Zeitraum Mai 2014 bis August 2014 und von 938,- EUR (6,70 EUR/m²) für die Zeit ab September 2014. Wegen der Berechnungen wird auf den Bescheid Bezug genommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2014 wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück. Für die Berechnung der Bruttokaltmiete sei nicht auf einen Haushalt von sechs Personen abzustellen. Auf jeden der acht Wohnungsangehörigen und eben nicht jeden Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft entfalle ein gleich hoher Anteil der Kosten der Unterkunft und Heizung. Die Kinder B. und N. gehörten zwar nicht zur Bedarfsgemeinschaft, aber zum Haushalt. Es sei keine Abweichung von dem Kopfteilprinzip möglich.

Am 12.12.2014 haben die Kläger Klage erhoben. Nach der Rechtsprechung des BSG sei für die Angemessenheit nach § 22 SGB II nicht auf die Anzahl der Familienmitglieder, sondern auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft abzustellen. Dementsprechend sei nur zu ermitteln, ob die Bruttokaltmiete geteilt durch acht Familienmitglieder multipliziert mit den sechs Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft angemessen sei. Die Bruttokaltmiete von 780,- EUR für 2013 bzw 787,50 EUR ab Januar 2014 sei für die sechs Personen umfassende Bedarfsgemeinschaft der Kläger angemessen.

Die Kläger haben beantragt,

den Bescheid vom 20.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung aller Leistungsbescheide für Januar 2013 bis Oktober 2014 für den Zeitraum Januar 2013 bis Oktober 2014 zu verurteilen, ihnen Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Rechtsprechung des BSG betreffe den Ausschluss aus der Bedarfsgemeinschaft wegen Überschreitung der Altersgrenze von 25 Jahren und damit einen völlig anderen Sachverhalt. Sie sei daher vorliegend nicht anwendbar. Für die Berechnung der Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung seien B. und N. S. als "fiktive Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft" zu berücksichtigen.

Mit Urteil vom 23.10.2015 hat das Sozialgericht (mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung) die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2014 verurteilt, die Leistungsbescheide für Januar 2013 bis Oktober 2014 abzuändern und den Klägern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung von 6/8 der tatsächlichen Bruttokaltmiete in Höhe von monatlich 1.040,- EUR für 2013 und monatlich 1.050,- EUR für Januar 2014 bis Oktober 2014 zu zahlen. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X zur Rücknahme der im Leistungszeitraum Januar 2013 bis Oktober 2014 erlassenen Bewilligungsbescheide lägen vor. Bei der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft sei nicht auf die Angemessenheitsgrenze für einen Acht-Personenhaushalt, sondern auf die sechs Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft abzustellen. Die tatsächliche Bruttokaltmiete für die Wohnung sei in einem ersten Schritt zunächst nach Kopfteilen auf die Haushaltsmitglieder aufzuteilen. In einem zweiten Schritt sei der auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft entfallende Mietanteil auf die Angemessenheit nach § 22 SGB II zu überprüfen. Die von der Beklagten angewandte Verfahrensweise, die Kosten der Unterkunft zunächst bezogen auf alle Haushaltsmitglieder auf angemessene Kosten zu begrenzen und erst dann kopfteilig auf die Haushaltsmitglieder aufzuteilen, entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben.

Gegen diese am 04.11.2015 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 30.11.2015 erhobene Berufung der Beklagten. Zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Besserstellung der Kläger seien die angemessenen Unterkunftskosten für einen Acht-Personenhaushalt maßgebend. Haushaltsgemeinschaft und Bedarfsgemeinschaft seien oft identisch. Auf jeden Haushaltsangehörigen entfalle ein gleich hoher Anteil an Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Der Umstand, dass B. und N. S. nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörten, könne nicht zu einer Abweichung vom Kopfteilprinzip führen. Bei § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II erfolge der Ausschluss aus der Bedarfsgemeinschaft nur zum Zwecke der Privilegierung des Einkommens der unter 25jährigen. Die in § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II enthaltene Grundregel werde aber dadurch nicht infrage gestellt. Die Rechtsfrage sei zudem beim BSG anhängig.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.10.2015 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Kläger halten die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sei stets nur auf die Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft abzustellen.

In der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2018 haben die Beteiligten folgenden Teilvergleich geschlossen:

1. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass für folgende Zeiträume die nachstehenden Bruttokaltmietenbeträge angemessen sind und vom Beklagten erstattet werden:

01.01.2013 bis 31.12.2013 6,55 EUR
01.01.2014 bis 30.04.2014 6,64 EUR
01.05.2014 bis 31.08.2014 6,61 EUR
01.09.2014 bis 31.10.2014 6,70 EUR.

2. Außerdem sind sich die Beteiligten darüber einig, dass die Heizkosten in tatsächlicher Höhe zu übernehmen sind und vom Beklagten entsprechend erstattet worden sind.

Die Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung u.a. ein Schreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten an die Klägerin zu 1) vom 14.06.2006 überreicht, in dem diese darauf hingewiesen wird, dass die "Kosten der Grundmiete unangemessen" seien. Die Kläger zu 1) und 2) haben auf Befragen erklärt, der Einzug in die Wohnung in die X.-straße 1 in F. sei 2006 erfolgt. Da die Wohnung nach Aussage der Beklagten zu teuer gewesen sei, hätten sie sich einverstanden erklärt, einen Teil der überhöhten Miete aus der Regelleistung zu begleichen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die übrige Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Streitig im Berufungsverfahren ist die im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.10.2015 ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten, den Klägern höhere Unterkunftskosten für den Zeitraum Januar 2013 bis Oktober 2014 zu zahlen. Den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens haben die Kläger zulässigerweise auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung, bei denen es sich um abtrennbare Verfügungen handelt (BSG Urteil vom 16.06.2015 - B 4 AS 44/14 R), beschränkt. Nur dieser Anspruch ist Gegenstand des Bescheides vom 20.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2014.

Nicht Streitgegenstand sind die Höhe des angemessenen Bruttokalt-Quadratmeterpreises sowie die Heizkosten. Die Beteiligten haben sich insoweit zulässig verglichen und den Streit auf die Höhe der sich unter Zugrundelegung der im Vergleich vereinbarten Werte beschränkt. Zwar ist rechtliche Einschränkung des Prüfungsumfangs durch das Unstreitigstellen bestimmter unselbstständiger Berechnungselemente innerhalb eines einheitlichen Anspruchs nach der Rechtsprechung des BSG nicht möglich. Das Unstreitigstellen solcher Teilaspekte hat nicht zur Folge, dass das Gericht unter Abweichung von der ansonsten gegebenen Amtsermittlungspflicht hieran gebunden ist (BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R). Indes ist eine Beschränkung des Streitgegenstandes durch Teilvergleich bezogen auf einzelne Berechnungselemente, wenn diese - wie vorliegend - konkret bezeichnet und beziffert werden, ungeachtet dessen möglich und zulässig. Ein Rechtssatz, der einen Vergleich über Berechnungselemente ausschließen würde, existiert nicht (BSG Urteil vom 20.09.2012 - B 8 SO 4/11 R). Der Entscheidung sind damit hinsichtlich der für die insgesamt zustehenden Unterkunftskosten maßgeblichen Berechnungselemente Brutto-Quadratmeterpreis und Heizkosten die Werte aus dem Vergleich vom 22.02.2018 zugrunde zu legen.

Die Berufung ist zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes iSd § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG übersteigt 750,- EUR. Zudem ist die Berufung auch nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässig (LSG Thüringen Beschluss vom 05.10.2016 - L 9 AS 434/15 NZB; abweichend insoweit für die Zeit vor Änderung des § 40 Abs. 1 SGB II LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 05.12.2011 - L 8 B 430/10 NZB).

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die Kläger im tenorierten Umfang im streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf weitere Kosten für Unterkunft haben. Die Kläger sind durch die angefochtenen Bescheide nach § 54 Abs. 2 SGG beschwert und haben nach § 44 Abs. 1 SGB X Anspruch auf Änderung der Bewilligungsbescheide für den streitgegenständlichen Zeitraum.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.

Die Leistungsbescheide für den Zeitraum Januar 2013 bis Oktober 2014 (17.12.2012, 18.06.2013, 11.12.2013, 13.12.2013, 08.01.2014, 23.01.20114, 10.06.2014 und 29.10.2014) waren bereits bei Erlass im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X rechtswidrig, da den Klägern zu Unrecht Leistungen für die Kosten der Unterkunft nicht unter Berücksichtigung von 6/8 der tatsächlichen Bruttokaltmiete gezahlt worden sind.

Die Kläger haben in dem zu überprüfenden Zeitraum dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Leistungen erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht vollendet haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die Kläger zu 1) und 2) erfüllen diese Voraussetzungen und sind damit erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Die Kläger zu 3) bis 6) sind als Angehörige der Bedarfsgemeinschaft leistungsberechtigt (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II).

Die Kläger sind hilfebedürftig. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, ua nicht aus dem zur Verfügung stehenden Einkommen oder Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Als Einkommen steht nur das Kindergeld der Kläger zu 3) bis 6) und das anzurechnende Kindergeld von B. und N. S. zur Verfügung.

Rechtsgrundlage für die Übernahme der Unterkunftskosten ist § 22 Abs. 1 SGB II. Hiernach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe erbracht, soweit diese angemessen sind. Der Begriff der Angemessenheit unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG Urteile vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R; vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R und vom 16.06.2015 - B 4 AS 44/14 R; Urteile des Senats vom 29.10.2015 - L 7 AS 1310/11 und vom 24.11.2016 - L 7 AS 723/16). Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II sind die Aufwendungen für die Unterkunft, soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Subjektiv möglich im Sinne dieser Regelung sind einem Hilfebedürftigen Kostensenkungsmaßnahmen jedoch nur dann, wenn er Kenntnis davon hat, dass ihn die Obliegenheit trifft, derartige Maßnahmen zu ergreifen (BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 19/09 R).

Diese Voraussetzung ist bei den Klägern erfüllt. Denn die Beklagte hat mit Schreiben vom 14.06.2006 die Klägerin zu 1) darauf hingewiesen, dass die Kaltmiete für die Wohnung nicht angemessen ist und die Differenz zur angemessenen Miete zu übernehmen ist. Dies war den Klägern zu 1) und zu 2) auch bekannt. Denn der Kläger zu 2) hat in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage erklärt, dass sie sich einverstanden erklärt habe, einen Teil der überhöhten Miete aus der Regelleistung zu begleichen. Das Wissen der Eltern ist den Kindern zuzurechnen.

Die Kläger können weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung von 6/8 der tatsächlichen Bruttokaltmiete in Höhe von monatlich 1.040,- EUR für 2013 und monatlich 1.050,- EUR für Januar bis Oktober 2014 abzüglich der bereits geleisteten Beträge beanspruchen. Die Berechnung der Unterkunftskosten der Kläger erfolgt ausgehend von den sechs Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft; eine Einbeziehung der im Haushalt lebenden Familienmitglieder B. und N. S. erfolgt nicht.

Die angemessene Wohnungsgröße orientiert sich auch bei Bewohnern einer Familie nicht nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder, sondern an der Größe der Bedarfsgemeinschaft. Die Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft kann stets nur im Hinblick auf den Hilfebedürftigen nach dem SGB II und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen beantwortet werden. Nur für diesen Personenkreis ergeben sich durch dieses Kriterium Begrenzungen. Abgesehen von der Ausnahmevorschrift des § 9 Abs. 5 SGB II, die eine gesetzliche Vermutungsregel für die Berücksichtigung von Einkommen enthält, kennt das SGB II die Kategorie der Haushaltsgemeinschaft nicht. Rechtlich relevant ist im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine Personenmehrheit ansonsten nur dann, sofern diese eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB II bildet. Nur dann ist die Anzahl der Familienmitglieder bei der Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße zu berücksichtigen. Da es sich dabei lediglich um eine Bezugsgröße für die nach der Produkttheorie zu ermittelnde Angemessenheit der Kosten handelt, ist mit ihrer Bestimmung keine Aussage darüber verbunden, welche Wohnfläche die gesamte Familie - unter Einschluss auch der nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Mitglieder - tatsächlich nutzen kann. Die Frage der Angemessenheit kann stets nur im Hinblick auf den Hilfebedürftigen nach dem SGB II und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen beantwortet werden (BSG Urteile vom 18.06.2008 - B 14/11b 61/06 R; vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; vom 16.06.2015 - B 4 AS 44/14 R; LSG Bayern Urteil vom 14.11.2012 - L 16 AS 90/12; LSG Schleswig-Holstein Urteil vom 26.02.2016 - L 3 AS 220/13 anhängig beim BSG - B 14 AS 1/17 R; aA LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 03.05.2017 - L 13 AS 224/16 R - anhängig beim BSG: B 14 AS 14/17 R; Berlit LPK-SGB II § 22 Rn. 65).

Nur die Kläger und nicht B. und N. S. sind Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Für die Kläger zu 1) und 2) folgt dies aus § 7 Abs. 3 Nr. 1 und für die Kläger zu 3) bis 6) aus § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, da ihnen nur das Kindergeld zur Verfügung steht und sie damit ihren Bedarf nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken können. Die Kinder der Klägerin zu 1) waren im streitigen Zeitraum nicht hilfebedürftig nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II und damit nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II keine Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zählen die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in der Nummer 1) bis 3) genannten Personen zur Bedarfsgemeinschaft, wenn die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sicherstellen können. B. und N. S. konnten - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - ihren Bedarf aus Regelleistung und den kopfanteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung aus eigenem Einkommen decken. Beispielhaft für 2013 errechnet sich der Bedarf aus der Regelleistung (289,- EUR), der Bruttokaltmiete (130,- EUR) und den Heizkosten (18,75 EUR), dh insgesamt von 437,75 EUR und ein (allein bedarfsdeckendes) Einkommen aus der Unterhaltzahlung von 454,- EUR sowie 184,- EUR Kindergeld monatlich gegenüber.

Angemessen ist für die Kläger eine Wohnungsgröße von 120 m². Für einen Haushalt mit bis zu vier Personen ist eine Wohnungsgröße von ca. 90 m² angemessen, für jede weitere Person erhöht sich die Grenze um 15 m² (BSG Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R). Hieraus folgt bei dem Sechs-Personen Haushalt eine angemessene Größe von 120 m². Auf die Frage, ob es - wie die Beklagte meint - für weitere Personen ausreichend ist, die Wohnungsgröße nur um jeweils 10 m² zu erhöhen, kommt es vorliegend nicht an, da die weiteren Personen (B. und N. S.) nicht Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind.

Ausgehend von dem durch Vergleich festgelegten Mietrichtwert von 4,61 EUR/m² und 120 m² für sechs Personen sowie 1,94 EUR/m² und 120 m² ergibt sich für 2013 eine angemessene Bruttokaltmiete für die Kläger von 786,- EUR. Ab dem 01.01.2014 erhöhte sich der Mietrichtwert auf 4,70 EUR/m² und Betriebskosten sind in unterschiedlicher Höhe (1,94 EUR bis 30.04.2014 [6,64 EUR], 1,91 EUR ab Mai 2014 [6,61 EUR], ab September 2014 dann 2,- EUR [6,70 EUR]) zu berücksichtigen, so dass sich eine angemessene Bruttokaltmiete von 796,80 EUR, 793,20 EUR und 804,- EUR errechnet.

Der nach dieser Berechnung festgestellte Betrag findet jedoch seine Begrenzung in der unter Beachtung des Kopfteilprinzips ermittelten Summe. Die absolute Zahl der Nutzer einer Wohnung erlangt Bedeutung bei der Aufteilung der tatsächlichen Wohnkosten nach Kopfzahl (BSG Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R). Die Höhe der zu übernehmenden tatsächlichen Kosten der Unterkunft richtet sich im Regelfall kopfanteilig nach der Anzahl der in der Wohnung lebenden Personen, auch wenn sie nicht Teil der Bedarfsgemeinschaft sind (BSG Urteile vom 18.06.2008 - B 14/11 B AS 61/06 R; vom 22.03.2013 - B 13 AS 85/12 R). Hintergrund für dieses auf das BVerwG (Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85) zurückgehende "Kopfteilprinzip" sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung sowie die Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf dem Grunde nach abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt (BSG Urteil vom 22.08.2013 - B 14 AS 85/12 R; Luik in Eicher-Luik, SGB II § 22 Rn 70 ff).

Unter Beachtung dieser Grundsätze können die Kläger kopfanteilig Unterkunftskosten nach einer Bruttokaltmiete in Höhe von je 130,- EUR im Jahr 2013 (1040,- EUR: 8 x 6 = 780,- [130,- EUR]) und in Höhe von 131,25 EUR ab Januar 2014 (1.050 EUR: 8 x 6 = 787,50 EUR [131,25 EUR]) abzüglich der den Klägern zu 1) bis 6) gezahlten Beträge beanspruchen. Dies entspricht den von den Klägern 1) bis 6) geltend gemachten Beträgen. Die nach den Angemessenheitsrichtlinien der Beklagten errechneten Beträge (796,80 EUR, 793,20 EUR und 804,- EUR) könnten die Kläger hingegen nicht beanspruchen, da die tatsächlichen Kosten der Unterkunft (hier die Bruttokaltmiete) auf "Köpfe" zu verteilen ist. Insoweit findet eine Deckelung iSe Begrenzung der angemessenen Kosten auf die sich nach Kopfteilen ergebenden Beträge statt. Dadurch wird vermieden, dass die Bedarfsgemeinschaft einen Teil der Unterkunftskosten der nicht zur Bedarfsgemeinschaft zählenden Personen - B. und N. S. - übernimmt. Die Kläger haben dies bei ihrer Antragstellung zutreffend beachtet.

Unerheblich ist - abweichend von der Auffassung der Beklagten - aus welchen Gründen eine Person kein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist - etwa wegen Vollendung des 25. Lebensjahres, gem. § 7 Abs. 5 SGB II oder - wie hier - aufgrund bedarfsdeckenden Einkommens oder Vermögens nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II. Für eine abweichende Auffassung und den Rechenansatz der Beklagten gibt es keine Rechtsgrundlage. Insbesondere nicht geeignet ist der Hinweis auf das "Wirtschaften aus einem Topf" oder die fortwährende Notwendigkeit der Prüfung des bedarfsdeckenden Einkommens. Das SGB II kennt keine Bedarfsgemeinschaft allein aufgrund gemeinsamen Wirtschaftens. Die Abhängigkeit der angemessenen Wohnkosten von häufig wechselnden Änderungen in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der haushaltsangehörigen Kinder ist in Kauf zu nehmen. Denn die existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II sind auch in vielen anderen Fallgestaltungen gerade dadurch gekennzeichnet, dass bei Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eine aktualisierte rechtliche Beurteilung und ggf. eine Anpassung der Leistungen erfolgen muss.

Außerdem beachtet die Beklagte mit ihrer Berechnungsmethode ohnehin nicht das von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte "Kopfteilprinzip". Die absolute Zahl der Nutzer einer Wohnung erlangt hiernach Bedeutung nur bei der Aufteilung der tatsächlichen Wohnkosten (BSG Urteile vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R und vom 16.06.2015 - B 4 AS 44/14 R). Hiermit ist nicht vereinbar, nur die angemessenen Kosten für alle Haushaltsmitglieder zu errechnen und diese anteilig auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu verteilen. Das Kopfteilprinzip bezieht sich nur auf die tatsächlichen Aufwendungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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