L 7 AS 2087/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 1159/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 2087/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II bei Legasthenie (hier verneint).
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. April 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die (zuschussweise) Erstattung bzw. Übernahme der Kosten eines Einzelförderunterrichts wegen Legasthenie/Dyslexie (Lese-/Rechtschreibschwäche) bzw. Dyskalkulie (Rechenschwäche) durch den Beklagten im Rahmen der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die Klägerin ist 1995 geboren und bezieht seit Jahren Leistungen nach dem SGB II. Die allgemeinbildende Schule beendete sie ohne Abschluss. Von September 2014 bis März 2016 absolvierte sie ein freiwilliges soziales Jahr, anschließend einen Schreibmaschinenkurs. Seit August 2015 nimmt sie Einzelunterrichtsstunden im ASS Lerntherapiezentrum für Legasthenie, Dyskalkulie und Früherkennung H. einer als freie Unterrichtseinrichtung im Sinne des § 16 Privatschulgesetz Baden-Württemberg anerkannten Einrichtung, zur Behandlung von Legasthenie und Dyskalkulie; hierfür entstehen Kosten in Höhe von monatlich 205,00 EUR, die von einem Bekannten der Mutter der Klägerin, Herrn A. C., getragen werden. Zwischen August 2015 und einschließlich August 2016 sind insoweit Kosten von insgesamt 2.770,00 EUR für die lerntherapeutische Betreuung sowie für Diagnostik und Beratung an das ASS Lerntherapiezentrum H. bezahlt worden. Seit dem 12. September 2016 besucht die Klägerin zudem die M. Akademie für soziale Berufe; sie nimmt dort bis zum 31. Juli 2018 an der zweijährigen Berufsfachschule für Sozialpflege – Schwerpunkt Alltagsbetreuung – teil.

Die Klägerin beantragte erstmals am 4. Mai 2015 beim Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Therapie wegen "Legasthenie (Leseschwäche) und Dyslexie (schlechte/falsche Wiedergabe/Redeweise)". Sie habe eindeutig Legasthenie und Dyslexie und benötige fachmännische Hilfe. Sie beantrage die Übernahme der Kosten für die wissenschaftliche Therapie, die sie in Anspruch nehmen müsse und wolle, damit sie ihre Schwächen ausgleichen könne, um ein gesundes Selbstwertgefühl zu erlangen, damit künftig Minderwertigkeitsgefühle ausblieben, von sozialen und seelischen Schäden "ganz zu schweigen". Der Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 6. Mai 2015 und – nach dem Widerspruch der Klägerin vom 11. Mai 2015 – mit Widerspruchsbescheid vom 11. September 2015 ab.

Einen gleichgerichteten Antrag der Klägerin lehnte die AOK Baden-Württemberg mit Bescheid vom 13. Mai 2015 ab. Eine Teilleistungsstörung sei keine Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts. Einen weiteren Antrag der Klägerin vom 27. Mai 2015 lehnte die Stadt H. als Trägerin der Jugendhilfe mit Bescheid vom 12. August 2015 ab. Die Voraussetzungen des § 41 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) lägen nicht vor, weil allein durch eine Legasthenie- bzw. Dyskalkuliebehandlung eine Persönlichkeitsentwicklung und eine eigenverantwortliche Lebensführung nicht erreicht werden könnte. Die Voraussetzungen des § 35a SGB VIII lägen ebenfalls nicht vor. Selbst wenn bei der Klägerin eine signifikante Standardabweichung von 1,5 im Sinne des ICD-10 vorliege, ließen sich Schwierigkeiten bei der sozialen Integration weder im Rahmen des freiwilligen sozialen Jahres noch im familiären Bereich erkennen. Eine soziale Beeinträchtigung bei der Eingliederung und der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft könne daher nicht festgestellt werden.

Am 26. Januar 2016 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten (erneut) die Kostenübernahme für eine Therapie wegen Legasthenie und Dyslexie.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 26. Januar 2016 ab. Alle Bedarfe mit Ausnahme der in § 24 Abs. 3 SGB II genannten Bedarfe seien mit der Regelleistung abgegolten. Die Therapiekosten bzgl. der Legasthenie fielen nicht unter die in § 24 Abs. 3 SGB II genannten Ausnahmen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 29. Januar 2016 Widerspruch, den die Widerspruchsstelle des Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2016 zurückwies. Für etwaige Ergänzungs- oder Sonderbedarfe, zu denen auch die Therapiekosten aufgrund der Lese- und Rechenschwäche der Klägerin zählten, seien Ansparungen aus der Regelleistung vorzunehmen, damit ein solcher Bedarf gedeckt werden könne. Eine Ausnahme stellten die in §§ 21, 22 und 24 bis 29 SGB II genannten sonstigen Bedarfe dar. Die Therapiekosten bei einer Legasthenie/Dyskalkulie seien darin allerdings nicht vorgesehen. Ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasster und unabweisbarer Bedarf sei bei diesen Kosten nicht gegeben. Somit komme auch eine darlehensweise Kostenübernahme nicht in Betracht.

Am 18. April 2016 hat die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben. Sie hat im Nachgang zu einem Erörterungstermin vor dem SG vom 18. August 2016, in dem sie angegeben hatte, mit Herrn C. keinen Darlehensvertrag geschlossen zu haben, am 28. August 2016 einen auf den 27. August 2016 datierten schriftlichen "Darlehensvertrag" vorgelegt, nach dem sich die Klägerin und ihre Mutter gemäß "früherer mündlichen Vereinbarung verpflichten", die Geldleistungen, die für den von der Klägerin besuchten Kurs beim Lernzentrum H. bereitgestellt hat und fortan bereitstelle, zurückzuzahlen, "sobald es uns möglich ist".

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. April 2017 abgewiesen. Nach Abschluss der Schullaufbahn bestehe kein Sonderbedarf mehr nach § 28 Abs. 5 SGB II. Ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II sei nicht unabweisbar. Die Kosten würden durch Herrn C. getragen, ohne dass eine wirksame Zahlungsverpflichtung der Klägerin bestehe.

Gegen den ihr am 5. Mai 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15. Mai 2017 beim SG Berufung eingelegt. Ihre Schullaufbahn sei gerade nicht abgeschlossen. Ziel ihrer Ausbildung bei der M. Akademie für soziale Berufe sei das Erreichen des Hauptschulabschlusses, um anschließend eine dreijährige Ausbildung zur Kinderpflegerin absolvieren zu können. Die Klägerin hat die "1. Halbjahresinformation" der M. Akademie für soziale Berufe vom 10. Februar 2017 (Alltagsbetreuung: befriedigend; Religionslehre: gut; Deutsch: gut; Mathematik: befriedigend; Rechtskunde: nicht ermittelt; Praxis: befriedigend; Musik: befriedigend), das "1. Jahreszeugnis" vom 14. Juli 2017 (Alltagsbetreuung: befriedigend; Religionslehre: gut; Deutsch: gut; Mathematik: befriedigend; Rechtskunde: befriedigend; Praxis: gut; Musik: befriedigend), laut dem sie "versetzt" wurde, und eine Bestätigung der M. Akademie vorgelegt, nach der die Versetzung derzeit nicht gefährdet sei, bei der Klägerin in allen Unterrichtsfächern eine Lernschwäche bemerkbar sei und eine zusätzliche Lernförderung befürwortet werde. Die Klägerin hat ferner ein "Testgutachten" der Leiterin des ASS-Lerntherapiezentrum H. K. vom 5. Mai 2015 sowie einen Entwicklungsbericht der Diplom-Pädagogin R. (ASS-Lerntherapiezentrum H.) vom 7. März 2018 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. April 2017 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2016 zu verurteilen, ihr die Kosten für die Legasthenie-/Dyskalkuliebehandlung zu erstatten sowie zukünftige weitere Kosten zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich weder aus § 28 SGB II noch aus § 21 Abs. 6 SGB II. Die Nachhilfe sei nicht notwendig, weil die Versetzung nicht gefährdet sei. Der Mehrbedarf sei auch nicht unabweisbar, weil die Kosten durch Schenkungen eines Bekannten gedeckt seien. Auch aus § 16 SGB II ergebe sich kein Anspruch.

Der Senat hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 7. Februar 2018 abgelehnt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 SGG, da die Klägerin Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Die Berufung der Klägerin ist indes unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2016 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung und Übernahme der Kosten für die Legasthenie-/Dyskalkuliebehandlung. Bei den damit begehrten Leistungen nach § 28 SGB II handelt es sich um einen abtrennbaren Streitgegenstand (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 12/13 R – juris Rdnr. 14 f.); dies gilt auch für den zum Teil geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch nach § 30 SGB II. Auch Leistungen nach § 16 SGB II bilden einen abtrennbaren Streitgegenstand (BSG, Urteil vom 1. Juni 2010 – B 4 AS 63/09 R – juris Rdnr. 10).

a) Gemäß § 28 Abs. 5 SGB II wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Geht die leistungsberechtigte Person durch Zahlung an Anbieter in Vorleistung, ist der kommunale Träger gemäß § 30 Satz 1 SGB II zur Übernahme der berücksichtigungsfähigen Aufwendungen verpflichtet, soweit (1.) unbeschadet des Satzes 2 die Voraussetzungen einer Leistungsgewährung zur Deckung der Bedarfe im Zeitpunkt der Selbsthilfe nach § 28 Abs. 2 und 5 bis 7 SGB II vorlagen und (2.) zum Zeitpunkt der Selbsthilfe der Zweck der Leistung durch Erbringung als Sach- oder Dienstleistung ohne eigenes Verschulden nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen war.

Diese Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 28 Abs. 5 SGB II bzw. – für die bereits vorfinanzierten Behandlungen – nach § 30 Satz 1 SGB II liegen nicht vor.

aa) Zwar wird angenommen, dass ergänzende Lernförderung im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II grundsätzlich auch die Vermittlung ergänzender Kompetenzen bei bestehender Legasthenie und Dyskalkulie darstellen kann (Landessozialgericht [LSG] Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. Januar 2015 – L 2 AS 622/14 B ER – juris Rdnr. 28; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20. Januar 2017 – L 3 AS 195/13 – juris Rdnr. 30; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. März 2017 – L 12 AS 134/15 – juris Rdnr. 31). Unabhängig aber davon, ob § 28 Abs. 5 SGB II im Hinblick darauf, dass die Klägerin nicht mehr schulpflichtig ist, überhaupt anwendbar ist, sind die Anspruchsvoraussetzungen des § 28 Abs. 5 SGB II bei der Klägerin jedenfalls deswegen nicht erfüllt, weil die Legasthenie-/Dyskalkuliebehandlung zur Erreichung der wesentlichen Lernziele nicht erforderlich ist. In der von der Klägerin im Berufungsverfahren selbst vorgelegten Halbjahresinformation und dem vorgelegten Zeugnis der M. Akademie für soziale Berufe werden der Klägerin durchweg "gute" und "befriedigende" Leistungen bescheinigt. Die Klägerin ist nach dem ersten Schuljahr auch versetzt worden. Entsprechend hat die M. Akademie in der von der Klägerin vorgelegten Bescheinigung auch ausdrücklich mitgeteilt, dass eine Versetzung nicht gefährdet sei. Etwas anderes wäre nach den bescheinigten Noten auch nicht nachvollziehbar. Ist aber die Versetzung – hier nach dem ersten Schuljahr – und der angestrebte Abschluss – hier nach dem zweiten, im Juli 2018 endenden Schuljahr – nicht gefährdet, ist eine Lernförderung zur Erreichung der wesentlichen Lernziele regelmäßig nicht erforderlich (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2013 – L 2 AS 1679/12 B – juris Rdnr. 5; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Mai 2011 – L 5 AS 498/10 B ER – juris Rdnr. 24; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, § 28 Rdnr. 80 [März 2017]). In der Begründung des Gesetzesentwurfes zu § 28 Abs. 5 SGB II wird ausdrücklich ausgeführt, dass sich das wesentliche Lernziel im Sinne dieser Vorschrift "im Einzelfall je nach Schulform und Klassenstufe aus den schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes ergibt" und dass das wesentliche Lernziel "regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe bzw. ein ausreichendes Leistungsniveau" sei (Begründung des Gesetzentwurfes vom 26. Oktober 2010, Bundestags-Drucksache 17/3404, S. 105). Zusätzliche und damit nicht versetzungsrelevante Unterrichtsangebote sind daher nach § 28 Abs. 5 SGB II nicht förderungsfähig (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2013 – L 2 AS 1679/12 B – juris Rdnr. 5). Eine erweiternde Auslegung dieser Norm kommt nicht in Betracht, da die Regelung Ausnahmecharakter hat, weil Bedarfe grundsätzlich aus der Regelleistung zu bestreiten sind (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2013 – L 2 AS 1679/12 B – juris Rdnr. 5). Eine weitergehende Förderung ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten, weil eine bloße – nicht versetzungsrelevante – Notenverbesserung nicht vom sog. Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum erfasst ist (vgl. Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 28 Rdnr. 39). Mit anderen Worten: § 28 Abs. 5 SGB II bezweckt die Erreichung des Lernminimums, nicht eine Maximierung des Lernerfolges.

Etwas anderes mag dann gelten, wenn aufgrund landesrechtlicher Bestimmungen die Versetzung notenunabhängig auch dann erfolgt, wenn in der Schule grundlegende Kulturtechniken nicht hinreichend erfolgreich vermittelt werden können (vgl. etwa LSG Sachsen, Urteil vom 14. Januar 2016 – L 3 BK 12/14 – juris Rdnr. 44 mit Blick auf einen Grundschüler; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20. Januar 2017 – L 3 AS 195/13 – juris Rdnr. 32 ff. im Falle eines Schülers, dessen Versetzung aufgrund des einschlägigen Landesrechts grundsätzlich leistungsunabhängig erfolgte; wohl grundsätzlich zustimmend anschließend BSG, Urteil vom 25. April 2018 – B 4 AS 19/17 R – Terminsbericht Nr. 17/18), weil dann die Versetzung nichts über den Lernerfolg aussagt. Eine solche erweiternde Auslegung des § 28 Abs. 5 SGB II greift aber im vorliegenden Fall zu Gunsten der bereits 22jährigen Klägerin schon deswegen nicht ein, weil die Lernförderung in ihrem Fall nicht erforderlich ist, um Lesen, Schreiben und Rechnen zu erlernen, denn dies beherrscht sie – wenn auch mit Defiziten –; auch hier dokumentieren die 1. Halbjahresinformation vom 10. Februar 2017 und das 1. Jahreszeugnis vom 14. Juli 2017 weit mehr als ausreichende Leistungen.

Dass das bescheinigte, für die Versetzung mehr als ausreichende Leistungsniveau der Klägerin allein darauf beruht, dass sie seit August 2015 die lerntherapeutische Betreuung des ASS Lerntherapiezentrum H. in Anspruch nimmt, lässt sich nicht feststellen. Dies hat auch die Klägerin nicht behauptet. Dagegen spricht wiederum auch, dass der Klägerin seitens der M. Akademie sowohl in der 1. Halbjahresinformation vom 10. Februar 2017 als auch in dem 1. Jahreszeugnis vom 14. Juli 2017 in den Fächern Deutsch und Mathematik die Notenstufen "gut" bzw. "befriedigend" attestiert worden sind. Die Klägerin hat damit nicht nur die Note "ausreichend" erhalten, sondern Noten, die ein bzw. zwei Stufen darüber liegen.

Das von der Klägerin vorgelegte "Testgutachten" vom 5. Mai 2015 und der Entwicklungsbericht vom 7. März 2018 sind insoweit unergiebig. Im Testgutachten vom 5. Mai 2015 – also vor Beginn der Lerntherapie – wird vielmehr ausgeführt, dass die Klägerin konzentriert, gleichbleibend fokussiert, in durchschnittlichem Tempo und in gut lesbarer Schrift schreibt, beim Schreibtest im phonetischen Bereich weitgehend sicher schreibt, die Raum-Lage-Differenzierung einzelner Buchstaben beherrscht und die Lautreihenfolge einhält. Fehler bei der Lautdifferenzierung und der vollständigen Analyse der Einzellaute träten nur vereinzelt auf. Fehlerschwerpunkte seien die morphematische Gliederung in Vorsilben, Wortstämme und Nachsilben sowie alle darauf aufbauenden regelhaften Schreibweisen. Die grammatikalische Analyse als Voraussetzung der Groß- und Kleinschreibung gelinge ihr beim isolierten Wortschreiben, bereite ihr aber Schwierigkeiten im Satz- und Textzusammenhang. Auffallend sei ferner die Zusammen- und Getrenntschreibung. Besondere Konsonantengruppen bei Fremdwörtern schreibe sie lautgetreu. Ein Regelwissen bestehe nicht. Beim "Züricher Lesetest" hätten sich erhebliche Schwierigkeiten beim phonologischen Rekodieren und beim schnellen Abruf visueller Informationen gezeigt. Der schnelle Zugriff auf lexikalische Einträge bei Wortlisten und die Ausnutzung von Kontext-Informationen gelinge der Klägerin im Vergleich zu Schülern der 9. Klasse meist in unterdurchschnittlicher, teilweise in weit unterdurchschnittlicher Geschwindigkeit. Die Lesegenauigkeit habe ebenfalls überwiegend im unterdurchschnittlichen Bereich gelegen. Die Klägerin habe in Sinnschritten gegliedert, flüssig und mit angemessener Modulation gelesen. Der Test des Zahlenfolgengedächtnisses habe ein auditives Kurzzeit- und Arbeitgedächtnis im weit unterdurchschnittlichen Bereich ergeben. Die Programmierung und Koordination von sequentiellen Leistunegn sowie die artikulatorischen und sprechmotorischen Koordinationsleistungen lägen im unterdurchschnittlichen Bereich. Fehler seien bei der Phonemdifferenzierung und der Sequenzierung aufgetreten. Insgesamt beschreibt der Testbericht damit Defizite der Klägerin im Bereich des Schreiben, Lesens und der Merkfähigkeit, die die entsprechende Lerntherapie zur Reduktion von Defiziten und zur Verbesserung ihrer Kompetenzen rechtfertigen, die sie aber nicht als zur Erreichung der Lernziele notwendig erscheinen lassen. Der Entwicklungsbericht vom 7. März 2018 bestätigt lediglich, dass sich die Therapie der Klägerin positiv auswirkt. Dies allein reicht aber nach dem oben Dargelegten nicht aus, um einen Leistungsanspruch zu generieren.

bb) Hinsichtlich eines Sonder- oder Mehrbedarfs für Lernförderung ist die Regelung des § 28 Abs. 5 SGB II abschließend. §§ 28 bis 30 SGB II regeln Bedarfe für Bildung und Teilhabe im Rahmen der Leistungen nach dem SGB II bereichsspezifisch und sperren damit die Anwendung anderer Anspruchsnormen des SGB II und damit auch der §§ 21, 24 SGB II; anderenfalls könnten die besonderen Anspruchsvoraussetzungen des § 28 (hier: Abs. 5) SGB II unterlaufen werden.

Im Übrigen wäre ein Bedarf für Lernförderung, die nicht bloß das Erreichen der wesentlichen Lernziele bezweckt, sondern einen darüber hinaus gehenden Schulerfolg, auch nicht "unabweisbar" im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II. Bei dieser Härtefallklausel handelt es um eine Ausnahmevorschrift für atypische Bedarfslagen, dessen Tatbestandsvoraussetzungen nach der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses des Bundestages eng und strikt sind (Bundestags-Drucksache 17/1465, S. 8). Der Gesetzgeber hat damit ein Element aus dem sog. Hartz IV-Urteil des BVerfG (Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u. a. – BVerfGE 125, 175 ff.; dazu etwa Aubel in Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, 2011, S. 273 ff.) umgesetzt. Das BVerfG hatte die Auffassung vertreten, dass es mit Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar sei, dass im SGB II eine Regelung fehle, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs vorsehe (BVerfG a.a.O. – BVerfGE 125, 175 [252]). Auch das BVerfG ging von engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen aus, so dass ein derartiger zusätzlicher Anspruch nur in seltenen Fällen entstehen dürfte (BVerfG a.a.O. – BVerfGE 125, 175 [255]; ebenso Beschluss des Senats vom 19. Dezember 2017 – L 7 AS 3405/17 – juris Rdnr. 31). Er besteht damit nicht, wenn er bereits spezialgesetzlich geregelt ist, die dortigen Anspruchsvoraussetzungen aber nicht vorliegen. Und er besteht erst Recht nicht, wenn es – wie hier – nicht um Leistungen geht, die der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums dienen.

b) Auch ein Anspruch nach § 16 SGB II besteht nicht. Zwar kann die Agentur für Arbeit nach § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II unter anderem Leistungen zur Berufsausbildung nach § 130 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) erbringen und gemäß § 130 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III werden förderungsbedürftige junge Menschen in der ausbildungsbegleitenden Phase unterstützt zum Abbau von Sprach- und Bildungsdefiziten. Unabhängig von der Frage, ob dies auch auf Defizite anwendbar ist, die auf Legasthenie beruhen (bejahend Schubert/Schaumberg in jurisPK-SGB III, 2014, § 130 Rdnr. 38), greift diese Norm zu Gunsten der Klägerin schon deswegen nicht ein, weil diese sich nicht in einer betrieblichen Berufsausbildung befindet, sondern eine Berufsfachschule besucht. § 130 SGB III betrifft aber nur die betriebliche Berufsausbildung (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III).

Aus den gleichen Gründen verhilft auch § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 78 Abs. 2 SGB III dem Begehren der Klägerin nicht zum Erfolg. Denn die dort geregelten Leistungen zum Abbau von Sprach- und Bildungsdefiziten betreffen ausbildungsbegleitende Hilfen bei betrieblicher Berufsausbildung, einer Einstiegsqualifizierung oder einer Ausbildung in einer außerbetrieblichen Einrichtung (§ 74 Abs. 1 SGB III), nicht aber Hilfen während eines Schulbesuches. Insofern sind im Anwendungsbereich des SGB II die Regelungen der §§ 28 ff. SGB II einschlägig, deren Voraussetzungen aber – wie dargelegt – hier nicht vorliegen.

c) Ob trotz der Altersgrenzen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII, die die Klägerin überschreitet, die Voraussetzungen für Leistungen nach § 35a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII (vgl. OVG Thüringen, Urteil vom 19. Januar 2017 – 3 KO 656/16 – juris Rdnr. 30 ff.; VG Ansbach, Urteil vom 13. März 2012 – AN 4 K 11.01202 – juris Rdnr. 22; VG Leipzig, Urteil vom 22. November 2007 – 5 K 1733/05 – juris Rdnr. 23) vorliegen, bedarf unabhängig davon, dass die Stadt H. eine Leistungsgewährung mit Bescheid vom 12. August 2015 bereits – offenbar bestandskräftig – abgelehnt hat, keiner Entscheidung, da zuständiger Leistungsträger insofern nicht der Beklagte ist und der Jugendhilfeträger auch nicht nach Beiladung gemäß § 75 Abs. 5 SGG verurteilt werden könnte, da er nicht zu den dort aufgeführten Leistungsträgern zählt.

d) Der örtlich zuständige Sozialhilfeträger war nicht beizuladen, da dessen Verurteilung nicht in Betracht kam. Insbesondere hat die Klägerin keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe, der nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nur Personen zusteht, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Geistig wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Personen, die infolge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfange in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt sind. Bei einer Lese- und Rechtschreibstörung handelt es sich um ein – bei sonst normaler Intelligenz – partielles geistiges Defizit, das in aller Regel nicht zu einer erheblichen Einschränkung der Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft führt (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 5. August 2010 – L 8 SO 143/10 B ER – juris Rdnr. 16). Dies gilt selbst dann, wenn bei einer Person ein erfolgreicher Schulabschluss gefährdet ist mit der Folge, dass sie keinen ihren sonstigen Fähigkeiten entsprechenden, angemessenen Platz im Arbeitsleben finden kann (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 5. August 2010 – L 8 SO 143/10 B ER – juris Rdnr. 16; vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. September 1995 – 5 C 21/93 – juris Rdnr. 15 f.). Im vorliegenden Fall, in dem die Klägerin zuletzt gute bzw. befriedigende Leistungen in den Fächern Deutsch und Mathematik erbracht hat (siehe oben) und der erfolgreiche Abschluss der Berufsfachschule unmittelbar bevorsteht, liegt nach diesen Maßstäben erst Recht keine wesentliche Behinderung vor. Etwas anderes hat auch die Klägerin nicht behauptet.

Ein Anspruch folgt auch nicht aus der Ermessensregelung des § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, nach dem Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten können, denn es liegen keine Umstände vor, die das Ermessen des Sozialhilfeträgers auf Null reduzieren würden.

Vor diesem Hintergrund war der örtlich zuständige Sozialhilfeträger nicht nach § 75 Abs. 2 2. Var. SGG beizuladen. Scheidet – wie hier – die Verurteilung eines anderen Leistungsträgers offensichtlich aus, bedarf es keiner Beiladung (vgl. Straßfeld in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 75 Rdnr. 75 m.w.N.), weil dann die "ernsthafte Möglichkeit" einer Verurteilung des anderen Leistungsträgers nicht besteht (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 1996 – 2 RU 12/96 – juris Rdnr. 37; BSG, Beschluss vom 5. Juli 2016 – B 1 KR 18/16 B – juris Rdnr. 5 m.w.N.).

e) Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der Klägerin überhaupt erstattungsfähige Kosten für die lerntherapeutische Betreuung durch das ASS Lerntherapiezentrum H. entstanden sind, nachdem die bisherigen Kosten von einem Bekannten der Mutter der Klägerin, A. C., getragen wurden. Auch insofern bestehen hinsichtlich der Plausibilität des widersprüchlichen Vorbringens der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren, es handele sich um ein rückzahlungspflichtiges Darlehen des Herrn C., aber erhebliche Bedenken.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht bestehen.
Rechtskraft
Aus
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