S 11 SO 176/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 SO 176/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin in der Zeit vom 30.06.2015 bis zum 31.05.2016 Leistungen der Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege gemäß §§ 9 Satz 1, 28 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) in Verbindung mit §§ 8 Nr. 5, 19 Abs. 3, 61 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) zu gewähren.

Die am 00.00.1931 geborene Klägerin übertrug mit notariellem Vertrag vom 10.11.1995 das Eigentum an ihrem Grundstück "Flur 00, Flurstück 000, 000 qm, Hof- und Gebäudefläche C ...weg 00, F." auf ihren Sohn N. I ... Unter der Überschrift "Beerdigung" dieses Vertrages heißt es: "Nach dem Tode der Übertragsgeberin trägt der Übertragsnehmer die Kosten der Bestattung, einschließlich all dessen, was auch in kirchlicher Hinsicht für ein Grabmal und eine angemessene Grabpflege in der Zukunft und auf die Dauer des Bestehens des Elterngrabes erforderlich ist. Dafür stehen dem Übertragsnehmer auch die Sterbegelder pp. zu."

Die Klägerin erhält seit dem 23.12.2014 stationäre Pflege im Haus T. in F ... Bereits im September 2014 hatte sie einen Antrag bei dem Beklagten auf Gewährung von Pflegewohngeld nach dem Alten- und Pflegegesetz Nordrhein-Westfalen (APG NRW) sowie auf Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege gestellt. Mit Bescheid vom 16.01.2015 bewilligte der Beklagte Pflegewohngeld, mit Bescheid vom gleichen Tage lehnte er Leistungen nach dem SGB XII ab. In der Zeit bis einschließlich Mai 2015 besaß die Klägerin folgendes Vermögen: Girokonto Nr. 000 in Höhe von 394, 60 Euro, Sparkonto Nr. 000 in Höhe von 2600,00 Euro, Rückkaufswert der Lebensversicherung bei der H.-Versicherung in Höhe von 8044,20 Euro.

Am 18.06.2015 schloss die Klägerin mit dem Bestattungsinstitut I. C., F., einen Bestattungsvorsorgevertrag. In diesem verpflichtete sie sich, als "Gegenleistung und Sicherung zur Deckung der Bestattungskosten aus diesem Bestattungsvorsorgevertrag folgende Leistungen unwiderruflich" zu erbringen: H.-Versicherung, Nr.000 in Höhe von 8807,20 Euro. Wegen der Einzelheiten wird verwiesen auf den Vertrag vom 18.06.2015 (Bl. 117 ff. der Verwaltungsakte des Beklagten).

Am 30.06.2015 stellte sie bei dem Beklagten erneut einen Antrag auf Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege. Diesen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 08.10.2015 ab. Die Klägerin sei nicht hilfebedürftig im Sinne des § 19 Abs. 3 SGB XII. Bei der Berechnung der Sozialhilfe seien sowohl Einkommen im Sinne der §§ 83 ff. SGB XII als auch Vermögen (§ 90 SGB XII) des Hilfesuchenden zu berücksichtigen. Daher komme eine Gewährung von Sozialhilfe nicht in Betracht. Zum Vermögen gehöre insbesondere auch der nicht angemessene Bestattungsvorsorgevertrag der Klägerin. Dieser sei nicht geschützt im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII. Den dagegen erhobenen Widerspruch vom 03.11.2015 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2016 zurück.

Mit Bescheid vom 09.08.2016 gewährt der Beklagte der Klägerin ab dem 01.06.2016 Leistungen der Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege.

Am 01.09.2016 hat die Klägerin gegen den Bescheid vom 08.10.2015 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, ihr stehe Sozialhilfe ab dem 30.06.2015 zu. Insbesondere sei ihr Bestattungsvorsorgevertrag mit dem Bestattungshaus I. C. schutzwürdig im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 08.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2016 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 30.06.2015 bis zum 31.05.2016 Leistungen der Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält den angefochtenen Bescheid weiterhin für rechtmäßig. Hinsichtlich seiner Rechtsauffassung verweist er im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 28.07.2016.

Mit Schriftsatz vom 17.04.2018 hat die Klägerin mitgeteilt, dass der Bestatter I. C. im Falle einer Kündigung des Vertrages keine Aufwandsentschädigung o. ä. geltend machen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 08.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2016 nicht gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Der Bescheid ist nicht rechtswidrig. Der Klägerin stand gemäß §§ 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 SGB XII in Verbindung mit §§ 61 ff. SGB XII (a.F.) gegen den Beklagten kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII in Gestalt der Leistungen der Hilfe zur Pflege für die Zeit vom 30.06.2015 bis zum 31.05.2016 als Zuschuss zu.

Nach § 2 Abs. 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer sich durch Einsatz seines Einkommens und Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII wird Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist. Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem Maße oder höherem Maße der Pflege bedürfen, ist Hilfe zur Pflege zu leisten (§ 61 Abs. 1 SGB XII a.F.). Nach § 61 Abs. 2 Satz 1 SGB XII (a.F.) umfasst die Hilfe zur Pflege auch die stationäre Pflege.

Im Sinne dieser Bestimmungen konnte sich die Klägerin in der streitgegenständlichen Zeit durch Einsatz ihres Vermögens selbst helfen. Der Leistungsgewährung stand insoweit das den Schonvermögensbetrag übersteigende Vermögen bzw. der Rückabwicklungsanspruch nach Kündigung des Bestattungsvorsorgevertrages (siehe dazu im Einzelnen Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18.03.2008, Az.: B 8/9 b SO 9/06 R) entgegen. Insbesondere das in den Bestattungsvorsorgevertrag geflossene Vermögen der Klägerin in Höhe von 8807,20 Euro steht dem Leistungsanspruch entgegen. Denn dieser Bestattungsvorsorgevertrag ist nicht auf der Grundlage von § 90 Abs. 3 SGB XII geschützt.

Gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist bei der der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde (§ 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII). Bei der Auslegung dieser Normen ist zum Einen auf die Leitvorstellungen des Gesetzes für die Verschonungen zurückzugreifen, zum Anderen sind auch Wertungen aus anderen Bestimmungen des SGB XII zu berücksichtigen, da es Sinn und Zweck des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist, als Härtevorschrift für andere als die in § 90 Abs. 2 SGB XII aufgeführten Verschonungsfälle zu dienen (vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 11.12.2003, Az.: 5 C 84/02 zur Vorgängerregelung § 88 Abs. 3 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz [BSHG]). In Ansehung dessen ist dem Wunsch der Menschen, für die Zeit nach ihrem Tod vorzusorgen, in der Form Rechnung zu tragen, dass ihnen die Mittel für eine angemessene Bestattung und Grabpflege erhalten bleiben, die sie zu diesem Zweck zurückgelegt haben (BSG, Urteil vom 18.03.2008, Az.: B 8 / 9 b SO 9/06 R; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 5. Auflage, 2014, § 90, Rn. 80). Aus dem durch Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich fundierten Anspruch einer würdigen Bestattung folgt, dass eine Bestattungsvorsorge vom Träger der Sozialhilfe bei der Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII zu respektieren ist. In verfassungskonformer Auslegung ist das angesammelte, der Bestattung und Grabpflege dienende Vermögen durch § 90 Abs. 3 SGB XII geschützt.

Zunächst geht die Kammer davon aus, dass es sich bei dem Bestattungsvorsorgevertrag vom 18.06.2015 nicht um einen angemessenen im o.g. Sinne handelt (siehe zur Angemessenheit in finanzieller Hinsicht Sozialgericht (SG) Münster, Urteil vom 26.06.2014, Az.: S 8 SO 121/11). Darauf kommt es allerdings hier nicht an.

Denn der Schutz des § 90 Abs. 3 SGB XII entfällt hier bereits, da sich der Sohn der Klägerin mit notariellem Vertrag verpflichtet hat, im Falle des Todes der Klägerin diese standesgemäß bestatten zu lassen. Nach Auffassung der Kammer ist dadurch bereits eine angemessene Bestattungsvorsorge seitens der Klägerin erfolgt. Die Klägerin muss sich auf diese verweisen lassen. Eine darüber hinausgehende finanzielle Absicherung der Bestattungskosten ist nicht notwendig. Eine gewisse Unsicherheit, ob sich der zur Bestattung verpflichtende Vertragspartner des Hilfesuchenden tatsächlich an den notariellen Vertrag hält, ist dem Hilfesuchenden zuzumuten, da es sich insoweit um ein allgemeines Lebensrisiko handelt (siehe nur SG Münster, Urteil vom 23.10.2017, Az.: S 11 SO 182/15).

Da der streitgegenständliche Bestattungsvorsorgevertrag bereits aus dem o.g. Grund nicht schutzwürdig ist, kann ebenfalls offen bleiben, ob der Schutz des § 90 Abs. 3 SGB XII nicht bereits deshalb entfällt, da die Klägerin den Bestattungsvorsorgevertrag erst nach Heimaufnahme und erstmaliger Ablehnung eines Leistungsanspruchs abgeschlossen hat. Insbesondere kann dahinstehen, ob sich die Klägerin überhaupt auf eine Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII berufen kann, wenn sie diese Härte durch eigenes Verhalten selbst herbeigeführt hat.

Hinsichtlich der Berechnung des Vermögens im Einzelnen nimmt die Kammer Bezug auf die Ausführungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 28.07.2016 (§ 136 Abs. 3 SGG). Bedenken gegen die Ermittlung des Vermögens werden seitens der Klägerin insoweit auch nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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