L 12 AS 783/18 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AS 448/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 783/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 30.04.2018 geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Antragsgegners bzw. des Beigeladenen vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) zu gewähren.

Die am 00.00.1982 geborene Antragstellerin ist irakische Staatsangehörige. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 02.02.2017, bestandskräftig seit dem 17.02.2017 ist ihr die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Asylgesetz (AsylG) zuerkannt worden. Sie erhielt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 1. Alternative Aufenthaltsgesetz (AufenthG) gültig vom 17.02.2017 bis zum 16.02.2020. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Mit Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 10.03.2017 wurde die Antragstellerin gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 5 der Ausländer-Wohnsitzregelungsverordnung vom 15.11.2016 (AWoV) der Stadt/Gemeinde N zugewiesen, wo sie auch zunächst ihren Wohnsitz genommen hat.

Mit Bescheid des Antragsgegners vom 26.06.2017 wurden der Antragstellerin Leistungen für den Zeitraum März 2017 bis Februar 2018 gewährt.

Die Antragstellerin lebt seit spätestens Oktober 2017 bei Ihrem Bruder in C und wird dort von ihren Brüdern mit Nahrungsmitteln unterstützt.

Ab November 2017 gewährte der Antragsgegner keine SGB II-Leistungen mehr. Am 15.11.2017 leitete die Antragstellerin beim Sozialgericht Gelsenkirchen ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter dem Aktenzeichen S 8 AS 3151/17 ER ein.

Mit Bescheid vom 08.01.2018 ist der Bewilligungsbescheid vom 26.06.2017 über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit Wirkung zum 01.02.2018 aufgehoben worden. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, die Antragstellerin halte sich außerhalb des definierten zeit- und ortsnahen Bereiches ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners auf.

Mit Bescheid vom 09.01.2018 zahlte der Antragsgegner die Leistungen für die Zeit vom 01.11.2017 bis 31.01.2018 an die Antragstellerin aus.

Mit Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 17.01.2018 (Az.: S 8 AS 3151/15 ER) wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, da dem Begehren der Antragstellerin entsprochen worden sei.

Mit Schreiben vom 26.01.2018 wies der Antragsgegner den Prozessbevollmächtigten darauf hin, dass bislang lediglich Antragsunterlagen vorliegen für die Zeit vom 01.03.2017 bis zum 28.02.2018. Ein Weiterbewilligungsantrag habe der Antragsgegner nicht erhalten. Die Antragstellerin solle daher persönlich beim Antragsgegner einen Antrag stellen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2018 wies der Antragsgegner den Widerspruch der Antragstellerin zurück und führte aus, dass die Aufhebung der Leistungen mit Wirkung ab 01.02.2018 durch den Bescheid vom 08.01.2018 rechtmäßig ist.

Mit Schreiben vom 06.02.2018 bat der Prozessbevollmächtige zumindest vorläufig, bis über den Widerspruch entschieden worden sei, Leistungen zu bewilligen. Hierauf reagierte der Antragsgegner mit Schreiben vom 07.02.2018, indem er darauf hinwies, dass eine vorläufige Bewilligung bis zur Widerspruchsentscheidung von hier leider nicht erfolgen könne, da bereits über den Widerspruch entschieden worden sei.

Am 09.02.2018 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und begehrt vorläufige Leistungen nach dem SGB II. Ein entsprechendes Hauptsacheverfahren ist ebenfalls seit dem 09.02.2018 anhängig (Az.: S 47 AS 373/18).

Das Gericht hat den Beigeladenen mit Beschluss vom 26.02.2018 nach §§ 75 Abs. 2, 106 Abs. 3 Nr. 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Rechtsstreit beigeladen.

Zur Begründung des Eilantrages trug die Antragstellerin vor, dass keine unerlaubte Abwesenheit vorläge. Es lägen ärztliche Atteste vor, aus denen sich ergäbe, dass sie nicht alleine bleiben könne und auf Hilfe und Fürsorge angewiesen sei. Da sie sich aufgrund ihrer Hilfebedürftigkeit aktuell bei ihrem Bruder in C aufhalte, dürfte auch die Zuständigkeit des Beigeladenen in Betracht kommen. Eine der Behörden müsse Leistungen bewilligen, da die Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zu beachten sei.

Der Antragsgegner führte aus, für dieses Verfahren bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis, da die Antragstellerin bereits ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren (S 8 AS 3151/17 ER) vor dem Sozialgericht mit identischen Leistungsanträgen betrieben und dieses nach Leistungsbewilligung bis zum 31.01.2018 nicht weiterverfolgt habe. Das Verfahren sei durch Beschluss beendet worden. Der Antragstellerin sei es unbenommen gewesen das Verfahren nach Bewilligung der Leistungen weiter zu verfolgen. Dies sei trotz Nachfrage durch das Gericht nicht geschehen. Im Übrigen sei der Antragsgegner nicht der zuständige Leistungsträger nach § 36 Abs. 1 SGB II, da die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in N, sondern in C habe.

Der Beigeladene trug vor, er sei gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht für die Antragstellerin örtlich zuständig, da sie eine Wohnsitzauflage für N habe. Eine Leistungserbringung sei erst möglich, wenn die Wohnsitzauflage geändert wurde.

Mit Beschluss des SG Gelsenkirchen vom 23.03.2018 ist das Verfahren an das Sozialgericht Detmold verwiesen worden.

Das Sozialgericht hat durch Beschluss vom 30.04.2018 den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 09.02.2018 bis 31.07.2018 i.H.v. 416 EUR monatlich zu zahlen. Im Übrigen lehnte es den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

Der Beschluss ist dem Antragsgegner am 30.04.2018 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 18.05.2018 Beschwerde erhoben und meint, dass in der vorliegenden Konstellation aus § 36 Abs. 2 S. 1 SGB II nicht herzuleiten sei, dass der Antragsgegner zu einer Gewährung von Leistungen nach dem SGB II vorläufig zur Leistungsgewährung verpflichtet wäre. Auf die Einzelheiten der Begründung wird Bezug genommen.

Die Antragstellerin entgegnet, dass ihr Aufenthaltswechsel nicht aus "Spaß", sondern aus gesundheitlichen Gründen erfolgt sei. Auch könne der neu eingeführte § 36 Abs. 2 SGB II die Grundregelung des § 7 SGB II nicht aushöhlen. Im vorliegenden Fall sei auch ersichtlich, dass die Wohnsitzzuweisung dem Integrationsprozess zuwider laufe und diesen negativ flankiere. Die Antragstellerin überreicht ein Attest ihrer behandelnden Neurologin und Psychiaterin N vom 03.05.2018 zu den Akten. Hieraus geht hervor, dass die Ärztin einen Umzug zur Familie der Patientin nach C befürwortet. Auf die Einzelheiten des Attestes wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 30.04.2018 durch den er im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet worden ist, der Antragstellerin vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 09.02.2018 bis 31.07.2018 i.H.v. 416 EUR monatlich zu zahlen, ist zulässig und auch begründet.

1. Vorab stellt der Senat folgendes fest: Regelungsgegenstand des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2018 ist ausschließlich der Bescheid vom 08.01.2018, der die Entscheidung vom 26.06.2017 über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit Wirkung vom 01.02.2018 (bis zum 28.02.2018) aufhebt. Denn Regelungsgegenstand des Bewilligungsbescheides vom 26.06.2017 war der Zeitraum März 2017 bis Februar 2018.

Im Hinblick auf das Begehren der Antragstellerin einer (vorläufigen) Leistungsgewährung über den Monat Februar 2018 hinaus bis zum Zeitpunkt der heutigen Entscheidung, mangelt es bereits offenkundig an einer Antragstellung nach § 37 SGB II.

Die Antragstellerin kann die begehrten Leistungen auch nicht aus dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erhalten. Denn die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch liegen nicht vor, wenn der Hilfebedürftige rechtzeitig auf das Erfordernis der Folgeantragstellung hingewiesen worden ist (vgl. LSG NRW Urteil vom 06.04.2011, L 12 AS 1337/10 Rn. 57 zit. nach juris; Urteil vom 17.04.2009 L 19 B 63/09 AS).

Die Antragstellerin, die anwaltlich vertreten war, ist seitens des Antragsgegners mehrfach auf den Umstand des bislang fehlenden Weiterbewilligungsantrages hingewiesen worden. Diese Tatsache ergibt sich aus den Schreiben des Antragsgegners vom 26.01.2018 und vom 07.02.2018. Hierauf hat der Prozessbevollmächtigte auch jeweils reagiert. Zuletzt durch Stellung des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens beim Sozialgericht, welches jedoch eine Antragstellung nach § 37 SGB II nicht ersetzt. Denn die Regelung des § 37 SGB II normiert den allgemeinen Grundsatz, dass sämtliche Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nur auf Antrag erbracht werden können (sog. Antragsprinzip). Damit wird festgelegt, dass der Träger der Grundsicherung die Leistungen des SGB II nicht von Amts wegen erbringen kann, es mithin auf ein (vom Antrag unabhängiges) Bekanntwerden der Hilfebedürftigkeit nicht ankommt. Der Leistungsberechtigte muss daher selbst aktiv werden und seinen Bedarf beim Jobcenter anzeigen (Grundsatz der Eigenverantwortung, vgl. § 1 Abs. 2 S.1 SGB II und Silbermann in Eicher/Luik, 4. Aufl. 2017, § 37 Rn. 1). Dieser Grundsatz gilt auch im vorliegenden Fall. Erst recht vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin hier durchgehend anwaltlich vertreten ist. Ein Antrag nach § 37 SGB II hätte damit den Anwendungsbereich des SGB II für den Zeitraum nach Ablauf der bisherigen Bewilligung über den Februar 2018 hinaus eröffnet (sog. Türöffnerfunktion; BSG Urteil vom 22.03.2010, B 4 AS 62/09 R).

2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Weitere Kriterien für die Anwendung dieser gerichtlichen Anordnungsbefugnis sind gesetzlich nicht geregelt. Sie sind durch Auslegung zu gewinnen. Diese ergibt, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage Ergebnis einer Interessenabwägung ist. Die aufschiebende Wirkung eines solchen Rechtsbehelfs ist anzuordnen, wenn im Rahmen der Interessenabwägung dem privaten Aufschubinteresse gegenüber dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang gebührt. Bei dieser Interessenabwägung ist insbesondere die - nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zu bewertende - Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Ferner ist zu beachten, dass der Gesetzgeber in Fällen des § 86a Abs. 2 Nrn. 1 - 4 SGG das Entfallen der aufschiebenden Wirkung angeordnet und damit grundsätzlich ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes geregelt hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn im konkreten Fall ein überwiegendes privates Aufschubinteresse feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme sein (LSG NRW Beschluss vom 09.12.2013, L 2 AS 1956/13 B ER). Eine solche Ausnahme liegt dann vor, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte ist nicht erkennbar. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig, ist die aufschiebende Wirkung regelmäßig nicht anzuordnen. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht abschätzbar, ist eine allgemeine Interessenabwägung durchzuführen. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers in die Abwägung einzustellen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05).

Die Klage der Antragstellerin vom 09.02.2018 gegen den Widerspruchsbescheid vom 05.02.2018 hat gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.

Der Widerspruchsbescheid vom 05.02.2018, dem der Aufhebungsbescheid vom 08.01.2018 zugrunde liegt, welche die Aufhebung ab dem 01.02.2018 regelt, stellt sich im Rahmen der summarischen Prüfung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens als offensichtlich rechtmäßig dar und verletzt dadurch die Antragstellerin nicht in ihren subjektiven Rechten. Dementsprechend verbleibt es bei der gesetzgeberischen Wertung, dass der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (vgl. § 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)).

Der Bewilligungsbescheid vom 26.06.2017 war mit Wirkung zum 01.02.2018 aufzuheben. Denn in dem Wechsel des tatsächlichen Aufenthalts der Antragstellerin spätestens im Oktober 2017 von N nach C ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse zu sehen, die nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 26.06.2017 eingetreten ist.

Dahinstehen kann, ob die Antragstellerin im Februar 2018 die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllt hat. Jedenfalls ist die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 4a SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen (vgl. BSG Urteile vom 16.05.2012, B 4 AS 166/11 R und vom 15.06.2016, B 4 AS 45/15 R).

Gemäß § 77 Abs. 1 SGB II findet § 7 Abs. 4a SGB II i.d.F. bis zum 31.12.2010 (Gesetz vom 20.07.2006, BGBl I, 1706 - a.F. -) auf den vorliegenden Fall Anwendung, da eine Rechtsverordnung zu § 7 Abs. 4a SGB II gemäß § 13 Abs. 3 SGB II noch nicht erlassen ist. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. bestimmt, dass Leistungen nach diesem Buch nicht erhält, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend.

Demnach hängt der Anspruch der Antragstellerin im streitgegenständlichen Zeitraum Februar 2018 vorliegend davon ab, ob der Antragsgegner die Zustimmung zum Wohnortwechsel hätte erteilen müssen. Die durch § 3 EAO maximal mögliche Aufenthaltsdauer außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs sind drei Wochen und drei Tage (vgl. Abs. 3 der Anordnung).

Schon im Februar 2018 führt die bisherige Dauer des Aufenthalts der Antragstellerin in C bei ihren Bruder, nämlich bereits seit Oktober 2017, dazu, dass eine Zustimmung des Antragsgegners wegen zeitlichen Ablaufes nicht mehr möglich war. Im Übrigen gibt Abs. 4 der Anordnung vor, dass Abs. 1 und 2 keine Anwendung finden, wenn sich der Arbeitslose zusammenhängend länger als sechs Wochen außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalten will; diese Konstellation ist ebenfalls gegeben. Denn die Antragstellerin hält sich seit Monaten außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches, nämlich anstatt an ihrem zugewiesenen Wohnort N in C bei ihrem Bruder auf.

Die Antragstellerin hat Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 1. Alternative AufenthG, welche vom 17.02.2017 bis zum 16.02.2020 gültig ist. Da keine Zweifel bestehen, dass der tatsächliche Aufenthalt der Antragstellerin in C ist, ist der Antragsgegner für die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II nicht zuständig. Dies ergibt sich aus der eindeutigen Regelung in § 36 Abs. 2 S. 1 SGB II. Die Zuständigkeit eines Jobcenters kann danach nur dort begründet werden, wo ein Leistungsempfänger mit Wohnsitzauflage seinen Wohnsitz zu nehmen berechtigt bzw. verpflichtet ist - jedenfalls solange eine Aufhebung der Wohnsitzauflage nicht erfolgt ist (vgl. hierzu auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 26.06.2017, L 31 AS 618/17 B).

Der Wohnsitzauflage kommt hier eine Tatbestandswirkung zu; sie ist für den Träger der Grundsicherung bindend, bis sie von der Ausländerbehörde oder im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird. Die bloße Einleitung eines Aufhebungsverfahrens führt zu keiner abweichenden Beurteilung (vgl. hierzu auch LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 05.03.2018, L 15 AS 32/18 B). An einer Aufhebung der Wohnsitzauflage fehlt es bislang.

Weder der Antragsgegner, der Beigeladene oder der Senat haben zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Aufhebung der Auflage - hier die geltend gemachten Härtefallgründe - nach § 12a Abs. 5 AufenthG vorliegen (so auch LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 05.03.2018, L 15 AS 32/18 B Rn. 8 zit. nach juris). Die von der Antragstellerin erhobenen allgemeinen Bedenken gegen die Wohnsitzauflage, die die Zwecke der Integration und der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip betreffen, können die Bestimmung des Leistungsträgers nach § 36 SGB II nicht durchschlagen (vgl. LSG Hamburg Beschluss vom 08.05.2018, L 4 AS 114/17 B ER).

Nach alledem hätte der Antragsgegner, selbst wenn er gewollte hätte, keine Zustimmung erteilen können. An dieser Stelle weist der Senat auch nur der Form halber darauf hin, dass die Antragstellerin auch gar nicht versucht hat, eine Zustimmung des Antragsgegners einzuholen. Vielmehr ist der Antragsgegner über den vorgenommenen Wohnortwechsel der Antragstellerin durch Dritte in Kenntnis gesetzt worden.

Der Senat hat im Übrigen keine Bedenken, dass der vollständige Wegfall von Leistungen nach dem SGB II nicht mit dem Grundgesetz (GG) in Einklang steht. Ebenfalls nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet die Verfassung nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (BVerfG Urteil vom 07.07.2010, 1 BvR 2556/09; Bayerisches LSG Beschluss vom 08.07.2015, L 16 AS 381/15 B). Das durch Art. 1 Abs. 1 GG begründete und nach dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG auf Konkretisierung durch den Gesetzgeber angelegte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verpflichtet zwar den Staat, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen zur Verfügung stehen, wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann. Das bedingt allerdings nicht, dass diese Mittel voraussetzungslos zur Verfügung gestellt werden müssten (vgl. BSG Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 19/14 R, m.w.N.). Aus der Akte sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, aus welchen Gründen die Antragstellerin der Wohnsitzauflage nicht Folge leisten könnte.

Die Erkrankungen der Antragstellerin bestanden bereits vor der Aufenthaltsbegründung in C und selbst die behandelnde Neurologin und Psychiaterin N der Antragstellerin hat ein Zusammenleben mit dem Bruder in C lediglich befürwortet, jedenfalls aber nicht für medizinisch notwendig erachtet. Sobald die Antragstellerin ihren zugewiesenen Wohnort N wieder aufnimmt, steht einer Leistungsgewährung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen nichts im Wege.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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