S 142 AS 6068/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
142
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 142 AS 6068/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 1886/18
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Rahmen der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs nach vorangegangener vorläufiger Bewilligung ist gemäß § 41a Abs. 4 SGB II auch dann ein Durchschnittseinkommen für den gesamten Bewilligungszeitraum zu bilden, wenn die Erwerbstätigkeit nur in Teilen des Bewilligungszeitraums ausgeübt wurde und daher Einkommenszuflüsse nur in Teilen des Bewilligungszeitraums erfolgt sind; ob der Grund für die vorläufige Bewilligung schwankendes Einkommen war, ist entgegen der fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 41a SGB II (Rz. 41a.27) irrelevant.
Der Bescheid vom 31.1.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.4.2018 (W 965/18) wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, der Klägerin weitere Leistungen für den Zeitraum November 2017 bis Januar 2018 in Höhe von monatlich 170,50 EUR zu zahlen. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Berufung des Beklagten wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Leistungsanspruchs im Rahmen einer endgültigen Leistungsfestsetzung für die Monate November 2017 bis Januar 2018 und insoweit darüber, ob bei der Erzielung eines Einkommens nur in Teilen des Bewilligungszeitraums eine Einkommensanrechnung nur in diesen Monaten zu erfolgen hat oder aber bezogen auf den gesamten Bewilligungszeitraum ein Durchschnittseinkommen zu bilden ist.

Die im Jahr 1991 geborene Klägerin stand im Jahr 2017 im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Beklagten.

Mit Bescheiden vom 14.8.2017, 11.9.2017, 10.10.2017 und 25.11.2017 wurden der Klägerin für die Monate August 2017 bis Januar 2018 zunächst vorläufig Leistungen bewilligt, weil unklar war, ob sie nach bestandener Ausbildung einen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben würde.

Der Untermietzins für die von ihr ab September 2017 bewohnte neue Unterkunft betrug monatlich 285,00 EUR. Die Klägerin erzielte aus einer am 2.10.2017 aufgenommenen nichtselb-ständigen Erwerbstätigkeit Einkünfte in den Monaten Oktober bis Dezember 2017 von monatlich 446,93 EUR brutto = 430,39 EUR netto, das jeweils in den Folgemonaten November 2017 bis Januar 2018 zufloss.

Der Beklagte setzte den Leistungsanspruch der Klägerin mit Bescheid vom 31.1.2018 für die Monate August 2017 bis Januar 2018 endgültig fest. Er bewilligte der Klägerin für November und Dezember 2017 Leistungen in Höhe von jeweils 433,00 EUR und für Januar 2018 in Höhe von 440,00 EUR und berücksichtigte insoweit jeweils ein monatliches Einkommen in Höhe von 446,93 EUR brutto = 430,39 EUR netto; in den Monaten August bis Oktober 2017 erfolgte keine Einkommensanrechnung.

Den Widerspruch der Klägerin gegen die Höhe der endgültigen Leistungsfestsetzung, den diese damit begründete, dass in den Monaten des Bewilligungszeitraums ein Durchschnittseinkommen zu berücksichtigen sei, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.4.2018 (W 965/18) als unbegründet zurück, weil nach § 41a Abs. 3 und 4 SGB II die Ansetzung eines Durchschnittseinkommens nur in Betracht komme, wenn der Grund für die vorläufige Bewilligung schwankendes Einkommen gewesen sei; dies sei vorliegend aber gerade nicht der Fall gewesen.

Mit ihrer am 4.6.2018 erhobenen Klage begehrt die Klägerin für die Monate November 2017 bis Januar 2018 höhere Leistungen, weil sich in diesen unter Berücksichtigung eines Durch-schnittseinkommens im gesamten Bewilligungszeitraum ein höherer Leistungsanspruch ergäbe. Aus dem Wortlaut des § 41a Abs. 4 SGB II folge zweifelsfrei, dass ein Durchschnittseinkommen zu bilden sei.

Die Klägerin beantragt,

ihr unter Abänderung des Bescheids vom 31.1.2018 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheids vom 24.4.2018 (W 965/18) im Zeitraum 1.11.2017 bis 31.12.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in monatlicher Höhe von 603,50 EUR und im Zeitraum vom 1. bis 31.1.2018 in Höhe von 610,50 EUR zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt unter Bezugnahme auf die fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 41a Rz. 41a.27 vor, dass die Berücksichtigung eines Durchschnittseinkommens nur in Betracht komme, wenn der Grund für die vorläufige Entscheidung schwankendes Einkommen gewesen sei. Daher könne im hiesigen Fall kein Durchschnittseinkommen berücksichtigt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung der Kammer gemachten Prozessakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 2.8.2018 (Klägerin) und 24.7.2018 (Beklagter) gegenüber dem Gericht ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) konnte das Gericht im Einverständnis mit den Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) ist begründet. Streitgegenständlich ist die endgültige Festsetzungsentscheidung für die Monate November 2017 bis Januar 2018, denn die Klägerin hat die Klage bereits mit dem Klageantrag auf diese Monate beschränkt, was zulässig ist, weil das SGB II von einer monatsweisen Berechnung und Bewilligung der Leistungen im Regelfall ausgeht (vgl. BSG v. 30.3.2017 – B 14 AS 18/16 R, RdNr. 11; juris).

Der angefochtene Festsetzungsbescheid vom 31.1.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.4.2018 (W 965/18) ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, weil der Beklagte ein zu hohes Einkommen bedarfsmindernd angerechnet hat; unter Berücksichtigung eines auf den gesamten Bewilligungszeitraum zu verteilenden Durchschnittseinkommens ergibt sich ein Leistungsanspruch der Klägerin in den Monaten November und De-zember 2017 von jeweils 603,50 EUR und für Januar 2018 von 610,50 EUR, mithin in der von der Klägerin beantragten Höhe.

Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum – unstreitig – dem Grunde nach leistungsberechtigt gemäß § 7 Abs. 1 iVm § 19 SGB II; allein die Frage der Hilfebedürftigkeit bzw. deren Umfang steht im Streit.

Der Bedarf der Klägerin betrug je 694,00 EUR in den streitigen Monaten des Jahres 2017 (Regelbedarf 409,00 EUR und tatsächliche Bedarfe für Unterkunft und Heizung von 285,00 EUR) sowie 701,00 EUR im Januar 2018 (Regelbedarfsanpassung auf 416,00 EUR).

Diesen Bedarfen stand entgegen der Auffassung des Beklagten nicht jeweils ein Einkommen von 446,93 EUR brutto = 430,39 EUR netto (entweder ausgehend vom tatsächlichen Zufluss oder aber als Durchschnittseinkommen in den Monaten mit Einkommenserzielung [was im vorliegenden Fall aufgrund des gleichbleibenden Einkommens auf dasselbe hinausläuft]) gegenüber, sondern lediglich ein - bezogen auf den gesamten Bewilligungszeitraum – durchschnittliches Einkommen von 223,47 EUR brutto = 215,19 EUR netto.

Denn im Rahmen der vorliegend streitigen endgültigen Leistungsfestsetzung ist für Zeiträume nach dem 1.8.2016 die Regelung des § 41a Abs. 4 SGB II anzuwenden, die lautet: "Bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruches nach Absatz 3 ist als Ein-kommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen. Satz 1 gilt nicht 1. in den Fällen des Absatzes 3 Satz 4, 2. soweit der Leistungsanspruch in mindestens einem Monat des Bewilligungszeitraums durch das zum Zeitpunkt der abschließenden Feststellung nachgewiesene zu berücksichtigende Einkommen entfällt oder 3. wenn die leistungsberechtigte Person vor der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruches eine Entscheidung auf der Grundlage des tatsächlichen monatlichen Einkommens beantragt. Als monatliches Durchschnittseinkommen ist für jeden Kalendermonat im Bewilligungszeitraum der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt."

Danach gilt die Grundregel des § 41a Abs. 4 S. 1 SGB II, dass bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruches ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen ist, wobei nach § 41a Abs. 4 S. 3 SGB II für jeden Kalendermonat im Bewilligungszeitraum der Teil des Einkommens zu berücksichtigen ist, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt.

Der Wortlaut dieser gesetzlichen Regelung ist eindeutig und lässt eine davon abweichende Auslegung nicht zu. Es ist mithin aus dem gesamten im Bewilligungszeitraum erzielten Einkommen ein Durchschnittseinkommen zu bilden und dieses in jedem Monat des Bewilligungszeitraums anzurechnen (so bereits SG Berlin v. 15.6.2018 – S 37 AS 153/18, RdNr. 44f.; juris).

Soweit der Beklagte unter Heranziehung der fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit vorträgt, dass die Bildung eines Durchschnittseinkommens nur in Betracht komme, wenn der Grund für die vorläufige Bewilligung schwankendes Einkommen gewesen sei, so findet diese Auslegung keine Stütze im Wortlaut des Gesetzes. Dies gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber offensichtlich durchaus Bedarf für Ausnahmen von der von ihm statuierten Regelung gesehen hat. Denn § 41a Abs. 4 S. 2 SGB II listet drei Fälle auf, in denen es nicht zur Berücksichtigung eines Durchschnittseinkommens kommen soll. Indes ist vorliegend keiner der Fälle dieser abschließenden Aufzählung einschlägig. Darüber hinaus hat es der Gesetzgeber auch unterlassen, eine dem § 3 Abs. 4 S. 2 iVm Abs. 1 S. 3 Alg II-V (An-rechnung und Bildung eines Durchschnittseinkommens von Einkünften aus selbständiger Tä-tigkeit nur für die Monate des Bewilligungszeitraums, in denen die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird) nachgebildete Regelung zu schaffen. Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen gesetzli-chen Neuregelung kommt eine über den gesetzlichen Wortlaut hinausgehende Auslegung – die im vorliegenden Fall zu Lasten der leistungsberechtigten Klägerin gehen würde – zur Überzeugung der Kammer nicht in Betracht.

Anzurechnen war mithin nur ein Durchschnittseinkommen bezogen auf den gesamten Bewilligungszeitraum. In diesem wurden Einkünfte von 1.340,79 EUR (3 x 446,93 EUR) brutto = 1.291,17 EUR (3 x 430,39 EUR) netto erzielt, verteilt auf die 6 Monate des Bewilligungszeitraums mithin ein Durchschnittseinkommen von 223,47 EUR brutto = 215,19 EUR netto. Dieses war um den Grund-freibetrag nach § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II von 100,00 EUR und den Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 3 S. 1 und S. 2 Nr. 1 SGB II von 24,69 EUR (20 % von 123,47 EUR) zu bereinigen, so dass ein anzurechnendes Einkommen von 90,50 EUR verbleibt.

Es besteht mithin in den Monaten November und Dezember 2017 ein ungedeckter Bedarf von 603,50 EUR (Bedarf 694,00 EUR - 90,50 EUR anrechenbares Einkommen) und im Monat Januar 2018 ein ungedeckter Bedarf von 610,50 EUR (Bedarf 701,00 EUR - 90,50 EUR anrechenbares Einkommen).

Der Klägerin waren daher im Vergleich zu den im angefochtenen Bescheid bewilligten Leistungen für November und Dezember 2017 von jeweils 433,00 EUR und für Januar 2018 von 440,00 EUR weitere Leistungen in Höhe von monatlich 170,50 EUR zuzusprechen.

Der Klage war mithin vollumfänglich stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Für den Beklagten übersteigt der Beschwerdewert entsprechend des Umfangs der Klagestattgabe den Betrag von 750,00 EUR nicht (zugesprochen wurden weitere Leistungen für November 2017 bis Januar 2018 von jeweils 170,50 EUR), so dass dessen Berufung nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung bedurfte.

Die Berufung war für den Beklagten gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen. Denn es liegt bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage vor, ob im Sinne des § 41a Abs. 4 SGB II ein Durchschnittseinkommen für den gesamten Bewilligungszeitraum auch dann zu bilden ist, wenn nur in Teilen des Bewilli-gungszeitraums Einkommen erzielt wurde. Ferner liegt die Klärung dieser Rechtsfrage in Anbetracht der Vielzahl der insoweit zu entscheidenden Fälle im allgemeinen Interesse.
Rechtskraft
Aus
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