S 29 SO 99/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
29
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 29 SO 99/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe ist nur vermögensprivilegiert, sofern ein Tatbestand nach § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 — 8 SGB XII vorliegt.
2. Eine Tagesstätte für psychisch kranke Menschen stellt nur dann eine, mit einer Werkstatt für behinderte Menschen vergleichbare, sonstige Beschäftigungsstätte dar, wenn sie ebenfalls in einen Eingangs-, Berufsbildungs- und Arbeitsbereich unterteilt ist.
3. Eine sonstige Beschäftigungsstätte liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn es sich bei dort erbrachten Hilfen schwerpunktmäßig um Leistungen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und nicht um arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen im Sinne von Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben handelt.
Der Bescheid vom 14.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2017 wird aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Kostenersatz aus dem Gesichtspunkt der Erbenhaftung.

Das Diakonische Werk A-Stadt-C-Stadt zeigte mit Schreiben vom 08.09.2011 an, dass die 1954 geborene und 2012 verstorbene Frau A. die Tagesstätte für psychisch kranke Menschen besucht. Ausweislich des Antrags auf Übernahme der Kosten war sie verheiratet und übte bis Mai 1984 ihre Tätigkeit als Finanzbeamtin aus. Hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse verneinte sie die Frage nach dem Bezug von anderen Sozialleistungen. Das Hessische Amt für Versorgung und Soziales stellte bei ihr ein Grad der Behinderung von 100 sowie das Merkzeichen "G" fest. Nach der amtsärztlichen Stellungnahme bestanden ein ängstlich-depressiver Zustand, eine hereditare zerbrellare Ataxie und eine Anpassungsstörung. Zudem bestehe eine atypische Parkinsonerkrankung mit Störungen der Motorik, des Gleichgewichts, der Sprachfähigkeit und des Schluckvermögens. Der Verlauf sei rapide. Es läge eine seelische Behinderung mit einer begleitenden körperlichen Behinderung vor.

Der Beklagte übernahm mit Bescheid vom 15.12.2011 die Kosten für die Finanzierung der teilstationären Maßnahme sowie die für den Besuch erforderlichen Fahrtkosten für den Zeitraum vom 01.09.2011 bis 31.08.2012. Er wies die Antragstellerin darauf hin, dass sie alle Änderungen unverzüglich und unaufgefordert mitteilen müsse. Die Ehefrau des Klägers besuchte die Tagesstätte für den Zeitraum von September bis Dezember 2011 an 35 Tagen und von Januar bis April 2012 an 32 Tagen; es wird Bezug genommen auf die sich in der Akte befindlichen Anlagen.

Der Kläger teilte den Tod seiner Ehefrau mit Schreiben vom 15.05.2012 unter Beifügung einer Sterbeurkunde mit. Mit Schreiben vom 08.08.2012 fragte der Beklagte beim Amtsgericht Limburg hinsichtlich möglicher Erben sowie der Höhe des Nachlasses nach. Dieses übersandte den am 01.07.2002 zwischen den Eheleuten verhandelten Erbvertrag (Eingang beim Beklagten am 10.08.2012). Danach setzen sich die Eheleute beide gegenseitig zum alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Der Wert des Vermögens betrage 150.000,-EUR. Mit Schreiben vom 25.07.2013 bat der Beklagte den Kläger um eine Aufstellung über den Nachlass sowie der Übersendung diesbezüglicher Nachweise, an wen der Nachlass ausgehändigt worden sei sowie ob und in welcher Höhe Bestattungskosten angefallen seien.

Der Kläger übersandte ein Schreiben des Amtsgerichts Limburg vom 23.10.2012, wonach der Wert des Nachlasses einen Betrag i. H. v. 218.000,-EUR ausmache (eingegangen am 05.08.2013). Die Kosten für die Bestattung betrugen insgesamt 4.609,59 EUR.

Der Beklagte forderte im Anschluss von dem Leistungserbringer eine Kostenaufstellung für den Zeitraum vom 01.09.2011 bis 05.05.2012 an. Danach sind für den Zeitraum vom 01.09.2011 bis 31.12.2011 Kosten i. H. v. 3.983,30 EUR sowie für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis 05.05.2012 Kosten i. H. v. 4.194,54 EUR entstanden. Zusätzlich seien Fahrtkosten i. H. v. 173,24 EUR und 187,74 EUR entstanden. Dabei wurde für den Zeitraum September bis Dezember 2011 122 Tage und für den Zeitraum Januar bis April 2012 121 Tage in Rechnung gestellt.

Ohne vorherige Anhörung forderte der Beklagte mit Bescheid vom 14.01.2014 einen Kostenersatz i. H. v. 8.538,92 EUR nach § 102 SGB XII. Danach erstrecke sich ein möglicher Kostenersatz ausschließlich auf den Nachlass des Verstorbenen, sofern dieser den Betrag von 2.292,-EUR übersteige.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 05.02.2014 Widerspruch dagegen ein. In der Kostenübernahmeerklärung sei keine Information hinsichtlich der zu leistenden Zahlung enthalten gewesen. Er wäre davon ausgegangen, dass die endgültige Kostenübernahme durch den Beklagten erfolgen würde. Ansonsten hätten er und seine Ehefrau die Kosten selbst getragen. Eine Bedürftigkeitsprüfung sei seinerzeit nicht erfolgt. Die Inanspruchnahme der Tagesstätte sei zudem nur an zwei Tagen wöchentlich erfolgt.

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2017 zurück. Die Ersatzpflicht bestehe für Kosten der Sozialhilfe, die in einem Zeitraum von zehn Jahren vor dem Erbfall angefallen seien und das Dreifache des Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 SGB XII überstiegen. Das Dreifache des Grundbetrages im Jahre 2014 betrage 2.346,00 EUR. Die Kosten der Sozialhilfe würden sich auf 8.538,82 EUR belaufen. Die Kosten der Eingliederungshilfe seien zudem in den letzten zehn Jahren entstanden. Der Kläger habe auch mit der verstorbenen Ehefrau zusammengelebt, sodass die Ersatzpflicht nicht ausgeschlossen sei. Der Erbe hafte mit dem Wert des Nachlasses, welches im Zeitpunkt des Erbfalls vorhanden sei, sodass der Kläger mit dem gesamten Nachlass i. H. v. 218.000,-EUR hafte. Gründe für die Bejahung einer besonderen Härte lägen nicht vor. Es mache keinen Unterschied, ob der Kläger die Kosten im Jahre 2012 selbst aufgewendet hätte oder er nun die Kosten des Sozialhilfeträgers als Erbe zu ersetzen habe. Der Einwand des fehlenden Hinweises im Ausgangsbescheid sei unerheblich. Die Leistungen seien bewilligt und rechtmäßig erbracht worden. Bei § 102 SGB XII handele es sich um eine Vorschrift, die eine selbstständige Erbenhaftung begründe. Erben können danach zum Kostenersatz herangezogen werden, unabhängig von bestehenden Schutzvorschriften für den Leistungsberechtigten. Zweck sei es auch im Hinblick auf den Nachranggrundsatzes, die Privilegierung der Leistungsberechtigten nicht an den Erben weiterzuleiten. Die Höhe der Kosten ergäbe sich aus der regelmäßigen monatlichen Abrechnung durch die Einrichtung. Es sei unerheblich, an wie vielen Tagen die Ehefrau des Klägers die Einrichtung aufgesucht hätte.

Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 08.08.2017 Klage dagegen erhoben. Er bestreitet die Rechtmäßigkeit der im Widerspruchsbescheid erwähnten "pauschalisierten" Abrechnung der Einrichtung. Es müsse einen Unterschied machen, ob eine Einrichtung lediglich an zwei Tagen oder "rund um die Uhr" in Anspruch genommen werde. Er habe sich zu der damaligen Zeit zu Hause extra einen Teilzeitarbeitsplatz einrichten lassen, um teilweise die Pflege seiner Frau zu übernehmen. Es sei auch kein Hinweis seitens der Einrichtung erfolgt, dass Kosten von dem Kläger übernommen werden müssten. Seine Frau und er seien davon ausgegangen, dass etwaige Kosten von der Kranken- und Pflegeversicherung getragen würden und dass ggf. auch die ehrenamtliche Tätigkeit seiner Frau in der Kleiderkammer und im D.-Haus (Alten- und Pflegeheim des Diakonischen Werkes A Stadt-C Stadt) von Relevanz wäre. Die Kostenübernahmeerklärung des Beklagten hätte keinerlei Hinweis auf eine etwaige Kostenbeteiligung des Klägers oder seiner Ehefrau enthalten. Vorsorglich werde auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch geltend gemacht.

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 14.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Das pauschale Bestreiten der Höhe der Kostenersatzforderung sei rechtlich unerheblich. Die Kostenaufstellung stelle eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 ZPO dar und enthalte den vollen Beweis für die Richtigkeit der dort aufgeführten Aufwendungen. Die Kostenaufstellung würde jedenfalls für die Erforderlichkeit und Richtigkeit der geltend gemachten Beträge sprechen. Es bestehe zudem keine Auskunftspflicht für sozialhilferechtlich privilegierte Eingliederungshilfeleistungen. Die der verstorbenen Ehefrau gewährten Leistungen der Eingliederungshilfe seien zu ihren Lebzeiten nicht vom Einsatz des Vermögens abhängig gewesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem örtlich zuständigen Gericht gemäß §§ 57 Abs. 1, 78, 87 Abs. 2 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden. Sie ist als Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft.

II. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 14.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Beklagten steht kein Anspruch auf Kostenersatz gegen den Kläger als Erben seiner Ehefrau nach § 102 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zu.

Es fehlt bereits an der Rechtmäßigkeit der erbrachten Sozialhilfeleistungen (dazu unter 1.), welche jedoch eine zwingende Voraussetzung für die Geltendmachung eines Kostenbeitrags nach § 102 SGB XII darstellt (vgl. H. Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, Sozialgesetzbuch XII, Kommentar, 19. Auflage 2015, § 102 Rn. 109; BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az.: B 8 SO 2/09 R – juris – Rn. 8). Sofern eine leistungsrechtlich rechtswidrige Gewährung von Sozialhilfeleistungen vorliegt, müssten die Leistungen nach den §§ 44 ff. SGB XII zurückabgewickelt werden (vgl. Simon in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 102 SGB XII, Rn. 17). Es kam zudem keine Umdeutung in einen Bescheid nach §§ 45, 48 SGB X in Betracht (dazu unter 2.). Das Gericht hat im Vorfeld der mündlichen Verhandlung ausreichend von seiner Hinweispflicht Gebrauch gemacht (dazu unter 3.).

1. Eine leistungsrechtliche rechtmäßige Hilfegewährung seitens des Beklagten liegt nicht vor. Vielmehr ist die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe durch den Bescheid vom 15.12.2011 in rechtswidriger Art und Weise ohne Berücksichtigung des vorhandenen Vermögens erfolgt. Das Gericht geht ausweislich des Schreibens des Amtsgerichts vom 23.10.2012 dabei davon aus, dass es sich bei dem dort ausgewiesenen Vermögen um verfügbares Vermögen handelt, welches weder unter einen Tatbestand des § 90 Abs. 2 SGB XII fällt, insbesondere nicht unter § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII als selbstbewohntes und insbesondere angemessenes Hausgrundstück, noch der Einsatz dieses Vermögen eine Härte nach § 90 Abs. 3 Sätze 1, 2 SGB XII dargestellt hätte.

Nach § 92 Abs. 2 Satz 2 SGB XII sind die in § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 8 SGB XII genannten Leistungen ohne Berücksichtigung von Vermögen zu erbringen. § 92 Abs. 2 Sätze 1, 2 SGB XII beschränkt dabei die grundsätzlich erstattungsfähigen Aufwendungen für bestimmte Maßnahmen auf die Kosten des Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung von Vermögen. Die Aufwendungen für bestimmte Maßnahmen der Eingliederungshilfe müssen somit von den Leistungsberechtigten nicht erstattet werden, sodass in diesen Fällen keine Vermögensprüfung durchgeführt wird. Dabei ist diesen Privilegierungsfällen nach § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 8 SGB XII gemeinsam, dass sie einen spezifischen Förderbedarf und eine entsprechende Förderung voraussetzen, zu dem die vermögens- und einkommensprivilegierte Hilfe einen (objektiv) finalen Bezug dergestalt aufweisen muss, dass der Schwerpunkt der zu erbringenden Leistung nicht allein oder vorrangig bei der allgemeinen Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, sondern zumindest gleichwertig bei den von ihnen verfolgten beruflichen, schulischen, ausbildungsbezogenen und medizinischen Zielen liegt (BSG, Urteil vom 20. September 2012, Az.: B 8 SO 15/11 R – juris – Rn. 18).

Somit reicht es nicht aus, dass die Leistungen der Eingliederungshilfe allgemein der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beruht, sie müssen vielmehr gleichzeitig auch besondere berufliche, schulische, ausbildungsbezogene und / oder medizinische Ziele verfolgen, damit von einer Berücksichtigung des Vermögens abgesehen werden kann. Bei der Ehefrau des Klägers liegen erkennbar die Voraussetzungen für die Gewährung von privilegierten Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 92 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 – 5 SGB XII nicht vor. Es liegen allerdings auch nicht die Voraussetzung der Gewährung von privilegierten Eingliederungshilfeleistungen nach § 92 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 SGB XII vor (dazu unter a)). Bei den Hilfen in der Tagesstätte handelt es sich auch nicht um Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne von § 92 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 SGB XII. Abschließend handelt es sich auch nicht um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 92 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 SGB XII (dazu unter b)).

a) Nach § 92 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 SGB XII ist die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen vermögensprivilegiert, sofern es sich um Leistungen in anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen nach § 41 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX a. F.) oder in vergleichbaren Beschäftigungsstätten nach § 56 SGB XII (jeweils in der Fassung vom 27.12.2003, gültig ab 01.01.2005 bis 31.12.2017, im Weiteren: a. F.), handelt.

Die von der Ehefrau des Klägers besuchte Tagesstätte für psychisch kranke Menschen stellt unstreitig keine anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen dar. Sie stellt – entgegen der Ansicht des Beklagten – auch keine vergleichbare Beschäftigungsstätte nach § 56 SGB XII a. F. dar. Nach § 56 SGB XII kann Hilfe auch in einer sonstigen Beschäftigungsstätte geleistet werden, sofern sie in einer der Werkstatt für behinderte Menschen vergleichbare Einrichtung geleistet wird. Eine sonstige Beschäftigungsstätte ist dabei in ihren Arbeitsanforderungen unterhalb der Schwelle einer Werkstatt für behinderte Menschen anzusiedeln sind (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl., § 56 Rn. 3; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30. Oktober 2013, Az.: L 7 AL 102/10 – Rn. 23 – juris). Ansonsten wäre sie denknotwendig als originäre Werkstatt für behinderte Menschen anzuerkennen (so LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.06.2017, Az.: L 9 SO 474/12 – juris – Rn. 104).

Die Vergleichbarkeit der sonstigen Beschäftigungsstätten ist somit unter Berücksichtigung des in § 136 Abs. 1 SGB IX a. F. geregelten Anforderungen an eine Werkstatt für behinderte Menschen zu bestimmen (vgl. Scheider in Schellhorn/Hohm/Scheider, Sozialgesetzbuch XII, Kommentar, 19. Auflage 2015, § 56 Rn. 4). Danach hat diese denjenigen behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf den allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anbieten und zu ermöglichen, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Für die Vergleichbarkeit einer sonstigen Beschäftigungsstätte mit einer Werkstatt für behinderte Menschen sind jedoch prägende elementare Strukturelemente einzuhalten, damit die Vergleichbarkeit gegeben ist. Dazu gehört zwingend die Unterteilung in einen Eingangs-, Berufsbildungs- und Arbeitsbereich (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.06.2017, Az.: L 9 SO 474/12 – juris – Rn. 104; allgemeiner formuliert Scheider in Schellhorn/Hohm/Scheider, Sozialgesetzbuch XII, Kommentar, 19. Auflage 2015, § 56 Rn. 4: keine Erfassung von Diensten und Einrichtungen, die keine arbeits- und berufsfördernden Maßnahmen anbieten).

Ausweislich des seitens des Gerichts geführten Telefonats mit dem stellvertretenden Leiter der Tagesstätte verfügt diese nicht über einen Eingangs-, Ausbildungs- und Arbeitsbereich, sodass die prägenden elementaren Strukturelemente für die Vergleichbarkeit der Tagesstätte mit einer Werkstatt für behinderte Menschen nicht gegeben sind. Selbst wenn man dieser (restriktiveren) Ansicht nicht folgen sollte und auch allgemein Einrichtungen als sonstige Beschäftigungsstätte anerkennt, welche nicht zwingend über einen Eingangs-, Ausbildungs- und Arbeitsbereich verfügen müssen, müssten die in diesen Einrichtungen gewährten Hilfeleistungen wegen der grundsätzlichen geforderten Vergleichbarkeit mit einer Werkstatt für behinderte Menschen jedenfalls schwerpunktmäßig arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen anbieten.

Vorliegend hat jedoch die Tagesstätte für psychisch kranke Menschen in A-Stadt-E-Stadt auch schwerpunktmäßig keine arbeits- und berufsfördernden Maßnahmen angeboten. Dies ergibt sich einerseits aus den Aussagen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung sowie aus dem im Verwaltungsverfahren eingereichten integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplan. Aus dem seitens des Beklagten zur Akte gereichten Rundschreiben sowie aus der Leistungs- und Prüfungsvereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII i. V. m. §§ 76 ff. SGB XII ergeben sich keine entgegenstehende Umstände.

Ausweislich der Beschreibung im integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplan benötigte die Ehefrau des Klägers Hilfe durch regelmäßige Gespräche und gemeinsame Aktivitäten zum Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung, insbesondere emotional stützende und beratende Gespräche zur Auseinandersetzung mit der eigenen Erkrankung. Sie benötigte zudem Begleitung und Hilfe bei der Einbindung in die Tagesstättengruppe und Unterstützung bei der Bewältigung von alltagspraktischen Aufgaben. Es war zudem regelmäßige Teilnahmen an der Bewegung, Tanztherapie und Ergotherapie beabsichtigt. Ausweislich der Übersicht über die psychische Störungen und Fähigkeiten zu deren Bewältigung gab es zudem Probleme beim Realitätsbezug, da sich die Ehefrau des Klägers selbst als leistungsorientiert definierte und es schwer aushielt, nicht mehr leistungsfähig zu sein, sodass sie Unterstützung bei einem Wechsel der Perspektive benötigte. Die im integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplan beschriebene Leistung stellte sich somit schwerpunktmäßig nicht als arbeits- und berufsfördernde Maßnahme dar. Dies wird durch die seitens des Klägers getätigten Aussagen in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Danach umfassten die Leistungen hauswirtschaftliche Tätigkeiten. Eine Integration in den Arbeitsmarkt wurde nicht angesprochen und auch die Tätigkeiten zielten nicht auf eine Integration in den Arbeitsmarkt. Die ständige Verwaltungspraxis des Beklagten ausweislich des Rundschreibens, keine Vermögensprüfung bei teilstationären Leistungen in einer Tagesstätte durchzuführen, sowie die abgeschlossene der Leistungs- und Prüfungsvereinbarung sprechen nicht dagegen, da diese kein zwingendes Recht verdrängen können. In der Leistungs- und Prüfungsvereinbarung mag durchaus eine arbeitsorientierte Tätigkeit mit der Möglichkeit eines Zuverdienstes enthalten sein, aber erstens hat der Beklagte selbst eingeräumt, dass eine solche Tätigkeit nicht den Schwerpunkt der Hilfegewährung in einer Tagesstätte ausmacht und zweitens hat er bereits nicht vorgetragen, dass die Ehefrau des Klägers tatsächlich eine Tätigkeit in der Tagesstätte ausgeübt hat bzw. ihr überhaupt arbeits- und berufsfördernden Maßnahmen seitens der Tagesstätte angeboten wurden, sodass es nicht um eine sonstige Beschäftigungsstätte im Sinne des § 56 SGB XII a. F. handelt.

b) Es handelt sich zudem nicht um vermögensprivilegierte Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten nach § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 SGB XII, die erforderlich und geeignet sind, behinderte Menschen die für sie erreichbare Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, soweit diese Hilfen in besonderen teilstationären Einrichtungen für behinderte Menschen erbracht werden.

Bei einer Tagesstätte dürfte es sich zwar um eine teilstationäre Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift handeln (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.04.2010, Az.: L 23 SO 277/08). Für die Anwendbarkeit ist dabei allerdings maßgeblich, welche Leistungen der Eingliederungshilfe gewährt wurden. Es muss sich somit um Hilfeleistungen handeln, welche die Teilhabe am Arbeitsleben vorbereiten (LSG Berlin-Brandenburg, aaO). Dabei ist entscheidend, welche konkreten Leistungen mit welcher Zielsetzung und in welchem Umfang sowie auf welcher Rechtsgrundlage in der Tagesstätte gewährt wurden. Dies beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls in Abhängigkeit von dem in der Einrichtung zu deckenden individuellen Hilfebedarf einerseits und dem Leistungsangebot der Tagesstätte andererseits. Wie bereits oben ausgeführt, ergeben sich aus dem integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplan keine Leistungen, welche Bezüge zu arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen aufweisen. Auch die im integrierten Integrations- und Rehabilitationsplan aufgeführten Hilfeleistungen haben nicht das Ziel, solche Leistungen zu erbringen. Es handelt sich folglich auch nicht um Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben, da sie nicht auf die Teilnahme am Arbeitsleben einschließlich Berufsausbildung und Weiterbildung ausgerichtet sind (vgl. dazu Scheider in Schellhorn/Hohm/Scheider, Sozialgesetzbuch XII, Kommentar, 19. Auflage 2015, § 54 Rn. 24).

Um bestimmen zu können, welche Leistungen der Eingliederungshilfe gewährt wurden, ist der Ausgangsbescheid nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.04.2010, Az.: L 23 SO 277/08 – juris – Rn. 49). Bei einer solchen Auslegung des Bewilligungsbescheides vom 15.12.2011 ergibt sich nicht, dass der Beklagte der Ehefrau des Klägers Leistungen im Sinne des § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 SGB XII gewähren wollte. Zwar gewährt er Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (Zwölftes Buch) (XII)". Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind ausweislich des Wortlauts des § 54 Abs. 1 Satz1 SGB XII ("insbesondere") in diesen Vorschriften jedoch nicht abschließend geregelt. Gleichzeitig wird auch kein Bezug zu der beispielhaften Aufzählung hergestellt, sodass auch diesbezüglich das Gericht eine Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erkennen kann. Insofern handelt es sich dann auch nicht um vermögensprivilegierte Leistungen nach § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 SGB XII.

Somit handelt es bei der erbrachten Eingliederungshilfe des Beklagten insgesamt nicht um vermögensprivilegierte Leistungen nach 92 Abs. 2 Sätze 1, 2 SGB XII, sondern um allgemeine Leistungen der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Die Gewährung dieser Leistungen ist aber von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig gemacht, sodass der Beklagte die Frage, ob die Ehefrau hätte Vermögen einsetzen müssen, hätte prüfen müssen. Eine rechtmäßige Leistungsgewährung ist damit nicht erfolgt, sodass kein Anspruch auf Kostenersatz nach § 102 SGB XII besteht. Es handelt sich vielmehr um den Fall eines anfänglich rechtswidrigen Bescheides nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X); eine Aufhebung der Leistungen hat der Beklagte jedoch nicht verfügt und ist damit auch nicht streitgegenständlich.

2. Eine Umdeutung nach § 43 SGB X kommt nach § 43 Abs. 3 SGB X nicht in Betracht, da es sich bei der Geltendmachung des Kostenersatzanspruches nach § 102 SGB X ausweislich des Wortlauts ("ist") jedenfalls hinsichtlich des "Ob" der Geltendmachung um eine gebundene Entscheidung handelt, während § 45 SGB X bereits diesbezüglich Ermessen eröffnet (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1987, Az.: 5 C 39/85 – juris – Rn. 12). Zudem hatte der Beklagte nur die Absicht Kostenersatz von dem Kläger zu fordern und nicht die erbrachten Leistungen aufzuheben (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB X), sodass auch daran die Umdeutung scheitert.

3. Das Gericht ist zudem ausreichend seiner gerichtlichen Hinweispflicht nachgekommen. Es hat mit Schreiben vom 20.09.2018 bei dem Beklagten nachgefragt, in welcher Hinsicht der Beklagte Ermittlungen zu den vorhandenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers und seiner verstorbenen Ehefrau angestellt hat. Der Beklagte vertrat mit Schreiben vom 22.10.2018 die Ansicht, dass die der Ehefrau des Klägers gewährte Eingliederungshilfe in einer Tagesstätte für seelisch behinderte Menschen nicht von dem Einsatz des Vermögens abhängig war. Das Gericht hat mit Schreiben vom 26.11.2018 darauf hingewiesen, dass es beabsichtigt, sich in der mündlichen Verhandlung mit den Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 8 SGB XII zu beschäftigen. Insofern konnte der Beklagte an beiden gerichtlichen Schreiben erkennen, dass die Frage, aus welchen Gründen keine Ermittlung der Vermögensverhältnisse bei dem Kläger und seiner Ehefrau erfolgt ist, Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der gerichtlichen Entscheidung sein werden. Die von dem Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung gerügte Verletzung der richterlichen Hinweispflicht kann das Gericht nicht erkennen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung. Die Berufung ist nach §§ 143, 144 Abs. 1 SGG nicht zulassungsbedürftig, da der Beklagte von dem Kläger Kostenersatz begehrt, welcher den Wert des Beschwerdegegenstands von 750,-EUR deutlich übersteigt.
Rechtskraft
Aus
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