Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 146 SO 3432/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 232/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Kostenersatz gemäß § 105 SGB XII setzt nur voraus, dass ein Erstattungsanspruch gegenüber dem vorrangig verpflichteten Leistungsträger gemäß § 104 SGB XII wegen einer befreienden Zahlung infolge Unkenntnis der Leistung des Trägers der Sozialhilfe nicht besteht.
Auf ein vorwerfbares Verhalten des Leistungsberechtigten oder des Trägers der Sozialhilfe kommt es nicht an.
Auf ein vorwerfbares Verhalten des Leistungsberechtigten oder des Trägers der Sozialhilfe kommt es nicht an.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. August 2017 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, durch den der Beklagte vom Kläger Kostenersatz gefordert hat.
Der im Februar 1947 geborene Kläger bezog seit 1997 aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Daneben erhielt er ergänzend Leistungen der Sozialhilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts, seit 2005 in Gestalt von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (im Folgenden: Grundsicherung) nach dem Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII). Der tatsächliche monatliche Zahlbetrag der laufenden Leistungen lag in der Zeit von Januar 2008 bis März 2012 bei 479,05 EUR bis 527,59 EUR, mit Ausnahme der Monate Juli 2009 (kein Leistungsbezug), Dezember 2009 und November 2011 (660,03 EUR bzw. 1.067,78 EUR). Der Bedarf für Kosten der Unterkunft ohne Kosten für Heizung und Warmwassererzeugung lag im selben Zeitraum regelmäßig bei 220,20 EUR, ausgenommen die Monate Juli 2009 (kein Leistungsbezug) sowie Februar und Dezember 2009 und November 2011 (241,55 EUR bzw. 364,48 EUR bzw. 774,38 EUR).
Wegen Erreichens der Regelaltersgrenze (§ 235 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch [SGB VI]) bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd (im Folgenden: DRV) als Träger der Rentenversicherung dem Kläger ab 1. April 2012 Regelaltersrente mit einem laufenden Zahlbetrag von anfangs 263,35 EUR (6,- EUR mehr als der letzte Zahlbetrag der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit). Den Rentenbescheid vom 13. April 2012 übersandte der Kläger dem Beklagten Anfang Mai 2012. Dieser änderte daraufhin die laufende Bewilligung für Leistungen der Grundsicherung mit Wirkung ab 1. April 2012, stellte für die Monate April und Mai 2012 eine Überzahlung von insgesamt 12,- EUR fest und verrechnete diese mit der laufenden Zahlung für den Monat Juni 2012 (Bescheid vom 9. Mai 2012).
In einem Rechtsstreit gegen den Beklagten, in dem er sich gegen die leistungsmindernde Berücksichtigung der Rentenanpassung zum 1. Juli 2011 gewandt hatte (Az. SG Berlin S 51 SO 2416/11), hatte der Kläger unterdessen in einem Schreiben vom 2. April 2012 mitgeteilt, dass es zwar nur um einen monatlichen Differenzbetrag von 2,53 EUR gehe. Es sei aber mit einer Rentennachzahlung zu rechnen, weil in der bisherigen Rentenberechnung Ausbildungszeiten nicht berücksichtigt worden seien. Hierzu reichte er unter anderem zwei Schreiben der DRV ein und führte aus, es stimme was nicht, wenn die zu erwartende Nachzahlung unverzüglich an das Sozialamt bezahlt werden solle. Dieses Schreiben wurde dem Beklagten vom Sozialgericht am 11. April 2012 übersandt.
Mit seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom 9. Mai 2012 wandte sich der Kläger gegen die Verrechnung der 12,- EUR und den laufenden Abzug von 6,- EUR. Er vertrat auch hier die Auffassung, dass eine Rentenerhöhung nicht auf die Sozialhilfe angerechnet werden dürfe. Es handle sich um Schonvermögen zur Bekämpfung der Altersarmut.
Am 13. Juni 2012 teilte der Kläger dem Beklagten eine Rentennachzahlung in Höhe von 4.594,68 EUR für den Zeitraum 1. Januar 2008 bis 31. März 2012 mit. Er schlage vor, nach Abzug eines Schonvermögens von 2.000,- EUR Schulden zurückzuzahlen sowie Gebrauchsgegenstände, Medikamente und Lebensmittel zu kaufen.
Dieselbe Mitteilung machte er am 14. Juni 2012 in dem Rechtsstreit SG Berlin S 51 SO 2416/11, in dem die Klage zwischenzeitlich durch Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2012 abgewiesen worden war. Hier reichte er zusätzlich die erste Seite des Bescheides der DRV vom 4. Juni 2012 ein, ausweislich dessen die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit neu festgestellt worden und die Nachzahlung auf das Konto des Klägers überwiesen worden war. Dieses Schreiben übersandte das Sozialgericht dem Beklagten am 20. Juni 2012.
Am 18. Juni 2012 meldete der Kläger gegenüber der DRV per Telefax einen Erstattungsanspruch an.
Durch Bescheid ebenfalls vom 18. Juni 2012 forderte er vom Kläger Kostenersatz in Höhe von 4.594,68 EUR auf der Grundlage des § 105 SGB XII. Der Kläger sei zur Herausgabe des Betrags verpflichtet, weil die DRV an ihn in Unkenntnis der Leistungen des Beklagten gezahlt habe. Sozialhilfe sei eine nachrangige Leistung. Sie wäre deshalb nicht zu erbringen gewesen, wenn die DRV rechtzeitig geleistet hätte. Einen Erstattungsanspruch könne der Beklagte jedoch nicht durchsetzen, weil die Nachzahlung ausgezahlt sei. Laut telefonischer Auskunft der DRV sei die Zahlung schon veranlasst und werde spätestens Ende Juni 2012 dem Konto des Klägers gutgeschrieben. Dieser habe es trotz Belehrung über seine Mitteilungspflichten versäumt, dem Beklagten mitzuteilen, dass er gegenüber der Rentenversicherung eine höhere Leistung beantragt habe. Wenn er seiner Mitteilungspflicht rechtzeitig nachgekommen wäre, wäre es dem Beklagten rechtzeitig möglich gewesen, einen Erstattungsanspruch geltend zu machen. Unter der Überschrift "Berechnung" führte der Beklagte aus: "Sie haben in jedem Monat, woraus sich die Nachzahlung errechnet, Leistungen mindestens in Höhe der Nachzahlungsbeträge erhalten (siehe die erhaltenen Bescheide). Daher ist die Gesamtsumme zu leisten". Zugleich ordnete der Beklagte die sofortige Vollziehung des Bescheides an.
Mit Anschreiben vom 26. Juni 2012 übersandte die DRV dem Beklagten den Bescheid vom 4. Juni 2012 mit dessen Anlage 1 und wies nochmals darauf hin, dass die Nachzahlung bereits an den Kläger ausgezahlt worden sei. Gemäß der Anlage 1 betrug die monatliche zusätzliche Rentenbewilligung in den Zeiträumen
• Juli bis Dezember 2008: 89,13 EUR, • Januar bis Juni 2009: 88,63 EUR, • Juli 2009 bis Dezember 2010: 90,52 EUR, • Januar bis Juni 2011: 90,77 EUR und • Juli 2011 bis März 2012: 91,68 EUR.
Mit einem Antrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 18. Juni 2012 blieb der Antragsteller sowohl beim Sozialgericht Berlin als auch im Beschwerdeverfahren vor dem Senat erfolglos (Beschlüsse vom 19. Juli 2012 – S 49 SO 1633/12 ER - und vom 28. September 2012 – L 15 SO 203/12 B ER -). Der Beklagte hatte unterdessen die Pfändung eines Sparbuchs des Klägers mit einem Guthaben von 2.001,03 EUR erwirkt, auf das der Kläger nach seinen Angaben von der Rentennachzahlung 2.000,- EUR eingezahlt hatte.
Den zugleich mit dem gerichtlichen Antrag eingelegten Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Juni 2012 wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2012 im Wesentlichen mit der Begründung des Ausgangsbescheides zurück. Zuvor war am 1. November 2012 beim Sozialgericht Berlin eine Untätigkeitsklage des Klägers auf Bescheidung des Widerspruchs eingegangen (Az. S 49 – später 212 – SO 2932/12). Nach Erlass des Widerspruchsbescheides hatte sich der Kläger im Verfahren der Untätigkeitsklage erstmals mit einem am 4. Januar 2013 beim Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz geäußert, mit dem er sein Anliegen in der Sache weiterverfolgt hat.
Mit einer zuvor am 17. Dezember 2012 gesondert erhobenen, unter dem Aktenzeichen S 49 SO 3432/12 registrierten Klage (dem Ausgangsverfahren der vorliegenden Berufung) hatte der Kläger ebenfalls geltend gemacht, dass die widerrechtliche Rückzahlungsforderung sofort aufzuheben und sein gepfändetes Sparbuch freizugeben sei. Er habe auch Nichtigkeitsklage im Eilantragsverfahren beim Gericht der Europäischen Gemeinschaft erhoben. Bestehende Ungerechtigkeiten seien zu beachten, wenn etwa der deutsche Staat hohe Mehreinnahmen aus der Nachbesteuerung von Schwarzgeld erziele, aber Steuersünder nicht belange, oder wenn Steuermittel verschwendet würden. Außerdem habe er erst jetzt erfahren, dass Miete in Höhe von 378,- EUR monatlich "bezahlt" werde, während seine Miete weit geringer sei. Die Differenz zu seinen Gunsten liege bei 6.224,64 EUR für vier Jahre, die vom Beklagten zu überweisen seien.
Die Rentennachzahlung sei am 18. Juni 2012 auf seinem Konto eingegangen. Der Beklagte habe nach der Mitteilung Anfang April 2012 in dem Verfahren SG Berlin S 51 SO 2416/11 auch hinreichend Zeit gehabt, bei der DRV einen Erstattungsanspruch anzumelden, worauf bereits das Landessozialgericht in dem Beschluss vom 28. September 2012 hingewiesen habe.
Der Beklagte hat den erlassenen Bescheid verteidigt. Aus dem Schreiben des Klägers vom 2. April 2012 in dem Rechtsstreit SG Berlin S 92 SO 2416/11 könne keine Kenntnis des Beklagten von einer Nachzahlung konstruiert werden. Der Kläger, habe weder den Beklagten noch die DRV informiert, obwohl er seine Mitteilungspflichten hinreichend gekannt habe. Es dürfte auch nicht maßgeblich sein, ob der Beklagte den kraft Gesetzes entstehenden Erstattungsanspruch nicht geltend gemacht habe, sondern ob die vorrangig verpflichtete DRV die Leistung in Unkenntnis der vom Beklagten gewährten Leistung gezahlt habe. Die Rückforderung sei schließlich nicht gemäß § 105 Abs. 2 SGB XII (in der bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung) beschränkt. Der auf ca. 90 EUR im Monat umzurechnende Nachzahlungsbetrag sei stets niedriger als der Erstattungsanspruch, den der Beklagte unter Berücksichtigung der anteiligen kalten Unterkunftskosten gehabt habe. Auf Anforderung des Sozialgerichts hat der Beklagte verschiedene Aufstellungen zu den im Erstattungszeitraum gezahlten Leistungen vorgelegt. Auf die Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 19. Februar 2014 (als Beiakte zur Gerichtsakte geführt) wird Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat im Rahmen des bis dahin noch nicht für erledigt erklärten Verfahrens S 212 SO 2932/12 die Verwaltungsakten der DRV beigezogen und hieraus Unterlagen zur Gerichtsakte genommen. Dieses Verfahren ist durch Beschluss des Sozialgerichts vom 15. Januar 2014 zu dem Rechtsstreit S 146 SO 3432/12 verbunden worden. Eine nochmalige Aktenanforderung des Sozialgerichts bei der DRV im Oktober 2016 ergab, dass Vorgänge aus der Zeit nach dem 24. Mai 2012 bereits vernichtet waren.
Durch Urteil vom 11. August 2017 hat das Sozialgericht entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag den Bescheid des Beklagten vom 18. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom "20. November" 2012 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Tatbestandsmerkmale des § 105 Abs. 1 SGB XII zwar auf den ersten Blick erfüllt seien. Die Vorschrift sei jedoch zur Überzeugung der Kammer einschränkend auszulegen, um eine Umgehung der Vorschriften über die Erstattung zwischen Leistungsträgern durch den Träger der Sozialhilfe zu verhindern. Die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs gegenüber dem Leistungsempfänger scheide dann aus, wenn der Träger der Sozialhilfe einen Erstattungsanspruch gegenüber einem vorrangig leistungspflichtigen Sozialleistungsträger aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht durchsetzen könne. Die Vorschrift sei mithin (nur) anwendbar, wenn die leistungsberechtigte Person den Träger der Sozialhilfe von einem möglichen, aber noch nicht durchgesetzten vorrangigen Anspruch nicht in Kenntnis setze und deshalb einen Erstattungsanspruch vereitele. Der Beklagte habe aber nach Eingang des Schriftsatzes des Klägers vom 2. April 2012 in dem Verfahren S 51 SO 2416/11 jedenfalls angesichts der beigefügten Schreiben der DRV davon Kenntnis gehabt, dass ein Verwaltungsverfahren auf Überprüfung (auch) der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit anhängig gewesen sei und der Kläger mit einer Nachzahlung rechne. Das Schreiben des Klägers vom 2. April 2012 sei im Gegensatz zu anderen seiner Äußerungen auch klar und präzise aufgebaut gewesen. Der Beklagte habe es zum Anlass nehmen müssen, der DRV umgehend den Bezug von Sozialhilfe anzuzeigen und einen Erstattungsanspruch geltend zu machen. Er dürfe sich nicht darauf beschränken, Äußerungen in einem gerichtlichen Verfahren nur insoweit zur Kenntnis zu nehmen, wie sie dieses Verfahren beträfen. Dem Kläger könne keine Verletzung seiner Mitwirkungspflichten angelastet werden. Er sei prozesserfahren und habe deshalb annehmen können, dass der Beklagte von dem Schriftsatz vom 2. April 2012 Kenntnis erhalten werde.
Mit der am 6. Oktober 2017 erhobenen Berufung wendet sich der Beklagte gegen die Aufhebung des von ihm gesetzten Bescheides in dem am 11. September 2017 zugestellten Urteil. Die angewendete Vorschrift über den Kostenersatz sei 2005 geschaffen worden, um eine vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zur Rechtslage nach dem Bundessozialhilfegesetz gesehene Regelungslücke zu schließen und den Nachranggrundsatz der Sozialhilfe umfassend durchzusetzen. Die einschränkende Auslegung des Sozialgerichts könne nicht überzeugen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 7. Februar 2019 hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid insoweit aufgehoben, als eine Erstattung für den Monat Juli 2009 in Höhe von 90,52 Euro nicht verlangt wird. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit daraufhin insoweit für erledigt erklärt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. August 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Gerichtsakte sowie die Bände XII bis XIV der Verwaltungsakten des Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist, soweit über sie nach der Teilerledigungserklärung in der mündlichen Verhandlung noch zu entscheiden war, begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten.
Formelle Gründe führen nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 18. Juni 2012. Vor dessen Erlass hätte zwar eine Anhörung (§ 24 Abs. 1 SGB X) durchgeführt werden müssen, weil er durch die verfügte Zahlungsverpflichtung jedenfalls in das Grundrecht des Klägers auf allgemeine Handlungsfreiheit eingreift (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Juni 2018 – B 2 U 9/17 R –, in Entscheidungssammlung Sozialrecht [SozR] 4-2700 § 2 Nr. 45 m.w.Nachw.). Dieser Verfahrensfehler ist jedoch im Ergebnis unbeachtlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte berechtigt war, gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X wegen der Notwendigkeit einer sofortigen Entscheidung im öffentlichen Interesse von einer Anhörung abzusehen. Nur vorsorglich wird deshalb ausgeführt, dass hierfür vieles spricht. Um den Regelfall der Anhörungspflicht nach § 24 Abs. 1 SGB X nicht leerlaufen zu lassen läge eine sofortige Entscheidung zwar nur dann im öffentlichen Interesse, wenn die Behörde Umstände geltend machen kann, welche über das allgemeine Interesse an der Herstellung eines materiell gesetzmäßigen Zustandes hinausgehen. Solche Umstände könnten hier aber vorliegen. Der Beklagte hatte aufgrund der Mitteilung des Klägers vom 13. Juni 2012 zu befürchten, dass dieser die Rentennachzahlung – von der er selbst noch erwartet hatte, dass sie unverzüglich an den Beklagten ausgezahlt werde (s. sein Schreiben vom 2. April 2012) – wenigstens teilweise für Anschaffungen verwenden würde. Angesichts der langjährigen Hilfebedürftigkeit des Klägers stand damit zu erwarten, dass die Durchsetzung des vom Beklagten geltend gemachten Anspruchs auf Kostenerstattung auf Dauer erfolglos bleiben und die Herstellung eines materiell rechtmäßigen Zustandes aus tatsächlichen Gründen dauerhaft scheitern würde. Die erforderliche Ermessensentscheidung (BSG a.a.O.) könnte ausnahmsweise in der Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem Bescheid vom 18. Juni 2012 liegen. Die Voraussetzungen, unter denen eine solche Anordnung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG in Betracht kommt, entsprechen denen, unter denen nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X eine Anhörung verzichtbar ist.
Offen bleiben kann auch, ob eine Anhörung deshalb verzichtbar war, weil der Kläger ausweislich seines Schreibens vom 2. April 2012 selbst erwartete, dass die Rentennachzahlung dem Beklagten ausgezahlt werden würde und ihm (unter anderem) aus dem Rechtsstreit SG Berlin S 51 SO 2416/11 bekannt war, dass Rentenleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung in vollem Umfang als Einkommen im Sinne des Rechts der Grundsicherung gelten. Jedenfalls war im konkreten Fall das Anhörungsverfahren durch das Widerspruchsverfahren selbst nachgeholt und ein etwaiger Anhörungsmangel geheilt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Der auf § 105 SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (im Folgenden ohne Zusatz zitiert) gestützte Ausgangsbescheid vom 18. Juni 2012 enthielt alle für die Entscheidung des Beklagten wesentlichen (Haupt-)Tatsachen, also alle Tatsachen, die er ausgehend von seiner materiell-rechtlichen Rechtsansicht berücksichtigen musste und konnte (BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R –, SozR 4-1500 § 114 Nr. 2). In ihm hat der Beklagte den aus seiner Sicht vorrangig verpflichteten Leistungsträger benannt sowie Ausführungen dazu gemacht, warum er von dessen Unkenntnis der gewährten Leistung der Sozialhilfe und von einer Erstattungspflicht des Klägers im vollen Umfang der erhaltenen Nachzahlung ausging. Der Beklagte war nicht gehalten, im Einzelnen aufzuschlüsseln, welche Leistungen er in dem Zeitraum, auf den sich der Anspruch auf Kostenerstattung bezieht, dem Kläger tatsächlich bewilligt hatte. Mit der Kostenerstattung gemäß § 105 SGB XII ist keine Teilaufhebung von Leistungsbewilligungen verbunden. Die Vorschrift begründet sich dadurch, dass die Leistungsbewilligungen gerade nicht infolge der Nachzahlung der Rentenleistung aufgehoben werden können, vielmehr im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig waren (dazu noch später). Von daher fehlte es dem Bescheid auch nicht an hinreichender Bestimmtheit (§ 33 Abs. 1 SGB X).
Der Bescheid des Beklagten ist - bis auf den unstreitig gestellten Betrag von 90,52 EUR betreffend den Monat Juli 2009 - auch materiell rechtmäßig. Gemäß § 105 Abs. 1 SGB XII ist, wenn ein vorrangig verpflichteter Leistungsträger in Unkenntnis der Leistung des Trägers der Sozialhilfe an die leistungsberechtigte Person geleistet hat, diese zur Herausgabe des Erlangten an den Träger der Sozialhilfe verpflichtet. Gemäß § 105 Abs. 2 SGB XII unterliegen von den bei den Leistungen nach § 27a oder § 42 SGB XII berücksichtigten Kosten der Unterkunft, mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung, 56 vom Hundert nicht der Rückforderung (Satz 1). Dies gilt nicht im Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X oder wenn neben Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel gleichzeitig Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz geleistet worden ist (Satz 2).
Für die Zeiträume vom 1. Januar 2008 bis 30. Juni 2009 und vom 1. August 2009 bis 31. März 2012 hat mit der DRV ein gegenüber dem Beklagten vorrangig verpflichteter Leistungsträger an den Kläger als (grundsicherungs-)leistungsberechtigte Person geleistet, als sie die Nachzahlung aus dem Bescheid vom 4. Juni 2012 auf das Konto des Klägers überwiesen hat. Wer vorrangig verpflichtet ist, ergibt sich im Umkehrschluss aus § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Nach dieser - die Erstattung zwischen Leistungsträgern betreffenden – Legaldefinition ist nachrangig verpflichtet ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre.
Der Bezug zu § 104 SGB X folgt aus dem Gesetzeszweck des § 105 SGB XII. Durch ihn sollte eine Regelungslücke zur Verhinderung des Doppelbezugs von Sozialleistungen geschlossen werden (Bundestags-Drucksache 15/1514, S. 28f., 64 zu § 100 des Gesetzentwurfs, der Sache nach unter Bezug auf BVerwG, Urteil vom 17. August 1995 – 5 C 26/93 –, Amtliche Entscheidungssammlung [BVerwGE] 99, 114): Leistungsberechtigte seien "zur Herausgabe des Erlangten an den Träger der Sozialhilfe verpflichtet, wenn ein vorrangig Leistungsverpflichteter in Unkenntnis der Leistung des Trägers der Sozialhilfe zusätzlich an die leistungsberechtigte Person geleistet hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist in diesen Fällen eine Rückabwicklung eines Sozialhilfefalles nicht zulässig, wenn die Sozialhilfe rechtmäßig geleistet worden war, weil eine andere vorrangige Sozialleistung im Zeitraum des Bedarfs nicht als "bereites Mittel" zur Verfügung stand, sondern erst nachträglich bewilligt worden ist. Der Nachrang der Sozialhilfe ist vielmehr nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch Erstattung wiederherzustellen, die jedoch bisher dann nicht möglich ist, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger in Unkenntnis der Leistung des nachrangig Verpflichteten seinerseits nach § 104 Abs. 1 des Zehnten Buches befreiend geleistet hat."
Die DRV war dem Kläger danach vorrangig zur Gewährung der ihm durch den Bescheid vom 4. Juni 2012 zuerkannten höheren Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. März 2012 verpflichtet. Der Anspruch auf Zahlung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung hängt lediglich davon ab, dass die versicherungsrechtlichen und etwaigen sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind, im Fall einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit die medizinischen Voraussetzungen für die geminderte Erwerbsfähigkeit (s. für den hier in Frage stehenden Zeitraum § 44 SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung i.V. mit § 302b Abs. 1 SGB VI in der vom 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2017 geltenden Fassung). Geldleistungen der Sozialhilfe zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts stellen keinen "Hinzuverdienst" dar, der nach § 96a Abs. 3 SGB VI den Anspruch auf die Rentenleistung mindern würde. Vielmehr sind umgekehrt Leistungen der Sozialhilfe stets nur dann – "nachrangig" – zu gewähren, wenn durch die Rentenleistung (oder andere Einkünfte oder Vermögen) die nach dem dritten oder vierten Kapitel des SGB XII berücksichtigungsfähigen sozialhilferechtlichen Bedarfe nicht gedeckt werden können (§ 2 Abs. 1 i.V. mit § 19 Abs. 1 und 2 SGB XII).
Die DRV hat auch in Unkenntnis der Leistung des Beklagten gezahlt. Hierfür reicht bloßes Kennenmüssen nicht aus; erforderlich ist positive Kenntnis zu Leistungsart, -zeit und -höhe. Nur dann wäre sie in der Lage gewesen, ohne weitere Nachforschungen zu entscheiden, welche Leistungsbestandteile zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs einzubehalten und welche gegebenenfalls weiterhin an den Kläger auszubezahlen gewesen wären (BSG, Urteil vom 25. Januar 1994 – 7 RAr 42/93 –, SozR 3-1300 § 104 Nr. 8, unter II 8 der Gründe m.w.Nachw.). Nach Lage der noch verfügbaren Akten ist bereits nicht erkennbar, dass die DRV zu irgendeinem Zeitpunkt während des Zeitraums, für den sie dem Kläger eine Nachzahlung gewährt hat, überhaupt von dessen Sozialhilfebezug Kenntnis hatte.
Weitere Voraussetzungen sind § 105 Abs. 1 SGB XII nicht zu entnehmen. Im Besonderen ist der Anspruch auf Kostenersatz nach dem Wortlaut der Vorschrift von keinem vorwerfbaren Verhalten abhängig, und zwar weder seitens des Empfängers der Sozialhilfe noch seitens des Trägers der Sozialhilfe. Aus den oben bereits wiedergegebenen Gesetzesmaterialien ergibt sich nichts anderes. Der Sozialhilfeträger sollte die Möglichkeit erhalten, den Nachrang der Sozialhilfe durch einen Anspruch auf Kostenerstattung wieder herzustellen, wenn der Anspruch auf Erstattung gemäß § 104 Abs. 1 SGB X wegen befreiender Zahlung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers an den Leistungsberechtigten nicht mehr besteht. Weitergehende Anforderungen können auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zum fehlenden Wahlrecht von Leistungsträgern zwischen der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs gegenüber einem anderen Leistungsträger und der Rückabwicklung der Leistung gegenüber deren Empfänger auf der Grundlage der Vorschriften über die Rücknahme von Verwaltungsakten (§§ 45ff SGB X) geltend gemacht werden (s. grundlegend BSG, Urteil vom 29. April 1997 – 8 RKn 29/95 –, SozR 3-1300 § 107 Nr. 10 m.w.Nachw. und daran anschließend BSG, Urteil vom 22. Mai 2002 – B 8 KN 11/00 R –, SozR 3-2600 § 93 Nr. 12). Eine Rückabwicklung der Sozialhilfeleistung gegenüber dem Kläger wäre von vornherein deshalb nicht in Betracht gekommen, weil er diese in der Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. März 2012 auch der Höhe nach rechtmäßig erhalten hatte. Die (höhere) Rentenleistung stand in dem genannten Zeitraum nicht als "bereites Mittel" zur Befriedigung eines sozialhilferechtlichen Bedarfs zur Verfügung (s. bereits BVerwG, Urteil vom 17. August 1995 – 5 C 26/93 –, BVerwGE 99, 114).
Ob ein Anspruch eines Trägers der Sozialhilfe auf der Grundlage des § 105 SGB XII unter dem Gesichtspunkt treuwidrigen Verhaltens dann nicht in Betracht kommt, wenn er die Voraussetzungen für den Anspruch bewusst herbeiführt (z.B. indem er trotz einer ihm bekannten Nachzahlung den vorrangig verpflichteten Leistungsträger in Unkenntnis über den Sozialhilfebezug lässt), kann offenbleiben. Hierfür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Als der Kläger dem Sozialgericht Anfang April 2012 mitgeteilt hatte, dass er eine höhere Rente mit einer Nachzahlung erwarte, war noch offen, wann und in welchem Umfang es zu einer geänderten Rentenbewilligung kommen würde. Soweit der Beklagte nicht bereits zu diesem Zeitpunkt einen Erstattungsanspruch gegenüber der DRV geltend gemacht hat, kann dies allenfalls als Nachlässigkeit bei der Verfolgung eigener Interessen angesehen werden. Im Regelfall gibt es keinen plausiblen Grund, aus dem der Träger der Sozialhilfe den Anspruch nach § 105 SGB XII einem Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X vorziehen sollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Erstattungsanspruch durch den vorrangig leistungspflichtigen Träger befriedigt wird, ist ungleich höher als die einer erfolgreichen Vollstreckung eines Anspruchs auf Kostenerstattung gegenüber einer Person, welche regelmäßig bedürftigkeitsabhängige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht.
Der Anspruch auf Kostenerstattung ist im verbleibenden Umfang von (4.594,96 – 90,52 =) 4.504,16 EUR auch der Höhe nach rechtmäßig (§ 105 Abs. 2 SGB XII). Erlangt hat der Kläger durch die Leistung der DRV einen Geldzufluss in dieser Höhe. In keinem Monat der Zeiträume 1. Januar 2008 bis 30. Juni 2009 und 1. August 2009 bis 31. März 2012 war die Höhe der Leistungen des Beklagten unter Abzug des (gemäß § 42 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung bzw. § 42 Nr. 4 SGB XII in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung zu berücksichtigenden) Bedarfs für Unterkunft ohne die Kosten für Heizung und Warmwassererzeugung geringer als die anteilig auf die Monate entfallenden Nachzahlungsbeträge. Der Teil der Leistung, der gemäß § 105 Abs. 2 SGB XII teilweise von der Rückforderung ausgenommen wäre, ist deshalb von vornherein nicht berührt.
Entgegen der offenbar vom Kläger vertretenen Auffassung ist vom Erlangten kein Abzug zu machen, im Besonderen nicht für ein "Schonvermögen" (nicht zu verwertende kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte, § 41 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII und § 1 Satz 1 Nr. 1 Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII). Dies ergibt sich aus dem bereits dargestellten Zweck des Anspruchs nach § 105 SGB XII, den Nachrang der Sozialhilfe durch eine Kostenerstattung des Leistungsberechtigten wiederherzustellen (also den Zustand, der gegeben gewesen wäre, wenn der vorrangig leistungsverpflichtete Träger seine Leistungen im Fälligkeitszeitpunkt tatsächlich erbracht hätte). Auf den definitorischen Unterschied zwischen Einkommen und Vermögen kommt es insoweit nicht an (zur sogenannten modifizierten Zuflusstheorie für die Abgrenzung s. ausführlich BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 35/07 R –, SozR 4-3500 § 82 Nr. 5).
Dem Anspruch auf Kostenersatz gemäß § 105 SGB XII steht schließlich weder dem Grunde noch der Höhe nach die vom Kläger gesehene Aufrechnung mit einer Nachforderung von Kosten der Unterkunft entgegen. Die erforderliche Aufrechnungslage besteht jedenfalls deshalb nicht, weil der vom Kläger behauptete Anspruch auf höhere Leistungen nicht durchsetzbar ist. Es fehlt an der erforderlichen Leistungsbewilligung durch Verwaltungsakt. Nur vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der Kläger mit einer solchen Leistungsbewilligung auch nicht rechnen könnte. Entgegen seiner Auffassung werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung grundsätzlich (nur) in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht (§ 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 SGB XII). Ausnahmsweise kann es sich dann anders verhalten, wenn der Träger der Sozialhilfe die Kosten der Unterkunft und für Heizung und zentrale Warmwasserversorgung durch monatliche Pauschalen festgesetzt hat (§ 35 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 2 SGB XII) und wenn diese Pauschalen im konkreten Fall höher liegen als die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung einschließlich etwaiger zentraler Warmwasserversorgung. Bei dem vom Kläger genannten Betrag von 378, EUR handelte es sich aber nicht um eine solche Pauschale, sondern um einen vom Land Berlin zu bestimmten Zeiten gesehenen – leistungsbegrenzenden – Höchstwert für angemessene Kosten der Unterkunft von Einpersonen-Haushalten.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Da die Klage nur zu einem sehr geringen Teil erfolgreich war, ist eine auch nur teilweise Belastung des Beklagten mit außergerichtlichen Kosten nicht gerechtfertigt.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, durch den der Beklagte vom Kläger Kostenersatz gefordert hat.
Der im Februar 1947 geborene Kläger bezog seit 1997 aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Daneben erhielt er ergänzend Leistungen der Sozialhilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts, seit 2005 in Gestalt von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (im Folgenden: Grundsicherung) nach dem Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII). Der tatsächliche monatliche Zahlbetrag der laufenden Leistungen lag in der Zeit von Januar 2008 bis März 2012 bei 479,05 EUR bis 527,59 EUR, mit Ausnahme der Monate Juli 2009 (kein Leistungsbezug), Dezember 2009 und November 2011 (660,03 EUR bzw. 1.067,78 EUR). Der Bedarf für Kosten der Unterkunft ohne Kosten für Heizung und Warmwassererzeugung lag im selben Zeitraum regelmäßig bei 220,20 EUR, ausgenommen die Monate Juli 2009 (kein Leistungsbezug) sowie Februar und Dezember 2009 und November 2011 (241,55 EUR bzw. 364,48 EUR bzw. 774,38 EUR).
Wegen Erreichens der Regelaltersgrenze (§ 235 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch [SGB VI]) bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd (im Folgenden: DRV) als Träger der Rentenversicherung dem Kläger ab 1. April 2012 Regelaltersrente mit einem laufenden Zahlbetrag von anfangs 263,35 EUR (6,- EUR mehr als der letzte Zahlbetrag der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit). Den Rentenbescheid vom 13. April 2012 übersandte der Kläger dem Beklagten Anfang Mai 2012. Dieser änderte daraufhin die laufende Bewilligung für Leistungen der Grundsicherung mit Wirkung ab 1. April 2012, stellte für die Monate April und Mai 2012 eine Überzahlung von insgesamt 12,- EUR fest und verrechnete diese mit der laufenden Zahlung für den Monat Juni 2012 (Bescheid vom 9. Mai 2012).
In einem Rechtsstreit gegen den Beklagten, in dem er sich gegen die leistungsmindernde Berücksichtigung der Rentenanpassung zum 1. Juli 2011 gewandt hatte (Az. SG Berlin S 51 SO 2416/11), hatte der Kläger unterdessen in einem Schreiben vom 2. April 2012 mitgeteilt, dass es zwar nur um einen monatlichen Differenzbetrag von 2,53 EUR gehe. Es sei aber mit einer Rentennachzahlung zu rechnen, weil in der bisherigen Rentenberechnung Ausbildungszeiten nicht berücksichtigt worden seien. Hierzu reichte er unter anderem zwei Schreiben der DRV ein und führte aus, es stimme was nicht, wenn die zu erwartende Nachzahlung unverzüglich an das Sozialamt bezahlt werden solle. Dieses Schreiben wurde dem Beklagten vom Sozialgericht am 11. April 2012 übersandt.
Mit seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom 9. Mai 2012 wandte sich der Kläger gegen die Verrechnung der 12,- EUR und den laufenden Abzug von 6,- EUR. Er vertrat auch hier die Auffassung, dass eine Rentenerhöhung nicht auf die Sozialhilfe angerechnet werden dürfe. Es handle sich um Schonvermögen zur Bekämpfung der Altersarmut.
Am 13. Juni 2012 teilte der Kläger dem Beklagten eine Rentennachzahlung in Höhe von 4.594,68 EUR für den Zeitraum 1. Januar 2008 bis 31. März 2012 mit. Er schlage vor, nach Abzug eines Schonvermögens von 2.000,- EUR Schulden zurückzuzahlen sowie Gebrauchsgegenstände, Medikamente und Lebensmittel zu kaufen.
Dieselbe Mitteilung machte er am 14. Juni 2012 in dem Rechtsstreit SG Berlin S 51 SO 2416/11, in dem die Klage zwischenzeitlich durch Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2012 abgewiesen worden war. Hier reichte er zusätzlich die erste Seite des Bescheides der DRV vom 4. Juni 2012 ein, ausweislich dessen die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit neu festgestellt worden und die Nachzahlung auf das Konto des Klägers überwiesen worden war. Dieses Schreiben übersandte das Sozialgericht dem Beklagten am 20. Juni 2012.
Am 18. Juni 2012 meldete der Kläger gegenüber der DRV per Telefax einen Erstattungsanspruch an.
Durch Bescheid ebenfalls vom 18. Juni 2012 forderte er vom Kläger Kostenersatz in Höhe von 4.594,68 EUR auf der Grundlage des § 105 SGB XII. Der Kläger sei zur Herausgabe des Betrags verpflichtet, weil die DRV an ihn in Unkenntnis der Leistungen des Beklagten gezahlt habe. Sozialhilfe sei eine nachrangige Leistung. Sie wäre deshalb nicht zu erbringen gewesen, wenn die DRV rechtzeitig geleistet hätte. Einen Erstattungsanspruch könne der Beklagte jedoch nicht durchsetzen, weil die Nachzahlung ausgezahlt sei. Laut telefonischer Auskunft der DRV sei die Zahlung schon veranlasst und werde spätestens Ende Juni 2012 dem Konto des Klägers gutgeschrieben. Dieser habe es trotz Belehrung über seine Mitteilungspflichten versäumt, dem Beklagten mitzuteilen, dass er gegenüber der Rentenversicherung eine höhere Leistung beantragt habe. Wenn er seiner Mitteilungspflicht rechtzeitig nachgekommen wäre, wäre es dem Beklagten rechtzeitig möglich gewesen, einen Erstattungsanspruch geltend zu machen. Unter der Überschrift "Berechnung" führte der Beklagte aus: "Sie haben in jedem Monat, woraus sich die Nachzahlung errechnet, Leistungen mindestens in Höhe der Nachzahlungsbeträge erhalten (siehe die erhaltenen Bescheide). Daher ist die Gesamtsumme zu leisten". Zugleich ordnete der Beklagte die sofortige Vollziehung des Bescheides an.
Mit Anschreiben vom 26. Juni 2012 übersandte die DRV dem Beklagten den Bescheid vom 4. Juni 2012 mit dessen Anlage 1 und wies nochmals darauf hin, dass die Nachzahlung bereits an den Kläger ausgezahlt worden sei. Gemäß der Anlage 1 betrug die monatliche zusätzliche Rentenbewilligung in den Zeiträumen
• Juli bis Dezember 2008: 89,13 EUR, • Januar bis Juni 2009: 88,63 EUR, • Juli 2009 bis Dezember 2010: 90,52 EUR, • Januar bis Juni 2011: 90,77 EUR und • Juli 2011 bis März 2012: 91,68 EUR.
Mit einem Antrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 18. Juni 2012 blieb der Antragsteller sowohl beim Sozialgericht Berlin als auch im Beschwerdeverfahren vor dem Senat erfolglos (Beschlüsse vom 19. Juli 2012 – S 49 SO 1633/12 ER - und vom 28. September 2012 – L 15 SO 203/12 B ER -). Der Beklagte hatte unterdessen die Pfändung eines Sparbuchs des Klägers mit einem Guthaben von 2.001,03 EUR erwirkt, auf das der Kläger nach seinen Angaben von der Rentennachzahlung 2.000,- EUR eingezahlt hatte.
Den zugleich mit dem gerichtlichen Antrag eingelegten Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Juni 2012 wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2012 im Wesentlichen mit der Begründung des Ausgangsbescheides zurück. Zuvor war am 1. November 2012 beim Sozialgericht Berlin eine Untätigkeitsklage des Klägers auf Bescheidung des Widerspruchs eingegangen (Az. S 49 – später 212 – SO 2932/12). Nach Erlass des Widerspruchsbescheides hatte sich der Kläger im Verfahren der Untätigkeitsklage erstmals mit einem am 4. Januar 2013 beim Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz geäußert, mit dem er sein Anliegen in der Sache weiterverfolgt hat.
Mit einer zuvor am 17. Dezember 2012 gesondert erhobenen, unter dem Aktenzeichen S 49 SO 3432/12 registrierten Klage (dem Ausgangsverfahren der vorliegenden Berufung) hatte der Kläger ebenfalls geltend gemacht, dass die widerrechtliche Rückzahlungsforderung sofort aufzuheben und sein gepfändetes Sparbuch freizugeben sei. Er habe auch Nichtigkeitsklage im Eilantragsverfahren beim Gericht der Europäischen Gemeinschaft erhoben. Bestehende Ungerechtigkeiten seien zu beachten, wenn etwa der deutsche Staat hohe Mehreinnahmen aus der Nachbesteuerung von Schwarzgeld erziele, aber Steuersünder nicht belange, oder wenn Steuermittel verschwendet würden. Außerdem habe er erst jetzt erfahren, dass Miete in Höhe von 378,- EUR monatlich "bezahlt" werde, während seine Miete weit geringer sei. Die Differenz zu seinen Gunsten liege bei 6.224,64 EUR für vier Jahre, die vom Beklagten zu überweisen seien.
Die Rentennachzahlung sei am 18. Juni 2012 auf seinem Konto eingegangen. Der Beklagte habe nach der Mitteilung Anfang April 2012 in dem Verfahren SG Berlin S 51 SO 2416/11 auch hinreichend Zeit gehabt, bei der DRV einen Erstattungsanspruch anzumelden, worauf bereits das Landessozialgericht in dem Beschluss vom 28. September 2012 hingewiesen habe.
Der Beklagte hat den erlassenen Bescheid verteidigt. Aus dem Schreiben des Klägers vom 2. April 2012 in dem Rechtsstreit SG Berlin S 92 SO 2416/11 könne keine Kenntnis des Beklagten von einer Nachzahlung konstruiert werden. Der Kläger, habe weder den Beklagten noch die DRV informiert, obwohl er seine Mitteilungspflichten hinreichend gekannt habe. Es dürfte auch nicht maßgeblich sein, ob der Beklagte den kraft Gesetzes entstehenden Erstattungsanspruch nicht geltend gemacht habe, sondern ob die vorrangig verpflichtete DRV die Leistung in Unkenntnis der vom Beklagten gewährten Leistung gezahlt habe. Die Rückforderung sei schließlich nicht gemäß § 105 Abs. 2 SGB XII (in der bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung) beschränkt. Der auf ca. 90 EUR im Monat umzurechnende Nachzahlungsbetrag sei stets niedriger als der Erstattungsanspruch, den der Beklagte unter Berücksichtigung der anteiligen kalten Unterkunftskosten gehabt habe. Auf Anforderung des Sozialgerichts hat der Beklagte verschiedene Aufstellungen zu den im Erstattungszeitraum gezahlten Leistungen vorgelegt. Auf die Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 19. Februar 2014 (als Beiakte zur Gerichtsakte geführt) wird Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat im Rahmen des bis dahin noch nicht für erledigt erklärten Verfahrens S 212 SO 2932/12 die Verwaltungsakten der DRV beigezogen und hieraus Unterlagen zur Gerichtsakte genommen. Dieses Verfahren ist durch Beschluss des Sozialgerichts vom 15. Januar 2014 zu dem Rechtsstreit S 146 SO 3432/12 verbunden worden. Eine nochmalige Aktenanforderung des Sozialgerichts bei der DRV im Oktober 2016 ergab, dass Vorgänge aus der Zeit nach dem 24. Mai 2012 bereits vernichtet waren.
Durch Urteil vom 11. August 2017 hat das Sozialgericht entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag den Bescheid des Beklagten vom 18. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom "20. November" 2012 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Tatbestandsmerkmale des § 105 Abs. 1 SGB XII zwar auf den ersten Blick erfüllt seien. Die Vorschrift sei jedoch zur Überzeugung der Kammer einschränkend auszulegen, um eine Umgehung der Vorschriften über die Erstattung zwischen Leistungsträgern durch den Träger der Sozialhilfe zu verhindern. Die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs gegenüber dem Leistungsempfänger scheide dann aus, wenn der Träger der Sozialhilfe einen Erstattungsanspruch gegenüber einem vorrangig leistungspflichtigen Sozialleistungsträger aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht durchsetzen könne. Die Vorschrift sei mithin (nur) anwendbar, wenn die leistungsberechtigte Person den Träger der Sozialhilfe von einem möglichen, aber noch nicht durchgesetzten vorrangigen Anspruch nicht in Kenntnis setze und deshalb einen Erstattungsanspruch vereitele. Der Beklagte habe aber nach Eingang des Schriftsatzes des Klägers vom 2. April 2012 in dem Verfahren S 51 SO 2416/11 jedenfalls angesichts der beigefügten Schreiben der DRV davon Kenntnis gehabt, dass ein Verwaltungsverfahren auf Überprüfung (auch) der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit anhängig gewesen sei und der Kläger mit einer Nachzahlung rechne. Das Schreiben des Klägers vom 2. April 2012 sei im Gegensatz zu anderen seiner Äußerungen auch klar und präzise aufgebaut gewesen. Der Beklagte habe es zum Anlass nehmen müssen, der DRV umgehend den Bezug von Sozialhilfe anzuzeigen und einen Erstattungsanspruch geltend zu machen. Er dürfe sich nicht darauf beschränken, Äußerungen in einem gerichtlichen Verfahren nur insoweit zur Kenntnis zu nehmen, wie sie dieses Verfahren beträfen. Dem Kläger könne keine Verletzung seiner Mitwirkungspflichten angelastet werden. Er sei prozesserfahren und habe deshalb annehmen können, dass der Beklagte von dem Schriftsatz vom 2. April 2012 Kenntnis erhalten werde.
Mit der am 6. Oktober 2017 erhobenen Berufung wendet sich der Beklagte gegen die Aufhebung des von ihm gesetzten Bescheides in dem am 11. September 2017 zugestellten Urteil. Die angewendete Vorschrift über den Kostenersatz sei 2005 geschaffen worden, um eine vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zur Rechtslage nach dem Bundessozialhilfegesetz gesehene Regelungslücke zu schließen und den Nachranggrundsatz der Sozialhilfe umfassend durchzusetzen. Die einschränkende Auslegung des Sozialgerichts könne nicht überzeugen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 7. Februar 2019 hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid insoweit aufgehoben, als eine Erstattung für den Monat Juli 2009 in Höhe von 90,52 Euro nicht verlangt wird. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit daraufhin insoweit für erledigt erklärt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. August 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Gerichtsakte sowie die Bände XII bis XIV der Verwaltungsakten des Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist, soweit über sie nach der Teilerledigungserklärung in der mündlichen Verhandlung noch zu entscheiden war, begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten.
Formelle Gründe führen nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 18. Juni 2012. Vor dessen Erlass hätte zwar eine Anhörung (§ 24 Abs. 1 SGB X) durchgeführt werden müssen, weil er durch die verfügte Zahlungsverpflichtung jedenfalls in das Grundrecht des Klägers auf allgemeine Handlungsfreiheit eingreift (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Juni 2018 – B 2 U 9/17 R –, in Entscheidungssammlung Sozialrecht [SozR] 4-2700 § 2 Nr. 45 m.w.Nachw.). Dieser Verfahrensfehler ist jedoch im Ergebnis unbeachtlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte berechtigt war, gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X wegen der Notwendigkeit einer sofortigen Entscheidung im öffentlichen Interesse von einer Anhörung abzusehen. Nur vorsorglich wird deshalb ausgeführt, dass hierfür vieles spricht. Um den Regelfall der Anhörungspflicht nach § 24 Abs. 1 SGB X nicht leerlaufen zu lassen läge eine sofortige Entscheidung zwar nur dann im öffentlichen Interesse, wenn die Behörde Umstände geltend machen kann, welche über das allgemeine Interesse an der Herstellung eines materiell gesetzmäßigen Zustandes hinausgehen. Solche Umstände könnten hier aber vorliegen. Der Beklagte hatte aufgrund der Mitteilung des Klägers vom 13. Juni 2012 zu befürchten, dass dieser die Rentennachzahlung – von der er selbst noch erwartet hatte, dass sie unverzüglich an den Beklagten ausgezahlt werde (s. sein Schreiben vom 2. April 2012) – wenigstens teilweise für Anschaffungen verwenden würde. Angesichts der langjährigen Hilfebedürftigkeit des Klägers stand damit zu erwarten, dass die Durchsetzung des vom Beklagten geltend gemachten Anspruchs auf Kostenerstattung auf Dauer erfolglos bleiben und die Herstellung eines materiell rechtmäßigen Zustandes aus tatsächlichen Gründen dauerhaft scheitern würde. Die erforderliche Ermessensentscheidung (BSG a.a.O.) könnte ausnahmsweise in der Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem Bescheid vom 18. Juni 2012 liegen. Die Voraussetzungen, unter denen eine solche Anordnung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG in Betracht kommt, entsprechen denen, unter denen nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X eine Anhörung verzichtbar ist.
Offen bleiben kann auch, ob eine Anhörung deshalb verzichtbar war, weil der Kläger ausweislich seines Schreibens vom 2. April 2012 selbst erwartete, dass die Rentennachzahlung dem Beklagten ausgezahlt werden würde und ihm (unter anderem) aus dem Rechtsstreit SG Berlin S 51 SO 2416/11 bekannt war, dass Rentenleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung in vollem Umfang als Einkommen im Sinne des Rechts der Grundsicherung gelten. Jedenfalls war im konkreten Fall das Anhörungsverfahren durch das Widerspruchsverfahren selbst nachgeholt und ein etwaiger Anhörungsmangel geheilt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Der auf § 105 SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (im Folgenden ohne Zusatz zitiert) gestützte Ausgangsbescheid vom 18. Juni 2012 enthielt alle für die Entscheidung des Beklagten wesentlichen (Haupt-)Tatsachen, also alle Tatsachen, die er ausgehend von seiner materiell-rechtlichen Rechtsansicht berücksichtigen musste und konnte (BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R –, SozR 4-1500 § 114 Nr. 2). In ihm hat der Beklagte den aus seiner Sicht vorrangig verpflichteten Leistungsträger benannt sowie Ausführungen dazu gemacht, warum er von dessen Unkenntnis der gewährten Leistung der Sozialhilfe und von einer Erstattungspflicht des Klägers im vollen Umfang der erhaltenen Nachzahlung ausging. Der Beklagte war nicht gehalten, im Einzelnen aufzuschlüsseln, welche Leistungen er in dem Zeitraum, auf den sich der Anspruch auf Kostenerstattung bezieht, dem Kläger tatsächlich bewilligt hatte. Mit der Kostenerstattung gemäß § 105 SGB XII ist keine Teilaufhebung von Leistungsbewilligungen verbunden. Die Vorschrift begründet sich dadurch, dass die Leistungsbewilligungen gerade nicht infolge der Nachzahlung der Rentenleistung aufgehoben werden können, vielmehr im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig waren (dazu noch später). Von daher fehlte es dem Bescheid auch nicht an hinreichender Bestimmtheit (§ 33 Abs. 1 SGB X).
Der Bescheid des Beklagten ist - bis auf den unstreitig gestellten Betrag von 90,52 EUR betreffend den Monat Juli 2009 - auch materiell rechtmäßig. Gemäß § 105 Abs. 1 SGB XII ist, wenn ein vorrangig verpflichteter Leistungsträger in Unkenntnis der Leistung des Trägers der Sozialhilfe an die leistungsberechtigte Person geleistet hat, diese zur Herausgabe des Erlangten an den Träger der Sozialhilfe verpflichtet. Gemäß § 105 Abs. 2 SGB XII unterliegen von den bei den Leistungen nach § 27a oder § 42 SGB XII berücksichtigten Kosten der Unterkunft, mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung, 56 vom Hundert nicht der Rückforderung (Satz 1). Dies gilt nicht im Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X oder wenn neben Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel gleichzeitig Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz geleistet worden ist (Satz 2).
Für die Zeiträume vom 1. Januar 2008 bis 30. Juni 2009 und vom 1. August 2009 bis 31. März 2012 hat mit der DRV ein gegenüber dem Beklagten vorrangig verpflichteter Leistungsträger an den Kläger als (grundsicherungs-)leistungsberechtigte Person geleistet, als sie die Nachzahlung aus dem Bescheid vom 4. Juni 2012 auf das Konto des Klägers überwiesen hat. Wer vorrangig verpflichtet ist, ergibt sich im Umkehrschluss aus § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Nach dieser - die Erstattung zwischen Leistungsträgern betreffenden – Legaldefinition ist nachrangig verpflichtet ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre.
Der Bezug zu § 104 SGB X folgt aus dem Gesetzeszweck des § 105 SGB XII. Durch ihn sollte eine Regelungslücke zur Verhinderung des Doppelbezugs von Sozialleistungen geschlossen werden (Bundestags-Drucksache 15/1514, S. 28f., 64 zu § 100 des Gesetzentwurfs, der Sache nach unter Bezug auf BVerwG, Urteil vom 17. August 1995 – 5 C 26/93 –, Amtliche Entscheidungssammlung [BVerwGE] 99, 114): Leistungsberechtigte seien "zur Herausgabe des Erlangten an den Träger der Sozialhilfe verpflichtet, wenn ein vorrangig Leistungsverpflichteter in Unkenntnis der Leistung des Trägers der Sozialhilfe zusätzlich an die leistungsberechtigte Person geleistet hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist in diesen Fällen eine Rückabwicklung eines Sozialhilfefalles nicht zulässig, wenn die Sozialhilfe rechtmäßig geleistet worden war, weil eine andere vorrangige Sozialleistung im Zeitraum des Bedarfs nicht als "bereites Mittel" zur Verfügung stand, sondern erst nachträglich bewilligt worden ist. Der Nachrang der Sozialhilfe ist vielmehr nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch Erstattung wiederherzustellen, die jedoch bisher dann nicht möglich ist, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger in Unkenntnis der Leistung des nachrangig Verpflichteten seinerseits nach § 104 Abs. 1 des Zehnten Buches befreiend geleistet hat."
Die DRV war dem Kläger danach vorrangig zur Gewährung der ihm durch den Bescheid vom 4. Juni 2012 zuerkannten höheren Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. März 2012 verpflichtet. Der Anspruch auf Zahlung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung hängt lediglich davon ab, dass die versicherungsrechtlichen und etwaigen sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind, im Fall einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit die medizinischen Voraussetzungen für die geminderte Erwerbsfähigkeit (s. für den hier in Frage stehenden Zeitraum § 44 SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung i.V. mit § 302b Abs. 1 SGB VI in der vom 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2017 geltenden Fassung). Geldleistungen der Sozialhilfe zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts stellen keinen "Hinzuverdienst" dar, der nach § 96a Abs. 3 SGB VI den Anspruch auf die Rentenleistung mindern würde. Vielmehr sind umgekehrt Leistungen der Sozialhilfe stets nur dann – "nachrangig" – zu gewähren, wenn durch die Rentenleistung (oder andere Einkünfte oder Vermögen) die nach dem dritten oder vierten Kapitel des SGB XII berücksichtigungsfähigen sozialhilferechtlichen Bedarfe nicht gedeckt werden können (§ 2 Abs. 1 i.V. mit § 19 Abs. 1 und 2 SGB XII).
Die DRV hat auch in Unkenntnis der Leistung des Beklagten gezahlt. Hierfür reicht bloßes Kennenmüssen nicht aus; erforderlich ist positive Kenntnis zu Leistungsart, -zeit und -höhe. Nur dann wäre sie in der Lage gewesen, ohne weitere Nachforschungen zu entscheiden, welche Leistungsbestandteile zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs einzubehalten und welche gegebenenfalls weiterhin an den Kläger auszubezahlen gewesen wären (BSG, Urteil vom 25. Januar 1994 – 7 RAr 42/93 –, SozR 3-1300 § 104 Nr. 8, unter II 8 der Gründe m.w.Nachw.). Nach Lage der noch verfügbaren Akten ist bereits nicht erkennbar, dass die DRV zu irgendeinem Zeitpunkt während des Zeitraums, für den sie dem Kläger eine Nachzahlung gewährt hat, überhaupt von dessen Sozialhilfebezug Kenntnis hatte.
Weitere Voraussetzungen sind § 105 Abs. 1 SGB XII nicht zu entnehmen. Im Besonderen ist der Anspruch auf Kostenersatz nach dem Wortlaut der Vorschrift von keinem vorwerfbaren Verhalten abhängig, und zwar weder seitens des Empfängers der Sozialhilfe noch seitens des Trägers der Sozialhilfe. Aus den oben bereits wiedergegebenen Gesetzesmaterialien ergibt sich nichts anderes. Der Sozialhilfeträger sollte die Möglichkeit erhalten, den Nachrang der Sozialhilfe durch einen Anspruch auf Kostenerstattung wieder herzustellen, wenn der Anspruch auf Erstattung gemäß § 104 Abs. 1 SGB X wegen befreiender Zahlung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers an den Leistungsberechtigten nicht mehr besteht. Weitergehende Anforderungen können auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zum fehlenden Wahlrecht von Leistungsträgern zwischen der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs gegenüber einem anderen Leistungsträger und der Rückabwicklung der Leistung gegenüber deren Empfänger auf der Grundlage der Vorschriften über die Rücknahme von Verwaltungsakten (§§ 45ff SGB X) geltend gemacht werden (s. grundlegend BSG, Urteil vom 29. April 1997 – 8 RKn 29/95 –, SozR 3-1300 § 107 Nr. 10 m.w.Nachw. und daran anschließend BSG, Urteil vom 22. Mai 2002 – B 8 KN 11/00 R –, SozR 3-2600 § 93 Nr. 12). Eine Rückabwicklung der Sozialhilfeleistung gegenüber dem Kläger wäre von vornherein deshalb nicht in Betracht gekommen, weil er diese in der Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. März 2012 auch der Höhe nach rechtmäßig erhalten hatte. Die (höhere) Rentenleistung stand in dem genannten Zeitraum nicht als "bereites Mittel" zur Befriedigung eines sozialhilferechtlichen Bedarfs zur Verfügung (s. bereits BVerwG, Urteil vom 17. August 1995 – 5 C 26/93 –, BVerwGE 99, 114).
Ob ein Anspruch eines Trägers der Sozialhilfe auf der Grundlage des § 105 SGB XII unter dem Gesichtspunkt treuwidrigen Verhaltens dann nicht in Betracht kommt, wenn er die Voraussetzungen für den Anspruch bewusst herbeiführt (z.B. indem er trotz einer ihm bekannten Nachzahlung den vorrangig verpflichteten Leistungsträger in Unkenntnis über den Sozialhilfebezug lässt), kann offenbleiben. Hierfür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Als der Kläger dem Sozialgericht Anfang April 2012 mitgeteilt hatte, dass er eine höhere Rente mit einer Nachzahlung erwarte, war noch offen, wann und in welchem Umfang es zu einer geänderten Rentenbewilligung kommen würde. Soweit der Beklagte nicht bereits zu diesem Zeitpunkt einen Erstattungsanspruch gegenüber der DRV geltend gemacht hat, kann dies allenfalls als Nachlässigkeit bei der Verfolgung eigener Interessen angesehen werden. Im Regelfall gibt es keinen plausiblen Grund, aus dem der Träger der Sozialhilfe den Anspruch nach § 105 SGB XII einem Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X vorziehen sollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Erstattungsanspruch durch den vorrangig leistungspflichtigen Träger befriedigt wird, ist ungleich höher als die einer erfolgreichen Vollstreckung eines Anspruchs auf Kostenerstattung gegenüber einer Person, welche regelmäßig bedürftigkeitsabhängige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht.
Der Anspruch auf Kostenerstattung ist im verbleibenden Umfang von (4.594,96 – 90,52 =) 4.504,16 EUR auch der Höhe nach rechtmäßig (§ 105 Abs. 2 SGB XII). Erlangt hat der Kläger durch die Leistung der DRV einen Geldzufluss in dieser Höhe. In keinem Monat der Zeiträume 1. Januar 2008 bis 30. Juni 2009 und 1. August 2009 bis 31. März 2012 war die Höhe der Leistungen des Beklagten unter Abzug des (gemäß § 42 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung bzw. § 42 Nr. 4 SGB XII in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung zu berücksichtigenden) Bedarfs für Unterkunft ohne die Kosten für Heizung und Warmwassererzeugung geringer als die anteilig auf die Monate entfallenden Nachzahlungsbeträge. Der Teil der Leistung, der gemäß § 105 Abs. 2 SGB XII teilweise von der Rückforderung ausgenommen wäre, ist deshalb von vornherein nicht berührt.
Entgegen der offenbar vom Kläger vertretenen Auffassung ist vom Erlangten kein Abzug zu machen, im Besonderen nicht für ein "Schonvermögen" (nicht zu verwertende kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte, § 41 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII und § 1 Satz 1 Nr. 1 Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII). Dies ergibt sich aus dem bereits dargestellten Zweck des Anspruchs nach § 105 SGB XII, den Nachrang der Sozialhilfe durch eine Kostenerstattung des Leistungsberechtigten wiederherzustellen (also den Zustand, der gegeben gewesen wäre, wenn der vorrangig leistungsverpflichtete Träger seine Leistungen im Fälligkeitszeitpunkt tatsächlich erbracht hätte). Auf den definitorischen Unterschied zwischen Einkommen und Vermögen kommt es insoweit nicht an (zur sogenannten modifizierten Zuflusstheorie für die Abgrenzung s. ausführlich BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 35/07 R –, SozR 4-3500 § 82 Nr. 5).
Dem Anspruch auf Kostenersatz gemäß § 105 SGB XII steht schließlich weder dem Grunde noch der Höhe nach die vom Kläger gesehene Aufrechnung mit einer Nachforderung von Kosten der Unterkunft entgegen. Die erforderliche Aufrechnungslage besteht jedenfalls deshalb nicht, weil der vom Kläger behauptete Anspruch auf höhere Leistungen nicht durchsetzbar ist. Es fehlt an der erforderlichen Leistungsbewilligung durch Verwaltungsakt. Nur vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der Kläger mit einer solchen Leistungsbewilligung auch nicht rechnen könnte. Entgegen seiner Auffassung werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung grundsätzlich (nur) in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht (§ 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 SGB XII). Ausnahmsweise kann es sich dann anders verhalten, wenn der Träger der Sozialhilfe die Kosten der Unterkunft und für Heizung und zentrale Warmwasserversorgung durch monatliche Pauschalen festgesetzt hat (§ 35 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 2 SGB XII) und wenn diese Pauschalen im konkreten Fall höher liegen als die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung einschließlich etwaiger zentraler Warmwasserversorgung. Bei dem vom Kläger genannten Betrag von 378, EUR handelte es sich aber nicht um eine solche Pauschale, sondern um einen vom Land Berlin zu bestimmten Zeiten gesehenen – leistungsbegrenzenden – Höchstwert für angemessene Kosten der Unterkunft von Einpersonen-Haushalten.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Da die Klage nur zu einem sehr geringen Teil erfolgreich war, ist eine auch nur teilweise Belastung des Beklagten mit außergerichtlichen Kosten nicht gerechtfertigt.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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