Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 15 AL 8/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 45/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 7. März 2019 aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab 5. Februar 2019 bis 31. Juli 2019, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Berufsausbildungsbeihilfe unter Anrechnung der gewährten Ausbildungsvergütung zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Sozialgericht (SG) ist begründet. Soweit sich die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das erstinstanzliche Verfahren richtet, war sie indes nicht begründet und zurückzuweisen.
Dem am 21. Januar 2016 nach Deutschland eingereisten Antragsteller, der die guineische Staatsangehörigkeit besitzt und am 18. Februar 2016 einen (bislang nicht beschiedenen) Asylantrag gestellt hat und über eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz verfügt, steht im Hinblick auf die vorliegend fachgerichtlich nicht abschließend geklärte Rechtslage zu § 132 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) in der seit 6. August 2016 geltenden Fassung, nach der ein Anspruch des Antragstellers jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen sein dürfte, in Ausfluss der insoweit vorzunehmenden und verfassungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung ein im Wege der tenorierten gerichtlichen Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu sichernder Anordnungsanspruch auf Gewährung von "existenzmitsichernder" Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) zu (vgl auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in dem Beschluss vom 28. September 2017 – 1 BvR 1510/17 – Rn 22; vgl auch Senatsbeschluss vom 16. November 2017 – L 18 AL 182/17 B ER ZVW – juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Januar 2018 – L 14 AL 5/18 B ER – juris – unter Aufgabe der zuvor vertretenen Rechtsauffassung). Eine entsprechende Regelungsanordnung kann auch im Zugunstenverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) ergehen; auch die Rechtskraft des Beschlusses des SG Neuruppin vom 11. Dezember 2018 (- S 12 AL 161/18 ER -) steht dem nicht entgegen, weil im Zugunstenverfahren kein – im Vergleich zur Hauptsache - "verkürzter" Rechtsschutz bestehen kann. Bei der Folgenabwägung war insbesondere auch zu beachten, dass die obergerichtliche verwaltungsrechtliche Rspr zur Auslegung der "Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts" in § 44 Aufenthaltsgesetz – auf den umfangreichen Vortrag des Antragstellers hierzu sei verwiesen - nicht ohne weiteres auf § 132 SGB III übertragbar sein dürfte (vgl BVerfG aaO), wovon das SG indes ausgegangen ist. Die weiteren Voraussetzungen des § 132 Abs. 1 Sätze 1 und 3 SGB III liegen unstreitig vor. Die danach erforderliche Folgenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus. Die Nachteile, die ihm bei Ablehnung des Antrags bei angenommener Begründetheit der Klage in der Hauptsache entstünden, erweisen sich als schwerwiegender als die die Antragsgegnerin treffenden Nachteile bei Stattgabe des Antrags und angenommener Unbegründetheit der Hauptsache. Die dem Grunde nach (vgl § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG analog) ergangene Anordnung ergeht für die Zeit ab 5. Februar 2019 (Antragseingang) bis zum 31. Juli 2019 (Ende des ersten Ausbildungsjahrs), längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, und betrifft das verfassungsrechtlich gewährleistete Existenzminimum des Antragstellers. Die durch eine Ablehnung des Antrags eintretende erhebliche Beeinträchtigung der Existenzsicherung könnte nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, da der elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er entsteht (sog Gegenwärtigkeitsprinzip; vgl BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - juris Rn 19 mwN). Die Gefahr der Uneinbringlichkeit eines Rückforderungsanspruchs bezüglich der insoweit zu leistenden Zahlungen, wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass diese ohne Rechtsgrundlage erfolgt sind, überwiegt die Interessen des Antragstellers nicht.
Für den ausgeworfenen Zeitraum ist ein Anordnungsgrund iS eines zur Vermeidung anders nicht rückgängig zu machender Nachteile unabweisbar dringenden Regelungsbedürfnisses dargetan. Allein der zwischenzeitliche Zeitablauf vermag hieran nichts zu ändern. Denn der Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verbietet es, die Beurteilung des Vorliegens eines Anordnungsgrundes vom Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abhängig zu machen. Der Antragsteller kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass er sich hätte bemühen müssen, das Ziel, wenigstens vorübergehend existenzsichernde Leistungen zu erhalten, auch durch einen Antrag auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu erreichen (vgl zur im Eilrechtsverfahren grundsätzlich möglichen Verweisbarkeit auf subsidiäre SGB XII-Leistungen Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 19. Mai 2017 – VfGBbg 1/16 – juris). Denn einer entsprechenden Leistungsgewährung von Analog-Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG steht hier § 22 Abs. 1 SGB XII entgegen, weil der Antragsteller eine dem Grunde nach förderungsfähige Berufsausbildung absolviert.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dem Antragsteller war weder für das erstinstanzliche Verfahren noch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten zu bewilligen, weil er durch die getroffene Kostenentscheidung in Bezug auf seine außergerichtlichen Kosten nicht als bedürftig anzusehen ist (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung).
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Sozialgericht (SG) ist begründet. Soweit sich die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das erstinstanzliche Verfahren richtet, war sie indes nicht begründet und zurückzuweisen.
Dem am 21. Januar 2016 nach Deutschland eingereisten Antragsteller, der die guineische Staatsangehörigkeit besitzt und am 18. Februar 2016 einen (bislang nicht beschiedenen) Asylantrag gestellt hat und über eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz verfügt, steht im Hinblick auf die vorliegend fachgerichtlich nicht abschließend geklärte Rechtslage zu § 132 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) in der seit 6. August 2016 geltenden Fassung, nach der ein Anspruch des Antragstellers jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen sein dürfte, in Ausfluss der insoweit vorzunehmenden und verfassungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung ein im Wege der tenorierten gerichtlichen Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu sichernder Anordnungsanspruch auf Gewährung von "existenzmitsichernder" Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) zu (vgl auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in dem Beschluss vom 28. September 2017 – 1 BvR 1510/17 – Rn 22; vgl auch Senatsbeschluss vom 16. November 2017 – L 18 AL 182/17 B ER ZVW – juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Januar 2018 – L 14 AL 5/18 B ER – juris – unter Aufgabe der zuvor vertretenen Rechtsauffassung). Eine entsprechende Regelungsanordnung kann auch im Zugunstenverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) ergehen; auch die Rechtskraft des Beschlusses des SG Neuruppin vom 11. Dezember 2018 (- S 12 AL 161/18 ER -) steht dem nicht entgegen, weil im Zugunstenverfahren kein – im Vergleich zur Hauptsache - "verkürzter" Rechtsschutz bestehen kann. Bei der Folgenabwägung war insbesondere auch zu beachten, dass die obergerichtliche verwaltungsrechtliche Rspr zur Auslegung der "Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts" in § 44 Aufenthaltsgesetz – auf den umfangreichen Vortrag des Antragstellers hierzu sei verwiesen - nicht ohne weiteres auf § 132 SGB III übertragbar sein dürfte (vgl BVerfG aaO), wovon das SG indes ausgegangen ist. Die weiteren Voraussetzungen des § 132 Abs. 1 Sätze 1 und 3 SGB III liegen unstreitig vor. Die danach erforderliche Folgenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus. Die Nachteile, die ihm bei Ablehnung des Antrags bei angenommener Begründetheit der Klage in der Hauptsache entstünden, erweisen sich als schwerwiegender als die die Antragsgegnerin treffenden Nachteile bei Stattgabe des Antrags und angenommener Unbegründetheit der Hauptsache. Die dem Grunde nach (vgl § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG analog) ergangene Anordnung ergeht für die Zeit ab 5. Februar 2019 (Antragseingang) bis zum 31. Juli 2019 (Ende des ersten Ausbildungsjahrs), längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, und betrifft das verfassungsrechtlich gewährleistete Existenzminimum des Antragstellers. Die durch eine Ablehnung des Antrags eintretende erhebliche Beeinträchtigung der Existenzsicherung könnte nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, da der elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er entsteht (sog Gegenwärtigkeitsprinzip; vgl BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - juris Rn 19 mwN). Die Gefahr der Uneinbringlichkeit eines Rückforderungsanspruchs bezüglich der insoweit zu leistenden Zahlungen, wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass diese ohne Rechtsgrundlage erfolgt sind, überwiegt die Interessen des Antragstellers nicht.
Für den ausgeworfenen Zeitraum ist ein Anordnungsgrund iS eines zur Vermeidung anders nicht rückgängig zu machender Nachteile unabweisbar dringenden Regelungsbedürfnisses dargetan. Allein der zwischenzeitliche Zeitablauf vermag hieran nichts zu ändern. Denn der Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verbietet es, die Beurteilung des Vorliegens eines Anordnungsgrundes vom Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abhängig zu machen. Der Antragsteller kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass er sich hätte bemühen müssen, das Ziel, wenigstens vorübergehend existenzsichernde Leistungen zu erhalten, auch durch einen Antrag auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu erreichen (vgl zur im Eilrechtsverfahren grundsätzlich möglichen Verweisbarkeit auf subsidiäre SGB XII-Leistungen Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 19. Mai 2017 – VfGBbg 1/16 – juris). Denn einer entsprechenden Leistungsgewährung von Analog-Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG steht hier § 22 Abs. 1 SGB XII entgegen, weil der Antragsteller eine dem Grunde nach förderungsfähige Berufsausbildung absolviert.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dem Antragsteller war weder für das erstinstanzliche Verfahren noch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten zu bewilligen, weil er durch die getroffene Kostenentscheidung in Bezug auf seine außergerichtlichen Kosten nicht als bedürftig anzusehen ist (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung).
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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