Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 AS 4185/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 34/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Rückausnahme nach § 7 Abs. 1 S. 4 und 5 SGB II setzt eine einmal er-folgte Anmeldung bei der (damals) zuständigen Meldebehörde – und im Übri-gen die Glaubhaftmachung (bzw. in einem Klageverfahren den Nachweis) eines fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet ohne wesentliche Unterbrechungen – voraus, nicht aber fortwährende und überdies melderechtskonforme Anmeldungen während der gesamten Dauer der Fünfjahresfrist (so aber wohl LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4.5.2018 – L 6 AS 59/18 B ER; offenlassend LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7.2.2019 – L 2 AS 860/18 B ER; wie hier LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6.6.2017 – L 15 SO 112/17 B ER und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.4.2018 – L 7 AS 2162/17 B ER).
Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
Die nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners vom 11. Februar 2019 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Februar 2019 ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht im Wege der einstweiligen Anordnung entschieden, dass der Antragsgegner der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 4. Dezember 2018 bis zum 31. Mai 2019 zu gewähren habe. Das Beschwerdevorbringen gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlass. Auch der Senat hält es für überwiegend wahrscheinlich, dass die 1974 geborene Antragstellerin – die die p. Staatsangehörigkeit besitzt und zuletzt nach einer kurzen Beschäftigung (1. Dezember 2017 bis 28. Februar 2018) vom Antragsgegner Leistungen für die Zeit vom 1. Mai 2018 bis zum 31. August 2018 unter Zugrundelegung des Regelbedarfs (416,00 Euro), eines Mehrbedarfs für die Warmwassererzeugung (9,57 Euro) und Kosten der Unterkunft und Heizung (388,35 Euro) erhielt – jedenfalls seit dem 13. Januar 2019 nicht mehr dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II unterfällt (I.) Es begegnet auch keinen Bedenken, ihr Leistungen für die davor liegende Zeit zuzusprechen, nämlich bereits ab dem Tag der Eilantragstellung bei Gericht, dem 4. Dezember 2018 (II.).
I. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und Beschwerdeführers dürfte der Antragstellerin – selbst wenn sie gegenwärtig allein ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche besäße und damit an sich nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen wäre – ab dem 13. Januar 2019 ein Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II zustehen. Hiernach erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen abweichend von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben und der Verlust des Rechts auf Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) nicht festgestellt wurde. Die Frist beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (§ 7 Abs. 1 S. 5 SGB II). Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet (§ 7 Abs. 1 S. 6 SGB II). Die Voraussetzungen dieser Rückausnahme vom Leistungsausschluss sind nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens erfüllt.
Die Antragstellerin, die bereits vom 19. November 2007 bis zum 23. Februar 2012 und vom 3. August 2012 bis zum 30. April 2013 in H. gemeldet war, seit dem 1. Mai 2018 erneut hier gemeldet ist und bezüglich derer der Verlust des Rechts auf Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU bisher nicht festgestellt wurde, dürfte seit dem 13. Januar 2014 ihren gewöhnlichen Aufenthalt (erneut) im Bundesgebiet haben. Laut Meldeauskunft vom 4. Dezember 2018 war sie ab diesem Tag wieder in H. gemeldet, nachdem sie sich zuvor nach eigenen Angaben von Mai 2013 an in Ö. aufgehalten hatte. Der Zeitraum der Meldung erstreckt sich zwar nur bis zum 14. Februar 2014, doch stellt der Senat für den Fristbeginn gleichwohl auf den 13. Januar 2014 ab – und nicht erst auf den 1. September 2014 (Meldung in Z., Sachsen-Anhalt) oder den 1. März 2016 (erneute Meldung in H.) –, weil nicht ersichtlich ist, dass der am 13. Januar 2014 begonnene gewöhnliche Aufenthalt im Bundesgebiet in der Folgezeit wesentliche Unterbrechungen erfahren hätte. Durch den von der Antragstellerin vorgelegten Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung und durch ihn ergänzende Dokumente (Arbeitsverträge, elektronische Lohnsteuerbescheinigung, Meldebescheinigungen zur Sozialversicherung, Kündigung) ist glaubhaft gemacht worden, dass die Antragstellerin vom 15. Mai 2014 bis zum 30. Juni 2015, vom 17. Juli 2015 bis zum 10. August 2016, vom 14. Februar 2017 bis zum 30. April 2017 und vom 1. Dezember 2017 bis zum 28. Februar 2018 in H. oder in Z. – und damit im Bundesgebiet – beschäftigt war. Dass sie den Beschäftigungen vom Ausland aus nachgegangen wäre, wie der Antragsgegner und Beschwerdeführer in der Begründung seiner Beschwerde vermutet, ist angesichts der Beschäftigungsorte fernliegend. Auch gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sie sich in Zeiten, in denen sie in H. oder Z. weder beschäftigt noch gemeldet war – es handelt sich um die Zeit vom 15. Februar 2014 bis zum 14. Mai 2014 und vom 1. Juli 2015 bis zum 16. Juli 2015 –, im Ausland aufgehalten hat. Für den ersten Zeitraum hat die Antragstellerin vorgetragen, dass sie sich bei ihrer in H. wohnenden Tochter aufgehalten habe, für den zweiten Zeitraum hat sie vorgetragen, dass sie sich bei ihrem Ehemann (von dem sie seit einiger Zeit dauerhaft getrennt lebt) in Z. aufgehalten habe, zu dem sie am 1. September 2014 gezogen war. Diese Angaben sind glaubhaft. Die Antragstellerin hat überdies angeboten, ihre Tochter und ihren Ehemann hierzu als Zeugen anzuhören.
Es spricht auch nichts dafür, dass es ab dem 13. Januar 2014 Zeiten eines nicht rechtmäßigen Aufenthalts gab, in denen die Antragstellerin ausreisepflichtig war, sodass diese Zeiten bei der Berechnung der Frist ausgenommen werden müssten. Denn Unionsbürger sind erst dann ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht (§ 7 Abs. 1 FreizügG/EU). Eine solche Feststellung wurde hier offenbar nicht getroffen: Die Beigeladene, die in Kenntnis der Rechtslage hinsichtlich des Fristbeginns ebenfalls auf den 13. Januar 2014 abstellt, hätte es dem Gericht und dem Antragsgegner durch ihre Ausländerbehörde sicherlich mitgeteilt, wenn eine Verlustfeststellung getroffen worden wäre.
Es wirkt sich auch nicht zu Lasten der Antragstellerin aus, dass sie seit dem 13. Januar 2014 nicht durchgehend in H. oder Z. – oder in einem anderen Ort im Bundesgebiet – gemeldet war. Zwar kommt der Meldung nach dem Willen des Gesetzgebers konstituierende Wirkung für die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II zu: Mit ihr, so heißt es in der Gesetzesbegründung, dokumentiere der Betroffene seine Verbindung zu Deutschland, die Voraussetzung für eine Aufenthaltsverfestigung sei (BT-Drucks. 18/10211, S. 14; ferner LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4.5.2018 – L 6 AS 59/18 B ER, juris Rn. 27). Es ginge aber zu weit, für das Vorliegen der Rückausnahme nach § 7 Abs. 1 S. 4 und 5 SGB II nicht nur eine einmal erfolgte Anmeldung bei der (damals) zuständigen Meldebehörde – und im Übrigen die Glaubhaftmachung (bzw. in einem Klageverfahren den Nachweis) eines fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet ohne wesentliche Unterbrechungen – genügen zu lassen, sondern fortwährende und überdies melderechtskonforme Anmeldungen während der gesamten Dauer der Fünfjahresfrist zu verlangen (so aber wohl LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4.5.2018 – L 6 AS 59/18 B ER, juris Rn. 27; offenlassend LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7.2.2019 – L 2 AS 860/18 B ER, juris Rn. 48ff.; wie hier LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6.6.2017 – L 15 SO 112/17 B ER, juris Rn. 25, und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.4.2018 – L 7 AS 2162/17 B ER, juris Rn. 21). Der Senat kann weder dem Wortlaut von § 7 Abs. 1 S. 4 und 5 SGB II noch der Gesetzesbegründung (vgl. nochmals BT-Drucks. 18/10211, S. 13ff.) entnehmen, dass für die Rückausnahme vom Leistungsausschluss eine durchgehende melderechtliche Erfassung des Begünstigten zu verlangen ist. Vielmehr spricht der Gesetzgeber selbst davon, dass ausländische Personen, "die sich (.) auf die Rückausnahme vom Leistungsausschluss (.) berufen und einen mindestens fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland behaupten, ( ) hierfür im Zweifelsfall Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers geeignete Nachweise zu erbringen (haben)" (BT-Drucks. 18/10211, S. 15). Er spricht nicht davon, dass eine (melderechtskonforme) Meldung bei den zuständigen Meldebehörden unverzichtbar und in jedem Fall beizubringen ist bzw. dass es auf den Beweis eines mehr als fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalts durch andere Beweismittel als eine Anmeldung überhaupt nur dann ankommt, wenn jedenfalls eine durchgehende Meldung vorliegt und sich unabhängig von ihr Zweifel an der Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts ergeben. Der Senat geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass nach der ersten Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde spätere Umzüge in Deutschland auch ohne Ummeldung unschädlich sind, solange und soweit nachgewiesen – bzw. im Eilverfahren: glaubhaft gemacht – wird, dass der gewöhnliche Aufenthalt im Bundesgebiet fortbestand. Diese Voraussetzung hat die Antragstellerin erfüllt. Es begegnet mithin keinen Bedenken, dass das Sozialgericht ihr Leistungen ab dem 13. Januar 2019 zugesprochen hat.
II. Es begegnet aber auch keinen Bedenken, dass es ihr Leistungen für die davor liegende Zeit vom 4. Dezember 2018 (dem Tag der Eilantragstellung) bis zum 12. Januar 2019 zugesprochen hat. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass es insoweit offen ist, ob die Antragstellerin vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II betroffen ist oder nicht, und dass die deswegen vorzunehmende Folgenabwägung zu ihren Gunsten ausfällt.
So ist nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben hat aufgrund ihrer mutmaßlich rechtmäßigen Aufenthalte in H. von 2007 bis 2013 (Meldungen liegen vor für die Zeit vom 19. November 2007 bis zum 23. Februar 2012 und vom 3. August 2012 bis zum 30. April 2013). Rechtmäßig könnte ihr Aufenthalt allein deswegen gewesen sein, weil ihre Tochter in dieser Zeit in H. zur Schule ging, während die Unterbrechung ihres Aufenthalts (24. Februar 2012 bis 2. August 2012) allein nach § 4a Abs. 6 Nr. 1 FreizügG/EU unbeachtlich sein könnte. Dieses Daueraufenthaltsrecht hätte die Antragstellerin auch nicht durch ihren anschließenden Aufenthalt in Ö. (Mai 2013 bis Januar 2014) wieder verloren (vgl. § 4a Abs. 7 FreizügG/EU). Wäre die Unterbrechung ihres Aufenthalts im Jahr 2012 zudem auch aus Sicht des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II unbeachtlich (nach der Gesetzesbegründung sind unwesentliche Unterbrechungen für den Ablauf der Fünfjahresfrist nach dieser Norm unschädlich, vgl. BT-Drucks. 18/10211, S. 14), was von der genauen Dauer der Unterbrechung und dem Grund der Abwesenheit abhängen dürfte, dann hätte die Antragstellerin die Voraussetzungen der Rückausnahme vom Leistungsauschluss schon seit April 2013 erfüllt und nicht erst seit Januar 2019. Schließlich kommt in Betracht, dass der Antragstellerin aufgrund ihrer insgesamt mehr als einjährigen Beschäftigungen aus den Jahren 2014 bis 2018 seit dem 1. März 2018 eine unbefristet nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU zusteht (nach BSG, Urteil vom 13.7.2017 – B 4 AS 17/16 R, wird keine ununterbrochene Tätigkeit von mehr als einem Jahr verlangt, sondern es können auch von Arbeitslosigkeit unterbrochene Tätigkeiten das gesetzliche Erfordernis einer mehr als einjährigen Tätigkeit erfüllen). Diese Freizügigkeitsberechtigung würde von vornherein verhindern, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
Die nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners vom 11. Februar 2019 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Februar 2019 ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht im Wege der einstweiligen Anordnung entschieden, dass der Antragsgegner der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 4. Dezember 2018 bis zum 31. Mai 2019 zu gewähren habe. Das Beschwerdevorbringen gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlass. Auch der Senat hält es für überwiegend wahrscheinlich, dass die 1974 geborene Antragstellerin – die die p. Staatsangehörigkeit besitzt und zuletzt nach einer kurzen Beschäftigung (1. Dezember 2017 bis 28. Februar 2018) vom Antragsgegner Leistungen für die Zeit vom 1. Mai 2018 bis zum 31. August 2018 unter Zugrundelegung des Regelbedarfs (416,00 Euro), eines Mehrbedarfs für die Warmwassererzeugung (9,57 Euro) und Kosten der Unterkunft und Heizung (388,35 Euro) erhielt – jedenfalls seit dem 13. Januar 2019 nicht mehr dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II unterfällt (I.) Es begegnet auch keinen Bedenken, ihr Leistungen für die davor liegende Zeit zuzusprechen, nämlich bereits ab dem Tag der Eilantragstellung bei Gericht, dem 4. Dezember 2018 (II.).
I. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und Beschwerdeführers dürfte der Antragstellerin – selbst wenn sie gegenwärtig allein ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche besäße und damit an sich nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen wäre – ab dem 13. Januar 2019 ein Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II zustehen. Hiernach erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen abweichend von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben und der Verlust des Rechts auf Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) nicht festgestellt wurde. Die Frist beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (§ 7 Abs. 1 S. 5 SGB II). Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet (§ 7 Abs. 1 S. 6 SGB II). Die Voraussetzungen dieser Rückausnahme vom Leistungsausschluss sind nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens erfüllt.
Die Antragstellerin, die bereits vom 19. November 2007 bis zum 23. Februar 2012 und vom 3. August 2012 bis zum 30. April 2013 in H. gemeldet war, seit dem 1. Mai 2018 erneut hier gemeldet ist und bezüglich derer der Verlust des Rechts auf Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU bisher nicht festgestellt wurde, dürfte seit dem 13. Januar 2014 ihren gewöhnlichen Aufenthalt (erneut) im Bundesgebiet haben. Laut Meldeauskunft vom 4. Dezember 2018 war sie ab diesem Tag wieder in H. gemeldet, nachdem sie sich zuvor nach eigenen Angaben von Mai 2013 an in Ö. aufgehalten hatte. Der Zeitraum der Meldung erstreckt sich zwar nur bis zum 14. Februar 2014, doch stellt der Senat für den Fristbeginn gleichwohl auf den 13. Januar 2014 ab – und nicht erst auf den 1. September 2014 (Meldung in Z., Sachsen-Anhalt) oder den 1. März 2016 (erneute Meldung in H.) –, weil nicht ersichtlich ist, dass der am 13. Januar 2014 begonnene gewöhnliche Aufenthalt im Bundesgebiet in der Folgezeit wesentliche Unterbrechungen erfahren hätte. Durch den von der Antragstellerin vorgelegten Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung und durch ihn ergänzende Dokumente (Arbeitsverträge, elektronische Lohnsteuerbescheinigung, Meldebescheinigungen zur Sozialversicherung, Kündigung) ist glaubhaft gemacht worden, dass die Antragstellerin vom 15. Mai 2014 bis zum 30. Juni 2015, vom 17. Juli 2015 bis zum 10. August 2016, vom 14. Februar 2017 bis zum 30. April 2017 und vom 1. Dezember 2017 bis zum 28. Februar 2018 in H. oder in Z. – und damit im Bundesgebiet – beschäftigt war. Dass sie den Beschäftigungen vom Ausland aus nachgegangen wäre, wie der Antragsgegner und Beschwerdeführer in der Begründung seiner Beschwerde vermutet, ist angesichts der Beschäftigungsorte fernliegend. Auch gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sie sich in Zeiten, in denen sie in H. oder Z. weder beschäftigt noch gemeldet war – es handelt sich um die Zeit vom 15. Februar 2014 bis zum 14. Mai 2014 und vom 1. Juli 2015 bis zum 16. Juli 2015 –, im Ausland aufgehalten hat. Für den ersten Zeitraum hat die Antragstellerin vorgetragen, dass sie sich bei ihrer in H. wohnenden Tochter aufgehalten habe, für den zweiten Zeitraum hat sie vorgetragen, dass sie sich bei ihrem Ehemann (von dem sie seit einiger Zeit dauerhaft getrennt lebt) in Z. aufgehalten habe, zu dem sie am 1. September 2014 gezogen war. Diese Angaben sind glaubhaft. Die Antragstellerin hat überdies angeboten, ihre Tochter und ihren Ehemann hierzu als Zeugen anzuhören.
Es spricht auch nichts dafür, dass es ab dem 13. Januar 2014 Zeiten eines nicht rechtmäßigen Aufenthalts gab, in denen die Antragstellerin ausreisepflichtig war, sodass diese Zeiten bei der Berechnung der Frist ausgenommen werden müssten. Denn Unionsbürger sind erst dann ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht (§ 7 Abs. 1 FreizügG/EU). Eine solche Feststellung wurde hier offenbar nicht getroffen: Die Beigeladene, die in Kenntnis der Rechtslage hinsichtlich des Fristbeginns ebenfalls auf den 13. Januar 2014 abstellt, hätte es dem Gericht und dem Antragsgegner durch ihre Ausländerbehörde sicherlich mitgeteilt, wenn eine Verlustfeststellung getroffen worden wäre.
Es wirkt sich auch nicht zu Lasten der Antragstellerin aus, dass sie seit dem 13. Januar 2014 nicht durchgehend in H. oder Z. – oder in einem anderen Ort im Bundesgebiet – gemeldet war. Zwar kommt der Meldung nach dem Willen des Gesetzgebers konstituierende Wirkung für die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II zu: Mit ihr, so heißt es in der Gesetzesbegründung, dokumentiere der Betroffene seine Verbindung zu Deutschland, die Voraussetzung für eine Aufenthaltsverfestigung sei (BT-Drucks. 18/10211, S. 14; ferner LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4.5.2018 – L 6 AS 59/18 B ER, juris Rn. 27). Es ginge aber zu weit, für das Vorliegen der Rückausnahme nach § 7 Abs. 1 S. 4 und 5 SGB II nicht nur eine einmal erfolgte Anmeldung bei der (damals) zuständigen Meldebehörde – und im Übrigen die Glaubhaftmachung (bzw. in einem Klageverfahren den Nachweis) eines fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet ohne wesentliche Unterbrechungen – genügen zu lassen, sondern fortwährende und überdies melderechtskonforme Anmeldungen während der gesamten Dauer der Fünfjahresfrist zu verlangen (so aber wohl LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4.5.2018 – L 6 AS 59/18 B ER, juris Rn. 27; offenlassend LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7.2.2019 – L 2 AS 860/18 B ER, juris Rn. 48ff.; wie hier LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6.6.2017 – L 15 SO 112/17 B ER, juris Rn. 25, und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.4.2018 – L 7 AS 2162/17 B ER, juris Rn. 21). Der Senat kann weder dem Wortlaut von § 7 Abs. 1 S. 4 und 5 SGB II noch der Gesetzesbegründung (vgl. nochmals BT-Drucks. 18/10211, S. 13ff.) entnehmen, dass für die Rückausnahme vom Leistungsausschluss eine durchgehende melderechtliche Erfassung des Begünstigten zu verlangen ist. Vielmehr spricht der Gesetzgeber selbst davon, dass ausländische Personen, "die sich (.) auf die Rückausnahme vom Leistungsausschluss (.) berufen und einen mindestens fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland behaupten, ( ) hierfür im Zweifelsfall Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers geeignete Nachweise zu erbringen (haben)" (BT-Drucks. 18/10211, S. 15). Er spricht nicht davon, dass eine (melderechtskonforme) Meldung bei den zuständigen Meldebehörden unverzichtbar und in jedem Fall beizubringen ist bzw. dass es auf den Beweis eines mehr als fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalts durch andere Beweismittel als eine Anmeldung überhaupt nur dann ankommt, wenn jedenfalls eine durchgehende Meldung vorliegt und sich unabhängig von ihr Zweifel an der Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts ergeben. Der Senat geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass nach der ersten Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde spätere Umzüge in Deutschland auch ohne Ummeldung unschädlich sind, solange und soweit nachgewiesen – bzw. im Eilverfahren: glaubhaft gemacht – wird, dass der gewöhnliche Aufenthalt im Bundesgebiet fortbestand. Diese Voraussetzung hat die Antragstellerin erfüllt. Es begegnet mithin keinen Bedenken, dass das Sozialgericht ihr Leistungen ab dem 13. Januar 2019 zugesprochen hat.
II. Es begegnet aber auch keinen Bedenken, dass es ihr Leistungen für die davor liegende Zeit vom 4. Dezember 2018 (dem Tag der Eilantragstellung) bis zum 12. Januar 2019 zugesprochen hat. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass es insoweit offen ist, ob die Antragstellerin vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II betroffen ist oder nicht, und dass die deswegen vorzunehmende Folgenabwägung zu ihren Gunsten ausfällt.
So ist nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben hat aufgrund ihrer mutmaßlich rechtmäßigen Aufenthalte in H. von 2007 bis 2013 (Meldungen liegen vor für die Zeit vom 19. November 2007 bis zum 23. Februar 2012 und vom 3. August 2012 bis zum 30. April 2013). Rechtmäßig könnte ihr Aufenthalt allein deswegen gewesen sein, weil ihre Tochter in dieser Zeit in H. zur Schule ging, während die Unterbrechung ihres Aufenthalts (24. Februar 2012 bis 2. August 2012) allein nach § 4a Abs. 6 Nr. 1 FreizügG/EU unbeachtlich sein könnte. Dieses Daueraufenthaltsrecht hätte die Antragstellerin auch nicht durch ihren anschließenden Aufenthalt in Ö. (Mai 2013 bis Januar 2014) wieder verloren (vgl. § 4a Abs. 7 FreizügG/EU). Wäre die Unterbrechung ihres Aufenthalts im Jahr 2012 zudem auch aus Sicht des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II unbeachtlich (nach der Gesetzesbegründung sind unwesentliche Unterbrechungen für den Ablauf der Fünfjahresfrist nach dieser Norm unschädlich, vgl. BT-Drucks. 18/10211, S. 14), was von der genauen Dauer der Unterbrechung und dem Grund der Abwesenheit abhängen dürfte, dann hätte die Antragstellerin die Voraussetzungen der Rückausnahme vom Leistungsauschluss schon seit April 2013 erfüllt und nicht erst seit Januar 2019. Schließlich kommt in Betracht, dass der Antragstellerin aufgrund ihrer insgesamt mehr als einjährigen Beschäftigungen aus den Jahren 2014 bis 2018 seit dem 1. März 2018 eine unbefristet nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU zusteht (nach BSG, Urteil vom 13.7.2017 – B 4 AS 17/16 R, wird keine ununterbrochene Tätigkeit von mehr als einem Jahr verlangt, sondern es können auch von Arbeitslosigkeit unterbrochene Tätigkeiten das gesetzliche Erfordernis einer mehr als einjährigen Tätigkeit erfüllen). Diese Freizügigkeitsberechtigung würde von vornherein verhindern, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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