Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
150
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 150 AS 17766/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 1066/19
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Aufrechnung gegen den Vergütungsanspruch eines Rechtsanwalts mit Ansprüchen gegen den Leistungsempfänger ist nicht möglich, wenn der Rechtsanwalt seine Tätigkeit gegenüber dem Leistungsempfänger unentgeltlich (pro bono) erbracht hat.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen Betrag von 380,80 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren nach einer Aufrechnungsentscheidung des Beklagten.
Die Mandantin des Klägers, Frau Z., begehrte in einem Überprüfungsverfahren die Überprüfung bestandskräftig gewordener Bescheide seit dem 1. Januar 2013. Nachdem der Überprüfungsantrag zunächst vom Beklagten abgelehnt worden war, half dieser dem Begehren der Frau Z. auf deren Widerspruch ab. Der Kläger, der Frau Z. im Widerspruchsverfahren vertreten hatte, hatte ihr gegenüber auf eine Vergütung verzichtet (pro bono).
Mit Schreiben vom 02.07.2015 begehrte der Kläger Kostenerstattung in Höhe von 380,80 EUR vom Beklagten. Dieser erkannte die Kostenforderung mit Schreiben vom 08.07.2015 zwar in voller Höhe an, teilte jedoch mit, es ergebe sich kein auszuzahlender Kostenerstattungsanspruch. Der Beklagte habe gegen den sich zugunsten der Mandantin des Klägers ergebenden Kostenerstattungsanspruch mit einem eigenen Erstattungsanspruch aufgerechnet. Den hiergegen am 05.08.2015 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2015 als unzulässig zurück. Die Aufrechnung sei kein Verwaltungsakt, sondern die Wahrnehmung eines zivilrechtlichen Gestaltungsrechts.
Mit seiner am 28.08.2015 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter.
Zur Begründung macht er geltend, es liege bereits keine Aufrechnungslage vor. Aufgrund der pro bono – Konstellation gem. § 9 BerHG sei die Kostenforderung originär bei ihm entstanden. In der Person der Mandantin sei kein Anspruch gegen den Beklagten auf Kostenerstattung entstanden, weshalb auch nicht gegen einen solchen Anspruch aufgerechnet werden könne. Die Nichtgewährung von Beratungshilfe stehe nicht entgegen, da ausreichend sei, dass die Voraussetzungen für deren Gewährung vorlägen. Das sei der Fall. Weiter verweist der Kläger darauf, dass selbst bei fehlender pro bono – Konstellation die sich gegenüberstehenden Forderungen nicht gleichartig wären: der Geldforderung des Beklagten stehe dann ein Anspruch auf Freistellung der Mandantin von den Rechtsverfolgungskosten gegenüber. Der Kläger rügt außerdem, dass die Aufrechnungserklärung schematisch, ohne Ermessensausübung erfolgt sei. Schließlich hält er die Aufrechnung für verfassungswidrig.
Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Aufrechnungsbescheids vom 08.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.08.2015 zu verurteilen, ihm einen Betrag von 380,80 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft er sich zunächst auf die Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid. Selbst bei Beratungshilfe würde der Forderungsübergang einer Aufrechnung nicht entgegenstehen. Da Beratungshilfe nicht beantragt oder gewährt wurde, könne auf diese auch nicht abgestellt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
I. Die als kombinierte Anfechtungs- und allgemeine Leistungsklage erhobene Klage ist unstatthaft, soweit der Anfechtungsantrag in Rede steht, denn die Aufrechnungserklärung des Beklagten ist kein Verwaltungsakt (vgl. LSG Rheinland-Pfalz v. 6.5.2015 – L 6 AS 288/13, RdNr. 16; juris). Das Schreiben des Beklagten vom 08.07.2015 stellt auch keinen Form-Verwaltungsakt dar; Anhaltspunkte dafür sind dem Schreiben nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat den Widerspruch zutreffend als unzulässig zurückgewiesen.
Der Leistungsantrag hingegen ist zulässig. Insbesondere kann der Kläger einen eigenen Zahlungsanspruch geltend machen.
II. Die Zahlungsklage ist auch begründet.
1. Der Anspruch ergibt sich aus § 4 Abs. 1 S. 4 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG) i.V.m. § 9 S. 1 des Gesetzes über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz – BerHG). Der Beklagte hat dem Widerspruch der Mandantin des Klägers abgeholfen. Grundsätzlich ist er bei Abhilfe zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten gem. § 63 SGB X verpflichtet. Danach steht der Anspruch auf Übernahme der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung einschließlich der Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes grundsätzlich dem Widerspruchsführer selbst zu, so dass der Kläger diese nicht in eigenem Namen geltend machen könnte. Hier hat der Kläger jedoch, vom Beklagten unwidersprochen, auf ein Beratungshonorar verzichtet. Seine Mandantin war mithin keiner Honorarforderung des Klägers ausgesetzt. Dies ist jedoch erforderlich für einen Kostenerstattungsanspruch gem. § 63 SGB X (vgl. hierzu Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Oktober 2013 – L 7 AS 1139/12 –, Rn. 39, juris, m.w.N.)
a) In dieser Situation schafft § 4 Abs. 1 S. 4 RVG durch den Verweis auf die Regelung des § 9 BerHG eine Rechtsgrundlage, mit der der Bevollmächtigte einen Vergütungsanspruch unmittelbar vom "Gegner", hier also dem Beklagten, erwirbt. Allein diese Auslegung wird dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung gerecht. Diese lautet:
"§ 4 Erfolgsunabhängige Vergütung (1) 1In außergerichtlichen Angelegenheiten kann eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart werden. 2Sie muss in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stehen. 3Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vor, kann der Rechtsanwalt ganz auf eine Vergütung verzichten. 4§ 9 des Beratungshilfegesetzes bleibt unberührt."
§ 4 Abs. 1 RVG wurde durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts mit Wirkung zum 1. Januar 2014 durch die neuen Sätze 3 und 4 ergänzt. Nach § 4 Abs.1 Satz 3 kann der Rechtsanwalt ganz auf eine Vergütung verzichten, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vorliegen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 4 RVG bleibt § 9 BerHG unberührt. Mit der Einführung von § 4 Abs. 1 Satz 3 RVG wollte der Gesetzgeber die Möglichkeit schaffen, unentgeltlich (pro bono) tätig zu werden, wenn die Voraussetzungen für die Beratungshilfe vorliegen. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu:
"Die Neuregelung soll die Möglichkeit schaffen, unentgeltlich (pro bono) tätig zu sein, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vorliegen. Nach geltendem Recht ist dies bislang allenfalls für die außergerichtliche – reine – Beratung möglich, nicht aber für Vertretungsfälle, soweit nicht nur ein nachträglich zulässiger Erlass nach § 49b Absatz 1 Satz 2 BRAO vorliegt ... Die strikten Einschränkungen unentgeltlicher Tätigkeit widersprechen dabei allerdings praktischen Bedürfnissen: Nach einer Studie des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement aus dem Jahr 2011 bearbeiten derzeit bereits etwa zwei Drittel aller Anwälte mehrere Mandate im Jahr pro bono (vgl. die Zusammenfassung der Studie bei Kilian, AnwBl. 2012, S. 45 ff.). Zusätzlich ist davon auszugehen, dass in etlichen Fällen, in denen Anwälte Beratungshilfe leisten, aus Gründen mangelnder Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Ertrag ohnehin darauf verzichtet wird, einen Vergütungsantrag bei Gericht zu stellen. Die Neuregelung in § 4 Absatz 1 Satz 3 bestimmt daher ausdrücklich, dass in Beratungshilfefällen künftig – rechtlich unangreifbar – auf eine Vergütung ganz verzichtet werden kann." (BT-Drs. 17/11472, 49)
Die Voraussetzungen für eine pro bono – Tätigkeit des Klägers waren erfüllt. Zwar hatte seine Mandantin weder Beratungshilfe beantragt, noch bezogen. Doch dies ist nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 1 S. 3 RVG auch nicht erforderlich. Erforderlich, aber auch ausreichend ist allein, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vorliegen. Dies hat der Kläger, vom Beklagten unwidersprochen, vorgetragen. Anhaltspunkte, hieran zu zweifeln, sind weder ersichtlich, noch dargetan.
b) Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte der Vergütungsverzicht des pro bono tätig gewordenen Bevollmächtigten jedoch nicht einem erstattungspflichtigen Gegner zu Gute kommen, sondern dieser sollte verpflichtet bleiben, die Kosten für die anwaltliche Vertretung zu übernehmen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu:
"Der erstattungspflichtige Gegner soll vom Vergütungsverzicht allerdings nicht profitieren, weswegen § 4 Absatz 1 Satz 3 die Vorschrift in § 9 ausdrücklich für anwendbar erklärt." (a.a.O.)
Zwar ist der Verweis pauschal gehalten und nimmt auf die Regelung des § 9 BerHG insgesamt Bezug. Diese lautet:
"1Ist der Gegner verpflichtet, dem Rechtsuchenden die Kosten der Wahrnehmung seiner Rechte zu ersetzen, hat er für die Tätigkeit der Beratungsperson die Vergütung nach den allgemeinen Vorschriften zu zahlen. 2Der Anspruch geht auf die Beratungsperson über. 3Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Rechtsuchenden geltend gemacht werden."
Bei dieser Sachlage kann die Verweisung in § 4 Abs. 1 Satz 4 RVG auf die Vorschrift des § 9 BerHG nur als eingeschränkte Rechtsgrundverweisung dahin verstanden werden, dass der Bevollmächtigte – sofern der Gegner ohne die pro bono – Vereinbarung zur Erstattung der Kosten gegenüber dem Rechtsuchenden verpflichtet wäre – einen Vergütungsanspruch gegen den Gegner erwirbt.
2. Gegen diesen Anspruch konnte der Beklagte nicht wirksam mit ihm gegen die Mandantin des Klägers zustehenden Erstattungsforderungen aufrechnen. Eine Aufrechnungslage ist insoweit nicht gegeben. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) setzt voraus, dass zwei Personen einander Leistungen schulden. Schon daran fehlt es hier. Der Kläger ist zu keinem Zeitpunkt Schuldner des Beklagten gewesen und seine Mandantin – betreffend den relevanten Kostenerstattungsanspruch – nie Gläubigern des Beklagten. Dementsprechend liegen auch die Voraussetzungen des § 406 BGB, auf den sich der Beklagte beruft, nicht vor. Die Vorschrift lautet;
"§ 406 Aufrechnung gegenüber dem neuen Gläubiger Der Schuldner kann eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger zustehende Forderung auch dem neuen Gläubiger gegenüber aufrechnen, es sei denn, dass er bei dem Erwerb der Forderung von der Abtretung Kenntnis hatte oder dass die Forderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist."
Die Mandantin des Klägers ist hier nicht "bisherige Gläubigerin", denn aufgrund der vereinbarten Unentgeltlichkeit der Tätigkeit des Klägers ist sie keiner Forderung des Klägers ausgesetzt, die sie als außergerichtliche Kosten gem. § 63 SGB X geltend machen könnte. Bei dem von dem Kläger geltend gemachten Anspruch handelt es sich gerade nicht um den ursprünglich seiner Mandantin zustehenden Anspruch auf Übernahme der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nach § 63 SGB X, der auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts für ein isoliertes Widerspruchsverfahren umfasst.
Auf die in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung umstrittene Frage, ob im Fall eines Übergangs des zunächst dem Leistungsempfänger zustehenden Anspruchs auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten als außergerichtliche Kosten auf den Rechtsanwalt eine Aufrechnung zulässig ist, insbesondere die sich gegenüberstehenden Forderungen als gleichartig zu bewerten sind, kommt es mithin vorliegend nicht an.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. Da es dem Kläger in der Sache um die Zahlung der von ihm in Rechnung gestellten Forderung geht und er mit diesem Begehren vollständig Erfolg hatte, ist es gerechtfertigt, dem Beklagten die Verfahrenskosten vollständig aufzuerlegen.
IV. Die Berufung war zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren nach einer Aufrechnungsentscheidung des Beklagten.
Die Mandantin des Klägers, Frau Z., begehrte in einem Überprüfungsverfahren die Überprüfung bestandskräftig gewordener Bescheide seit dem 1. Januar 2013. Nachdem der Überprüfungsantrag zunächst vom Beklagten abgelehnt worden war, half dieser dem Begehren der Frau Z. auf deren Widerspruch ab. Der Kläger, der Frau Z. im Widerspruchsverfahren vertreten hatte, hatte ihr gegenüber auf eine Vergütung verzichtet (pro bono).
Mit Schreiben vom 02.07.2015 begehrte der Kläger Kostenerstattung in Höhe von 380,80 EUR vom Beklagten. Dieser erkannte die Kostenforderung mit Schreiben vom 08.07.2015 zwar in voller Höhe an, teilte jedoch mit, es ergebe sich kein auszuzahlender Kostenerstattungsanspruch. Der Beklagte habe gegen den sich zugunsten der Mandantin des Klägers ergebenden Kostenerstattungsanspruch mit einem eigenen Erstattungsanspruch aufgerechnet. Den hiergegen am 05.08.2015 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2015 als unzulässig zurück. Die Aufrechnung sei kein Verwaltungsakt, sondern die Wahrnehmung eines zivilrechtlichen Gestaltungsrechts.
Mit seiner am 28.08.2015 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter.
Zur Begründung macht er geltend, es liege bereits keine Aufrechnungslage vor. Aufgrund der pro bono – Konstellation gem. § 9 BerHG sei die Kostenforderung originär bei ihm entstanden. In der Person der Mandantin sei kein Anspruch gegen den Beklagten auf Kostenerstattung entstanden, weshalb auch nicht gegen einen solchen Anspruch aufgerechnet werden könne. Die Nichtgewährung von Beratungshilfe stehe nicht entgegen, da ausreichend sei, dass die Voraussetzungen für deren Gewährung vorlägen. Das sei der Fall. Weiter verweist der Kläger darauf, dass selbst bei fehlender pro bono – Konstellation die sich gegenüberstehenden Forderungen nicht gleichartig wären: der Geldforderung des Beklagten stehe dann ein Anspruch auf Freistellung der Mandantin von den Rechtsverfolgungskosten gegenüber. Der Kläger rügt außerdem, dass die Aufrechnungserklärung schematisch, ohne Ermessensausübung erfolgt sei. Schließlich hält er die Aufrechnung für verfassungswidrig.
Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Aufrechnungsbescheids vom 08.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.08.2015 zu verurteilen, ihm einen Betrag von 380,80 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft er sich zunächst auf die Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid. Selbst bei Beratungshilfe würde der Forderungsübergang einer Aufrechnung nicht entgegenstehen. Da Beratungshilfe nicht beantragt oder gewährt wurde, könne auf diese auch nicht abgestellt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
I. Die als kombinierte Anfechtungs- und allgemeine Leistungsklage erhobene Klage ist unstatthaft, soweit der Anfechtungsantrag in Rede steht, denn die Aufrechnungserklärung des Beklagten ist kein Verwaltungsakt (vgl. LSG Rheinland-Pfalz v. 6.5.2015 – L 6 AS 288/13, RdNr. 16; juris). Das Schreiben des Beklagten vom 08.07.2015 stellt auch keinen Form-Verwaltungsakt dar; Anhaltspunkte dafür sind dem Schreiben nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat den Widerspruch zutreffend als unzulässig zurückgewiesen.
Der Leistungsantrag hingegen ist zulässig. Insbesondere kann der Kläger einen eigenen Zahlungsanspruch geltend machen.
II. Die Zahlungsklage ist auch begründet.
1. Der Anspruch ergibt sich aus § 4 Abs. 1 S. 4 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG) i.V.m. § 9 S. 1 des Gesetzes über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz – BerHG). Der Beklagte hat dem Widerspruch der Mandantin des Klägers abgeholfen. Grundsätzlich ist er bei Abhilfe zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten gem. § 63 SGB X verpflichtet. Danach steht der Anspruch auf Übernahme der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung einschließlich der Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes grundsätzlich dem Widerspruchsführer selbst zu, so dass der Kläger diese nicht in eigenem Namen geltend machen könnte. Hier hat der Kläger jedoch, vom Beklagten unwidersprochen, auf ein Beratungshonorar verzichtet. Seine Mandantin war mithin keiner Honorarforderung des Klägers ausgesetzt. Dies ist jedoch erforderlich für einen Kostenerstattungsanspruch gem. § 63 SGB X (vgl. hierzu Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Oktober 2013 – L 7 AS 1139/12 –, Rn. 39, juris, m.w.N.)
a) In dieser Situation schafft § 4 Abs. 1 S. 4 RVG durch den Verweis auf die Regelung des § 9 BerHG eine Rechtsgrundlage, mit der der Bevollmächtigte einen Vergütungsanspruch unmittelbar vom "Gegner", hier also dem Beklagten, erwirbt. Allein diese Auslegung wird dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung gerecht. Diese lautet:
"§ 4 Erfolgsunabhängige Vergütung (1) 1In außergerichtlichen Angelegenheiten kann eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart werden. 2Sie muss in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stehen. 3Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vor, kann der Rechtsanwalt ganz auf eine Vergütung verzichten. 4§ 9 des Beratungshilfegesetzes bleibt unberührt."
§ 4 Abs. 1 RVG wurde durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts mit Wirkung zum 1. Januar 2014 durch die neuen Sätze 3 und 4 ergänzt. Nach § 4 Abs.1 Satz 3 kann der Rechtsanwalt ganz auf eine Vergütung verzichten, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vorliegen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 4 RVG bleibt § 9 BerHG unberührt. Mit der Einführung von § 4 Abs. 1 Satz 3 RVG wollte der Gesetzgeber die Möglichkeit schaffen, unentgeltlich (pro bono) tätig zu werden, wenn die Voraussetzungen für die Beratungshilfe vorliegen. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu:
"Die Neuregelung soll die Möglichkeit schaffen, unentgeltlich (pro bono) tätig zu sein, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vorliegen. Nach geltendem Recht ist dies bislang allenfalls für die außergerichtliche – reine – Beratung möglich, nicht aber für Vertretungsfälle, soweit nicht nur ein nachträglich zulässiger Erlass nach § 49b Absatz 1 Satz 2 BRAO vorliegt ... Die strikten Einschränkungen unentgeltlicher Tätigkeit widersprechen dabei allerdings praktischen Bedürfnissen: Nach einer Studie des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement aus dem Jahr 2011 bearbeiten derzeit bereits etwa zwei Drittel aller Anwälte mehrere Mandate im Jahr pro bono (vgl. die Zusammenfassung der Studie bei Kilian, AnwBl. 2012, S. 45 ff.). Zusätzlich ist davon auszugehen, dass in etlichen Fällen, in denen Anwälte Beratungshilfe leisten, aus Gründen mangelnder Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Ertrag ohnehin darauf verzichtet wird, einen Vergütungsantrag bei Gericht zu stellen. Die Neuregelung in § 4 Absatz 1 Satz 3 bestimmt daher ausdrücklich, dass in Beratungshilfefällen künftig – rechtlich unangreifbar – auf eine Vergütung ganz verzichtet werden kann." (BT-Drs. 17/11472, 49)
Die Voraussetzungen für eine pro bono – Tätigkeit des Klägers waren erfüllt. Zwar hatte seine Mandantin weder Beratungshilfe beantragt, noch bezogen. Doch dies ist nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 1 S. 3 RVG auch nicht erforderlich. Erforderlich, aber auch ausreichend ist allein, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vorliegen. Dies hat der Kläger, vom Beklagten unwidersprochen, vorgetragen. Anhaltspunkte, hieran zu zweifeln, sind weder ersichtlich, noch dargetan.
b) Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte der Vergütungsverzicht des pro bono tätig gewordenen Bevollmächtigten jedoch nicht einem erstattungspflichtigen Gegner zu Gute kommen, sondern dieser sollte verpflichtet bleiben, die Kosten für die anwaltliche Vertretung zu übernehmen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu:
"Der erstattungspflichtige Gegner soll vom Vergütungsverzicht allerdings nicht profitieren, weswegen § 4 Absatz 1 Satz 3 die Vorschrift in § 9 ausdrücklich für anwendbar erklärt." (a.a.O.)
Zwar ist der Verweis pauschal gehalten und nimmt auf die Regelung des § 9 BerHG insgesamt Bezug. Diese lautet:
"1Ist der Gegner verpflichtet, dem Rechtsuchenden die Kosten der Wahrnehmung seiner Rechte zu ersetzen, hat er für die Tätigkeit der Beratungsperson die Vergütung nach den allgemeinen Vorschriften zu zahlen. 2Der Anspruch geht auf die Beratungsperson über. 3Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Rechtsuchenden geltend gemacht werden."
Bei dieser Sachlage kann die Verweisung in § 4 Abs. 1 Satz 4 RVG auf die Vorschrift des § 9 BerHG nur als eingeschränkte Rechtsgrundverweisung dahin verstanden werden, dass der Bevollmächtigte – sofern der Gegner ohne die pro bono – Vereinbarung zur Erstattung der Kosten gegenüber dem Rechtsuchenden verpflichtet wäre – einen Vergütungsanspruch gegen den Gegner erwirbt.
2. Gegen diesen Anspruch konnte der Beklagte nicht wirksam mit ihm gegen die Mandantin des Klägers zustehenden Erstattungsforderungen aufrechnen. Eine Aufrechnungslage ist insoweit nicht gegeben. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) setzt voraus, dass zwei Personen einander Leistungen schulden. Schon daran fehlt es hier. Der Kläger ist zu keinem Zeitpunkt Schuldner des Beklagten gewesen und seine Mandantin – betreffend den relevanten Kostenerstattungsanspruch – nie Gläubigern des Beklagten. Dementsprechend liegen auch die Voraussetzungen des § 406 BGB, auf den sich der Beklagte beruft, nicht vor. Die Vorschrift lautet;
"§ 406 Aufrechnung gegenüber dem neuen Gläubiger Der Schuldner kann eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger zustehende Forderung auch dem neuen Gläubiger gegenüber aufrechnen, es sei denn, dass er bei dem Erwerb der Forderung von der Abtretung Kenntnis hatte oder dass die Forderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist."
Die Mandantin des Klägers ist hier nicht "bisherige Gläubigerin", denn aufgrund der vereinbarten Unentgeltlichkeit der Tätigkeit des Klägers ist sie keiner Forderung des Klägers ausgesetzt, die sie als außergerichtliche Kosten gem. § 63 SGB X geltend machen könnte. Bei dem von dem Kläger geltend gemachten Anspruch handelt es sich gerade nicht um den ursprünglich seiner Mandantin zustehenden Anspruch auf Übernahme der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nach § 63 SGB X, der auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts für ein isoliertes Widerspruchsverfahren umfasst.
Auf die in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung umstrittene Frage, ob im Fall eines Übergangs des zunächst dem Leistungsempfänger zustehenden Anspruchs auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten als außergerichtliche Kosten auf den Rechtsanwalt eine Aufrechnung zulässig ist, insbesondere die sich gegenüberstehenden Forderungen als gleichartig zu bewerten sind, kommt es mithin vorliegend nicht an.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. Da es dem Kläger in der Sache um die Zahlung der von ihm in Rechnung gestellten Forderung geht und er mit diesem Begehren vollständig Erfolg hatte, ist es gerechtfertigt, dem Beklagten die Verfahrenskosten vollständig aufzuerlegen.
IV. Die Berufung war zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
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