S 20 AY 55/19 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
20
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 20 AY 55/19 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zu den Anforderungen an den Nachweis der negativen Tatsache, dass der Antragsteller die Angaben zu seiner Person nicht erfunden hat.
2. Zur Verwertung von zeitlich zurückliegenden Verhaltensweisen bei der Prüfung der Frage, ob aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Sinne von § 1a Abs. 2, 3 AsylbLG verhindert wurden.
3. Der zuletzt im Jahr 2016 für den alleinstehenden Antragsteller auf 354 ? festgesetzte Regelbedarf ist gemäß § 3 Abs. 4 AsylbLG jeweils zum 1. Januar eines Jahres entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nummer 1 SGB XII zu erhöhen.
I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach § 3 AsylbLG im Zeitraum vom 2. Juli 2019 bis 31. Dezember 2019 in Höhe von monatlich 337,14 EUR zu gewähren.

II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

III. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von höheren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Der 1944 geborene Antragsteller reiste 1999 aus dem damaligen Jugoslawien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ein Asylantrag und ein Asylfolgeantrag blieben ohne Erfolg. Seit ca. 15 Jahren ist der aufenthaltsrechtliche Status des Antragstellers über Duldungen geregelt. Das damalige Regierungspräsidium Chemnitz teilte mit Schreiben vom 6. Januar 2006 mit, dass die Ausstellung eines Passersatzes durch die zuständige konsularische Vertretung von Serbien und Kroatien verweigert worden wäre. Als Grund wird "falsche Angaben" vermerkt, ohne dass hierzu ein Nachweis vorläge oder präzisiert würde, wer welche falschen Angaben gemacht habe. Die Aufenthaltsbehörden bemühten sich anschließend darum, dass die Botschaften von Serbien oder Montenegro für den Antragsteller Ausweispapiere ausstellten. Die Serbische Botschaft teilte der Landesdirektion Chemnitz ausweislich einer Email vom 29. April 2009 telefonisch mit, dass es sich bei dem Antragsteller "um höchste Wahrscheinlichkeit um einen Mazedonier" handele (Bl. 108 Aufenthaltsakte). Seit 15. März 2012 lebt der Antragsteller im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners. Am 12. Februar 2016 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Gegen die Ablehnung dieses Antrages mit Bescheid vom 23. Oktober 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2019 hat der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht Dresden Klage erhoben (Az.: 3 K 947/19), über die noch nicht entschieden ist. Am 8. Juli 2016 versuchte der Antragsgegner, den Antragsteller auf dem Luftweg über Wien nach Belgrad abzuschieben. Nachdem ihm die Einreise nach Serbien von den Grenzbehörden untersagt worden war, kehrte er am 9. Juli 2016 aus Wien kommend wieder über den Flughafen Berlin-Tegel in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Am 26. Juli 2016 beantragte der Antragsteller die Anerkennung als Staatenloser. Über diesen Antrag hat der Antragsgegner offenbar bis heute nicht entschieden. Seit 1. Januar 2016 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller zunächst nur noch abgesenkte Leistungen nach § 1a AsylbLG. Auf eine entsprechende Verpflichtung des Antragsgegners durch den Widerspruchsbescheid der Landesdirektion Sachsen vom 5. März 2019 gewährte der Antragsgegner allerdings mit Bescheid vom 15. März 2019 für Juli bis Dezember 2018 monatlich 320 EUR nach § 3 AsylbLG. Gegen die mit Bescheid vom 13. Dezember 2018 für den Zeitraum Januar bis Juli 2019 erfolgte Leistungsbewilligung in Höhe von monatlich 151,11 EUR nach § 1a AsylbLG erhob der Antragsteller Widerspruch, über den – soweit ersichtlich – bislang noch nicht entschieden ist. Dem von der übergeordneten Landesdirektion Sachsen telefonisch erteilten Rat, die problematische persönliche Situation des Antragstellers durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu lösen, folgte der Antragsgegner nicht (Vermerk vom 12. Februar 2019, Leistungsakte Bl. 394). Mit Email vom 10. April 2019 teilte die Landesdirektion Sachsen dem Antragsgegner mit, dass "auf Grund seiner Ausreisepflicht wegen des abgelehnten Antrages auf Asyl selbstverständlich Abschiebungswille unsererseits" bestehe. Da der Antragsteller bislang nicht gegenüber einem Herkunftsland identifiziert werden konnte, könne die Ausreisepflicht bislang nicht vollzogen werden. Mit Schreiben vom 16. April 2019 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, einen gültigen Pass, Passersatz oder Reisedokument bis zum 16. Mai 2019 vorzulegen bzw. entsprechende Nachweise seiner Bemühungen einzureichen. Mit Schreiben vom 13. Mai 2019 teilte der Antragsteller mit, dass er eine schriftliche Bestätigung seiner Staatsbürgerschaft bzw. Nichtstaatsbürgerschaft von der serbischen Botschaft nur erhalte, wenn er 100 EUR als Gebühr sofort bezahle. Für ihn kämen drei Staatsbürgerschaften (kroatisch, mazedonisch, serbisch) in Betracht. Er bitte daher um Überweisung eines Kostenvorschusses in Höhe von 450 EUR zuzüglich Reisekosten nach Berlin. Der Antragsgegner teilte mit Schreiben vom 16. Mai 2019 mit, dass im Asylbewerberleistungsrecht die Zahlung von Vorschüssen nicht vorgesehen sei. Es werde darauf hingewiesen, dass der Antragsteller am 15. März 2019 eine Nachzahlung in Höhe von 1.013,34 EUR erhalten habe. Mit Schreiben vom 6. Juni 2019 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu einer beabsichtigten Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG an. Der Antragsgegner trug vor, es dürfte Staatenlosigkeit gegeben sein. Er habe sich intensiv um Passbeschaffung bemüht. Weder Kroatien noch Serbien erteilten dem Antragsteller eine Einreiseerlaubnis. Mit Bescheid vom 24. Juni 2019 bewilligte der Antragsgegner für Juli bis Dezember 2019 monatlich 151,11 EUR. Der Antragsteller erhob am 26. Juni 2017 Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist. Der Antragsteller hat am 2. Juli 2019 vor dem Sozialgericht Dresden die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Er trägt vor, es sei bereits unter dem Az. S 20 AY 1/18 vor dem Sozialgericht Dresden ein Verfahren wegen einer vorangegangenen Leistungskürzung anhängig. Er habe versucht, seine Staatsbürgerschaft zu klären. Nach seiner Überzeugung müsse er Staatsbürger von Kroatien sein. Kroatien lehne jedoch seine Anerkennung als Staatsbürger ab. Seine Anfrage bei der Kirchenverwaltung von B. sei ergebnislos verlaufen. Der Antragsteller beantragt: Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Bargeldleistungen nach dem AsylbLG im vollen Umfang, mithin in einer Höhe von monatlich mindestens 340 EUR vorläufig monatlich auszuzahlen. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, der Antragsteller habe es zu vertreten, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten. Er sei mehrfach aufgefordert worden, Nachweise seiner Bemühungen zur Beschaffung von Identitätspapieren einzureichen. Es bestünden begründete Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des Antragstellers zu seiner Person. Er habe keine Anstrengungen unternommen, diese Zweifel aus der Welt zu räumen. Aus den Angaben des Antragstellers könne entnommen werden, dass er im Besitz irgendeines, wahrscheinlich des jugoslawischen Passes sei. Die Aushändigung dieses Passes werde rein vorsorglich verlangt. Dies solle das Gericht dem Antragsteller aufgeben. Die Leistungen aus Abteilung 4 (Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung) würden dem Antragsteller, der in einer Asylbewerberunterkunft untergebracht sei, in Höhe von 33,86 EUR als Sachleistungen erbracht. Hierzu hat der Antragsteller klargestellt, dass er weder im Besitz eines Passes der ehemaligen Republik Jugoslawien noch eines anderen Staates sei. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist weit überwiegend begründet. 1. Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG mit dem Inhalt, den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig existenzsichernde Leistungen zu gewähren, zulässig. 2. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erfolg des Antrages ist, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorliegen. Für eine vorläufige Entscheidung müssen gewichtige Gründe vorliegen (Anordnungsgrund). Der Anordnungsgrund liegt vor, wenn dem Antragsteller wesentliche, insbesondere irreversible Nachteile drohen, die für ihn ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar machen und die Regelung zur Verhinderung dieser unzumutbaren Nachteile durch eine Anordnung nötig erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1977, Az: 2 BvR 42/76). Ferner muss ein Anordnungsanspruch vorliegen. Dabei muss es sich um einen der Durchsetzung zugänglichen materiell-rechtlichen Anspruch des Antragstellers handeln (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn. 27 ff.). Eine einstweilige Anordnung ergeht demnach nur, wenn sie nach gebotener summarischer Prüfung der Sachlage zur Abwendung wesentlicher, nicht wieder gutzumachender Nachteile für den Antragsteller notwendig ist. Dabei hat der Antragsteller wegen der von ihm geltend gemachten Eilbedürftigkeit der Entscheidung die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §§ 202 SGG, 294 Zivilprozessordnung (ZPO), also Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, glaubhaft zu machen. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. a) Der Anordnungsanspruch beruht auf §§ 1, 3 Abs. 2 AsylbLG. Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG. Damit ist der Anwendungsbereich des AsylbLG eröffnet. Nach § 3 Abs. 2 AsylbLG sind bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes vorbehaltlich des Satzes 4 vorrangig Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG (Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts) zu gewähren. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für Leistungen gemäß § 3 Abs. 2 AsylbLG liegen vor. Die Voraussetzungen für den Kürzungstatbestand nach § 1a Abs. 2, 3 AsylbLG sind dagegen nicht gegeben. Nach § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG haben Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 5, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden. Nach § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG gilt Absatz 2 entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 AsylbLG, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Es ist nach Lage der Akten nicht ersichtlich, dass die Ausreise des Antragstellers aus Gründen, die er zu vertreten hat, nicht durchgeführt werden kann bzw. dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann. Hierfür können Verhaltensweisen des Antragstellers vor dem 5. März 2019 nicht mehr herangezogen werden. Denn mit Widerspruchsbescheid vom 5. März 2019 hat die Landesdirektion Sachsen – als übergeordnete Behörde für den Antragsgegner rechtsverbindlich – festgestellt, dass dem Antragsteller eine fehlende Mitwirkung nicht angelastet werden könne. Zwar bleibe die Vermutung, dass an den Identitätsangaben des Antragstellers etwas "nicht stimmen" könne, beweisen lasse sich das allerdings nicht. Solange sich hinsichtlich der Identität/Personalien des Antragstellers keine neuen Hinweise ergäben, erschienen wiederkehrende behördliche Aufforderungen zu Vorsprachen bei den Botschaften, die den Antragstellers schon bislang nicht als ihren Staatsangehörigen identifizieren konnten, überflüssig und nicht zielführend. Für sein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Juli 2016 sei der Antragsteller bereits sanktioniert worden. Seither – und im Übrigen auch vorher – sei er behördlichen Mitwirkungsaufforderungen stets nachgekommen. Dass er Aufforderungen vom 28. November 2017 und 24. Juli 2018 nicht Folge geleistet habe, sei ihm in Anbetracht der seit Jahren von Amts wegen erfolglos betriebenen Versuche zur Identitätsklärung/Passbeschaffung nicht als Verletzung seiner Mitwirkungspflicht anzulasten. Auch in der Zeit nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2019 ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller eine Verletzung seiner Mitwirkungspflicht vorgeworfen werden könnte. Die erneute Aufforderung durch den Antragsgegner vom 16. April 2019 entspricht genau den Aufforderungen, die nach der – für den Antragsgegner als nachgeordnete Behörde verbindlichen – Rechtsauffassung der Landesdirektion Sachsen, die die Kammer für zutreffend hält, nicht erfolgsversprechend und zielführend waren. Dennoch hat der Antragsteller mit Schreiben vom 13. Mai 2019 angeboten, sich erneut in verschiedenen Botschaften in Berlin vorzustellen. Hierzu bat er lediglich um finanzielle Unterstützung, was in Anbetracht der damals laufenden Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG nachvollziehbar erscheint. In dieser Situation wäre es durchaus denkbar und möglich gewesen, dass der Antragsgegner dem Antragsteller in welcher Art auch immer Hilfe oder Unterstützung bei der Umsetzung seines Vorschlages anbietet. Dies hätte beispielsweise in der Form eines Beratungsgespräches erfolgen können. Der Antragsgegner hätte dem Antragsteller Begleitung bei der Vorsprache bei den Botschaften oder zumindest eine Kontaktaufnahme mit den Botschaften zur vorherigen Klärung der erforderlichen Dokumente anbieten können. Stattdessen erfolgte mit Schreiben des Antragsgegners vom 16. Mai 2019 eine umfassende Ablehnung des Anliegens des Antragstellers unter Verweis auf eine vor über zwei Monate erfolgte Nachzahlung der zuvor rechtswidrig vom Antragsgegner einbehaltenen Leistungen für das unabweisbare menschenwürdige Existenzminimum des Antragstellers. Unter diesen Umständen kann dem Antragsteller nicht vorgeworfen werden, zumutbaren Mitwirkungsaufforderungen nicht nachgekommen zu sein. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass der Antragsteller am Erfolg seiner Mitwirkungsaufforderungen kein Interesse hat, sondern diese einzig mit dem Ziel der anschließenden Leistungsminderung herausgibt. Die Behauptung, der Antragsteller habe seine Angaben zur Person frei erfunden, wird im Übrigen weiterhin durch keine stichhaltigen Nachweise belegt. Es ist nicht ersichtlich, wie der Antragsteller die negative Tatsache, dass er die Angaben zu seiner Person nicht erfunden hat, belegen soll, solange die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien ihm Dokumente zu seiner Identität nicht aushändigen. Für den Antragsteller sind hingegen durchaus Möglichkeiten denkbar, wie er die Identität des Antragstellers weiter aufklären könnte. So ist bislang – soweit ersichtlich – seitens der Aufenthaltsbehörden noch keine sachverständige Hilfe hinzugezogen worden, um die Identität des Antragstellers zu klären. Dies erscheint insbesondere in Zusammenarbeit mit dem EU-Mitgliedsstaat Kroatien, zu dem intensive Rechtsbeziehungen auf verschiedensten Verwaltungsebenen bestehen, nicht von vornherein aussichtslos, sofern der Antragsgegner tatsächlich Interesse an einer entsprechenden Klärung hat. Insgesamt ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner die überragende Bedeutung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG, vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 –) bei Erlass des Bescheides vom 24. Juni 2019 auch nur ansatzweise erkannt und berücksichtigt hat. Der Antragsgegner erwähnt in seiner Ermessenentscheidung weder die außergewöhnliche lange, nur über Duldungen abgesicherte Aufenthaltsdauer des Antragstellers in Deutschland, noch dessen fortgeschrittenes Lebensalter und seinen eingeschränkten Gesundheitszustand. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG wiederum erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Dem Gesetzgeber kommt ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zu, die mit der Bestimmung der Höhe dessen verbunden sind, was die physische und soziale Existenz eines Menschen sichert. Dieses Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar und muss durch einen Leistungsanspruch eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen im Hinblick auf die konkreten Bedarfe der Betroffenen auszurichten hat (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 –, Rn. 62). Art. 1 Abs. 1 GG erklärt die Würde des Menschen für unantastbar und verpflichtet alle staatliche Gewalt, sie zu achten und zu schützen. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter zu erlangen sind, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 125, 175 (222)). Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt (BVerfG, a. a. O., Rn. 63). Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (BVerfG, a. a. O., Rn. 64). Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichtet. Maßgeblich für die Bestimmung des Existenzminimums können dabei nur die Gegebenheiten in Deutschland sein, dem Land, in dem dieses Existenzminimum gewährleistet sein muss. Daher erlaubt es die Verfassung nicht, das in Deutschland zu einem menschenwürdigen Leben Notwendige unter Hinweis auf das Existenzniveau des Herkunftslandes von Hilfebedürftigen oder auf das Existenzniveau in anderen Ländern niedriger als nach den hiesigen Lebensverhältnissen geboten festzulegen (BVerfG, a. a. O., Rn. 67). Lassen sich tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und will der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, muss er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasst, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhalten. Dies lässt sich zu Beginn des Aufenthalts nur anhand einer Prognose beurteilen. Diese bemisst sich zwar nicht allein, aber auch am jeweiligen Aufenthaltsstatus. Dabei ist stets dessen Einbindung in die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Eine Beschränkung auf ein durch etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte geprägtes Existenzminimum ist unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus und ohne Rücksicht auf die Berechtigung einer ursprünglich gegenteiligen Prognose jedenfalls dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten hat. Für diese Fälle ist ein zeitnaher, an den Gründen des unterschiedlichen Bedarfs orientierter Übergang von den existenzsichernden Leistungen für Kurzaufenthalte zu den Normalfällen im Gesetz vorzusehen (BVerfG, a. a. O., Rn. 75 f.). Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren (13. Ausschuss) vom 24. Mai 1993, BTDrucks 12/5008, S. 13 f.). Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren (BVerfG, a. a. O., Rn. 95). Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann die Anspruchseinschränkung durch den Antragsgegner im Rahmen des vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes keinen Bestand haben. Es verstößt gegen die Menschenwürde des Antragstellers, dass der Antragsgegner die Leistungen des Antragstellers trotz der klaren Hinweise der Landesdirektion Sachsen im Widerspruchsbescheid vom 5. März 2019 erneut weit unter das menschenwürdige Existenzminimum kürzt. Der Anspruch des Antragstellers nach § 3 Abs. 2 AsylbLG beläuft sich der Höhe nach auf 337,14 EUR monatlich. Denn der zuletzt im Jahr 2016 für den alleinstehenden Antragsteller auf 354 EUR festgesetzte Regelbedarf ist gemäß § 3 Abs. 4 AsylbLG jeweils zum 1. Januar eines Jahres entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nummer 1 SGB XII zu erhöhen. Hierzu führt das SG Bremen im Beschluss vom 15. April 2019 – S 40 AY 23/19 ER –, Rn. 18 – 24, aus: "Diese Erhöhung des Leistungsanspruchs ergibt sich direkt aus dem Gesetz. Die Regelbedarfshöhe im AsylblG ist an die Erhöhung der Regelbedarfe nach dem SGB XII gekoppelt. Soweit die Leistungsveränderungen nach dem SGB XII feststehen, sind die Leistungen nach § 3 AsylblG entsprechend anzupassen. Die Fortschreibung der Regelbedarfe dient der Dynamisierung der Leistungen, um ein jahrelanges statisches Festhalten an nicht mehr realitätsgerechten Festsetzungen zu vermeiden (Wahrendorf, AsylblG, Kommentar 2017, § 3 Rn. 67). Der Leistungsbezieher hat daher einen einklagbaren Anspruch auf Leistungen in angepasster Höhe (a.A. Hohm, ZFSH SGB 2/2019, S. 68 ff.). Eine vorherige Entscheidung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber ist nicht notwendig, da die Norm die Berechnung vorgibt und somit keine wesentliche Entscheidung zu treffen ist. Aus § 3 Abs. 4 S. 3 AsylblG folgt nicht, dass vor der Anpassung der Leistungshöhe eine Entscheidung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) erfolgen muss. Das BMAS hat nur die Höhe der Bedarfe im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben. Eine unterlassene Veröffentlichung führt nicht dazu, dass die durch Gesetz vorgeschriebene Anpassung unterbleibt. Die Bekanntgabe ist nicht verbindlich, sondern dient der Transparenz und einheitlichen Gesetzesanwendung (Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 3 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 179; a.A. Hohm, ZFSH SGB 2/2019, S. 68 ff.). Sinn und Zweck der Bekanntgabe durch das BMAS ist daher lediglich die Sicherstellung einer einheitlichen Leistungsberechnung. Zweck der Vorschrift ist dagegen nicht, dass bei einer unterlassenen Bekanntgabe die gesetzlich vorgeschriebene Leistungserhöhung ausbleibt. Kommt das BMAS seiner Pflicht zur Bekanntgabe der höheren Leistungssätze nicht nach, kann der Zweck einer bundeseinheitlichen Leistungsgewährung eventuell nicht sofort erfüllt werden. In diesem Fall sind alle Leistungsträger dazu verpflichtet, die Leistungsberechnung unter Berücksichtigung der zwingenden gesetzlichen Anpassungsvorschriften selbst vorzunehmen. Die unterlassene Rechtsanwendung des BMAS kann nicht zulasten der Leistungsempfänger gehen. Soweit § 3 Abs. 5 AsylblG vorschreibt, dass bei einer neuen bundesweiten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe der notwendige persönliche Bedarf (§ 3 Abs. 1 AsylblG) und die Höhe des notwendigen Bedarfs (§ 3 Abs. 2 AsylblG) neu festgesetzt werden, führt dies nicht dazu, dass bei einer Unterlassung dieser Neufestsetzung keine Erhöhung nach § 3 Abs. 4 AsylblG zu erfolgen hat. Bis zu einer tatsächlichen Neufestsetzung durch den Gesetzgeber ist weiterhin die gesetzliche vorgeschriebene Erhöhung nach § 3 Abs. 4 AsylblG durchzuführen ( ). Dieser Gesetzesauslegung stehen auch nicht die Ausführungen des BMAS in der Stellungnahme vom 29.01.2019 entgegen. Insoweit nimmt das BMAS lediglich Bezug auf § 3 Abs. 5 AsylblG und stellt ohne jegliche Begründung die Behauptung auf, dass mangels Neufestsetzung nach § 3 Abs. 5 AsylblG auch eine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylblG ausscheidet. Für das Jahr 2017 beträgt die Erhöhung 1,24 %, so dass der Regelbedarf des Antragstellers i.H.v. 354 EUR um 4,28 EUR (354 / 100 * 1,24) zu erhöhen ist. Aufgrund der Rundungsregelung beträgt der Regelsatz 358 EUR. Für das Jahr 2018 beträgt die Erhöhung 1,63 %, so dass der Regelbedarf der Antragstellerin i.H.v. 358 EUR um 5,84 EUR (358 / 100 * 1,63) zu erhöhen ist. Aufgrund der Rundungsregelung beträgt der Regelsatz 364 EUR. Für das Jahr 2019 beträgt die Erhöhung 2,02 %, so dass der Regelbedarf der Antragstellerin i.H.v. 364 EUR um 7,35 EUR (364 / 100 * 2,02) zu erhöhen ist. Aufgrund der Rundungsregelung beträgt der Regelsatz 371 EUR." Dieser Auffassung schließt sich die Kammer in vollem Umfang an (so auch bereits: SG Stade, Urteil vom 13. November 2018 – S 19 AY 15/18 –; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. Mai 2019 – L 8 AY 49/18 –). Von dem Regelbedarf in Höhe von 371 EUR waren die Sachleistungen in Höhe von monatlich 33,86 EUR abzuziehen, die Antragsteller nach unwidersprochenem Vortrag des Antragsgegners in der Asylbewerberunterkunft für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung erhält. b) Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er hat insbesondere die Dringlichkeit der Durchsetzung seiner Ansprüche dargelegt, da er nach seinen aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht in der Lage ist, seine existentiellen Bedarfe aus eigenen Mitteln zu begleichen. Damit ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Vermeidung einer Verletzung seines Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums geboten. 3. Soweit der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners zu Gewährung von Leistungen in Höhe von mehr als 337,14 EUR, nämlich "mindestens 340 EUR monatlich" begehrt, macht er einen Anordnungsanspruch, wie oben ausführlich dargelegt, nicht glaubhaft. 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Da der Antrag des Antragstellers zum weit überwiegenden Teil erfolgreich war, entspricht es der Billigkeit, dass der Antragsgegner die vollen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten hat. 5. Dieser Beschluss ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG für den Antragsteller unanfechtbar, da hinsichtlich der Antragsablehnung der Beschwerdewert von 750 EUR nicht erreicht ist.
Rechtskraft
Aus
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