Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 20 SO 147/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2018 verurteilt, der Klägerin ab dem 01.09.2017 bis vorerst 30.11.2019 laufende Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel SGB XII dem Grunde nach in gesetzlicher Höhe zu gewähren und zu bezahlen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach.
III. Gerichtskosten werden für das Verfahren nicht erhoben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung laufender Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).
I.
Die 1999 geborene Klägerin steht unter gesetzlicher Betreuung ihrer Eltern. Sie bewohnt zusammen mit ihren Eltern und ihrer Schwester eine den Eltern gehörende Eigentumswohnung, Baujahr 1899, von 100 m² und vier Zimmern mit Gaszentralheizung. Die Gesamtkosten der Unterkunft betragen monatlich EUR 1.812,30, davon Finanzierungskosten in Höhe von EUR 1.560,00 und Nebenkosten in Höhe von EUR 252,30. Die Eltern sind als Landwirte selbständig tätig. Die Klägerin leidet an einer psychomotorischen Entwicklungsstörung, Sehminderung beidseits und Hydrozephalus (mit Ventil versorgt). Aufgrund dessen hat sie einen Grad der Behinderung von 80 sowie die Merkzeichen B, G und H (letzteres bis zum 18. Lebensjahr).
Am 18.04.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung laufender Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII.
Sie besuche noch bis zum 31.07.2017 das Berufsvorbereitungsjahr im W. in A., danach die Tagesstätte und werde vom Fahrdienst nach Hause gebracht. Kostenträger hierfür sei der Bezirk M ...
Aufgrund ihrer Behinderung sei die Klägerin dauerhaft voll erwerbsgemindert. Dies gehe aus einer gutachterlichen Stellungnahme vom 07.02.2017 des Dr. K. vom ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit ("BA") hervor. Danach sei die Klägerin voraussichtlich auf Dauer nur noch in der Lage, unter drei Stunden täglich Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Eine angedachte Eingliederung in eine geeignete Werkstatt für behinderte Menschen ("WfbM") sei aus sozialmedizinischer Sicht zu befürworten. Zum 01.09.2017 sei zudem die Aufnahme in eine WfbM geplant, genauer im Eingangs- (drei Monate) und sodann im Berufsbildungsbereich (24 Monate) in den R.-Werkstätten gGmbh. Die Maßnahme dauere bis 30.11.2019.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 20.07.2017 lehnte die Beklagte die Gewährung laufender Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel SGB XII ab. Nach § 21 SGB XII würden Personen, die nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt seien, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Eine Leistungsgewährung nach dem SGB XII sei also immer nachrangig gegenüber Leistungen nach dem SGB II. Personen, die zur Bedarfsgemeinschaft gehören würden, würden Leistungen nach dem SGB II erhalten (§ 7 SGB II). Neben den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten würden auch die dem Haushalt angehörenden, unverheirateten Kinder zur Bedarfsgemeinschaft gehören, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen könnten (§ 7 Abs. 3 SGB II). Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II würden nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben würden, Sozialgeld erhalten, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII hätten. Die Klägerin gehöre zusammen mit ihren erwerbsfähigen Eltern und ihrer Schwester einer solchen Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II an. Laufende Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII seien daher bereits deswegen ausgeschlossen. Auch sei seitens des Rentenversicherungsträgers eine volle Erwerbsminderung auf Zeit nicht festgestellt worden. Aber auch für Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII seien die Voraussetzungen nicht erfüllt. Nach § 41 Abs. 3 SGB XII seien nach dem Vierten Kapitel leistungsberechtigt diejenigen, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten und unabhängig von der Arbeitsmarktlage auf Dauer voll erwerbsgemindert seien im Sinne des § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Zum jetzigen Zeitpunkt sei eine dauerhafte, volle Erwerbsminderung vom Rentenversicherungsträger nicht bindend festgestellt, so dass die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nach dem Vierten Kapitel SGB XII noch nicht gegeben seien. Bis zur Feststellung der dauerhaften, vollen Erwerbsminderung sei der SGB-II-Leistungsträger zuständig (Jobcenter A-Stadt) für die Prüfung, ob Sozialgeld im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II zustehe, oder durch Einschaltung des Rentenversicherungsträgers das Vorliegen der Voraussetzungen der vollen Erwerbsminderung prüfen zu lassen. Ab dem 01.09.2017 werde die Klägerin den Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM besuchen. Während dieser Zeit solle gemäß § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII ein Ersuchen zur Feststellung der dauerhaften Erwerbsminderung gemäß § 109a Abs. 2 SGB VI beim Rentenversicherungsträger unterbleiben, da gerade erst nach Durchlaufen des Eingangs- und Berufsbildungsbereiches festgestellt werde solle, ob eine dauerhafte volle Erwerbsminderung unabhängig von der Arbeitsmarktlage vorliege oder nicht. Gerade in dieser Zeit solle die Klägerin sich qualifizieren. Es sei daher im Moment wenig zielführend, bereits jetzt über den Träger der Rentenversicherung ein Feststellungsverfahren über eine dauerhafte Erwerbsminderung zu betreiben. Gleiches gelte für das bis 31.08.2017 absolvierte Berufsvorbereitungsjahr, welches auch den Zweck einer Qualifizierung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verfolge. Die Klägerin möge sich an das Jobcenter wenden.
II.
Mit Schreiben vom 26.07.2017 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch. Sie habe bereits am 21.06.2017 das 18. Lebensjahr vollendet und somit vor Änderung des SGB zum 01.07.2017. Sie bitte daher, zur bis zum 01.07.2017 geübten Praxis des Sozialamtes zurückzukehren, wonach Personen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM als dauerhaft erwerbsgemindert angesehen würden. Auch die BA habe die Klägerin als dauerhaft voll erwerbsgemindert eingeschätzt. Es werde daher darum gebeten, beim zuständigen Rentenversicherungsträger ein entsprechendes Ersuchen auf Überprüfung der Erwerbsfähigkeit zu stellen. Es bestehe Einverständnis damit, dass dieser die Erprobung und Qualifizierung im Eingangsbereich der WfbM abwarte, begehrt werde aber trotzdem eine rückwirkende Leistung ab Maßnahmebeginn. Zudem sei parallel ein Antrag nach dem SGB II gestellt worden, über den noch nicht beschieden sei.
Das Jobcenter A-Stadt lehnte zwischenzeitlich bestandskräftig mit Bescheid vom 23.08.2017 Leistungen nach dem SGB II wegen fehlender Bedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft ab. Zugleich leitete das Jobcenter die Frage nach der Erwerbsfähigkeit der Klägerin dem Rentenversicherungsträger zu. Die Beklagte schlug daraufhin das Ruhen des Widerspruchsverfahrens bis zum Ergebnis der Prüfung durch den Rentenversicherungsträger vor.
Zwischenzeitlich zog das Jobcenter jedoch den Begutachtungsauftrag beim Rentenversicherungsträger zurück.
Zur weiteren Begründung ihres Widerspruchs trug die Klägerin vor, die Neufassung des § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII führe nicht dazu, dass die Klägerin als erwerbsfähig zu betrachten sei. Die Vorschrift regele, dass der für die Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII zuständige Träger keine Vorlage an den Rentenversicherungsträger machen müsse zur Überprüfung der Erwerbsfähigkeit bei Personen, die den Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM durchlaufen oder dort im Arbeitsbereich beschäftigt seien. Die Zusammenschau der Nummern 1, 2 und 4 der Vorschrift verdeutliche, dass in diesen Fällen stets von einer vollen Erwerbsminderung auszugehen sei. § 45 SGB XII schränke mit seinem Satz 1 die Amtsermittlungspflicht des Sozialhilfeträgers abweichend von § 20 SGB X dahingehend ein, dass dieser das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII nicht selbst in freier Amtsermittlung prüfe, sondern den zuständigen Rentenversicherungsträger um Prüfung derselben zu ersuchen habe. Dabei sei für die Anwendbarkeit des § 45 SGB XII Voraussetzung, dass der Sozialhilfeträger im Rahmen einer Vorprüfung das Vorliegen einer dauerhaften Erwerbsminderung zumindest für wahrscheinlich hält. Sei dies der Fall, habe der Sozialhilfeträger den Rentenversicherungsträger mit bindender Wirkung um Prüfung der Erwerbsfähigkeit zu ersuchen, es sei denn, es sei ein Ausnahmefall des § 45 S. 3 SGB XII gegeben. Dabei sei auch bei § 45 S. 3 Nr. 3 SGB XII bei Personen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM nicht nur ein Ersuchen an den Rentenversicherungsträger entbehrlich, sondern ebenso wie bei den anderen Ausnahmefällen von einer vollen Erwerbsminderung auf Dauer auszugehen (vgl. SG Augsburg, 16.02.2018, Az.: S 8 SO 143/17). Aus dem Kontext der Vorschrift ergebe sich, dass das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII unterstellt werde. Bei den anderen Fallgruppen des § 45 S. 3 SGB XII sei hinreichend klar, dass vom Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung auf Dauer auszugehen sei. In der von der Beklagten vertretenen Auslegung würde § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alternative im Vergleich zu den übrigen Ausnahmefällen der Vorschrift einen völlig systemwidrigen Fremdkörper darstellen. Für einen derartigen gesetzgeberischen Willen fehle es an Anhaltspunkten. Vielmehr solle in allen vier Ausnahmefällen gerade deswegen keine Vorlage an den Rentenversicherungsträger erfolgen, weil das Vorliegen von Erwerbsminderung anzunehmen sei. Hauck/Noftz zögen in ihrer Kommentierung (§ 45 SGB XII RdNr. 36) sogar den Schluss, dass damit für jede Phase des Besuchs einer WfbM die Voraussetzungen des § 41 Satz 3 SGB XII gelockert werden hätten sollen. Nach Ansicht des SG Augsburg (aaO.) würden ansonsten bei Auslegung im Sinne der Beklagten möglicherweise Leistungsberechtigte nach dem Vierten Kapitel SGB XII in den allermeisten Fällen von Grundsicherung ausgeschlossen, ohne dass feststehen würde, ob die medizinischen Voraussetzungen erfüllt seien oder nicht. Dies dürfe einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (GG) darstellen.
Die Beklagte half dem Widerspruch unter Hinweis auf die bundesaufsichtliche Weisungslage nicht ab und legte diesen der Regierung von M. zur Prüfung vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2018 wies die Regierung den Widerspruch zurück. Die Aufnahme in den Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM möge ein Indiz für das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung sein. Sie führe jedoch nicht automatisch dazu, dass von der Dauerhaftigkeit einer Erwerbsminderung ausgegangen werden könne. § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII stelle lediglich eine verfahrensrechtliche Vorschrift dar, wann ein Ersuchen zur Feststellung der dauerhaft vollen Erwerbsminderung zu erfolgen habe. Allerdings treffe die Vorschrift keine Aussage darüber, wann die Voraussetzung einer vollen Erwerbsminderung gegeben sei. Mit Rundschreiben 2017/3 vom 03.07.2017 (Az.: Vb1-50235) habe das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) klargestellt, dass die Neufassung von § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII nicht zur Folge habe, dass Menschen mit Behinderung im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich ab 01.07.2017 wegen des Ausschlusses eines Ersuchens an einen Rentenversicherungsträger als Leistungsberechtigte nach dem Vierten Kapitel gelten würden. Denn durch ein Ersuchen an den Rentenversicherungsträger solle nicht einer Entscheidung des Werkstattausschusses, welche erst nach Durchlaufen des Berufsbildungsbereiches erfolge, vorgegriffen werden. Ausführungen zur Beibehaltung der bisherigen Abgrenzung des leistungsberechtigten Personenkreises fänden sich auch in der Begründung zur Änderung von § 45 Satz 3 SGB XII nicht (Entwurf RBEG 2017, Begründung zu Artikel 3 Nummer 16 Buchstabe a, BT-Drucksache 18/9984 S. 96f). Die Zusammenfassung von zwei Sachverhalten in Nummer 3 bedeute lediglich, dass für Personen in einer WfbM kein Ersuchen an einen Träger der Rentenversicherung zu stellen sei, auch wenn dies in beiden Fallkonstellationen aus unterschiedlichen Gründen gelte. Etwas Anderes könne schon deshalb nicht gelten, weil es sich bei § 45 SGB XII um eine Verfahrensbestimmung des Zweiten Abschnitts des Vierten Kapitels SGB XII und nicht um eine Vorschrift zur Bestimmung des leistungsberechtigten Personenkreises im Ersten Abschnitt des Vierten Kapitels SGB XII handele. Allein aus dem Wortlaut von § 45 SGB XII - und damit ohne Bezugnahme auf weitere Rechtsvorschriften - könne sich nicht die Abgrenzung des leistungsberechtigten Personenkreises ergeben. Während des Eingangsverfahrens und des Durchlaufens des Berufsbildungsbereiches erfolge kein Ersuchen, weil während dieser Phase in einer WfbM zwar feststehe, dass die Menschen mit Behinderungen voll erwerbsgemindert seien. Die gesonderte Stellungnahme des Fachausschusses nach § 4 Abs. 6 Werkstättenverordnung (WVO), aufgrund derer festgestellt werden könne, ob die Person wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne (§ 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI) stehe jedoch noch aus. Dies könne nicht anders sein, denn die Aufgabenstellung dieser Phase der WfbM liege ja gerade darin, die individuellen Möglichkeiten für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch geeignete Maßnahmen zu fördern und die dafür erforderlichen Fähigkeiten zu stärken. Weshalb eine vorzeitige und nach abstrakten Kriterien durchzuführende Begutachtung durch den Rentenversicherungsträger hier nicht angezeigt sei. Diese Rechtsauffassung beruhe maßgeblich darauf, dass es sich während des Durchlaufens von Eingangs- und Berufsbildungsbereich um einen im Einzelfall ergebnisoffenen Prozess handele. Das ergebe sich aus der WVO, die mit Aufgabenstellung und Ausgestaltung des Eingangsverfahrens und des Berufsbildungsbereichs ein schrittweises Vorgehen vorsehe. Dem könne nur Rechnung getragen werden, indem § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII im Lichte der WVO ausgelegt werde (teleologische Reduktion).
III.
Die Klägerin hat ihr Begehren weiterverfolgt und mit Schriftsatz vom 20.08.2018 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin im wesentlichen ihre Ausführungen im Vorverfahren wiederholt.
Die Klägerin beantragt daher,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2018 zu verpflichten, der Klägerin ab dem 01.07.2017 bis vorerst 30.11.2019 laufende Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII dem Grunde nach in gesetzlicher Höhe zu gewähren und zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat die Beklagte auf die angefochtenen Bescheide verwiesen. Zudem würden seit dem 01.01.2014 die Nettoausgaben für Geldleistungen der Grundsicherung vom Bund zu 100% erstattet, § 44a Abs. 1 Nr. 2 SGB XII. Damit seien ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG für die Bundesauftragsverwaltung im Rahmen des Vierten Kapitels SGB XII erfüllt. Im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung könne die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. Des Weiteren unterlägen die Landesbehörden den Weisungen der obersten zuständigen Bundesbehörde und hätten den Vollzug sicherzustellen. Die Beklagte sehe sich daher an die bundesaufsichtliche Weisung gebunden, die Abgabe eines Anerkenntnisses komme daher nicht in Betracht, auch wenn zwischenzeitlich das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales mit Rundschreiben vom 10.01.2019 mitgeteilt habe, dass es die Auffassung des BMAS nicht teile und es den Grundsicherungsträgern gestatte, § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII als gesetzliche Fiktion der dauerhaften vollen Erwerbsminderung bei Menschen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM anzuwenden, und auch wenn andere Grundsicherungsträger deswegen bereits verfahrensbeendende Anerkenntnisse abgegeben hätten. Zudem sei vor dem Bayerischen Landessozialgericht bereits ein Berufungsverfahren in dieser Rechtsfrage anhängig (L 18 SO 248/18). Es werde angeregt, das Verfahren ruhend zu stellen.
Einem Ruhen des Verfahrens hat allerdings die Klägerin widersprochen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Beklagtenakte und die gesamte Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Die statthafte kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Nürnberg erhoben worden. Sie ist zulässig.
II.
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 20.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Zu Unrecht hat die Beklagte der Klägerin die Gewährung laufender Leistungen nach dem Vierten Kapitel bereits dem Grunde nach abgelehnt. Vielmehr hat die Klägerin dem Grunde nach während des Besuchs des Eingangs- und Berufsbildungsbereichs der WfbM Anspruch auf laufende Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII, weil sie als dauerhaft voll erwerbsgemindert gilt. Die Klägerin hat gemäß § 8 Nr. 2, § 17 Abs. 1 § 19 Abs. 2, §§ 41 ff SGB XII SGB XII dem Grunde nach einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen gegen die Beklagte. Die Beklagte ist für die Leistungserbringung zuständiger Träger nach §§ 97 Abs. 1, 98 Abs. 2 SGB XII i. V. m. Art 81ff des Bayerischen Gesetzes für die Ausführung der Sozialgesetze (AGSG). Die Klägerin hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Stadtgebiet der Beklagten, ist älter als 18 Jahre und kann ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken.
Die Klägerin ist auch zur Überzeugung der Kammer dauerhaft voll erwerbsgemindert im Sinne des § 41 Abs. 3 SGB XII i. V. m. § 43 Abs. 2 SGB VI. Dies ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bereits aus der zumindest widerleglichen Vermutung des § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alt. SGB XII. Die Kammer folgt insoweit nach eigener Prüfung den Entscheidungen des SG Augsburg (Urteil vom 16.02.2018, Az.: S 8 SO 143/17), des Hessischen LSG (Beschluss vom 28.06.2018, Az.: L 4 SO 83/18 ER) sowie des SG A-Stadt (Urteil vom 28.08.2018, Az.: S 8 SO 50/18). Auf die in diesen Entscheidungen vertretenen Argumente, denen sich die Kammer vollinhaltlich anschließt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen ausdrücklich Bezug genommen.
Lediglich ergänzend oder präzisierend ist folgendes aus Sicht der Kammer anzumerken:
§ 45 S. 1 SGB XII schränkt die Amtsermittlungspflicht des § 20 SGB X dahingehend ein, dass der Grundsicherungsträger, dass dieser bei wahrscheinlichem Vorliegen von voller Erwerbsminderung im Sinne des § 41 Abs. 3 SGB XII i. V. m. § 43 Abs. 2 SGB VI dies nicht selbst zu prüfen hat, sondern hierfür den zuständigen Rentenversicherungsträger mit der Bitte um Prüfung zu ersuchen hat. An dieses Ergebnis ist der Grundsicherungsträger gebunden. Vorliegend sprechen aus Sicht der Kammer für das wahrscheinliche Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung neben dem GdB und den Merkzeichen auch die Einschätzung des ärztlichen Dienstes der BA. Vorliegend hätte daher die Beklagte an sich Anlass und Pflicht, eine Prüfung durch den Rentenversicherungsträger mittels eines entsprechenden Ersuchens in die Wege zu leiten.
Verbietet nun aber § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alt. SGB XII dem Grundsicherungsträger bei einer solchen Wahrscheinlichkeit der Erwerbsminderung bei potenziellen Leistungsberechtigten, die sich im Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer WfbM befinden, die Vorlage an den Rentenversicherungsträger, so führt dies dazu, dass er weder selbst, noch der Rentenversicherungsträger das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII prüfen darf. Mit anderen Worten bliebe dem Leistungsberechtigten nur übrig, sich wegen eines möglichen Anspruchs auf Sozialgeld an den SGB-II-Leistungsträger zu wenden, der sodann im Rahmen des § 44a SGB II zunächst selbst über die Erwerbsfähigkeit zu entscheiden hätte und nur im Widerspruchsfalle den Vorgang dem Rentenversicherungsträger vorzulegen hätte. Scheitert, wie vorliegend, eine Leistungsgewährung nach dem SGB II jedoch bereits an anderen Gründen, wie beispielsweise am zu hohem Einkommen der SGB-II-Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB II, so besteht jedoch schon aus diesem Grunde für den SGB-II-Leistungsträger überhaupt kein Anlass mehr für eine Prüfung nach § 44a SGB II. Dies würde aber letztlich bedeuten, dass für die Dauer des Durchlaufens des Eingangs- und Berufsbildungsbereiches eine Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII durch die Verwaltung ganz entfallen kann und lediglich erstmalig durch die Sozialgerichte erfolgen würde. Diese Aufgabe der Verwaltung letztlich auf die Rechtsprechung zu verlagern, begegnet - wie auch das SG Augsburg zutreffend festgestellt hat - erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Gewaltenteilung und die Verteilung der Ermittlungslasten und der damit verbundenen Ausgaben zwischen dem Bund für die Bundesauftragsverwaltung und den Ländern als Trägern der Tatsacheninstanzen der Sozialgerichtsbarkeit. Darüber hinaus könnte dies auch dazu führen, dass ein nach dem Vierten Kapitel SGB XII tatsächlich Leistungsberechtigter jahrelang von an sich ihm zustehenden Leistungen ausgeschlossen sein könnte. Denn die Teilnahme am Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer WfbM schließt bei aller Verfahrensoffenheit aber auch nicht aus, dass eine dauerhafte, volle Erwerbsminderung gegeben sein könnte. Das Argument der Prüfung nach § 44a SGB II greift bereits deswegen zu kurz, als dortige Leistungen schon aus anderen Gründen scheitern können, die einer Leistung nach dem Vierten Kapitel SGB XII aber nicht im Wege stünden. Gegenüber § 9 Abs. 2 SGB II und § 27 Abs. 2 Satz 3 und § 39 SGB XII privilegiert die Vorschrift des § 43 Abs. 5 SGB XII Grundsicherungsberechtigte nicht unerheblich, so dass zwar vielleicht eine Leistung nach dem SGB II oder nach dem Dritten Kapitel SGB XII, nicht jedoch nach dem Vierten Kapitel SGB XII ausgeschlossen sein könnte nach materiellem Recht. Würde man § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alt. daher in der von der Beklagten vertretenen Weise auslegen, so dürfte dies aus Sicht der Kammer nicht nur einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG darstellen, sondern im Hinblick auf den existenzsichernden Charakter der Leistungen auch gegen Art. 1 GG, gegen die Gewaltenteilung und gegen die Verteilung der Finanzierungslasten zwischen Bund und Ländern. Hiergegen spricht einzig die systematische Stellung der Vorschrift in den Verfahrensvorschriften, mit denen der Kreis der Berechtigten nicht hätte erweitert werden sollen. Dieses Argument vermag aber die verfassungsrechtlichen Bedenken der Kammer nicht aufzuwiegen, zumal andererseits es systematisch aber auch ungewöhnlich wäre, dass Verfahrensvorschriften den Personenkreis der an sich nach § 41 Abs. 3 SGB XII Berechtigten materiell einschränken würde, zumal bei existenzsichernden Leistungen. Wäre insbesondere nur die von der Beklagten und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vertretene Auslegung des § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alt. SGB XII möglich, so wäre die Vorschrift aus Sicht der Kammer aus den verschiedenen dargestellten Gründen wohl verfassungswidrig, so dass eine Richtervorlage nach Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht erfolgen müsste.
Vor der Kassation einer Vorschrift ist aber stets zu prüfen, ob eine Vorschrift verfassungskonform ausgelegt werden kann.
Dies ist nach Auffassung der Kammer der Fall, so dass es auch keiner Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bedarf.
Daher ist die Vorschrift in verfassungskonformer Weise dahingehend auszulegen, dass sie das Vorliegen einer dauerhaften, vollen Erwerbsminderung zumindest widerleglich vermutet. Dies ist aus teleologischen, systematischen und verfassungsrechtlichen Gründen sowie im Hinblick auf die Gesetzgebungsgeschichte möglich und aus Sicht der Kammer auch geboten.
Auch die Argumentation der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, eine widerlegliche Vermutung oder Fiktion der dauerhaften vollen Erwerbsminderung würde dem ergebnisoffenen Charakter des Eingangs- und Berufsbildungsbereiches widersprechen und deren Teilnehmer sogar stigmatisieren oder einseitig festlegen, worauf auch die Gesetzesbegründung hindeute, wonach die Dauerhaftigkeit einer Erwerbsminderung erst nach durchlaufen der beiden Bereiche festgestellt werden könne, verkennt, dass stets eine Durchlässigkeit zwischen dem allgemeinen Arbeitsmarkt und einer WfbM auch im Arbeitsbereich dem Grunde nach besteht, obwohl dort unstreitig grundsätzlich von einer Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung ausgegangen wird, und verkennt weiter, dass auch die Feststellung einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI durch den Rentenversicherungsträger oder den Werkstattausschuss keineswegs apodiktisch und unwiderruflich ist. Bei der Frage nach der Dauerhaftigkeit einer Erwerbsminderung ist stets prognostisch ex ante danach zu fragen, ob eine Besserung auf unabsehbare Zeit, das heißt, innerhalb von etwa zwei Jahren unwahrscheinlich ist oder nicht. Es handelt sich aber in jedem Falle um eine reine Prognoseeinschätzung, die stets nach der Rechtsprechung des BSG einer nachträglichen Kontrolle unterliegt, letztlich also einer ex post durchgeführten Kontrolle. So kann sich beispielsweise ergeben, dass eine Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung prognostisch abgelehnt wird, weil noch wahrscheinliche Besserungsaussichten angenommen werden, die sich retrospektiv aber als zu optimistisch erwiesen haben, so dass sich im Rahmen der ex post durchgeführten Überprüfung in einem gerichtlichen Rentenklageverfahren durchaus rückwirkend die Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung festgestellt wird mit der Folge eines früheren Leistungsbeginns der dann nicht mehr zu befristenden Erwerbsminderungsrente (vgl. § 101 Abs. 1 SGB VI). Gleiches gilt aber auch für den umgekehrten Fall: Stellt der Rentenversicherungsträger zu Unrecht die Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung fest, so kann dies immerhin jederzeit für die Zukunft nach den §§ 45 oder 48 SGB X korrigiert werden. Das aber bedeutet, dass weder die Feststellung der Dauerhaftigkeit noch der Nichtdauerhaftigkeit der Erwerbsminderung unverrückbar feststeht, sondern sich stets Korrekturen ergeben können, so dass auch bei Feststellung einer dauerhaften Erwerbsminderung nicht von einer dauerhaften Festlegung oder Stigmatisierung von Menschen die Rede sein kann oder ein Widerspruch zum ergebnisoffenen Charakter von Eingangs- und Berufsbildungsbereich der WfbM besteht.
Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass die Klägerin aufgrund der nicht widerlegten Vermutung der dauerhaften, vollen Erwerbsminderung der Klägerin gemäß § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alt. SGB XII die Leistungsvoraussetzungen nach §§ 41 ff SGB XII dem Grunde nach erfüllt und somit auch grundsätzlich einen Anspruch auf laufende Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII hat, während sie den Eingangs- und Berufsbildungsbereich der WfbM durchläuft.
Sie hat daher vom 01.09.2017 bis vorerst 30.11.2019 Anspruch auf Grundsicherungsleistungen dem Grunde nach. Der Ablehnungsbescheid ist daher aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, zumindest für den vorstehend genannten Zeitraum Grundsicherungsleistungen dem Grunde nach zu gewähren und in gesetzlicher Höhe zu bezahlen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 und 183 SGG und § 64 SGB X.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach.
III. Gerichtskosten werden für das Verfahren nicht erhoben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung laufender Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).
I.
Die 1999 geborene Klägerin steht unter gesetzlicher Betreuung ihrer Eltern. Sie bewohnt zusammen mit ihren Eltern und ihrer Schwester eine den Eltern gehörende Eigentumswohnung, Baujahr 1899, von 100 m² und vier Zimmern mit Gaszentralheizung. Die Gesamtkosten der Unterkunft betragen monatlich EUR 1.812,30, davon Finanzierungskosten in Höhe von EUR 1.560,00 und Nebenkosten in Höhe von EUR 252,30. Die Eltern sind als Landwirte selbständig tätig. Die Klägerin leidet an einer psychomotorischen Entwicklungsstörung, Sehminderung beidseits und Hydrozephalus (mit Ventil versorgt). Aufgrund dessen hat sie einen Grad der Behinderung von 80 sowie die Merkzeichen B, G und H (letzteres bis zum 18. Lebensjahr).
Am 18.04.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung laufender Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII.
Sie besuche noch bis zum 31.07.2017 das Berufsvorbereitungsjahr im W. in A., danach die Tagesstätte und werde vom Fahrdienst nach Hause gebracht. Kostenträger hierfür sei der Bezirk M ...
Aufgrund ihrer Behinderung sei die Klägerin dauerhaft voll erwerbsgemindert. Dies gehe aus einer gutachterlichen Stellungnahme vom 07.02.2017 des Dr. K. vom ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit ("BA") hervor. Danach sei die Klägerin voraussichtlich auf Dauer nur noch in der Lage, unter drei Stunden täglich Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Eine angedachte Eingliederung in eine geeignete Werkstatt für behinderte Menschen ("WfbM") sei aus sozialmedizinischer Sicht zu befürworten. Zum 01.09.2017 sei zudem die Aufnahme in eine WfbM geplant, genauer im Eingangs- (drei Monate) und sodann im Berufsbildungsbereich (24 Monate) in den R.-Werkstätten gGmbh. Die Maßnahme dauere bis 30.11.2019.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 20.07.2017 lehnte die Beklagte die Gewährung laufender Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel SGB XII ab. Nach § 21 SGB XII würden Personen, die nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt seien, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Eine Leistungsgewährung nach dem SGB XII sei also immer nachrangig gegenüber Leistungen nach dem SGB II. Personen, die zur Bedarfsgemeinschaft gehören würden, würden Leistungen nach dem SGB II erhalten (§ 7 SGB II). Neben den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten würden auch die dem Haushalt angehörenden, unverheirateten Kinder zur Bedarfsgemeinschaft gehören, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen könnten (§ 7 Abs. 3 SGB II). Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II würden nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben würden, Sozialgeld erhalten, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII hätten. Die Klägerin gehöre zusammen mit ihren erwerbsfähigen Eltern und ihrer Schwester einer solchen Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II an. Laufende Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII seien daher bereits deswegen ausgeschlossen. Auch sei seitens des Rentenversicherungsträgers eine volle Erwerbsminderung auf Zeit nicht festgestellt worden. Aber auch für Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII seien die Voraussetzungen nicht erfüllt. Nach § 41 Abs. 3 SGB XII seien nach dem Vierten Kapitel leistungsberechtigt diejenigen, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten und unabhängig von der Arbeitsmarktlage auf Dauer voll erwerbsgemindert seien im Sinne des § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Zum jetzigen Zeitpunkt sei eine dauerhafte, volle Erwerbsminderung vom Rentenversicherungsträger nicht bindend festgestellt, so dass die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nach dem Vierten Kapitel SGB XII noch nicht gegeben seien. Bis zur Feststellung der dauerhaften, vollen Erwerbsminderung sei der SGB-II-Leistungsträger zuständig (Jobcenter A-Stadt) für die Prüfung, ob Sozialgeld im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II zustehe, oder durch Einschaltung des Rentenversicherungsträgers das Vorliegen der Voraussetzungen der vollen Erwerbsminderung prüfen zu lassen. Ab dem 01.09.2017 werde die Klägerin den Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM besuchen. Während dieser Zeit solle gemäß § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII ein Ersuchen zur Feststellung der dauerhaften Erwerbsminderung gemäß § 109a Abs. 2 SGB VI beim Rentenversicherungsträger unterbleiben, da gerade erst nach Durchlaufen des Eingangs- und Berufsbildungsbereiches festgestellt werde solle, ob eine dauerhafte volle Erwerbsminderung unabhängig von der Arbeitsmarktlage vorliege oder nicht. Gerade in dieser Zeit solle die Klägerin sich qualifizieren. Es sei daher im Moment wenig zielführend, bereits jetzt über den Träger der Rentenversicherung ein Feststellungsverfahren über eine dauerhafte Erwerbsminderung zu betreiben. Gleiches gelte für das bis 31.08.2017 absolvierte Berufsvorbereitungsjahr, welches auch den Zweck einer Qualifizierung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verfolge. Die Klägerin möge sich an das Jobcenter wenden.
II.
Mit Schreiben vom 26.07.2017 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch. Sie habe bereits am 21.06.2017 das 18. Lebensjahr vollendet und somit vor Änderung des SGB zum 01.07.2017. Sie bitte daher, zur bis zum 01.07.2017 geübten Praxis des Sozialamtes zurückzukehren, wonach Personen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM als dauerhaft erwerbsgemindert angesehen würden. Auch die BA habe die Klägerin als dauerhaft voll erwerbsgemindert eingeschätzt. Es werde daher darum gebeten, beim zuständigen Rentenversicherungsträger ein entsprechendes Ersuchen auf Überprüfung der Erwerbsfähigkeit zu stellen. Es bestehe Einverständnis damit, dass dieser die Erprobung und Qualifizierung im Eingangsbereich der WfbM abwarte, begehrt werde aber trotzdem eine rückwirkende Leistung ab Maßnahmebeginn. Zudem sei parallel ein Antrag nach dem SGB II gestellt worden, über den noch nicht beschieden sei.
Das Jobcenter A-Stadt lehnte zwischenzeitlich bestandskräftig mit Bescheid vom 23.08.2017 Leistungen nach dem SGB II wegen fehlender Bedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft ab. Zugleich leitete das Jobcenter die Frage nach der Erwerbsfähigkeit der Klägerin dem Rentenversicherungsträger zu. Die Beklagte schlug daraufhin das Ruhen des Widerspruchsverfahrens bis zum Ergebnis der Prüfung durch den Rentenversicherungsträger vor.
Zwischenzeitlich zog das Jobcenter jedoch den Begutachtungsauftrag beim Rentenversicherungsträger zurück.
Zur weiteren Begründung ihres Widerspruchs trug die Klägerin vor, die Neufassung des § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII führe nicht dazu, dass die Klägerin als erwerbsfähig zu betrachten sei. Die Vorschrift regele, dass der für die Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII zuständige Träger keine Vorlage an den Rentenversicherungsträger machen müsse zur Überprüfung der Erwerbsfähigkeit bei Personen, die den Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM durchlaufen oder dort im Arbeitsbereich beschäftigt seien. Die Zusammenschau der Nummern 1, 2 und 4 der Vorschrift verdeutliche, dass in diesen Fällen stets von einer vollen Erwerbsminderung auszugehen sei. § 45 SGB XII schränke mit seinem Satz 1 die Amtsermittlungspflicht des Sozialhilfeträgers abweichend von § 20 SGB X dahingehend ein, dass dieser das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII nicht selbst in freier Amtsermittlung prüfe, sondern den zuständigen Rentenversicherungsträger um Prüfung derselben zu ersuchen habe. Dabei sei für die Anwendbarkeit des § 45 SGB XII Voraussetzung, dass der Sozialhilfeträger im Rahmen einer Vorprüfung das Vorliegen einer dauerhaften Erwerbsminderung zumindest für wahrscheinlich hält. Sei dies der Fall, habe der Sozialhilfeträger den Rentenversicherungsträger mit bindender Wirkung um Prüfung der Erwerbsfähigkeit zu ersuchen, es sei denn, es sei ein Ausnahmefall des § 45 S. 3 SGB XII gegeben. Dabei sei auch bei § 45 S. 3 Nr. 3 SGB XII bei Personen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM nicht nur ein Ersuchen an den Rentenversicherungsträger entbehrlich, sondern ebenso wie bei den anderen Ausnahmefällen von einer vollen Erwerbsminderung auf Dauer auszugehen (vgl. SG Augsburg, 16.02.2018, Az.: S 8 SO 143/17). Aus dem Kontext der Vorschrift ergebe sich, dass das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII unterstellt werde. Bei den anderen Fallgruppen des § 45 S. 3 SGB XII sei hinreichend klar, dass vom Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung auf Dauer auszugehen sei. In der von der Beklagten vertretenen Auslegung würde § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alternative im Vergleich zu den übrigen Ausnahmefällen der Vorschrift einen völlig systemwidrigen Fremdkörper darstellen. Für einen derartigen gesetzgeberischen Willen fehle es an Anhaltspunkten. Vielmehr solle in allen vier Ausnahmefällen gerade deswegen keine Vorlage an den Rentenversicherungsträger erfolgen, weil das Vorliegen von Erwerbsminderung anzunehmen sei. Hauck/Noftz zögen in ihrer Kommentierung (§ 45 SGB XII RdNr. 36) sogar den Schluss, dass damit für jede Phase des Besuchs einer WfbM die Voraussetzungen des § 41 Satz 3 SGB XII gelockert werden hätten sollen. Nach Ansicht des SG Augsburg (aaO.) würden ansonsten bei Auslegung im Sinne der Beklagten möglicherweise Leistungsberechtigte nach dem Vierten Kapitel SGB XII in den allermeisten Fällen von Grundsicherung ausgeschlossen, ohne dass feststehen würde, ob die medizinischen Voraussetzungen erfüllt seien oder nicht. Dies dürfe einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (GG) darstellen.
Die Beklagte half dem Widerspruch unter Hinweis auf die bundesaufsichtliche Weisungslage nicht ab und legte diesen der Regierung von M. zur Prüfung vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2018 wies die Regierung den Widerspruch zurück. Die Aufnahme in den Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM möge ein Indiz für das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung sein. Sie führe jedoch nicht automatisch dazu, dass von der Dauerhaftigkeit einer Erwerbsminderung ausgegangen werden könne. § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII stelle lediglich eine verfahrensrechtliche Vorschrift dar, wann ein Ersuchen zur Feststellung der dauerhaft vollen Erwerbsminderung zu erfolgen habe. Allerdings treffe die Vorschrift keine Aussage darüber, wann die Voraussetzung einer vollen Erwerbsminderung gegeben sei. Mit Rundschreiben 2017/3 vom 03.07.2017 (Az.: Vb1-50235) habe das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) klargestellt, dass die Neufassung von § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII nicht zur Folge habe, dass Menschen mit Behinderung im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich ab 01.07.2017 wegen des Ausschlusses eines Ersuchens an einen Rentenversicherungsträger als Leistungsberechtigte nach dem Vierten Kapitel gelten würden. Denn durch ein Ersuchen an den Rentenversicherungsträger solle nicht einer Entscheidung des Werkstattausschusses, welche erst nach Durchlaufen des Berufsbildungsbereiches erfolge, vorgegriffen werden. Ausführungen zur Beibehaltung der bisherigen Abgrenzung des leistungsberechtigten Personenkreises fänden sich auch in der Begründung zur Änderung von § 45 Satz 3 SGB XII nicht (Entwurf RBEG 2017, Begründung zu Artikel 3 Nummer 16 Buchstabe a, BT-Drucksache 18/9984 S. 96f). Die Zusammenfassung von zwei Sachverhalten in Nummer 3 bedeute lediglich, dass für Personen in einer WfbM kein Ersuchen an einen Träger der Rentenversicherung zu stellen sei, auch wenn dies in beiden Fallkonstellationen aus unterschiedlichen Gründen gelte. Etwas Anderes könne schon deshalb nicht gelten, weil es sich bei § 45 SGB XII um eine Verfahrensbestimmung des Zweiten Abschnitts des Vierten Kapitels SGB XII und nicht um eine Vorschrift zur Bestimmung des leistungsberechtigten Personenkreises im Ersten Abschnitt des Vierten Kapitels SGB XII handele. Allein aus dem Wortlaut von § 45 SGB XII - und damit ohne Bezugnahme auf weitere Rechtsvorschriften - könne sich nicht die Abgrenzung des leistungsberechtigten Personenkreises ergeben. Während des Eingangsverfahrens und des Durchlaufens des Berufsbildungsbereiches erfolge kein Ersuchen, weil während dieser Phase in einer WfbM zwar feststehe, dass die Menschen mit Behinderungen voll erwerbsgemindert seien. Die gesonderte Stellungnahme des Fachausschusses nach § 4 Abs. 6 Werkstättenverordnung (WVO), aufgrund derer festgestellt werden könne, ob die Person wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne (§ 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI) stehe jedoch noch aus. Dies könne nicht anders sein, denn die Aufgabenstellung dieser Phase der WfbM liege ja gerade darin, die individuellen Möglichkeiten für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch geeignete Maßnahmen zu fördern und die dafür erforderlichen Fähigkeiten zu stärken. Weshalb eine vorzeitige und nach abstrakten Kriterien durchzuführende Begutachtung durch den Rentenversicherungsträger hier nicht angezeigt sei. Diese Rechtsauffassung beruhe maßgeblich darauf, dass es sich während des Durchlaufens von Eingangs- und Berufsbildungsbereich um einen im Einzelfall ergebnisoffenen Prozess handele. Das ergebe sich aus der WVO, die mit Aufgabenstellung und Ausgestaltung des Eingangsverfahrens und des Berufsbildungsbereichs ein schrittweises Vorgehen vorsehe. Dem könne nur Rechnung getragen werden, indem § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII im Lichte der WVO ausgelegt werde (teleologische Reduktion).
III.
Die Klägerin hat ihr Begehren weiterverfolgt und mit Schriftsatz vom 20.08.2018 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin im wesentlichen ihre Ausführungen im Vorverfahren wiederholt.
Die Klägerin beantragt daher,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2018 zu verpflichten, der Klägerin ab dem 01.07.2017 bis vorerst 30.11.2019 laufende Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII dem Grunde nach in gesetzlicher Höhe zu gewähren und zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat die Beklagte auf die angefochtenen Bescheide verwiesen. Zudem würden seit dem 01.01.2014 die Nettoausgaben für Geldleistungen der Grundsicherung vom Bund zu 100% erstattet, § 44a Abs. 1 Nr. 2 SGB XII. Damit seien ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG für die Bundesauftragsverwaltung im Rahmen des Vierten Kapitels SGB XII erfüllt. Im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung könne die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. Des Weiteren unterlägen die Landesbehörden den Weisungen der obersten zuständigen Bundesbehörde und hätten den Vollzug sicherzustellen. Die Beklagte sehe sich daher an die bundesaufsichtliche Weisung gebunden, die Abgabe eines Anerkenntnisses komme daher nicht in Betracht, auch wenn zwischenzeitlich das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales mit Rundschreiben vom 10.01.2019 mitgeteilt habe, dass es die Auffassung des BMAS nicht teile und es den Grundsicherungsträgern gestatte, § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII als gesetzliche Fiktion der dauerhaften vollen Erwerbsminderung bei Menschen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM anzuwenden, und auch wenn andere Grundsicherungsträger deswegen bereits verfahrensbeendende Anerkenntnisse abgegeben hätten. Zudem sei vor dem Bayerischen Landessozialgericht bereits ein Berufungsverfahren in dieser Rechtsfrage anhängig (L 18 SO 248/18). Es werde angeregt, das Verfahren ruhend zu stellen.
Einem Ruhen des Verfahrens hat allerdings die Klägerin widersprochen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Beklagtenakte und die gesamte Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Die statthafte kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Nürnberg erhoben worden. Sie ist zulässig.
II.
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 20.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Zu Unrecht hat die Beklagte der Klägerin die Gewährung laufender Leistungen nach dem Vierten Kapitel bereits dem Grunde nach abgelehnt. Vielmehr hat die Klägerin dem Grunde nach während des Besuchs des Eingangs- und Berufsbildungsbereichs der WfbM Anspruch auf laufende Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII, weil sie als dauerhaft voll erwerbsgemindert gilt. Die Klägerin hat gemäß § 8 Nr. 2, § 17 Abs. 1 § 19 Abs. 2, §§ 41 ff SGB XII SGB XII dem Grunde nach einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen gegen die Beklagte. Die Beklagte ist für die Leistungserbringung zuständiger Träger nach §§ 97 Abs. 1, 98 Abs. 2 SGB XII i. V. m. Art 81ff des Bayerischen Gesetzes für die Ausführung der Sozialgesetze (AGSG). Die Klägerin hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Stadtgebiet der Beklagten, ist älter als 18 Jahre und kann ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken.
Die Klägerin ist auch zur Überzeugung der Kammer dauerhaft voll erwerbsgemindert im Sinne des § 41 Abs. 3 SGB XII i. V. m. § 43 Abs. 2 SGB VI. Dies ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bereits aus der zumindest widerleglichen Vermutung des § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alt. SGB XII. Die Kammer folgt insoweit nach eigener Prüfung den Entscheidungen des SG Augsburg (Urteil vom 16.02.2018, Az.: S 8 SO 143/17), des Hessischen LSG (Beschluss vom 28.06.2018, Az.: L 4 SO 83/18 ER) sowie des SG A-Stadt (Urteil vom 28.08.2018, Az.: S 8 SO 50/18). Auf die in diesen Entscheidungen vertretenen Argumente, denen sich die Kammer vollinhaltlich anschließt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen ausdrücklich Bezug genommen.
Lediglich ergänzend oder präzisierend ist folgendes aus Sicht der Kammer anzumerken:
§ 45 S. 1 SGB XII schränkt die Amtsermittlungspflicht des § 20 SGB X dahingehend ein, dass der Grundsicherungsträger, dass dieser bei wahrscheinlichem Vorliegen von voller Erwerbsminderung im Sinne des § 41 Abs. 3 SGB XII i. V. m. § 43 Abs. 2 SGB VI dies nicht selbst zu prüfen hat, sondern hierfür den zuständigen Rentenversicherungsträger mit der Bitte um Prüfung zu ersuchen hat. An dieses Ergebnis ist der Grundsicherungsträger gebunden. Vorliegend sprechen aus Sicht der Kammer für das wahrscheinliche Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung neben dem GdB und den Merkzeichen auch die Einschätzung des ärztlichen Dienstes der BA. Vorliegend hätte daher die Beklagte an sich Anlass und Pflicht, eine Prüfung durch den Rentenversicherungsträger mittels eines entsprechenden Ersuchens in die Wege zu leiten.
Verbietet nun aber § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alt. SGB XII dem Grundsicherungsträger bei einer solchen Wahrscheinlichkeit der Erwerbsminderung bei potenziellen Leistungsberechtigten, die sich im Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer WfbM befinden, die Vorlage an den Rentenversicherungsträger, so führt dies dazu, dass er weder selbst, noch der Rentenversicherungsträger das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII prüfen darf. Mit anderen Worten bliebe dem Leistungsberechtigten nur übrig, sich wegen eines möglichen Anspruchs auf Sozialgeld an den SGB-II-Leistungsträger zu wenden, der sodann im Rahmen des § 44a SGB II zunächst selbst über die Erwerbsfähigkeit zu entscheiden hätte und nur im Widerspruchsfalle den Vorgang dem Rentenversicherungsträger vorzulegen hätte. Scheitert, wie vorliegend, eine Leistungsgewährung nach dem SGB II jedoch bereits an anderen Gründen, wie beispielsweise am zu hohem Einkommen der SGB-II-Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB II, so besteht jedoch schon aus diesem Grunde für den SGB-II-Leistungsträger überhaupt kein Anlass mehr für eine Prüfung nach § 44a SGB II. Dies würde aber letztlich bedeuten, dass für die Dauer des Durchlaufens des Eingangs- und Berufsbildungsbereiches eine Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII durch die Verwaltung ganz entfallen kann und lediglich erstmalig durch die Sozialgerichte erfolgen würde. Diese Aufgabe der Verwaltung letztlich auf die Rechtsprechung zu verlagern, begegnet - wie auch das SG Augsburg zutreffend festgestellt hat - erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Gewaltenteilung und die Verteilung der Ermittlungslasten und der damit verbundenen Ausgaben zwischen dem Bund für die Bundesauftragsverwaltung und den Ländern als Trägern der Tatsacheninstanzen der Sozialgerichtsbarkeit. Darüber hinaus könnte dies auch dazu führen, dass ein nach dem Vierten Kapitel SGB XII tatsächlich Leistungsberechtigter jahrelang von an sich ihm zustehenden Leistungen ausgeschlossen sein könnte. Denn die Teilnahme am Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer WfbM schließt bei aller Verfahrensoffenheit aber auch nicht aus, dass eine dauerhafte, volle Erwerbsminderung gegeben sein könnte. Das Argument der Prüfung nach § 44a SGB II greift bereits deswegen zu kurz, als dortige Leistungen schon aus anderen Gründen scheitern können, die einer Leistung nach dem Vierten Kapitel SGB XII aber nicht im Wege stünden. Gegenüber § 9 Abs. 2 SGB II und § 27 Abs. 2 Satz 3 und § 39 SGB XII privilegiert die Vorschrift des § 43 Abs. 5 SGB XII Grundsicherungsberechtigte nicht unerheblich, so dass zwar vielleicht eine Leistung nach dem SGB II oder nach dem Dritten Kapitel SGB XII, nicht jedoch nach dem Vierten Kapitel SGB XII ausgeschlossen sein könnte nach materiellem Recht. Würde man § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alt. daher in der von der Beklagten vertretenen Weise auslegen, so dürfte dies aus Sicht der Kammer nicht nur einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG darstellen, sondern im Hinblick auf den existenzsichernden Charakter der Leistungen auch gegen Art. 1 GG, gegen die Gewaltenteilung und gegen die Verteilung der Finanzierungslasten zwischen Bund und Ländern. Hiergegen spricht einzig die systematische Stellung der Vorschrift in den Verfahrensvorschriften, mit denen der Kreis der Berechtigten nicht hätte erweitert werden sollen. Dieses Argument vermag aber die verfassungsrechtlichen Bedenken der Kammer nicht aufzuwiegen, zumal andererseits es systematisch aber auch ungewöhnlich wäre, dass Verfahrensvorschriften den Personenkreis der an sich nach § 41 Abs. 3 SGB XII Berechtigten materiell einschränken würde, zumal bei existenzsichernden Leistungen. Wäre insbesondere nur die von der Beklagten und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vertretene Auslegung des § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alt. SGB XII möglich, so wäre die Vorschrift aus Sicht der Kammer aus den verschiedenen dargestellten Gründen wohl verfassungswidrig, so dass eine Richtervorlage nach Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht erfolgen müsste.
Vor der Kassation einer Vorschrift ist aber stets zu prüfen, ob eine Vorschrift verfassungskonform ausgelegt werden kann.
Dies ist nach Auffassung der Kammer der Fall, so dass es auch keiner Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bedarf.
Daher ist die Vorschrift in verfassungskonformer Weise dahingehend auszulegen, dass sie das Vorliegen einer dauerhaften, vollen Erwerbsminderung zumindest widerleglich vermutet. Dies ist aus teleologischen, systematischen und verfassungsrechtlichen Gründen sowie im Hinblick auf die Gesetzgebungsgeschichte möglich und aus Sicht der Kammer auch geboten.
Auch die Argumentation der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, eine widerlegliche Vermutung oder Fiktion der dauerhaften vollen Erwerbsminderung würde dem ergebnisoffenen Charakter des Eingangs- und Berufsbildungsbereiches widersprechen und deren Teilnehmer sogar stigmatisieren oder einseitig festlegen, worauf auch die Gesetzesbegründung hindeute, wonach die Dauerhaftigkeit einer Erwerbsminderung erst nach durchlaufen der beiden Bereiche festgestellt werden könne, verkennt, dass stets eine Durchlässigkeit zwischen dem allgemeinen Arbeitsmarkt und einer WfbM auch im Arbeitsbereich dem Grunde nach besteht, obwohl dort unstreitig grundsätzlich von einer Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung ausgegangen wird, und verkennt weiter, dass auch die Feststellung einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI durch den Rentenversicherungsträger oder den Werkstattausschuss keineswegs apodiktisch und unwiderruflich ist. Bei der Frage nach der Dauerhaftigkeit einer Erwerbsminderung ist stets prognostisch ex ante danach zu fragen, ob eine Besserung auf unabsehbare Zeit, das heißt, innerhalb von etwa zwei Jahren unwahrscheinlich ist oder nicht. Es handelt sich aber in jedem Falle um eine reine Prognoseeinschätzung, die stets nach der Rechtsprechung des BSG einer nachträglichen Kontrolle unterliegt, letztlich also einer ex post durchgeführten Kontrolle. So kann sich beispielsweise ergeben, dass eine Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung prognostisch abgelehnt wird, weil noch wahrscheinliche Besserungsaussichten angenommen werden, die sich retrospektiv aber als zu optimistisch erwiesen haben, so dass sich im Rahmen der ex post durchgeführten Überprüfung in einem gerichtlichen Rentenklageverfahren durchaus rückwirkend die Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung festgestellt wird mit der Folge eines früheren Leistungsbeginns der dann nicht mehr zu befristenden Erwerbsminderungsrente (vgl. § 101 Abs. 1 SGB VI). Gleiches gilt aber auch für den umgekehrten Fall: Stellt der Rentenversicherungsträger zu Unrecht die Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung fest, so kann dies immerhin jederzeit für die Zukunft nach den §§ 45 oder 48 SGB X korrigiert werden. Das aber bedeutet, dass weder die Feststellung der Dauerhaftigkeit noch der Nichtdauerhaftigkeit der Erwerbsminderung unverrückbar feststeht, sondern sich stets Korrekturen ergeben können, so dass auch bei Feststellung einer dauerhaften Erwerbsminderung nicht von einer dauerhaften Festlegung oder Stigmatisierung von Menschen die Rede sein kann oder ein Widerspruch zum ergebnisoffenen Charakter von Eingangs- und Berufsbildungsbereich der WfbM besteht.
Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass die Klägerin aufgrund der nicht widerlegten Vermutung der dauerhaften, vollen Erwerbsminderung der Klägerin gemäß § 45 S. 3 Nr. 3 1. Alt. SGB XII die Leistungsvoraussetzungen nach §§ 41 ff SGB XII dem Grunde nach erfüllt und somit auch grundsätzlich einen Anspruch auf laufende Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII hat, während sie den Eingangs- und Berufsbildungsbereich der WfbM durchläuft.
Sie hat daher vom 01.09.2017 bis vorerst 30.11.2019 Anspruch auf Grundsicherungsleistungen dem Grunde nach. Der Ablehnungsbescheid ist daher aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, zumindest für den vorstehend genannten Zeitraum Grundsicherungsleistungen dem Grunde nach zu gewähren und in gesetzlicher Höhe zu bezahlen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 und 183 SGG und § 64 SGB X.
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Aus
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