L 3 AL 2225/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AL 3613/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 2225/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine in einem Mitgliedstaat zurückgelegte Beschäftigungszeit kann bei der Ermittlung der für die Gewährung von Arbeitslosengeld zu erfüllenden Anwartschaftszeit nur dann berücksichtigt werden, wenn unabhängig von der zwischen der Beendigung der letzten Versicherungszeit in Deutschland und dem Antrag auf Leistungen verstrichenen Zeit in der Zwischenzeit keine weitere Versicherungszeit in einem anderen Mtgliedstaat zurückgelegt worden ist (Anschluss an EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-372/02, SozR 4-6050 Art. 71 Nr. 4, juris Nr. 52).
2. Eine in einem Mitgliedstaat ohne wichtigen Grund erfolgte Eigenkündigung eines dort ausgeübten Beschäftigungsverhältnisses erfüllt den Tatbestand einer Sperrzeit nach deutschen Recht; das Territorialitätsprinzip steht dem nicht entgegen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.06.2019 aufgehoben und wird die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Arbeitslosengeld streitig.

Der im Jahr 1986 geborene Kläger schloss mit der K. GmbH am 07.04.2014 einen Aufhebungsvertrag zum 30.04.2014, woraufhin sich der Kläger arbeitslos meldete und Arbeitslosengeld beantragte. Mit den Bescheiden vom 07.05.2014 verfügte die Beklagte unter anderem ein Ruhen des Arbeitslosengeldes aufgrund einer zwölfwöchigen Sperrzeit wegen Lösung des Beschäftigungsverhältnisses für die Zeit vom 01.05.2014 bis zum 23.07.2014 unter Hinweis darauf, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld vollständig erlöschen könne, wenn der Kläger Anlass zum Eintritt von Sperrzeiten mit einer Dauer von zusammengerechnet 21 Wochen gegeben habe. Sodann war der Kläger vom 12.05.2014 bis zum 31.05.2015 bei S., vom 01.06.2015 bis zum 28.02.2016 bei F. und ab 01.03.2016 bei B. in Großbritannien beschäftigt. Wegen einer von ihm beabsichtigten neunmonatigen Weltreise und anschließenden Rückkehr nach Deutschland kündigte der Kläger dieses Beschäftigungsverhältnis am 01.06.2017 zum 30.06.2017. Der Kläger unternahm vom 01.07.2017 bis zum 10./11.04.2018 eine Weltreise, hielt sich ab 10./11.04.2018 in Großbritannien auf und kehrte am 25.04.2018 nach Deutschland zurück.

Am 02.05.2018 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. In dem Formular "U1 – Coordination of Social Security System" vom 18.05.2018 wurden für die Zeit bis zum 30.06.2017 "Income from employment" und bis zum 07.04.2018 "Insured employment" bestätigt. Mit Bescheid vom 06.06.2018 lehnte die Beklagte die Gewährung von Arbeitslosengeld ab. Sie führte zur Begründung aus, der Kläger könne seinen früheren Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht mehr geltend machen, da seit seiner Entstehung am 01.05.2014 mehr als vier Jahre vergangen seien. Hiergegen erhob der Kläger am 14.06.2018 mit der Begründung Widerspruch, er habe, da die für ihn zuständige Agentur für Arbeit am 01.05.2018 nicht geöffnet gewesen sei, den Antrag auf Arbeitslosengeld erst am 02.05.2018 stellen können. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe keinen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben, da er in der die Zeit vom 02.05.2016 bis zum 01.05.2018 umfassenden Rahmenfrist nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Die für die Geltendmachung seines früheren Anspruchs auf Arbeitslosengeld einzuhaltende Vier-Jahres-Frist sei fruchtlos verstrichen, da eine wirksame persönliche Arbeitslosmeldung rückwirkend zum 01.05.2018 ausgeschlossen sei, weil sein früheres Beschäftigungsverhältnis in Großbritannien bereits am 07.04.2018 geendet habe und somit der 01.05.2018 nicht der erste Tag der Beschäftigungslosigkeit gewesen sei.

Hiergegen hat der Kläger, der am 01.07.2018 wieder ein Beschäftigungsverhältnis aufgenommen hatte, am 11.07.2018 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart mit der Begründung erhoben, dass sein früheres Beschäftigungsverhältnis in England bereits am 30.06.2017 geendet habe und er erst am Abend des 25.04.2018 nach Deutschland zurückgekehrt sei.

Auf gerichtlichen Hinweis hat die Beklagte zwar eingeräumt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht erloschen sei, da die Vier-Jahres-Frist aufgrund des gesetzlichen Feiertags am 01.05.2018 tatsächlich erst am 02.05.2018 geendet habe. Sie hat jedoch unter Hinweis auf die bereits mit Bescheid vom 07.05.2014 bindend festgestellte zwölfwöchige Sperrzeit mit Bescheid 28.11.2018 den Antrag auf Arbeitslosengeld vom 02.05.2018 abgelehnt, da der Anspruch auf Arbeitslosengeld erloschen sei, weil der Kläger erneut Anlass für den Eintritt einer Sperrzeit gegeben habe. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis bei B. in Großbritannien durch seine Kündigung gelöst. Er habe voraussehen müssen, dass er dadurch arbeitslos würde. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines wichtigen Grundes seien nicht zu erkennen. Die Sperrzeit dauere zwölf Wochen. Damit habe der Kläger Anlass zum Eintritt von Sperrzeiten mit einer Gesamtdauer von mindestens 21 Wochen gegeben. Zusammengerechnet würden alle Sperrzeiten, die innerhalb von zwölf Monaten vor Entstehung, im Zusammenhang mit der Entstehung und nach Entstehung des Anspruchs auf Leistung eingetreten seien. Über die Rechtsfolgen sei der Kläger mit Bescheid vom 07.05.2014 ausführlich belehrt worden.

Mit Urteil vom 04.06.2019 hat das SG Stuttgart den Bescheid der Beklagten vom 06.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2018 sowie des Bescheides vom 28.11.2018 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 02.05.2018 bis zum 30.06.2018 zu gewähren. Der am 01.05.2014 erworbene Anspruch sei nicht deswegen erloschen, weil der Kläger Anlass für den Eintritt von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen gegeben habe, da die mit Bescheid vom 28.11.2018 verfügte zwölfwöchige Sperrzeit rechtswidrig sei. Die Aufgabe eines Beschäftigungsverhältnisses in Großbritannien könne keine Sperrzeit nach dem SGB III auslösen. Denn § 30 Abs. 1 SGB I beschränke den Geltungsbereich des SGB auf Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dessen Geltungsbereich hätten, was beim Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung seines Beschäftigungsverhältnisses bei B. aufgrund seines Wohnsitzes in Großbritannien nicht der Fall gewesen sei. Ferner gälten nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB IV die Vorschriften des SGB IV mit Ausnahme des Ersten und Zweiten Titels des Vierten und Fünften Abschnitts des SGB IV auch im Arbeitsförderungsrecht. Dazu zähle insbesondere auch § 3 SGB IV, nach welchem auch in der Arbeitsförderung das sogenannte Territorialitätsprinzip gelte. Danach erfassten die Vorschriften des SGB III nur Sachverhalte, die im Inland einträten, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Auch unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorschriften ergebe sich kein anderes Ergebnis. Länderübergreifende Sperrzeitvorschriften seien darin nicht geregelt. Würde man den Eintritt einer Sperrzeit bei Aufgabe einer Tätigkeit im Ausland annehmen, die nur unter bestimmten Voraussetzungen bei einem neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III überhaupt zu berücksichtigen wäre, führte dies zu einer ungerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber einer Person, die während ihres Auslandsaufenthalts keiner Beschäftigung nachgegangen sei. Dies wäre mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht zu vereinbaren.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 13.06.2019 zugestellte Urteil des SG Stuttgart am 09.07.2019 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Die außerhalb des Geltungsbereichs des SGB III erfolgte Kündigung des Klägers könne eine Sperrzeit begründen. § 30 SGB I stelle keine Vorschrift zur Behandlung von Auslandssachverhalten dar, sondern regele lediglich den persönlichen Geltungsbereich des SGB, also die Frage, ob das SGB auf eine bestimmte natürliche oder juristische Person Anwendung finde. Daraus ergebe sich, dass das SGB III grundsätzlich auf den Kläger ab dem Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Deutschland und seiner Arbeitslosmeldung Anwendung finde. Die Beantwortung der Frage, ob der Kläger schuldhaft seine Arbeitslosigkeit durch eine Kündigung herbeigeführt habe, stelle hingegen keine Anwendung des SGB III an sich dar. Es handele sich vielmehr um die Prüfung eines einzelnen Tatbestandsmerkmales auf dem Weg zur Entscheidung über den Eintritt einer Sperrzeit nach § 159 SGB III. Bei der Sperrzeitregelung handele es sich um die Sanktionierung eines Verhaltens, ohne dass es darauf ankomme, wo dieses Verhalten stattgefunden habe. § 3 SGB IV ändere hieran nichts, da diese Vorschrift in erster Linie die Anwendbarkeit der Vorschriften des SGB IV auf die Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung im Hinblick auf eine gegenwärtige versicherungsrechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes regele. Ihre Entscheidung führe auch zu keiner ungerechtfertigten Schlechterstellung des Klägers gegenüber demjenigen, der sich ohne eine Arbeitsaufnahme ins Ausland begebe. Das SG Stuttgart vergleiche hier Sachverhalte, die sich wesentlich unterschieden und deshalb nicht vergleichbar seien. Vergleichbar wäre vielmehr der Arbeitnehmer, der sich wie der Kläger verhalte, dies aber im Inland tue. Bei diesem würde bei ansonsten gleicher Sachlage eine Sperrzeit festgestellt. Gründe, den Kläger besser zu stellen, seien nicht erkennbar. Europarechtliche Regelungen würden die vom SG Stuttgart getroffene Entscheidung ebenfalls nicht begründen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.06.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

An dem Sachverhalt habe sich mit der Berufung nichts geändert.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das von der Beklagten angefochtene Urteil des SG Stuttgart vom 04.06.2019, der Bescheid der Beklagten vom 06.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2018 sowie des nach § 96 Abs. 1 SGG einzubeziehenden Bescheides vom 28.11.2018. Der Kläger begehrt mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 4 SGG die Aufhebung dieser Bescheide und die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 02.05.2018 bis zum 30.06.2018.

Das SG Stuttgart hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger hat für die Zeit vom 02.05.2018 bis zum 30.06.2018 keinen Anspruch auf die Gewährung von Arbeitslosengeld.

1. Zum einen sind die Voraussetzungen des § 137 Abs. 1 in Verbindung mit § 142 Abs. 1 Satz 1, § 143 Abs. 1 SGB III in Verbindung mit § 24 Abs. 1 und § 25 Abs. 1 SGB III sowie § 7 Abs. 1 SGB IV nicht gegeben.

Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat, wer 1. arbeitslos ist, 2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt hat (§ 137 Abs. 1 SGB III). Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 143 Abs. 1 SGB III). In einem Versicherungspflichtverhältnis stehen Personen, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind (§ 24 Abs. 1 SGB III). Versicherungspflichtig sind Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung gelten, soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich des SGB beschäftigt oder selbständig tätig sind (§ 3 Abs. 1 SGB IV). Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt (§ 6 SGB IV). Insoweit ist die EGV 883/2004 zu berücksichtigen.

Der Kläger hat in der zweijährigen Rahmenfrist vom 02.05.2016 bis zum 01.05.2018 die zwölfmonatige Anwartschaftszeit nicht erfüllt, da es sich bei der innerhalb dieses Zeitraums bis zum 30.06.2017 bei B. in Großbritannien durchgeführten Beschäftigung nicht um eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III gehandelt hat. Denn diese Beschäftigung ist nicht im Geltungsbereich des SGB ausgeübt worden. Zwar berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Leistungsanspruchs von Beschäftigungszeiten abhängig ist, soweit erforderlich, die Beschäftigungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären (Art. 61 Abs. 1 EGV 883/2004) und werden, wenn nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften der Leistungsanspruch von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Beschäftigungszeiten berücksichtigt, wenn sie als Versicherungszeiten gegolten hätten, wenn sie nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 EGV 883/2004). Allerdings gilt dies nur unter der Voraussetzung, dass die betreffende Person unmittelbar zuvor nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, Beschäftigungszeiten, sofern diese Rechtsvorschriften Beschäftigungszeiten verlangen, zurückgelegt hat (Art. 61 Abs. 2 EGV 883/2004). Es müsste also vorliegend unmittelbar vor Geltendmachung des Arbeitslosengeldes eine Versicherungszeit nach den deutschen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sein. "Unmittelbar vor Geltendmachung" bedeutet, dass unabhängig von der zwischen der Beendigung der letzten Versicherungszeit und dem Antrag auf Leistungen verstrichenen Zeit in der Zwischenzeit keine weitere Versicherungszeit in einem anderen Mitgliedsstaat zurückgelegt worden sein darf (EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-372/02, SozR 4-6050 Art. 71 Nr. 4, juris Nr. 52; BSG, Urteil vom 17.03.2015 - B 11 AL 12/14 R, SozR 4-4300 § 131 Nr. 6, juris Rn. 19). Dies ist aber vorliegend der Fall, da der Kläger nach seiner bis zum 30.04.2014 in Deutschland ausgeübten Beschäftigung bis zu seiner am 02.05.2018 erfolgten Arbeitslosmeldung Beschäftigungen in Großbritannien und danach keine weitere Beschäftigung in Deutschland ausgeübt hat.

2. Zum anderen ist der am 01.05.2014 entstandene Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 161 Abs. 1 Nr. 2 SGB III erloschen.

Der Anspruch auf Arbeitslosengeld erlischt, wenn die oder der Arbeitslose Anlass für den Eintritt von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen gegeben hat, über den Eintritt der Sperrzeiten schriftliche Bescheide erhalten hat und auf die Rechtsfolgen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen hingewiesen worden ist; dabei werden auch Sperrzeiten berücksichtigt, die in einem Zeitraum von zwölf Monaten vor der Entstehung des Anspruchs eingetreten sind und nicht bereits zum Erlöschen eines Anspruchs geführt haben (§ 161 Abs. 1 Nr. 2 SGB III).

Vorliegend hat der Kläger Anlass für den Eintritt von Sperrzeiten im Sinne des § 159 SGB III mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen gegeben.

Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit (§ 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn die oder der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (§ 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 SGB III).

Der Kläger hat mit dem Aufhebungsvertrag vom 07.04.2014 sein Beschäftigungsverhältnis bei der K. GmbH zum 30.04.2014 gelöst und damit ausweislich der bestandskräftigen Bescheide vom 07.05.2014 Anlass für den Eintritt einer Sperrzeit mit einer Dauer von zwölf Wochen gegeben. Der Kläger hat mit seiner am 01.06.2017 erfolgten Kündigung sein Beschäftigungsverhältnis bei B. in Großbritannien zum 30.06.2017 gelöst. Da dieser Kündigung die von ihm beabsichtigte und sodann vom 01.07.2017 bis zum 10./11.04.2018 unternommene Weltreise zu Grunde gelegen hat, hat ihm für die Lösung dieses Beschäftigungsverhältnisses kein wichtiger Grund zur Seite gestanden. Er hat hierdurch mithin Anlass für den Eintritt einer weiteren Sperrzeit mit einer Dauer von zwölf Wochen und damit für Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen gegeben.

Entgegen der Ansicht des SG Stuttgart steht der Verwirklichung dieses Sperrzeittatbestandes nicht entgegen, dass die Kündigung vom 01.06.2017 in Großbritannien erfolgt ist.

Zwar gelten nach der vom SG Stuttgart in Bezug genommenen Regelung des § 30 Abs. 1 SGB I die Vorschriften des SGB für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben und hat der Kläger im Zeitpunkt seiner Kündigung seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Bundesgebiet gehabt. Damit ist jedoch nicht von vorneherein ausgeschlossen, die Regelung des § 159 SGB III auf eine von einer in Großbritannien wohnenden Person dort ausgesprochene Kündigung anzuwenden. Denn das in § 30 Abs. 1 SGB I zum Ausdruck kommende Territorialitätsprinzip bestätigt lediglich die Tatsache, dass die hoheitliche Wirkungsmöglichkeit eines Staates an seinen Grenzen endet und kann deshalb im Bereich der Sozialversicherung über die Frage der Versicherungs- und Beitragspflicht hinaus nur bedeutsam werden, soweit eine hoheitliche Betätigung, insbesondere eine hoheitliche Kontrolle außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des SGB erforderlich ist (BSG, Beschluss vom 21.12.1971 - GS 6/71, SozR Nr. 13 zu § 1302 RVO, juris Rn. 16). Das Völkerrecht verbietet den Staaten, außerhalb ihrer eigenen Gebietshoheit hoheitliche Maßnahmen im Rahmen der Gebietshoheit eines anderen Staates vorzunehmen und dort staatlichen Zwang auszuüben. Es verbietet einem Staat aber nicht, an Sachverhalte mit Auslandsberührung Rechtsfolgen zu knüpfen, sofern der Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit deutschen Rechts sachgerecht ist (Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, § 30 Rn. 18). § 30 SGB I regelt nur die Anwendung des jeweiligen SGB, hier des SGB III, die dann gegeben ist, wenn der Wohnsitz oder ständige Aufenthaltsort einer Person im räumlichen Geltungsbereich des SGB liegt, bestimmt aber nichts dazu, wie im Ausland gelegene Sachverhalte in der deutschen Rechtsordnung zu behandeln sind, nachdem das deutsche Recht Anwendung findet (Schneider, ZESAR 2014, 409, 410). Dies bedeutet, dass zwar grundsätzlich vom Territorialitätsprinzip auszugehen ist, aber Durchbrechungen bei Fragen der Versicherungs- und Beitragspflicht und auf der Leistungsseite zulässig sind. Mithin kommt dem Territorialitätsprinzip in seiner rechtlichen Bedeutung jedenfalls nicht mehr als der Ausdruck eines Ordnungsbegriffs bei, dem je nach der Gestaltung der konkreten Sach- und Rechtslage in Bezug auf die Ausdehnung oder Einschränkung des innerstaatlichen Rechts unterschiedliche Wirkungen zu entnehmen sind. In jedem Einzelfall ist die Prüfung erforderlich, wovon der Gesetzgeber bei Erlass der spezifischen Vorschrift, die zur Anwendung gelangen soll, ausgegangen ist (BSG, Urteil vom 20.04.1977 - 7 RAr 55/75, SozR 4100 § 80 Nr. 1, juris Rn. 36). Eine solche Einzelprüfung ergibt vorliegend, dass zwar die den Anspruch auf Arbeitslosengeld und das Erlöschen dieses Anspruchs regelnden Vorschriften der §§ 137 und 161 SGB III sowie die das Ruhen des Arbeitslosengeldes regelnde Vorschrift des § 159 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB III auf den Kläger erst ab dem Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Deutschland und seiner Arbeitslosmeldung Anwendung finden, aber die jeweiligen Tatbestandsmerkmale dieser Vorschriften auch durch Handlungen des Klägers in Großbritannien erfüllt werden konnten. Dies gilt insbesondere für die vorliegend zu beurteilende, in Großbritannien erfolgte Lösung des Beschäftigungsverhältnisses. Anders gewendet stellt – wie die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung zutreffend dargelegt hat – die Beantwortung der Frage, ob der Kläger schuldhaft seine Arbeitslosigkeit durch eine Kündigung herbeigeführt hat, keine Anwendung des SGB III an sich dar, sondern handelt es sich dabei vielmehr um die Prüfung eines einzelnen Tatbestandsmerkmales auf dem Weg zur Entscheidung über den Eintritt einer Sperrzeit nach § 159 SGB III und eines Erlöschens nach § 161 SGB III. In der Vergangenheit liegende Sachverhaltselemente, die eine leistungsrechtliche Bedeutung haben können – wie beispielsweise die vorliegend zu beurteilende Kündigung – sind in die Entscheidung über einen im Bundesgebiet geltend gemachten Anspruch einzubeziehen.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus der vom SG Stuttgart herangezogenen Regelung des § 3 SGB IV. Denn diese Regelung bestimmt lediglich den Geltungsbereich der Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung. Mithin lässt sich nach der zutreffenden Argumentation der Beklagten hieraus gerade nicht ableiten, dass damit sämtliche Auslandssachverhalte rechtlich irrelevant wären.

Auch europarechtliche Regelungen gebieten kein anderes Ergebnis. Zwar unterliegt nach Art. 11 Nr. 3 a EGV 883/2004 eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats. Hieraus folgt aber nicht, dass bei der Prüfung eines im Bundesgebiet geltend gemachten Anspruchs an die Kündigung eines in einem Mitgliedstaat ausgeübten Beschäftigungsverhältnisses keine Rechtsfolgen nach deutschem Recht geknüpft werden können, zumal nach Art. 11 Nr. 3 c EGV 883/2004 eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhält, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt. Eine entsprechende Anwendung dieser Regelung auf Personen, die Arbeitslosengeld nach dem SGB III beantragen beziehungsweise Ansprüche aus einem nach dem SGB III erworbenen Anspruch geltend machen, liegt nahe. Dies hat zur Folge, dass in solchen Konstellationen eben gerade die Rechtsvorschriften des SGB III und damit auch die Sperrzeitregelung des § 159 SGB III Anwendung finden.

Die Anwendung des § 159 SGB III auf die in Großbritannien erfolgte Kündigung eines dort ausgeübten Beschäftigungsverhältnisses verstößt auch nicht gegen Art. 45 AEUV, wonach innerhalb der Union die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet ist. Die Verhängung einer Sperrzeit und das vorliegend hieraus folgende Erlöschen eines inländischen Arbeitslosengeldanspruchs hindert den Kläger nicht daran, erneut in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union eine Beschäftigung auszuüben.

Die Feststellung eines Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen einer Sperrzeit aufgrund einer im Ausland erfolgten Kündigung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Der Gleichheitssatz enthält das Gebot, weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln (Burghart in: Leibholz/Rinck, GG, 79. Lieferung 10/2019, Art. 3 Rn. 27). Entgegen der Ansicht des SG Stuttgart wird der Kläger gegenüber demjenigen, der sich ohne eine Arbeitsaufnahme ins Ausland begibt, nicht ungerechtfertigt schlechter gestellt. Das SG Stuttgart vergleicht hier Sachverhalte, die sich wesentlich unterscheiden und deshalb nicht gleich zu behandeln sind. Vergleichbar ist eine im Ausland beschäftigte Person, die ihr Beschäftigungsverhältnis kündigt, mit einer im Inland beschäftigten Person, die ihr Beschäftigungsverhältnis kündigt. Beide Sachverhalte sind nach der Überzeugung des Senats im Sinne der Verhängung einer Sperrzeit gleich zu behandeln. Der Senat hat keine Idee, warum eine im Ausland kündigende Person gegenüber einer im Inland kündigenden Person bessergestellt werden sollte.

Der Kläger hat über den Eintritt der Sperrzeiten schriftliche Bescheide erhalten und ist auf die Rechtsfolgen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen hingewiesen worden. Denn die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 07.05.2014 darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld vollständig erlöschen könne, wenn der Kläger Anlass zum Eintritt von Sperrzeiten mit einer Dauer von zusammengerechnet 21 Wochen gegeben habe.

Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG Stuttgart vom 04.06.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.
Rechtskraft
Aus
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