Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 127 AS 2140/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 553/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die 4-jährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 SGB X findet auf einen mit bestandskräftigem Erstattungsbescheid gemäß § 328 Abs. 3 SGB III festgesetzten Erstattungsanspruch keine Anwendung. dieser verjährt gemäß § 52 SGB X in 30 Jahren.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Vollziehung von Forderungen i.H.v. 824,44 EUR mit der Einrede der Verjährung.
Mit Erstattungsbescheiden vom 26. April 2010, 24. Juni 2010, 10. August 2010, 18. August 2010 und 14. September 2010 forderte der Antragsgegner vom Antragsteller jeweils unter Verweis auf die Vorschriften des § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a Zweites Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) i.V.m. § 328 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) nach endgültiger Festsetzung von Leistungsansprüchen die Erstattung von aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen. Der Antragsteller räumt ein, dass diese Bescheide bestandskräftig sind.
Mit Vollstreckungsankündigung vom 7. März 2020 teilte das Hauptzollamt B dem Antragsteller mit, gegen ihn wegen Geldforderungen in Höhe von 824,44 EUR die Vollstreckung durchzuführen. Unter "Bezeichnung der Forderungen im Einzelnen" führte er die vorgenannten Erstattungsbescheide sowie Mahngebühren in Höhe von 10,42 EUR auf. Der Antragsteller könne die für ihn mit zusätzlichen Kosten verbundene Vollstreckung vermeiden, wenn er innerhalb von 2 Wochen nach Erhalt der Vollstreckungsankündigung den Gesamtbetrag einzahle. Werde der Betrag nicht oder nicht vollständig entrichtet, würden Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen. So würde das Hauptzollamt – ohne weitere Ankündigung – z.B. bei seinem Arbeitgeber den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens pfänden und einziehen, bei seiner Bank sein Konto pfänden und/oder ihm gehörende bewegliche Sachen durch seine Vollziehungsbeamten pfänden lassen.
Der Antragsteller begehrt mit seinem vorliegenden Antrag die vorläufige Einstellung der Vollziehung der vorgenannten Forderungen. Sein Antrag ging am 19. März 2020 zusammen mit der zeitgleich erhobenen, auf endgültige Einstellung der Vollziehung dieser Forderungen gerichteten Klage beim Sozialgericht Berlin (im Weiteren: SG) ein. Der Antragsteller vertritt die Ansicht, die streitigen Forderungen seien gemäß § 50 Abs. 4 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) verjährt. Die 30-jährige Verjährungsfrist gemäß § 52 Abs. 2 SGB X greife erst bei Unanfechtbarkeit eines weiteren Verwaltungsaktes ein, mit dem die Durchsetzung des Erstattungsanspruchs erfolge. Hieran fehle es jedoch vorliegend. Sofern es an einem Verwaltungsakt zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs fehle, habe die Verjährungsregelung des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X den Vorrang. Die Forderungen seien mit Ablauf der Jahre 2014 bzw. 2016 verjährt. Daher könne der Antragsgegner kein zu billigendes Interesse an einer Vollstreckung haben, weshalb auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu bejahen sei. Er könne nicht ausschließlich auf die langwierige Durchführung des Hauptsacheverfahrens verwiesen werden.
Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Der Antragsteller richte sich bereits gegen den falschen Antragsgegner. Passiv legitimiert sei allein die Bundesagentur für Arbeit (BA), Agentur für Arbeit R Inkassoservice, die nach § 44c Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 44b Abs. 4 SGB II mit der Wahrnehmung des Forderungseinzugs beauftragt sei. Er habe mit der Übertragung der Vollstreckung auch die Prüfung der Einrede der Verjährung auf die BA übertragen. Außerdem würden die Erstattungsbescheide Verwaltungsakte im Sinne von § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X darstellen. Demnach würde die Verjährungsfrist vorliegend 30 Jahre betragen. Die Forderungen seien nicht verjährt. Zudem sei weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass schwere, irreparable Nachteile oder Grundrechtseingriffe abzuwenden seien. Der Antragsteller stehe nicht im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Seit dem 23. Juli 2018 stehe er in einem Beschäftigungsverhältnis. Auch habe er zuletzt am 19. März 2019 und 27. August 2019 eine Zahlungserinnerung vom Inkassoservice der BA erhalten und im Oktober 2019 beim Antragsgegner einen Termin zur Klärung des Sachverhaltes wahrgenommen. Angesichts dessen sei eine Eilbedürftigkeit keinesfalls ersichtlich. Es sei dem Antragsteller zuzumuten, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Der Antragsgegner übersandte unter anderem eine Mahnung der BA vom 29. März 2012, mit welcher gegen den Antragsteller Mahngebühren in Höhe von 4,35 EUR festsetzt wurden. In der Forderungsaufstellung zu dieser Mahnung werden weitere Mahngebühren in Höhe von 6,07 EUR aus einer Mahnung vom 17. Oktober 2010 aufgeführt.
Mit Beschluss vom 26. März 2020 hat das SG den Antrag abgelehnt. Es sei bereits kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Bescheide seien, soweit sie den Antragsteller zur Erstattung der nach endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs festgestellten Überzahlungen heranzögen, Verwaltungsakte im Sinne des § 50 Abs. 3 SGB X. Da weder vorgetragen noch ersichtlich sei, dass Rechtsmittel gegen die Bescheide eingelegt worden seien, sei die 4-jährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X mit Ablauf des Jahres 2014 abgelaufen. Innerhalb dieses Zeitraums sei aber mindestens eine Mahnung mit Festsetzung von Mahngebühren am 29. März 2012 (und gegebenenfalls schon eine weitere aber nicht aktenkundige Mahnung vom 17. Oktober 2010) erfolgt. Die erfolgte Mahnung mit der Festsetzung von Mahngebühren innerhalb der 4-jährigen Verjährungsfrist würde einen Verwaltungsakt darstellen, der genüge, um die Verjährung auf 30 Jahre zu verlängern. Damit liege ein weiterer Verwaltungsakt vor, der die längere Verjährungsfrist des § 52 Abs. 2 SGB X auslöse.
Gegen diesen ihm am 27. März 2020 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am 2. April 2020 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangenen Beschwerde. Er trägt vor, etwaige Mahnungen vom 17. Oktober 2010 oder 29. März 2012 nicht erhalten zu haben. Darauf komme es aber seiner Ansicht nach nicht an, da eine Mahnung mit der Festsetzung von Mahngebühren kein Verwaltungsakt zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs im Sinne des § 52 Abs. 2 SGB X sei. Die in einer Mahnung enthaltene Zahlungsaufforderung sei schon kein Verwaltungsakt. Erst die Festsetzung der Mahngebühr würde einen Verwaltungsakt darstellen, allerdings nicht der Durchsetzung der Forderung dienen. Denn bei den Mahngebühren handele es sich allein um einen Kostenersatz (Gebühren und Auslagen) für Amtshandlungen nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz. Schließlich äußert er Zweifel an einer wirksamen Übertragung des Forderungseinzuges durch den Antragsgegner.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 2020 abzuändern und die Vollziehung der Forderungen aus den Erstattungsbescheiden vom 26. April 2010, 24. Juni 2010, 10. August 2010, 18. August 2010, 14. September 2010 und 30. März 2012 in Höhe von zusammen 824,44 EUR vorläufig einzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er trägt ergänzend vor, dass die vorgenannten Bescheide – mit Ausnahme des Bescheides vom 30. März 2012 – auf der Vorschrift des § 328 Abs. 3 SGB III basieren würden und damit insbesondere § 50 SGB X nicht anwendbar sei.
Der Senat hat unter anderem den Beschluss der Trägerversammlung des Antragsgegners vom 29. November 2019 beigezogen, auf den Bezug genommen wird. Danach wurde unter anderem beschlossen, den Forderungseinzug auf die BA zu übertragen, wobei diese im Namen des Antragsgegners handele und insoweit unter anderem Mahnungen einschließlich der Festsetzung von Mahngebühren sowie Stundungs- und Erlassbescheide erlassen, Vergleiche nach § 58 Bundeshaushaltsordnung bzw. § 58 Haushaltsordnung des Landes Berlin abschließen und als Vollstreckungsanordnungsbehörde das zuständige Hauptzollamt mit der Vollstreckung beauftragen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die zulässige, insbesondere gemäß § 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.
Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass rechtlicher Maßstab für die Beurteilung des vorliegenden Antrags § 86b Abs. 2 SGG ist. Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Nach Satz 2 sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer Sicherungs- bzw. Regelungsanordnung ist regelmäßig, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materieller Leistungsanspruch, als auch ein Anordnungsgrund, d.h. eine Eilbedürftigkeit, gemäß § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht ist. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist.
Das Vorliegen eines Anordnungsanspruches ist nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 257 Abs. 1 Abgabenordnung (AO), der vorliegend bei summarischer Prüfung gem. § 40 Abs. 8 SGB II i.V.m. den §§ 1 bis 5 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) anwendbar ist (vergleiche Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Dezember 2018 zum Aktenzeichen L 34 AS 2224/18 B ER, Rn. 15; Entscheidungen werden hier und im Folgenden zitiert nach Juris), ist eine Vollstreckung dann einzustellen oder zu beschränken, wenn die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 AO weggefallen sind (Nr. 1), der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt wird, aufgehoben wird (Nr. 2), der Anspruch auf die Leistung erloschen ist (Nr. 3) oder die Leistung gestundet worden ist (Nr. 4). Gemäß § 251 Abs. 1 S. 1 AO können Verwaltungsakte vollstreckt werden, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt oder die Vollziehung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist. Schließlich regelt § 3 Abs. 2 VwVG, dass eine Vollstreckung nur eingeleitet werden darf, wenn ein Leistungsbescheid vorliegt, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist, die Leistung fällig ist und ein - hier nicht relevanter - Zeitabschnitt verstrichen ist. Auch wenn ausgehend von ihrem jeweiligen Wortlaut keine dieser Bestimmungen im Falle der Erhebung einer Verjährungseinrede der Vollstreckung entgegenstünde, hält es der Senat gleichwohl nicht für zweifelhaft, dass es dem Antragsgegner verwehrt sein muss, aus einem Erstattungsbescheid zu vollstrecken, wenn die Erstattungsforderung bereits verjährt ist, denn hilfsweise wäre hier auf § 258 AO zurückzugreifen, nach dem eine Vollstreckung einstweilen einzustellen ist, soweit die Vollstreckung unbillig ist (vergleiche LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.).
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung sind die streitgegenständlichen Erstattungsforderungen jedoch nicht verjährt.
Gem. § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X hemmt ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, die Verjährung dieses Anspruchs. Die Hemmung endet mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts oder 6 Monate nach seiner anderweitigen Erledigung, § 52 Abs. 1 S. 2 SGB X. Ist ein Verwaltungsakt im Sinne des Abs. 1 unanfechtbar geworden, beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre, § 52 Abs. 2 SGB X. Bei den Erstattungsbescheiden vom 26. April 2010, 24. Juni 2010, 10. August 2010, 18. August 2010 und 14. September 2010 handelt es sich um Verwaltungsakte im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X. Der Antragsgegner als öffentlich-rechtlicher Rechtsträger hat diese zur Festsetzung und Durchsetzung seiner Ansprüche erlassen, indem er darin die Gesamtüberzahlung nach erfolgter endgültiger Leistungsfestsetzung sowie die Erstattungspflicht des Antragstellers verbindlich feststellte und die Erstattung des überzahlten Betrages vom Antragsteller forderte.
Der Ansicht des Antragstellers, dass die vorgenannten Erstattungsansprüche gemäß § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X verjährt seien, ist bereits deshalb nicht zu folgen, weil es sich bei den vorgenannten bestandskräftigen Erstattungsbescheiden nicht um solche nach § 50 Abs. 3 SGB X (für zu Unrecht erbrachte Leistungen) handelt.
Seinem Wortlaut nach regelt § 50 Abs. 4 SGB X lediglich die Verjährung von Verwaltungsakten nach § 50 Abs. 3 SGB X. § 50 Abs. 3 SGB X gilt, wie Wortlaut und systematische Stellung dieser Vorschrift zeigen, für die Geltendmachung eines Erstattungsverlangens sowohl nach § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X (Leistungserbringung durch später aufgehobenem Verwaltungsakt) als auch nach § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X (zu Unrecht erfolgte Leistungserbringung ohne Verwaltungsakt) (vgl. Merten in Hauck/Noftz, SGB X, § 50 Rn. 77). Darum handelt es sich vorliegend jedoch gerade nicht. Die streitgegenständlichen Verwaltungsakte setzen vielmehr nach der¬¬ - gem. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (hier in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung [im Weiteren: a.F.]) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II entsprechend anwendbaren - Vorschrift des § 328 SGB III einen Erstattungsbetrag fest, der sich aus der Differenz zwischen zunächst aufgrund vorläufigen Verwaltungsaktes erbrachten Leistungen und den mit der abschließenden Entscheidung festgesetzten Leistungen ergibt. Die vorliegend streitgegenständlichen Erstattungsbescheide beruhen nicht auf § 50 Abs. 3 SGB X, sondern auf § 328 Abs. 3 S. 2 HS 1 SGB III. Nach dieser Vorschrift sind, soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, Überzahlungen zwingend zu erstatten. Die Vorschrift entspricht § 42 Abs. 2 S. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) und ist gegenüber § 50 SGB X lex specialis (Düe in Brand, SGB III, 7. Aufl. 2015, § 328 Rn. 27). Eine direkte Anwendung der Vorschrift des § 50 Abs. 4 SGB X scheidet daher aus.
Die Erstattungsansprüche des Antragsgegners sind auch nicht in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X verjährt. Eine solche entsprechende Geltung ist (anders als in § 42 Abs. 2 S. 3 SGB I) für Erstattungsansprüche nach § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III gesetzlich nicht angeordnet. Für eine entsprechende Anwendung bedürfte es daher einer zu schließenden planwidrigen gesetzlichen Regelungslücke. Diese wird für die Frage, wann der materiell-rechtliche Erstattungsanspruch im Sinne des § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III verjährt, bevor dieser durch einen Verwaltungsakt formell festgesetzt wurde, in Rechtsprechung und Literatur angenommen und durch eine analoge Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X geschlossen. Übereinstimmend wird insoweit angenommen, dass der Erstattungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjährt, in dem der endgültige Bescheid unanfechtbar geworden ist (Düe a.a.O.; Kallert in Gagel, SGB III, § 328 Rn. 88; Greiser in Eicher/Schlegel, SGB III n.F., § 328 Rn. 66; Schaumberg in Schlegel/Volzke, jurisPK-SGB III, § 328 Rn. 123; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. Juni 2019 zum Aktenzeichen L 4 AS 272/17, Rn. 49; Thüringer LSG, Urteil vom 22. März 2018 zum Aktenzeichen L 9 AS 323/16, Rn. 44; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. April 2017 zum Aktenzeichen L 2 AS 1921/16, Rn. 51). Dem ist zuzustimmen. Das Bundessozialgericht (BSG) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die in § 45 SGB I bestimmte Verjährungsfrist von vier Jahren Ausdruck eines allgemeinen Prinzips ist, das der Harmonisierung der Vorschriften über die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche dient (vgl. BSG, Urteil vom 11. September 2019 zum Aktenzeichen B 6 KA 13/18 R, Rn. 24 m.w.N.). Die vierjährige Verjährungsfrist ist nicht nur in § 45 SGB I für "Ansprüche auf Sozialleistungen", sondern etwa auch in den §§ 25 und 27 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV sowie in § 113 SGB X enthalten. Auch die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X sieht für nachzuzahlende Forderungen, soweit Sondervorschriften (vgl. etwa § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II) nichts anderes bestimmen, eine Begrenzung auf vier Jahre vor. Die Verjährungsfrist von vier Jahren stellt nach allem ein allgemeines Rechtsprinzip im Sozialrecht dar (vgl. BSG a.a.O.). Dass die Verjährung von auf § 328 Abs. 3 SGB III beruhenden Erstattungsansprüchen gesetzlich nicht geregelt ist, stellt sich danach als planwidrig dar. Der Rückgriff auf eine entsprechende Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X als sachnächste Verjährungsregelung ist in diesem Fall geboten.
Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn – wie vorliegend – ein Erstattungsbescheid nach § 328 Abs. 3 SGB III innerhalb der 4-jährigen Verjährungsfrist seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der endgültige Bescheid unanfechtbar geworden ist, ergangen ist. In diesem Fall liegt keine Regelungslücke vor, die eine entsprechende Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X rechtfertigt. Denn in diesem Fall besteht mit § 52 SGB X eine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Verjährung, so dass nicht im Wege einer Analogie zu der Verjährungsvorschrift des § 50 Abs. 4 SGB X eine 4-jährige Verjährungsfrist für bestandskräftige Erstattungsbescheide nach § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III anzunehmen ist. Es ist auch nicht geboten, die Verjährung von gemäß § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III ergangenen Erstattungsbescheiden ebenso zu beurteilen, wie die Verjährung von gemäß § 50 Abs. 3 SGB X ergangenen Erstattungsbescheiden. Beide Regelungen weisen einen unterschiedlichen Charakter auf, so dass die Frage der Verjährung der auf ihrer Grundlage ergangenen Erstattungsbescheide nicht gleichlaufend beantwortet werden muss. § 50 SGB X regelt die Erstattung von Leistungen, die entweder zunächst aufgrund eines endgültigen Verwaltungsaktes, der im Nachhinein aufgehoben wurde, oder die zu Unrecht ohne Verwaltungsakt erbracht wurden. Die Vorschrift findet sich im Zweiten Titel des Ersten Kapitels des SGB X, der mit "Bestandskraft des Verwaltungsaktes" überschrieben ist. Die Vorschrift selbst ist durch den Gesetzgeber mit "Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen" überschrieben. Hingegen regelt § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III den Erstattungsanspruch nach zunächst erfolgter vorläufiger Leistungsbewilligung und knüpft damit von vornherein an einen völlig anderen Sachverhalt an: Weder wird die Bestandskraft eines Bescheides durchbrochen noch wurden Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht. Eine vorläufige Leistung begründet auch beispielsweise von vornherein keinen Vertrauensschutz darauf, diese auch endgültig behalten zu dürfen. Die Gewährung von vorläufigen Leistungen entfaltet keine Bindungswirkung für die endgültige Leistung; vorläufige Leistungen stellen gegenüber der endgültigen Leistungsbewilligung ein aliud dar (ständige Rechtsprechung des BSG, vergleiche z.B. Urteil vom 29. April 2015 zum Aktenzeichen B 14 AS 31/14 R Rn. 23 m.w.N.). Sollte § 50 Abs. 4 SGB X so zu verstehen sein, dass er als speziellere Vorschrift der Vorschrift des § 52 Abs. 2 SGB X vorgeht und erst wenn zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des durch Verwaltungsakt festgestellten Erstattungsanspruchs ergehen, diese dem § 52 SGB X unterfallen (wie derzeit wohl von der überwiegenden Meinung angenommen wird, vergleiche LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Dezember 2018 zum Aktenzeichen L 34 AS 2224/18 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. September 2018 zum Aktenzeichen L 1 AL 88/17; Baumeister in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 50 Rn. 126; Merten in Hauck/Noftz, SGB X, § 50 Rn. 95; a.A. Gregarek in Jahn, SGB-Kommentierung, § 50 SGB X Rn. 39-40), käme ihm ein Ausnahmecharakter zum ansonsten bestehenden Grundsatz zu, dass bestandskräftige Verwaltungsakte, die zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wurden, nach dem Willen des Gesetzgebers gem. § 52 SGB X regelmäßig der 30-jährigen Verjährungsfrist unterliegen, was ebenso im Verwaltungsverfahren gemäß § 53 Verwaltungsverfahrensgesetz gilt sowie entsprechend im Bereich des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB] für rechtskräftig festgestellte Ansprüche (vergleiche § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Angesichts seines eindeutigen Wortlauts, seiner systematischen Stellung und seines geschilderten Ausnahmecharakters ist § 50 Abs. 4 SGB X auf die ausdrücklich von ihm erfassten Fälle beschränkt und im vorliegenden Fall nicht analog anwendbar (vgl. Geiger in info also 2019, 201ff; so wohl auch Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 52 Rn. 4).
Andere Gründe, die für das vorläufige Einstellen der Vollstreckung der streitgegenständlichen Erstattungsbescheide sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Ob der (neue) Vortrag des Antragstellers, Mahnungen seien ihm nicht zugegangen, zutrifft, kann im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren ungeklärt bleiben. Angesichts der geringen Summe der geforderten Mahngebühren i.H.v. 10,42 EUR droht dem Antragsteller mit deren Vollstreckung nicht der Eintritt eines wesentlichen Nachteils, der nicht im Nachhinein wiedergutgemacht werden könnte. Insoweit fehlt es damit jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Die diesbezügliche Klärung kann dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Vollziehung von Forderungen i.H.v. 824,44 EUR mit der Einrede der Verjährung.
Mit Erstattungsbescheiden vom 26. April 2010, 24. Juni 2010, 10. August 2010, 18. August 2010 und 14. September 2010 forderte der Antragsgegner vom Antragsteller jeweils unter Verweis auf die Vorschriften des § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a Zweites Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) i.V.m. § 328 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) nach endgültiger Festsetzung von Leistungsansprüchen die Erstattung von aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen. Der Antragsteller räumt ein, dass diese Bescheide bestandskräftig sind.
Mit Vollstreckungsankündigung vom 7. März 2020 teilte das Hauptzollamt B dem Antragsteller mit, gegen ihn wegen Geldforderungen in Höhe von 824,44 EUR die Vollstreckung durchzuführen. Unter "Bezeichnung der Forderungen im Einzelnen" führte er die vorgenannten Erstattungsbescheide sowie Mahngebühren in Höhe von 10,42 EUR auf. Der Antragsteller könne die für ihn mit zusätzlichen Kosten verbundene Vollstreckung vermeiden, wenn er innerhalb von 2 Wochen nach Erhalt der Vollstreckungsankündigung den Gesamtbetrag einzahle. Werde der Betrag nicht oder nicht vollständig entrichtet, würden Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen. So würde das Hauptzollamt – ohne weitere Ankündigung – z.B. bei seinem Arbeitgeber den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens pfänden und einziehen, bei seiner Bank sein Konto pfänden und/oder ihm gehörende bewegliche Sachen durch seine Vollziehungsbeamten pfänden lassen.
Der Antragsteller begehrt mit seinem vorliegenden Antrag die vorläufige Einstellung der Vollziehung der vorgenannten Forderungen. Sein Antrag ging am 19. März 2020 zusammen mit der zeitgleich erhobenen, auf endgültige Einstellung der Vollziehung dieser Forderungen gerichteten Klage beim Sozialgericht Berlin (im Weiteren: SG) ein. Der Antragsteller vertritt die Ansicht, die streitigen Forderungen seien gemäß § 50 Abs. 4 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) verjährt. Die 30-jährige Verjährungsfrist gemäß § 52 Abs. 2 SGB X greife erst bei Unanfechtbarkeit eines weiteren Verwaltungsaktes ein, mit dem die Durchsetzung des Erstattungsanspruchs erfolge. Hieran fehle es jedoch vorliegend. Sofern es an einem Verwaltungsakt zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs fehle, habe die Verjährungsregelung des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X den Vorrang. Die Forderungen seien mit Ablauf der Jahre 2014 bzw. 2016 verjährt. Daher könne der Antragsgegner kein zu billigendes Interesse an einer Vollstreckung haben, weshalb auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu bejahen sei. Er könne nicht ausschließlich auf die langwierige Durchführung des Hauptsacheverfahrens verwiesen werden.
Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Der Antragsteller richte sich bereits gegen den falschen Antragsgegner. Passiv legitimiert sei allein die Bundesagentur für Arbeit (BA), Agentur für Arbeit R Inkassoservice, die nach § 44c Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 44b Abs. 4 SGB II mit der Wahrnehmung des Forderungseinzugs beauftragt sei. Er habe mit der Übertragung der Vollstreckung auch die Prüfung der Einrede der Verjährung auf die BA übertragen. Außerdem würden die Erstattungsbescheide Verwaltungsakte im Sinne von § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X darstellen. Demnach würde die Verjährungsfrist vorliegend 30 Jahre betragen. Die Forderungen seien nicht verjährt. Zudem sei weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass schwere, irreparable Nachteile oder Grundrechtseingriffe abzuwenden seien. Der Antragsteller stehe nicht im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Seit dem 23. Juli 2018 stehe er in einem Beschäftigungsverhältnis. Auch habe er zuletzt am 19. März 2019 und 27. August 2019 eine Zahlungserinnerung vom Inkassoservice der BA erhalten und im Oktober 2019 beim Antragsgegner einen Termin zur Klärung des Sachverhaltes wahrgenommen. Angesichts dessen sei eine Eilbedürftigkeit keinesfalls ersichtlich. Es sei dem Antragsteller zuzumuten, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Der Antragsgegner übersandte unter anderem eine Mahnung der BA vom 29. März 2012, mit welcher gegen den Antragsteller Mahngebühren in Höhe von 4,35 EUR festsetzt wurden. In der Forderungsaufstellung zu dieser Mahnung werden weitere Mahngebühren in Höhe von 6,07 EUR aus einer Mahnung vom 17. Oktober 2010 aufgeführt.
Mit Beschluss vom 26. März 2020 hat das SG den Antrag abgelehnt. Es sei bereits kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Bescheide seien, soweit sie den Antragsteller zur Erstattung der nach endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs festgestellten Überzahlungen heranzögen, Verwaltungsakte im Sinne des § 50 Abs. 3 SGB X. Da weder vorgetragen noch ersichtlich sei, dass Rechtsmittel gegen die Bescheide eingelegt worden seien, sei die 4-jährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X mit Ablauf des Jahres 2014 abgelaufen. Innerhalb dieses Zeitraums sei aber mindestens eine Mahnung mit Festsetzung von Mahngebühren am 29. März 2012 (und gegebenenfalls schon eine weitere aber nicht aktenkundige Mahnung vom 17. Oktober 2010) erfolgt. Die erfolgte Mahnung mit der Festsetzung von Mahngebühren innerhalb der 4-jährigen Verjährungsfrist würde einen Verwaltungsakt darstellen, der genüge, um die Verjährung auf 30 Jahre zu verlängern. Damit liege ein weiterer Verwaltungsakt vor, der die längere Verjährungsfrist des § 52 Abs. 2 SGB X auslöse.
Gegen diesen ihm am 27. März 2020 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am 2. April 2020 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangenen Beschwerde. Er trägt vor, etwaige Mahnungen vom 17. Oktober 2010 oder 29. März 2012 nicht erhalten zu haben. Darauf komme es aber seiner Ansicht nach nicht an, da eine Mahnung mit der Festsetzung von Mahngebühren kein Verwaltungsakt zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs im Sinne des § 52 Abs. 2 SGB X sei. Die in einer Mahnung enthaltene Zahlungsaufforderung sei schon kein Verwaltungsakt. Erst die Festsetzung der Mahngebühr würde einen Verwaltungsakt darstellen, allerdings nicht der Durchsetzung der Forderung dienen. Denn bei den Mahngebühren handele es sich allein um einen Kostenersatz (Gebühren und Auslagen) für Amtshandlungen nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz. Schließlich äußert er Zweifel an einer wirksamen Übertragung des Forderungseinzuges durch den Antragsgegner.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 2020 abzuändern und die Vollziehung der Forderungen aus den Erstattungsbescheiden vom 26. April 2010, 24. Juni 2010, 10. August 2010, 18. August 2010, 14. September 2010 und 30. März 2012 in Höhe von zusammen 824,44 EUR vorläufig einzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er trägt ergänzend vor, dass die vorgenannten Bescheide – mit Ausnahme des Bescheides vom 30. März 2012 – auf der Vorschrift des § 328 Abs. 3 SGB III basieren würden und damit insbesondere § 50 SGB X nicht anwendbar sei.
Der Senat hat unter anderem den Beschluss der Trägerversammlung des Antragsgegners vom 29. November 2019 beigezogen, auf den Bezug genommen wird. Danach wurde unter anderem beschlossen, den Forderungseinzug auf die BA zu übertragen, wobei diese im Namen des Antragsgegners handele und insoweit unter anderem Mahnungen einschließlich der Festsetzung von Mahngebühren sowie Stundungs- und Erlassbescheide erlassen, Vergleiche nach § 58 Bundeshaushaltsordnung bzw. § 58 Haushaltsordnung des Landes Berlin abschließen und als Vollstreckungsanordnungsbehörde das zuständige Hauptzollamt mit der Vollstreckung beauftragen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die zulässige, insbesondere gemäß § 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.
Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass rechtlicher Maßstab für die Beurteilung des vorliegenden Antrags § 86b Abs. 2 SGG ist. Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Nach Satz 2 sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer Sicherungs- bzw. Regelungsanordnung ist regelmäßig, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materieller Leistungsanspruch, als auch ein Anordnungsgrund, d.h. eine Eilbedürftigkeit, gemäß § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht ist. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist.
Das Vorliegen eines Anordnungsanspruches ist nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 257 Abs. 1 Abgabenordnung (AO), der vorliegend bei summarischer Prüfung gem. § 40 Abs. 8 SGB II i.V.m. den §§ 1 bis 5 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) anwendbar ist (vergleiche Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Dezember 2018 zum Aktenzeichen L 34 AS 2224/18 B ER, Rn. 15; Entscheidungen werden hier und im Folgenden zitiert nach Juris), ist eine Vollstreckung dann einzustellen oder zu beschränken, wenn die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 AO weggefallen sind (Nr. 1), der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt wird, aufgehoben wird (Nr. 2), der Anspruch auf die Leistung erloschen ist (Nr. 3) oder die Leistung gestundet worden ist (Nr. 4). Gemäß § 251 Abs. 1 S. 1 AO können Verwaltungsakte vollstreckt werden, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt oder die Vollziehung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist. Schließlich regelt § 3 Abs. 2 VwVG, dass eine Vollstreckung nur eingeleitet werden darf, wenn ein Leistungsbescheid vorliegt, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist, die Leistung fällig ist und ein - hier nicht relevanter - Zeitabschnitt verstrichen ist. Auch wenn ausgehend von ihrem jeweiligen Wortlaut keine dieser Bestimmungen im Falle der Erhebung einer Verjährungseinrede der Vollstreckung entgegenstünde, hält es der Senat gleichwohl nicht für zweifelhaft, dass es dem Antragsgegner verwehrt sein muss, aus einem Erstattungsbescheid zu vollstrecken, wenn die Erstattungsforderung bereits verjährt ist, denn hilfsweise wäre hier auf § 258 AO zurückzugreifen, nach dem eine Vollstreckung einstweilen einzustellen ist, soweit die Vollstreckung unbillig ist (vergleiche LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.).
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung sind die streitgegenständlichen Erstattungsforderungen jedoch nicht verjährt.
Gem. § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X hemmt ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, die Verjährung dieses Anspruchs. Die Hemmung endet mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts oder 6 Monate nach seiner anderweitigen Erledigung, § 52 Abs. 1 S. 2 SGB X. Ist ein Verwaltungsakt im Sinne des Abs. 1 unanfechtbar geworden, beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre, § 52 Abs. 2 SGB X. Bei den Erstattungsbescheiden vom 26. April 2010, 24. Juni 2010, 10. August 2010, 18. August 2010 und 14. September 2010 handelt es sich um Verwaltungsakte im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X. Der Antragsgegner als öffentlich-rechtlicher Rechtsträger hat diese zur Festsetzung und Durchsetzung seiner Ansprüche erlassen, indem er darin die Gesamtüberzahlung nach erfolgter endgültiger Leistungsfestsetzung sowie die Erstattungspflicht des Antragstellers verbindlich feststellte und die Erstattung des überzahlten Betrages vom Antragsteller forderte.
Der Ansicht des Antragstellers, dass die vorgenannten Erstattungsansprüche gemäß § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X verjährt seien, ist bereits deshalb nicht zu folgen, weil es sich bei den vorgenannten bestandskräftigen Erstattungsbescheiden nicht um solche nach § 50 Abs. 3 SGB X (für zu Unrecht erbrachte Leistungen) handelt.
Seinem Wortlaut nach regelt § 50 Abs. 4 SGB X lediglich die Verjährung von Verwaltungsakten nach § 50 Abs. 3 SGB X. § 50 Abs. 3 SGB X gilt, wie Wortlaut und systematische Stellung dieser Vorschrift zeigen, für die Geltendmachung eines Erstattungsverlangens sowohl nach § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X (Leistungserbringung durch später aufgehobenem Verwaltungsakt) als auch nach § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X (zu Unrecht erfolgte Leistungserbringung ohne Verwaltungsakt) (vgl. Merten in Hauck/Noftz, SGB X, § 50 Rn. 77). Darum handelt es sich vorliegend jedoch gerade nicht. Die streitgegenständlichen Verwaltungsakte setzen vielmehr nach der¬¬ - gem. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (hier in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung [im Weiteren: a.F.]) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II entsprechend anwendbaren - Vorschrift des § 328 SGB III einen Erstattungsbetrag fest, der sich aus der Differenz zwischen zunächst aufgrund vorläufigen Verwaltungsaktes erbrachten Leistungen und den mit der abschließenden Entscheidung festgesetzten Leistungen ergibt. Die vorliegend streitgegenständlichen Erstattungsbescheide beruhen nicht auf § 50 Abs. 3 SGB X, sondern auf § 328 Abs. 3 S. 2 HS 1 SGB III. Nach dieser Vorschrift sind, soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, Überzahlungen zwingend zu erstatten. Die Vorschrift entspricht § 42 Abs. 2 S. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) und ist gegenüber § 50 SGB X lex specialis (Düe in Brand, SGB III, 7. Aufl. 2015, § 328 Rn. 27). Eine direkte Anwendung der Vorschrift des § 50 Abs. 4 SGB X scheidet daher aus.
Die Erstattungsansprüche des Antragsgegners sind auch nicht in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X verjährt. Eine solche entsprechende Geltung ist (anders als in § 42 Abs. 2 S. 3 SGB I) für Erstattungsansprüche nach § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III gesetzlich nicht angeordnet. Für eine entsprechende Anwendung bedürfte es daher einer zu schließenden planwidrigen gesetzlichen Regelungslücke. Diese wird für die Frage, wann der materiell-rechtliche Erstattungsanspruch im Sinne des § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III verjährt, bevor dieser durch einen Verwaltungsakt formell festgesetzt wurde, in Rechtsprechung und Literatur angenommen und durch eine analoge Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X geschlossen. Übereinstimmend wird insoweit angenommen, dass der Erstattungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjährt, in dem der endgültige Bescheid unanfechtbar geworden ist (Düe a.a.O.; Kallert in Gagel, SGB III, § 328 Rn. 88; Greiser in Eicher/Schlegel, SGB III n.F., § 328 Rn. 66; Schaumberg in Schlegel/Volzke, jurisPK-SGB III, § 328 Rn. 123; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. Juni 2019 zum Aktenzeichen L 4 AS 272/17, Rn. 49; Thüringer LSG, Urteil vom 22. März 2018 zum Aktenzeichen L 9 AS 323/16, Rn. 44; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. April 2017 zum Aktenzeichen L 2 AS 1921/16, Rn. 51). Dem ist zuzustimmen. Das Bundessozialgericht (BSG) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die in § 45 SGB I bestimmte Verjährungsfrist von vier Jahren Ausdruck eines allgemeinen Prinzips ist, das der Harmonisierung der Vorschriften über die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche dient (vgl. BSG, Urteil vom 11. September 2019 zum Aktenzeichen B 6 KA 13/18 R, Rn. 24 m.w.N.). Die vierjährige Verjährungsfrist ist nicht nur in § 45 SGB I für "Ansprüche auf Sozialleistungen", sondern etwa auch in den §§ 25 und 27 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV sowie in § 113 SGB X enthalten. Auch die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X sieht für nachzuzahlende Forderungen, soweit Sondervorschriften (vgl. etwa § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II) nichts anderes bestimmen, eine Begrenzung auf vier Jahre vor. Die Verjährungsfrist von vier Jahren stellt nach allem ein allgemeines Rechtsprinzip im Sozialrecht dar (vgl. BSG a.a.O.). Dass die Verjährung von auf § 328 Abs. 3 SGB III beruhenden Erstattungsansprüchen gesetzlich nicht geregelt ist, stellt sich danach als planwidrig dar. Der Rückgriff auf eine entsprechende Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X als sachnächste Verjährungsregelung ist in diesem Fall geboten.
Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn – wie vorliegend – ein Erstattungsbescheid nach § 328 Abs. 3 SGB III innerhalb der 4-jährigen Verjährungsfrist seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der endgültige Bescheid unanfechtbar geworden ist, ergangen ist. In diesem Fall liegt keine Regelungslücke vor, die eine entsprechende Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X rechtfertigt. Denn in diesem Fall besteht mit § 52 SGB X eine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Verjährung, so dass nicht im Wege einer Analogie zu der Verjährungsvorschrift des § 50 Abs. 4 SGB X eine 4-jährige Verjährungsfrist für bestandskräftige Erstattungsbescheide nach § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III anzunehmen ist. Es ist auch nicht geboten, die Verjährung von gemäß § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III ergangenen Erstattungsbescheiden ebenso zu beurteilen, wie die Verjährung von gemäß § 50 Abs. 3 SGB X ergangenen Erstattungsbescheiden. Beide Regelungen weisen einen unterschiedlichen Charakter auf, so dass die Frage der Verjährung der auf ihrer Grundlage ergangenen Erstattungsbescheide nicht gleichlaufend beantwortet werden muss. § 50 SGB X regelt die Erstattung von Leistungen, die entweder zunächst aufgrund eines endgültigen Verwaltungsaktes, der im Nachhinein aufgehoben wurde, oder die zu Unrecht ohne Verwaltungsakt erbracht wurden. Die Vorschrift findet sich im Zweiten Titel des Ersten Kapitels des SGB X, der mit "Bestandskraft des Verwaltungsaktes" überschrieben ist. Die Vorschrift selbst ist durch den Gesetzgeber mit "Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen" überschrieben. Hingegen regelt § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III den Erstattungsanspruch nach zunächst erfolgter vorläufiger Leistungsbewilligung und knüpft damit von vornherein an einen völlig anderen Sachverhalt an: Weder wird die Bestandskraft eines Bescheides durchbrochen noch wurden Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht. Eine vorläufige Leistung begründet auch beispielsweise von vornherein keinen Vertrauensschutz darauf, diese auch endgültig behalten zu dürfen. Die Gewährung von vorläufigen Leistungen entfaltet keine Bindungswirkung für die endgültige Leistung; vorläufige Leistungen stellen gegenüber der endgültigen Leistungsbewilligung ein aliud dar (ständige Rechtsprechung des BSG, vergleiche z.B. Urteil vom 29. April 2015 zum Aktenzeichen B 14 AS 31/14 R Rn. 23 m.w.N.). Sollte § 50 Abs. 4 SGB X so zu verstehen sein, dass er als speziellere Vorschrift der Vorschrift des § 52 Abs. 2 SGB X vorgeht und erst wenn zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des durch Verwaltungsakt festgestellten Erstattungsanspruchs ergehen, diese dem § 52 SGB X unterfallen (wie derzeit wohl von der überwiegenden Meinung angenommen wird, vergleiche LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Dezember 2018 zum Aktenzeichen L 34 AS 2224/18 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. September 2018 zum Aktenzeichen L 1 AL 88/17; Baumeister in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 50 Rn. 126; Merten in Hauck/Noftz, SGB X, § 50 Rn. 95; a.A. Gregarek in Jahn, SGB-Kommentierung, § 50 SGB X Rn. 39-40), käme ihm ein Ausnahmecharakter zum ansonsten bestehenden Grundsatz zu, dass bestandskräftige Verwaltungsakte, die zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wurden, nach dem Willen des Gesetzgebers gem. § 52 SGB X regelmäßig der 30-jährigen Verjährungsfrist unterliegen, was ebenso im Verwaltungsverfahren gemäß § 53 Verwaltungsverfahrensgesetz gilt sowie entsprechend im Bereich des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB] für rechtskräftig festgestellte Ansprüche (vergleiche § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Angesichts seines eindeutigen Wortlauts, seiner systematischen Stellung und seines geschilderten Ausnahmecharakters ist § 50 Abs. 4 SGB X auf die ausdrücklich von ihm erfassten Fälle beschränkt und im vorliegenden Fall nicht analog anwendbar (vgl. Geiger in info also 2019, 201ff; so wohl auch Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 52 Rn. 4).
Andere Gründe, die für das vorläufige Einstellen der Vollstreckung der streitgegenständlichen Erstattungsbescheide sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Ob der (neue) Vortrag des Antragstellers, Mahnungen seien ihm nicht zugegangen, zutrifft, kann im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren ungeklärt bleiben. Angesichts der geringen Summe der geforderten Mahngebühren i.H.v. 10,42 EUR droht dem Antragsteller mit deren Vollstreckung nicht der Eintritt eines wesentlichen Nachteils, der nicht im Nachhinein wiedergutgemacht werden könnte. Insoweit fehlt es damit jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Die diesbezügliche Klärung kann dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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