L 5 B 1351/05 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 59 AS 9016/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 1351/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09. November 2005 wird zurückgewiesen. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt T S wird abgelehnt. Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).

Die 1982 geborene, aus Bremen stammende Antragstellerin besucht seit dem 09. August 2004 die Berufsfachschule für Foto-, Grafik und Modedesign, Fachrichtung Mode (L in B). Die Ausbildung wird sie voraussichtlich im Juli 2007 beenden. Die Gewährung von Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für diese Ausbildung lehnte der Senator für Bildung und Wissenschaft der Freien Hansestadt Bremen – Landesamt für Ausbildungsförderung – mit Bescheid vom 20. Oktober 2004 ab, da die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG nicht vorlägen. Werde ein Studium – wie im Falle der Antragstellerin - erst nach Beginn des achten Fachsemesters abgebrochen, werde Ausbildungsförderung für eine andere Ausbildung nur noch geleistet, wenn unabweisbare Gründe für den Abbruch bestanden hätten. Davon könne bei der Antragstellerin jedoch nicht ausgegangen werden.

In Berlin bezog die Antragstellerin vom 01. Januar bis zum 31. Juli 2005 vom JobCenter Charlottenburg-Wilmersdorf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Die Leistungsgewährung wurde mit Bescheid vom 24. Juni 2005 im Hinblick auf einen seinerzeit anstehenden Umzug der Antragstellerin mit Wirkung zum 01. August 2005 eingestellt. Am 14. Juli 2005 beantragte die Antragstellerin, die in Berlin eine eigene Wohnung bewohnt, daraufhin bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Arbeitslosengeld II. Mit Bescheid vom 21. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2005 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung der beantragten Leistung unter Hinweis auf § 7 Abs. 5 und 6 SGB II ab.

Mit ihrem am 16. September 2005 bei Gericht eingegangenen Antrag hat die Antragstellerin begehrt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II zu gewähren und ihr für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren. In ihrem Falle liege eine Ausnahme nach § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II vor, sodass es auf die grundsätzliche Förderungsfähigkeit der Ausbildung nicht ankomme. Als Berufsfachschülerin würde sich ihr Bedarf nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG richten; für Empfänger des so genannten Minibafögs gelte der Ausschluss jedoch nicht.

Mit Beschluss vom 09. November 2005 hat das Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Antragstellerin habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Vorschrift des § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II greife nicht zugunsten der Antragstellerin. Die Norm stelle auf "Auszubildende ab, deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG bemesse", ab und nicht abstrakt auf eine Ausbildung, für die sich der Bedarf nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG bemessen würde. Die Norm wolle nur diejenigen vom Ausschluss des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt ausnehmen, die zwar Ausbildungsförderung erhielten, deren vom Gesetz festgelegter Bedarf aber so niedrig sei, dass er zur Bedarfsdeckung ersichtlich nicht ausreiche. Wer aber erst gar nicht gefördert werden könne, weil er eine für Ausbildungen allgemein geltende Grenze der Förderung überschreite, könne keine Sonderstellung wegen der anerkannt unzureichenden Leistungen der Ausbildungsförderung im Falle des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG beanspruchen. Der Bedarf der Antragstellerin bemesse sich nicht nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG. Vielmehr sei sie bereits nach § 7 Abs. 3 BAföG von einer Förderung nach dem BAföG ausgeschlossen. Es bestehe daher gemäß § 7 Abs. 5 SGB II kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Auch liege kein Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II vor. Hilfebedürftige, die eine Ausbildung der in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II genannten Art betreiben und nach den dafür vorgesehenen Leistungsgesetzen nicht (mehr) gefördert werden, seien in der Regel gehalten, von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen, um für die Dauer der Hilfebedürftigkeit den Ausschluss von der Hilfe zum Lebensunterhalt abzuwenden. Dies möge als hart empfunden werden, sei aber als vom Gesetzgeber gewollte Folge eines mehrstufigen Sozialleistungssystems grundsätzlich hinzunehmen. Ein besonderer Härtefall liege erst dann vor, wenn im Einzelfall Umstände hinzuträten, die einen Ausschluss von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, das Leistungssystem des SGB II von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen ließen. Dies sei im Falle der Antragstellerin nicht anzunehmen. Dass sie abgesehen von dem an sie weitergeleiteten Kindergeld keine Einkünfte habe, stelle ebenso wenig eine besondere Härte dar wie der Umstand, dass eine eventuell nötige Unterbrechung des Studiums zu einer Verlängerung der Gesamtstudiendauer führen möge. Der Gesetzgeber nehme sogar das endgültige Scheitern der Ausbildung hin. Schließlich bedeute auch die bei Abbruch der Ausbildung drohende oder bestehende Arbeitslosigkeit keine besondere Härte. Mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung sei auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen gewesen.

Gegen diesen ihr am 14. November 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 29. November 2005 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, die ferner auch für das Beschwerdeverfahren die Gewährung von Prozesskostenhilfe begehrt. Zur Begründung hat sie ihren Vortrag aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt.

II.

1. Das Beschlussrubrum war dahingehend zu korrigieren, dass die Arbeitsgemeinschaft JobCenter Friedrichshain-Kreuzberg selbst Antragsgegnerin und nicht lediglich Vertreterin der Bundesagentur für Arbeit und des Landes Berlin als Leistungsträger ist, denn das JobCenter ist - entgegen der Meinung des Sozialgerichts und mit der inzwischen einhelligen Auffassung der übrigen Senate des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg - jedenfalls als nichtrechtsfähige Personenvereinigung im Sinne des § 70 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beteiligtenfähig. Eines Rückgriffs auf die hinter dem JobCenter stehenden Körperschaften bedarf es nicht (vgl. hierzu ausführlich Senatsbeschluss vom 11. August 2005, L 5 B 51/05 AS ER sowie Beschluss des 10. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 14. Juni 2005, L 10 B 44/05 AS ER).

2. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09. November 2005 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben. Das Sozialgericht Berlin hat ihren Antrag, ihr laufend Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, zu Recht abgewiesen.

Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragstellerin ein Anordnungsanspruch zusteht, d.h. die Antragsgegnerin im Klageverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dazu verpflichtet werden wird, ihr laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren.

Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten diejenigen Personen Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches, die das 15., nicht aber das 65. Lebensjahr vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes haben nach Absatz 5 Satz 1 der Vorschrift hingegen Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähig sind. Dies ist jedoch bei der Antragstellerin der Fall. Es wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Beschluss Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin liegt bei ihr offensichtlich kein Fall des § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II vor, der regelt, unter welchen Voraussetzungen Absatz 5 der Vorschrift keine Anwendung findet. Sämtlichen Ausnahmeregelungen des § 7 Abs. 6 SGB II ist gemein, dass der Auszubildende im Haushalt seiner Eltern leben muss (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 Rn. 45 f.; Münder, SGB II, § 7 Rn. 77). Dies folgt für die von der Antragstellerin hier geltend gemachte Ziffer 2 daraus, dass dort auf einen Bedarf nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG abgestellt wird, diese Vorschrift jedoch – wie sich aus einem Umkehrschluss zu Absatz 2 der Norm ergibt – nur für Schüler gilt, die bei ihren Eltern wohnen. Dies aber ist bei der Antragstellerin nicht der Fall. Auch wenn der Senat die Ausführungen des Sozialgerichts Berlin zum Erfordernis des tatsächlichen Leistungsbezuges im Gegensatz zu einem nur hypothetischen BAföG-Bedarf in entsprechender Höhe für überzeugend hält, kommt es vorliegend darauf nicht an. Der Bedarf der Antragstellerin würde sich gerade nicht nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG richten.

Es bleibt hier mithin bei dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II. Die Antragstellerin geht einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung nach, ihr werden jedoch keine Leistungen nach dem BAföG gewährt, weil sie ihre erste Ausbildung nicht aus einem unabweisbarem Grunde abgebrochen bzw. aus einem solchen Grund die Fachrichtung gewechselt hat. Ist aber eine Ausbildung gemäß BAföG dem Grunde nach förderungsfähig, ändert sich an dem SGB II-Leistungsausschluss nicht dadurch etwas, dass sie konkret im Hinblick auf die Ausbildungsbiographie des Antragstellers nicht gefördert wird.

Richtig sind die Antragsgegnerin sowie das Sozialgericht Berlin weiter davon ausgegangen, dass bei der Antragstellerin kein besonderer Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II vorliegt, der es der Antragsgegnerin ermöglichen würde, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes darlehensweise zu gewähren. Es bedarf insoweit keiner Klärung, ob in Anlehnung an den zum früheren § 26 BSHG herrschenden Streit das Vorliegen einer besonderen Härte nur dann anzunehmen ist, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist und vom Gesetzgeber so bewusst in Kauf genommen wurde (vgl. BVerwGE 94, 224), oder diesbezüglich stets eine typisierende Betrachtungsweise geboten ist (vgl. Nachweise bei Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 7 Rn. 47). Denn so wie im Falle der Antragstellerin aus den vom Sozialgericht Berlin überzeugend dargelegten Gründen nicht zu erkennen ist, dass die Folgen des Anspruchsausschlusses über das damit in aller Regel verbundene Maß hinausgehen, so liegt bei ihr auch keine von den insoweit relevanten Fallgruppen (z.B. Verlängerung der Dauer der Ausbildung wegen Geburt und Erziehung eines Kindes, zu lange Studien- und Ausbildungsdauer infolge einer Erkrankung oder Behinderung, unmittelbar bevorstehendes Ausbildungsende) vor.

Schließlich rechtfertigt auch das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin keine andere Entscheidung. Es wird weder von der Antragsgegnerin noch den Gerichten in Abrede gestellt, dass die Antragstellerin sich zurzeit in einer schwierigen finanziellen Lage befindet. Auch vermag der Senat es durchaus nachzuvollziehen, dass es für die Antragstellerin wünschenswert wäre, eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Die vom Gesetzgeber vorgesehenen Leistungen zur Ausbildungförderung hat sie jedoch bereits anlässlich ihres Studiums in Anspruch genommen. Dass sie dieses Studium abgebrochen und nunmehr eine andere Ausbildung begonnen hat, ist ihre – in der Sache durchaus nachvollziehbare – Entscheidung, kann jedoch nicht auf Kosten des Steuerzahlers zu einer weitergehenden Finanzierung führen, als das BAföG dies vorsieht. Denn Sinn des Gesetzes ist es, so wie früher die Sozialhilfe nunmehr auch die Grundsicherung von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten. Die Leistungen zur Grundsicherung dienen nicht dem Zweck, gleichsam eine Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene sicherzustellen, nachdem die primär dafür vorgesehenen Leistungen nicht mehr gewährt werden können. Diese Bestimmungen würden andernfalls durch die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zweckwidrig unterlaufen.

Soweit die Antragstellerin schließlich meint, die Antragsgegnerin sei an die Entscheidung des JobCenters Charlottenburg-Wilmersdorf gebunden, geht dies schon im Hinblick auf den Zeitraum, für den diese Behörde ihr Leistungen gewährt hatte, offensichtlich fehl. Es geht vorliegend um verschiedene Leistungszeiträume. Auch ist das Vertrauen der Antragstellerin darauf, dass eine ihr einmal zu Unrecht gewährte Leistung ihr auch zukünftig gewährt werde, nicht schützenswert.

3. Soweit das Sozialgericht Berlin mit seinem angefochtenen Beschluss auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat, ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden. Zur Überzeugung des Senats lag hier offensichtlich kein Anordnungsanspruch vor, sodass auch keine theoretische Erfolgsaussicht im einstweiligen Verfügungsverfahren bestand (§ 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung – ZPO -). Da dementsprechend auch die Beschwerde der Antragstellerin von Anfang an keine hinreichende Erfolgsaussicht hatte, war auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und folgt dem Ergebnis in der Sache selbst.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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