S 13 KN 121/11 KR

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KN 121/11 KR
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 568/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 2.894,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 04.03.2010 und 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 18.02.2011 zu zahlen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Der Streitwert wird auf 2.894,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zahlung der Restkosten einer stationären Krankenhausbehandlung in Höhe von 2.894,00 EUR.

Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus. Dort erhielt im Jahre 2009 eine bei der Beklagten versicherte Patientin wegen einer Krebserkrankung eine Chemotherapie. Diese wurde stationär in vier Behandlungszyklen durchgeführt, und zwar vom 21. bis 22.08., vom 11. bis 12.09., vom 09. bis 10.10. und vom 06. bis 08.11.2009. Die drei Rechnungen für die Therapiezyklen im August, September und Oktober 2009 wiesen jeweils die "Gabe von Pemetrexed, parenteral, 800 mg bis unter 900 mg" mit Kosten hierfür in Höhe von 2.865,91 EUR aus und wurden von der Beklagten jeweils insgesamt beglichen (Rechnungen vom 31.08. und 21.10.2009 über jeweils 4.640,72 EUR, Rechnung vom 09.12.2009 über 4.672,00 EUR). Für den vierten Zyklus vom 06. bis 08.11.2009 stellte die Klägerin am 18.11.2009 lediglich 1.706,72 EUR in Rechnung. In der Endrechnung, die der Beklagten am selben Tag zuging, fehlte die Position betreffend die Gabe des Zytostatikums. Die Beklagte wies am 19.11.2009 den geforderten Betrag von 1.706,72 EUR zur Zahlung an.

Am 16.02.2010 korrigierte die Klägerin die Rechnung vom 18.11.2009 und forderte für den vierten Behandlungszyklus nunmehr unter Einbeziehung der Medikamentengabe einen Betrag von 4.600,72 EUR; abzüglich des für die Behandlung vom 06. bis 08.11.2009 bereits abgerechneten Betrages ergibt sich die streitbefangene Nachforderung von 2.894,00 EUR.

Durch Schreiben vom 19.10., 18.10. und 12.11.2010 lehnte die Beklagte eine Nachzahlung ab. Sie verwies auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und meinte, danach seien Nachforderungen grundsätzlich ausgeschlossen; eine der Ausnahme, ein offensichtlicher formeller Fehler, liege nicht vor. Daran ändere auch nichts, dass die Bagatellgrenze überschritten sei, denn die Nachforderung sei nicht zeitnah – im laufenden Haushaltsjahr – erfolgt. Die Beklagte bezog sich für ihre Auffassung auf ein Schreiben der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen vom 21.06.2010.

Am 18.02.2011 hat die Klägerin Klage auf Zahlung weiterer 2.984,00 EUR erhoben. Sie ist der Auffassung, auch nach der Rechtsprechung des BSG sei sie mit der Nachforderung nicht ausgeschlossen. Bei der Abrechnung vom 18.11.2009 habe ein offenkundiger Abrechnungsfehler vorgelegen, da für die vorausgegangenen drei Therapiezyklen die Gabe der Zytostatika abgerechnet worden seien. Bei gleichbleibender Therapie in einem Folgezyklus sei das Fehlen dieser Abrechnungsposition ohne weiteres festzustellen gewesen. Auf das Haushaltsjahr komme es vorliegend nicht an, da die Nachforderung noch zeitnah geltend gemacht worden sei. Selbst wenn der Abrechnungsfehler nicht offensichtlich gewesen wäre, ergebe sich die Begründheit der Nachforderung aus dem Überschreiten der Bagatellgrenze. Das BSG wie auch die Krankenhausgesellschaft NRW im Schreiben vom 21.06.2010 habe diese Voraussetzungen für eine Nachforderung alternativ genannt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr 2.894,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 04.03.2010 und 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 18.02.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer bisherigen Auffassung. Sie meint, die Rechnung vom 18.11.2009 habe keinen offenkundigen formellen, sondern einen inhaltlichen Fehler aufgewiesen; da die Rechnung keinen Vorbehalt enthalten habe, sei die Nachforderung, weil sie nicht zeitnah, sondern außerhalb des Haushaltsjahres 2009 und mehr als sechs Wochen nach der fehlerhaften Rechnungsstellung geltend gemacht worden sei, nicht mehr zulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Bei einer auf Zah¬lung der (Rest-)Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Kranken¬hauses gegen eine Krankenkasse geht es um einen so genannten Parteien¬streit im Glei¬chordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2000 - B 3 KR 33/99 R = BSGE 86,166 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 1; Urteil vom 23.07.2002 - B 3 KR 64/01 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3). Ein Vor¬verfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten.

Die Klage ist auch begründet.

Rechtsgrundlage des geltenden gemachten restlichen Vergütungsanspruchs der Kläge-rin ist § 109 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. dem aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V folgenden Krankenhausbehandlungsanspruch der Versicherten. Die Zah-lungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leis¬tung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 13.12.2001 - B 3 KR 11/01 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 2; Urteil vom 23.07.2002 - B 3 KR 64/01 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3). Die näheren Einzelheiten über Aufnahme und Entlassung der Versicherten, Kosten-übernahme, Abrechnung der Entgelte sowie die Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung ist in den zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen einerseits und verschiedenen Krankenkassen sowie Landesver-bänden der Krankenkasse andererseits geschlossenen Verträge nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V geregelt. Es sind dies der Vertrag über allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehand¬lung (KBV) und der Vertrag zur Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenh¬ausbehandlung (KÜV).

Der mit der Klage geltend gemachte restliche Vergütungsanspruch der Klägerin ist durch die Zahlung des zuerst mit der Rechnung vom 18.11.2009 abgerechneten Betrages nicht erloschen. So wie die Krankenkasse auch nach Zahlung der Krankenhausrechnung nachträgliche Korrekturen vornehmen darf, ist ebenso das Krankenhaus auch noch nach Rechnungsstellung grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt (BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 12/08 R – m.w.N.). Allerdings steht die Nachforderung eines restlichen Vergütungsanspruchs – ebenso wie die Einzelfallkorrektur einer bereits gezahlten Krankenhausrechnung durch die Krankenkasse – unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben, der über § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V gemäß dem Rechtsgedanken des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf die Rechtsbeziehungen der Beteiligten einwirkt. Die dauerhaften Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen verpflichten zu gegenseitiger Rücksichtnahme und begrenzen die Befugnis zur nachträglichen Rechnungskorrektur (BSG a.a.O.; Urteil vom 08.09.2009 – B 1 KR 11/09 R).

In zeitlicher Hinsicht ist das Krankenhaus solange nicht mit einer Nachforderung ausgeschlossen, wie die Krankenkasse ihrerseits die Prüfung der vom Krankenhaus erstellten Schlussrechnung in Regel noch nicht abgeschlossen hat und eine Korrektur demzufolge kein weiteres Verwaltungsverfahren auslösen würde. Den maßgeblichen Zeitrahmen für eine grundsätzlich noch mögliche Korrektur einer Schlussrechnung hat das BSG anhand der 6-Wochen-Frist bestimmt, innerhalb derer eine Krankenkasse nach Vorlage der Schlussrechnung über die Einleitung einzelfallbezogener Rechnungsprüfungen entschieden haben muss (§ 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V) und die demgemäß eine zeitliche Grenze für den regelmäßigen Verwaltungsablauf bildet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 12/08 R). Da die Korrekturrechnung erst am 16.02.2010 – knapp zwölf Wochen nach der fehlerhaften Rechnung vom 18.11.2009 – erstellt wurde, ist die Nachforderung nicht mehr "zeitnah" im Sinne des vom BSG aufgestellten Maßstabs erfolgt.

Nach Ablauf der 6-Wochen-Frist kann die Korrektur eines dem Krankenhaus im Einzelfall unterlaufenen Abrechnungsfehlers nur verlangt werden, wenn das Interesse des Krankenhauses an der Fehlerkorrektur das der Krankenkasse am endgültigen Verfahrensabschluss überwiegt. Das wird im Regelfall zu bejahen sein, wenn der nachgeforderte Betrag den Kostenaufwand der Krankenkasse für die zusätzliche Prüfung übersteigt und die Einleitung eines Korrekturverfahrens auch im Verhältnis zur ursprünglichen Rechnungssumme rechtfertigt; dann muss die Krankenkasse die Zusatzbelastung im Interesse des Krankenhauses hinnehmen. Ist dagegen der Aufwand der Nachprüfung – pauschaliert – höher als der Fehlbetrag oder kommt ihm im Verhältnis zum ursprünglichen Rechnungsbetrag ein untergeordnetes Gewicht zu, kann das Krankenhaus nach Treu und Glauben eine erneute Prüfung des Abrechnungsfalles auch dann nicht beanspruchen, wenn seine Leistung ansonsten nicht vollständig vergütet würde. Das BSG sieht diese Grenze der berechtigten Nachforderung im allgemeinen als erreicht an, wenn der Nachforderungsbetrag erstens in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V über 300,00 EUR liegt und er zweitens mindestens unter 5 % des Ausgangsrechnungswertes erreicht (BSG. Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 12/08 R). Nach diesen Grundsätzen ist die Klägerin mit ihrer Nachforderung von 2.894,00 EUR, auch wenn diese nicht "zeitnah" und in einem neuen Haushaltsjahr erfolgt ist, nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen. Der Abrechnungsfehler war zwar kein bloß formeller Fehler, jedoch hätte der Abrechnungsstelle der beklagten Krankenkasse auffallen können, dass – anders als bei den vorherigen bereits durchgeführten Chemotherapiezyklen – für den vierten Zyklus die Gabe des Zytostatikums, die den weitaus größten Rechnungsposten darstelle, fehlte. Unabhängig davon ist die Nachforderung jedoch deshalb berechtigt und zulässig, weil der Nachforderungsbetrag nicht nur den Wert der Aufwandspauschale von 300,00 EUR gem. § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V, sondern auch 5 % des Ausgangsrechnungswertes weit übersteigt: die berechtigte Nachforderung überschreitet den Ausgangsrechnungswert um fast 170 %, er macht von der Gesamtforderung von 4.600,72 EUR den größeren Teil, nämlich 62,9 % aus. Unter Berücksichtigung dieser Umstände geht die vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten der Klägerin aus. Die Entscheidung der Kammer steht dabei nicht in Widerspruch zu der Rechtsprechung des BSG oder der von der Beklagten erwähnten Entscheidung des LSG Saarland vom 03.06.2011 (S 23 KR 519/10). Im Fall des vom BSG am 08.09.2009 entschiedenen Falles betrug die Nachforderung zwar ca. 10 % der ursprünglichen Forderung, wurde vom Krankenhaus aber erst mehr als zwei Jahre (!) später geltend gemacht. In dem vom BSG vom 17.09.2009 entschiedenen Fall erreichte die Nachforderung von 58,65 EUR nicht die Bagatellgrenze. Und in dem vom SG Saarland entschiedenen Fall lagen andere individuelle Verhältnisse vor, die die Kammer bewogen haben, die Interessenabwägung zu Lasten des klagenden Krankenhauses ausgehen zu lassen. Die vom BSG im Urteil vom 17.12.2009 (B 3 KR 12/08 R) geforderte Interessenabwägung hat sich an den Besonderheiten des Einzelfalles zu orientieren. Im vorliegenden Fall überwiegt nach Auffassung der Kammer das Interesse des Krankenhauses am Ausgleich seines Rechnungsfehlbetrages in erheblichem Umfang das Interesse der Krankenkasse an der Vermeidung des Zusatzaufwandes für die erneute Rechnungsprüfung. Dieser Verwaltungsaufwand ist nur sehr gering, da die Berechtigung des Krankenhauses zur Abrechnung der Gabe des Zytostatika von der Krankenkasse nicht bestritten wird, eine inhaltliche Prüfung der korrigierten Rechnung also nicht mehr notwendig war. Dieser Rechnungsposten macht mit fast 2/3 einen derart großen Anteil an der Gesamtforderung aus, dass das Interesse des Krankenhauses an der Fehlerkorrektur schutzwürdig ist.

Der Zinsanspruch in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.03.2010 ist unter dem Gesichtspunkt des Verzuges begründet. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KBV sind Rechnungen innerhalb von 15 Kalendertagen nach Eingang zu begleichen. Die streitbefangene Korrekturrechnung datiert vom 16.02.2010 und ist bei der Beklagten am selben Tag eingegangen. Da die Beklagte bereits mit Schreiben vom 19.02.2010 die Restzahlung endgültig abgelehnt hat, ist das Zinsbegehren sowohl nach seinem Beginn (vgl ... § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB) als auch der Höhe nach (vgl. § 15 KBV) begründet. Der Zinsanspruch in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 18.02.2011 ist gem. § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V i.V.m. §§ 291, 288 Abs. 1 BGB begründet. Danach ist eine Geldschuld von dem Eintritt der Rechtshängigkeit (hier: 18.02.2011) zu verzinsen. Der Zinssatz beträgt für das Jahr 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
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