L 5 KR 14/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 3 KR 400/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 14/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 24/11 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird bei einem Abrechnungsstreit das Gebot der Zeitnähe in § 275 Abs 1c SGB V durch Untätigkeit von fast 8 Monaten verletzt, hat das Krankenhaus ein dauerhaftes Herausgabeverweigerungsrecht für die gesamte medizinische Dokumentation
I. Auf die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 1. Dezember 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin und Berufungsbeklagte trägt die Kosten der Berufung.

III. Der Streitwert wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die klagende Krankenkasse verlangt vom beklagten Kreisklinikum Herausgabe der medizinischen Unterlagen eines Behandlungsfalles an den beigeladenen Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Bayern (MDK) im Rahmen einer Abrechnungsprüfung.

1.

Die Beklagte nahm das 1927 geborene - mittlerweile verstorbene - gesetzlich krankenversicherte Mitglied der Klägerin, Herr A. (H.L.), am 23.04.2007 stationär auf, um dessen multiple Erkrankungen zu behandeln. Am Montag, den 03.05.2007 wurde H.L. aus der stationären Behandlung wieder entlassen. Für die Behandlung vom 23.04.2007 bis 03.05.2007 stellte die Beklagte der Klägerin unter dem 24.05.2007 eine Schlussrechnung mit Fallprotokoll über insgesamt 3.244,17 EUR (zum näheren Inhalt wird auf Bl 11/12 der Klageakte Bezug genommen). Diesen Betrag überwies die Klägerin, behielt sich aber gleichzeitig mit Schreiben vom 05.06.2007 eine Rückforderung nach Rechnungsprüfung vor. Unter dem gleichen Datum beauftrage sie den Beigeladenen mit der Rechnungsprüfung ob die angegebenen Diagnosen sowie die angegebenen DRG, also die Kennung für die abzurechnende Krankenhausleistung, zutreffend seien, zumal H.L. am Folgetag mit anderer Diagnose wieder stationär aufgenommen worden sei. Der Beigeladene zeigte diesen Prüfantrag der Beklagten mit Schreiben vom 15.06.2007 an. Die Prüfung selbst fand in der Folgezeit nicht statt.

Mit Schreiben vom 04.02.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Abrechnungsprüfung im Falle des H.L. zeitnah hätte durchgeführt werden müssen. Weil aber mittlerweile mehr als sechs Monate abgelaufen seien, müsse die Prüfung abgelehnt werden, der Fall sei abgeschlossen.

2.

Dagegen hat die Klägerin am 03.03.2008 - ebenso wie in weiteren vier, hier nicht streitgegenständlichen parallel laufenden Abrechnungsfällen ohne Rechnungsprüfung binnen 6 Monaten - Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die Beklagte lehne die angekündigte Untersuchung durch den Beigeladenen ab, so dass Stufenklage zunächst auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen an den Beigeladenen erhoben werden müsse. Der Beigeladene sei rechtzeitig mit der Prüfung beauftragt worden und habe rechtzeitig die Prüfung angekündigt, so dass Verjährung noch nicht eingetreten sei. Für ein Verweigerungsrecht nach Ablauf von sechs Monaten nach Prüfankündigung fehle es an jeglicher Grundlage.

Das Sozialgericht hat den vorliegenden Fall von den Parallelverfahren (dort ist mittlerweile eines erledigt nach Vorlage der Behandlungsunterlagen ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht und Feststellung der ordnungsgemäßen Abrechnung durch den Beigeladenen) abgetrennt. In der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2010 hat das Sozialgericht weiter den vorliegenden Herausgabeanspruch vom Zahlungsanspruch abgetrennt und jenem ein eigenes Aktenzeichen zugewiesen. Mit Urteil vom gleichen Tage hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß zur Herausgabe der Behandlungsunterlagen verurteilt im Wesentlichen mit der Begründung, eine gesetzliche Ausschlussfrist wie von der Klägerin geltend gemacht, bestehe nicht.

3.

Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt weil gesetzlich eine Rechnungsprüfung zwingend "zeitnah" durchzuführen sei, was aber vorliegend nicht geschehen sei. "Zeitnah" sei entsprechend den Vorschriften des Krankenhausentgeltgesetzes sowie den Grundsätzen der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung mit maximal sechs Monaten festzulegen. Diese Frist sei verstrichen. Ein eventuelles Verschulden des Beigeladenen müsse sich die Klägerin zurechnen lassen.

Die Klägerin hat erwidert, dass ihr nach wie vor ein Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen des H.L. an den Beigeladenen zustehe. Sie sei als Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet, die Abrechnungen der Leistungserbringer zu überprüfen und sich dabei des Beigeladenen zu bedienen. Die Grenzen der Mitwirkungspflichten seien ebenso wenig überschritten wie die Grenzen der "Zeitnähe". Im Übrigen habe sich die Klägerin eine länger andauernde Begutachtungszeit des Beigeladenen nicht zurechnen zu lassen.

In der mündlichen Verhandlung vom 04.10.2011 hat der Beigeladene erklärt, dass er nach in Kraft treten der hier einschlägigen gesetzlichen Neuregelung zum 01.04.2007 eine Vielzahl von Verfahren habe durchführen müssen, wobei in Übereinstimmung mit der Bayerischen Krankenhausgesellschaft als Dachverband auch des Beklagten die Prüfung jeweils vor Ort im Krankenhaus durchgeführt worden sei. Das habe einen kurzfristig nicht zu bewältigenden Aufwand verursacht. Die Beklagte hat dazu angegeben, dass bei ihr im langjährigen Mittel rund 9 bis 11 % ihrer Abrechnungen beanstandet worden seien und zwar vor und nach dem 01.04.2007. Die Bearbeitung dieser Prüffälle sei belastend und aufwändig, weil dafür immenser logistischer und zeitlicher Aufwand notwendig sei. Zudem belasteten die beanstandeten Fälle die Jahresbilanzen, weil insoweit Rückstellungen zu bilden seien.

Die Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, dass sie - trotz Abtrennung der zweiten Stufe in der ersten Instanz - das vorliegende Verfahren weiterhin als Stufenklage ansehen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 01.12.2010 aufzuheben und die Herausgabeklage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Klägerin sowie die Gerichtsakten der weiteren Parallelverfahren beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 04.10.2011 gemacht. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch begründet. Der Beklagten steht gegenüber dem Herausgabeanspruch der Klägerin bezüglich der Krankenhausakten des H.L. an die Beigeladene eine dauerhafte Einrede zur Seite, so dass das Urteil der ersten Instanz aufzuheben und die Klage abzuweisen ist.

1.

Das Begehren auf Herausgabe von medizinischen Unterlagen an den Beigeladenen sowie auf Begleichung etwaiger sich aus dessen Begutachtung ergebender Rückforderungsansprüche hat die Klägerin zutreffend im Wege der auch in der Sozialgerichtsbarkeit nach § 202 SGG iVm § 254 ZPO zulässigen Stufenklage verfolgt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 56 RdNr 5; BSG Urteil vom 28.02.2007 - B 3 KR 12/06 R, RdNr 12 - zitiert nach juris). Erst nach Herausgabe der medizinischen Unterlagen und anschließender Begutachtung durch den Beigeladenen ist für die Klägerin absehbar, ob und ggf in welcher Höhe Erstattungsforderungen gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden können. Der als zweite Stufe der Klage zunächst unbeziffert gebliebene Antrag auf Erstattung einer etwaigen Überzahlung setzt eine Entscheidung über das Herausgabeverlangen voraus und steht daher mit diesem in einem untrennbaren Zusammenhang. Abweichend von § 92 Satz 1 SGG, wonach die Klage einen bestimmten Antrag enthalten soll, darf in diesem Fall der in seiner Höhe noch nicht feststehende Rückzahlungsanspruch bis zur Entscheidung über den Herausgabeanspruch unbeziffert bleiben. Das Begehren der Klägerin ist somit auch nach Abtrennung der zweiten Stufe durch die erste Instanz ein Herausgabeanspruch der Krankenhausakten des bei der Klägerin vormals Versicherten H.L. und sodann eventuell die gänzliche oder teilweise Rückzahlung der sich ergebenden unzutreffend geltend gemachten Vergütungsansprüche. Dies haben die Beteiligten so auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

Dabei wäre Rechtsgrundlage des in der zweiten Stufe eventuell weiter zu verfolgenden Anspruch auf Rückerstattung der Vergütung ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Rechtsanalogie zu §§ 45 Abs 1 SGB I, 113 Abs 1 SGB X (BSGE 69, 158 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1; SozR 3-1200 § 45 Nr 8). Dieser wäre gewissermaßen das Spiegelbild des Vergütungsanspruches der Beklagten, welcher gemäß § 109 Abs.4 Satz SGB V iVm § 7 Satz 1 Nr 1 KHEntgG in Verbindung mit der maßgeblichen Pflegesatzvereinbarung mit Aufnahme und Behandlung des H.L. entstanden ist (vgl. BSG-Urteil vom 28.02.2007 - B 3 KR 12/06 R).

Streitgegenstand ist also nach der angegriffenen Entscheidung des Sozialgerichts aktuell allein der Herausgabeanspruch.

2.

Insoweit gilt folgendes ineinander eng verzahntes Leistungs- und Vergütungssystem: Werden gesetzlich krankenversicherte Personen - wie hier H.L. - zur stationären Krankenhausbehandlung - wie hier vom 23.04.2007 bis 07.05.2007 - in einem in den Krankenhausplan des Landes - wie hier die Beklagte als in den Krankenhausplan des Freistaates Bayern aufgenommenes Klinikum - aufgenommen, wird damit der Leistungsanspruch des Versicherten gemäß § 27 Abs.1 SGB V, § 27 Abs.1 Satz 2 Nr.5, § 39 Abs.1 Satz 1 SGB V erfüllt. Mit der Krankenhausaufnahme hat dann die Beklagte als Leistungserbringer einen Anspruch auf Vergütung. Die Zahlungspflicht entsteht dabei unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, einer Kostenübernahmeerklärung bedarf es dabei nicht.

Die Vergütung ist in Bezug auf Höhe, Fälligkeit und Zahlungsweg aufgrund von § 11 KHEntgG und § 17 Bundespflegesatzordnung für den hier streitigen Zeitraum 2007 durch die Vereinbarung für den Vereinbarungs- und Pflegesatzzeitraum 2007 vom 25.06.2007 (entsprechend der Mustervereinbarung der BKG-ARGE 2007 vom 24.01.2007) dahingehend geregelt, dass die gesetzlichen Krankenkassen die entsprechende Fallpauschale nach Rechnung des Krankenhauses durch Überweisung innerhalb von drei Wochen nach Rechnungseingang zu zahlen haben (§ 15 Abs.1 der Vereinbarung vom 25.06.2007). Nach § 15 Abs.2 dieser Vereinbarung können Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art auch nach Begleichung der Rechnung geltend gemacht werden. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass durch das Krankenhaus eine unberechtigte Rechnungslegung erfolgte, storniert das Krankenhaus die ursprüngliche Rechnung, stellt eine Neurechnung aus und zahlt den zuviel erhaltenen Betrag innerhalb von drei Wochen zurück. Im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung beträgt die Rückzahlungsfrist des zu viel erhaltenen Betrages drei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung. Zum weiteren Inhalt wird auf Bl. 78 bis Bl. 93 der Berufungsakte Bezug genommen.

Diese Regelung zur Rückzahlung korrespondiert mit den gesetzlichen näheren Bestimmungen § 27 Abs.1 SGB V, § 27 Abs.1 Satz 2 Nr.5, § 39 Abs.1 Satz 1 iVm § 12 Abs 1 SGB V, dass Versicherte nur Anspruch auf eine notwendige Krankenbehandlung haben, wenn das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann und die Behandlung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Gleichzeitig müssen Qualität und Wirksamkeit der stationären Behandlung dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§ 2 Abs.1 Satz 3 SGB V BSG-Urteil vom 28.07.2008 - B 1 KR 5/08 R SozR 4-2500 § 109 Nr.6 Rdnr.48 ff.).

Um die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung überprüfen zu können, ist es für die gesetzlichen Krankenkassen in einem ersten Schritt unerlässlich, die eingeleiteten medizinischen Maßnahmen anhand der jeweils gestellten Diagnosen und deren Notwendigkeit zu prüfen. Dafür ist im Wege der Sachverhaltsermittlung (§ 20 SGB X) es den Krankenkassen aus datenschutzrechtlichen Gründen verwehrt, selbst Einsicht in die Behandlungsunterlagen zu nehmen (BSG-Urteil vom 23.07.2002 - B 3 KR 64/01 R - NJW 2003, 845). Insoweit besteht eine Pflicht der Krankenkassen gemäß § 275 Abs.1 Ziffer 1 SGB V, eine gutachterliche Stellungnahme des hier Beigeladenen, des MDK einzuholen. Hierzu ist § 275 Abs.1c SGB V mit Wirkung vom 01.04.2007 eingefügt worden (durch Art.1 Nr.185 GKV-WSG vom 26.03.2007 - BGBl. I Seite 378). Dieser bestimmt, dass eine sechswöchige Ausschlussfrist für die Einleitung einer Einzelfallprüfung besteht. Zusätzlich ist die Prüfung durch den Beigeladener dem Krankenhaus binnen der sechswöchigen Frist anzuzeigen und das Prüfverfahren zeitnah durchzuführen.

3.

In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist zunächst festzustellen, dass der bei der Klägerin gesetzlich krankenversicherte H.L. am 23.04.2007 stationär von der Beklagten aufgenommen und bis 03.05.2007 behandelt wurde. Nach Fallprokotoll/Abrechnung der Beklagten vom 24.05.2007 war dabei als Diagnose im Wesentlichen eine chronisch-obstruktive Lungenkrankheit, chronische Eisenmangelanämie, Vitamit-B-12-Anämie, psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol, Abhängigkeitssyndrom, Rechtsschenkelblock, Veränderungen der Lunge, Ulcus duodeni, Heliobacter, Gastritis, Duodenitis, chronische Niereninsuffizienz Stadium II dokumentiert. Als Behandlungsdiagnose ist eine chronische obstruktive Lungenkrankheit mit akuter Exacerbation unter 35 % des Soll-Wertes sowie Gastritis benannt.

Dieser Sachverhalt einer komplexen Multimorbidität hat die Klägerin sachlich veranlasst, bei vertragsgemäßer Begleichung des vollständigen Rechnungsbetrages zum 05.06.2007 unter diesem Datum prüfen zu lassen, ob die angegebenen DRG und die relevanten Nebendiagnosen zutreffen. Als Prüfanlass hat die Klägerin auch die Wiederaufnahme am folgenden Tage mit anderem Diagnoseschlüssel genannt. Die Gesamtumstände hatten also Besonderheiten ergeben, die Richtigkeit der Krankenhausabrechnung zu überprüfen. Damit hatte die Klägerin ihrer Pflicht nach § 275 Abs.1 Nr.1 SGB V entsprochen, eine Überprüfung durch den Beigeladenen zu veranlassen.

Ebenso wie die Klägerin hatte dieser in Einhaltung der Sechs-Wochen-Frist gemäß § 275 Abs.1c Satz 2 SGB V die Überprüfung des Falles angezeigt (Schreiben vom 05.06.2007 bzw. 15.06.2007).

4.

Allerdings ist eine nachfolgende Abrechnungsprüfung durch den Beigeladenen nicht "zeitnah" erfolgt.

Das gesetzlichen Erfordernis einer "zeitnah" durchzuführenden Prüfung in § 275 Abs.1c Satz 1 SGB V steht im engen Zusammenhang mit dem Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme von Krankenhausträger und Krankenkasse gem. § 4 Abs.3 SGB V, wonach im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung alle Einrichtungen des Gesundheitswesens eng zusammen zu arbeiten haben. Die hieraus folgenden wechselseitigen Obhutspflichten, die als Ausprägung des Prinzips von Treu und Glauben gelten können (vgl. BSG-Urteil vom 15.11.2007 - B 3 KR 1/07 R; BSG-Urteil vom 17.07.2008 - B 3 KR 14/07 R, BSG-Urteil vom 03.03.2009 - B 1 KR 7/08 R), haben sich in einem Beschleunigungsgebot niedergeschlagen (Ausgangspunkt: "Berlinfälle" Urteil vom 13.12.2001 - B 3 KR 11/01 R, NZS 2003, 28; Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR 12/08 R NZS 2010, 627). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber selbst als Grundlage des Erfordernisses der Zeitnähe als Bezugspunkt verwendet (Gesetzentwurf GKV-WSG vom 24.10.2006 BT-Drs 16/3100, Seite 171).

a) Der Gesetzgeber selbst hat den Begriff "zeitnah" als unbestimmten Rechtsbegriff eingeführt, welchen es im vorliegenden Falle zu konkretisieren gilt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten können die in der vom Gesetzgeber zitierten Rechtsprechung entwickelten Grundsätze in Gestalt eines zeitlichen Rahmens von nur wenigen Wochen keine Anwendung finden. Die Rechtsprechung hatte sich nämlich auf besondere Vereinbarungen in Gestalt der allgemeinen Bedingungen zur Krankenhausbehandlung bezogen, deren Inhalt auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist. Anders als in den "Berlin-Fällen", in denen die Krankenkassen die Vergütung ganz oder teilweise einbehalten hatten, galt hier zwischen der Klägerin und der Beklagten aufgrund der Vergütungsvereinbarung für den Vereinbarungs- und Pflegesatzzeitraum 2007 vom 25.06.2007 folgende Abrechnungs- und Vergütungsregelung: Nach Rechnungsstellung ist die Klägerin als gesetzliche Krankenkasse verpflichtet, die entsprechende Zahlung innerhalb von drei Wochen nach Rechnungseingang anzuweisen. Soweit sie Einwendungen gegen die Erforderlichkeit und Höhe der Krankenhausrechnung geltend machen will, muss sie dies durch Geltendmachung eines Vorbehaltes und nach Feststellung der eventuellen Überzahlung im Aufrechnungswege geltend machen (vgl §§ 387 - 396 BGB). Eine Situation wie diejenige, die die Rechtsprechung zu Fristerfordernissen von wenigen Wochen veranlasst hatte, liegt damit im hier zu entscheidenden Falle nicht vor.

Ebenso wenig kann - wie von der Beklagten intendiert - aus den Parallelvorschriften des KHG zu den Stichprobenprüfungen gem § 17c KHG der Rahmen der Zeitnähe konkretisiert werden. Denn das Stichprobenverfahren ist mit der hier strittigen Anlassprüfung aus systematischen sowie aus sachlichen Gründen nicht vergleichbar. Zudem ist festzustellen, dass das Stichprobenverfahren bundesweit faktisch nur in wenigen Einzelfällen angewandt wird, während aus Anlassprüfungen Nachforderungen iHv Millionenbeträgen im oberen dreistelligen Bereich jährlich resultieren.

b) Andererseits kann der Begriff der Zeitnähe nur dann die vom Gesetzgeber postulierte eigenständige Wirkung entfalten, wenn er kürzer gefasst wird als der Verjährungszeitraum. Dieser beträgt für den für eine Rückerstattung der Vergütung anzuwendenden allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in Rechtsanalogie zu §§ 45 Abs 1 SGB I, 113 Abs 1 SGB X (BSGE 69, 158 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1; SozR 3-1200 § 45 Nr 8) vier Jahre (vgl auch die entsprechende Verjährungsfrist § 25 SGB IV für Beitragsansprüche). "Zeitnah" muss also so verstanden werden, dass bereits vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist Rechtsfolgen entstehen.

c) Die Frage der Zeitnähe entscheidet sich damit unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessenlagen der gesetzlichen Krankenkassen einerseits und der Kliniken als Leistungserbringer andererseits nach den jeweiligen organisatorischen und logistischen Fähigkeiten und Kapazitäten, die auch auf Seiten des Beigeladenen zu beachten sind.

Auf Seiten der Krankenhäuser besteht ein Beschleunigungsbedarf deshalb, weil diese - häufig auch aufgrund ihrer Trägerform als juristische Personen des Privatrechts und den daraus resultierenden Bilanzpflichten - zu einer auf das Bilanzjahr bezogenen Bewertung der eventuellen Rücklagen verpflichtet sind. Diese Bilanzbelastung darf sich nicht allzu lange ausdehnen. Hinzu kommt die Notwendigkeit, die Mittel aus der gesetzlichen Krankenversicherung zur Behandlung der Patienten wirtschaftlich zu verwenden und deshalb betriebswirtschaftlich zu verwalten, was ebenfalls eine zügige Abwicklung von Beanstandungs- und Nichtzahlungsfällen erfordert. Auch muss bei den nach wie vor jährlich durchgeführten Pflegesatzverhandlungen ein gewisses Maß an Sicherheit für die Ermittlung des Finanzbedarfs vorhanden sein. Dies gilt um so mehr, als nach den glaubhaften Angaben der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung im langjährigen Mittel rund 10 % der abgerechneten Krankenhausleistungen einer Überprüfung durch den Beigeladenen anheim fallen.

Zudem erfordert es die Beweislastverteilung zu Ungunsten der Krankenhäuser und die bei medizinischen Sachverhalten im Laufe der Zeit immer weiter verblassende Erinnerung der an der Behandlung beteiligten Personen, nur kürzerfristige Spannen als zeitnah anzusehen. Grundsätzlich gilt zwar im Sozialrecht der Amtsermittlungsgrundsatz, § 20 SGB X, der im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit besonderen Stellenwert hat, §§ 103, 106 SGG. Danach gibt es zwar keine formelle Beweislast wie im Zivilprozess. Falls aber nach Erschöpfung der Beweismittel eine Tatsache noch immer nicht erweislich ist, gelten die Regeln der objektiven Beweislast. In Abrechnugsstreitigkeiten wie hier trägt die Klinik die objektive Beweislast für ihren Vergütungsanspruch (BSG Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 24/08 R). Insoweit ist festzustellen, dass die Klägerin nach der Pflegesatzvereinbarung vom 25.06.2007 zur Zahlung binnen dreier Wochen verpflichtet war und die Klägerin mit Schreiben vom 05.06.2007 die fristgerechte Zahlung unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt hat ohne diesen zu beschränken.

Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass der Beigeladene, der sich gem. § 281 SGB V aus den Beiträgen aller Beitragszahler finanziert, auf Landesebene organisiert ist und für das jeweilige Bundesland - hier den Freistaat Bayern - sämtliche Abrechnungen der zugelassenen Kliniken zu überprüfen hat. Dabei handelt es sich um 395 Kliniken mit fast 74.000 Betten (Krankenhausplan des Freistaates Bayern, Stand: 1. Januar 2011 - 36. Fortschreibung). Angesichts des diagnostischen und therapeutischen Fortschrittes in der Medizin und dem Gebot, dass die Behandlungen dem Stand der medizinischen Wissenschaft zu entsprechen hat, ist ein erheblicher Prüfaufwand zu bewältigen. Werden die Prüfungen - wie hier nach den glaubhaften Angaben des Beigeladenen üblich - vor Ort in der Klinik selbst durchgeführt, ist ein Prüfteam zusammenzustellen, mit dem Krankenhausträger Ort und Zeit der Überprüfung zu vereinbaren und ausreichend Zeitraum für die Sachaufklärung einzuplanen. Eine Auslegung des Begriffes zeitnah im Sinne von wenigen Wochen müsste deshalb als überzogen angesehen werden.

d) Welcher Zeitraum dem Begriff "zeitnah" exakt entspricht, braucht in dem hier zu entscheidenden Verfahren nicht festgelegt zu werden. Denn hier hatte die Beklagte die Behandlung des H.L. Ende Mai 2007 in Rechnung gestellt, am 05.06.2007 hatte die Klägerin die Zahlung bewirkt und die Prüfung durch den Beigeladenen angekündigt. Als die Abrechnungsprüfung im Februar 2008 weder durchgeführt noch konkret angekündigt wurde, waren - bis auf einen Tag - acht Monate verstrichen. Nach weit über sieben Monaten nach Ankündigung der Überprüfung ist das Kriterium der Zeitnähe aber nicht mehr erfüllbar, weil dann den Bedürfnissen der Kliniken nach Bilanz- und Kalkulationssicherheit nicht mehr entsprochen werden kann und der Aufwand, der sich aus den sich aufhäufenden zurückgestellten Beanstandungsfälle ergibt, in unzumutbare Höhen steigt und schließlich auch die Beweislastverteilung ein längeres Zuwarten verbietet.

5.

Nach Ablauf diese Zeitraumes ist die Beklagte nach Treu und Glauben auf Dauer berechtigt, die Überprüfung durch den Beigeladenen zu verweigern. Dies ergibt sich als Fehlerfolge des Verstoßes gegen das Gebot der Zeitnähe.

a) Zwar hat der Gesetzgeber nicht selbst diese Fehlerfolge bestimmt. Aus den Gesetzesmaterialien ist aber zu entnehmen, dass bereits die Nichteinhaltung der 6- Wochen-Frist des § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V die Abrechnungsprüfung unzulässig werden lässt (Gesetzentwurf des GKV-WSG vom 24.10.2006 BT-Drs. 16/3100 Seite 171). Erst recht muss dann die Verletzung des Gebotes der Zeitnähe zur dauerhaften Unzulässigkeit der Abrechnungsprüfung führen. Und nur durch diese konsequente Fehlerfolge kann den oben dargelegten Interessen der Krankenhäuser, zu deren Gunsten die Regelung eingeführt wurde, dem Willen des Gesetzgebers entsprechend Rechnung getragen werden.

b) Hieran ändert nichts, dass vorliegend die Klägerin die ihr nach § 275 Abs. 1c SGB V zukommenden Pflichten vollständig erfüllt hat und der Verstoß gegen das Zeitnähegebot auf Seiten des Beigeladenen zu verorten ist. Denn nach der Systematik des § 275 SGB V erfüllt der beigeladene MDK in diesem Zusammenhang seine Pflicht zur Begutachtung und Prüfung. Diese Pflicht betrifft die Rechtsbeziehung zwischen der Krankenkasse und dem Leistungserbringer. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 28.02.2007 (B 3 KR 12/06R, RNr. 15, zitiert nach juris) ausgeführt, dass bei der Prüfung von Krankenhausrechnungen die Krankenkasse "Herrin" des Begutachtungsauftrages an den MDK ist. Dieses Ergebnis entspricht der Stellung des MDK als "Beratungsdienst in der Verantwortung der Krankenkassen" (BT-Drs. 11/2237 Seite 187, zitiert nach Hauck/Noftz, SGB V M 010), der lediglich eine "gutachtliche Stellungnahme" gemäß § 275 Abs. 1 letzter Halbsatz SGB V abzugeben hat (vgl Bayer. LSG Beschluss vom 23.05.2011 - L 5 KR 82/11 B ER; anders noch BSG Urteil vom 28.09.2006 - B 3 KR 23/05 R). Insoweit ist der Beigeladene gewissermaßen als Erfüllungsgehilfe im Sinne analog § 276 BGB anzusehen, die Klägerin muss sich dessen Verhalten zurechen lassen.

6.

Auf die Berufung der Beklagten ist deshalb das Urteil der ersten Instanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG, § 154 Abs 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt derjenigen der ersten Instanz, § 47 Abs.1 Gerichtskostengesetz.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wird die Revision gegen dieses Urteil zugelassen, § 160 Abs.2 Nr.1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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