L 1 KR 347/10

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 576/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 347/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 57/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einer Verlegung aus dem Ausland kommt bezüglich der Vergütungsforderung des aufnehmenden Krankenhauses der Ansatz eines Verlegungsabschlages nach § 3 Abs. 2 FPV 2008 grundsätzlich nicht in Betracht.

Die Regelungen der Verlegungsabschläge des § 3 FPV 2008 zwischen verlegendem und aufnehmendem Krankenhaus sind Ausdruck eines Gesamtvergütungssystems der beteiligten Krankenhäuser für einen abzurechnenden Behandlungsfall.

Die vorgesehene Ausgleichsfunktion im Gesamtvergütungssystem für Krankenhäuser ist bei der Beteiligung eines ausländischen Krankenhauses als verlegendem Krankenhaus nicht gegeben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. September 2010 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 2.609,29 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9. Januar 2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob von der Vergütungsforderung des klagenden Krankenhauses ein Verlegungsabschlag abzusetzen ist.

Die 1939 geborene Versicherte der Beklagten, Frau X., befand sich aufgrund einer Legionellenpneumonie zunächst vom 9. Oktober 2008 bis zum 19. Oktober 2008 in stationärer Behandlung im Krankenhaus ihres Urlaubsortes in Z. in der Türkei. Im Zuge der heimatnahen Rückverlegung wurde die Versicherte am 19. Oktober 2008 von der Klägerin übernommen und dort bis zum 28. Oktober 2008 stationär behandelt. Auf die Rechnung der Klägerin vom 16. Dezember 2008, eingegangen bei der Beklagten am 17. Dezember 2008, in Höhe von 6.235,97 EUR glich die Beklagte am 22. Dezember 2008 zunächst die Vergütungsforderung der Klägerin - unter Vorbehalt - vollständig aus. Mit Schreiben vom 19. Januar 2009 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung des Behandlungsfalles bezüglich der DRG E62 B. In seiner Stellungnahme vom 14. Oktober 2009 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass die kodierte DRG korrekt abgerechnet wurde. Mit Schreiben vom 19. Oktober 2009 informierte die Beklagte die Klägerin über dieses Ergebnis und wies darauf hin, dass ein Verlegungsabschlag in Höhe von 2.609,29 EUR von der Vergütungsforderung in Abrechnung zu bringen sei, da es sich um eine Verlegung aus einem Krankenhaus im Ausland gehandelt habe und in der Klinik der Klägerin die im Fallpauschalenkatalog ausgewiesene mittlere Verweildauer nicht erreicht worden sei. Die Klägerin lehnte eine Rückzahlung des Differenzbetrages ab. In der Folgezeit kürzte die Beklagte eine Rechnung der Klägerin über den stationären Aufenthalt der Versicherten Y. (Rechnungsnummer: 1234567) in Höhe des Differenzbetrages von 2.609,29 EUR und teilte dies der Klägerin mit Schreiben vom 9. Dezember 2009 mit.

Am 23. Dezember 2009 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Darmstadt auf vollständigen Rechnungsausgleich bezüglich des Behandlungsfalles der Versicherten X. unter Beifügung einer Rechnung vom 23. Dezember 2009. § 3 der Fallpauschalenvereinbarung 2008 (FPV 2008) verwende zwar den Krankenhausbegriff ohne nähere Konkretisierung oder Einschränkung. Da die Abrechnungsbestimmungen ihre Grundlage in § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) hätten, sei die Begriffsbestimmung jedoch an diesem Maßstab auszurichten. Danach müssten beide Krankenhäuser diesem Maßstab unterliegen, was vorliegend bei einem ausländischen Krankenhaus nicht der Fall sei. Auf das verlegende ausländische Krankenhaus fänden zudem die Abrechnungsbestimmungen keine Anwendung, da diese zwischen den Spitzenverbänden der Deutschen Krankenkassen und dem Verband der Privaten Krankenversicherung sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossen worden seien. Ziel des Verordnungsgebers bei der Einführung der Verlegungsabschläge (Fallpauschalenverordnung 2004) sei es gewesen, fehlsteuernde Anreize, die zu einer zu frühen Verlegung des Patienten führen könnten, weitgehend auszuschließen. Darüber hinaus wirkten diese strategischen Verlegungen mit ausschließlich ökonomisch motiviertem Hintergrund entgegen. Der Zweck der Regelungen könne von seinem Sinn nur erfüllt werden, wenn beide Krankenhäuser den Vorschriften des Abrechnungssystems unterlägen, was vorliegend nicht der Fall sei. Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass ein Verlegungsabschlag auch im vorliegenden Fall vorzunehmen sei, festgehalten. Die Interessenlage sei bei einer Verlegung aus dem Ausland und einer Verlegung aus einer deutschen Klinik identisch. In beiden Fällen sei ein Teil der notwendigen Behandlung - üblicherweise der überwiegende Teil - bereits an einer anderen Klinik erbracht worden, die hierfür eine gesonderte Vergütung erhalte. Das aufnehmende Krankenhaus habe somit nur noch den in der Regel geringeren Teil der Behandlung durchzuführen. Auf die mündliche Verhandlung vom 20. September 2010 hat das Sozialgericht Darmstadt die Klage abgewiesen und die Klägerin verurteilt, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass vorliegend die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 FPV 2008 zu einem Verlegungsabschlag führe. Die Anwendbarkeit sei zu bejahen, obwohl das verlegende Krankenhaus nicht dem Geltungsbereich des KHG unterfalle. § 3 Abs. 2 FPV 2008 lasse nach seinem Wortlaut keine Beschränkung auf inländische Krankenhäuser erkennen. Dies werde auch vom Sinn und Zweck der Regelung gestützt. Das Erfordernis, dass der Abschlag nur dann vorzunehmen sei, wenn die mittlere Verweildauer unterschritten sei, zeige, dass der Grund für den Verlegungsabschlag darin zu sehen sei, dass in diesen Fällen das aufnehmende Krankenhaus von der Vorbehandlung im verlegenden Krankenhaus profitiere und die Behandlung einen geringeren medizinischen Aufwand nach sich ziehe. In diesen Fällen wäre es nicht gerechtfertigt, dem aufnehmenden Krankenhaus die ungekürzte Fallpauschale zuzubilligen, weil diese für die vollständige Krankenhausbehandlung errechnet worden sei und nicht nur für die Durchführung nur eines (abschließenden) Behandlungsabschnittes. Mit Beschluss vom 8. Oktober 2010 hat das Sozialgericht den Streitwert auf 2.609,29 Euro festgesetzt.

Gegen das den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 28. Oktober 2010 zugestellte Urteil hat diese am 18. November 2010 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren und weist ergänzend darauf hin, dass vor der Einführung des DRG-Vergütungssystems die Regelungen des § 14 Abs. 11 der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) in der Fassung bis zum 31. Dezember 2003 im Falle einer Verlegung bei einer auf Dauer angelegten Zusammenarbeit zweier Krankenhäuser die Aufteilung einer Fallpauschale vorgesehen hätten. Eine derartige Vorgabe sei im Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) bzw. in den Abrechnungsbestimmungen nicht zu finden. Für eine entsprechende Anwendung der Abschlagsregelungen auf einen Fall mit Beteiligung eines ausländischen Krankenhauses bestehe weder Raum noch Notwendigkeit. Das Bundessozialgericht habe bei der Beurteilung der Vergütung von Krankenhausleistungen nach dem DRG-System entschieden, dass der Fallpauschalenkatalog sowie die Operations- und Prozedurenschlüssel streng nach ihrem Wortlaut und den Kodierrichtlinien auszulegen seien, damit Vergütungsregelungen das Ziel einer routinemäßigen Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen erreichen könnten, ohne dass Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen verbleibe. Dies sei auch auf die Fallpauschalenvereinbarung übertragbar. Der Grundsatz der eigenständigen Abrechnung bei Verlegungen sei bei seiner Einführung im Rahmen der KFPV 2004 auch vor dem Hintergrund historisch gewachsener bzw. krankenhausplanerisch bedingter Verlegungsstrukturen bewusst gewählt worden, denen ein ausländisches Krankenhaus nicht unterfalle. Eine Anpassung der Regelung könne allenfalls den Selbstverwaltungspartnern obliegen, nicht jedoch einzelnen Krankenkassen im Rahmen der Abrechnung. Systematik und Intention der Fallpauschalenvereinbarung sei nur dann gewahrt, wenn von beiden Krankenhäusern Abschläge vorgenommen würden. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft vertrete diese Rechtsauffassung.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. September 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.609,29 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9. Januar 2010 für die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten Y. (Rechnungsnummer: 1234567) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Ergänzend weist sie darauf hin, dass der Wortlaut des § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 2 FPV 2008 für das beteiligte Krankenhaus nicht die Verlegung in ein im Sinne des § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) zugelassenes bzw. ein in Deutschland gelegenes Krankenhaus verlange. Diese Auffassung werde auch von den Spitzenverbänden der Krankenkassen, dem Verband der Privaten Krankenversicherung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft vertreten. Zur Bestätigung ihres Vorbringens hat sie den Leitfaden zu Abrechnungsfragen nach dem KHEntgG und der FPV 2007 der Spitzenverbände der Krankenkassen und des Verbandes der Privaten Krankenversicherung und einen Aufsatz "Abrechnung nach der FPV 2005", Das Krankenhaus 12/2004, 1012 vorgelegt.

Der Senat hat u.a. eine Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft eingeholt und die amtliche Begründung zum Referentenentwurf zur Verordnung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2004 beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist auch begründet.

Die Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Die Klage eines Krankenhausträgers auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gegen eine Krankenkasse ist ein Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Juni 2009, B 1 KR 24/08 R m.w.N.).

Die Klägerin hat den Zahlungsanspruch auch konkret beziffert und im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2012 auf den Hinweis des Senats eine zulässige Klageänderung nach § 99 Abs. 1 SGG in Bezug auf den Vergütungsanspruch aus der Krankenhausbehandlung der Versicherten Y. vorgenommen. Diese ist sachdienlich. Die entsprechenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.

Die Klägerin hat vorliegend zunächst Klage auf Leistung aus der Rechnung bezüglich der Behandlung der Versicherten X. erhoben. Diese wurde zum Streitgegenstand des Verfahrens. Der Streitgegenstand ist spezifisch in Bezug auf die jeweilige Klageart zu bestimmen. Im Falle einer Leistungsklage, die wie hier auf Zahlung einer Geldschuld gerichtet ist, genügt der Antrag auf Zahlung allein nicht, um den Streitgegenstand zu individualisieren. Es bedarf zusätzlich des Sachverhalts, um die eingeklagte Rechtsfolge der Zahlung von gleichartigen zu unterscheiden, die nicht Streitgegenstand sind, weshalb ein zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff zu Grunde zu legen ist (vgl. u.a.: Vollkommer in: Zöller, ZPO, Kommentar, 29. Auflage 2010, Einl. Rdnr. 72; Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. März 2000, II ZR 250/99 -juris-). Danach wird der Streitgegenstand vom Antrag des Klägers und von dem zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenkomplex (Lebenssachverhalt) als gleichwertige Elemente bestimmt. Der insoweit im zivilprozessualen wie im sozialgerichtlichen Verfahren übereinstimmende Streitgegenstandsbegriff umfasst das von der Klägerin aufgrund eines bestimmten Sachverhaltes an das Gericht gerichtete Begehren, entsprechend dem Klageantrag zu entscheiden (Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 10. Auflage 2012, § 95 Rdnr. 4 f). In dem vorgetragenen Sachverhalt hat die Klägerin allein die Forderung aus der Krankenhausbehandlung der Versicherten X. und ihre Grundlage durch die Vorlage der Rechnung näher spezifiziert. Die Forderung der Klägerin aus der Abrechnung über den stationären Aufenthalt der Versicherten Y. (Rechnungsnummer: 1234567) wurde von der Klägerin in keiner Weise erwähnt. Die Klägerin gab lediglich an, dass von der Beklagten eine Teilverrechnung vorgenommen wurde. Dies allein führt aber nicht dazu, dass (auch) die Rechnung, gegenüber der die Absetzung vorgenommen wurde, zum Streitgegenstand wurde. Letztere hat die Klägerin in der Klageschrift in keiner Weise beschrieben, sodass es insoweit an jeglichem Sachverhaltsvortrag fehlt, der in dieser Hinsicht den Streitgegenstand hätte erstrecken können.

Der Vergütungsanspruch der Klägerin für die Behandlung der Versicherten X. ist jedoch durch die Zahlung der Beklagten vom 22. Dezember 2008 vollständig erloschen und kann daher nicht erneut geltend gemacht werden, § 362 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog i.V.m. dem Vertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V zwischen der Hessischen Krankenhausgesellschaft und den entsprechenden Krankenkassen bzw. deren Verbänden für das Land Hessen. Wie das Bundessozialgericht (Urteil vom 20. November 2008, B 3 KN 4/08 KR R -juris-) zu einer Parallelkonstellation ausgeführt hat, "ist die ursprüngliche Forderung der Klägerin in vollem Umfang erfüllt worden und erloschen; auf etwaige Einwendungen der Beklagten dagegen kann es nicht mehr ankommen. Streitbefangen ist vorliegend ein im Aufrechnungswege geltend gemachter Erstattungsanspruch der Beklagten gegen eine - nach Art und Höhe unstreitige - Sammelrechnung der Klägerin. In diesem Verfahren ist die Beklagte trotz der Zahlung nicht mit Einwendungen aus dem ursprünglichen Abrechnungsstreit präkludiert, soweit es um die Begründung des Erstattungsanspruches nach § 812 BGB analog geht. Denn der Krankenkasse bleiben etwaige Einwendungen gegen Grund und Höhe der geltend gemachten Behandlungskosten trotz der Zahlung erhalten; die Rückforderung und die Möglichkeit späterer Aufrechnung gegen unbestrittene Forderungen des Krankenhauses aus anderen Behandlungsfällen werden durch die Zahlung nicht ausgeschlossen."

Nicht ausgeglichen und daher auch nicht durch Erfüllung erloschen ist die Forderung der Klägerin aus der Krankenhausbehandlung der Versicherten Y.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG (in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 15. Dezember 2004, BGBl I 3429), § 17b KHG und der Anlage 1 Teil a) Fallpauschalen - Katalog der G-DRG-Version 2008 sowie dem zwischen der Hessischen Krankenhausgesellschaft und den entsprechenden Krankenkassen bzw. deren Verbänden geschlossenen Vertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkassen unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den bei ihr versicherten Patienten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Absatz 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 25. November 2010, B 3 KR 4/10 R).

Dieser im vorliegenden Fall unstreitig entstandene Vergütungsanspruch der Klägerin ist auch nicht durch eine Aufrechnung mit einer öffentlich-rechtlichen Erstattungsforderung der Beklagten nach § 812 BGB analog gemäß § 387 BGB analog untergegangen.

Bei der Vergütung der Krankenhausbehandlung der Versicherten X. war entgegen der Auffassung des Sozialgerichtes kein Verlegungsabschlag in Abzug zu bringen. Die FPV 2008 regelt in § 3 die Berücksichtigung von Verlegungsabschlägen. Danach ist im Fall einer Verlegung in ein anderes Krankenhaus von dem verlegenden Krankenhaus ein Abschlag vorzunehmen, wenn die im Fallpauschalenkatalog ausgewiesene mittlere Verweildauer unterschritten wird, § 3 Abs. 1 FPV 2008. Im Falle einer Verlegung aus einem anderen Krankenhaus ist von dem aufnehmenden Krankenhaus ein Abschlag entsprechend den Vorgaben des Abs. 1 vorzunehmen, wenn die im Fallpauschalenkatalog ausgewiesene mittlere Verweildauer im aufnehmenden Krankenhaus unterschritten wird, § 3 Abs. 2 Satz 1 FPV 2008. Vorliegend war bei der Krankenhausbehandlung der Versicherten X. unstreitig die mittlere Verweildauer (17,4 Tage) nicht erreicht.

Zwar sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes bei der Vergütung von Krankenhausleistungen nach dem DRG-System der Fallpauschalenkatalog sowie der Operationen- und Prozedurenschlüssel streng nach ihrem Wortlaut und den Kodierrichtlinien auszulegen, um dem Ziel, Vergütungsregelungen für eine routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen zu gewährleisten, gerecht zu werden (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. September 2008, B 3 KR 15/07 R in Fortführung von Bundessozialgericht, Urteil vom 13. Dezember 2001, B 3 KR 1/01 R). Vorliegend handelt es sich jedoch gerade um die Auslegung der vereinbarten grundsätzlichen Anwendungsregeln, sodass es nach der Auffassung des Senats gerechtfertigt ist, insoweit bei der Auslegung neben dem Wortlaut auch die Systematik und Sinn und Zweck der Regelung zu berücksichtigen.

Der Wortlaut des § 3 Abs. 2 FPV 2008 lässt zwar nicht den Schluss zu, dass es sich bei der Verlegung aus "einem anderen Krankenhaus" nicht auch um eine Verlegung aus einem ausländischen Krankenhaus handeln kann. Eine Einschränkung der Regelung dergestalt, dass bei einer Verlegung aus dem Ausland für das aufnehmende Krankenhaus ein Verlegungsabschlag nicht in Betracht kommt, ergibt sich nach der Auffassung des Senats jedoch aus der Systematik und dem Sinn und Zweck der Regelung. Systematisch gliedert sich § 3 Abs. 2 FPV 2008 an § 3 Abs. 1 an, was bereits durch den entsprechenden Verweis in Abs. 2 auf Abs. 1 deutlich wird, d.h. es besteht eine Korrelation zwischen "verlegendem" und "aufnehmendem" Krankenhaus. Hintergrund dieser Regelung ist, dass es sich insoweit um ein Gesamtsystem der Vergütung der beteiligten Krankenhäuser im Sinne des § 2 KHG handelt. Für einen abzurechnenden Behandlungsfall ist nach dem Fallpauschalenkatalog jeweils eine Fallpauschale vorgesehen. Zwar kann bei Verlegungen jedes beteiligte Krankenhaus eine eigene Fallpauschale abrechnen. Es wird jedoch nach der Systematik der Regelung - gemessen an dem Nichterreichen der mittleren Verweildauer der Fallpauschale - eine nicht vollständig erbrachte Leistung unterstellt, die aus Kostengründen mit Abschlägen von der Fallpauschale sanktioniert wird (Derix in: Baum/Laufer -Hrsg.- Kommentierung Abrechnungsbestimmungen und Vereinbarung Besondere Einrichtungen 2012, Erläuterungen zu § 3 FPV 2012-2.1. Abschläge bei Verlegungen). Hiervon ist wechselseitig und damit letztlich im Ausgleich jedes beteiligte Krankenhaus nach § 2 KHG betroffen. Diese Ausgleichsfunktion im Gesamtsystem der Vergütung für Krankenhäuser ist bei der Beteiligung eines ausländischen Krankenhauses als verlegendes Krankenhaus jedoch nicht mehr gegeben. Dies wird nach der Auffassung des Senats auch von Sinn und Zweck der Regelung über den Verlegungsabschlag bestätigt. Dieser besteht darin, fehlsteuernde Anreize, die zu einer zu frühen Verlegung des Patienten führen könnten, weitgehend auszuschließen und strategischen Überlegungen mit ausschließlich ökonomisch motiviertem Hintergrund entgegenzutreten (Derix, a.a.O., § 3 Nr. 2.1.; vgl. insoweit auch die amtliche Begründung zum Referentenentwurf bezüglich der Verordnung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2004 als Vorgängerregelung, die inhaltlich von den Selbstverwaltungspartnern bezüglich der Abschlagsregelung bei Verlegungen im Wesentlichen beibehalten wurde; Leitfaden zu Abrechnungsfragen nach dem KHEntgG und der FPV 2007 der Spitzenverbände der Krankenkassen und dem Verband der Privaten Krankenversicherung, 2.13.1 zu der wortgleichen Verlegungsregelung). Diese Zielerreichung ist jedoch nur dann überhaupt möglich, wenn es sich wechselseitig um Krankenhäuser handelt, die der auf der Grundlage des § 17b KHG getroffenen FPV 2008 unterfallen, was bei dem vorliegend beteiligten verlegenden Krankenhaus gerade nicht der Fall ist. Insoweit kann die von der Beklagten vorgelegte Passage des Leitfadens zu Abrechnungsfragen der Spitzenverbände der Krankenkassen und des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, deren rechtliche Positionierung von der Deutschen Krankenhausgesellschaft ausweislich des Schreibens vom 14. Juni 2012 nicht geteilt wird, nach der Auffassung des Senats nicht überzeugen.

Das DRG-basierte Vergütungssystem ist gem. § 17b Abs. 2 Satz 1 KHG zudem als jährlich weiter zu entwickelndes System angelegt. Bei auftretenden Fehlentwicklungen oder Unbilligkeiten ist es deshalb zuvörderst die Aufgabe der Vertragsparteien, diese mit Wirkung für die Zukunft durch vertragliche (Neu)Regelungen oder Klarstellungen zu beseitigen.

Der Zinsanspruch resultiert aus § 10 Abs. 5 des Vertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V zwischen der Hessischen Krankenhausgesellschaft und den entsprechenden Krankenkassen bzw. deren Verbänden für das Land Hessen. Hiernach schuldet die Beklagte Verzugszinsen entsprechend § 288 Abs. 1 BGB (5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz) dann, wenn die Zahlung der Krankenkasse nicht innerhalb von 30 Tagen nach Rechnungseingang auf dem von dem Krankenhaus angegebenen Konto eingeht. Dies war, wie von der Beklagten vorliegend beantragt, spätestens am 9. Januar 2010, einen Monat nach der Aufrechnungserklärung der Beklagten, der Fall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision wird zugelassen, da die Frage der Auslegung der bundeseinheitlich geltenden FPV 2008 betroffen ist und somit eine grundsätzliche Bedeutung angenommen werden kann, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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